Magazin «die umwelt» 3/2024 - Nachhaltig handeln – Wie geht das?

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Natürliche Ressourcen der Schweiz

PORTRÄT

Unterwegs mit einer Schweizer Jägerin

S. 32

fOCUS | S. 12

RESSOURCEN

Im Kommen: Kreislaufwirtschaft in KMU

S. 40

REPORTAGE

Auf der Suche nach hitzeresistenten Bäumen

S. 45

Nachhaltiges Verhalten fördern S.25

04 Aufgeschnappt

06 Tipps

07 Bildung

08 Unterwegs

10 Interview Langlebige Chemikalien im Grundwasser

Focus

14 Umweltpsychologie Wie man nachhaltige Gewohnheiten fördert

18 Gesellschaftliche Transformation Warum moralische Argumente wirtschaftliche überwiegen

22 Naturgefahren

Das Problem der Risikowahrnehmung

25 Im Bild Was uns zu umweltfreundlichem Verhalten bewegt

29 Zur Tat schreiten Wissen allein ist nicht genug

360°

32 Auf der Pirsch Wie eine Jägerin die Tierwelt schützt

36 Reportage Im grünen Klassenzimmer

40 Kreislaufwirtschaft Pionier-KMU zeigen den Weg auf

43 Landschaften Wie sie den Wohlstand von Regionen steigern

45 Bäume im Hitzestress Forschende identifizieren zukunftsfähige Arten

48 Vor Ort

50 Meine Natur

Das Faltblatt in der Mitte des Hefts zeigt, was alles zusammenkommt, wenn es um nachhaltiges Verhalten geht.

18

Was ist ein Transformationsprozess und was braucht es dazu? Beispiel: Um Schweizer Städte velofreundlicher zu gestalten, könnte man Kopenhagen (im Bild) als Vorbild nehmen. 25

Wir haben die Jägerin

Sarah Moritz eine Nacht lang auf der Pirsch begleitet.

Forschung für den Wald von morgen: An der WSL wird untersucht, wie gut Bäume mit Hitze und Trockenheit klarkommen.

Sie wollen auf dem Laufenden bleiben, was unsere Umwelt angeht? Sie möchten sich umweltbewusst verhalten und erfahren, wie das geht?

Dieses Magazin will dabei helfen.

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EDITORIAL

Unsere Welt ist von vielen Herausforderungen geprägt. Die Politik steht vor der Aufgabe, wirksame und nachhaltige Massnahmen zum Schutz der Umwelt und damit der Menschen zu definieren.

Die Fragestellungen, die zu klären sind, sind vieldimensional und komplex. Sie stellen uns vor Dilemmata. Welche Sicherheit brauchen wir wo, warum und wie sieht das Preisschild dafür aus? Welche anderen Themen stellen wir im Gegenzug zurück und welchen Preis zahlen wir später dafür?

Bei der Lösungsfindung kann die Wissenschaft gerade in Zeiten mit hoher Dynamik und in Transformationsprozessen wichtige Inputs liefern.

Die Soziologie bietet Einblicke in das Zusammenspiel zwischen Einzelnen, Gemeinschaften und ihrer Umwelt. Sie untersucht, wie soziale Normen, Werte und Institutionen die Handlungsbereitschaft der Menschen formen.

Die Psychologie erforscht, wie Motivation entsteht oder Ablehnung. Sie hilft zu verstehen, wie individuelle Einstellungen die Akzeptanz von Massnahmen in der Umweltpolitik beeinflussen.

Die beiden Disziplinen liefern Ansätze, um nachhaltige und mehrheitsfähige Lösungen zu entwickeln. Sie helfen uns, die wichtige Dynamik menschlichen Verhaltens und gesellschaftlicher Strukturen besser zu verstehen.

Dieses Magazin ermöglicht einen kleinen Einblick in die grosse Welt der Soziologie und der Psychologie. Ich wünsche Ihnen viel Lesevergnügen.

360°

NACHHALTIGE BODENSANIERUNG

Bei der sogenannten Bioremediation reinigt man einen Standort entweder durch chemische Prozesse, oder indem man lebende Organismen für den Abbau von Schadstoffen einsetzt. Der Toxikologe Davide Städler, CEO des Unternehmens Tibio, das auf diese Methode spezialisiert ist, spricht über die Herausforderungen der Sanierung von dioxinverschmutzten Böden in Lausanne.

Der Klimawandel führt zu mehr Heuschnupfen Leiden auch Sie unter Schnupfen und tränenden Augen, sobald im Frühling die ersten Pollen herumschweben? Sie sind nicht allein – und es kommen immer mehr Betroffene hinzu. Denn mit dem Klimawandel verschlimmert sich die Heuschnupfensituation in der Schweiz. Die Heuschnupfenperiode wird länger und die Pollenkonzentrationen höher, weil die Pflanzen ihre Pollen früher und in höheren Mengen freisetzen. Und: Zunehmend breiten sich gebietsfremde, hochallergene Pflanzen aus. Diese Entwicklungen hat die Schweizerische Kommission für Atmosphärenchemie und -physik in einem Faktenblatt aufbereitet. bit.ly/460QvHl

Das grösste KaltwasserKorallenriff

Vor der US-Ostküste haben Forschende das bisher grösste bekannte Kaltwasser-Korallenriff der Welt entdeckt. Das Riff namens «Million Mounds» erstreckt sich über eine Länge von 500 Kilometern.

Was ist speziell bei den belasteten Böden in Lausanne?

Dioxin ist eine komplexe Verbindung. Bei der Umwandlung müssen wir sicherstellen, dass kein noch giftigeres Produkt entsteht. Zudem ist die Dioxin-Konzentration verglichen mit anderen Substanzen, die Bakterien im Boden gerne abbauen, tief. Das kann den Abbau erschweren.

Wie sind Sie an die Aufgabe herangegangen?

Zunächst haben wir Bakterien isoliert, die das Dioxin angreifen, und diese in grosser Zahl gezüchtet. Letzten Juli haben wir vor Ort 900 Kilogramm Boden für Laborversuche entnommen.

Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?

Wir sind weit entfernt von einem Wundermittel, aber diese Forschungsarbeiten lohnen sich. In dieser Grössenordnung sind sie eine Weltpremiere, und dank der Unterstützung durch den Kanton arbeiten wir mit der akademischen Forschung zusammen. Wenn die Methode funktioniert, ist sie sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich von Nutzen.

DAS OBJEKT

Künstliche Riffe

Reptil des Jahres: Kreuzotter

Die Kreuzotter ist in der Schweiz stark gefährdet. Im Mittelland existiert nur noch ein einziges Habitat. Um ihrem Schutz mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, hat die Beratungsstelle Reptilien die Kreuzotter zum «Reptil des Jahres 2024» ernannt.

Wie Korallen-Minihotels: Das Schweizer Start-up Rrreefs hat Strukturen entworfen, um gegen das Verschwinden der Korallenriffe zu kämpfen. Auf den 820 Modulen aus Tonziegeln vor der philippinischen Küste haben sich nur einen Monat nach dem Aufbau bereits zahlreiche Larven angesiedelt. Bis 2034 sollen 700 Kilometer Küste wiederhergestellt werden.

Steigende Waldbrandgefahr

Die Waldbrandgefahr in den Voralpen wird ab 2040 rasch steigen, wie das Forschungsinstitut SLF mitteilt. Grund: der Klimawandel. Die Anzahl Tage mit hoher Waldbrandgefahr werde sich bis Ende des Jahrhunderts verdoppeln.

DIE ZAHL

So gross ist der Anteil am Treibhausgas-Fussabdruck eines Smartphones, der auf die Herstellung entfällt. Die Umweltauswirkungen sind kleiner, wenn man es länger nutzt und beispielsweise repariert. Kann es nicht mehr verwendet werden, sollten idealerweise auch die Rohstoffe, aus denen es besteht, rezykliert werden.

DAS TIER

Von Hummeln bestäubte Pflanzen passen sich schneller an eine veränderte Umgebung an als von Hand bestäubte. Dieses Phänomen, das ein Team der Universität Zürich während zwei Jahren untersuchte, spielt eine wichtige Rolle. Denn angesichts des Klimawandels hängt das Überleben einer Art direkt von ihrer Anpassungsgeschwindigkeit ab.

Bademode ohne PfAS Vielleicht haben Sie sich im Sommer öfter beim Baden abgekühlt. Was Ihnen wohl nicht bewusst war: Die oft in Bademode enthaltenen schädlichen PFAS können beim Schwimmen ins Wasser gelangen. Nun hat ein Team der Empa eine neue Stofffaser entwickelt, die Wasser abweist und ganz ohne PFAS auskommt –ein Weg, um Badekleidung ohne diese Umweltgiftstoffe herzustellen.

Adler umfliegen den Ukraine-Krieg Jedes Jahr ziehen Hunderte Schelladler über die Ukraine zurück in ihre Brutgebiete. Doch seit 2022 reagieren die stark gefährdeten Greifvögel auf den Artilleriebeschuss im Kriegsgebiet und nehmen Umwege: Sie fliegen 85 Kilometer mehr als vorher – und kommen später in ihren Brutgebieten an. Das haben Daten von GPSSendern ergeben.

13.10.24

In der Steinwüste

Die «Schrattenflue» beeindruckt mit ihren bizarren Karstmustern und einem weit verzweigten Höhlensystem. Die geführte Rundwanderung und der Abstieg in einen Schacht sind für Familien mit Kindern ab acht Jahren geeignet.

UNESCO Biosphäre Entlebuch, 6174 Sörenberg 09.15–15.00

bit.ly/4bBHF3Z

29–30.10.24

Mehr als fäden – nachhaltige Textilien Beim achten Zukunftsforum in Kerenzerberg im Kanton Glarus trifft sich die Textil- und Bekleidungsbranche: Unter dem Motto «Beyond Threads» soll die Branche zu innovativen Bemühungen in Sachen Nachhaltigkeit inspiriert werden.

Kerzenerberg, 8867 Niederurnen

bit.ly/4bI7K1s

BIS 27.10.24

Berner Wasserwelten

Die Ausstellung «Läbigs Bärner Wasser» dokumentiert, wie Renaturierungsmassnahmen des Kantons Bern die Flora und Fauna entlang der Aare bereichert haben – präsentiert anhand von Gemälden, Unterwasser-Videos und Fotografien.

Pro Natura Zentrum Eichholz, 3084 Wabern

13.30–17.30

bit.ly/3zBtQWa

11.12.24

Auf Tierspurensuche

Der Jäger und Landschaftsführer des Juraparks Aargau Peter Hunziker nimmt Sie mit auf Tierspurensuche. Auf der Wanderung von der Staffelegg nach Densbüren spüren Sie gemeinsam Zeichen auf – vom Insekt bis zum grösseren Waldbewohner.

Jurapark Aargau, 5024 Staffelegg 14.00–17.30 bit.ly/3zyHYiS

BUCH

«Biodiversität zwischen Wasser und Land»

F. Andermatt, S, Güsewell, R. Holderegger, Haupt Verlag

ISBN 978-3-258-08368-1

CHF 38

BUCH

«Ameisen. Die faszinierende Welt der kleinen Naturarchitekten»

H. Campbell, B. Blanchard, Haupt Verlag

224 Seiten

ISBN: 978-3-258-08374-2

CHF 42

An den Gewässern und in den Mooren der Schweiz Wasser und Land sind nicht getrennt. Zahlreiche Pflanzen- und Tierarten leben in dem Grenzgebiet, und zwischen diesen beiden Lebensräumen gibt es einen regen Austausch von Stoffen und Organismen. Auch der Mensch gestaltet dieses Wechselspiel mit – mit der Art, wie er die Landschaften nutzt. Dieses Spannungsfeld zwischen Natur und menschlicher Nutzung erkundet das Buch «Biodiversität zwischen Wasser und Land». Zunächst vermittelt es einige Grundlagen zu solchen blau-grünen Ökosystemen, danach nimmt es die Lesenden mit auf acht Exkursionen, die alle gut mit den ÖV zu erreichen sind. Etwa zu Grundwasser-Lebensräumen im Jura, Seeufern im Mittelland oder hoch zu alpinen Moor- und Gletscherlandschaften. Unter anderem mit Tipps und kleinen Aufgaben für Beobachtungen vor Ort vermittelt das reich bebilderte Buch einen Einblick in diese Lebensräume und in die Weise, wie wir Menschen sie beeinflussen. Die drei Autorinnen und Autoren sind alle Forschende auf dem Gebiet. Für Eilige ist das Buch eher nicht geeignet –aber Interessierten, die gern einigermassen tief in diese spannenden Gewässerzonen eintauchen möchten, wird es Freude bereiten.

Den kleinen Naturarchitekten auf der Spur Wir finden sie überall auf der Welt, vom städtischen Trottoir bis zum Kronendach von Regenwäldern: Ameisen. Ihre Biomasse ist um ein Vielfaches höher als jene aller landlebenden Wirbeltiere zusammen, und sie spielen eine wesentliche Rolle in unserem Ökosystem. Dieses Buch bietet anhand von wunderschönen Nahaufnahmen Einblicke in die faszinierende Welt der kleinen Naturarchitekten. Die Entomologin Heather Campbell und der Evolutionsbiologe Benjamin Blanchard behandeln Themen wie Anatomie, Evolution, Lebenszyklus, Ökologie, die ausgeklügelten sozialen Systeme der Ameisen und ihre Interaktionen mit Pflanzen, Pilzen und anderen Tieren. Jedes Kapitel enthält Porträts besonders interessanter Gattungen, darunter Blattschneiderameisen, deren einzelne Kolonien mehr Individuen zählen als die gesamte Bevölkerung von New York. Oder die Honigtopfameisen, deren Arbeiterinnen in ihren «sozialen Mägen» Nahrung für andere Koloniemitglieder aufbewahren. Auf der Grundlage aktueller Forschungsergebnisse bietet dieses Buch eine packende, mit Illustrationen und Infografiken versehene Naturgeschichte der Ameisen.

PODCAST

Ein Podcast für nachhaltige Innovation

Können wir mit künstlicher Intelligenz (KI) das Klima retten? Welche Chancen und Risiken bergen neue Technologien für die Energiewende, den Schutz der Wälder oder die Kreislaufwirtschaft? Im Podcast «Future Changers», einer Produktion der Körber-Stiftung für nachhaltige Innovation, spricht die Journalistin Anna Schunck mit Expertinnen und Experten darüber, inwiefern KI klimafreundlich ist, wie sie Ressourcenkreisläufe besser erkennt als ein Mensch oder warum die Landwirtschaft längst eine Hightechbranche ist. Jeden zweiten Dienstag erscheint eine neue halbstündige Episode. Die laufende Staffel des Podcasts knüpft an die erste Staffel an, die sich mit Themen wie Laborfleisch, nachhaltige Mode, ressourcenschonendes Bauen, Bioenergie und Bioplastik auf nachhaltige Wirtschaft konzentrierte. bit.ly/3S5Ctyv

WEB-APP

Istige, lose, luege! App herunterladen, Kopfhörer aufsetzen und los geht’s: Die Web-App «Umweg am Albis» bringt Ihnen die Landschaft näher – sowohl im Postauto als auch zu Fuss. Auf der 40-minütigen Fahrt mit dem Postauto von Thalwil nach Kappel am Albis hören Sie spannende Geschichten über Mensch, Landschaft und Natur, während Sie aus dem Fenster über die Landschaft blicken. Die Fahrt führt zum gleichnamigen Audio-Walk, der rund um das Kloster Kappel in gut eineinhalb Stunden einen neuen Blick auf die Umgebung eröffnet: mal poetisch, mal wissenschaftlich, mal philosophisch. umweg-landschaft.ch

In den Alpen lernen

Das Schulzimmer wird mit einer SAC-Hütte ausgetauscht, der Lehrer mit einer Bergführerin: In der Projektwoche «Alpen Lernen» des Schweizer Alpenclubs SAC entdecken Schülerinnen und Schüler ab der 6. Klasse die alpine Region und lernen vor Ort, wie der Alpenraum genutzt und geschützt werden kann. Inwiefern ist eine Nutzung des Alpenraums durch den Menschen überhaupt sinnvoll? Welche Naturgefahren lauern in den Bergen? Was bedeutet naturverträglicher Bergsport? Die Projektwoche orientiert sich am Konzept der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) und integriert gleichzeitig die Grundgedanken des Alpinismus: Respekt, Solidarität und gegenseitiges Vertrauen. sac-cas.ch/alpenlernen

Insekten vernaschen

Mehlwürmer, Grillen und Heuschrecken sind essbar – und seit dem 1. Mai 2017 in Schweizer Läden erhältlich. Doch obwohl die Neugier auf die essbaren Insekten gross ist, ekelt sich die eine oder der andere davor. Der Verein Swiss Insects möchte Kindern, Schülerinnen, Jugendlichen und jungen Erwachsenen diesen Teil der Ernährung näherbringen und ihre Fragen zu diesem Thema beantworten. Die Workshops enden mit einer Verkostung – zunächst mit Produkten, bei denen die Insekten nicht zu sehen sind, und dann mit solchen, bei denen die Insekten ganz sind. swiss-insects.ch/bildungsprojekt

Hitze in den Städten mindern

Die steigende Hitze in unseren Städten ist eine spürbare Folge des Klimawandels. Der Lehrgang «Vegetationstechnik in der Klima- und Schwammstadt» der ZHAW vermittelt das nötige Know-how, um eine resiliente, hitzemindernde und wassersensible Freiraumgestaltung in urbanen Räumen zu planen und umzusetzen – sei es mittels innovativer Vegetations-systeme in ebener und vertikaler Ausrichtung, durch zeitgemässes Regenwassermanagement oder durch die Auswahl geeigneter Pflanzen. Die Weiterbildung richtet sich an Fachleute, die in der Planung und Umsetzung von Blau-, Grau- und Grüninfrastrukturen tätig sind und Interesse an einem gesamtheitlichen Ansatz mitbringen, der auch den Ökosystemleistungen zugutekommt. Der Lehrgang erstreckt sich über zwölf Monate und lässt sich berufsbegleitend besuchen. bit.ly/3VWhG1p

THE JOB fahrradmechaniker/in Fahrradmechaniker/innen sorgen rundum für unsere Velos: für die Montage, für Umbauten und Reparaturen und für die Wartung, und zwar bei allen Fahrradarten. Ebenso sind sie auf die Kundenberatung im Verkauf spezialisiert und kennen sich beim Zubehör und bei der Velobekleidung aus. Die Lehre zum oder zur Fahrradmechaniker/in dauert drei Jahre. Weil das Velofahren im Aufwind ist, sind die Berufsaussichten gut –in der Stadt wie in den Bergen.

Per App zu mehr Biodiversität

Wie steht es um die Biodiversität auf dem eigenen Schulareal? Mithilfe einer App machen sich Lehrpersonen mit ihren Schülerinnen und Schülern Gedanken dazu, welche Ansprüche verschiedene Pflanzen und Tiere an ihre Umwelt stellen. Sie begeben sich auf eine virtuelle Reise über das Schulgelände und analysieren dessen ökologisches Potenzial. Basierend auf der Auswertung der «BioDivSchool-WebApp» und mithilfe eines Biodiversitätsleitfadens erarbeiten sie Vorschläge, um das Schulareal aufzuwerten, und setzen diese in die Tat um. Die App wurde von der Pädagogischen Hochschule St. Gallen und dem Verein Globe Schweiz entwickelt. Die von der Stiftung Pusch mitentwickelten Unterrichtsmaterialien helfen dabei, die Kartierarbeit in den Unterricht einzubauen. Die Materialien stehen auf Deutsch, Italienisch und Französisch zur Verfügung. bit.ly/3xMZdfT

Hoch zum mythischen Creux du Van

Der Felsenkessel des Creux du Van imponiert mit 200 Meter hohen Steilwänden. In seiner als Naturschutzgebiet eingestuften Kalksteinlandschaft lebt eine vielfältige Tierwelt, darunter Steinböcke und Luchse.

TEXT: AUDREY MAGAT

Unsere Wanderung beginnt im Herzen des Val-de-Travers, im Dorf Noiraigue (NE). In steilen Serpentinen schlängelt sich der anspruchsvolle «Sentier des Quatorze Contours» (Pfad der vierzehn Kehren) über 14 Kilometer den Hang hinauf. Dabei überwindet man eine Höhendifferenz von 800 Metern. Jeder Abschnitt ist mit gelben Wanderwegweisern ausgeschildert.

