Zürcher KMU 1 2016

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DAS ZÜRCHER UNTERNEHMER-MAGAZIN

BANKENPLATZ ZÜRICH

BLICK NACH VORNE

S TA N D O R T M A R K E T I N G

FINMA

UNTERNEHMEN

Balz Hösly, der Chefakquisiteur

Mark Branson zu den Verklickt und Eigenmittelvorschriften verschuldet


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IRNUHBAR LI K T

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Wie schafft es der Finanzplatz Zürich auch international noch immer ganz vorne mitzuhalten? Für das Vermögensverwaltungsgeschäft war und ist Zürich der wichtigste Hafen für internationale Kunden.

Fotoquelle: Bilderbox.com/zVg

AKTUELL 4 ETH Zürich: Der Rohstofffluch 5 Zürcher Technopark: Stärken ausbauen

IM GESPRÄCH 6 Standortmarketing: Balz Hösly von der Greater Zurich Area AG

THEMA 10 Bankenplatz Zürich: Nach vorne blicken 12 Mark Branson: Die Finma ist ein Aufsichts-, keine Regulierungsbehörde

Balz Hösly: Die Greater Zurich Area AG akquiriert internationale Unternehmen und unterstützt sie bei ihrer Ansiedlung im Wirtschaftsraum Zürich.

UNTERNEHMEN

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16 Three Coins: Lehrt Jugendliche Finanzkompetenz 18 Marktlücke GmbH: Lücke zum Glück 20 ORS Service AG: Im Auftrag des Staates

ZÜRCHER PIONIERE 24 Othmar Ammann: Weitsichtiger Brückenbauer

KULTUR 26 Eveline Hasler: Stürmische Jahre am Zürcher Schauspielhaus

30 Finanzrequiem: «Gesänge aus der Unruhe» 31 Dadaglobe reconstructed: 100 Jahre Dada

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Der Bundesrat plant verschärfte Regeln in Bezug auf die Eigenmittelvorschriften der Banken. Mark Branson, Direktor der Finma, befürwortet die Vorlage.

BUSINESSLUNCH 32 «Intermezzo» im Kongresshaus

RECHT 35 Arbeitszeiterfassung: Ungleiche Ellen

NETZWERKE 36 Durchsetzungsinitiative: Nein zu mehr Unsicherheit 37 Arbeitsrecht: Harte Folgen Fotoquellen: zVg

38 ZÜRICH IM BILD

Eveline Hasler ist eine Meisterin des historischen Romans. Mit Vorliebe macht sie sich dabei auf die Spuren von vergessenen Persönlichkeiten.

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IMPRESSUM ZÜRCHER KMU – Das Zürcher Unternehmer-Magazin erscheint im Verlag SWISS BUSINESSPRESS SA, Zürcherstrasse 20, 8952 Schlieren, Zürich, Telefon 044 306 47 00, Fax 044 306 47 11, www.unternehmerzeitung.ch, print@zürcherkmu.ch HERAUSGEBER Remo Kuhn, kuhn@unternehmerzeitung.ch REDAKTION Dominique Lieb, lieb@swissnews.ch; Anouk Arbenz, arbenz@swissnews.ch; Peter Blattner, blattner@unternehmerzeitung; Delia Bachmann, bachmann@swissnews.ch; Silvan Buholzer, buholzer@swissnews.ch MARKETING Felix Keller, keller@unternehmer zeitung.ch MITARBEIT AN DIESER AUSGABE Fredy Gilgen, Nicolas Facincani, Regine Sauter, Hans Strittmatter LAYOUT & PRODUKTION Bruno Strupler, strupler@swissnews.ch; Silvan Buholzer, buholzer@swissnews.ch DRUCK Stämpfli AG, Wölfli strasse 1, 3001 Bern NACHDRUCK Mit schriftlicher Genehmigung des Verlags und detaillierter Quellenangabe ©Unternehmerzeitung /SWISS BUSINESSPRESS SA; Ep: Fr. 6.– , Abo: Fr. 30.– TEXT- UND BILDMATERIAL Für unverlangt eingesandtes Text- und Bild material wird keine Haftung übernommen. Im Verlag SWISS BUSINESSPRESS erscheinen ausserdem: UNTERNEHMERZEITUNG – Fachblatt der Firmeninhaber und -Inhaberinnen in der Deutschschweiz

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AKTUELL

Der Rohstofffluch B O D E N S C H Ä T Z E Eine Sonderausstellung im Geologischen Institut der ETH Zürich zeigt den Lauf mineralischer Rohstoffe: Von der Gewinnung über den Handel bis hin zur Verarbeitung zum Alltagsprodukt.

