Bündner Wald Coaz, Pionier seiner Zei (1822-1918)

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Bündner Wald Jubiläumsausgabe

Coaz, Pionier seiner Zeit (1822 – 1918) Jahrgang 71 | Juli 2018


12 Inhalt Coaz, Pionier seiner Zeit (1822 – 1918) Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Eine forstliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Coaz’ Leben im Spiegel seiner Tagebücher . . . . . . . . . 12 Coaz aus der Wahrnehmung von Johann Baptista Bavier (1953) . . 20

Forstliches Wirken von Coaz . . . . . . . . . . . . . . . . 26 «Das Erbe unseres Urgrossvaters gewinnt an Bedeutung» . . . . . 32 Eine bäumige Hochzeitsreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Topograf und Alpinist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Coaz, der Stabssekretär von General Dufour . . . . . . . . . . . . 50 Johann Wilhelm Fortunat Coaz und die Nationalparkgründung . . 54 Entdeckergeist und Impulsgeber für die Forschung . . . . . . . . . 60 Oberforstinspektor Coaz und das «Hochwild» . . . . . . . . . . . 66 Coaz – Pionier der schweizerischen Lawinenforschung . . . . . . . 72 Coaz und die Vermessung der Gletscher . . . . . . . . . . . . . . 80 Erste Weltnaturschutzkonferenz 1913 in Bern . . . . . . . . . . . 86 Coaz und die Gärten von Chur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Coaz, frisch geschnitzt zurück . . . . . . . . . . . . . . . 94

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Titelbild: Dr. Johann Wilhelm Fortunat Coaz als eidgenössischer Oberforstinspektor.

(Bild: Staatsarchiv GR)

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Editorial Wir wagen mit diesem Sonderdruck den Schritt in die Vergangenheit. Zu wissen, woher wir kommen, kann helfen zu entscheiden, wohin wir gehen wollen. Das Lebenswerk von Johann Coaz zeugt davon, dass er wusste, wohin er wollte. Es ist schwierig zu deuten, was anders wäre, wenn er nicht die Forstwirtschaft der modernen Schweiz geprägt hätte. Doch es ist möglich zu sehen, was Coaz gestaltet und umgesetzt hat. Vieles, was uns heute selbstverständlich erscheint, initiierten Pioniere wie er in einer längst verges­senen, aber doch nicht so fernen Zeit des 19. Jahrhunderts. Diese Pioniere hatten es nicht nur leicht. Sie kämpften mit eisigem Gegenwind. Wenn wir uns heute in die Zeit versetzen, als Coaz den Bündner Forstdienst betrat, erkennen wir wenig Wertschätzung für den Wald – eher Gleichgültigkeit, Rücksichtslosigkeit. Der Wald wurde übernutzt, beweidet und angezündet. Coaz startete mit einem Mitarbeitenden – sie bildeten damals 1851 den gesamten Bündner Forstdienst. Coaz begann Förster auszubilden und sorgte dafür, dass Gemeinden diese auch anstellten. Seine Beharrlichkeit und Überzeugungskraft ist heute nicht mehr fassbar. Er verliess nach 22 Jahren einen mit Revierförstern und Kreisförstern organisierten Bündner Forstdienst. Er legte die Grundsteine jener Struktur, die wir heute kennen. Ein Quantensprung für den Wald und ein neuer Berufsstand – doch er verliess Graubünden frustriert. Er empfand das Klima noch immer waldfeindlich und die Wertschätzung für die Arbeit des Forstdienstes als zu gering. Zwei Jahre danach wurde Coaz erster Oberforstinspektor der Schweiz. An dieser Stelle wirkte er bis ins hohe Alter. Die Wertschätzung stimmte nun. Der zuständige Bundesrat Camille Decoppet verweigerte dem damals über 90-Jährigen die Annahme des ersten Pensionierungsgesuchs. So arbeitete er noch zwei Jahre weiter. Zur Abdankung von Coaz im August 1918 meinte der Bündner Bundespräsident Felix Calonder, die Schweiz verliere einer ihrer besten Söhne. Er wusste, was besonders der Schweizer Wald ihm zu

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verdanken hatte. Jenem Drittel der Landesfläche, den wir noch heute in seinem Sinne pflegen, damit er seine Funktionen erfüllt. Vielleicht ist uns nicht bewusst, dass wir sein forstliches Erbe noch in uns tragen. Jene, die sich mit seiner Biografie befassen, erkennen die Verbindung aber schnell. Was wir nicht vergessen dürfen: Coaz ist auch gescheitert. Er erlebte empfindliche Rückschläge und zermürbende Niederlagen. Doch er akzeptierte sein Schicksal, stand zu seinen Fehlern und sah darin letztlich Chancen. Dabei konnte er immer auf Gefährten zählen, und wie wir heute wissen – sie auch auf ihn. Es wäre ein Geschenk, hätte man mit ihm gehen können – auch wenn es nur wenige Minuten gewesen wären. Seit nun eineinhalb Jahren befasse ich mich mit Coaz. Wie ich schnell feststellen konnte, fasziniert er nicht nur mich. So meinte unser jetziger Kantonsförster Reto Hefti kurzerhand – Coaz braucht einen Sonderdruck. Es war eine Herausforderung, das breite, weit über das Forstwesen hinausgehende Wirken in eine Sondernummer des «Bündner Waldes» zu fassen. Viele haben die Spuren von Coaz aufgenommen. Dies musste sparten- und fachübergreifend erfolgen, damit die Fülle dieser Persönlichkeit ergründet werden konnte. Viele hätten diese Spuren ohne die Mithilfe von Paul Grimm nicht gefunden. Nicht zuletzt seinem Zutun verdanken wir diese Ausgabe. Er lenkte viele hier Schreibende auf den richtigen Weg. Wir können nicht mehr mit Coaz gehen. Doch diese Sondernummer ermöglicht es, seine Spuren zu finden und zu verfolgen. Sie führen an unglaubliche Orte. Auch in die Gegenwart. Persönlich hoffe ich, Coaz hilft uns auch in die Zukunft zu sehen – gemeinsam in seinem Sinne, aber mit 100 Jahren zusätzlichem Wissen. Denn eines ist sicher: Coaz glaubte an den von ihm gestalteten Forstdienst im Dienste der Allgemeinheit mit fortschrittlichem Denken in einem nachhaltigen Sinn. Sandro Krättli, Redaktor


Vorwort Heute können wir mit einer erheblichen Zuverlässigkeit erahnen, wie erfolgreich das langjährige berufliche und private Wirken des eidgenössischen Oberforstinspektors Johann Wilhelm Fortunat Coaz war. 1850 zum Bündner Forstinspektor gewählt, wird er 1875 zum eidgenössischen Oberforstinspektor berufen. Ein Amt, das er erst im hohen Alter von 92 Jahren niederlegt. Ein Amt, das ihn zusammen mit seinem weiteren, vielfältig reichen Schaffen im Interesse von Forst, Naturlandschaften, Naturschutz und Alpinismus zu einem Pionier seiner Zeit werden liess. Wer sich auf die Spuren von Johann Wilhelm Fortunat Coaz begibt, findet sich an historisch relevanten Ereignissen und Errungenschaften wieder. Auf den Kriegsplätzen des Sonderbundskriegs an der Seite von General Guillaume-Henri Dufour, auf einer Erstbesteigung des Piz Bernina, der höchsten Bündner Gebirgsspitze, bei der Realisierung der ersten Lawinenverbauungen der Alpen, bei ersten Vermessungen von Gletscherzungen, bei der Pflanzung von heute majestätischen Mammutbäumen im Gebirgskanton Graubünden, unter den Initianten des Schweizerischen Nationalparks oder bei der ersten internationalen Naturschutzkonferenz in Bern. Johann Wilhelm Fortunat Coaz setzte all seinem Streben das Erreichen eines Ergebnisses – das Er-

reichen eines Erfolgs – als Ziel voran. Dieses bestand, aufgrund seiner beruflichen und persönlichen Prägung als Forstingenieur und Alpinist, notwendigerweise im Lancieren und Beeinflussen von Entwicklungen, die sich zweifellos auch erst auf lange Frist als wirksam und wertvoll erweisen sollten. Coaz war nicht ein Schöpfer des ursprünglich bereits über 200 Jahre früher erstmals für den Wald entwickelten Nachhaltigkeitsgedankens; aber er hat ihn gelebt – beruflich wie privat – und ihm in seinem Wirken reich und eindrücklich fassbare Ausprägungen verliehen. Bundesrat Moritz Leuenberger hat im Jahr 2001 das erste eidgenössische Forstpolizeigesetz aus dem Jahr 1876 so gewürdigt: «Das revolutionär Neue am Forstpolizeigesetz von 1876 war sein Grundsatz der Nachhaltigkeit: Die Erkenntnis, dass jede Generation Anrecht auf die gleichen Ertragsmöglichkeiten haben soll, dass immer nur die Zinsen – das nachwachsende Holz – genutzt werden dürfen, dass das Kapital – der Holzvorrat – aber unangetastet bleiben soll. Das Forstpolizeigesetz von 1876 war und ist internationales Vorbild.» Der geistige Vater dieses so verdienstvollen Werks ist Oberforstinspektor Johann Wilhelm Fortunat Coaz. Dr. Mario Cavigelli, Regierungspräsident, Vorsteher Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement Graubünden