Nachdem man die Bahngleise überquert hat, führt die Route zunächst am Bauernhof Vers-chez-Joly vorbei, danach biegt sie in den Wald ein. Auf einem breiten Weg geht es bergauf bis zum Tierheim Les Oeillons. Der Bauernhof lädt zur Besichtigung ein und bietet in der eigenen Buvette neben Erfrischungen auch Absinth aus den Brennereien der Gegend an. Danach geht es zwischen den Bäumen weiter aufwärts. Bei Nässe ist auf dem rutschigen Boden Vorsicht geboten. Nun wird der Weg steiler, bis nach den letzten Serpentinen schliesslich das Hochplateau erreicht ist. Von dort eröffnet sich ein herrlicher Rundblick über die majestätische Felsarena des Creux du Van.

Hier haben Wasser, Frost und Eis über Jahrtausende den Kalkstein erodieren lassen und einen mächtigen Felsenkessel geformt. Dessen Name leitet sich vom keltischen Wort «Van» ab, das «Fels» bedeutet. Das natürliche Amphitheater hat einen Durchmesser von etwa anderthalb Kilometern und seine Steilwände sind knapp 200 Meter hoch. Vorsicht vor dem Abgrund. Der Weg entlang des Kessels ist von Trockensteinmauern gesäumt, die von Hand fugenlos aus Natursteinen aufgeschichtet wurden und vom im 16. Jahrhundert im Jura heimischen Handwerkskönnen zeugen. Sie bieten Lebensraum für zahlreiche Tierarten, darunter Insekten, Eidechsen und Wiesel, sowie für eine vielfältige Flora aus Moosen und Flechten.

Das Gebiet ist Teil des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN), in dem die wertvollsten Landschaften der Schweiz verzeichnet sind. Es ist ebenso ein eidgenössisches Jagdbanngebiet, eine Schutzzone für seltene wildlebende Säugetiere und Vögel und für deren Lebensräume. Ausserdem ist es ein Neuenburger

Naturreservat. Hier ist das Zelten verboten und Hunde müssen an der Leine bleiben.

Dank diesen Schutzbemühungen konnte sich die Tierwelt entfalten: Nebst Steinböcken, Gämsen, Rehen und Hasen leben hier auch Auerhühner, die stark vom Aussterben bedroht sind. Wer Glück hat, erspäht vielleicht auch einen Luchs. Diese Wildkatze wurde in den 1970er-Jahren an diesem Naturschauplatz wieder angesiedelt.

Ein Abstecher von etwa zehn Minuten führt zum Soliat, dem höchsten Punkt des Geländes. Von der dortigen Panoramatafel aus geniesst man eine weite Aussicht, die von Freiburg bis nach Moudon reicht, mit Eiger und Jungfrau im Hintergrund.

Wir folgen dem Weg entlang der Abbruchkante bis zum Ende des Kessels, wo der Abstieg beginnt. Bald gelangen wir wieder in den Wald. Der Pfad führt zunächst steil, dann zusehends sanft hinunter. Unterwegs lädt der Berggasthof Ferme Robert zum Einkehren ein. Die historische Gastwirtschaft wartet mit einem reichhaltigen Angebot auf wie Rösti, Käseschnitten und anderen Käsespezialitäten. Einige Kilometer weiter befinden wir uns wieder oberhalb von Vers-chez-Joly. Von dort ist es nicht mehr weit zurück nach Noiraigue. Genauso gut lässt sich die Wanderung in umgekehrter Richtung unternehmen.

Dauer 4,5 Stunden

NEUCHÂTEL

Länge 14 km

Schwierigkeit Anspruchsvoll

PRAKTISCHE INfOS

Die Wanderung zum Creux du Van beginnt in Noiraigue (NE). Um das Dorf mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, nehmen Sie vom Bahnhof Neuchâtel aus den Regionalzug R21 der Neuenburger Verkehrsbetriebe in Richtung Buttes und steigen an der Haltestelle Noiraigue aus. Wer mit dem Auto anreist, findet im Dorf mehrere Parkplätze.

Scannen Sie den Code, um den Streckenverlauf und die GPSKoordinaten zu erhalten.

A KÜRZERE VARIANTE

Vor dem Hotel-Restaurant Le Soliat auf den Höhen des Creux du Van befindet sich ein Parkplatz. Von hier ist der Felsenkessel in etwa zehn Minuten zu Fuss erreichbar.

NOIRAIGUE

Höhendifferenz ca. 800 Meter

B PARADIES fÜR STEINBÖCKE

Die Felswände des Kalksteinkessels sind Steinbockrevier. Weibliche und männliche Tiere leben in der Regel in getrennten Kolonien und kommen nur zur Brunftzeit zusammen. Die Länge der Hörner eines Männchens gibt Auskunft über sein Alter: 20 Zentimeter entsprechen zwei Jahren, 40 Zentimeter drei Jahren, 50 Zentimeter vier Jahren und über 60 Zentimeter Länge bedeuten, dass das Tier älter als fünf Jahre ist.

Den «Forever Chemicals» auf der Spur

An fast der Hälfte der NAQUA-Messstellen haben Bund und Kantone PFAS im Grundwasser festgestellt –chemische Substanzen, die extrem langlebig sind und unsere Gesundheit beeinträchtigen können.

Mauro Veronesi, Leiter der Abteilung Gewässerschutz und Wasserversorgung des Kantons Tessin, erläutert, wie die kantonalen Fachstellen die Ursachen der Verschmutzung ermitteln.

Sie weisen Fett, Schmutz und Wasser ab, sind hitzeresistent und darum äusserst praktisch: PFAS, kurz für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, finden sich beispielsweise in Outdoorkleidung, Beschichtungen von Pfannen oder Feuerlöschschäumen. Aber sie verbreiten sich auch in der Umwelt und sind dort kaum abbaubar – man nennt PFAS deshalb auch «Forever Chemicals» oder «ewige Chemikalien». Einige der über 10 000 Stoffe sind erwiesenermassen schädlich für den Menschen – manche können beispielsweise Krebs verursachen. Einzelne PFAS sind mittlerweile in der Schweiz verboten.

Eine Pilotstudie der Nationalen Grundwasserbeobachtung NAQUA (siehe Box) hat gezeigt, dass PFAS an knapp der Hälfte der Messstellen im Grundwasser zu finden sind. Die kantonalen Fachstellen sind nun dabei, die jeweiligen Quellen der «Forever Chemicals» vor Ort zu eruieren, um adäquate Massnahmen zum Schutz des Grundwassers und damit des Trinkwassers ergreifen zu können. Wie man den PFAS auf die Spur kommt, weiss Mauro Veronesi, Leiter der Abteilung für Gewässerschutz und Wasserversorgung des Kantons Tessin.

Mauro Veronesi, wie finden Sie heraus, woher die PfAS im Grundwasser stammen? Indem wir das Einzugsgebiet eines belasteten Grundwasservorkommens sehr genau untersuchen. Einen typischen Fall entdeckten wir im Jahr 2020. In Chiasso fand man in einem Grundwasserbrunnen, der zur Trinkwassergewinnung genutzt wird, Perfluoroctansulfonsäure –kurz PFOS, ein Stoff, der zu den PFAS zählt und in der Schweiz bereits seit 2011 streng reguliert ist. Die Schwierigkeit ist, dass PFOS aus verschiedenen Quellen stammen kann: aus Löschschaum, Industriebetrieben, Deponien, Altlasten oder Abwasser.

Also ein und derselbe Stoff, aber mehrere mögliche Quellen. Genau. Wir sind also erst auf die Feuerwehren zugegangen und haben gefragt, wo sie in der Vergangenheit Übungen mit Löschschaum durchgeführt haben. Denn bis 2014 war PFOS im Löschschaum noch erlaubt. Dann haben wir erhoben, welche Industrien in der Nähe produzieren: In Chiasso gibt es einen Galvanik-Betrieb, aber in früherer Zeit waren dort auch viele Unternehmen der Textilindustrie, die PFAS verwendet haben könnten. Nur sind viele dieser Betriebe heute

geschlossen. Wir mussten also eine historische Recherche durchführen, um rekonstruieren zu können, wer wo wann mit PFAS gearbeitet hat.

Und war es nun Löschschaum oder ein industrieller Standort?

Mit absoluter Sicherheit können wir das noch nicht sagen. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Übungen der Feuerwehr mit Löschschaum die Verunreinigung verursacht haben. Denn es gab ganz in der Nähe dieser Trinkwasserfassung mehrere Orte, an denen die Feuerwehr früher geübt hat. Der Löschschaum versickerte danach wohl ins Grundwasser.

Welche Massnahmen traf man in Chiasso, um das Grundund Trinkwasser zu schützen?

Im Vordergrund steht grundsätzlich, den Eintrag von PFAS ins Grundwasser zu minimieren. Dies bedeutet, PFASbelastete Standorte zu identifizieren und soweit möglich zu sanieren. Im Trinkwasser gilt es zudem, den aktuellen Höchstwert von 0,3 Mikrogramm PFOS pro Liter einzuhalten, der in der Trinkwasserverordnung festgelegt ist. Auch wenn dieser knapp nicht überschritten war, hat die örtliche Wasserversorgung vorsorglich einen Aktivkohlefilter in ihre Anlage

MAURO VERONESI ist in Lugano aufgewachsen. Der heute 53-Jährige studierte Biologie an der ETH Zürich mit einer Diplomarbeit in Ökotoxikologie an der EAWAG und anschliessendem Doktorat an der Universität Zürich zum Nährstoffkreislauf im Luganersee. Von 2008 bis 2012 forschte er an der Fachhochschule Südschweiz SUPSI, wo er noch immer als Dozent tätig ist. Seit September 2012 leitet er die Abteilung für Gewässerschutz und Wasserversorgung des Kantons Tessin. Er lebt in Bellinzona.

ZUM SCHUTZ DES GRUNDWASSERS

Die Nationale Grundwasserbeobachtung NAQUA liefert ein landesweit repräsentatives Bild über Zustand und Entwicklung der Grundwasserressourcen in der Schweiz. Im Rahmen von NAQUA hat das BAFU 2021 eine Pilotstudie zu per- und polyfluorierten Alkylverbindungen – kurz PFAS –initiiert. NAQUA ist ein gemeinsames Projekt von Bund und Kantonen und spezifisch auf Schadstoffe im Grundwasser ausgerichtet. PFAS wurden dabei an knapp der Hälfte der über 500 untersuchten NAQUAMessstellen im Grundwasser nachgewiesen. Das sei vergleichbar mit den Werten in den Nachbarländern, sagt Miriam Reinhardt, die für das NAQUA-Monitoring der PFAS im BAFU verantwortlich ist: «Die weite Verbreitung dieser langlebigen Chemikalien in den unterschiedlichen Regionen der Schweiz zeigt gleichzeitig, dass Handlungsbedarf zum Schutz der Grundwasserressourcen vor PFAS besteht und der Eintrag von PFAS ins Grundwasser minimiert werden muss.»

zur Aufbereitung von Trinkwasser eingebaut, um PFAS rauszufiltern. Jetzt sind die PFOS-Werte im behandelten Trinkwasser deutlich tiefer. Die Kosten für die Installation der Aufbereitungsanlage lagen bei 1,7 Millionen Franken.

Lassen sich alle PfAS aus dem Wasser filtern?

Verschiedene PFAS, wie etwa PFOS, lassen sich mit Aktivkohle aus dem Wasser entfernen. Bei anderen ist dies nur schwer bis nahezu unmöglich. Je kleiner und mobiler die PFAS sind, desto schwieriger und aufwendiger ist es, das Wasser aufzubereiten.

Gibt es neben Löschschäumen, Deponien und industriellen Einleitungen weitere PfAS-Quellen, die für das Grundwasser wichtig sind? Es existieren weitere signifikante Einträge von PFAS ins Grundwasser: So kam es nach dem Bau des CeneriBasistunnels am Nordportal und in der Nähe der zugehörigen Aushub-Deponie zu einer grossflächigen Grundwasserbelastung mit Perfluorbutansäure (PFBA), die auch zu den PFAS gehört. Nach längeren Recherchen fanden wir heraus, dass dieser Stoff im Spritzbeton enthalten war, der im Tunnel verwendet wurde. Um den

Eintrag ins Grundwasser zu stoppen, haben die SBB Sofortmassnahmen zum Schutz des Grund- und Trinkwassers ergriffen und leiten das verunreinigte Depotsickerwasser in die Abwasserkanalisation. Dann haben wir das Bundesamt für Strassen und grosse Bauunternehmen in der Region informiert. Wir luden sie dazu ein, künftig auf PFAS-haltigen Beton zu verzichten. Wir als Kanton sind ein grosser Auftraggeber und damit in der Position, die Privaten entsprechend zu sensibilisieren.

Und damit kriegen wir das PfASProblem in den Griff?

Das kann ich noch nicht sagen. Aktuell kennen wir nur etwa die 30 häufigsten PFAS einigermassen gut. Aber wir gewinnen stetig mehr Wissen – etwa zur Schädlichkeit dieser Stoffe für Mensch und Natur. Je mehr wir über sie herausfinden, desto grösser könnte auch der Handlungsbedarf werden. Wir stehen am Anfang, und das Thema wird uns noch lange beschäftigen.

LINK ZUM ARTIKEL

bafu.admin.ch/ magazin2024-3-01

Vor Ort ist es Aufgabe der kantonalen Fachstellen, die PFAS-Quellen zu identifizieren und bei Bedarf die notwendigen Massnahmen auf lokaler Ebene zu ergreifen. Ihre Erfahrungen zeigen: Die häufigste Ursache für eine hohe Belastung des Grundwassers ist der Einsatz PFAS-haltiger Löschschäume sowie Standorte von Deponien und Galvanik-Betrieben, an denen PFAS direkt ins Grundwasser versickern oder versickert sind. «In stark industriell genutzten und dicht besiedelten Gebieten mit mehreren potenziellen PFAS-Quellen ist es allerdings nicht immer einfach, einzelne Verursacher zu identifizieren», sagt Reinhardt. Die Recherche durch die kantonalen Fachstellen ist daher besonders wichtig und gleichzeitig eine grosse Herausforderung.

In Industrie, Gewerbe und Haushalten sind mehrere Tausend PFAS sowie unzählige PFAS-haltige Produkte im Einsatz. Welche PFAS in welchen Produkten enthalten sind und in welchen Betrieben sie eingesetzt werden, ist in der Regel nicht bekannt. Im Rahmen der NAQUA-Pilotstudie wurden insgesamt 26 PFAS im Grundwasser analysiert. Für drei dieser PFAS sind bisher im Trinkwasser und damit Grundwasser Höchstwerte festgelegt. Der Bund prüft derzeit im Rahmen eines parlamentarischen Vorstosses, ob ein nationaler Aktionsplan zu PFAS erforderlich ist.

Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Welt –doch wie?

Die Gesellschaft umgestalten Es braucht nicht zwingend die Beteiligung einer Mehrheit, um etwas zu bewegen. Wir haben Hinweise dafür gefunden, dass es reicht, 25 Prozent der Bevölkerung im Boot zu haben, um einen sozialen Kipppunkt zu erreichen. Dann kann eine grosse Minderheit schnell in eine Mehrheit ‹um-kippen›». Das sagt Ilona Otto, Transformationsforscherin an der Universität Graz. 14

Anders als bisher handeln

«Ich mache schon genug», «die Technologie wird das Problem lösen», «es ist ohnehin zu spät»: Psychologe und Forscher Thomas Brudermann fordert uns dazu auf, uns von solchen blockierenden Ausreden zu lösen.

Risiken wahrnehmen

Um unser Verhalten zu ändern, müssen wir zunächst verstehen, was unsere Entscheidungen –für oder gegen die nachhaltige Option – beeinflusst. Sie beruhen auf einem komplexen Gleichgewicht, in das unsere Emotionen, unsere Wahrnehmung von Risiken, unser Wissen sowie das Verhalten unseres Umfelds mit einfliessen. Ein Blick in unsere Entscheidungspsyche.

Nachhaltig handeln

«Informationskampagnen, die einzig Wissen vermitteln, führen nicht zu einer Verhaltensänderung», sagt Tobias Brosch, Forschungsgruppenleiter und Professor für Psychologie der nachhaltigen Entwicklung an der Universität Genf. Im Interview erklärt er, wie wichtig es ist, verschiedene Formen von Wissen zu vermitteln, damit Verhaltensänderungen möglich werden.

«Personen, die an Orten leben, die bereits von Katastrophen betroffen waren, haben tendenziell ein höheres Risikobewusstsein.»

Die Soziologin Elisabeth Maidl spricht über unsere Risikowahrnehmung und durch welche Faktoren diese beeinflusst wird.

Wenn’s menschelt: Ansätze zur Verhaltensänderung

Um die ökologischen Herausforderungen zu bewältigen, braucht es nicht nur technologische Lösungen, sondern auch ein tiefgreifendes Umdenken in der Gesellschaft. Die psychologische Forschung zeigt auf, wie wir uns zu einer Verhaltensänderung bewegen lassen. Und eröffnet uns Wege, um jene Entscheidungen zu erleichtern, die zu einer nachhaltigeren Welt beitragen.

DANIEL SARAGA

Offshore-Windparks und alpine Solaranlagen, Vertical Farming und In-vitro-Fleisch, Bioethanol und Kohlenstoffabscheidung: Solche technologischen Innovationen lassen uns hoffen. Sie gaukeln uns auch vor, dass eine nachhaltige Gesellschaft ohne verändertes Konsumverhalten möglich ist. Doch sie werden nicht ausreichen, wenn die Bevölkerung diese Neuerungen nicht akzeptiert und sich vor allem nicht für einen ressourcenschonenderen Lebensstil entscheidet.

Allerdings: Das eigene Verhalten zu ändern, ist Verhaltenspsychologen zufolge leichter gesagt als getan. Ihre Arbeiten zeigen, was uns davon abhält, aus unseren bisherigen Lebens- und Konsummustern auszubrechen, und durchleuchten unsere Ausreden, um etwas auf morgen zu verschieben, anstatt es heute zu erledigen. Und: Sie schlagen Massnahmen vor, die nachhaltigste Entscheidungen erleichtern, und überprüfen deren Wirkung.

Natürlich hängen unsere Entscheidungen von den objektiven Wahlmöglichkeiten ab, besonders von wirtschaftlichen Überlegungen oder dem Komfort. Aber nicht nur: Sie werden auch von unseren Vorlieben, der Menge und der

Qualität der verfügbaren Informationen beeinflusst sowie von der Art und Weise, wie uns diese Optionen schmackhaft gemacht werden. Und: von unseren Emotionen (siehe Box). «Emotionen spielen eine zentrale Rolle dabei, wie wir auf Herausforderungen im Umweltbereich und auf den Klimawandel reagieren», sagt Tobias Brosch, Leiter der Forschungsgruppe für Nachhaltigkeitspsychologie an der Universität Genf. «Dazu gehören Angst – vor einer Katastrophe oder einem Komfortverlust –, Frustration und Vorwürfe an die Politik und Unternehmen, die zu wenig aktiv sind, oder auch Scham, weil sich unsere Taten nicht mit unseren Prinzipien decken.»

«Nicht alle Emotionen sind negativ», sagt der Forscher. Als Beispiel nennt er die Empathie gegenüber Betroffenen. Angst wiederum kann unser Bewusstsein für den Ernst der Lage schärfen und uns zum Handeln bewegen. Sie kann uns aber auch lähmen, zu Mutlosigkeit, zur Flucht und zu einer Verweigerungshaltung führen.

«Damit die Menschen nicht resignieren, sollte der Fokus weniger auf den negativen und stärker auf den positiven Emotionen und Sichtweisen liegen, vor allem darauf, dass es Lösungen gibt und wir es schaffen können. Die Hoffnung ist eine sehr

wichtige Emotion, da sie uns eine Vision und einen Grund zum Kämpfen liefert.»