TEXT DOMINIQUE LIEB

Mineralischen Stoffen begegnen wir überall, sei es als Kalziumkarbonat im Scheibpapier, als Kupferdrähtchen im Computer, als Quarz im Trinkglas oder als Silberring am Finger. Die Bezeichnung von Epochen wie der Steinzeit, Eisenzeit oder Bronzezeit zeugen von der Wichtigkeit der Naturstoffe in unserer kulturgeschichtlichen Entwicklung. Kreislaufwirtschaft Für die Ausstellung im Lichthof des Geologischen Instituts wurden für die

Welt der Rohstoffe Informationsinseln angelegt, die den Zusammenhang der Verarbeitungsprozesse aufdecken. Rohstoffe gibt es im Prinzip in rauen Mengen. Bei der Gewinnung und Nutzung von natürlichen Ressourcen dringt der Mensch mittels neuer Technologien immer tiefer in die Erde ein, mit zum Teil erheblichen Folgen für die Ökosysteme. Gemäss Schätzungen des Geologischen Dienstes der Vereinigten Staaten lagern im Boden noch ungefähr 6.3 Milliarden Tonnen Kupfer. Um das besonders leitfähige Edelmetall zu gewinnen, ist ein grosser Energieaufwand nötig. Der gute Zustand unserer Umwelt hängt aber von einem CO2-armen Wirtschaftswachstum ab, daher muss die Rohstoffgewinnung effizienter genutzt werden. Hier ist ein Umdenken nötig: Weg von einer linearen Wirtschaft (herstellen – nutzen – wegwerfen) hin zu einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft. Dafür gibt es bereits erfolgreiche Geschäftsmodelle, wie beispielsweise Urban-mining oder das Carsharing.

Focus Terra: Sonderausstellung über unseren Umgang mit Rohstoffen. Foto: pixelio.com

Schweizer Rohstoffsektor Auch die wirtschaftlichen Zusammenhänge werden gezeigt, denn als Handelsgüter sind Rohstoffe sprichwörtlich Gold wert. Obwohl die Schweiz ein rohstoffarmes Land ist, sind sieben der zehn grössten Schweizer Firmen Rohstoffhändler. Vorsichtig geschätzt läuft rund ein Viertel des globalen Rohstoffhandels über die Schweiz. Sie steht deshalb in einer besonderen Verantwortung, da die Rohstoffe meist aus armen Ländern kommen. Beim Handel entsteht regelmässig ein Risiko, weil an die jeweiligen Regierungen geleistete Zahlungen aufgrund von Misswirtschaft, Korruption oder Steuerflucht versickern. BodenSchätzeWerte: Noch bis zum 28. Februar 2016 www.focusterra.ethz.ch

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Der Event Silicon Valley meets Zürich bietet eine Plattform, um das internationale Netzwerk zu erweitern.

Foto: zVg

Stärken ausbauen I N N O VAT I O N

Bereits zum zweiten Mal bringt das Netzwerk Extendance unter der Leitung von Ralf Haller im

Zürcher Technopark IT-Trends und -Innovationen aus der Schweiz und dem Silicon Valley auf eine Bühne.

TEXT DOMINIQUE LIEB

Dank gut ausgebildeter IT-Experten gehört die Schweiz in Bezug auf ihre Innovationstätigkeit zu den führenden Ländern weltweit. Trotz dieses Potentials scheinen wir aber bei der Gründung von Startups ins Hintertreffen zu geraten, während London oder Berlin ihren Talentpool durch Zuwanderung und Austausch ständig vergrössern. In der Wachstumsphase benötigen Jungunternehmer vor allem Risikokapital, um gute Ideen entwickeln zu können. Ebenso sind Mentoren und funktionierende Netzwerke entscheidend. Der Event im Technopark bietet eine ideale Plattform für KMU und Organisationen, um strategische Bündnisse zu schliessen und das internationale Netzwerk zu erweitern. Was können die Besucher vom Event «Silicon Valley meets Zurich» erwarten? Ralf Haller Hier können sie die neuesten IT-Trends aus dem Silicon Valley von sieben führenden Startups kennenlernen. Wir haben Firmen wie Hortonworks, Coinbase, Arista Networks, Zuora und Jawbone nach Zürich eingeladen. Highlights aus der Schweiz liefern Prä-

Ralf Haller ist Managing Director von Extendance.

sentationen zu Industrie 4.0, Robotics, The Human Brain Project und einigen IT-Start-up-Hoffnungsträgern. Im Silicon Valley kommen IT-Innovationen und Trends praktisch nur von Startup Investments, während in der Schweiz viele andere Initiativen Innovationen fördern, wie beispielsweise die ETH. Die Startup-Szene ist hier aber immer noch relativ schwach. Darum veranstalten wir diesen einmaligen Event. In welchen Bereichen können wir vom Silicon Valley lernen? Man kann und sollte das Silicon Valley nicht kopieren, sondern seine eigenen Stärken weiter ausbauen. Im Silicon Valley gibt es viel mehr Risikokapital als in der Schweiz – dafür ist aber auch die Konkurrenz viel grösser. Bei den Entwicklungen im Silicon Valley geht es vor allem darum, Innovationen im IT- Bereich schnell auf den Markt zu bringen. Das scheint häufig wichti-