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Coaz’ Leben im Spiegel seiner Tagebücher Von seinem 16. Geburtstag an bis ins 96. Lebensjahr hielt sich Johann Wilhelm Fortunat Coaz ein Tagebuch, dem er nicht nur seine Tätigkeiten und Unternehmun­ gen, sondern immer wieder auch seine Befindlichkeit anvertraute, genauso wie seine Eindrücke und Be­ obachtungen zur Natur, zur Technik, zu ökonomischen Fragen, zu Wissenschaften, Kunst und Literatur. In seiner langen Zeit als Forstbeamter führte Coaz zusätz­ lich neun spezifisch forstliche Tagebücher, dazu noch ein botanisches, ein zoologisches und ein alpinistisches. Paul Eugen Grimm

Der junge ambitionierte Johann Wilhelm Fortunat Coaz.

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(Bild: SAC Archiv)

Zusammen mit zahlreichen weiteren Dokumenten, Briefen und Urkunden, Abrechnungen und Reiseberichten vermitteln uns die Tagebücher ein komplexes Bild eines unermüdlich Tätigen, eines umfassend Gebildeten, eines bis ins höchste Alter neugierig gebliebenen Forschers. Eines der früh beschriebenen Erlebnisse in Coaz’ Tagebuch ist die Teilnahme am eidgenössischen Turnfest in Bern im Sommer 1839. Mit drei Churer Mitschülern freute sich der begeisterte Turner und überzeugte Schweizer über das Fest in der geschmückten Stadt, die damals noch nicht Bundesstadt war und von der er nicht ahnte, dass sie ihm dereinst für fast vier Jahrzehnte zum Wohn- und Arbeitsort würde. «Den Studenten folgten die Leiterwagen mit den fliegenden Fahnen und jauchzenden Turnern. So ging der Zug durch die Stadt und mit einem Hoch wurde jedes hübsche Mädchen begrüsst, das sich am Fenster sehen liess. In Münsingen gings flott her, in schöner Begeisterung manch Freundschaftsbund geschlossen. Mancher bestieg bei der Abfahrt den Wagen nicht mehr so flink, wie er ihn verlassen.» Zu Coaz’ Freunden zählte nun etwa der Maler Johann Jakob Walthard, der später nach Chur kam und Coaz porträtierte. Als 1906 wiederum ein Turnfest in Bern stattfand, sandte Coaz dem «Bund» einen kleinen Artikel über das Fest von 1839, mit


ebendiesem Auszug und dem Vermerk: «Aus dem Tagebuch eines Lebenden». Coaz’ Kinder- und Jugendjahre sind auf den ersten Seiten beschrieben, die Rückkehr von Antwerpen nach Chur 1825, die Wohnungen im Rigahaus, im Welschdörfli und dann an der Obergasse, die Schulen in Chur und Poschiavo, die Kantonsschule, das Kadettenwesen und der Turnverein. Mit dem 16. Geburtstag (Coaz nennt ihn den 17., indem er den Tag der Geburt mitrechnet) beginnt es: «Ein Tagebuch will ich mir also halten u. wichtigere Gedanken, Gefühle, Handlungen, Erfahrungen etc. aufzeichnen, damit mir meine Vergangenheit immer klar vor Augen liegt u. ich aus derselben in die Zukunft leben lerne.» Erste Reisen durch Graubünden und andere Kantone lassen die Begeisterung Coaz’ über die Landschaft, die Vegetation, die Gebirgswelt, die Natur im Allgemeinen erkennen. 1839 teilt er dem Tagebuch mit: «Durch einen jungen Hr. von Salis-Grüsch, der in Hohenheim das Forstwesen studiert u. lungenkrank zurükgekehrt, erhielt ich dessen Collegienhefte, die ich fleissig las u. mich veranlassten, mich dem forstlichen Beruf zu widmen.» Der St. Galler Forstinspektor Johann Bohl, der zuvor in Graubünden in gleicher Funktion gewirkt hatte, lud Coaz ein, bei ihm ein Praktikum zu absolvieren. Über diese Zeit vom Januar bis zum September des Jahres 1840 schreibt Coaz im Tagebuch nicht viel Erfreuliches: «Hier in St. Gallen gefällt es mir gar nicht. Das einförmige Büreauleben langweilt mich, ich sehe mich zu gebunden, geniesse zu wenig Freiheit. Dadurch verliere ich die Freude am Forststudium, ich bereue, nicht länger in der Kantonsschule geblieben zu sein oder direkt auf eine Forstakademie mich begeben zu haben.» Positiv wird vermerkt: «Bei Hr. Bohl, der mich äusserst gut behandelte, hatte ich Kost u. Logis.» Am ersten Frühlingstag heisst es dann: «Der Winter, der langweilige, neblichte ist nun vorbei, die Frühlingssonne wärmt mein Zimmer, ich lasse mich von ihr bescheinen. Die bevorstehenden Excur­

Das persönliche Tagebuch von Coaz ermöglicht einen tiefen Einblick in sein Leben.

(Bild: Staatsarchiv GR)

sionen werden Abwechslung in das einförmige Büreauleben bringen, es kann besser werden.» Jedenfalls hat das St. Galler Praktikum eine gute Basis für Studium und weitere Praxis gelegt, und Forstmeister Bohl konnte ein glänzendes Zeugnis ausstellen, woraus ein prophetisch wirkender Satz zitiert sei. Bohl glaubte «die begründete Hoffnung aussprechen zu dürfen, dass, wenn derselbe den bisher bewiesenen Eifer in diesem Fachstudium und sein rühmliches Betragen im Umgang mit anderen auch auf der neu zu beziehenden Akademie fortsetze, er sich zu einem besonders tüchtigen Forstmanne heranbilden werde.» Ebenso ehrenhaft tönt die Beurteilung seines Kommilitonen an der Forstakademie im sächsischen Tharandt, Emil Roch, der dann sofort zum Königlich Sächsischen Forstvermesser ernannt wurde und bei dem Coaz einige Monate angestellt war. Roch schrieb, sein Freund habe «mit

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Fleiss und gutem Erfolg Teil genommen, sich aber auch die Liebe und Achtung aller, welche ihn kennenlernten, erworben hat, wird hiermit der Wahrheit gemäss bezeugt.» Dieses Zeugnis unterzeichnete ebenfalls der Direktor der Akademie, der berühmte Forstpionier Heinrich Cotta. Coaz erhielt im März 1843 das Diplom der Königlich Sächsischen Akademie für Forst- und Landwirte,

mit sehr guten Beurteilungen. Einer seiner Professoren, Forstmathematiker Max Pressler, besuchte Coaz später mehrmals in Chur und wurde gar Taufpate seines ersten Sohnes. Während der Vermessungstätigkeit in der Gegend von Neudorf im Königreich Sachsen ist das in Hexametern verfasste Gedicht «Im Schweizerwald b. Neudörfchen» entstanden:

Wohlig lag ich im Schatten dichten Lindengezweigs, Wo der Förster des Waldes weise sein Pläzchen gewählt, Und für sich u. die Seinen Bänke aus Rasen erbaut Um in der Schwüle des Abends od. am brennenden Mittag Wonnig den Tag zu geniessen, wonnig den Tag zu beschliessen. Schweizerwald, du entzükst mich, meine Gedanken entfliegen, Schon durch den Namen bezaubert eiligst dem Vaterland zu. Ja, im grünenden Wald, auf den Bergen der freieren Schweiz Sucht mein Geist nur zu leben, sucht das Herz nur sein Wohl. Pflanzen will ich und säen, fällen den alternden Stamm, Bauen will ich ein Hüttchen, nicht für mich nur allein, Nein, im Arme der Liebe will ich ruhen des Abends, Will v. Kusse beglükt, eilen des morgens an’s Werk. Während seiner zahlreichen Auslandreisen sehnte sich Coaz immer in die Schweiz zurück, speziell in seine Bündner Berge und in die Wälder. Nach dem Forststudium war allerdings nicht sofort eine Stelle frei, so bewarb sich der junge Ingenieur auf Anraten von François Bétemps beim topographischen Bureau des Obersten Dufour in Genf. Lesen wir im Tagebuch: «Auf der linken Seite der Landquart auf einem kürzern aber schlechtern Weg nach Schiers u. weiter. Von Felsbach botanisirend durch das Gebüsch nach der Zollbrük. Nach kurzem Aufenthalt über das Zizerser-Ried u. über die Felder botanisirend bis hinter Zizers. Mit Hptm Buol nach Chur gefahren. Auf der Post ein Schreiben von Dufour an Bétemps, das ich ermächtigt war zu öffnen: Luzern le 17 Juillet 1844. Mon cher Bétemps! D’après ce que vous me dites du jeune Coaz et d’après le petit échantillon de dessin que vous m’avez envoyé je n’he

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site pas un instant à l’employer etc. Freudig lief ich mit diesem Schreiben nach Hause, meine Wünsche waren über Erwarten schnell in Erfüllung gegangen. Von heute an war ich eidg. Ingr. und die günstigsten Bedingungen mir gestellt.» Bereits am 8. August 1844 begann die erste topo­ graphische Campagne, bis 1850 folgten jeweils in den Sommermonaten sechs weitere und eine kleinere noch im August 1851, als Coaz bereits kantonaler Forstinspektor war. Die Campagnen sind Tag für Tag präzise aufgezeichnet. Dazu gehören minutiöse Berichte über die Geländeaufnahmen und die dabei notwendigen Bergbesteigungen und Signalsetzungen, Beschreibungen der Witterung und der Schneeverhältnisse, Schilderungen der Unterkünfte, der Begegnungen mit Tieren und Menschen, präzise Aufzeichnungen der Pflanzen und Gesteine, der Morphologie, der Gletscher, begeisterte Aufzählungen der Berge,


Aus dem Tagebuch von Coaz: Schilderung zur Erstbesteigung des Piz Lischana.

die von einem erstiegenen Gipfel aus sichtbar waren. Und solche Besteigungen gehörten fast täglich dazu, darunter manche Erstbesuche. Als Beispiel der Vermessungstätigkeit sei das Val Tasna im Unterengadin herausgegriffen, wo Coaz mit seinem Koch Lorenz Ragut Tscharner und dem ebenfalls aus Scheid stammenden Jon Ragut Tscharner zwei Wochen im Zelt verbrachte, im Sommer 1849: «In der ebenen Weide, da wo die beiden Thäler Urschai und Urezas ihre Gletscherbäche vereinen, zwischen grossen Serpentin-Felsblök das Zelt aufgeschlagen. Lorenz baute sich am Fuss eines Felsens seinen Heerd und bald flakerte die Flamme und loderte am Stein hinauf, die geschwärzte Wand wird noch nach Jahren v. den Bergmesser zeugen u. wir werden niemals das gemüthliche Pläzchen am Fels vergessen, wo wir entweder auf einem Stein od. Brett od. auch nur auf dem Rasen sizend, abends müde v. den Touren, beim reinen Sternenhimmel, die lautlose Ruhe um uns, eine Cigare schmauchend, mit den auf den Hengert herbeigekommenen Hirten, in

(Bild: Staatsarchiv GR)

ihrer Weise traulich plauderten. Mit einem Abendtrunk aus der Entianflasche nahmen wir gewöhnlich Abschied.» Das idylische Bild trügt allerdings, denn die Vermessungstouren waren oft mit grossen Gefahren verbunden. 1848 war ein Freund, der junge Ingenieur Peter Glanzmann, am Piz Mundin zu Tode gestürzt. Manche Besteigungen waren schwierig, die Routen oftmals noch nicht bekannt, die Details für die Karten waren ja eben gerade aufzunehmen. Coaz’ Tagebücher enthalten aber nebst den topografischen Schilderungen auch weitere spannende Beobachtungen zu den Siedlungen, der täglichen Arbeit der Bauern, ihren Bräuchen und Gewohnheiten. Ein Beispiel dazu, das volkskundlich inte­ ressant ist, betrifft Ramosch im Juli 1846: «D. 14t. entsetzlich schwüler Tag. Bad im Inn mit den Knechten. Schöne Garbenreihen auf den Aeker. Fleissiges aber ungebildetes Volk. Wenig Pferde, aber viel Ochsen v. ungeheurer Grösse mit welchen alle Früchte und das Holz eingeführt wird. Schuls allein soll 200 St. haben. Die Weiber schaf-

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fen ebenso tüchtig als die Männer, die übrigens in grosser Anzahl im Ausland als Zukerbäker leben. Die alten Weiber arge Caffetrinker, sehr redselig besonders am Brunnen, laute, kreischende Stimmen.» Coaz schliesst den kurzen Bericht mit der Bemerkung: «Merkwürdige, an die wilden Völker erinnernde Gebräuche.» Schon bei der Aufnahme der Landschaft rund um Pontresina suchte Coaz mit seinem Fernrohr sorgfältig das Berninamassiv ab, um die geeignetste Route für die Erstbesteigung zu erkunden. Diese erfolgte dann am 13. September 1850. Die tollkühne und waghalsige Tour, zusammen mit den beiden Tscharner, ist im Tagebuch über mehrere Seiten beschrieben und diverse Male gedruckt worden. Wir zitieren daher eine Passage aus dem Tagebuch über die Besteigung des Walliser Viertausenders Weissmies genau 50 Jahre später: «Ich winkte dem alten Herrn zu, ich liess mein Sacktuch wehen, aber all’ meine Grüsse waren wirkungslos, der Bernina rührte sich nicht, blieb kalt. Wahrscheinlich dachte er, der da drüben, der sich so geberdet, wird eine der Eintagsfliegen sein, die mir von Zeit zu Zeit über den Rücken krabbeln; derjenige aber, der mir die Ehre des ersten Besuches geschenkt, wird längst in Staub oder Asche liegen.» Die Berninabesteigung war der Höhepunkt in Coaz’ Topografenleben und zugleich praktisch der Schlusspunkt, denn dieser Lebensabschnitt, den er später als seinen schönsten beschrieben hat, endete bereits im Oktober 1850. Im Tagebuch lesen wir die Frage von Bundeslandammann Franz Planta und die spontane Antwort darauf: «Willst Kantons Oberförster werden? Ich: Nein! Nach einer Bedenkzeit akzeptierte Coaz die neue Stelle dennoch und versah diese von 1851 bis 1873 mit unermüdlichem Einsatz und mit einer unglaublichen Hartnäckigkeit, war doch das Bündner Forstwesen in einem desolaten Zustand. Sofort begann der neue Forstinspektor mit dessen Umstrukturierung und erzielte rasch einen ersten