Die Kompensationsfalle

Eine häufige Reaktion ist die sogenannte moralische Kompensation: Wenn wir uns einmal positiv verhalten haben, verringert dies unsere Bereitschaft, es bei anderer Gelegenheit erneut zu tun. Ganz nach der Devise: «Ich gönne mir jetzt ein Dessert, weil ich vorher nur einen Salat gegessen habe.» Wir reden uns ein, eine Flugreise sei nicht so dramatisch, da wir die restliche Zeit auf das Auto verzichten. Zudem lassen sich Verlagerungen zwischen ähnlichen, aber doch verschiedenen Bereichen beobachten, wie Thomas Brudermann von der Universität Graz in Österreich erklärt. Wenn wir etwa keinen Abfall im Wald liegen lassen und so etwas gegen die Umweltverschmutzung tun, dann ist es nicht so schlimm, wenn wir die Wohnung auf 22 Grad heizen, auch wenn dies dem Klima schadet.

In seinem Buch «Die Kunst der Ausrede» gibt der Psychologe einen Überblick über die gängigsten Ausreden, mit denen wir unsere Untätigkeit in Sachen Klimaschutz rechtfertigen. «Ich mache schon genug», «die Technologie wird das

Das ETH-Spin-off Yasai baut Kräuter in vertikalen Innenräumen an: im Licht von LED-Lampen, ohne Pflanzenschutzmittel und mit weniger Wasser als im konventionellen Anbau. Produktionsleiter Tobias Beeler kontrolliert die Basilikumpflanzen in der Pilotanlage in Niederhasli.

Windkraftanlagen im Meer, wie hier in Niedersachsen in Deutschland, sind besonders effizient: Die Winde wehen häufiger, stärker und gleichmässiger als an Land.

Die erste Photovoltaikanlage auf einer Staumauer in den Hochalpen steht auf dem AlbignaStaudamm im Bündner Bergell. Solaranlagen sind umso effizienter, je höher man sie anbringt. Hier erzeugt die Anlage des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich (EWZ) auf rund 2100 Metern Höhe jährlich etwa 500 Megawattstunden Strom.

«Auch die Wahl einer vorgegebenen Option ist das Ergebnis einer Entscheidung», sagt Tobias Brosch, der das Labor für Konsumentscheidungen und nachhaltiges Verhalten an der Universität Genf leitet.

anzugeben. Eine Studie mit 42 000 deutschen Haushalten zeigte 2015, dass sich die Anzahl der Abnehmerinnen und Abnehmer von «grünem», aber etwas teurerem Strom verzehnfachte – nur weil dieser anstelle des «normalen» Stroms als Standardoption angeboten wurde. Die Menschen neigen also dazu, nicht zu wechseln, unabhängig von einem höheren Preis.

Problem lösen», «das nützt nichts angesichts der Klimasünden Chinas» oder «es ist schon zu spät» zählen zu den häufigsten Ausflüchten.

«Mit meinem Buch möchte ich nicht unsere Fehler anprangern, sondern auf humorvolle Weise die weit verbreiteten Mechanismen aufzeigen», stellt Brudermann klar. «Ich ermutige die Leserinnen und Leser, sich und andere zu beobachten, und wecke dabei vielleicht den Wunsch, selbst etwas zu ändern, anstatt Ausreden zu suchen.»

Für Tobias Brosch von der Universität Genf kann man auf verschiedenen Ebenen ansetzen, um ein wünschenswertes Verhalten zu fördern: «Man kann die Qualität der bereitgestellten Informationen verbessern, indem man beispielsweise ein Produkt mit einem Label versieht, das über dessen Klima- oder Umweltfreundlichkeit Auskunft gibt.» Dabei ist es wichtig, die Bedürfnisse der Menschen zu berücksichtigen. Denn zu viele Informationen können auch dazu führen, dass man gar keine Entscheidung mehr treffen kann.

Ein zweiter Hebel besteht darin, einmal getroffene Entscheidungen zu unterstützen. Etwa mittels Apps, die uns Erinnerungen schicken und uns zu einem angepassten Verhalten ermutigen. Der dritte Ansatz betrifft die Entscheidungsstruktur: So wie die Speisekarte eines Restaurants die Gäste dazu anregt, eine Vorspeise, einen Hauptgang und ein Dessert zu bestellen, lässt sich die Wahl auch steuern, indem das vegetarische Gericht vor der Fleischvariante aufgeführt wird. Oder Unternehmen können den Langsamverkehr fördern, wenn sie Veloparkplätze in der Nähe des Eingangs einrichten und jene für Autos nach weiter weg versetzen. Laut Thomas Brudermann können wir uns auf ähnliche Weise auch bewusst selbst steuern, indem wir beispielsweise das Velo vor dem Auto abstellen.

Besser nachhaltig als billig Eine Massnahme, die sich als sehr wirkungsvoll erweisen kann, besteht laut Tobias Brosch darin, die Option, die man fördern möchte, als Standard

Eine solche Änderung dieser Entscheidungsarchitektur wirft ethische Fragen auf: Ist es unmoralisch, die Entscheidungen der Bevölkerung auf diese Weise zu manipulieren? Nicht unbedingt, sagt Psychologe Brosch: «Wichtig ist, dass man dabei transparent vorgeht und nicht verschweigt, dass der Standard geändert wurde. Und dass man die Gründe dafür erklärt.» Man könne auch davon ausgehen, dass wer die Voreinstellungen nicht ändere, den verschiedenen Auswahlmöglichkeiten – normaler oder grüner Strom, leicht höherer Preis – relativ gleichgültig gegenübersteht. «Auch die Wahl der vorgegebenen Option ist immer das Ergebnis einer Entscheidung. Wir sind uns gewohnt, dass es sich dabei um die kostengünstigste Variante handelt. Es ist aber moralisch und politisch vertretbar, diese durch die nachhaltigste Option zu ersetzen.»

Unterschiedliche Hindernisse je nach Branche Diese Grundsätze der Verhaltenspsychologie sind allgemeingültig, im Einzelfall aber unterschiedlich ausgeprägt. Das verdeutlichen Umfragen wie das Swiss Sustainable Consumer Observatory. In dieser Studie wurden von 2021 bis 2023 rund 3600 Personen zu ihren Konsumgewohnheiten in drei Bereichen befragt − Ernährung, Bekleidung und Elektronik – sowie zu den Hindernissen, die aus ihrer Sicht nachhaltigere Entscheidungen verhindern. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Hindernisse stabil sind, sich jedoch nach Branche unterscheiden.

Bei den Lebensmitteln wirkt vor allem der höhere Preis der umweltfreundlichen Alternativen als Hindernis, gefolgt von einem Misstrauen gegenüber der Zuverlässigkeit der Labels. Diese beiden Faktoren

Die Verhaltenspsychologie und -ökonomie haben verschiedene Faktoren identifiziert, die neben wirtschaftlichen Erwägungen unsere Entscheidungen beeinflussen. Welche Wahl wir im Einzelfall treffen, wird von zahlreichen psychologischen Aspekten bestimmt. Einige davon sind offensichtlich, so die persönlichen Vorlieben, die Abneigung gegenüber Veränderungen oder der Anreiz einer sichtbaren und sofortigen anstelle einer abstrakten und zukünftigen Belohnung. Andere sind komplexer, etwa der Einfluss unserer Emotionen oder kognitive Verzerrungen.

Zu den kognitiven Verzerrungen gehört etwa der Framing-Effekt, der beschreibt, dass unterschiedliche Formulierungen beeinflussen, wie eine Botschaft ankommt – beispielsweise die unterschiedliche Wahrnehmung von «70 % Gewinnchancen» und «30 % Verlustwahrscheinlichkeit».

Oder der Ankereffekt: Informationen, die uns aus unserer Umgebung zufliessen, beeinflussen unsere Entscheidungen, selbst dann, wenn sie dafür nicht relevant sind.

Auch soziale Faktoren spielen eine Rolle, insbesondere gesellschaftliche Normen und sozialer Druck, die Meinung nahestehender Personen oder die Gruppenzugehörigkeit.

Diese Aspekte lassen sich nutzen, um die Bevölkerung zu informieren, um Wahlmöglichkeiten vorzustellen und sie bei ihren Entscheidungen zu unterstützen. Die Entscheidungsarchitektur ist die Kunst, erwünschte Entscheidungen herbeizuführen, zum Beispiel mittels einer Standardoption, der Präsentation verschiedener Varianten oder mit dem Hinweis, dass 90 Prozent unserer Nachbarn sich für das «richtige» Verhalten entschieden haben.

werden etwa gleich häufig für den Kauf von Kleidung genannt. Bei der Elektronik ist hingegen die Erkennbarkeit der nachhaltigeren Produkte das grösste Hindernis.

«Diese Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, zwischen den Branchen zu unterscheiden», sagt Swen Kühne, Co-Autor der Studie und Spezialist für Umweltpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Für die Konsumentinnen und Konsumenten ist es schwierig, die Nachhaltigkeit zahlreicher Produkte zu vergleichen, zum Beispiel von Importfrüchten gegenüber Treibhausobst. Noch komplexer sind differenzierte Entscheidungsoptionen in der Ernährung und die damit verbundene Umweltbelastung, je nachdem, ob man vegan, vegetarisch, fischoder fleischbasiert isst. In der Bekleidungsbranche ist es wegen der unüberblickbaren Vielfalt an Labels noch schwieriger, die einzelnen Optionen zu beurteilen. «Mit einem einzigen Label, das von einer eindeutig unabhängigen Stelle wie beispielsweise dem Staat vergeben würde, könnte etwas Vertrauen wiederhergestellt werden», empfiehlt Kühne.

Echtzeitumfrage

Nun hat diese Art der Umfragen aber einen Schwachpunkt: Die Befragten erinnern sich nicht zuverlässig daran, was sie gekauft haben, und neigen dazu, ihre Antwort den gesellschaftlichen Erwartungen anzugleichen. Zudem können sie die Gründe für ihre Entscheidungen nicht immer beschreiben. Dagegen ist es mit Apps möglich, die Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu befragen. Darum soll die von einem europäischen Konsortium entwickelte GESIS-App in der Lage sein, den Standort der Nutzerinnen und Nutzer zu ermitteln und sie beim Einkaufen im Geschäft oder beim Kochen danach zu fragen, weshalb sie dieses oder jenes Lebens mittel verwenden. «Die Teilnehmenden können über das System auch Geschäften Zugriff auf ihre Treueprogrammdaten erlauben», sagt Sabrina Stöckli von den Universitäten Bern und Zürich, die an der Entwicklung dieser App mitwirkt.

Das Entscheidende an der App: «Damit können wir im Nachhinein überprüfen, wie zuverlässig die während des Einkaufs gemachten Aussagen sind, indem wir sie mit den objektiven Daten der Treueprogramme vergleichen», sagt Marketingforscherin Stöckli. «Zudem testen wir die Wirkung verschiedener Interventionen, zum Beispiel ein versendeter Hinweis auf ein vegetarisches Gericht als Möglichkeit, bevor die Leute mit dem Kochen beginnen.» Dieses Instrument könnte helfen zu überprüfen, ob kommerzielle Apps, die ein nachhaltiges Verhalten unterstützen wollen, wirklich funktionieren. So lässt sich der komplexe Markt der Nachhaltigkeit mit einem wissenschaftlichen Blick analysieren.

Die zahlreichen psychologischen Forschungsarbeiten helfen laut Tobias Brosch, die Hürden für einen nachhaltigeren Konsum besser zu verstehen. «Eine Gesellschaft kann jedoch nicht nur dank den Bemühungen der Bevölkerung nachhaltig werden. Die Menschen brauchen Unterstützung durch politische Entscheidungen, die die nötigen strukturellen Veränderungen schaffen.» ●

IN KÜRZE Um Verhaltensänderungen möglich zu machen, muss man die Mechanismen verstehen, die hinter Entscheidungen stecken. So lassen sich Entscheidungen durch verschiedene Massnahmen steuern. Etwa dadurch, dass man die gewünschte Option – beispielsweise die nachhaltigste – als vorgegebenen Standard präsentiert.

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bafu.admin.ch/ magazin2024-3-02

«Die stärksten Argumente sind nicht wirtschaftlich, sondern moralisch»

Wie schaffen wir die Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft? Ist das 1,5-Grad-Ziel illusorisch, gelingt es uns als Gesellschaft, unsere Umweltfussabdrücke zu verkleinern? Auf diese grossen Fragen sucht die Transformationsforscherin Ilona Otto von der Universität Graz nach Antworten und Lösungen.

TEXT: ROLAND FISCHER

Ilona Otto, Transformationsforschung, was ist das überhaupt? Wo ist diese wissenschaftlich verortet?

Ziemlich zwischen den Disziplinen. An manchen Instituten liegt der Schwerpunkt eher auf der technischen Seite, an manchen auf der sozialwissenschaftlichen. Mein Hintergrund ist in Soziologie und Ressourcenökonomie, in meiner Gruppe gibt es aber auch Physikerinnen und Klimatologen.

Ist Transformation eher passiv zu verstehen, als Anpassung an letztlich unvermeidliche Umwälzungen, oder doch aktiv, als selbstgewählter gesellschaftlicher Wandel?

Es geht uns schon um die «Human Agency», also um das menschliche Handeln und die Wirksamkeit als Gesellschaft. In gewissem Sinn führen wir mit dem Klimawandel gerade ein grosses gesellschaftliches Experiment durch, und natürlich geht es da auch um Anpassung. Aber unsere Anpassungsfähigkeit wird eben rasch kleiner, wenn wir nichts tun und einfach weitermachen wie bisher.

Welche Hebel gibt es denn?

Da gibt es keine einfache Antwort. Klar müssen wir möglichst rasch aus den fossilen Brennstoffen aussteigen, aber sie sind überall. Wir sind in gewissem Sinn abhängig von ihnen. Zudem widerspiegelt die Ressourcenfrage gesellschaftliche Ungleichheiten, das ist vielleicht überhaupt das grösste Problem: Es sind die privilegierten Gruppen, die von der günstigen Fossilenergie profitieren, diejenigen, die sehr mobil sind, grosse Häuser haben und viel konsumieren.

Bedeutet eine wirksame Klimapolitik also ein Angriff auf Privilegien? Auch, aber es ist wiederum komplexer. Beispielsweise gilt als selbstverständlich, dass Kerosin für die Luftfahrtindustrie verbilligt ist, während Landwirtinnen und Landwirte dagegen protestieren, höhere Dieselpreise zu bezahlen. Das ist wie vieles andere sehr widersprüchlich, und das verunsichert. Es sind nicht nur die Entscheidungsträgerinnen und -träger und Businessleader, die ihr gewohntes Leben behalten GESELLSCHAFTLICHE

WENIGER ARBEIT, MEHR WOHLSTAND

Könnte die Reduktion der Erwerbsarbeitszeit bei der gesellschaftlichen Transformation helfen? Das an der Universität Bern angesiedelte Forschungsprojekt «Zeit als neuer Wohlstand: Reduktion der Erwerbsarbeit zur Förderung suffizienter Lebensstile?» will dazu Antworten finden. Laut dem Co-Projektleiter Christoph Bader zeigen verschiedene Studien, dass eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit die Umwelt schont. Ob eine Reduktion der Erwerbszeit gewünscht sei, könne nur über eine gesellschaftliche Debatte geklärt werden: «Das widerspiegelt letztlich, was uns als Gesellschaft wichtig ist», sagt Bader. «Der berühmte britische Ökonom John Maynard Keynes meinte 1930, dass in der heutigen Zeit 15 Stunden Arbeit zur Deckung unserer Bedürfnisse reichen würden.

Ein Forschungsteam der New Economics Foundation schlägt eine 21-Stundenwoche vor, die Sozialdemokratische Partei der Schweiz eine 35-Stundenwoche.» Bader sieht die Transformation hin zu weniger Erwerbsarbeitszeit idealerweise als ein Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Akteure. Veränderte Wertorientierungen wie bei der Generation Z sowie die Tatsache, dass arbeitsbezogener Stress in der Schweiz jährlich rund 6,5 Milliarden Franken koste, verlangten ohnehin nach angepassten Arbeitszeitmodellen und Arbeitsbedingungen. «Arbeitgebende sind da ebenso in der Pflicht wie die Politik, um diese Entwicklungen mit geeigneten Rahmenbedingungen zu fördern und zu fordern.»

wollen. Auch die anderen Leute wollen nicht, dass ihr Lebensstandard gefährdet wird. In unsicheren Zeiten sehnt man sich nach Vertrautem, und das bedeutet: weiterkonsumieren wie gehabt. Allerdings wächst gerade bei den Jüngeren die Überzeugung, dass es weniger um Konsum geht, sondern zum Beispiel um Beziehungen.

Sie haben zu sogenannten sozialen Kippmomenten geforscht, also entscheidenden Wenden. Wie sehen diese aus?

Wir haben in verschiedenen Gebieten mögliche Tipping Points identifiziert. Im Finanzsystem kann man dafür sorgen, dass sich Investitionen in Projekte mit fossilen Brennstoffen nicht mehr lohnen. In Städten kann man klimafreundliches Bauen fördern. Aber auch andere Bereiche wie die Werbung hätten das Potenzial, mit wenig Aufwand die Gesellschaft nachhaltig zu verändern.

Mit wenig Aufwand viel verändern –ist das realistisch?

Ja, das besagt das Pareto-Prinzip. Es beschreibt, dass 80 Prozent eines Effekts von nur 20 Prozent Ursache herrühren. Davon liessen wir uns für eine kürzlich publizierte Arbeit inspirieren. Es braucht nicht zwingend Mehrheiten, um etwas zu bewegen. Tatsächlich haben wir deutliche Hinweise dafür gefunden, dass es zuweilen reicht, 25 Prozent der Gesamtbevölkerung im Boot zu haben, um einen sozialen Kipppunkt zu erreichen. Dann kann eine grosse Minderheit schnell in eine Mehrheit «um-kippen». Solche positiven Kippmomente sind bei Transformationsprozessen von grosser Bedeutung. Sie werden auch in den nächsten «Global Tipping Points Report» einfliessen, der im November 2025 an der COP30, der UN-Klimakonferenz in Brasilien vorgestellt wird.

Nun gibt es durchaus historische Beispiele erfolgreicher gesellschaftlicher Transformationen. Können wir aus diesen etwas lernen? Unbedingt, beispielsweise aus der Abschaffung der Sklaverei. Es ging da weniger um wirtschaftliche, sondern um moralische Fragen. Man kann das nämlich auch so betrachten: Sklaven waren Energiequellen. Hörte die Sklaverei auf, als fossile Energiequellen aufkamen? Nein, man hielt am System fest, unter anderem, weil die Sklaven billiger waren. In der Folge begann sich eine Gegenbewegung zu formieren. Das Hauptargument: Es sei nicht richtig, seinen Wohlstand auf dem Leiden anderer zu gründen. Als diese moralische Bewegung genug Kraft entwickelt hatte, änderte sich die Situation tatsächlich sehr schnell. Auch der Klimawandel verursacht Leid.

Sie ist Professorin für Gesellschaftliche Auswirkungen des Klimawandels am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz. Die gebürtige Polin hat in Poznán, Rotterdam, Galway und Wageningen Soziologie und Ressourcenökonomie studiert und an der Humboldt-Universität zu Berlin habilitiert. Sie leitet in Graz eine Forschungsgruppe, die sich auf soziale Komplexität und Systemtransformation konzentriert.

Aber ist potenzielles Leiden in der Zukunft nicht weniger greifbar als ein gesellschaftlicher Missstand, der uns konkret vor Augen geführt wird? Es geht nicht bloss um Zukünftiges. Klimamigration zum Beispiel passiert hier und jetzt. Ich höre häufig von meinen Studierenden, dass sie keine Kinder wollen, weil sie sich des Leids schon so bewusst sind.

Was können wir tun, damit der Pessimismus nicht gewinnt und wir auch beim Klima zu positiven Kipppunkten kommen?

Wir brauchen global wirksame, positive Narrative. Wenn wir uns das Leben im Jahr 2050 vorstellen sollen, dann ist da derzeit eine Leerstelle: Es gibt kaum Kinderbücher, kaum Filme darüber. Aber wenn wir uns diese Zukunft nicht vorstellen können, dann können wir sie auch nicht politisch gestalten.

Stattdessen erzählen wir uns immer wieder dystopische Geschichten. Warum?

