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Klemmschnitt
Wer schon mal einen Klemmschnitt ausgeführt hat, weiss, welch seltsamer Reiz von dieser Schnitttechnik ausgeht. Das gekonnte Trennen von Baumstämmen braucht Fingerspitzengefühl an der Säge, etwas Mut und Erfahrung. Natürlich ist es reizvoll, einen Koloss von einem Baum zu fällen, diesen von seinen Ästen zu befreien und mit eleganter Technik schonend aus dem Wald zu bringen. Aber für mich ist er unübertroffen, dieser so knifflige Akt beim Zertrennen der Stämme, der mit einer gut geschärften Säge innert Sekunden vollzogen ist. Der Laie staunt, wenn es geschmeidig funktioniert. Der Profi flucht, wenn der Stamm beisst – das Arbeitsgerät ist gefangen, der «Klemmer» vollzogen. Ein schmaler Grat zwischen Handwerkskunst und Blamage. Nun sind es genau 20 Jahre her. Die Gewerbeschule wurde für Forstwarte neun Wochen geschlossen und wir verliessen den Kanton. Grund war der Sturm Lothar, welcher die Bündner Wälder weitgehend verschonte. Anders sah es in der Innerschweiz aus. Statt noch mehr Holz auf den Markt zu werfen, zogen viele Forstbetriebe und Forstunternehmer dem liegenden Holz nach. Damals interessierten mich die Zusammenhänge der globalen Holzflüsse nicht wirklich. Beeindruckt war ich von den flächig gefallenen Wäldern. Ein Klemmschnitt-Eldorado! «Nur keine Unfälle!» war das oberste Gebot. Dies kam nicht von ungefähr – über 30 Waldarbeiter verloren letztlich im Sturmholz ihr Leben. Wir Lernenden aus dem Prättigau waren in guten Händen. Es wurden Ausbildungselemente eingebaut und wir konnten uns den Gefahren des Sturmholzes annähern. Dann begann die Fastnacht im Kanton Zug. Darauf waren auch die alten Hasen nicht vorbereitet. Verkleidet mit Schnittschutzhosen stürmten wir Tanzflächen Ausgelassenheit am Abend, vollste Konzentration am nächsten Tag. Ich habe diese Zeit in bester Erinnerung. Mit einer kleinen Ausnahme: Das Lied der Stunde «Anton aus Tirol» hat mich als 17-jähriger Jüngling gewaltig gestört. Und eines Morgens habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und vor versammelter Runde erläutert, dass ich dies einen schrecklich doofen Song finde und man «gopfertammi» nochmals, diesen nicht in Endlosschlaufe laufen lassen soll. Dies ging gewaltig in die Schnittschutzhose. In der Folge wurde der Song in meiner Anwesenheit noch lauter aufgedreht und oft mit den Worten angekündet: «So und jetzt nomol für da Stift!». Das Gelächter war jeweils gross – immerhin war ich in der Gruppe angekommen. Ein kleiner Akt der freien Meinungsäusserung brachte dem Flaum etwas Respekt unter den Vollbärten. Die vorliegende «Bündner Wald»-Nummer widmet sich unserem Rohstoff Holz. Bereits in der Oktober-Ausgabe versuchte Ruedi Walli einen Herbststurm zu diesem Thema auszulösen. Dem habe ich nichts beizufügen. Er hat gezeigt, wo es aus seiner Sicht klemmt. Wir werden immer wieder vor wichtigen Debatten stehen, wo verschiedene Meinungen gefragt sind. Ich habe es lange nicht für möglich gehalten, aber mittlerweile müssen wir achtgeben wie bei einem Klemmschnitt, dass wir die Zug- und Druckzonen bei Meinungsäusserungen richtig einschätzen. Immer weniger braucht es und eine Aussage, Kritik oder auch schon geäusserte Bedenken werden als heikel und unangebracht eingestuft. Wir befinden uns bereits in der Phase, wo die Schnittfl - che der freien Debatte enger wird und man besser einmal schweigt. Achten wir alle gemeinsam darauf, dass es auch wieder in die andere Richtung geht – bevor es klemmt!
Sandro Krättli
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Das Mondholz macht die Musik
Latsch, im Oktober 2019 in einer gemütlichen Stube mit Mondholzwänden. Mir gegenüber sitzt Andrea Florinett. Es braucht nur wenige Fragen zum Thema Mondholz, um ihn ins Schwärmen, Philosophieren und Erzählen zu bringen. Althergebrachtes Wissen wird in seinem Betrieb mit moderner Forschung bestätigt und umgesetzt.
Interview von Silke Schweizer
Zu welchem Zeitpunkt wird Ihr Mondholz/ Instrumentenholz eingeschlagen?