SILICON VALLEY MEETS ZÜRICH 31. März 2016, Opens: 8:30 Uhr, Technopark Zürich, Ticketpreise kosten 250 Franken, für VIP 350 Franken, für Startups 125 Franken. www.siliconvalleymeetsswitzerland.com

ger zu sein, als Details auszuarbeiten. Die Stärke der Schweiz ist es, Projekte sorgfältig zu entwickeln. Wenn wir versuchen, mit dem Silicon Valey zu konkurrieren oder dieses zu kopieren, werden wir scheitern – da haben wir keine Chance. Ein Thema, das bei uns noch immer nicht richtig verstanden wird, sind Stockoptionen. Im Silicon Valley wird niemand arbeiten, ohne eine Belegschaftsaktie neben seinem Gehalt zu bekommen. In der Schweiz ist das nicht der Fall. Auch steuerlich haben wir da noch nicht die geeigneten Strukturen geschaffen. Inwiefern können die Gäste aus San Francisco vom Event in Zürich profitieren? Die Schweiz ist ein grosser IT-Markt mit einizgartigem Knowhow. Das pro Kopf Investment ist das grösste weltweit. Auch in absoluten Zahlen sind viele Grossunternehmen hier angesiedelt, die stark in IT investieren, um wettbewerbsfähig zu sein. Zu IT-Awendungsthemen hat es hier hochinteressante Firmen wie Sharoo, Nexthink oder Crowd. Wir stellen einige dieser Firmen und Themen vor, die für unsere Gäste sicher neu sind und sie überraschen werden.

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IM GESPRÄCH

Kostspielig aber attraktiv S TA N D O R T M A R K E T I N G Die Greater Zurich Area AG akquiriert internationale Unternehmen und unterstützt

sie bei ihrer Ansiedlung im Wirtschaftsraum Zürich. Im November 2015 hat der Kantonsrat von Zürich den Beitrag für die Standortmarketing-Organisation bis zum Jahr 2019 verlängert.

Am gemeinsamen Standortmarketing der Greater Zurich Area AG (GZA) beteiligen sich die Kantone Glarus, Graubünden, Schaffhausen, Solothurn, Schwyz, Zug, Zürich und neu auch Uri. In deren Auftrag betreibt die Greater Zurich Area Standortpromotion und Akquisition im Ausland. Laut einer Studie von Ernst & Young wurden von 2009 bis 2013 durch Standortmarketing-Aktivitäten im Wirtschaftsraum Zürich 464 Unternehmen angesiedelt, die über 4000 neue Arbeitsplätze schufen. Dadurch generiert der Kantonale Beitrag von rund zwei Millionen Franken pro Jahr an die GZA ein Mehrfaches an Steuereinnahmen. Seit 2011 ist Balz Hösly VR-Präsident der Organisation. Mit dem Standortmarketing möchte er den Wirtschaftsraum Zürich vor allem durch die Ansiedlung von innovativen Hightech-Unternehmen stärken. Sie waren als Direktor bei der Osec für die Schweizer Exportförderung zuständig. Heute holen Sie für die Greater Zurich Area internationale Firmen in die Schweiz. Gibt es bei den Tätigkeiten Parallelen? Dr. Balz Hösly Wenn Sie ein Schweizer Unternehmen ins Ausland begleiten, muss man eine Brücke schlagen können zwischen den Eigenheiten des Zielmarktes und den Bedürfnissen des Unternehmens. Zudem kommt jedes Unternehmen auch mit dem Gedanken der internationalen Weiterentwicklung im Hinterkopf hierher. Diese Unternehmen wollen hier eine Basis schaffen, um später nach Europa oder in die Welt zu expandieren. Marktanalyse, strategisches Verständnis und praxisgeprägtes Beratungs-Knowhow spielen sowohl bei der Exportförderung als auch beim Standortmarketing eine Rolle. Wie wird die GZA finanziert? Wir haben ein Budget von gut vier Millionen Franken pro Jahr. Davon trägt der Kanton Zürich etwa die Hälfte und die Privatwirtschaft knapp ein Drittel. Die restlichen sieben Kantone, die Stadt Zürich und die Region Winterthur zahlen zusammen nochmals einen Viertel. Wir sind eine der wenigen internationalen Standortmarketingorganisationen, die konse-