Dass Krisenerzählungen attraktiver sind, liegt wohl an der Funktionsweise unseres Gehirns, das hat mit Aufmerksamkeit zu tun. Doch wenn die Gefahren und Probleme überwältigend sind, dann warte ich ab und tue nichts. Hilfreicher kann da Wut sein, oder auch Enthusiasmus. Das bringt einen zum Handeln, das treibt neue Bewegungen wie die Klimajugend an.

Wie sehen Sie die Rolle der Technologie?

Ich glaube nicht an technische Wunder, die alle Probleme lösen. Ressourcenabbau im Weltall, nukleare Fusion – das werden nicht die Lösungen sein, wenigstens nicht in den nächsten Jahren. Umgekehrt glaube ich aber auch nicht an ein Zurück-zu-den-Wurzeln. Uns stehen einige sehr nützliche Technologien zur Verfügung, diese sollten wir auch einsetzen. Wie nutzen wir ihr Potenzial am besten – und am gerechtesten? Das müssen wir dringend besser erforschen. Wir brauchen auf jeden Fall Utopien, die auch Technologie beinhalten, zum Beispiel eine konsequente Kreislaufwirtschaft, die schon im Design sämtlicher Produkte angelegt ist.

Zum Schluss noch: Kommt der Schweiz im klimabedingten Transformationsprozess eine besondere Rolle zu? Unser Land ist zwar klein und ein politisches Leichtgewicht, aber eine bedeutende Drehscheibe für Rohstoffe und ein globaler finanzplatz.

Das bringt uns zurück zur Frage der Moral. Teil des Problems ist ja, dass man mit seinem Geld in einen sicheren Finanzhafen fliehen kann. Das Kapital geht gern dahin, wo es ungestört und unreguliert ist. Es wäre sicher ein guter Schritt, diese Finanzflüsse transparent zu machen. Und darauf hinzuwirken, dass sie dahin fliessen, wo sie weniger klimaschädigende Wirkung haben. ●

IN KÜRZE

Gesellschaftliche Transformation: Darunter versteht man grosse gesellschaftliche Umwälzungen, wie sie etwa jetzt bei der Anpassung an den Klimawandel nötig sind. Im Interview erklärt die Transformationsforscherin Ilona Otto die Bedeutung von Kipppunkten. Ein Beispiel eines solchen Kipppunktes wäre: finanzielle Bedingungen zu schaffen, bei denen sich Investitionen in fossile Energien nicht mehr lohnen.

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bafu.admin.ch/ magazin2024-3-03

KOPENHAGEN:

AUF KLIMANEUTRALEM KURS

Schon weit fortgeschritten im gesellschaftlichen Diskurs ist die Stadt Kopenhagen. Sie hat 2009 als Gastgeberin der 15. UN-Klimakonferenz angekündigt, klimaneutral werden zu wollen. 15 Jahre später lässt sich festhalten: Kopenhagen ist gut auf Kurs, dank einer Vielzahl von Umwelt- und Kompensationsmassnahmen. Als Beispiel: Die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner nutzt das Velo, es gibt extrabreite Radwege und Expressrouten. Fast 70 Prozent aller Wege in der Stadt werden inzwischen mit dem Velo, ÖV oder auch zu Fuss zurückgelegt. Das beeindruckt auch den Schweizer Botschafter Mauro Reina: «Vielleicht beeinflusst von der Situation in meinem früheren Einsatzland Kuba, war ich seit meinem ersten Tag in Kopenhagen beeindruckt davon, wie weit fortgeschritten die öffentliche Politik und das private Verhalten in der nachhaltigen Entwicklung sind.» Auch andere dänische Städte gehen mit gutem Beispiel voran.

Ein grosses Projekt in Aalborg hat einen Schweizer Bezug: Die dänische Grossstadt will jährlich 160 000 Tonnen CO2-Emissionen reduzieren, indem sie grossindustrielle Wärmepumpen einsetzt, die die Energie des Meerwassers zur Wärmeerzeugung nutzen. Die Kernelemente des Systems, drei ölfreie Motor-KompressorEinheiten, liefert MAN Energy Solutions in Zürich. Botschafter Reina: «Im Königreich Dänemark ist sicherlich noch nicht alles perfekt, insbesondere in der Landwirtschaft, die nach wie vor die Umwelt stark belastet. Aber die Richtung stimmt und es herrscht ein breiter Konsens für mehr Nachhaltigkeit in Politik und Bevölkerung.»

Das Problem der Risikowahrnehmung

Hochwasser, Murgänge, Erdrutsche, Erdbeben, Lawinen – wie werden solche Umweltrisiken von uns Menschen wahrgenommen? Und wie beeinflusst das unser Verhalten?

TEXT: ERIK FREUDENREICH

Auch in der Schweiz gibt es Umweltgefahren. Und auch hier kosten sie viel Geld und manchmal sogar Menschenleben. Wie jüngst die Erdrutsche im Misox (GR) im Sommer 2024. Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) beliefen sich die Schäden durch Naturkatastrophen zwischen 1972 und 2023 auf durchschnittlich 306 Millionen Franken pro Jahr. Allein durch das Hochwasser im August 2005 entstanden Rekordschäden in Höhe von 3,3 Milliarden Franken (inflationsbereinigt, auf der Basis der Preise von 2023). Wegen des Klimawandels werden solche Ereignisse wohl häufiger und intensiver und treffen auch bislang verschonte Landesregionen. Was macht das mit uns?

KLIMAERWÄRMUNG UND NATURGEfAHREN

Wie der Klimawandel die Risikowahrnehmung der Bevölkerung beeinflusst

Über 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung nimmt starke Klimaveränderungen wahr. 48 Prozent sehen leichte Veränderungen und nur 11 Prozent gar keine. Das ergab eine 2023

vom BFS durchgeführte Umfrage. Paradoxerweise spiegeln sich diese Einschätzungen nicht unbedingt im Verhalten der befragten Personen wider, wie die Autorinnen und Autoren der Studie schreiben.

Die Forschenden erklären dies damit, dass es für den oder die Einzelne nicht einfach ist, ein komplexes Problem zu erkennen. Stattdessen wird dieses je nach Situation verdrängt oder verharmlost. «Generell ist das Risikobewusstsein je nach persönlichen Erfahrungen und gesellschaftlichem Kontext sehr unterschiedlich», erklärt Elisabeth Maidl, Soziologin und Autorin verschiedener Studien zu diesem Thema. «Bei Personen, die in Gebieten leben, die bereits von Katastrophen betroffen waren, ist das Risikobewusstsein tendenziell stärker ausgeprägt. Allerdings handelt es sich nicht um ein lineares Verhältnis. Auch weitere Faktoren wie die Möglichkeit, die Ereignisse zu beeinflussen, das Vertrauen in die Behörden und das Ausmass des gesellschaftlichen Engagements fallen stark ins Gewicht.»

In den alpinen Gebieten haben die Menschen wegen der von Generation zu Generation weitergegebenen Erfahrungen häufig ein erhöhtes Risikobewusstsein. «Umgekehrt ist dieses Bewusstsein etwa im Mittelland, wo die Bevölkerungsdichte höher und die Infrastrukturen umfangreicher sind, geringer», sagt Maidl. «Und dies, obwohl die

potenziellen Schäden dort grösser wären.»

Weitere Schlüsselfaktoren, die die Bevölkerung motivieren, Vorsorgemassnahmen zu ergreifen, sind persönliche Erfahrungen und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit.

Komplexe Kaskadenwirkungen

Dazu kommt, dass der Klimawandel komplexe und kaskadenartige Situationen hervorruft, wie Stéphane Losey, Sektionschef Rutschungen, Lawinen und Schutzwald beim BAFU, erklärt.

«Das gilt besonders in Berggebieten, wo beispielsweise ein Erdrutsch wegen der Erwärmung des Permafrosts anschliessend mehrere weitere Prozesse auslösen kann.» Die Zusammenarbeit zwischen Forschenden, lokalen Behörden und der Bevölkerung sei wesentlich, um im Umgang mit sich ändernden und zunehmend unvorhersehbaren und intensiveren Phänomenen wirksame Strategien zu erarbeiten.

Indessen ist das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Behörden gross, was die Kommunikation über alte und neue Gefahren erleichtert. Doch damit sind auch hohe Erwartungen an Schutz und Risikomanagement verbunden. «Die Behörden müssen mit der Bevölkerung einen kontinuierlichen und offenen Dialog führen, damit die getroffenen Massnahmen verstanden und akzeptiert werden», sagt Elisabeth Maidl. Beispielsweise könnten Initiativen wie eine partizipativ erstellte Gefahrenkarte dazu beitragen, die Bevölkerung stärker miteinzubeziehen und die Sicherheitskultur zu fördern.

Kommunikation in beide Richtungen Beispiel Brienz (GR): Dort wurde letztes Jahr das Leben auf den Kopf gestellt. Das Dorf musste zeitweise evakuiert werden, weil sich vom Berghang über der Ortschaft an die 1,2 Millionen Kubikmeter Felsbrocken lösten. Um die Rutschung oberhalb des Dorfes abzubremsen, soll ein Entwässerungsstollen gebaut werden. Doch die Ungewissheit, was die Geologie angeht, schafft bei den Bewohnerinnen und Bewohnern eine Atmosphäre der Unsicherheit.

Die Behörden haben eine Hotline eingerichtet, um Anfragen zu kanalisieren und die Bevölkerung zu informieren. Auf dem Höhepunkt der Krise gingen täglich mehrere Hundert Anrufe ein. Zahlreiche hilfsbereite Menschen aus der ganzen Schweiz boten den Betroffenen Unterkünfte an. Die Hotline habe bei der psychosozialen Unterstützung eine wichtige Rolle gespielt, sagt Jürg Maguth, Psychotherapeut und Hotline-Verantwortlicher. So konnte man den Sorgen der Bewohnerinnen und Bewohner Gehör schenken und die Anrufe zu den zuständigen Personen umleiten.

«Die Hotline war ein wertvolles Vermittlungsinstrument, um Konflikte zu lösen und eine Eskalation der psychosozialen Spannungen zu vermeiden», sagt Maguth. «Auch diente sie als Kontaktstelle zwischen dem Gemeindeführungsstab und der Bevölkerung und garantierte den Informationsfluss in beide Richtungen.»

Trotz der gravierenden Lage haben die Bewohnerinnen und Bewohner offenbar eine Art Resilienz entwickelt. «Sie haben gelernt, mit der Gefahr zu leben, und gehen pragmatisch damit um», sagt Maguth. «Zum Beispiel arbeiten die Landwirtinnen und Landwirte weiter auf den Feldern, auch wenn sich plötzlich Spalten und Risse öffnen.»

Die Gemeinde will die Hotline bis zur Stabilisierung der Situation weiter betreiben. Ihr Erfolg hat andere Gemeinden veranlasst, proaktiv ähnliche Systeme in Betracht zu ziehen. Jürg Maguth: «Darin zeigt sich auch, wie wichtig ein integrierter Ansatz ist, der Fachwissen und psychosoziale Unterstützung verbindet.»

5G – ZWISCHEN BEfÜRCHTUNGEN UND KONKRETEM NUTZEN

Wie hat sich die Akzeptanz der neuen Mobilfunktechnologie im Laufe der Zeit entwickelt?

Im Jahr 2019 sorgte die Einführung der 5GTechnologie in der Schweiz für rege öffentliche Diskussionen. Einige sahen darin einen technologischen Durchbruch, andere befürchteten potenzielle Folgen für Gesundheit und Umwelt.

Eine Studie des Psychologischen Instituts der Universität Zürich identifizierte mehrere Schlüsselfaktoren, die die Risikowahrnehmung von 5G beeinflussen. «Entscheidend ist das Vertrauen in die Regulierungsbehörden: Je kleiner es ist, desto höher die Risikowahrnehmung», sagt Clara Balsiger, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Sektion Nichtionisierende Strahlung (NIS) beim BAFU. «Personen, die sich als elektrohypersensibel bezeichnen, nehmen ein grösseres Risiko wahr. Umgekehrt korreliert objektives Wissen über 5G mit einer geringeren Risikowahrnehmung.»

Grenzwerte im Strahlenschutz

Wie sich die vom Mobilfunk ausgehende Strahlung auf den Menschen auswirkt, hängt von ihrer Frequenz und Intensität ab. Derzeit nutzt 5G Frequenzen, die bereits für den Mobilfunk verwendet werden. Eine Reihe von Studien hat die gesundheitlichen oder biologischen Auswirkungen dieser Frequenzbereiche untersucht. So sind einige Auswirkungen bekannt und nachgewiesen, etwa dass der Körper oder Teile des Körpers wärmer werden. «Die Gesetzgebung schützt die Bevölkerung vor solchen Auswirkungen der Strahlung von 5G- und anderen Mobilfunkantennen», sagt Balsiger. «Überall dort, wo sich Menschen aufhalten, müssen die darin festgelegten Immissionsgrenzwerte eingehalten werden.»

Zwar hat man auch unterhalb dieser Grenzwerte einzelne biologische Auswirkungen beobachtet, aber die vorliegenden Erkenntnisse reichen nicht aus, um ein Gesundheitsrisiko zu belegen. «In der Schweiz gilt das Vorsorgeprinzip: An Orten, wo Menschen sich regelmässig aufhalten, beispielsweise in Wohnungen, Schulen oder Spitälern wird die Belastung der Bevölkerung durch nichtionisierende Strahlung (NIS) weiter begrenzt», erklärt Balsiger. Das Vorsorgeprinzip ist im Umweltschutzgesetz verankert, die vorsorglichen Grenzwerte sind in der Verordnung über den Schutz vor NIS (NISV) festgelegt. Diese vorsorglichen Grenzwerte sollen jegliche potenziell schädliche Einwirkung verhindern – für den Mobilfunk sind sie zehnmal niedriger als die Immissionsgrenzwerte. Als Reaktion auf die Bedenken im Zusammenhang mit 5G hat der Bundesrat bestätigt, diese Grenzwerte nicht lockern zu wollen.

Begleitmassnahmen

Indessen verfolgt das BAFU die Forschung zu potenziellen Auswirkungen der NIS weiterhin genau mit. Insbesondere hat das Amt eine beratende Expertengruppe für nichtionisierende Strahlung (BERENIS) ins Leben gerufen, die neue wissenschaftliche Arbeiten analysiert und bewertet.

Zudem wird die Einführung von 5G von mehreren Massnahmen begleitet. «Das BAFU fördert die Forschung zu den Auswirkungen der NIS, indem es mehrere interdisziplinäre Projekte finanziert», sagt Clara Balsiger. «Und das Institut für Hausarztmedizin der Universität Freiburg hat im Auftrag des BAFU das Schweizerische medizinische Beratungsnetz für NIS (MedNIS) gegründet, das seit September 2023 Personen berät, die sich als elektrosensibel bezeichnen.»

Daneben wurde ein regelmässiges Monitoring zur NIS-Exposition eingerichtet. Seit 2021 werden in typischen öffentlichen Aussen- und Innenbereichen sowie in Privatwohnungen in der ganzen Schweiz Messungen durchgeführt. Die Resultate zeigen eine moderate Exposition, die den gesetzlich geforderten Gesundheitsschutz einhält.

Schliesslich haben das BAFU, das Bundesamt für Kommunikation und das Bundesamt für Gesundheit gemeinsam eine Website aufgeschaltet, um die Bevölkerung über 5G zu informieren und zu sensibilisieren (5g-info.ch). Sie gibt Antworten auf die häufigsten Fragen zu Mobilfunk und 5G. ●

IN KÜRZE Wie unterschiedlich wir Risiken wahrnehmen, beeinflusst unser Verhalten. Unter anderem hängt unsere Risikowahrnehmung von persönlichen Erfahrungen und vom gesellschaftlichen Umfeld ab. Aber etwa auch von unserem Vertrauen in die Behörden.

KONTAKT

Stéphane Losey Sektionschef Rutschungen, Lawinen und Schutzwald, BAFU stephane.losey@bafu.admin.ch

Clara Balsiger Sektion Nichtionisierende Strahlungen (NIS), BAFU clara.balsiger@bafu.admin.ch

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bafu.admin.ch/ magazin2024-3-04

NACHHALTIGES VERHALTEN fÖRDERN

Was die Umwelt betrifft, handeln wir oft nicht so, wie wir gerne möchten. Einfache Mittel können aber helfen, das Richtige zu tun.

INfRASTRUKTUR

Gibt es viele und sichere Velowege, steigt man leichter aufs Fahrrad um.

INfORMIEREN

Wer weiss, dass ein Produkt über das Haltbarkeitsdatum hinaus essbar ist, kann die Lebensmittelverschwendung verringern.

Durch sanftes

Anstupsen, das sogenannte Nudging, kann man Individuen indirekt dazu bewegen, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Ein paar Beispiele.

VERGLEICHE

Ein Vergleich des Stromverbrauchs mit Nachbarinnen und Nachbarn bestätigt gute Energiespargewohnheiten und motiviert Haushalte mit überdurchschnittlichem Verbrauch, diesen zu senken.

SPIELE

ANREIZE

Eine Cafeteria kann das vegetarische Menu fördern, indem sie es vor der fleischhaltigen Option auflistet.

NUDGING: SANfTES ANSTUPSEN ? A B C D E F G

Ein Aschenbecher mit zwei Öffnungen und einer Frage wie «Fondue oder Raclette?» macht aufmerksam und verhindert, dass der Zigarettenstummel auf den Boden fällt.

STANDARDOPTIONEN

Das Gehirn neigt dazu, sich für das Einfachste zu entscheiden: Die Standardoption sollte daher umweltfreundlich sein. So drucken einige Drucker standardmässig beidseitig.

VEREINfACHUNGEN

Ein Gerät mit einem Label zu versehen anstatt seinen Energieverbrauch anzugeben, kann dazu ermutigen, sich für dieses Gerät zu entscheiden.

Fahrradwegesindvorhanden RecyclingstellensindinderNähe Umweltfreundliches Handeln macht zufrieden Menschen im Umfeld tragen ebenfalls dazu bei, die Umwelt zu schützen

Geschäfte, die saisonale Produkte anbieten, sinderreichbar

em Fahrrad fährt

UMWELTFREUNDLICHES VERHALTEN

FAKTOREN

Mit den Faktoren sind die psychologischen Merkmale gemeint, die uns zu einer Handlung antreiben. Sie können eine positive oder eine negative Wirkung haben.

Hoffnung,gemeinsamLösungenzufindenEmpathiegegenüberanderenGenerationen Au to ma t is men un d na t ü r l ic he Ve r ha l tens we isen Umwe ltg es ten w iederho len enüberanderenGener tionen te s

UMWELTFREUNDLICHES

VERHALTEN

BIAS

Ein Bias ist die Neigung, etwas falsch einzuschätzen.

Etwa wenn der ernsthafte Wille, Umweltrisiken zu verringern, dadurch abgeschwächt wird, dass deren Folgen erst später oder nur weit weg spürbar sind.

Je weiter die Folgen geografisch entfernt sind, desto weniger beeinflussen sie unser Verhalten.

Beispiel

Das Risiko, dass Inseln im Pazifik untergehen, beeinflusst uns weniger als mögliche Überschwemmungen in der Schweiz.

Je weiter die Folgen in der Zukunft liegen, desto weniger fühlt man sich betroffen.

Beispiel

Die IPCC-Berichte mit den verschiedenen Szenarien für 2100 betreffen viele Menschen weniger, als dass man in den nächsten Jahren in den tiefer gelegenen Skigebieten nicht mehr Ski fahren kann.

MOTIVIERTE VERLEUGNUNG

Die Realität leugnen, um die eigene Bequemlichkeit zu bewahren.

«Ich ändere meine Gewohnheiten nicht, weil ich glaube, dass das Klima zyklisch ist und sich bald global abkühlen wird.»

WUNSCHDENKEN

Die Realität durch Aberglaube verdrängen.

«Meine Kinder sind unter einem guten Stern geboren: Sie werden nicht unter der Erderwärmung leiden.»

HINDERNISSE

Verschiedene psychologische Mechanismen können unser Handeln blockieren. Einige Beispiele.

