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CO2 Fußabdruck 8/9 Aktuelle Meldungen aus Bayern 10/11 Was hat die Klimaklage gebracht?
Illustration: Lone Thomasky Hoher CO2 Fußabdruck: Jede*r Deutsche verursacht im privaten digitalen Alltag durchschnittlich 740 Kilogramm Treibhausgase pro Jahr.
DIGITAL UNTERWEGS
KLIMA SCHONEN
Auch online sorgen wir dafür, dass sich die Erde erwärmt. Doch wie sehr und wodurch? Und wie können wir einen Teil dieses Klimaschadens vermeiden?
IRMELA COLAÇO
Projektleiterin Energiesparen
Der rasante digitale Wandel hat das
Potenzial, unsere Lebensgewohnheiten in nahezu allen Bereichen fundamental zu verändern: Wohnen, Mobilität, Bildung, Arbeit, Freizeit, Konsum, Partnerwahl, virtueller Friedhof ... Was leicht vergessen, aber immer bedeutsamer wird: Wo wir uns in der digitalen Welt auch bewegen, hinterlassen wir ganz reale ökologische Spuren, etwa Treibhausgase. Um abzuschätzen, wie groß diese Spuren sind, hat der BUND den »digitalen CO2- Fußabdruck« berechnen lassen: Durchschnittlich kommen im privaten Alltag umgerechnet rund 740 Kilogramm Treib-
ACHIM HERTZKE
Mitglied im Vorstand des BUND NRW
hausgase pro Person und Jahr zusammen. Das entspricht der Klimabelastung durch einen Hin- und Rückflug von München nach Madrid.
BALLAST ABWERFEN
Mehr als die Hälfte der Treibhausgase entsteht bei der Herstellung von Geräten. Der »Goldstandard« ist daher, möglichst wenige neue Geräte zu kaufen und diese möglichst lange zu nutzen. Gesetzliche Vorgaben für haltbare und reparierbare Geräte müssen dringend nachgeschärft werden und auch die Software einbeziehen. Denn je digitaler unser Umfeld wird, desto größer ist die Gefahr, dass ein an sich intaktes Gerät nicht mehr genutzt werden kann, weil kein SoftwareUpdate zur Verfügung steht.
STROMFRESSER STOPPEN
Rund ein Drittel unseres digitalen CO2 Fußabdrucks entsteht zu Hause. Geräte werden zwar immer effizienter. Wir besitzen aber auch mehr davon, und sie werden größer und komplexer. Gesetzliche Vorgaben müssen dies noch stärker berücksichtigen. Je größer ein Gerät, desto strenger müssen die Anforderungen an die Energieeffizienz formuliert werden.
Beim »smarten« Fernseher etwa lässt sich mit einem kleineren Bildschirm gleich dreifach das Klima schützen: bei der Herstellung des Geräts, im Betrieb und bei der Generierung und Übertragung von Daten. Denn je kleiner der Bildschirm, desto geringer ist die notwendige VideoAuflösung für ein scharfes Bild.
DATENFLUSS ENTSCHLEUNIGEN
Rund sechs Prozent der Treibhausgase entstehen durch den Datenverkehr. Der damit verbundene Energieverbrauch entspricht dem eines kleinen Kühlschranks. Deutschlandweit ist der Energieverbrauch der Rechenzentren von 2010 bis 2020 um rund die Hälfte gestiegen. Die Politik ist gefragt, für einen energieeffizienten Betrieb der Rechenzentren zu sorgen und Leitplanken zu setzen für ein minimiertes Datenaufkommen in allen Sektoren.
Auch beim persönlichen Konsum ist Augenmaß gefragt. Vor allem im Mobilfunknetz lohnt sich das Datensparen: Der Energieverbrauch ist hier fünfmal so hoch wie im Festnetz.
Aktiv werden
Testen Sie Ihr Wissen zum digitalen CO2 Fußabdruck:
aktion.bund.net/das-digitale-klimaquiz
Die BUND-Studie des Öko-Instituts zur Berechnung des digitalen Fußabdrucks finden Sie hier: www.bund.net/
studie_digitaler_fussabdruck
100 JAHRE NATURSCHUTZGEBIET KÖNIGSSEE
Der Schutz der Natur hat am Königssee eine lange Tradition: Bereits im Jahr 1910 wurde hier ein »Pflanzenschonbezirk« ausgerufen, der 1921 – vor genau 100 Jahren – zum Naturschutzgebiet Königssee erweitert wurde.