Wir schlagen unser Klangholz bei abnehmendem und gleichzeitig absteigendem Mond (= nidsigend) in der Saftruhe im Winter. Bei uns in hohen Lagen heisst das von circa Ende September bis maximal Februar, im letzten Viertel vor Neumond. Entscheidend ist, was zu diesem Zeitpunkt mit dem Wasser im Baum passiert: Die Pflanzensäfte ziehen sich in den Wurzelbereich zurück. Im Mondkalender wird der Zeitraum des absteigenden Mondes auch als «Pflanzzeit» bezeichnet Es handelt sich hier um eine alte Erfahrung unserer Vorfahren. Um dieses alte Wissen zu belegen, haben wir an einem Versuch von Prof. Dr. Ernst Zürcher teilgenommen. Er war zuerst an der ETH, dann an der Ingenieurschule Biel. Es wurden dabei je 144 Proben aus dem Bergüner Wald sowie von 4 anderen Standorten entnommen und verschiedene Versuchs- und Messreihen durchgeführt. Zum Beispiel hat man Proben von bei Vollmond und Proben von bei Neumond gefällten Bäumen entnommen und diese darrgetrocknet. Das Holz, das bei Vollmond gefällt wurde, reagierte wie ein «Schwamm». Es verlor mehr Wasser, als das bei Neumond gefällte Holz und wurde dadurch leichter. Als man die trockenen Proben anschliessend wieder ins Wasser legte, nahm das Vollmondholz bis zu 25 Prozent mehr Wasser auf als das Neumondholz und ist dadurch entsprechend stark gequollen. Das bei Neumond gefällte Holz dagegen blieb sehr ruhig und formstabil. Ein solches Ergebnis hatte ich zwar erwartet, trotzdem war es aber auch für mich ein AhaErlebnis, die Erfahrungen unserer Vorfahren dann doch so deutlich wissenschaftlich dokumentiert zu sehen.
In Wald und Holz fühlt sich Andrea Florinett wohl.
(Bilder: zVg Florinett AG)
Wenn wir unsere Kunden aus allen Kontinenten fragen, was sie unter Mondholz verstehen, dann lautet die Antwort immer gleich: Überall ist damit «in der Saftruhe vor Neumond gefälltes Holz» gemeint. Dass sich diese Erfahrungen der Instrumentenbauer weltweit decken, bestätigt unser Vorgehen, wie man den wertvollen Rohstoff Holz am optimalsten nutzen kann. Der Fällzeitpunkt ist aber nur ein Teil der ganzen Mondholzgewinnung: Die Auswahl von sehr feinjährig gewachsenem Holz und die Trocknung sind ebenfalls wichtige Komponenten, um aus dem guten Werkstoff Holz einen noch besseren zu machen. Mondholz spielt vor allem beim Instrumentenholz und im Fenster- und Möbelbau eine grundlegende Rolle; man kann dadurch ein hochwertiges Naturprodukt aus der Massenware herausheben. Dann gibt es noch das Problem der «Lostage», zum Beispiel der 21. Dezember. Saftruhe ist zu diesem Zeitpunkt im Winter zwar schon, aber ein Lostag ist nicht immer im abnehmenden und absteigenden Mond. Ausserdem kann man Lostage nicht beweisen. Ich selbst arbeite nie mit Lostagen, weil ich nicht dahinterstehen kann. Auch in anderen Bereichen als beim Instrumentenholz spielt der Mondstand eine Rolle: Einerseits bringt die Berücksichtigung des Mondstands bei der Arbeit im Gemüsegarten gute bis sehr gute Ernteerträge. Und warum soll man sich von der Natur nicht helfen lassen? Andererseits beim Hausbau: Mit technischem Trocknen, Verschneiden und Verleimen bringt man jedes Holz ruhig. Die Frage muss aber lauten, ob man aus einem Naturprodukt Sondermüll machen möchte. Hausbesitzer, die einen Boden mit Fussbodenheizung darunter haben, möchten sicher nicht, dass ihre Kinder beim Spielen in den Dämpfen des Leims sitzen.
Innenausbau mit Mondholz aus Bündner Wäldern.
Einen naturbelassenen Holzboden kann man, wenn er einem nicht mehr gefällt, noch zwei-, dreimal abschleifen und zuletzt kann ich ihn sogar noch verbrennen und muss ihn nicht als Sondermüll entsorgen. Dem Produkt Holz, das bei uns vor der Haustüre wächst, bringen wir eine grosse Wertschätzung entgegen; die entsprechende Verarbeitung hat zum Ziel, daraus auch die Wertschöpfung in unserer Region zu halten.
«Unsere Klangholzfichte kommen zum allergrössten Teil aus Graubünden.»
Bevorzugen Sie bestimme Regionen, Herkünfte?