EMPfINDUNG

VON UNGLEICHHEIT

Die eigene Rolle herunterspielen, indem man andere beschuldigt. «Was nützt es, wenn ich im Kleinen handle, während Taylor Swift ständig in ihrem Privatjet fliegt?»

fALSCHE KOMPENSATION

Kleine Gesten übergewichten, um das Gewissen zu beruhigen: «Ich bin Vegetarier, also muss ich mich nicht noch mehr anstrengen.»

Der Mensch handelt nicht immer rational

Was wir tun, hängt bloss zum Teil von unserem Wissen ab – auch wenn es um klimabewusstes oder biodiversitätsfreundliches Verhalten geht. Denn der Mensch ist weit davon entfernt, immer rational zu handeln. Neben Wissenslücken und Halbwissen spielen Gefühle eine grosse Rolle, ebenso das Verhalten des Umfelds.

Was können wir wissen – und wie können wir überhaupt sicher sein, etwas zu wissen? Diese Frage beschäftigt die Philosophie seit Sokrates. Die Umweltpsychologie belässt es nicht beim Gedankenexperiment, sondern schlägt die Brücke zum Handeln. Denn sie will herausfinden, wie das Wissen –und damit auch fehlendes Wissen –unsere umwelt relevanten Handlungen beeinflusst.

Wissen: mehr als eine Ansammlung von fakten

In ihren Anfängen, während der 1970er-Jahre, ging die Umweltpsychologie von einem einfachen linearen Modell aus: Demzufolge reichte es, mit Information die Einstellung der Menschen zu verändern, um sie zu umweltfreundlichem Handeln zu bewegen. Dass diese Sichtweise zu kurz greift, belegen inzwischen Forschungsergebnisse und die Fehlschläge zahlreicher Kampagnen von Umweltbehörden und NGOs. «Informationskampagnen, die einzig Wissen vermitteln, führen nicht zu einer

Verhaltensänderung», bestätigt Tobias Brosch, der an der Universität Genf als Professor für Psychologie der nachhaltigen Entwicklung eine Forschungsgruppe leitet.

Heute unterscheidet die Fachwelt verschiedene Arten von Wissen. Neben Faktenwissen – etwa über die Schäden, die Treibhausgase oder Plastikteilchen in der Umwelt anrichten – beeinflussen weitere Formen des Wissens unser Handeln. Nämlich auch Informationen darüber, wie ein bestimmtes Ziel erreicht werden kann und wie gut bestimmte Massnahmen wirken. Von Bedeutung ist zudem soziales Wissen darüber, wie sich die meisten anderen Menschen verhalten. «Erst, wenn die verschiedenen Wissensformen zusammenfliessen, beeinflussen sie das Handeln», sagt Brosch.

Unwissen verstärkt Angst Nur zu oft verleitet uns Unwissen gepaart mit Angst dazu, in der Natur Schaden anzurichten. In den Alpen wurde der Bartgeier ausgerottet, weil er im Ruf stand,

Lämmer und kleine Kinder zu töten. Dabei verwertet der imposante Greif in erster Linie Aas und schlägt kaum je selbst Beute. Oder das Verhalten gegenüber Spinnen: Ekel, genährt von irreführenden Vorstellungen aus dem Kino und den Medien, lässt viele von uns zum Staubsauger greifen, wenn eine Spinne in der Wohnung auftaucht. So machen wir faszinierenden Nützlingen den Garaus, die eine wichtige ökologische Rolle erfüllen: Sie regulieren den Insektenbestand und dienen ihrerseits anderen Tieren als Nahrung.

Emotionen nicht ausser Acht lassen Starke Gefühle weckt auch der Klimawandel. Er ist in der Forschung wie auch in der öffentlichen Diskussion allgegenwärtig, und über seine Ursachen und Auswirkungen ist vieles bekannt. Zugleich steht er für eine unberechenbare und daher umso bedrohlichere Zukunft: Bereits 1989 sprach der US-amerikanische Autor und Klimaaktivist Bill McKibben vom «Ende der Natur». Er meinte damit nicht, dass es keinen Regen

mehr gibt oder die Sonne verschwindet. Vielmehr spielte er auf unsere Vorstellungen von der Welt an und vom Platz, den wir in ihr einnehmen.

Die Unsicherheit darüber, wie es mit der Welt weitergeht, ruft – das belegen zahlreiche umweltpsychologische Studien – ein breites Spektrum an Reaktionen hervor: Während die einen im Abstreiten der Probleme Zuflucht suchen, setzen die anderen auf technische Lösungen. Wieder andere fühlen sich mutlos und paralysiert. «Tatsächlich ist es nicht hauptsächlich das Wissen, das die Menschen lähmt», nuanciert Tobias Brosch. Vielmehr nehme das Wissen «einen Umweg über die Emotionen». Doch diese können laut dem Psychologen auch eine positive Rolle einnehmen: Gesellt sich zum Fakten- und zum Handlungswissen eine positive Vision der Zukunft, kann die Kombination aus Angst und Hoffnung die Menschen darin bestärken, ihr Verhalten zu ändern.

Gemeinsam die Lähmung überwinden Menschen zu helfen, eine lähmende Angst zu überwinden, ist der Job von Michael Brodard. Er leitet im Aquatis, dem Vivarium und Aquarium von Lausanne, Workshops für Menschen, die sich vor Spinnen fürchten. «Wir sprechen in unseren

Der Bartgeier wurde in den Alpen ausgerottet, weil man fälschlicherweise annahm, dass er Lämmer und sogar kleine Kinder angreift. Seit 2015 hat sich eine Bartgeierpopulation in den Alpen wieder etabliert.

Workshops viel über die Biodiversität und über die wichtige ökologische Rolle der Spinnen», erzählt Brodard. Das Faktenwissen wird durch Beobachtungen ergänzt, etwa, wenn Vogelspinne Chantal gemächlich über den Tisch krabbelt. Viele der Teilnehmenden trauen sich mit der Zeit sogar, das Tier zu berühren. Was das Überwinden der inneren Erstarrung ebenfalls unterstützt: die Anwesenheit Gleichgesinnter, die anspornen und Mut machen.

Dieses soziale Wissen, die Erfahrung also, dass man sich nicht allein einsetzt, kann auch zu tatkräftigem Engagement für den Schutz des Klimas oder der Biodiversität motivieren. Beispielsweise treffen sich Freiwillige seit 1970 einmal jährlich, um im Naturschutzgebiet Les Grangettes (VD) am östlichen Ende des Genfersees den Schilfgürtel zu reinigen. Sie räumen angeschwemmtes Holz weg, das die Pflanzen beschädigt, und beseitigen erhebliche Mengen an Abfall: 2024 sammelten sie an einem einzigen Wochenende acht Kubikmeter Müll. «Die Leute staunen, wenn sie sehen, wie viel Plastik es in einem Schutzgebiet gibt», erzählt Romain Dupraz, der das Schutzgebiet betreut. «Man findet sogar Kunststoffteile in den Sedimenten, in einer Tiefe von bis

zu einem Meter.» Zu wissen, dass der «Frühjahresputz» dem Schilfgürtel viel bringt, hält die Freiwilligen bei der Stange: Seit der Jahrtausendwende konnte sich das Röhricht, eine Gesellschaft aus schilfartigen Pflanzen und Lebensraum für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten, auf die doppelte Fläche ausdehnen.

Wissenslücken über den Wald schliessen Im Waldschutz macht derzeit ein Projekt im Höhronenwald der Korporation Wollerau (SZ) Schule und animiert andere Waldbesitzerinnen und -besitzer, es zu kopieren. Das Projekt zielt darauf ab, Konflikte mit Bikern beizulegen. «Nach Corona schnellte die Zahl der Biker in die Höhe, und der Wald wurde zur Freizeitarena», sagt Förster Pirmin Schuler. Die Biker legten illegale Trails an und schreckten auch nicht davor zurück, Bäume zu beseitigen, die ihnen im Weg standen.

Um Abhilfe zu schaffen, setzte Pirmin Schuler nicht auf Verbote, sondern auf das Gespräch am runden Tisch. Gemeinsam mit den Bikern definierte er vier Korridore, in denen sie Trails anlegen durften – auf die sie sich dann aber zu beschränken hatten. Das BAFU beteiligte sich am Projekt, indem es die Hälfte der Kosten für das Monitoring übernahm und fachlichen Rat beisteuerte. Der Erfolg übertrifft die Erwartungen: 95 Prozent der Biker halten sich an die Abmachung. Dass man sich in der Szene kennt, bringt die meisten dazu, sich an die Regeln zu halten. Eine wichtige Rolle spielte auch die Wissensvermittlung: «Viele haben

schlicht nicht daran gedacht, dass das Wild gestört wird. Gestresstes Wild verbraucht mehr Energie, weil es flüchten muss, und der Verbiss an den Bäumen nimmt zu.» Die Ausführungen der Förster und Wildhüter hätten bei manchem Biker einen Aha-Effekt ausgelöst, sagt Schuler.

Die Kluft zwischen Wissen und Handeln überwinden

Diese Beispiele zeigen: Wenn Fakten-, Handlungs- und soziales Wissen mit Kenntnissen über die Wirksamkeit von Massnahmen zusammenkommen, stehen die Chancen gut, dass wir Menschen unser Verhalten zugunsten der Umwelt anpassen. Doch selbst vielschichtiges Wissen reicht nicht immer, um die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu überbrücken. Dieser Graben verbreitert sich, je grösser die räumliche und zeitliche Distanz zwischen unserem Tun und

seinen Wirkungen ist: Werden die Folgen unserer Handlungen in weit entfernten Ländern oder erst Jahre später fühlbar, neigen wir dazu, sie zu ignorieren. Die Umweltpsychologie spricht von räumlicher und temporaler Distanz.

Auch gesellschaftliche Werte und liebgewonnene Gewohnheiten üben einen beträchtlichen Einfluss auf unsere Verhaltensweisen aus. Umso wichtiger ist es, auf der Suche nach Lösungen für Umweltprobleme nicht nur das Individuum in die Pflicht zu nehmen, betont etwa Andreas Ernst, Professor für Umweltsystemanalyse an der Universität Kassel. So konnten leistungsfähige Verkehrssysteme und mehr Kostenwahrheit beim Ressourcenverbrauch ein umweltfreundlicheres Handeln fördern. ●

IN KÜRZE

Ob wir uns klimabewusst oder biodiversitätsfreundlich verhalten, hängt nur teilweise von unserem Wissen ab. Auch Emotionen wie Angst oder Verunsicherung sowie das Verhalten des Umfelds spielt eine grosse Rolle. Aber erfolgreiche Beispiele zeigen: Wenn Faktenwissen, soziales Wissen und eine beobachtete Wirksamkeit zusammenkommen, können wir Menschen unser Verhalten durchaus zugunsten der Umwelt anpassen.

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bafu.admin.ch/ magazin2024-3-05

Ein Freiwilliger beim Müllsammeln in Villeneuve, im Naturschutzgebiet der Seeröhrichte am Genfersee. Im Jahr 2024 wurden an einem einzigen Wochenende acht Kubikmeter Abfall gesammelt.

Mit einer Jägerin auf der Pirsch

Sarah Moritz wuchs in einer Jägerfamilie auf. Nun geht sie selbst auf die Jagd. Aus Liebe zur Natur und zu den Tieren.

TEXT: SARAH C. SIDLER

BILDER: SASKJA ROSSET/LUNAX

Fühlt sich im Wald daheim: Jägerin Sarah Moritz.

«Tiere zu erlegen ist der kleinste Teil der Jagd», stellt Sarah Moritz klar. Die junge Frau hat gerade ihre Prüfung abgeschlossen und kann zum ersten Mal alleine auf die Jagd gehen.

Langsam, Schritt für Schritt, stets darauf bedacht, möglichst leise zu sein, schreitet Sarah Moritz auf dem von hohen Wiesen gesäumten Kiesweg voran. Obwohl bereits Ende Mai ist, hat sich die Jägerin für die heutige Jagd warm angezogen: Massive Schuhe, dunkelbraune Allwetterhosen und gleich zwei dicke Jacken im für die Jagd typischen Olivgrün trägt die sportliche Frau. Das Pink ihrer Wollmütze sticht farblich hervor. Über ihren Schultern hängt das geladene Gewehr. Plötzlich bleibt die 38-Jährige stehen und legt den Zeigfinger an die Lippen. Leise jetzt. Nach der nächsten Hügelkuppe könnten die Rehböcke äsen. Spannung liegt in der Luft. Doch Fehlalarm. Die Tiere sind heute woanders unterwegs, nicht an dieser Stelle in Lauwil, in einem der beiden Reviere im Baselbiet, für die Moritz jagdberechtigt ist. Es regnet ein wenig, der Wind bläst und das Büchsenlicht – das für die Jagd günstige Licht in der Dämmerung – lässt allmählich nach. Viel Zeit bleibt an diesem Abend nicht mehr für die Pirsch.

Obwohl Sarah Moritz dieses Jahr nach erfolgreich bestandener Jagdprüfung zum ersten Mal allein auf die Jagd gehen darf, kennt sie sich sehr gut aus in diesem Gebiet. Sie weiss, woher der Wind weht, wie viele Rehe sich im Gebiet aufhalten und wo sich Wildwechsel, das sind die Pfade der Tiere, befinden. Denn die Baselbieterin war während ihrer Ausbildung in den vergangenen zwei Jahren sehr oft in den Hügeln oberhalb von Lauwil mit ihrem Vater unterwegs, einem der Pächter des Reviers. «Ich durfte und darf viel von seinem Wissen profitieren», sagt sie. Heute lässt er ihr oftmals den Vortritt, damit sie ihre eigenen Erfahrungen sammeln kann. Das motiviert die Tochter: «Ich finde es sehr spannend nun auf Einzeljagd herauszufinden, wo sich die Tiere aufhalten und selbstständig Strategien zu entwickeln.»

Rehe duften zwischen den Klauen «Schon seit meiner Kindheit ist mein Leben geprägt von der Jagd», sagt Moritz. Bis sie 20 Jahre alt wurde, hat sie ihren Vater oft in seine zwei Reviere begleitet. Dann vergingen zehn Jahre, bevor es sie wieder hinaus in die Wälder zog. Zurück im Wald merkte sie: «Ich fühlte mich daheim.»

Die Dämmerung hat zugenommen, allmählich verschwinden die Konturen. Knorrige Föhren wiegen sich im kühlen Wind, die weissen Kerbel leuchten im hohen Gras. Langsam geht die Jägerin weiter und zeigt auf eine freigescharrte Fläche. «Diese Spuren deuten auf Anwesenheit von Rehwild hin. Denn Rehböcke sondern durch die Drüsen zwischen ihren Klauen ein Duftsekret ab und markieren so die Stelle.» Die Augen wieder konzentriert auf den gegenüberliegenden Hügelkamm gerichtet, greift sie nun langsam zum Feldstecher und sucht die dortige Wiese ab. Mitten in der Bewegung hält sie inne und raunt: «Da ist die ältere Geiss, der ich nun schon länger folge. Nun hat sie ihr Kitz endlich geboren.» Als ob die Rehmutter den Blick der Jägerin instinktiv wahrgenommen hätte, deckt sie ihr Junges mit ihrem Körper ab. Dann bewegt sich etwas neben ihr. Das Rehkitz macht ungestüm einige unbeholfene Sprünge

Rehe sind in im Liestaler Wald nicht zum Jagen bestimmt, es sei denn, sie weisen Krankheiten auf.

Auf einem abgesägten Baumstamm wurde ein Stück Mineralsalz angebracht. Davon profitieren sowohl Rehe als auch Füchse, Wildschweine und Dachse. Sie lecken das Salzwasser, das bei Regen den Stamm hinunterfliesst.

und bleibt danach ruhig stehen. «Ein Böcklein.» Das erkennt Moritz an der Position, die das junge Tier beim Urinieren einnimmt.

Im Moment leben

Diese Tiere sind aber nicht zum Abschuss bestimmt. Der Auftrag von Sarah Moritz lautet, in diesem Revier einen einjährigen Bock mit wenig ausgeprägtem Geweih zu erlegen, ein eher kümmerliches Tier. Die Jägerin erkennt die Rehe ihres Gebiets an ihren Nasenspiegeln, der Fläche um die Nasenlöcher. Nasenspiegel sind unterschiedlich geformt und gefärbt – wie Fingerabdrücke. Das gesuchte Tier kommt an diesem Abend nicht vor die Linse. Aber das ist kein Problem für Sarah Moritz. «Tiere zu erlegen ist der kleinste Teil der Jagd.» Ihre Leidenschaft hat andere Gründe: «Ich bin fasziniert von der Unkontrolliertheit während der Zeit im Wald. Ich mag es, bei jeder Witterung im Wald zu sein.» Während der Jagd lebe sie total im Moment. Jagen bedeute für sie, bewusst zu leben.

Da Sarah Moritz gleich für zwei Reviere jagdberechtigt ist, verbringt sie sehr viel Zeit in den Wäldern: jeweils zwei Morgen pro Woche, einen Abend und jedes zweite Wochenende. Dafür braucht die alleinerziehende

Mutter zweier Kinder und teilzeitarbeitende Malerin ein gutes Zeitmanagement. Unterstützt wird sie dabei von ihrer Mutter, ihrer Schwester sowie ihrem Partner, der ebenfalls jagt.

Salz, um Unfälle zu vermeiden

Auch heute war Moritz am Nachmittag vor der abendlichen Pirsch schon in ihrem zweiten, rund 400 Meter tiefer gelegenen Revier bei Liestal, um einen Teil der zum Jagen benötigten Infrastruktur zu kontrollieren. Dort beherrschen sattgrüne Buchen das Waldbild, die Bäume stehen dichter als oben in den Lauwiler Hügeln. Um den Bestand der Wildtiere aufzunehmen und die daraus resultierende Jagdstrategie zu erarbeiten, stellt Moritz Wildtierkameras auf und liest Spuren. «Beispielsweise deuten solche Fegestellen auf Rehwild hin», berichtet die Jägerin und zeigt auf ein Stämmchen, dessen Rinde zum Teil von Geweih weggeschabt worden ist.

Sehr aufschlussreich sind die Fotos der Kamera bei der Salzlecke im Liestaler Wald, die bei Bewegungen selbstständig auslöst. Dort hat der zuständige Jagdaufseher auf einem abgesägten Baumstamm auf knapp zwei Metern Höhe ein Stück Mineralsalz für die Rehe platziert. Der Stamm sieht ziemlich lädiert aus

und wackelt, weil Wildschweine daran genagt haben. «Es scheint, als müssten wir den Förster bald um einen neuen Stamm bitten», sagt die Jägerin. Nicht nur die Fotos der Wildtierkamera, auch die unterschiedlichen Tierspuren in der nassen Erde rund um die Lecke verraten, dass neben Rehen auch Wildschweine, Füchse und Dachse die Mineralien mögen. Sie lecken das salzige Wasser, das bei Regen den Stamm hinunterfliesst. «Seitdem Jäger den Tieren solche Salzlecken im Wald zur Verfügung stellen, gibt es im Winter weniger Wildunfälle», erklärt Moritz, «denn vorher leckte das Rehwild teils Salz von den Strassen, um an die lebensnotwendigen Mineralien zu gelangen.»

Clevere Wildschweine

Das Bereitstellen der Salzlecken ist nur ein Teil der Hegearbeiten, die Jägerinnen und Jäger in ihren Revieren auszuführen haben. «Wir helfen beispielsweise Naturschutzvereinen, machen Öffentlichkeitsarbeit, retten Rehkitze im hohen Gras vor Mähmaschinen und zäunen auch einmal mit einem Bauern eine Fläche ein, wenn diese regelmässig von Wildschweinen und ihren Frischlingen auf der Suche nach Nahrung aufgewühlt wird.»

Sarah Moritz ist nicht nur mit der Waffe für das Wildtiermanagement unterwegs, sondern hilft etwa auch Landwirten, ihre Felder einzuzäunen.

Um Schwarzwild aktiv bejagen zu können, hat Sarahs Moritz’ Vater im Liestaler Wald vor Jahren eine Kirrung, also eine Futterquelle, sowie eine Kanzel aufgebaut. Letztere sieht aus wie ein kleines, hölzernes Häuschen auf einer Leiter. Von innen lässt sich eine Klappe öffnen, um die Tiere unbemerkt zu beobachten.