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Erfolg: «Die Forstcommission unter dem jezigen Präsidium u. Actuariat ist ein unthätiges, schleppendes, allen Geschäftsgang hinderndes Möbel. Der Untergang dieser Commission mein sehnlichster Wunsch zum Heil des Forstwesens u. freudigerer, rascherer Thätigkeit des Forstpersonals.» Nach der Aufhebung der Kommission begann Coaz in eigenen Forstkursen Förster auszubilden, teilte den Kanton in Forstkreise ein und suchte alle über 200 Gemeinden persönlich auf, um dort Waldordnungen einzuführen und die Vorsteher und Gemeindeversammlungen von der Notwendigkeit eines Försters zu überzeugen. Die Hindernisse waren gross, doch Coaz’ konsequentes Beharren und sein diplomatisches Geschick führten allmählich zum Ziel. In einem ersten Rundschreiben an die Kreisförster riet er diesen: «Wo alte Gewohnheiten zu berücksichtigen sind, da gehen Sie mit Ihren forstl. Neuerungen mit Bedacht zu Werk, verlangen Sie in Ihren Gutachten nicht zu grosse Opfer, die doch voraussichtlich nicht zu erhalten sind, verlangen Sie dieselben nicht zu plözlich. Dieser Weg führt Sie sicherer zum Ziel u. erhält Ihnen, was unumgänglich ­nothwendig ist, das gute Einverständniss mit den Gemeinden.» Eine Unterschriftensammlung der Förster im Jahr 1858, Coaz’ eingereichte Demission rückgängig zu machen, war erfolgreich, der Forstinspektor blieb trotz mancher Enttäuschung im Amt und führte die Reformen konsequent voran. 1860 schlug er gar eine Berufung als Professor für Forstwissenschaften am Polytechnikum (der späteren ETH) in Zürich aus und schrieb dazu im Tagebuch: «Ich glaubte diese Anfrage verneinend beantworten zu sollen, denn meine Aufgabe bestund in Durchführung der begonnenen Organisation des graubündnerischen Forstwesens.» Als Beispiel für Coaz’ Hartnäckigkeit kann sein Auftritt 1871 in der Gemeinde Scuol genannt sein, wo er persönlich an der Gemeindeversammlung üna persuna da cognoschentschas e chi as ocupescha directamaing be


con ils guads, ün förster, il qual possa servir in ün salari da fr. 800.– forderte. Die Versammlung erteilte ihm eine blamable Abfuhr. Doch Coaz liess in gewohnter Manier nicht locker und erreichte, dass eine neuerlich einberufene Versammlung drei Tage später doch noch zustimmte. Als Coaz 1873 einem Ruf als Forstinspektor nach St. Gallen folgte, war das Bündner Forstwesen gut organisiert, das Forstpersonal einigermassen ausgebildet, motiviert und durch Coaz auch psychologisch für den Umgang mit den Behörden geschult. Die zwei Jahre in St. Gallen waren nur eine Übergangszeit. Für die 1875 neu geschaffene Stelle eines eidgenössischen Oberforstinspektors war Coaz der einzige Kandidat. Sogleich war nun in Bern das erste eidgenössische Forstpolizeigesetz auszuarbeiten und nachher zusammen mit den Gebirgskantonen umzusetzen. Seine Erfahrungen mit den Bündner Gemeinden kamen ihm nun auf höherer Ebene zugute. Die Durchsicht der forstlichen Tagebücher zeigt einen unermüdlich reisenden Inspektor, der nicht nur vom Schreibtisch aus agierte, sondern stets an Ort und Stelle, im Gelände, Anweisungen gab und deren Ausführungen genauestens überwachte. Die Geduld Coaz’, gepaart mit Zähigkeit und bisweilen Sturheit, aber vor allem mit höchstem diplomatischen Geschick, liess diese Persönlichkeit zum idealen Amtsträger werden. Über all die Jahrzehnte hin genoss er stets das vollste Vertrauen von insgesamt 32 Bundesräten. Die Aufgaben des Forstinspektors fasste Coaz im Tagebuch gleich selbst zusammen, woraus wir drei zitieren: «2. Besichtigung sämtl. Aufforstungen u. Lawinenverbaue die eidg. Beiträge erhalten, Prüfung der Arbeit (Ausführung, Erhaltung) u. Anträge über Fortführung, Vervollständigung. 12. Beschäftigung mit den forstl. Versuchsstationen. 13. Grundlagen für eine schweizerische Forststatistik.» Als Beispiel für Coaz’ Inspektionsreisen fassen wir das Jahr 1884 zusammen: Zürich – Glarus – Chur

– St. Gallen – Thurgau – Schaffhausen – Dachsen – Zürich – Zug – Stans – Tessin (mit Bundesrat Droz, wegen forstlicher Massnahmen für die Gotthardbahn) – Freiburg – Genf – Vallorbe – Sumiswald – Solothurn – Basel – Aigle – Genf – Zürich – Realta – Thun – Tessin – Basel – Zürich – Berner Oberland – Konstanz – Basel – Berner Oberland –

Schreiben des Bundesrates, welches Coaz 1884 als offizielle Vertretung der Eidgenossenschaft für eine Konferenz zur Regelung der Lachsfrage im Rhein ermächtigt.

(Bild: Staatsarchiv GR)

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Der Botaniker Carl Schröter war ein enger Freund von Coaz – er schrieb einen umfassenden Nachruf über ihn.

(Bild: Staatsarchiv GR)

Zug – Urnerboden – Mels – Ilanz – Schanfigg – Einsiedeln – Wallis – Berner Oberland – Wallis – Goms – Gletsch (Besuch des vom Rhonegletscher verlassenen Bodens und Ermittlung der Pflanzen, die sich hier angesiedelt) – Tessin – Obwalden – Appenzell – St. Gallen – Glarus – Chur – Oberengadin – Colmar – Berner Oberland – Obwalden – Thun – Sumiswald – Zürich – St. Gallen – Schaffhausen – Basel – Köln – Berlin – Tharandt. Dazwischen waren natürlich stets Aufenthalte in Bern. Die Reise nach Deutschland im Spätherbst unternahm Coaz als Abgeordneter des Bundesrates an die internationale Konferenz zur Regelung der Lachsfrage in

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Berlin. Der Besuch in seinem einstigen Studienort Tharandt freute Coaz besonders, da er hier nochmals seinen verehrten Professor und Freund Max Pressler antraf. Als Beipiel sei aus einer Reise aus dem Jahr 1903 zitiert, wo die eben eröffnete Albulalinie der RhB den Zugang zum Engadin wesentlich erleichterte: «D. 6t. Sept. Bundesrat Ruchet, Oberbaumeister Corradini u. ich mit Extrapost nach Maloja u. zurük nach St. Moritz zum Kurhaus, wo der Gemeindepräsident, Hr. Robbi, uns empfing. Dann weiter nach Samaden. Nachmittag nach Pontresina, zur ersten Restauration des Schafberges, von da den aussichtsreichen Weg zur Alp Languard begleitet vom Vorstande v. Pontresina u. zurük in’s Dorf u. Samaden.» Fast 40 Jahre hat Coaz im Amt als eidgenössischer Oberforstinspektor ausgeharrt und dabei das Forstwesen der Schweiz und der einzelnen Kantone massgeblich gestaltet. Über seine unzähligen weiteren Aktivitäten geben verschiedene Artikel in diesem Heft Aufschluss. Auf die rund 120 Publikationen und die zahlreichen Ehrungen und Ehrenmitgliedschaften können wir an dieser Stelle nicht eingehen. Das Lebenswerk von Johann W. F. Coaz ist jedenfalls unglaublich vielfältig und seine Tätigkeit war und ist von grosser Akzeptanz und Nachhaltigkeit geprägt. Blicken wir nochmals ins Tagebuch: «Heute d. 21t. März 1911 haben sich zwei Freunde hier im Pfarrhaus v. Igis zusammengefunden, der eine nahe den 90. J., der andere um 1 J. über dieselben hinaus, u. beide noch amtend als Pfarrer u. Förster. Sie haben sich der Jahre wieder erinnert wo sie zusammen die Kantonsschule besucht, mit Freund Amstein den Calanda erstiegen u. im Laufe der Jahre bald da bald dort zusammentrafen u. sich die Hand schüttelten. Obwohl alt, glauben sie dennoch frischen Geistes zu sein u. spüren noch wenig der Alters Gebrechen. Und doch ist es Zeit in den Ruhestand zurükzutreten u. in Würde u. Achtung sich dem süssen Otium hinzugeben. So sei es.»