Der Vorläufer des Nationalparks Berchtesgaden geht wesentlich auf das Engagement des BUND Naturschutz zurück. Der seinerzeit noch junge Verband setzte sich engagiert für Naturschutzbelange rund um den Königssee ein, allen voran
Foto: Umweltministerium Bayern
der geplante Hotelbau auf St. Bartholomä sowie die beabsichtigte monumentale Statue eines assyrischen Löwen in der Falkensteiner Wand konnten damals von den BNAktiven verhindert werden.
Im Rahmen eines Festaktes auf St. Bartholomä, der im Juni stattfand, dankte Umweltminister Thorsten Glauber dem BUND Naturschutz und dem Verein zum Schutz der Bergwelt für ihr großes Engagement, ohne das es den Nationalpark nicht geben würde.
tischer Messverfahren schönzurechnen, mag rechtlich legal sein, moralisch verwerflich ist es trotzdem und für Umweltund Klimaschutz höchst schädlich.« Julia Dade vom JBNLandesvorstand ergänzte: »Statt weiter solche Mogelpackungen auf den Markt zu bringen, muss BMW einen klaren Pfad zu weniger, kleineren und rein batterieelektrischen Fahrzeugen bis spätestens 2030 beschreiten. Größe und Zahl der Autos wird zurückgehen müssen, darauf muss der Konzern sich einstellen.«
MEGASTÄLLE: DER BN BLEIBT DRAN
Der Gerichtsstreit um eine gigantische Hähnchenmastanlage in Eschelbach im Landkreis Pfaffenhofen geht in eine neue Runde.
Mit einer umfangreichen Klagebegründung rechnet sich der BUND Naturschutz Chancen aus, dass dem Betreiber eines Megastalls für 124 600 Hühner die Betriebsgenehmigung, die erst im Januar erteilt wurde, nun doch wieder entzogen wird. »Gerichte müssen entscheiden, was die Politik nicht geregelt hat«, so BNVorsitzender Richard Mergner. »Massentierhaltung muss endlich gestoppt werden. Hierzu müsste der verbindliche Anbau der Hälfte des benötigten Futters in angemessener Entfernung zur Betriebsstätte als Bedingung aufgenommen werden«, erläutert Mergner.
Der Gerichtsstreit geht damit in eine neue Runde, nachdem der Genehmigungsbescheid für die vorher geplanten 144 000 Mastplätze im Klageverfahren des BN und einer Bürgerinitiative aufgehoben wurde. Später wurde jedoch eine Betriebsgenehmigung für die reduzierte Mastplatzzahl erteilt. Der BN bleibt dran!
PROTEST BEI BMW
Trotz Corona-Pandemie ist die BMW AG erstaunlich gut durch das Geschäftsjahr 2020 gekommen, nicht zuletzt dank Subventionen und Stellenabbau. Angesichts der Klimakrise eine Dividende von über einer Milliarde Euro auszuschütten, stößt beim BUND Naturschutz auf massive Kritik.
Anlässlich der Aktionärsversammlung im Mai forderten der BN und die Jugendorganisation JBN das Unternehmen auf, in den Konzernumbau und die Qualifizierung der Belegschaft zu investieren statt hohe Dividenden an die Aktionäre auszuschütten (siehe Bild).
BNVorsitzender Richard Mergner betonte: »Sich große SUV mit Hilfe unrealis
Foto: JBN
SOLAROFFENSIVE STATT SCHNECKENTEMPO
Mit der Aktion »Solaroffensive statt Schneckentempo« fordern über 10 000 Bürgerinnen und Bürger Ministerpräsident Markus Söder auf, die Ausbauziele für Solarenergie in Bayern nach oben zu schrauben, die Kommunen bei der Wärmewende zu unterstützen, das Energiesparen voranzubringen und die Solarpflicht einzuführen.
Die Initiatorinnen und Initiatoren der Aktion vom BUND Naturschutz, dem Umweltinstitut München, dem Solarverband Bayern und der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie überreichten im Juni die gemeinsam gesammelten Unterschriften an die Staatskanzlei.