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quent als Public Private Partnership organisiert ist und so stark durch die Privatwirtschaft mitfinanziert wird. Ihr Ziel ist es, internationale Firmen in die Wirtschaftsregion Zürich zu bringen. Welche Hauptmärkte sind interessant für das GZA? Gibt es neue, welche Sie akquirieren möchten? Fokusmärkte der GZA sind die USA, China und Europa. In diesen Märkten setzen wir auch die meisten finanziellen und personellen Ressourcen ein. Da uns unsere Partner aus der Privatwirtschaft in den letzten Jahren gut 60 Prozent mehr Mittel zur Verfügung gestellt haben, konnten wir unsere Tätigkeit kontinuierlich erweitern. Wir haben Taiwan und Korea evaluiert und wir beobachten Indien und Brasilien intensiv. Ich kann mir gut vorstellen, dass im Laufe der nächsten Jahre einer dieser Märkte zu einem zusätzlichen Zielmarkt für die GZA wird. Reichen 16 Mitarbeitende, um den Wirtschaftsraum Zürich weltweit zu vermarkten? Einerseits sind wir nicht weltweit tätig, sondern fokussieren unsere Aktivtäten auf spezifische Märkte und Industriezweige. Wir sprechen auch ganz gezielt nur Unternehmen aktiv an, die den Wirtschaftsraum stärken und ergänzen können. Zusätzlich haben alle unsere Mitgliedskantone Mitarbeitende in der Standortförderung. Zusammengenommen sind das nochmals etwa zwölf Leute. So können wir also rund 30 Personen im Rahmen eines Ressourcenpoolings im Standortmarketing einsetzen. Das hat sich bewährt und ist ausreichend, um Schwergewichte zu bilden und die Greater Zurich Area in den Märkten aktiv zu vertreten. Sie bieten kostenlose Beratungen an. Worum geht es da im Einzelnen? Es gibt Unternehmen, die brauchen Informationen darüber, wie man eine Firma in der Schweiz gründet. Andere wollen wissen, wie sie sich am besten vernetzen. Es interessieren auch allgemeine Organisationsfragen, etwa: Wie bekomme ich eine Baubewilligung? Wie muss ich mich organisieren, auch im Hinblick auf das Steuersystem? Wie sieht es mit Arbeitsbewilligungen für Ausländer aus? Die Unternehmen setzen sich jene Puzzle-Steine

zusammen, die auf ihre Interessen am Wirtschaftsraum Zürich zugeschnitten sind. Damit bringen wir die Unternehmen mit der Wirtschaftsförderung der Kantone zusammen. Das ist eine ganz wichtige Phase im Evaluationsprozess. Wenn eine Unternehmen feststellt, dass in der staatlichen Administration ein unternehmerfreundliches Klima herrscht, kann das ein matchentscheidender Wettbewerbsvorteil für einen Wirtschaftsraum sein. Ihre Organisation deckt die Region von Solothurn bis Chur und von Uri bis Schaffhausen ab. Sind da interne Interessenskonflikte um gute Anwärter nicht vorprogrammiert? Wenn ein Unternehmen aus dem Ausland den Wirtschaftsraum Zürich evaluiert, dann haben wir intern acht Interessenten. Wir haben deshalb einen sehr detaillierten Kriterienkatalog entwickelt, mit dem wir das Unternehmen analysieren und dessen Bedürfnisse evaluieren. Anhand spezifischer Kriterien können wir unseren Kantonen die Entscheidungsfindung bei der Ansiedlung sehr transparent aufzeigen. Es sind dann die Kantone, welche den interessierten Unternehmen ihre individuellen Vorzüge möglichst BALZ HÖSLY Nach dem Studium war Dr. Balz Hösly bei der Winterthur Versicherung und der Credit Suisse Gruppe im internationalen Geschäft sowie in der strategischen Projektleitung tätig: Er war unter anderem verantwortlich die Erschliessung der Märkte in Osteuropa, die grenzüberschreitende Versicherung von international tätigen KMU in der EU oder den Aufbau einer Versicherung mit alternativen Vertriebskanälen in der Schweiz. Im Jahr 2000 wechselte er zur schweizerischen Exportförderungsorganisation Osec, welche er als CEO strategisch neu positionierte und internationalisierte. 2004 wurde er Partner im Wirtschaftsanwaltsunternehmen MME Legal AG in Zürich und Zug. Hier hat sich Balz Hösly auf die Unternehmensnachfolge, Erbrecht und Internationalisierungsfragen von Unternehmen spezialisiert. 2011 wurde er zum VR-Präsidenten der Greater Zürich Area gewählt. Heute ist er zu 50 Prozent als Wirtschaftsund Erbrechtsanwalt und zu 50 Prozent als Verwaltungsrat in verschiedenen Unternehmen tätig.