Um schönes Klangholz oder Mondholz zu erhalten, suche ich die Bäume einzeln in der Region aus. Dabei berücksichtige ich unter anderem folgende Faktoren: Nord- oder Westhang, ein Gebiet, das nicht rutscht, ohne Oberflächenoder Unterflächenrutschungen, wo der Baum nicht mit Buchs dagegen steuern muss usw. Zu vermeiden sind Sonnenhänge. Dort ist im Februar oft der Boden noch gefroren, die Sonne kommt dann schräg und brennt voll auf den Baum, das gibt Spannungen und Harzaustritt im Holz. Ausserdem müssen sich die Bäume dort mit Ästen gegen die Sonne wehren. Solche Bäume entsprechen nicht der gesuchten Qualität.
Querschnitt eines Klangholzstamms.
Ich suche nach sogenannten «Plattenfichten» Das sind Bäume, bei denen die dicken Äste am Stamm entlang nach unten ziehen, so schützen sie den Stamm selbst vor äusseren Einflüsse (zum Beispiel Sonneneinstrahlung) und es gibt von Anfang an eine natürliche Astung. Diese Äste mussten sich auch nie gegen den Schnee wehren, da der Schnee hier einfach abrutscht. Äste, die fast waagrecht aus dem Stamm wachsen, kämpfen immer mit der Schneelast. Das ergibt dann viele Schwarzäste, welche zu vermeiden sind. Die Walser haben zum Beispiel sicher über gute Standorte Bescheid gewusst. Es gibt bis heute alte Waldbezeichnungen wie zum Beispiel «Schindelboden»; dann weiss man schon, dass es dort spältiges Holz gibt.
Welche Längen kauft Ihr für die Klangholzwerkstatt?
Die Länge spielt keine spezielle Rolle. Vom Handling her bevorzuge ich Stämme mit einer Länge von 5 m, aber auch zwischen 2 bis 4 m Länge ist kein Problem. Um Gitarren- oder Geigendecken herzustellen, schneiden wir davon Stücke von 62 cm ab, so können wir die Äste herausschneiden. Auch wenn ein Stamm in der Mitte einen roten Fleck hat, ist das nicht weiter schlimm; das ist dann Tonholz D. Dieses hat aber immer noch den dreifachen Wert einer normalen D-Qualität. Seit jeher ist Fichtenholz das klassische Instrumentenholz. Bei jedem Instrument, bei dem der Klang erzeugt wird, in dem die Bewegung der Saiten in Schallwellen umgewandelt wird, ist die Resonanzdecke beziehungsweise der Resonanzboden aus Fichtenholz. Dies ist bei allen klassischen Zupf- und Streichinstrumenten ebenso der Fall wie bei Flügel, Klavier und Harfe. Aus einem Stamm mit sehr tiefem spezifische Gewicht, der zum rechten Zeitpunkt gefällt
wird, erhalten wir Resonanzdecken mit einer hohen Steifigkeit. Je leichter die Resonanzdecke ist, die vibrieren muss, desto besser.
Wie offen sind Waldeigentümer und Forstdienst für das Instrumentenholz?
Die meisten Förster und Waldbesitzer sind glücklicherweise sehr offen dafür, dass ich auf der Suche nach Resonanzholz bin. Seit 12 Jahren kommen sogar die Försterschüler aus Maienfeld zu uns, um sich die Klangholzwerkstatt anzuschauen und sich über die dafür erforderliche Holzqualität zu informieren. Und mittlerweile rufen mich viele Förster an und melden mir, wenn sie geeignetes Holz im Bestand haben. Dann gehe ich gerne dorthin – auch wegen eines einzelnen Baums. Allerdings will ich auf keinen Fall ein Gebiet «plündern». Zehn Bäume sind ein Anhängerzug und das ist ausreichend. Ich übernehme dann alles, klassiere es aber mit dem Förster zusammen. So erzielt er einen sehr guten Durchschnittspreis. Wenn Klangholzfichten in einem für uns zu weit entfernten Bestand stehen, fällen wir sie nicht selbst. Dann gebe ich die möglichen Fälldaten dem dortigen Förster an und so werden sie von seinen Leuten vor Ort gefällt. Wenn ich in einem neuen Waldgebiet Holz einkaufe, lade ich oft die Förster mit ihrer Forstgruppe ein, unsere Klangholzwerkstatt in Latsch zu besuchen. Dann sehen auch die Forstwarte, was aus den Stämmen gemacht wird und welche Qualität man für Resonanzholzprodukte braucht.
Das klingt stark nach Zusatzaufwand bei der Holzernte. Sind diese Sortimente für den Waldbesitzer finanziell trotzdem noch interessant?