Pfarrer Martin Klotz tat dies auch und verstarb im folgenden Jahr, Coaz reichte im Herbst 1912 seinen Rücktritt ein, allein Bundesrat Decoppet überredete ihn dazu, noch eine Weile im Amt zu bleiben, sodass der Ruhestand erst im Frühjahr 1914 begann. Coaz’ Otium dauerte dann, mit viel produktiver Arbeit angereichert, noch mehr als vier Jahre. Coaz’ Rücktritt fiel zeitlich zusammen mit dem Beschluss der eidgenössischen Räte, im Unterengadin einen Nationalpark zu gründen. Dieses Vorhaben war massgeblich durch Coaz begleitet und ermöglicht worden, hatte er doch sein Netzwerk in Bundesbern spielen lassen und hatte er doch noch 1913, im Alter von 91 Jahren, die beiden Kommissionen von National- und Ständerat persönlich durch das vorgesehene Parkgebiet geführt. Seine Ideen zur Errichtung von Waldschutzgebieten hatte der Oberforstinspektor jedoch schon 60 Jahre zuvor formuliert. Die letzten Zeilen im forstlichen Tagebuch von 1914 lauten: «D. 18t. Juli nach Bern zur Erledigung der Pendenzen u. abends nach Zürich. Abschiedsbesuche bei Schulrathspräsidenten Dr. Gnehm u. den Forstprofessoren, auch bei Schröter u. Flury, Adjunkt der Versuchsanstalt. Bureau der Forststatistik. Abends nach St. Gallen. D. 19t. Besuch bei Oberförster Schnider u. Stadtforstverwalter Wild. Auch bei der Enkelin Mimi Buzzi u. ihrer Familie. Abends nach Chur.» Der letzte Eintrag im privaten Tagebuch erwähnt einen Besuch seines botanischen Freundes: «Besuch des Hr. Prof. Schröter von Zürich mit Frau vom 18. Sept. bis 25., 1917.» Mit diesem unternahm der 95-Jährige, wie es Schröter ein Jahr später im Nekrolog zusammenfasste, eine 4-stündige Exkursion in die Waldungen beim Schloss Marschlins: «Wir besichtigten nachher noch das Schloss treppauf und treppab durch alle Stockwerke und Coaz ging zum Schluss wieder zu Fuss nach Igis zurück.» Zitieren wir noch aus Coaz’ allerletztem Brief an seinen Sohn Carl, zwei Wochen vor dem Tod: «Vorgestern war Prof. Schröter mit einem Zürcher

Photographen, Hr. Heller, hier u. reist nach dem Nationalpark, um Aufnahmen zu machen. Schröter lässt grüssen. Molinaris haben von La Rösa eine Menge Pflanzen geschikt die ich z. Th. eingelegt für mein Herbar. Vor einigen Tagen hat mich a. Bundesrat Forrer besucht u. ist von hier über den Kunkels nach Vättis zurükgekehrt. Herzliche Grüsse an dich u. die deinigen. Dein Vater J. Coaz.» Die Abdankungsfeier fand im kleinen Kreis in Davos statt, wo ein Telegramm von Bundespräsident Calonder, Coaz’ letztem Vorgesetzten, verlesen wurde und worin das Lebenswerk des Verstorbenen und der Adel seiner starken Persönlichkeit gerühmt wurden. Freund Carl Schröter fasste im Nekrolog die Charaktereigenschaften so zusammen: «Sorgsame Pflege seiner Kräfte durch festgeregelte Lebensweise und Mässigkeit in allen Dingen, treueste Anwendung dieser Kräfte im Dienst von Vaterland und Wissenschaft, feines Gefühl für Recht und Unrecht, gerader, ehrlicher, unbeugsamer Charakter, verbunden mit warmer Herzensgüte, treuer Anhänglichkeit und seltener Bescheidenheit: eine durch und durch vornehme Persönlichkeit!» Die Durchsicht der Tagebücher kommt zu keinem andern Ergebnis. Quellen Staatsarchiv Graubünden (Nachlass Coaz) Briefe an Sohn Carl Coaz N8.7 N8.11 Persönliches Tagebuch 1839–1917 N8.23 Zeugnis St. Gallen 1840 N8.24 Zeugnisse Tharandt 1842, 1843 N8.55 15 Tagebücher forstlichen Inhalts Notizbuch über die VermessungstätigN8.74 keit in Graubünden Schröter, Carl: Oberforstinspektor Dr. Joh. Coaz, Zürich 1919. Dr. Paul Eugen Grimm ist Historiker und ehemaliger Geschichtslehrer am Hochalpinen Institut Ftan. paulgrimm@gmx.ch

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Forstliches Wirken von Coaz Coaz war Zeit seines Lebens Forstmann. Seine forstliche Karriere im öffentlichen Forstdienst dauerte sechs Jahrzehnte. Diese Phase prägte Coaz nachhaltig und wegweisend – in Graubünden wie in der ganzen Schweiz. Anton Schuler

Im Herbst 1914 wandte sich der nach 39 Dienstjahren im Alter von 92 Jahren in den Ruhestand getretene erste Eidgenössische Oberforstinspektor Johann Wilhelm Fortunat Coaz in der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen «An das Schweizerische Forstpersonal». Er erinnerte an den Zustand der Gebirgswälder bei seiner Amtsübernahme als Kantonsforstinspektor in Graubünden, von dem sich die forstliche Generation um 1914 kaum mehr eine richtige Vorstellung machen könne, und an die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowohl in seinem Heimatkanton Graubünden als auch in der ganzen Schweiz. Johann Coaz wurde am 31. Mai 1822 in Antwerpen als Sohn eines Schweizer Berufsoffiziers in holländischen Diensten geboren. Die Familie kehrte 1825 nach Chur zurück und Coaz besuchte dort die Schulen. Darauf verfolgte er das vor der Eröffnung der «Forstschule» am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich (1855) übliche Ausbildungscurriculum mit einem vorbereitenden Praktikum beim Kantonsforstinspektor des Kantons St. Gallen und bei der Churer Stadtforstverwaltung. 1841 bis 1843 folgte das Fachstudium an der Königlich Sächsischen Forstakademie in Tharandt bei Heinrich Cotta, Emil Rossmässler und Max Pressler, der für die (Forst-)Vermessung und die Forsteinrichtung zuständig war. Eine weitere praktische Tätigkeit beim sächsischen Vermessungs- und Forsteinrichtungswesen schloss die Ausbildung zum Forstwirt ab.

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Von 1844 bis 1851 war er vor allem im Engadin als Gebirgstopograf für die Dufourkarte tätig (mit 21 Erstbesteigungen u. a. Piz Bernina und der Herstellung mehrerer Blätter der Dufourkarte) sowie als Sekretär von General Dufour während des Sonderbundskriegs. Von 1851 bis 1873 war er Forstinspektor des Kantons Graubünden. Obwohl seit 1839 eine Kantonalforstordnung in Kraft war, stand Coaz 1851 nach eigenen Worten «vor 140 000 Hektaren misshandelten Waldes und auch Urwaldes mit einem einzigen, wissenschaftlich gebildeten Adjunkten als Mitarbeiter». Wichtige Massnahmen waren die Neuorganisation des Forstdienstes mit der Ausbildung und Einstellung des Gemeindeforstpersonals, die Vermessung der Waldungen und Abklärungen von sich oft überschneidenden Eigentums- und Nutzungsrechten von Gemeinden und Fraktionen. In diese Zeit fielen auch erste technische und forstliche Massnahmen (Verbauungen von Wildbächen und Lawinen) und die Einrichtung der Schutz- und Wirtschaftswälder. Für kurze Zeit (1873 bis 1875) war er anschliessend Forstinspektor des Kantons St. Gallen. 1853 beschloss der Schweizerische Forstverein in Lausanne, die nächste Versammlung im Gebirgskanton Graubünden durchzuführen. Er beauftragte den Churer Forstinspektor Eckert mit der Organisation. Eckert verliess aber wohl Ende 1853 Chur und trat 1854 aus dem Forstverein aus. An seine Stelle trat Kantonsforstinspektor Coaz,