Foto: zVg

INTERVIEW DOMINIQUE LIEB


gut verkaufen müssen. Letztlich entscheiden aber die Unternehmen, welchen Standort sie bevorzugen. Welches sind die Hauptbarrieren für ausländische Firmen, um nach Zürich zu kommen? Wir sind ein attraktiver, aber auch kostspieliger Standort. Mit einer tiefen Wertschöpfung findet man hier keine Zukunft. Ansiedlungswillige Unternehmen müssen die Kosten dieses Standortes tragen können. Wenn Sie ein Topprodukt oder eine Topdienstleistung in Ihrem Segment anbieten, haben Sie in der Regel aber auch standort-adäquate Margen. Wir sind zudem kostenmässig durchaus vergleichbar mit anderen Standorten. Eine weitere Herausforderung ist die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften, seien dies hochqualifizierte Handwerker, Ingenieure, IT-Spezialisten, Juristen oder Volkswirtschafter. In der letzten Zeit sind in Zusammenhang mit der Rekrutierbarkeit von qualifiziertem ausländischen Personal Unsicherheiten entstanden, vor allem weil die Zuwanderungspolitik und die Masseneinwanderungsinitiative weltweit in den Medien kommentiert worden sind. Unternehmen wollen wissen, ob sie noch Spezialisten aus Drittstaaten wie Indien, China oder aus den USA in die Schweiz holen können. Das dritte Element ist das zunehmend angeknackste Image der rechtssicheren Schweiz. Viele wirtschafts- und standortkritische Abstimmungen und Diskussionen haben im internationalen Umfeld Spuren hinterlassen und das Bild der Schweiz bei ausländischen Unternehmen getrübt. Würde die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative das Ende Ihrer Standortmarketingorganisation bedeuten? Das glaube ich nicht. Eine Studie des SECO zeigt auf, dass die Massnahmen des Bundes und der Kantone im Rahmen der Standortpromotion, welche auf die Neuansiedlung von Firmen abzielen, lediglich rund zwei Prozent der jährlichen Nettozuwanderung in die Schweiz verursachen. Auf die gesamte jährliche Zuwanderung im Kanton Zürich von rund 15 000 Personen sind demnach also nur knapp 300 Personen pro Jahr direkt auf das Standortmarketing zurückzuführen. Ausländische Mitarbeitende kommen als Repräsentanten eines internationalen Unternehmens in unser Land, das in der Folge Mitarbeitende aus dem Schweizer Markt anstellt. Jedes Unternehmen sucht ja erst dann Mitarbeitende im Ausland, wenn es in der Schweiz keine mehr findet. So wurde zwischen 2000 und 2010 jeder zweite neue Arbeitsplatz in

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IM GESPRÄCH

der Schweiz von international tätigen ausländischen Firmen geschaffen. Deswegen haben wir die Wirtschaftskrise nach 2008 mit einem blauen Auge überstanden. Ich bin Feuer und Flamme für ein Standortmarketing, welches dazu beiträgt, den Wirtschaftsraum volkswirtschaftlich zu stärken. Weil es uns hilft, wettbewerbsfähig zu bleiben und Wirtschaftskrisen besser zu meistern. Konnten Sie in den letzten Jahren grosse «Fische» nach Zürich bringen? Wir arbeiten eng mit allen Akteuren zusammen, was hie und da zur Ansiedlung von «grossen Fischen» führen kann. Ich gebe Ihnen drei Beispiele. Die Firma Biogen, eines der weltweit führenden Biotechunternehmen, hat sich in Solothurn angesiedelt. Sie baut dort eine biopharmazeutische Produktionsanlage, und bis 2019 sollen 400 Stellen geschaffen werden. In Zürich selber hat sich die China Construction Bank angesiedelt, die erste grosse internationale chinesische Bank. Damit ist Zürich für chinesische Unternehmen ein noch interessanterer Standort geworden. Eine «eigene» Bank vor Ort zu haben, ist immer ein Katalysator. Auch Google wurde bei der Standortevaluation und der Ansiedlung von der GZA mitbetreut. Google hat kürzlich in der Europaallee zusätzliche Geschäftsräumlichkeiten gemietet und