Die Wildschweine dürfen die Jagenden aber nicht riechen. «Wir müssen stets darauf achten, woher der Wind weht», erklärt Moritz. Die Erde um die Kirrung ist tief und feucht. Pflanzen gedeihen hier seit Jahren keine mehr. Frische Spuren im Waldboden zeugen vom Besuch einer ganzen Rotte. Fast so, als wäre diesen Wildschweinen klar, dass sie im Wald nur über die Wintermonate bejagt werden dürfen.

Jagen für das Ökosystem

Sarah Moritz hat im ersten Monat als aktive Jägerin noch kein Tier erlegt. «Ich mache mir viele Gedanken darüber, wie dieser Moment wohl sein wird», sagt sie. «Jagen ist für mich Naturschutz mit Waffe. Deshalb verspüre ich Ehrfurcht vor dieser Aufgabe und bin mir meiner Verantwortung bewusst.» In gesundem Mass angewandt, könne sie durch ihre Tätigkeit im Wald helfen, das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten. Der Baselbieterin ist wichtig, dass ein Abschuss Sinn macht, etwa um ein krankes Tier zu erlösen oder um Überbestand zu regulieren. «Ich habe meine Grundprinzipien. Ich werde nicht schiessen, bevor es passt.»

Vom erlegten Tier soll so viel wie möglich verwertet werden können. Sarah Moritz und ihr Partner scheuen sich deshalb auch nicht davor, das Fett von erlegten Dachsen zu sammeln, um daraus Salbe herzustellen. Hochwertiges Fell von erlegten Füchsen versuchen sie möglichst weiterzugeben.

Zu den Aufgaben der Jagenden gehört auch das Aufbrechen, so nennt man das Ausweiden der Tiere. «Bin ich mit meinem Partner auf der Jagd, bin ich diejenige, die diese Aufgabe übernimmt», erzählt sie. Beim Aufbrechen werden noch vor Ort im Wald die Innereien aus dem Tier entfernt. Dann tragen die Jagenden das Tier zum Auto und fahren es zur Kühlzelle der Jagdgesellschaft. Von erlegten Wildschweinen muss immer eine Muskelfleischprobe in ein darauf spezialisiertes Labor eingeschickt werden. So lässt sich sicherstellen, dass das Fleisch frei von Trichinen ist. Denn diese widerstandsfähigen Würmer könnten nach dem Verzehr von Wildschweinfleisch beim Menschen die Infektionskrankheit Trichinellose auslösen.

Das Häuten und Zerlegen der gejagten Tiere übernimmt dann der Dorfmetzger. Sobald die benötigten Begleitscheine vom Labor eingetroffen sind, werden die Tiere von der Jagdgesellschaft für den Verkauf freigegeben. Es liegt auf der Hand, dass ein Teil des Fleisches wieder zu den Jägern und Jägerinnen gelangt.

ETWAS JÄGERLATEIN: DIE SCHWEIZER WEIDMANNSPRACHE

- Aufbrechen Ausweiden

- Büchsenlicht zur Jagd ausreichende Lichtverhältnisse

- Frischling junges Wildschwein

- Geiss weibliches Reh

- Kanzel Hochsitz

- Kirrung

Futterausbringung, um Schwarzwild anzulocken

- Pirsch

Einzeljagd, bei der der Jäger vorsichtig und leise gegen den Wind schleicht, um möglichst nahe ans Wild zu kommen.

- Rotte Gruppe von mehreren Wildschweinen

- Schwarzwild Wildschweine

- Schalenwild Wildschweine, Geweihträger wie Hirsche, Hornträger wie Gemsen

- Wildwechsel regelmässig von Schalenwild begangener Pfad

So auch zu Sarah Moritz. «Wir konsumieren Wild mit Wertschätzung, da wir genau wissen, welches Tier wo und weshalb sterben musste», sagt die Jägerin. «Diese Werte wollen wir auch unseren Kindern weitergeben.»

KONTAKT

Hans Romang

Abteilungschef Biodiversität und Landschaft, BAFU johann.romang@bafu.admin.ch

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bafu.admin.ch/ magazin2024-3-06

Die kleine Holzhütte ermöglicht es der Jägerin, sich zu verstecken und die Wildschweine zu beobachten. Sie berücksichtigt auch die Windrichtung, damit die Tiere sie nicht riechen können.

Zum Apéro gibt es Lindenblätterpesto

Sie erfahren, weshalb Bäume zur Schule gehen, erschaffen aus Ästen, Blüten und Zapfen ein Kunstwerk, werden selbst zum Baum und lernen, was Hunde-Urin mit der Baumrinde macht: Im Grünen Klassenzimmer erleben Primarschülerinnen und -schüler aus der Region Bern die Natur mit allen Sinnen.

TEXT: LISA STALDER

BILDER: CAROLINE KRAJCIR/LUNAX

In der Krone der Platane sind zwei Krähen aneinandergeraten. Sie flattern energisch mit den Flügeln, hüpfen von Ast zu Ast und krächzen ohne Unterlass. Unter der stattlichen Platane, die auf dem Tellplatz im Berner Breitfeldquartier steht, ist es hingegen noch ruhig. Judith Büsser ist gerade dabei, vor einem bunten Bauwagen 24 Sitzmatten in einem Kreis auszulegen. In Kürze wird es hier beim «Wildwechsel», einem mobilen Naturerlebnis-Zentrum, wuseln, wenn sich die Schülerinnen und Schüler der 3./4. Klasse aus dem nahen Schulhaus Breitfeld zur Naturpädagogin gesellen.

Ihr Unterricht findet an diesem Vormittag nicht wie gewohnt im Schulhaus, sondern im Grünen Klassenzimmer statt. So heisst das Angebot von Stadtgrün Bern, bei dem Primarschulklassen aus der Region zwei bis vier Mal über das Jahr verteilt die Natur erleben können. Dabei suchen die Kinder im stadtnahen Wald nach Spuren von Fuchs, Reh und Ringelnatter, sie testen die

heilende Wirkung des Spitzwegerichs nach einem Mückenstich oder untersuchen mit Kescher und Lupe Kleinstlebewesen in naturnahen Gewässern. Oft packen die Schulkinder im Erlebnisgarten in der Berner Elfenau mit an und helfen – je nach Jahreszeit – beim Jäten, Mulchen, Kompostieren, Giessen und Ernten.

Auch Bäume gehen zur Schule Für die 3./4. Klasse von Lehrerin Caroline Gilgen dreht sich an diesem kühlen Morgen im Mai alles um die Natur im eigenen Wohnquartier. Oder genauer: um die Stadtbäume, die wichtig für das Stadtklima und das Wohlbefinden der Menschen und zudem wichtige Lebensräume für kleine Säugetiere, Vögel und Insekten sind. Doch das alles wissen die Schülerinnen und Schüler noch nicht, als sie sich zu Judith Büsser in den Kreis setzen. Die Naturpädagogin gibt den Kindern verschiedene Hinweise zum gesuchten Lebewesen: An heissen Tagen spendet es Schatten, es putzt die Luft oder es gibt Nahrung für Mensch und Tier. Alle Kinder strecken

die Hände in die Luft. Doch Judith Büsser hat noch einen weiteren Hinweis bereit: «Manche gehen zur Schule.» Einige Kinder runzeln die Stirn. «Hä, was? Mega komisch», flüstert jemand. Auch wenn die Vorstellung seltsam erscheinen möge: «Die meisten Bäume, die in der Stadt wachsen, stammen aus einer Baumschule», sagt Naturpädagogin Büsser. Dort würden sie auf ihr Leben als Stadtbaum vorbereitet, damit sie später auf der Münsterplattform, vor dem Bundeshaus oder im Rosengarten prächtig gedeihen könnten. «Wahrscheinlich waren die Bäume auf eurem Pausenplatz auch mal in der Schule.»

Beobachten, Entdecken, Erkunden Nun geht es für die Klasse vom Tellplatz zur Markuskirche. Auf dem kurzen Spaziergang sind die Kinder aufgefordert, Sachen zu sammeln, die von Bäumen auf den Boden gefallen sind. Es kommen Äste, Samen, Blüten, Zapfen, Rindenstücke und jede Menge Blätter zusammen, mit welchen die Schülerinnen und Schüler auf einem Tuch einen Baum

Eine Grundschulklasse geniesst den Unterricht im Freien. Das Angebot von Stadtgrün Bern ermöglicht es den Kindern, sich der Natur zu nähern, indem sie etwa mit Ästen und Blättern basteln oder sich spielerisch Wissen über Bäume aneignen.

Der zehnjährige Emad konnte sich sogar an einen Ast hängen, ausgerüstet mit einem Klettergurt und einem Helm.

nachbilden. Der dickste Ast wird zum Baumstamm, Ästchen werden zu grossen Ästen, die Kinder verteilen die Blätter, Samen und Blüten. Während sie ihr Kunstwerk betrachten, legt Luzia einen stark verzweigten Ast an das untere Ende des Baumstamms. «Er hat ja noch keine Wurzel», sagt die 9-Jährige.

Es wird deutlich: Die Kinder befassen sich nicht zum ersten Mal mit dem Thema. Ein Eindruck, den die Klassenlehrerin bestätigt: «Wir haben im letzten Jahr das Thema Pflanzen erarbeitet, dieses Wissen können die Kinder nun abrufen.» Das sei eine ideale Ausgangslage, sagt Judith Büsser. Denn die verschiedenen Werkstätten des Grünen Klassenzimmers sind so aufgebaut, dass sie die Themen des Schulfachs Natur, Mensch, Gesellschaft ergänzen – indem die Kinder direkt in der Natur beobachten, entdecken und erkunden. «Die Idee ist, dass die Kinder die Erlebnisse aus der Natur aufgreifen und ihre eigenen Nachforschungen dazu anstellen.»

Ein Ersatz für die Schulgärten Doch warum gibt es das Grüne Klassenzimmer überhaupt?

Nachgefragt bei Nik Indermühle, Projektleiter Natur und Ökologie bei Stadtgrün Bern: Entstanden ist das Grüne Klassenzimmer vor gut 20 Jahren. Damals wurden zahlreiche Schulgärten aufgehoben oder umgenutzt. Also suchte die damalige Stadtgärtnerei nach einer Möglichkeit, den Kindern die Natur weiterhin zugänglich zu machen. Und ging dabei ziemlich unkompliziert vor. So erhielt die Naturpädagogin Ursula Miranda, die noch heute im Grünen Klassenzimmer arbeitet, den Auftrag, «mal etwas auszuprobieren», wie Indermühle erzählt. Unter ihrer Federführung wurde auf einem Areal in der Elfenau der Erlebnisgarten aufgebaut.

Es war der Beginn eines Erfolgsprojekts. Seither sei das Angebot stetig ausgebaut worden. Mit dem Wunsch, der Bevölkerung auch die Stadtnatur näher zu bringen, entstand 2015 das Wildwechselprojekt. Das mobile NaturerlebnisZentrum steht zwischen Mai und September immer in einem anderen Berner Quartier, um Naturwissen direkt vor der Haustür zu vermitteln. Der Wildwechsel richtet sich nicht nur an Schulklassen, sondern auch

an Quartierbewohnerinnen und -bewohner. Auf Rundgängen durch das Quartier erfahren Interessierte beispielsweise, dass es allein in der Stadt Bern über 600 Pilzarten gibt, wo es Eidechsen, Bergmolchen und Blindschleichen am wohlsten ist oder wie Krähen miteinander kommunizieren.

Die Rundgänge sind beliebt. Das erstaunt nicht, hat doch die Bedeutung der Stadtnatur in den letzten Jahren stark zugenommen. Zunehmend werden Massnahmen umgesetzt, um mehr Grünraum zu schaffen: Flächen werden entsiegelt, Dächer begrünt und urbane Gärten angelegt. Dass die Sensibilisierung zunehme, spüre auch das Grüne Klassenzimmer, sagt Indermühle. «Inzwischen ist es schwierig geworden, die grosse Nachfrage zu bewältigen.» Es können nicht mehr alle Klassen berücksichtigt werden, die sich anmelden.

Das muss die Schülerinnen und Schüler von Caroline Gilgen aber nicht kümmern. Sie sind gerade dabei, selbst zum Baum zu werden. In der Mitte mimen zwei Kinder den Baumstamm, während sich andere

als Äste, Blätter und Früchte drumherum drapieren. Als Letztes folgt die Rinde, ein regelrechter Schutzschild für den Baum. Doch ihm droht

Ungemach, denn: «Frau Büsser ist sehr verliebt», sagt die Naturpädagogin mit einem schelmischen Lachen. Sie zückt ein Sackmesser und tut so, als würde sie ein Herz in die aus Kindern bestehende Rinde ritzen – die ideale Eintrittspforte für Pilze, Bakterien und Krankheitserreger. Das bringt Schüler Emad auf eine Idee: «Ist es für den Baum eigentlich gut, wenn man ihn anpinkelt?» Das sei eine tolle Frage, sagt Büsser. Das sollte er lieber vermeiden, denn Urin enthalte Säure, die dem Baum schade. An manchen Bäumen seien unten am Stamm Verfärbungen zu erkennen. «Dann wissen wir, dass diese Bäume als Hunde-WC benutzt werden.» «Wäääähhh», tönt es von allen Seiten.

Natur lenken, um Gefahren zu vermeiden

Auf dem Weg zum Sempachspielplatz in der Nähe des Stadions Wankdorf bleibt Emilie unter einem Ahorn stehen. «Der hat überall so komische Knubbel», sagt sie und fährt mit ihrer Hand über den Stamm. Wie diese «Knubbel» entstehen, werden gleich Balz Obrecht und Reto Wirz erklären, die auf dem Spielplatz bereits auf die Klasse warten. Die beiden Männer sind Mitarbeiter des Baumkompetenzzentrums von Stadtgrün Bern, das für die Pflege und den Schutz der rund 21 000 Bäume auf öffentlichem Grund verantwortlich ist. Nach Möglichkeit stellen sie ihre Arbeit im Grünen Klassenzimmer vor. Die «Knubbel» deuteten darauf hin, dass an dieser Stelle ein Ast abgesägt wurde, sagt Balz Obrecht. «Es ist eine Wunde, die wieder verheilt ist.»

Doch warum müssen die beiden denn überhaupt Äste absägen und manchmal Bäume fällen? «Eigentlich brauchen Bäume keine Pflege, die kommen gut ohne uns Menschen zurecht», sagt Obrecht. Aber im städtischen Gebiet, zwischen

Häuserfassaden und Fahrleitungen, müsse der Mensch in die Natur eingreifen, damit sie nach seinen Vorstellungen wächst. Dies auch, um Gefahren zu verhindern. So werden abgestorbene Äste rausgeschnitten, damit sie bei einem Sturm nicht auf ein belebtes Trottoir runterfallen. «Auf einem Spielplatz müssen wir besonders gut zu den Bäumen schauen», sagt Wirz. Zum Schluss geben die Männer noch eine Kostprobe ihres Könnens: In Vollmontur klettert Obrecht behände entlang eines Seils auf die über 100-jährige Linde. Als er kopfüber in einem Ast hängt, steigt unten am Boden der 10-jährige Emad in einen Klettergurt, setzt sich einen Helm auf und reisst die Arme in die Luft: «Das mache ich später auch mal!»

Lindenblätterpesto ist fein Während die beiden Baumpfleger ihr Material zusammenpacken, ist die Arbeit der Kinder noch nicht getan: Zum Abschluss stellen sie Lindenblätterpesto her. Dafür braucht es junge, frische Lindenblätter. Judith Büsser rät den Kindern, die Blätter gut anzuschauen. An manchen kleben Raupeneier, «die wollen wir lieber nicht in unserem Pesto haben». Während Hawar und Sophie die Blätter ganz klein schneiden, raffelt Aisha Käse. Giuseppe mörsert derweil Sonnenblumenkerne. Er wisse genau, wie das geht: «Ich habe das in einem Youtube-Video gesehen.»

Am Schluss mischt Silas alle Zutaten mit etwas Salz, Pfeffer und Olivenöl und bestreicht mit der Paste kleine Brotscheiben. Es steht der finale Test an. Die Kinder greifen zu, manche nur zögerlich. «Das kann man wirklich essen?», will Max wissen. Ohne eine Antwort abzuwarten, schiebt er die Brotscheibe in den Mund. «Mega fein! Viel besser als das Pesto vom Coop.»

Mit dem Apéro im Bauch geht es zurück ins Schulhaus. Klassenlehrerin Caroline Gilgen schaut zufrieden auf den Morgen zurück: Sie schätze es jeweils sehr, die Schullektionen draussen zu verbringen. Die Kinder seien zufrieden, lachten viel. «Gemeinsame Naturerlebnisse schaffen einen wunderbaren Kontrast zum Klassenzimmer und stärken den Zusammenhalt der Klasse.» Sie freut sich schon auf den nächsten Einsatz im Grünen Klassenzimmer. Dann heisst es für die Kinder: jäten, mulchen und ernten.

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bafu.admin.ch/ magazin2024-3-07

Die Kinder stellen aus Lindenblättern ein Pesto her, das sie sofort essen können.

Kreislaufwirtschaft in KMU: Pioniere zeigen den Weg

Dank zirkulären Geschäftsmodellen können

Unternehmen Ressourcen schonen und Abfälle reduzieren. Von der Sensibilisierung bis zur Rentabilität: Pionier-KMU geben ihre Erfahrungen weiter.

TEXT: AUDREY MAGAT

BILD: CAROLINE KRAJCIR/LUNAX

Entnehmen, herstellen, konsumieren und wegwerfen – dieser Logik folgt die lineare Wirtschaft. «Ziel ist, Unternehmen den Weg in Richtung Kreislaufwirtschaft aufzuzeigen, damit sie ihren Ressourcenverbrauch senken und weniger Abfälle produzieren», erklärt Anja Siffert, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim BAFU. Rund zehn Prozent der Schweizer Unternehmen setzen heute auf diese Wirtschaftsweise, die einerseits umweltfreundlich ist und andererseits einen wirtschaftlichen Vorteil wie einen Beitrag zur Stromversorgungssicherheit bietet. Das Modell hat also erst wenig Verbreitung gefunden, insbesondere nicht bei den KMU (Unternehmen bis 250 Beschäftigte), die gemäss Bundesamt für Statistik immerhin 99 Prozent der hiesigen Unternehmen ausmachen.

Um zu verstehen, wie Unternehmen mit zirkulären Geschäftsmodellen funktionieren, wurde der «Think and Do Tank» sanu durabilitas vom BAFU und vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) mit der Durchführung einer Studie beauftragt (siehe Box). «Die Erfahrungsberichte dieser

Pionier-KMU der Kreislaufwirtschaft zeigen ihre Beweggründe, aber auch die Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert waren. Diese Erkenntnisse dienen als Inspiration für Unternehmen, die sich in der Startphase eines zirkulären Geschäftsmodells befinden oder bereit sind, ihre Produktionsweisen zu überdenken», sagt Anja Siffert.

Langfristig rentabel

Einige Unternehmen setzen die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft schon lange um. Ein Beispiel ist das Familien-KMU Burri in Zürich: Das 1902 gegründete Unternehmen mit 100 Mitarbeitenden stellt Mobiliar für den öffentlichen Raum her, zum Beispiel Bänke, Leuchtensysteme oder Wegweiser. Sein Credo: handwerklich und aus lokalen und nachhaltig produzierten Materialien gefertigte Erzeugnisse mit einer langen Lebensdauer. «Auf Langlebigkeit und Reparierbarkeit der Produkte –indem statt Leim Schrauben verwendet werden, damit sie leichter wieder zusammengesetzt werden können –, wird im Unternehmen schon seit Generationen Wert gelegt», sagt

der Verkaufsverantwortliche Andreas von Euw. «KreislaufwirtschaftZertifikate, die uns heute verliehen werden, nehmen wir gerne an, aber unsere Praxis hat sich gegenüber früher nicht verändert.»

Das Unternehmen verwendet Holz aus Schweizer Wäldern. «Dafür hat es sich in den 1960er-Jahren trotz des damaligen Trends zu Tropenholz entschieden.» Die Produktionskosten sind deshalb höher. «Es ist eine Investition. Vielleicht kostet unser Stadtmobiliar mehr, aber es überdauert Jahrzehnte, während billigere Produkte der Witterung weniger gut standhalten. Sie müssen daher häufiger ersetzt werden, was sich langfristig nicht lohnt.»