Gefordert wird in der Petition unter anderem die Einführung der Solarpflicht. Sie
Foto: Christoph Dörfler
soll für Neubauten auf Wohn und Gewerbeimmobilien sowie bei Gebäudesanierungen gelten. Die Ausbauziele für Ökoenergie in Bayern sollen angehoben werden, auf mindestens 56 Gigawatt Fotovoltaik und 20 Gigawatt Solarthermie bis 2030. Darüber hinaus soll eine kommunale Wärmeplanung verpflichtend werden und die Energieeffizienz durch eine verbindliche, langfristige Energiesparstrategie gestärkt werden, mit dem Ziel, bis 2040 den Energieverbrauch Bayerns zu halbieren.
STUDIE DER TU MÜNCHEN: ERNEUERBARE ENERGIE FÜR BAYERN MACHBAR
Bayern kann sich im Jahr 2040 zu 100 Prozent mit Erneuerbaren Energien versorgen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Lehrstuhls für Energiesysteme der Technischen Universität München und des Zentrums für angewandte Energieforschung im Auftrag des BUND Naturschutz.
Von zentraler Bedeutung, so stellten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen fest, sind Energiesparen, Energieeffizienz und der Ausbau Erneuerbarer Energien. Notwendig sind dafür jedoch eine deutliche Verbrauchsreduzierung in allen Sektoren und ein massiver Zubau von Fotovoltaik, Windkraft und Batteriespeichern. »Diese Studie zeigt, wie man nicht nur ›neue Klimaschutzziele‹ fordert, sondern sie auch erreicht«, so BNVorsitzender Richard Mergner bei der Vorstellung der Studie. »Der BN fordert von Ministerpräsident Markus Söder und den Fraktionsvorsitzenden von CSU und Freien Wählern, dem bayerischen Klimaschutzgesetz jetzt endlich Zähne einzuziehen.« Die politische Diskussion nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der Ankündigung der Staatsregierung, bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu werden, würden zeigen, so Mergner, wie aktuell das Thema sei.
Link zur Studie
Aktive der JBN fordern hier ein besseres Klimaschutzgesetz für Bayern. Gerade für junge Menschen bedeutet das Urteil aus Karlsruhe eine Stärkung ihrer Rechte.
URTEIL DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS
RIESENERFOLG FÜR DAS KLIMA
F o t o : T oni Mader
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur »Klimaklage« schlug hohe Wellen. BN-Landesgeschäftsführer Peter Rottner war einer der Kläger. Im Interview erklärt er, was ihn motiviert hat – und was das Urteil bedeutet.
Natur+Umwelt: Warum wurde Verfassungsbeschwerde eingereicht?
Peter Rottner: Wir haben Verfassungsbeschwerde eingereicht, weil die Verschärfung der Klimakrise ein entschiedenes politisches Handeln erfordert. Die derzeitigen Regierungen in Berlin und München haben seit Jahren zu wenig getan, um das in der Klimakonferenz von Paris vereinbarte Klimaziel von maximal 1,5 Grad Erwärmung noch erreichen zu können. Insbesondere im Verkehrssektor sind die Anstrengungen viel zu gering.
In 2018 waren die Klimaveränderungen so augenscheinlich, dass wir Juristen im Arbeitskreis Recht des BUND gesagt haben: Jetzt können wir es wagen, zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Und ich fand, dass es meine Pflicht gegenüber meinen Kindern und den nachfolgenden Generationen war, hier mit den Möglichkeiten, die ich habe, eine Wende herbeizuführen. Darum habe ich auch persönlich die Verfassungsbeschwerde mit eingereicht.
Warum kam diese Klage nicht schon früher?
Erst nach dem Pariser Abkommen von 2015 gab es überhaupt eine Möglichkeit, über eine Verfassungsbeschwerde juristisch eingreifen zu können. Und die tatsächlichen Klimaentwicklungen verschlimmerten sich so rapide, dass wir dachten, das Verfassungsgericht wird sich dieser besorgniserregenden Entwicklung nicht mehr verschließen. Eine Verfassungsbeschwerde ist nämlich nur erfolgreich, wenn der Verfassungsverstoß schwer und unerträglich ist.
Was haben wir erreicht?
Erstens haben wir erreicht, dass die Politik die Klimaziele verschärfen muss, weil sonst die zukünftigen Generationen durch noch schärfere Sparmaßnahmen und größere Freiheitseinschränkungen betroffen wären. Damit hat das Verfassungsgericht die Intergenerationengerechtigkeit als maßgebliches rechtliches Prinzip ge
schaffen, was so nicht unbedingt zu erwarten war.