schafft auf etwa 50 000 Quadratmetern neue Arbeitsplätze, direkt am Bahnhof. Dies ist ein Bekenntnis zum Standort – Google scheint sich hier offenbar wohl zu fühlen. Haben Sie auch Beispiele für mittelgrosse Unternehmen? Ja, zum Beispiel der amerikanische E-Commerce Pionier Groupon, welcher 2011 seine internationale Zentrale in Schaffhausen aufgebaut hat und heute knapp 60 Personen beschäftigt. Ein anderes Unternehmen ist der dänische Pumpenhersteller Grundfos, welcher sich 2014 in Zug angesiedelt hat. Wie wird sich das Standortmarketing in den nächsten Jahren entwickeln? Sicher ist: Standortmarketing muss internationale Entwicklungen noch besser analysieren können. Wir müssen früher antizipieren können, was die wirklichen Bedürfnisse von Unternehmen sind, die sich nach neuen Standorten im Ausland umsehen. Dabei spielt die Bedeutung von sogenannten «Global Cities» oder Metropolitanregionen eine zentrale Rolle. Wir glauben auch, dass die innereuropäische Dynamik eine grössere Rolle spielen wird als früher. Wir stellen fest, dass Unternehmen in Europa vermehrt dislozieren, wenn Standorte gezielt in ihre Wettbewerbsfähigkeit investieren. Es fällt

den Unternehmen zudem immer einfacher, schnell und unkompliziert einen Standort zu wechseln. Ein weiterer zentraler Faktor für unser Standortmarketing: Unternehmen müssen die besten Leute aus aller Welt hierher holen können, damit sie im Wirtschaftsraum Zürich konkurrenzfähig bleiben. Wo setzen Sie in diesem Jahr Ihre Prioritäten? Wir möchten die Beziehungen zu unseren Partnern in der Greater Zurich Area und in den Märkten vertiefen, um gemeinsam zeigen zu können, weshalb der Wirtschaftsraum Zürich zu den weltbesten Standorten für internationale Unternehmen gehört. Hierzu möchten wir in diesem Jahr noch stärker und spezifischer auf innovative High-Tech-Unternehmen zugehen, weil sie hier optimale Bedingungen für ihre Geschäftstätigkeit finden. Wir müssen uns noch bewusster werden, wie wichtig Standortmarketing für unseren Wirtschaftsraum im internationalen Umfeld geworden ist. Das ist eine Frage der Information und der finanziellen und politischen Unterstützung. Die Unterstützung durch unsere Mitgliedskantone und vor allem auch durch die Mittel und das globale Netzwerk unserer Partner aus der Privatwirtschaf ist für den Ausbau unserer Stellung im Standortwettbewerb entscheidend.

« WIR FOKUSSIEREN UNSERE AKTIVITÄTEN AUF SPEZIFISCHE MÄRKTE UND INDUSTRIEZWEIGE.» Könnte ein Magnet für innovative Unternehmen werden: Der geplante Innovationspark in Dübendorf. Bildquelle Visualisierung: zVg/ Hosoya Schaefer Architects

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THEMA

Nach vorne blicken B A N K E N P L AT Z Z Ü R I C H Das Bankengeschäft ist eigentlich ein überaus stilles Geschäft.

Doch in keiner anderen Branche gab es in den letzten Jahren so viel Turbulenzen wie in der Finanzbranche. Gerade am Finanzplatz Zürich dürfte es wieder besser und ruhiger werden.

TEXT FREDY GILGEN

Früher war alles besser. Für die Schweizerische Bankenbranche stimmt diese Aussage für einmal nicht. Dies trotz der schier endlosen Hiobsbotschaften aus dem Finanzsektor. Doch Bankenskandale sind keineswegs eine Erfindung der Neuzeit. Mit Meldungen über Fehlverhalten von Finanzinstituten liessen sich mühelos mehrere Ordner füllen. Von der Affäre Meili über den Chiasso-Skandal der SKA, den Weisscredit-Skandal von 1977, bis zum Untergang der Sparund Leihkasse Thun 1991. Auch wer noch weiter zurückblättert, wird rasch fündig: In seinen Tagebüchern geisselte der bekannte Maler Albert Anker (1831 bis 1910) regelmässig die offenbar auch damals häufigen Bankenskandale. Doch allen Turbulenzen zum Trotz: Bisher hat der Finanzplatz Schweiz und speziell auch der Finanzplatz Zürich auch massivste Rückschläge weitgehend unbeschadet wegstecken können. Sogar den Fast-Untergang der Grossbank UBS im Herbst 2008 oder den bedrohlichen Schleuderkurs des Versicherungskonzerns Swiss Life fünf Jahre zuvor. Weltweite Spitzenposition Vieles hat sich seither geändert, nicht aber die Bedeutung des Finanzplatzes für die Region Zürich. Aktuell haben rund ein Drittel der noch rund 300 in der Schweiz domizilierten Banken ihren Hauptsitz in der Limmatstadt selber oder im Kanton Zürich. Eindrücklich: Die nominale Bruttowertschöpfung des Finanzplatzes der Region Zürich (inklusive Versicherungen usw.) erreicht mit rund 28 Milliarden Franken fast die Bruttowertschöpfung des gesamten Bankensektors Schweiz, der knapp 29 Milliarden Franken erreicht. Dank diesen Leistungen kann der Finanzplatz Zürich auch international noch immer ganz vorne mithalten.