der gleichzeitig auch Mitglied des Forstvereins wurde. Mit dem Jahr 1854 bahnten sich im Forstverein und in der Diskussion um die Nutzung und Bedeutung der Gebirgswälder grosse Änderungen an. Vorausgegangen waren unter dem Eindruck der Überschwemmungen von 1834 und 1839 die Berichte über den schlechten Zustand der Gebirgswaldungen von Lardy, Kasthofer, Marchand und anderen (z. B. Bohl in Graubünden). Unmittelbar bevor stand die Eröffnung des Eidgenössischen Polytechnikums mit der Forstschule, die eine speziell auf schweizerische Verhältnisse ausgerichtete Ausbildung von Forstwirten sicherstellen sollte. 1852 waren der Tiroler Zoetl, dessen Schrift über die Behandlung von Bannwaldungen im Hochgebirge von Kasthofer mit einem Vorwort versehen und vom Forstverein verteilt worden war, und 1853 Kasthofer gestorben. An der Tagung in Chur vertrat Walo von Greyerz die Ansicht, dass auch im Gebirge streifenweise Kahlschläge oder Kulissenhiebe vertretbar seien. Dies forderte den Widerspruch von Coaz und anderen Tagungsteilnehmern – nicht nur aus dem Gebirge – heraus. Falls Kahlhiebe unvermeidlich seien, müsse sogleich eine Anpflanzung stattfinden und diese müsse vor dem Weidegang, besonders der Ziegen, gesichert sein. An der gleichen Tagung beantragte Elias Landolt ein Memorandum an die Bundesbehörden, in dem der Zustand der Gebirgsforstwirtschaft und die Folgen der immer mehr um sich greifenden Entwaldung geschildert werden sollte. Die Behörden seien zu ersuchen, «auf Mittel und Wege zu denken, durch welche diese Uebelstände gehoben, oder wenigstens gemildert werden könnten». Mit der Annahme des Antrags von Landolt wurde die von Coaz geleitete Versammlung zum Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung der schweizerischen Forstwirtschaft. Ab diesem Zeitpunkt bildeten Coaz und Landolt das Führungsduo, das bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts die

Coaz in der Pflanzversuchsfläche Marschlins.

(Bild: Staatsarchiv GR)

Forstpolitik und das Forstrecht der Schweiz prägen sollte – Landolt als erster Professor an der Forstschule am Eidgenössischen Polytechnikum und Coaz als engagierter kantonaler Forstinspektor und ab 1875 als Leiter der Eidgenössischen Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei. 1856 ersuchte der Forstverein mit der von Landolt vorgelegten «Denkschrift an den hohen schweizerischen Bundesrat betreffend die Folgen der Waldverwüstung im Hochgebirge» den Bundesrat, die notwendigen Abklärungen durchführen zu lassen. 1858 beschloss der Bundesrat die Untersuchung des Zustands der Hochgebirgswaldungen, soweit sie mit den Hauptflusssystemen der Schweiz zusammenhingen; 1862 erschien der Bericht Landolt über die Gebirgswaldungen, 1864 jener von Culmann über die Wildbäche. Nachdem ab 1864 auf der Basis dieser Berichte vom Bund einzelne Kredite für forstliche Mass­ nahmen im Zusammenhang mit den Gewässerkorrektionen gesprochen worden waren, stellten

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Coaz (ganz links) mit wichtigen Forstpersรถnlichkeiten seiner Zeit. Von links Franz Fankhauser, Jakob Kopp, Elias Landolt, Johann Baptist Wietlisbach.

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(Bild: Staatsarchiv GR)


die grossen Überschwemmungen von 1868, die auch Graubünden heimsuchten, die Schweiz erneut vor grosse Probleme. Entscheidend für die weitere Entwicklung war 1871 die Eingabe der «Elferkommission» des Forstvereins an die staatswirtschaftliche Sektion des Nationalrats. Dieser Kommission gehörten neben dem Präsidenten des Forstvereins Johann Weber (Berner Ständeund Regierungsrat) auch Coaz, die Professoren der Forstschule (Landolt und Kopp) sowie mehrere Kantonsoberförster und weitere Kantonsvertreter an. Das Anliegen des Forstvereins war damit auf einem politisch höheren Niveau angelangt – und inzwischen hatte auch die Revision der Bundesverfassung an Fahrt gewonnen. Die 1874 vom Volk angenommene Bundesverfassung gab im Artikel 24 dem Bund das «Recht der Oberaufsicht über die Wasserbau- und Forstpolizei im Hochgebirge». Nachdem bereits 1871 das Eidgenössische Oberbauinspektorat geschaffen und mit dem Bündner Adolf von Salis besetzt worden war, wurde 1875 Johann Wilhelm Fortunat Coaz als Oberforstinspektor eingesetzt. Coaz trat sein Amt am 1. Juli 1875 an. Zu den ersten Aufgaben gehörte die Überprüfung der mit Bundesunterstützung ausgeführten oder geplanten Aufforstungen und Verbauungsarbeiten in den Kantonen Graubünden, Uri und Wallis. Dazu kamen die Begehungen zur Abgrenzung des in Art. 24 BV als «Hochgebirge» bezeichneten Eidgenössischen Forstgebiets, das Coaz in Kantonen ohne Forstdienst mit «Abgeordneten», die teilweise Mitglieder des Forstvereins waren, zu bereisen hatte. Zu den dringenden Aufgaben gehörte zunächst der Entwurf eines eidgenössischen Forstgesetzes, das am 10. August 1876 in Kraft trat. Bereits kurz vorher waren das Jagd- und das Fischereigesetz in Kraft getreten. Das ebenfalls auf Art. 24 BV basierende Wasserbaupolizeigesetz trat 1877 für die ganze Schweiz in Kraft. Im August 1876 erfolgte eine erste gemeinsame Inspektionsreise mit seinem langjährigen Adjunkten

An der Jahresversammlung des Forstvereins 1891 in seiner Heimatstadt Chur trat Coaz als Referent zum Thema «Die Wirkung von Lawinen in Wildbächen» auf.

(Bild: Archiv Schweizerischer Forstverein)

Franz Fankhauser. Die personell knapp besetzte In­ spektion hatte nun im eidgenössischen Forstgebiet, zu dem ab 1877 zehn Kantone ganz und sieben teilweise gehörten, die forstgesetzlichen Bestimmungen, die Ausbildung des Forstpersonals und vor allem auch die bisher unterstützten und neu geplanten technischen Projekte (Lawinen- und Wildbachverbauungen mit vielen Aufforstungen) zu kontrollieren und zu begleiten. Für die ganze Schweiz kamen statistische Arbeiten zu Holz­ ertrag, -verbrauch, -transport und -handel hinzu. Für die ausgedehnten Inspektionsreisen waren Coaz und Fankhauser an weit mehr als 100 Tagen pro Jahr unterwegs. Die Beschränkung des Art. 24 der BV 1874 bezüglich der Forstpolizei auf das «Hochgebirge» war von Anfang an kritisiert worden, da der Begriff mindestens in der deutschen Fassung missverständlich war. Zudem war die Beschränkung rechtlich fragwürdig, da die im gleichen Artikel genannte Wasserbaupolizei für die ganze Schweiz Geltung hatte und auch in gewissen Flachlandkantonen ungenügende Forstgesetzgebungen kritisiert wur-

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den. Am 11. Juli 1897 stimmte das Volk der Streichung der Einschränkung «im Hochgebirge» in Art. 24 BV zu. Diese Erweiterung der Bundeskompetenzen brachte für Coaz und seine Mitarbeiter erhebliche Mehrarbeit, was zu einer personellen Erweiterung der Inspektion führen musste. Das neue Forstpolizeigesetz trat 1902 in Kraft. Neben seiner auf die engere Inspektion ausgerichteten Tätigkeit war Coaz sowohl in seiner Zeit als kantonaler Oberförster als auch als eidgenössischer Oberforstinspektor in vielen, vor allem naturwissenschaftlichen Bereichen tätig. Er war in mehreren naturforschenden Vereinigungen zum Teil in führenden Positionen aktiv, so in Graubünden, Bern, Waadt oder Neuenburg. Er wurde von vielen dieser Vereinigungen mit der Ehrenmitgliedschaft ausgezeichnet. Die Universität Bern verlieh ihm die Ehrendoktorwürde. In anderen Gremien hatte er von Amts wegen Einsitz zu nehmen, so ab 1886 in der Aufsichtskommission für die Central­ anstalt für das forstliche Versuchswesen (später EAFV, heute WSL) oder ab 1881 in der Fachmän­

Handskizze von Coaz von Samen und Blütenstand der Fichte.