Ebenso wurde zweitens der Vertrag von Paris als bindend für deutsche Regierungen angesehen, auch wenn Deutschland »nur« 2 Prozent des weltweiten Klimagasausstoßes verursacht. Das ist von großer Bedeutung, weil damit die strengen Ursächlichkeitsregeln in der Juristerei aufgeweicht werden, an denen viele Umweltklagen bisher scheiterten. Die alleinige Ursächlichkeit ist nicht mehr nötig, es reicht eine Mitverursachung. Und drittens können sich die Kläger auf das Staatsziel Umweltschutz berufen, das in Art. 20a des Grundgesetzes festgelegt ist (siehe Kasten). Das ist neu, weil sich bisher Bürgerinnen und Bürger vor Gericht nicht auf diesen Grundgesetzartikel berufen konnten.
Und was haben wir nicht erreicht?
Leider können die Umweltverbände sich vor dem Verfassungsgericht nicht auf die Einhaltung der Grundrechte und der Umweltvorschrift des Art. 20a berufen. Diese Klagen der Umweltverbände wurden abgewiesen. Damit ist es diesen Verbänden verwehrt, in Umweltsachen das Verfassungsgericht anzurufen, es sei denn, die Umweltverbände sind selbst in ihrem Eigentumsgrundrecht betroffen, zum Beispiel weil ihre Naturgrundstücke geschädigt werden.
Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht es leider nicht als erforderlich angesehen, sofort die Regierung anzuweisen, die Klimamaßnahmen zu verschärfen. Das ist sehr bedauerlich, weil uns allen damit wertvolle Zeit verloren geht, den Klimawandel trotz zunehmender Dürreperioden oder auch Extremniederschlägen wie zuletzt in RheinlandPfalz und NordrheinWestfalen zu stoppen.
Was sind mögliche Auswirkungen auf andere Klageverfahren im Umweltbereich?
Das Bundesverfassungsgericht schreibt in seiner Urteilsbegründung, dass Art. 20a des Grundgesetzes »justiziables« Recht sei. Dies könnte bedeuten, dass in den Verwaltungsprozessen geltend gemacht werden könnte, dass aus dieser Bestimmung verschärfte Prüfungsbestimmungen für Eingriffsprojekte wie neue Straßenbauten und andere Eingriffsprojekte herzuleiten sind. Es wird nun spannend, wie die Verwaltungsgerichte damit umgehen werden und ob sich daraus ein höheres Schutzniveau ergibt, also inwieweit wir mehr Naturräume damit retten können. Und es wird spannend, ob wir aus Klimaschutzgründen Einzelprojekte stoppen können.
Beispielsweise, ob wir einwenden können, dass eine bestimmte Straße aus Klimaschutzgründen nicht gebaut werden darf, etwa der Autobahnneubau auf der Trasse der B 12 Buchloe — Marktoberdorf — Kempten oder ein Fernstraßenbau wie die Westumgehung Würzburg (Arnstein — Karlstadt — A 3). Das wird spannend!
Artikel 20 a
DES DEUTSCHEN GRUNDGESETZES
»Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.«
Das Klagebündnis von Solarenergie Förderverein Deutschland, BUND und vielen Einzelklägern hatte im November 2018 Verfassungsbeschwerde wegen der völlig unzureichenden deutschen Klimapolitik erhoben, weil diese die Grundrechte auf Leben, Gesundheit, Existenzminimum und Eigentum verletzt. Unter den Einzelklägern sind Prominente wie der Schauspieler Hannes Jaenicke, der ehemalige Bundestagsabgeordnete Josef Göppel (CSU) und der Energieexperte Professor Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Das Bundesverfassungsgericht hat zugleich ähnliche Klagen Jugendlicher und Erwachsener aus dem In und Ausland mit entschieden, die von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sowie von Germanwatch, Greenpeace und Protect the Planet seit Anfang 2020 erhoben und unterstützt wurden.
Im April 2021 gab das Bundesverfassungsgericht den Klägerinnen und Klägern recht und erklärt, das deutsche Klimaschutzgesetz sei in der aktuellen Form mit den Grundrechten teilweise unvereinbar. Das Gericht erklärt die 1,5GradGrenze des Pariser Klima Abkommens mit seinem Urteil letztlich für verfassungsrechtlich verbindlich. Die Karlsruher Richter verpflichten den Gesetzgeber, bis Ende 2022 die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 genauer zu regeln. lf