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Hinter den Giganten New York und London sowie den asiatischen Grossstädten Singapur und Hongkong liegt die Limmatstadt gemäss dem Global Financial Centres Index auf Platz 5. Im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft war und ist Zürich der absolut grösste Finanzplatz für internationale Kunden Diese Zahlen sprechen für sich: Der Finanzsektor ist eines der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine der Region. Statistisch umfasst dieser Finanzplatz neben dem Kanton Zürich auch die beiden angrenzenden Kantone Schwyz und Zug: Rund jeder fünfte Wertschöpfungsfranken in dieser Region wird im Finanzsektor erarbeitet. Schätzungen zufolge wird indirekt gar jeder dritte Wertschöpfungsfranken durch den Zürcher Finanzplatz generiert, wenn die Leistungen von Zulieferern mitberücksichtigt werden. Alleine die Banken erwirtschafteten 2013 eine Bruttowertschöpfung von rund 12.6 Milliarden Franken, was knapp 9 Prozent der monetären Wirtschaftsleistung der Region entspricht. Besonders erfreulich: Die Wertschöpfung des Bankensektors zeigt seit 2012 wieder positive jährliche Wachstumsraten, nachdem die Entwicklung in den Krisenjahren rückläufig war. Die Banken sind damit eine tragende Säule auf dem Zürcher Arbeitsmarkt. Als eine der wichtigsten Branchen der Region Zürich beschäftigen die Banken direkt rund 55 000 Personen, was fünf Prozent aller Arbeitsplätze in der Region entspricht. Schätzungen zufolge hängt zusammen mit den indirekten Effekten gar jeder zehnte Arbeitsplatz in der Region vom Bankensektor ab. Der gesamte Zürcher Finanzplatz – zusammengesetzt aus Banken, Versicherungsunternehmen und sonstigen Finanzdienstleistern – bietet rund 97 500 Arbeitsplätze an. Somit beschäftigt er direkt 9 Prozent aller Erwerbstätigen in der Region.

Gewaltige Herausforderungen Nach den Worten von Christian Bretscher, dem Leiter des Zürcher Bankenverbandes, waren die vergangenen 25 Jahre für die gesamte Finanzbranche höchst turbulent: «Der internationale Finanzmarkt und mit ihm der Finanzplatz Zürich hat umwälzende Veränderungen und einige Erschütterungen erlebt». In den 80er- und 90er-Jahren waren es nach Bretscher Fusionen und Übernahmen, angeschoben durch den Börsenboom, die die Entwicklung prägten, dann die Auflösung der Versicherungskartelle und 2001 die folgenschwere Immobilien- und Regionalbankenkrise. Wer damals meinte, nun könne es nicht mehr schlimmer kommen, sah sich getäuscht: Der Börsencrash der Jahre 2001 und 2002 und die Finanzkrise der Jahre 2008 bis 2009 erschütterten auch den Finanzplatz Zürich massiv. Obwohl keines der Schweizer Finanzinstitute der Krise zum Opfer gefallen ist, löste sie nicht nur international, sondern in besonderem Masse auch in der Schweiz eine Regulierungswelle aus, die seither nicht mehr abgebaut ist, sondern laufend zunimmt. Sie zwang Unternehmen zu einer grundlegenden Neuausrichtung des Geschäftsmodells in der grenzüberschreitenden Kundenberatung und führte gleichzeitig zu einem eigentlichen Einbruch der Margen (siehe auch Interview mit Finma-Chef Mark Branson). «Der Finanzplatz Zürich hat in diesem anspruchsvollen Umfeld der Internationalisierung, der Konsolidierung und der Regulierung seine Widerstandsfähigkeit, seine Flexibilität und Qualität unter Beweis gestellt», sagt Bretscher mit Stolz: «Er gehört unver ändert zu den bedeutendsten Finanzplätzen der Welt. Diese Stärken sind beste Voraussetzungen dafür, dass Zürich auch in Zukunft zu den führenden Finanzplätzen der Welt zählen wird».


