"Bündnerwald" Februar 2020

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Wer schon mal einen Klemmschnitt ausgeführt hat, weiss, welch seltsamer Reiz von dieser Schnitttechnik ausgeht. Das gekonnte Trennen von Baumstämmen braucht Fingerspitzengefühl an der Säge, etwas Mut und Erfahrung. Natürlich ist es reizvoll, einen Koloss von einem Baum zu fällen, diesen von seinen Ästen zu befreien und mit eleganter Technik schonend aus dem Wald zu bringen. Aber für mich ist er unübertroffen, dieser so knifflige Akt beim Zertrennen der Stämme, der mit einer gut geschärften Säge innert Sekunden vollzogen ist. Der Laie staunt, wenn es geschmeidig funktioniert. Der Profi flucht, wenn der Stamm beisst – das Arbeitsgerät ist gefangen, der «Klemmer» vollzogen. Ein schmaler Grat zwischen Handwerkskunst und Blamage. Nun sind es genau 20 Jahre her. Die Gewerbeschule wurde für Forstwarte neun Wochen geschlossen und wir verliessen den Kanton. Grund war der Sturm Lothar, welcher die Bündner Wälder weitgehend verschonte. Anders sah es in der Innerschweiz aus. Statt noch mehr Holz auf den Markt zu werfen, zogen viele Forstbetriebe und Forstunternehmer dem liegenden Holz nach. Damals interessierten mich die Zusammenhänge der globalen Holzflüsse nicht wirklich. Beeindruckt war ich von den flächig gefallenen Wäldern. Ein Klemmschnitt-Eldorado! «Nur keine Unfälle!» war das oberste Gebot. Dies kam nicht von ungefähr – über 30 Waldarbeiter verloren letztlich im Sturmholz ihr Leben. Wir Lernenden aus dem Prättigau waren in guten Händen. Es wurden Ausbildungselemente eingebaut und wir konnten uns den Gefahren des Sturmholzes annähern. Dann begann die Fastnacht im Kanton Zug. Darauf waren auch die alten Hasen nicht vorbereitet. Verkleidet mit Schnittschutzhosen stürmten wir Tanzflächen Ausgelassenheit am Abend, vollste Konzentration am nächsten Tag. Ich habe diese Zeit in bester Erinnerung. Mit einer kleinen Ausnahme: Das Lied der Stunde «Anton aus Tirol» hat mich als

17-jähriger Jüngling gewaltig gestört. Und eines Morgens habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und vor versammelter Runde erläutert, dass ich dies einen schrecklich doofen Song finde und man «gopfertammi» nochmals, diesen nicht in Endlosschlaufe laufen lassen soll. Dies ging gewaltig in die Schnittschutzhose. In der Folge wurde der Song in meiner Anwesenheit noch lauter aufgedreht und oft mit den Worten angekündet: «So und jetzt nomol für da Stift!». Das Gelächter war jeweils gross – immerhin war ich in der Gruppe angekommen. Ein kleiner Akt der freien Meinungsäusserung brachte dem Flaum etwas Respekt unter den Vollbärten. Die vorliegende «Bündner Wald»-Nummer widmet sich unserem Rohstoff Holz. Bereits in der Oktober-Ausgabe versuchte Ruedi Walli einen Herbststurm zu diesem Thema auszulösen. Dem habe ich nichts beizufügen. Er hat gezeigt, wo es aus seiner Sicht klemmt. Wir werden immer wieder vor wichtigen Debatten stehen, wo verschiedene Meinungen gefragt sind. Ich habe es lange nicht für möglich gehalten, aber mittlerweile müssen wir achtgeben wie bei einem Klemmschnitt, dass wir die Zug- und Druckzonen bei Meinungsäusserungen richtig einschätzen. Immer weniger braucht es und eine Aussage, Kritik oder auch schon geäusserte Bedenken werden als heikel und unangebracht eingestuft. Wir befinden uns bereits in der Phase, wo die Schnittfl che der freien Debatte enger wird und man besser einmal schweigt. Achten wir alle gemeinsam darauf, dass es auch wieder in die andere Richtung geht – bevor es klemmt! Sandro Krättli

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