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(Bild: Staatsarchiv GR)

nerkommission der schweizerischen meteorologischen Centralanstalt in Zürich. Besondere Sorge galt der Ausbildung des Forstpersonals. Schon 1860 wies Coaz auf die ungenügende wissenschaftliche Ausrichtung des «Schweizerischen Forst-Journals» hin. In der Folge wurden die Professoren der Forstschule (Landolt und Kopp) als Redaktoren der bis heute erscheinenden «Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen» eingesetzt. Als eidgenössischer Oberforstinspektor war er auch für die Qualifikationsbeurteilung des oberen Forstpersonals im eidgenössischen Forstgebiet zuständig. 1884 beschloss der Bundesrat, dass die forstlich-wissenschaftliche Bildung derjenigen zu entsprechen habe, die zur Erlangung eines Di­ ploms an der Forstschule verlangt werde. Die Prüfung der forstlich-praktischen Ausbildung (mindestens ein Jahr mit abschliessendem Staatsexamen) wurde einer Kommission bestehend aus dem Oberforstinspektor als Präsidenten, dem Vorsteher der Forstschule und einem weiteren vom zuständigen Departement zu bezeichnenden Experten übertragen. 1885 erliessen sowohl der Schweizerische Schulrat als auch der Bund die entsprechenden Reglemente. Coaz war ein ausgezeichneter und neugieriger Botaniker und Dendrologe. Dies zeigt sich sowohl in seinen alpinistischen Texten, in denen immer wieder botanische und biologische Phänomene diskutiert werden, als auch beispielsweise in der An­leitung zu forstbotanischen Beobachtungen, mit denen er 1871 seine Bündner Förster beauftragte. Besonders eng war seine freundschaftliche Zusammenarbeit mit den Botanikern Carl Schröter und Karl Hager. Eine der wichtigsten Vereinigungen für Coaz in seiner Tätigkeit als Oberforstinspektor war der Schweizerische Forstverein. Seine aktive Betätigung begann 1854 mit dem Vereinseintritt und der Leitung der Churer Versammlung, die für die weitere Entwicklung entscheidende Impulse setzte. Auch als Oberforstinspektor nahm er regelmässig an den Anlässen teil, die ihm Gelegenheit gaben,


die Kollegen in den Kantonen zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen. Coaz wird als aufmerksamer Zuhörer geschildert, der selten in die Diskussionen eingriff. An diesen Anlässen und in der Vereinszeitschrift wurden die Massnahmen des Bundes intensiv und oft auch kontrovers besprochen. Coaz engagierte sich in verschiedenen Arbeitsgruppen, so etwa ab 1854 in jener, die sich mit den schon im 18. Jahrhundert begonnenen Anbauversuchen von einheimischen und fremden Baum­ arten befasste. Durch diese Versuche wollte man die fremden Baumarten kennenlernen und abklären, ob sie für die Gebirgswaldungen tauglich wären. Ein solches Problem war der Lärchenwicklerbefall vor allem im Oberengadin, mit dem sich Coaz während seines ganzen Berufslebens beschäftigte. Zwei nach seiner Pensionierung publizierte Aufsätze zeigen dies deutlich. Einerseits wurden 1917 die Kulturversuche beim Schloss Marschlins beschrieben, andererseits noch einmal die ungewissen Folgen des periodischen Lärchenwicklerbefalls. Allenfalls müsste die Lärche ganz oder teilweise durch andere Baumarten wie die Stechfichte ersetzt werden, die zusätzlich auch den Vögeln bessere Möglichkeiten für ihren Einsatz gegen den Lärchenwickler bieten würden. Coaz war ja als Oberforstinspektor auch für den Vogelschutz zuständig. Einzelne Waldpartien im Oberengadin, z. B. in der Gegend von Silvaplana, zeigen heute noch die damals erfolgreich versuchte Mischung von autochthonen Baumarten mit der Stechfichte. In den Jahren nach der Pensionierung griff Coaz auch andere Themen noch einmal auf, so etwa seine Erfahrungen seit der ersten Lawinenverbauung im Jahre 1868 bei Schleins sowie dendrologische und alpinistische Themen. Coaz hat ein äusserst beeindruckendes Schrifttum mit weit über hundert Titeln aus allen seinen Tätigkeitsbereichen hinterlassen. Viele seiner Bücher und Aufsätze sind mit Skizzen und Fotografien illus­triert, die sein künstlerisches Handwerk bezeu-

Entwurf des revidierten Forstpolizeigesetzes von 1892.

(Bild: Staatsarchiv GR)

gen, aber auch den Willen, neue Techniken wie die Fotografie für seine Zwecke zu nutzen. Dies gilt sowohl für die technisch ausgerichteten Werke über Wildbach- und Lawinenverbau als auch in ganz besonderer Weise für die Alben mit den Baum- und Waldbildern der Schweiz, die von seinem Amt herausgegeben wurden. Am 18. August 1918 starb Johann Wilhelm Fortunat Coaz in seinem 97. Altersjahr. Quellen: Schröter C. (1919): Oberforstinspektor Dr. Joh. Coaz 1822 – 1918. Ein Nachruf. Schweizer Schriften für allgemeines Wissen 9: 1 – 47. Tarnuzzer, Chr. (1918): Oberforstinspektor Dr. J. Coaz. 1822 – 1918. Bündnerisches Monatsblatt: Zeitschrift für bündnerische Geschichte, Landesund Volkskunde: 260 – 279. NN (1918): Alt Oberforstdirektor Dr. J. Coaz (mit Verzeichnis der forstlichen Publikationen). Schweiz. Z. Forstw. 69: 155 – 161.

Dr. Anton Schuler ist ehemaliger Professor an der ETH, wo er Forstgeschichte unterrichtete. anton.schuler@bluewin.ch

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Coaz, frisch geschnitzt zurück Im Jahre 1905 ordnete der Oberforstinspektor Johann Coaz einen Pflanzversuch mit fremdländischen Baumarten in Marschlins an. Unter anderem auch Thuja (lat. Thuja gigantea) mit Samenmaterial eines Baumes aus Chur. In einem wissenschaftlichen Bericht von 1917 kann Coaz bereits erste Erkenntnisse dazu in der Zeitschrift für Forstwesen publizieren. Ein Jahr später – nach langem Wirken – stirbt er in Chur. Sandro Krättli und Thomas Tschudi

Mehr als hundert Jahre nach dem Start des Pflanzversuchs initiierten Mitarbeiter des Amts für Wald und Naturgefahren (AWN) die Idee, eine Statue für Coaz zu fertigen. Als Oberforstinspektor war Coaz auch so etwas wie der erste BAFU-Direktor – also genau jenes Bundesamts, welches die Woodvetia-Kampagne lancierte. Leider kam die Idee für die ordentliche Kampagne ein paar Monate zu spät. Doch genau dies sollte der Startschuss sein für eine eigenwillige und rein bündnerische Umsetzung. Innert weniger Wochen musste ein Konzept entwickelt und umgesetzt werden. Es lag auf der Hand, Graubünden Holz als wichtigen Partner neben der ibW und dem AWN ins Boot zu holen. Für die Einweihung/Enthüllung wurden die Tage des Schweizer Holzes in Küblis, einem von Coaz’ Bürgerorten, anvisiert. Die Enthüllung und Würdigung von Dr. h.c. Coaz nahm der Vorsteher des Bau-, Verkehrs- und Forstdepartements Graubünden, Dr. Mario Cavigelli, selbst vor.

Der Forstbetrieb Landquart verrichtet die Holzereiarbeiten in Zusammenarbeit mit Forstunternehmer Alfred Jäger.