Ich bin absolut darauf angewiesen, dass ich Klangholzstämme bekomme. Und wenn ein Stamm Klangholz ist, zahle ich gerne den Preis dafür. Der Preis wird immer ab Lastwagen-Strasse oder bahnverladen vereinbart. Während der Eurokrise mussten wir unsere Preisliste dem Markt anpassen; trotz dieser für unsere ausländischen Kunden enormen Preiserhöhung ging es weiter. Ein Sondersortiment wie Klangholz ist dem Markt nicht so sehr unterworfen wie die Massenware. Klangholz ist gesucht und die Bestände sind knapp, daher hat es immer seinen Preis. Bei unseren in der Schweiz hergestellten Resonanzholzprodukten ist die Qualität absolut entscheidend, nur so hat man das langfristige Vertrauen der Kunden und verliert diese nicht an günstigere Mitbewerber aus dem nahen Ausland. Grundsätzlich hat man als Schweizer im Ausland einen kleinen Vertrauensvorschuss, wir setzen sowohl in der Resonanzholzfertigung als auch in der Beratung und im Verkauf alles daran, diesem gerecht zu werden. 99 Prozent unserer Resonanzholprodukte gehen ins Ausland, zum Beispiel nach China, in die USA, aber auch nach Deutschland und viele weitere europäische Länder. Fichte ist im Instrumentenbau das hochwertigste Resonanzholz, allerdings ist das Vorkommen begrenzt. Es gibt Firmen in China, die 6000 Gitarren pro Monat bauen. Diese verwenden vor allem günstigere Resonanzdecken aus Sitkafichte und Zeder. Günstiger sind diese, weil die Bäume bis zu 2 m Durchmesser haben, deshalb ist der Aufwand pro Stück wesentlich geringer. Eine Klangfichte dagegen muss ein Mindestalter von 200 Jahren haben, damit sie den nötigen Durchmesser von 55 cm erreicht; daher wird Fichte immer ein kleiner, aber sehr spezieller Teil in der Instrumentenherstellung bleiben. Ich war in China und habe dort einige Gitarren- und Geigenfirmen besucht. Das sind oft Top-Betriebe mit CNC-Maschinen. Viele Be
Rohstoff für die Herstellung von Gitarren. Eine Resonanzdecke aus Haselfichte.
triebe bilden ihre Leute selber aus und haben dann natürlich Interesse daran, diese gelernten Mitarbeiter auch langfristig zu halten.
Wer ist der Klangholzendkunde?
Die Kundenstruktur für Resonanzholz kann man sich wie eine Pyramide vorstellen: Oben ist der Einzelbauer, der ein High-End-Produkt baut, in der Mitte findet man Betriebe von mittlerer Grösse wie zum Beispiel Martin-Guitars in den USA, welche ein paar Tau
«Instrumentenholz als Mondholz ist auch bei Instrumentenbauern in Japan und den USA sehr gefragt.»
send Gitarren pro Jahr herstellt und unten sind die ganz grossen Instrumentenhersteller, das sind meistens chinesische Firmen. Wir verkaufen unsere Resonanzholzprodukte immer direkt, nie über Händler.
Gibt es für diese Qualitätsprodukte eine Prüfstelle, ein Zertifikat?
Unser Betrieb ist FSC-zertifiziert, daher wissen wir, woher das Holz kommt, das heisst, wir können für jedes Resonanzholzprodukt den Herkunftsort und den Schlagzeitpunkt belegen. Dies ist anhand der Nummer, die wir vom Stamm bis zur Resonanzdecke durchziehen, möglich. Ob es sich um Mondholz handelt oder nicht, wird ebenfalls anhand dieser Nummer festgehalten.
Bei Holzschlägen, die über längere Zeit dauern, wird farblich unterschieden, ob es sich beim gefällten Stamm um Mondholz handelt oder nicht. Mondholzstämme werden grün gekennzeichnet, das andere Holz aus dem gleichen Schlag blau. Zwischen Mondklangholz und anderem Klangholz gibt es keinen Preisunterschied. Auch bei Bauholz, das wir auf der Sägerei in Bergün schneiden, gibt es keinen Preisunterschied, da wir auch dort grundsätzlich nur hohe Qualität schneiden. Auf Bestellung bekommt der Sägereikunde garantiertes Mondholz, allerdings braucht es bei grossen Mengen (z. B. für ein ganzes Haus) ein Jahr Vorlaufzeit. Diese Frist ist nötig, da das Mondholz oft im
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«Wenn der Förster in einem Schlag geeignetes Holz vermutet, gehe ich mir dieses gerne anschauen – auch wegen eines einzelnen Stamms.»
November gefällt wird und über Winter mit den Ästen im Wald liegen bleibt. So ist es im Frühling, wenn wir es aufgrund der Schneelage holen können, bereits natürlich vorgetrocknet, da es über die Äste dann bereits viel Wasser abgegeben hat.