Die Kreislaufwirtschaft bedeutet auch ein Umdenken in Sachen Preis. «Anders als bei neuen Erzeugnissen sind bei Produkten aus der Kreislaufwirtschaft die externen Kosten im Endpreis besser miteingerechnet», sagt Ueli Ramseier, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim SECO. «Alle Produkte sollten zu ihren Gesamtkosten

Johanna Huber, Projektmanagerin bei sanu durabilitas, hat eine Studie mitverfasst, die zeigt, dass wiederaufbereiten, teilen oder mieten umweltfreundlicher ist als Recycling.

verkauft werden. Die Bevölkerung ist immer mehr bereit, den fairen Preis zu bezahlen.»

Gewohnheiten ändern

Ob Bohrmaschine, Rasenmäher, Drohne oder sogar Auto – viele Gegenstände bleiben häufig unbenutzt. Das Unternehmen Sharely hat das Ziel, dass Privatpersonen solche Gegenstände über seine Plattform mieten und vermieten. «Wir wollen eine Sharing Economy fördern», sagt Ivo Kuhn, Co-CEO von Sharely. «Bisher galt in der Gesellschaft der materialistische Gedanke, dass jeder Gegenstand

gekauft werden sollte. Aber dieser Konsum ist nicht zwingend. Es ist kostengünstiger, platzsparender und nachhaltiger, punktuell Objekte zu mieten, die nur selten gebraucht werden.» Jedes Produkt ist versichert. So werden eventuelle Reparaturkosten oder der Ersatzwert übernommen, wenn es während der Miete beschädigt wird. «Die Vermieterinnen oder Vermieter legen ihren Preis fest. Hinzu kommt unsere Kommission von 20 Prozent und der Betrag der Versicherung.» Das gemietete Objekt kann abgeholt oder per Post zugeschickt werden.

Das 2013 gegründete Zürcher Unternehmen zählt heute vier Angestellte und zahlreiche Selbstständige. Es hat 75 000 Mitglieder und rund 10 000 Vermieterinnen und Vermieter. «Die Mehrheit unserer Nutzerinnen und Nutzer ist heute in der Region Zürich, aber wir wollen in der ganzen Schweiz präsent sein.» Die Plattform ist vor allem für urbane Zentren gedacht und bietet 30 000 Mietobjekte. «Die Schweizerinnen und Schweizer sind bereit, einen Paradigmenwechsel ins Auge zu fassen: Zugang statt Besitz. Aber die Methode muss praktisch und

ERfAHRUNGSBERICHTE VON PIONIERUNTERNEHMEN

Bei den für die Studie von sanu durabilitas ausgewählten 15 Pionierunternehmen handelte es sich um KMU (bis 250 Mitarbeitende) mit einem gewissen wirtschaftlichen Erfolg. «Zudem wurde in der Studie auf fünf Sektoren fokussiert: Bau und Wohnen, Nahrungsmittel (Produktion, Detailhandel und Gastgewerbe), private Mobilität, Bekleidung und Textilien sowie Elektronik», sagt Johanna Huber, Leiterin der Studie bei der Stiftung sanu durabilitas, die neun Mitarbeitende zählt und 2012 in Biel gegründet wurde. «Die Studie konzentriert sich auf die inneren Loops oder kurzen Kreisläufe, also auf das Design für Langlebigkeit, Wiederaufbereiten, Wiederverwenden sowie Teilen oder Vermieten.»

geografisch geeignet sein. Grössere Distanzen halten die Nutzerinnen und Nutzer eher ab.»

Aus Sicht des SECO werden die Unternehmen durch die Vereinfachung der Prozesse wettbewerbsfähig. Bei gleichem Angebot werden sich die Kundinnen und Kunden künftig vermehrt für das umweltfreundlichste entscheiden. In den kommenden Jahren werde die Aufnahme von Elementen der Kreislaufwirtschaft in das Geschäftsmodell für die KMU zu einem wichtigen Erfolgsfaktor.

Anreize für die Umstellung schaffen 2nd Peak ist der erste SecondhandShop für Outdoor-Bekleidung in der Schweiz. Das 2020 von Isa Schindler gegründete Unternehmen hat Läden in Zürich und Bern und verkauft seine Artikel auch online. Es kauft gebrauchte Sportkleider wie Wanderjacken und Schuhe, aber auch Ausrüstung von Privatpersonen. Diese erhalten 25 Prozent des Secondhand-Verkaufspreises.

Mit einem Jahresumsatz von rund 800 000 Franken werden die Kosten nur knapp amortisiert. Grund dafür sind die hohen Fixkosten, vor allem für das Personal (zwölf Mitarbeitende beziehungsweise

vier Vollzeitäquivalente). «Wir brauchen ein grösseres Team als ein traditionelles Geschäft, da wir die Kleidungsstücke einzeln und nicht in hohen Mengen einkaufen. Diese Sorgfalt bedeutet, dass wir ständig Mitarbeitende haben, die Kleider kaufen, verkaufen, sortieren, etikettieren, waschen und reparieren. Im Verhältnis zur Grösse unseres Geschäfts bezahlen wir deshalb viele Löhne.» Entscheidend ist auch die Standortfrage. «Kleine Geschäfte haben es in der Innenstadt schwer. Alle strategischen Standorte sind von grossen Fast-FashionKetten besetzt, was auch die Mieten steigen lässt.»

Aus Sicht von Isa Schindler sollten die Secondhand-Unternehmen so lange staatlich unterstützt werden, bis sich zirkuläre Geschäftsmodelle im Wirtschaftssystem etabliert haben und von der breiten Öffentlichkeit akzeptiert sind. «Nachhaltiger Konsum wird zu einer Haltung, zu etwas, auf das man stolz ist. Aber den Unternehmen muss bei den anfallenden Kosten unter die Arme gegriffen werden.»

Unterstützung fordern die KMU auch bei der Bewusstseinsbildung in der breiten Öffentlichkeit. «Wir sind nicht allein dafür verantwortlich, Teilen als Lebensstil zu fördern. Wir bieten nur eine Lösung an», sagt Ivo Kuhn von Sharely. «Die Politik müsste sich dieser Frage annehmen und anfangen, die Sharing Economy zu unterstützen.»

Die Öko-Nische verlassen

Johanna Huber, Projektleiterin und Co-Autorin der Studie von sanu durabilitas, weist darauf hin, dass die KMU heute die Kosten für die Umstellung auf die Kreislaufwirtschaft –beispielsweise für den Aufbau der Logistik und die Sensibilisierung der Verbraucherinnen und Verbraucher –praktisch alleine tragen müssen. «Es besteht ein grosser Bedarf an Koordination unter den Akteuren, damit die Wertschöpfungsketten zirkulär gestaltet werden können.»

Dieses Ziel verfolgt auch die Neue Regionalpolitik des SECO. «Ein Holzereiunternehmen beispielsweise könnte sich mit einem Schreiner und einer Holzabfall-Recyclingfirma zusammentun», sagt Ueli Ramseier.

«Gemeinsam können sie ein regionales zirkuläres Ökosystem bilden. Die Studienergebnisse haben es deutlich gezeigt. Die grössten Hemmnisse sind nicht fehlende gesetzliche Grundlagen oder eine zu geringe Investitionsbereitschaft. Es sind vielmehr strukturelle Hürden wie der Fachkräftemangel oder psychologische Barrieren wie der Widerstand gegen Veränderungen.»

Politisch schafft die im März 2024 verabschiedete und aus einer parlamentarischen Initiative hervorgegangene Revision des Umweltschutzgesetzes (USG) neue Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern, die stärker auf ein zirkuläres Geschäftsmodell setzen wollen. In der Europäischen Union gibt es verschiedene Rechtsetzungsprojekte. «Die Schweiz wird auch durch die Veränderungen im europäischen Markt infolge der EU-Regulierungen beeinflusst, denn in die EU gehen die meisten Exporte des Landes», sagt Johanna Huber. «Einige Mitgliedsländer haben sogar Wiederverwendungsquoten für Verpackungen festgelegt. Die Schweiz sollte sich davon inspirieren lassen.»

Die Plattform für Regionalentwicklung in der Schweiz: regiosuisse.ch/programme/nrp

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Anja Siffert Sektion Ökonomie, BAFU anja.siffert@bafu.admin.ch

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bafu.admin.ch/ magazin2024-3-08

Man kann nur schützen, was man kennt

Der Wert der Landschaft

Die Vielfalt und Qualität der Schweizer Landschaften bergen für die Regionalentwicklung ein Potenzial.

Verschiedene Projekte zeigen, wie ihre Inwertsetzung zum Wohlstand einer Region beiträgt.

TEXT: CAROLE BERSET

Die Schweizer Landschaften bilden ein reiches und vielfältiges Natur- und Kulturerbe. Als Spiegel geologischer, historischer und kultureller Besonderheiten sind sie auch von grosser Bedeutung für den Tourismus und die Lebensqualität der Menschen in vielen Regionen. Heute stehen die Landschaften aber stark unter Druck. Regional charakteristische Landschaftselemente und Lebensräume für Tiere und Pflanzen gehen zunehmend verloren.

Seit 2002 beteiligt sich der Bund finanziell am Programm «Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung». Das Programm dient als Anreiz für lokale, regionale und kantonale Akteure, neue Ansätze und Methoden zu testen und so Lösungen vor Ort auszuprobieren. Einer der fünf thematischen Schwerpunkte, die in der letzten Periode, also 2020–2024, festgelegt wurden, war den Beiträgen gewidmet, die die Landschaft im regionalen Kontext leistet. Dieser wurde vom BAFU zusammen mit sechs anderen Bundesämtern geleitet.

Für den Themenbereich «Landschaft ist mehr wert» wurden acht Projekte ausgewählt, unter anderem in den Regionen Valsot (GR) und Sittertobel (SG). «Mit den Projekten soll gezeigt werden, dass die Landschaft sowohl einen Mehrwert generieren als auch die Wertschätzung für die Qualitäten der Regionen verstärken kann», sagt Daniel Arn, Mitarbeiter in der

Abteilung Biodiversität und Landschaft im BAFU. «In der Schweiz ist das Valposchiavo in Graubünden seit über 20 Jahren ein Pionier in diesem Bereich. Die Standortmarke ‹100 % Valposchiavo› zertifiziert Lebensmittelprodukte, die vollständig in der Region hergestellt worden sind. So werden einheimische Ressourcen stärker genutzt und in Wert gesetzt.» Ein zentrales Kriterium ist im Übrigen die Innovation. Auf Klangspaziergängen im Limmattal (ZH) beispielsweise wird das Rauschen des Flusses hervorgehoben aus dem Hintergrundrauschen des Verkehrs und das Bewusstsein für den Wert eines guten Klangraums in Siedlungsgebieten geschärft.

Die Stadt

und die Gemeinde

haben eine App herausgebracht, mit der sich zwei stadtnahe Naturpfade zur Sitterschlucht entdecken lassen.

Im Projekt «Inscuntrar» von Pro Terra Engiadina wurden Einheimische und Gäste zum gesellschaftlichen und ökonomischen Mehrwert der intakten Landschaften der Bündner Gemeinde Valsot befragt. Dabei arbeitete die Stiftung mit der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zusammen. «Das Projekt sollte messen, welchen Wert die Menschen der Landschaft beispielsweise unter den Aspekten der Schönheit, Kohärenz und Komplexität, aber auch als Erholungsraum beimessen», erklärt Angelika Abderhalden, die für das Projekt verantwortlich war.

Parallel zu diesen Befragungen wurde die «Valsot-App» entwickelt. Interessierte finden darin das Wanderwegnetz und Informationen zu Geschichte, Biodiversität, Struktur und Veränderung der Landschaft in der Region. «Die Landschaft stellt einen Mehrwert und ein Kulturerbe dar, die oft schwierig zu erfassen sind. Das Projekt will sie in Wert setzen, denn häufig wird nur geschützt, was man kennt. Wird eine Beziehung zur Landschaft geschaffen, fühlt man sich stärker betroffen von den Herausforderungen, die mit ihrer Entwicklung und ihrem Schutz verbunden sind.» Neben einem Nachhaltigkeitsweg entstand im Rahmen des Projekts auch ein

In Valsot, Graubünden, kann man Wanderwege auch mit einer App erkunden. Sie liefert Informationen über die Geschichte des Ortes sowie über seine Artenvielfalt.

St. Gallen
Wittenbach

System, das misst, was die Landschaft für die Standortattraktivität leistet.

Wertschätzung für nahe Landschaften steigern

Das Sittertobel (SG) mit seinen tiefen Einschnitten und Wasserfällen ist ein Gebiet von nationalem Interesse, aber auch wichtig als Naherholungsraum.

Das Projekt «Tobelwelt Sitter für alle» sollte die Menschen in der Stadt St. Gallen und in der Gemeinde Wittenbach für die Bedeutung naturnaher Landschaften in direkter Siedlungsnähe sensibilisieren.

«Vier Exkursionen und Arbeitseinsätze in der Natur wurden organisiert, damit die Bevölkerung die nahe Landschaft bewusster wahrnehmen und wertschätzen kann», sagt Doro Anderegg, Projektverantwortliche bei der Vereinigung REGIO Appenzell AR–St. Gallen–Bodensee, die zusammen mit der Stiftung Pusch – Praktischer Umweltschutz Projektträgerin ist.

Eine Voraussetzung für die Durchführung des Projekts war die Mitwirkung der relevanten Akteure. «Wichtig war vor allem der Einbezug der Naturschutzverbände, die auch Vorbehalte äusserten, weil wir eine mögliche Konkurrenz darstellten.» Mit Unterstützung von Behörden und Vereinen hat die Stiftung Pusch drei Naturpfade realisiert, die auf ihrer App «Naturpfade» gezeigt werden. Die Menschen in St. Gallen und Wittenbach konnten damit Natur- und Landschaftselemente vor ihrer Haustüre entdecken.

Das Projekt wollte nicht nur sensibilisieren, sondern Gemeinden und Raumplanungsverantwortliche auch

ermutigen, sich künftig für mehr Biodiversität einzusetzen. In Wittenbach wurde ein Pflegeund Aufwertungskonzept für eine Siedlung erarbeitet. In neu entstandenen Grünpartnerschaften können die Anwohnerinnen und Anwohner kleine Grünflächen wie beispielsweise Blumenwiesen am Strassenrand finanzieren.

Inspirierende Beispiele

Die Modellvorhaben konnten dank innovativen Lösungen das Potenzial der Landschaften ihrer Region nutzen. «Alle Vorhaben sind einzigartig», sagt Daniel Arn. «Das Projekt der Valsot-App in Graubünden ist ein interessantes Beispiel für die Regionalentwicklung. Es zeigt, dass es erst im Anschluss an die Definition der besonderen Qualitäten eines Ortes möglich ist, ein Tourismusangebot zu gestalten, welches das Wirtschaftswachstum der Region fördert. Die für ‹Tobelwelt Sitter für alle› in St. Gallen geschaffenen Synergien lehren, wie wichtig der Einbezug unterschiedlicher Akteure und Ansichten für eine möglichst grosse Projektreichweite ist.» Das Programm des Bundes will die aus den Modellvorhaben gewonnenen Erfahrungen an andere Regionen weitergeben. «Der vom BAFU in Zusammenarbeit mit dem SECO publizierte Bericht zeigt diese Erkenntnisse auf», sagt Daniel Arn. «Er ist eine konkrete Hilfe für die Entwicklung von Projekten in anderen Regionen.»

KONTAKT

Daniel Arn

Sektion Landschaftspolitik, BAFU daniel.arn@bafu.admin.ch

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EINE KOHÄRENTE

LANDSCHAf TSPOLITIK

Um die Schweizer Landschaften und ihre Qualität zu erhalten, zu fördern und eine kohärente Landschaftspolitik sicherzustellen, hat der Bundesrat das Planungsinstrument «Landschaftskonzept Schweiz» verabschiedet. Dieses Instrument betrachtet die Landschaft sowohl als Wohn-, Arbeits- und Erholungsraum, aber auch als räumliche Basis für die Biodiversität.

In den Treibhäusern setzen die WSLForschenden junge Eichen und Buchen extremen Bedingungen aus, um ihre Widerstandsfähigkeit gegen das Klima der Zukunft zu erforschen.

bafu.admin.ch/ magazin2024-3-09

FORSCHUNG

Bäume

im

Hitzestress

Wie reagieren unsere Waldbäume auf den Klimawandel? Dies versuchen Forschende der WSL am Beispiel der Rotbuche und der Flaumeiche herauszufinden. In einem Modell-Ökosystem gehen sie unter anderem der wichtigen Frage nach, welchen Einfluss Hitze und Trockenheit auf die Photosynthese der Bäume haben.

TEXT: SARAH C. SIDLER

BILDER: RAISA DURANDI/LUNAX

Die futuristisch anmutenden Glaskuben auf dem Gelände der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf (ZH) fallen von Weitem auf. Beim genauen Hinsehen wird klar, dass die Konstruktionen so gedeckt sind, dass kein Regenwasser in die Modell-Ökosystemanlage (MODOEK) fällt. Zudem sind bei einigen Kammern einzelne Seitenwände leicht geöffnet, damit sich die Luft in den Kammern nicht zu sehr aufheizt. In diesen wachsen rund sechsjährige Flaumeichen und Rotbuchen.

«Wir versuchen der grossen Frage auf den Grund zu gehen, welche Baumarten fit für die Zukunft sind», sagt Marcus Schaub von der WSL. Er ist

als Gruppenleiter Ökophysiologie für diese Forschungsanlage verantwortlich. Seit 1992 haben Forschende damit die Möglichkeit, die Wasser-, Kohlestoff- und Nährstoffkreisläufe der Versuchsbäume zu messen. Gespannt öffnet Schaub die Tür einer der Glaskammern und schiebt ein oranges Kabel zur Seite, damit er die darin wachsenden Bäumchen gut sieht. Nur ein Teil von ihnen sieht aus wie gesunde junge Bäume im Freien. Sie wirken stabil – und sind rund einen Drittel grösser als die anderen, die eher feinastig und schmal wachsen.

Die Rotbuche leidet, der flaumeiche geht’s gut

Das aktuelle Forschungsprojekt in der MODOEK-Anlage läuft seit acht

Jahren. Der Wissenschaftler Christoph Bachofen betreut es mit. «Wir wollen unter konstanten, kontrollierten Bedingungen herausfinden, wie sich diese Buchen- und Eichenarten verhalten», sagt er. Die Hitzetrockenheit ist ein wachsendes Risiko für unsere Wälder. Nicht alle Baumarten kommen mit den steigenden Temperaturen und sinkenden Niederschlägen zurecht.

Die Forschenden haben sich für diese Versuchsbäume entschieden, weil man bereits weiss, dass die Rotbuche nördlich der Alpen in Hitzesommern starke Hitzeschäden aufweist. Dagegen ist die Flaumeiche eine trockenangepasste Art, gedeiht sie doch in West-, Mittel- und Südeuropa. «Diese Baumart wird

mittelfristig im Wallis wohl die Waldföhre ersetzen, wie ein Bewässerungsexperiment der WSL im Pfynwald zeigt», sagt Schaub. Eignet sich diese Eichenart also als Schweizer Zukunftsbaum?

Um das herauszufinden, werden in den 16 Glaskammern hinter der WSL vier klimatische Bedingungen geschaffen. In den vier Standardkammern mit dem Namen «Control» wird den Bäumen unlimitiert Wasser zur Verfügung gestellt. Da die gläsernen Gebäude mit Betonwannen untermauert sind, lässt sich der Wassergehalt in der Erde exakt messen. Die Temperatur ist in diesen Kammern dieselbe wie im Freien. In vier weiteren Glashäusern erhalten die Bäume stets nur halb so viel Wasser, wie die Exemplare in den Kontrollkammern benötigen. Ein weiterer Viertel der Bäume wächst in einer fünf Grad wärmeren Umgebung. Dort sorgen Heizlüfter in der Mitte der Kammern dafür, dass immer fünf Grad mehr als in der natürlichen Umgebung herrschen.