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(Bild: Sandro Krättli)

Eine Holzskulptur entsteht Um ein realistisches Abbild seines Kopfs herstellen zu können, musste zuerst eine Büste gefunden werden. Eine Umsetzung des Projekts war wegen des knappen Zeitbudgets nur mit einem bereits vorhandenen dreidimensionalen Abbild


möglich. Im Rätischen Museum fand Jürg Hassler tatsächlich Coaz bronzenen Kopf, welcher ihm zu Ehren für die Nationalparkgründung angefertigt worden war. Mit der strukturierten Licht-3DScan-Technik konnte Thomas Tschudi von der ibW Coaz’ Kopf schon mal in die digitale Welt zurückholen. Um ein passendes Modell zu finden, mussten als nächstes die Körpermasse recherchiert werden. Der forstliche Vorstudienpraktikant Elia Bonderer aus Chur, welcher sich also wie Coaz selbst zum Forstingenieur ausbilden lässt, stand mit zeitgemässen Requisiten der Theatergruppe Jenins mehrere Stunden Modell. Die angemessene Pose für Coaz wurde durch die Initianten vom Amt für Wald und Naturgefahren entwickelt. Wesentliche Elemente sind sein Blick in die Ferne, das markante Tagebuch auf dem rechten Knie sowie die Kiste mit einem Vermessungsgerät aus dem Archiv des AWN, welches Coaz den symbolischen Schritt nach vorne ermöglicht. Mit der richtigen Einkleidung und Pose konnte er also komplett digital rekonstruiert werden. Auch der Sockel der Statue zeigt einen Wirkungsort von Coaz. Dieser stellt das Relief des Oberengadins dar, welches sich bis zum Berninamassiv erstreckt. Der Piz Bernina wurde von Coaz als Erstem bestiegen. Unübersehbar ist zudem auf der Sockelfront seine originale Unterschrift eingefräst. Die Initianten setzten sich früh in den Kopf, die Skulptur aus Holz zu fertigen, welches direkt mit Coaz in Verbindung steht. Auf seiner Pflanzversuchsfläche stechen vor allem die gigantischen Thujen heraus. Förster Peter Kuenz vermittelte unkompliziert die Kontakte zu den Eigentümern. Die Bereitstellung der beiden benötigten Bäume wurde grosszügigerweise gar durch den Forstbetrieb Landquart übernommen. Die Reise zur Weiterverarbeitung des gefällten Thuja-Holzes nach Küblis zur Holzbaufirma RUWA wurde durch den Forstunternehmer Alfred Jäger aus Jenins bewerkstelligt. Den Einschnitt und das

Modell und forstlicher Vorstudienpraktikant Elia Bonderer wird von Thomas Tschudi gescannt.

(Bild: Sandro Krättli)

Hobeln der benötigten Bretter übernahm in verdankenswerter Weise die RUWA. Vom Groben ins Feine … Das vorbereitete Rohmaterial wurde nach der Trocknung ins Technologiezentrum der ibW transportiert. Hier verleimte Thomas Tschudi die Einzelteile zu einem Holzklotz. Das Know-how der bereits produzierten Woodvetia-Figur von Johanna Spyri war ein Vorteil für die weiteren Arbeiten, die auf das Projektteam zukamen. Schon bald jedoch stellte sich heraus, dass die Herstellung der Coaz-Statue durch ihren hohen Detailierungsgrad einiges komplexer war. Als dann die digitalen Da-

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Exotische HĂślzer

Zwischen 1905 und 1910 liess Coaz im Schlosswald Marschlins neben Thuja gigantea noch weitere exotische Baum­arten wie Ginkgo biloba, Larix leptolepis, Pseudotsuga menziesii und verschiedene fremde Picea-Arten pflanzen.

(Bild: Peter Ebneter)


Roboter fräst Geschichte an der ibW in Maienfeld.

ten der Statue bereits standen, wurden die Werkzeugwege mit der Cam Software «Mastercam» programmiert. Sobald die Fräsgänge definiert waren, wurde der Roboter mit der Software «Octopuz» konfiguriert. Als dann die Tausenden von Programmiersätzen für alle Achsen des Roboters bereitstanden, wurden diese auf die Steuerung geladen. Nun rotierten vom groben 80 mm Schruppfräser bis zum feinen 6 mm Kugelfräser um das knapp 1,5 m3 grosse Thuja-Rohteil. Nach rund 24 Stunden Fräszeit war es so weit: Der hölzerne Coaz stand stramm inmitten der Roboterzelle des ibW-Technologiezentrums in Maienfeld. Es fehlte nur noch der Kopf. Um eine sehr hohe Qualität zu erreichen, wurde der Kopf auf der CNC-Fräsmaschine Diana gefräst. Auch hier dauerte der Prozess knapp zehn Stunden. Nach der langen Fräsarbeit war das Ziel erreicht. Nur noch wenige Züge mit einem Schnitzmesser waren nötig, um zwei, drei Übergänge auszuglätten. Die Zeit mit der Deadline «Tage des Schweizer Holzes» drängte immer mehr. Bereits aus der Fertigung der Spyri-Figur war klar, dass besonders für den Kopf eine Nachbearbeitung von Hand nötig war. Dieser Feinarbeit mit Handfräsgerät und Schnitzwerkzeug übernahm Sandro Krättli. Dabei musste – gestützt auf historische Porträts – darauf geachtet werden, dass Coaz‘ typische Charakterzüge wie Falten, Schnurrbart oder Augenlider möglichst originalgetreu ausgearbeitet wurden.

(Bild: Sandro Krättli)

Coaz soll wieder reisen In der letzten Nacht der Fertigstellung kämpften Thomas Tschudi und Sandro Krättli mit den eigenen Augenlidern, da sich die Produktion bis nach 4 Uhr morgens hinauszog. Nach kurzem Schlaf bekam die Skulptur ihre erste Ölung, ehe sie pünktlich nach Küblis zur Einweihung geliefert wurde. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 50-Jahr-Jubiläum der Interkantonalen Försterschule Maienfeld Ende September wurde Johann Coaz gar durch Bundespräsidentin Doris Leuthard und den Bündner Regierungsrat Mario Cavigelli die Ehre erwiesen. Nicht

Hohe Ehre für den ersten Oberforstinspektor der Schweiz durch Bundespräsidentin Doris Leuthard und Regierungsrat Mario Cavigelli.

(Bild: Yanik Bürkli)

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Feinarbeit durch Sandro Krättli am Kopf der künftigen Skulptur. (Bild: Selina Meier)

ohne Grund, denn 1852 führte Coaz hier seinen ersten Ausbildungskurs für Forstleute durch. Die Holzskulptur von Coaz soll im Jahre 2018 (hundert Jahre nach seinem Tod) durch Graubünden und die Schweiz ziehen. Wie Coaz selbst, der, wie es sein persönliches Tagebuch dokumentiert, als eidgenössischer Oberforstinspektor die ganze Schweiz bis in die hintersten Winkel bereiste. Ziel der nächsten Jahre muss es sein, das vielseitige Wirken von Dr. Johann Wilhelm Fortunat Coaz der breiten Bevölkerung zugänglich zu machen. Denn er war, wie Interessierte mit kurzer Recherche schnell merken werden, einer der bedeutendsten

Bündner seiner Zeit – nur geriet der weitsichtige Pionier leider etwas in Vergessenheit. Daran wollen Leute aus der Holzkette in den nächsten Jahren etwas ändern – vielleicht, weil sie aus demselben Holz geschnitzt sind wie er. Sandro Krättli und Thomas Tschudi arbeiteten gemeinsam an der Holzskulptur von Coaz. Thomas Tschudi bediente als Leiter des Technologiezentrums der ibW den Roboter, während Sandro Krättli für das Konzept und die Feinarbeit besorgt war. sandro.kraettli@awn.gr.ch thomas.tschudi@ibw.ch

Herausgegeben von Graubünden Wald, Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden und der SELVA. Verleger: Südostschweiz Presse und Print AG,Wald, Südostschweiz CH-7007 Chur Sekretariat: SELVA, Christophe ahnhofplatz 1, CH-7302 Herausgegeben von Graubünden Amt fürPrint, Wald und Naturgefahren Graubünden undTrüb, der­BSELVA. Landquart, Telefon + 41 (0)Production AG, 81 300 22 44, buendnerwald  Redaktoren: Jörg Clava­ etscher, Revier­Bforestal da Val Müstair,  selva-gr.ch Verlag: © Somedia CH-7007@Chur Sekretariat: SELVA, Urs dRutishauser, ahnhofplatz 1, CH-CH-7535 Valchava, Telefon + 41 (0) 81 858 58 21, forestal-muestair @ bluewin.ch. Sandro Krättli, AWN GR, Sagastägstrasse 96, CH-7220 Schiers, Telefon

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