Die extremsten Bedingungen müssen die Bäumchen im letzten Viertel der Anlage aushalten. Sie bekommen nicht nur halb so viel Wasser, sondern müssen auch mit einer fünf Grad höheren Lufttemperatur auskommen. «Damit wollen wir herausfinden, was passiert, falls diese Bedingungen in den nächsten 100 bis 200 Jahren eintreten», sagt Christoph Bachofen.

Versuch zeigt: Wassermangel ist das grössere Problem

Dass solche Bedingungen sich auf die Bäume auswirken, wird in der Versuchsanlage augenscheinlich: Die Bäumchen in den extremsten Kammern mit der simulierten Hitzetrockenheit sehen kümmerlich aus, sind sie doch nur knapp einen halben Meter hoch. Während die Eichen die Anzahl Blätter verringern, haben die Buchen die Grösse der Blätter verkleinert. Die allermeisten sehen kränklich aus. Die Ränder der Blätter krümmen sich leicht bräunlich. Und doch leiden einige mehr als andere. Das sieht man am Befinden der

Bäume, die pro Kammer in den acht unterschiedlichen Abteilungen wachsen. Hier wachsen teils Einzelbäume und teils Gruppen. «Mit diesen verschiedenen Kombinationen wollen wir den Effekt der Artenzusammensetzung untersuchen», erklärt Bachofen. Was macht die Konkurrenz zwischen den einzelnen Exemplaren aus? Wer profitiert? Wer wird unterdrückt? Oder helfen sich die Bäume sogar untereinander aus?

Die Antwort auf die letzte Frage lautet: Nein. Im Gegenteil: Die Baumarten machen sich das Wasser streitig – und die Eichen gewinnen. Dies ist klar ersichtlich im nächsten Glashaus, wo die Bäume zwar genug Wasser erhalten, jedoch ständig fünf Grad höheren Temperaturen ausgesetzt sind. Gruppenleiter Marcus Schaub begutachtet auch in dieser Kammer das Wachstum der Bäumchen. Hier sind die Eichen fast drei Meter hoch – etwa doppelt so hoch wie die Buchen. Trotzdem sehen sie nicht überlebenstauglich aus.

Wie gut kommen die jungen Bäume mit Hitze und Wassermangel, wie sie das zukünftige Klima bringen könnte, zurecht? WSL-Forscher Marcus Schaub sieht schon von Auge, dass die Eichen die extremen Bedingungen besser vertragen als die Buchen.

Verschiedene Messinstrumente zeichnen auf, wie gut es den Waldbäumen geht. So erkennen die Forschenden, unter welchen Bedingungen die Bäume unter Stress kommen und was dieser für Folgen hat.

Ihre Stämmchen sind so dünn, dass sie hochgebunden werden müssen.

faktor Zeit spielt eine wichtige Rolle Die WSL-Forschenden schauen auch in ihre Versuchsbäume hinein.

In den neusten Studien untersucht die Doktorandin Janisse Deluigi, wie sich die Photosynthese der Versuchsbäume an die erhöhten Temperaturen anpasst. Wie schnell können die Blätter CO2 aufnehmen und Feuchtigkeit abgeben? Diese Frage ist existenziell, denn als erste Reaktion auf Hitze und Trockenheit schliessen die Bäume die Spaltöffnungen in den Blättern, um nicht zu viel Wasser zu verlieren. Doch gleichzeitig sollten sie über die geöffneten Spaltöffnungen CO2 aufnehmen, welches sie für die Zuckerbildung – also als Nahrung für das Wachstum – benötigen. So kommt der Baum in Extremsituationen in ein Dilemma: Er muss sich quasi entscheiden, ob er verdursten oder verhungern will.

«Die gute Nachricht aus den neusten Forschungsergebnissen lautet: Wenn ein Baum genug Zeit hat, kann er seine optimale Temperatur von 24 Grad für die Photosynthese um drei Grad nach oben anpassen», berichtet Bachofen. Wie viel Zeit

er dafür benötigt, wird noch erforscht. Was aber passiert, wenn sich die Durchschnittstemperatur um fünf Grad nach oben verschiebt und der Baum zu wenig Zeit hat, um die ideale Temperatur für die Photosynthese entsprechend anzupassen? «Der Wald wird sich mehrheitlich selbst regulieren können», sagt Marcus Schaub. Der Wald ist fähig, sich mit der Zeit natürlich anzupassen, aber es gibt auch ein Risiko, dass Leistungen, die er erbringt – etwa seine Schutzfunktion – teilweise verloren gehen. Mit der aktiven Anpassung durch waldbauliche Massnahmen soll dieser Leistungsverlust minimiert werden.

KONTAKT

Robert Jenni Sektion Waldleistungen und Waldpflege, BAFU robert.jenni@bafu.admin.ch

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bafu.admin.ch/ magazin2024-3-10

VON DER EINZELNEN ZELLE BIS HIN ZUM GESAMTEN ÖKOSYSTEM – WIE DIE WALDMONITORINGSTRATEGIE DER WSL DEN WALD AUf VERSCHIEDENEN fORSCHUNGSEBENEN UNTERSUCHT

- Ebene 1: Experimente mit Baumsetzlingen in voll kontrollierten Klimakammern an der WSL in Birmensdorf (ZH), um die Mechanismen und Prozesse als Reaktion auf die äusseren Umweltbedingungen besser zu verstehen.

- Ebene 2: Experimente mit jungen Bäumen in den halboffenen Kammern der MODOEK-Anlage (siehe Haupttext).

- Ebene 3: Das auf über 20 Jahre angelegte Bewässerungsexperiment im Pfynwald zwischen Leuk und Siders (VS). Dort werden die bis zu 120 Jahre alten Bäume auf einer Hektare zum Teil bewässert, und mittels Sprühnebel wird das sogenannte Dampfdruckdefizit verringert. Dieses hat einen grossen Einfluss auf die Wasserverdunstung aus den Pflanzen und bezeichnet die Differenz zwischen der tatsächlichen Wassermenge in der Atmosphäre und der Wassermenge, die maximal darin enthalten sein könnte.

- Ebene 4: Die langfristige Waldökosystemforschung LWF untersucht den Wald seit 1994 an 19 ausgesuchten Waldstandorten in der Schweiz. Dort werden etwa der Streufall der Bäume, der Zustand der Kronen, der Saftfluss durch den Stamm und die Bodenatmung aufgezeichnet.

- Ebene 5: Der Zustand ganzer Wald ökosysteme wird aufgenommen.

- Ebene 6: Aufgrund von Daten aus Stichproben veröffentlicht das Landesforstinventar unter anderem Ergebnisse zu Waldfläche, Zuwachs, Nutzung, biologischer Vielfalt und Schutzwaldqualität.

- Ebene 7: All diese Daten werden in Vorhersagemodellen zusammengeführt, um ein mögliches Bild vom Wald der Zukunft zu erhalten.

Was in Sachen Nachhaltigkeit und Umwelt in Ihrer Region läuft.

Renommierter Preis für eine Bottomup-Bewegung

Mit 100 000 Franken ist der Binding Preis der höchstdotierte Preis für Biodiversität in der Schweiz. Im Jahr 2024 geht er an die Bürger- und Bürgerinnenbewegung «Cittadini per il Territorio» für das Projekt Parco del Laveggio im Mendrisiotto. Der Fluss Laveggio ziehe sich durch ein recht chaotisch bebautes Tal, einen raumplanerischen «Unort», in dem viele verschiedene Infrastrukturen Platz finden mussten, schreibt die Binding Stiftung, die den Preis verleiht. Mit eindrucksvollem Engagement hätten sich die «Cittadini» dafür eingesetzt, den vernachlässigten Flusslauf in ein wertvolles Naherholungsgebiet umzuwandeln.

Zum Stöbern in die Pflanzenbrocki Zimmerpflanzen sollten nicht als entsorgbare Dekoartikel gesehen werden, sondern als langlebige Lebewesen, die nicht perfekt aussehen müssen. Dieser Gedanke steht hinter der «Pflanzenbrocki» in Bern, die von der Gärtnerin Nora Hürlimann und der Floristin Kristina Hodel betrieben wird. Die beiden wollen einen respektvollen Umgang mit Pflanzen fördern und auch Zimmer- und Balkonpflanzen im Sinne der Kreislaufwirtschaft so lange wie möglich nutzen. Vom Feigenbaum bis zur Kompost-Kaktee kommen alle Pflanzen von Spendern oder wurden aus dem Grüngut, dem Kompost oder dem Abfall gerettet.

Basel-Stadt speichert künftig CO2 im Asphalt Äste von Hecken und Bäumen sowie anderes Grüngut in den Asphalt mischen – diese Idee wirkt wohl auf viele zunächst seltsam. Doch genau das wird in Basel künftig passieren. Die Pflanzenreste werden zuerst mit möglichst wenig Sauerstoff verkohlt und dann dem Asphalt beigemischt. So werden rund zwei Prozent des Asphalts ersetzt und das CO2, das die Bäume und Sträucher aus der Luft aufgenommen haben, langfristig im Baustoff gespeichert. Basel ist die erste Schweizer Stadt, die auf solchen Asphalt mit Pflanzenkohle setzt, und möchte diesen möglichst flächendeckend verwenden.

Stadt der Dachse und Eichhörnchen

Good News: Auch in städtischen Gebieten leben viele Wildtiere. Welche grösseren Tierarten sich in Städten wohlfühlen, hat eine Studie des länderübergreifenden Gemeinschaftsprojekts StadtWildTiere untersucht. Darin haben die Projektbeteiligten Daten von langjährigen Wildtierbeobachtungen aus den drei Städten Berlin, Wien und Zürich verglichen. Dabei resultierten unerwartete Unterschiede: In Berlin etwa leben viele Wildschweine und Waschbären, in Wien gibt es besonders viele Hasen; und in Zürich wurden überdurchschnittlich viele Dachse und Eichhörnchen gemeldet.

Neuer Naturpark Jorat eingeweiht Nördlich von Lausanne wurde im Mai der Naturpark Jorat offiziell eingeweiht. Die zahlreichen Quellen und Feuchtgebiete dieses Waldgebiets machen es zu einem wichtigen Ort für die Erhaltung der Artenvielfalt und für die Erforschung von Ökosystemen.

Die Biodiversität im Park ist bemerkenswert: Sie bietet Lebensraum für 90 bedrohte Arten und 20 Prozent der Tier- und Pflanzenarten der gesamten Schweiz.

Ein biologisches Mittel gegen die Tigermücke Tigermücken können sich in Kanalisationsschächten und stehenden Gewässern besonders leicht vermehren. Die Verbreitung dieser Stechmücke ist auch für Menschen ein Problem, weil sie Krankheitserreger wie das Dengue- oder das Zika-Virus übertragen kann. Um die Ausbreitung der Tigermücke einzudämmen, setzt der Kanton Genf ein biologisches Insektizid ein, das direkt in die Kanalisation eingebracht wird.

Eine Herde Steinböcke gegen die Staumauer von Salanfe

In den Medien kursierten jüngst beeindruckende Bilder von Steinböcken, die eine fast vertikale Wand zur Staumauer von Salanfe hochkletterten. Die spektakuläre Kletterpartie machen die Tiere auf der Suche nach Mineralsalzen, die sie in der Natur nicht finden, aber in den Ablagerungen des Wassers an der Mauer enthalten sind. Der Steinbock musste wieder angesiedelt werden, nachdem er im 19. Jahrhundert aus einigen Regionen, etwa Graubünden, völlig verschwunden war. Derzeit leben in der Schweiz 17 000 Steinböcke.

Man sieht die Berge wieder

Die Berge hinter der Stadt Solothurn sind heute deutlich sichtbarer als noch vor einigen Jahren. Denn es hat weniger Dreck in der Luft: Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid, Feinstaub – die Mengen all dieser Schadstoffe sind rückläufig. Dies zeigt ein Bericht des Kantons Solothurn nach 30 Jahren Luftreinhalteverordnung. Nebst strengeren Vorschriften und moderner Technologie haben auch wirtschaftliche Veränderungen zu dieser Entwicklung beigetragen. Viele Industriebetriebe, etwa die Cellulose-Fabrik Borregaard in Attisholz, die einst grosse Mengen Schwefeldioxid ausstiess, existieren nicht mehr.

SO SOLOTHURN
VS WALLIS
VD WAADT
GE GENF

Vom Hardcore-Camping zum Einsatz für Mensch und Umwelt

Heidi Mück verknüpft im Beruf und in ihrem politischen Engagement Umweltthemen mit sozialen Fragen und Frauenförderung.

Mit meinem Vater waren Ferien in den Bergen eine Art Survival-Camp. Wir machten regelrechte HardcoreWanderungen und zelteten auch bei Dauerregen und Schnee. Ich habe zum Teil jämmerlich gefroren. Erst mit meinen eigenen Kindern zusammen habe ich die Natur neu für mich entdeckt. In den Ferien waren wir viel mit dem VW-Büssli campieren und in der Freizeit war mir wichtig, dass sich die Kinder im Grünen austoben konnten.

Heute schaue ich darauf, dass ich jedes Wochenende rauskomme. Mindestens ins Naherholungsgebiet Langen Erlen bei Basel. Für mich ist vor allem der Wald sehr wichtig: das Grün, die Luft, die Gerüche, das Licht. Ich brauche einfach Bewegung in der Natur, um mich wohlzufühlen.

Daher schätze ich auch die Anlässe der Fachfrauen Umwelt (ffu-pee) sehr, deren Geschäftsleiterin ich bin. Wir verbinden unsere

Generalversammlungen jeweils mit einem Besuch, beispielsweise in einer Gärtnerei, in einem nachhaltigen Betrieb oder in einem Naturschutzgebiet. Auch bei unseren Social Events sind wir draussen unterwegs. Das sind für mich immer echte Highlights, von denen ich total beschwingt nach Hause komme. Auch weil ich wieder so viele starke, interessante und vielseitige Frauen kennengelernt habe. Ich mag einfach Menschen, ihre Hintergründe, ihre Lebensgeschichten.

HEIDI MÜCK

ist 1964 in Basel geboren und lebt dort heute im Quartier Klybeck, direkt an der Grenze zu Kleinhüningen. Sie ist Mutter von drei Söhnen und zweifache Grossmutter. Mück war ursprünglich Rhythmik-Lehrerin und arbeitete danach 20 Jahre als Gewerkschaftsfunktionärin im Bildungsbereich. 2015 suchte und fand sie eine neue Herausforderung: Sie übernahm die Geschäftsleitung der Fachfrauen Umwelt. Der Verein, der mehr als 1000 Mitglieder zählt, vernetzt Frauen aus den verschiedensten Umwelt- und Nachhaltigkeitsberufen. Zudem engagierte sich Heidi Mück stets politisch. Sie ist langjähriges Mitglied im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt.

heidimueck.ch ffu-pee.ch

Frauen- und Umweltthemen zu verbinden, gefällt mir sehr. Bei den Fachfrauen Umwelt ermöglichen wir Frauen in Umwelt- und Nachhaltigkeitsberufen, sich zu vernetzen. Wir organisieren und unterstützen Austausch, Treffen, Arbeitsplatzbesuche oder Weiterbildungsangebote. Zudem verfügen wir über einen Stellenpool, ein Mentoringprogramm und eine Expertinnen-Datenbank. Ein Ziel ist auch, Frauen in Umweltberufen und weibliche UmweltExpertinnen sichtbarer zu machen.

Für mich sind soziale Themen und Umweltthemen stark verknüpft.

Dort wo ich wohne, ist zum Beispiel die Belastung durch den Verkehr recht hoch. Daher habe ich mich unter anderem für Verkehrsberuhigung und mehr Begegnungsraum engagiert. Das ging zulasten von Parkplätzen – und hat vielen nicht gefallen. Ich versuche dann zu vermitteln, worum es geht und die Menschen ins Boot zu holen.

Aktuell bin ich bei «Dreirosen bleibt!» involviert: Wir wehren uns dagegen, dass der Bund im Zuge des Autobahnbauprojektes Rheintunnel eine für die Bevölkerung wichtige Freizeitanlage und Grünfläche für zehn Jahre zu einem Baustellenlager umfunktionieren will.

Da mir Klimaschutz wichtig ist, habe ich mich für die Basler StadtklimaInitiativen engagiert, bei denen es darum ging, die Stadt zu begrünen und klimafreundliche Mobilität zu fördern. Bei der Klimagerechtigkeitsinitiative Basel 2030, die darauf abzielte, dass Basel klimaneutral wird, waren wir sogar erfolgreich: Die Stimmenden haben sowohl die ursprüngliche Initiative als auch den Gegenvorschlag Basel 2037 angenommen. Nach dem Stichentscheid wird nun der Gegenvorschlag umgesetzt.

Was der Klimawandel bewirkt, wird mir besonders deutlich, wenn ich mindestens einmal im Jahr im Aletschgebiet wandern gehe. Dort sehe ich eins zu eins, wie sich die Umwelt verändert: Der Permafrost taut, es entstehen Risse, mehr und mehr Wanderwege sind gesperrt. Das macht mir jedes Mal aufs Neue bewusst, dass wir sorgsam mit der Natur umgehen müssen. Für mich bedeutet das auch, den Zwang zu unbegrenztem Wachstum, auf dem unser Wirtschaftssystem aufbaut, kritisch zu hinterfragen, auch unseren Konsum, wie wir leben und was für uns Lebensqualität bedeutet. Letztlich sägen wir ja am Ast, auf dem wir sitzen.

Das Magazin «die umwelt | l’environnement» des BAFU erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Leserservice

bafu.admin.ch/leserservice

+41 58 200 55 72 Herausgeber

Bundesamt für Umwelt (BAFU). Das BAFU ist ein Amt des Eidg. Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), bafu.admin.ch, info@bafu.admin.ch. Projektoberleitung

Katrin Schneeberger, Géraldine Eicher Stucki Konzept | Produktion

Jean-Luc Brülhart (Gesamtleitung) Redaktion

Large Network, Genève : Santina Russo, Maria-Theres Schuler, Carole Extermann, Pierre Grosjean, Gabriel Sigrist, Carole Berset, Audrey Magat

Externe journalistische Mitarbeit

Bruno Delaby, Roland Fischer, Erik Freudenreich, Florian Niedermann, Lucienne Rey, Daniel Saraga, Maja Schaffner, Sarah C. Sidler, Lisa Stalder Design | Grafiken

Large Network: Aurélien Barrelet, Sabrine Elias, Lena Erard, David Stettler Redaktionsschluss

15. August 2024

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ISSN 1424-7186

In jeder Ausgabe von «die umwelt» schildert eine Persönlichkeit ihre Beziehung zur Natur. Maja Schaffner hat die Aussagen von Heidi Mück zusammengetragen und aufbereitet.

EIN PLAN GEGEN FOOD WASTE

Hier ein Broccoli-Strunk, da ein abgelaufenes Joghurt oder ein trockener Rest Brot: Was wir zu Hause an Essen in den Abfall werfen, fühlt sich nach wenig an. Doch in der Summe verschwenden Schweizer Haushalte 778 000 Tonnen Lebensmittel pro Jahr. Und das ist nicht alles: Food Waste fällt vom Acker bis zum Teller auf der ganzen Wertschöpfungskette an – über die Verarbeitung und den Handel bis in die Gastronomie und die eigene Küche. Insgesamt belaufen sich die vermeidbaren Verluste hierzulande auf einen Drittel der produzierten und importierten Lebensmittel. Weil die Ernährung insgesamt eine hohe Umweltbelastung verursacht, ist Food Waste auch für die Umwelt relevant. Die gute Nachricht: Es gibt viele Hebel, an denen wir ansetzen können, um Food Waste zu reduzieren. In der nächsten Ausgabe von «die umwelt» zeigen wir etwa, wie der Bund gegen Lebensmittelverluste vorgeht, was es mit den Haltbarkeitsdaten verschiedener Lebensmittel auf sich hat oder wie der Detailhandel Lebensmittel über diese Daten hinaus anbieten kann. Zudem sind wir sind zu Gast bei einem Foodsave-Bankett. Und: Wir verwerfen alte Mythen übers Restenessen.

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Intakte Natur auf dem Sustenpass. Es liegt in unserer Verantwortung, die Umwelt und das Klima zu schützen, indem wir nachhaltig handeln und wirtschaften.

Hochbetrieb am Foodsave-Day in der Europaallee in Zürich.

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