BANKENPLATZ ZÜRICH Anzahl der Geschäftsstellen (Kantone Zürich, Zug, Schwyz 2013) Kantonalbanken 27 Prozent

138

Grossbanken 22.5 Prozent

115

Regionalbanken und Sparkassen 10.9 Prozent

56

Raiffeisenbanken 5.5 Prozent

28

Börsenbanken 5.7 Prozent

29

Andere Banken 7.8 Prozent

40

Ausländisch beherrschte Banken 15.5 Prozent

79

Filialen ausländischer Banken 3.9 Prozent

20

Privatbankiers 1.2 Prozent

6

Total:

511

Christian Bretscher, Leiter des Zürcher Bankenverbandes: «Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich Zürich im Laufe der nächsten fünf Jahre auch zu einem führenden FinTech-Standort entwickeln wird». Grafikquelle: SNB/Bildquelle/BilderBox.com/zVg

Alte Banken verschwinden, neue kommen Die Herausforderungen werden allerdings keineswegs einfacher: Die Digitalisierung wird das Bankgeschäft ein weiteres Mal umwälzen, Kostendruck und Regulierungen werden sich weiter verschärfen. «Um seine guten Voraussetzungen erfolgreich nutzen zu können, ist der Bankenplatz deshalb darauf angewiesen, dass wir den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Sorge tragen», erklärt Bretscher, «insbesondere der politischen und wirtschaftlichen Stabilität, der Rechtssicherheit, der Verfügbarkeit hoch qualifizierter Arbeitskräfte sowie der massvollen Regulierung und Besteuerung.» Wichtig sei sodann eine stabile und stets konvertible Währung. Hier sei die Politik gefordert. «Wenn dies gelingt, bin ich

davon überzeugt, dass zwar auch in Zukunft altbekannte Banken verschwinden, dass sich aber auch neue Institute ansiedeln werden, so wie gerade eben die China Construction Bank, eine der grössten Banken der Welt». Es ist zwingend, dass die Schweizer Banken die Digitalisierung aktiv und an vorderster Front mitprägen. Die Voraussetzungen sind nach Bretscher sehr gut: Die Zusammenarbeit zwischen Banken, Hochschulen und der aktiven Schweizer FinTech-Szene entwickelt sich äusserst positiv. Gleichzeitig treiben die führenden Schweizer Banken auch eigene FinTech-Projekte mit Hochdruck voran. «Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich Zürich im Laufe der nächsten fünf Jahre auch zu einem führenden FinTech-Standort entwickeln wird», zeigt sich der Leiter

des Zürcher Bankenverbandes zuversichtlich. Unterstützung durch Bundesbern könnte besser sein Zufrieden zeigt sich Bretscher über die engagierte Unterstützung des Fi nanzplatzes durch die Stadt und den Kan ton Zürich: «Aktuelle Beispiele dafür sind unsere gemeinsamen Anstrengungen für die Ansiedlung einer chinesischen Bank und zur Förderung des FinTech-Standorts». Auf Bundesebene fällt die Bilanz etwas nüchterner aus. Hier wäre es dringend notwendig, dass Bundesrat und Verwaltung endlich davon abkehren, die internationale Überregulierung noch mit zusätzlichen Ecken und Kanten zu versehen und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Banken zu schwächen.

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THEMA

«Berufsverbote sind nützlich» F I N M A Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht kontrolliert alle Bereiche des schweize-

rischen Finanzwesens. Um weitere Exzesse in der Finanzbranche zu verhindern, plant der Bundesrat unter anderem verschärfte Regeln in Bezug auf die Eigenmittelvorschriften der Banken. Mark Branson, Direktor der Finma, befürwortet die Vorlage.

INTERVIEW FREDY GILGEN

Welches ist die grösste Herausforderung für die Finma im laufenden Jahr? Mark Branson Das wissen wir nicht genau. Jedes Jahr bringt wieder neue Überraschungen. Verschiedene zentrale Themen, welche die Finanzbranche aktuell stark beschäftigen, wie das Tiefzinsumfeld oder der Wandel der Geschäftsmodelle insbesondere in der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung, sind bereits auf dem Tisch. Und was die grossen globalen Banken betrifft, so sind sie durch den starken Wandel des regulatorischen Umfeldes und des Marktes gefordert. Dazu kommt der starke technologische Wandel in der Finanzbranche, Stichwort Fintech. Ich sehe Fintech nicht als Problem, sondern als Chance. Innovation ist wichtig. Ich denke da an die Vermögensverwaltungsbranche, die vor der Herausforderung steht, sich an ein geändertes Umfeld anzupassen. Hier entsteht Erneuerungsdruck auf der Ebene der Geschäftsmodelle, dem mit Innovation begegnet werden kann. Diese findet aber auch auf der Ebene der Prozesse statt. Sie führt zu neuen, schlankeren Strukturen und Kostenersparnissen. Es wird neue Ansätze geben, Sparer und Kreditgeber zusammenzubringen, neue Methoden des Zahlungsverkehrs und so weiter. Nun gelten die Banken aber als nicht besonders innovativ. Auf den ersten Blick scheint dies so. Die Kernaktivität des Bankgeschäfts, Spargelder anzunehmen und Kredite zu vergeben, kann man ja nicht immer wieder

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neu erfinden. Bei der Art und Weise, wie man diese Produkte an den Mann und die Frau bringt, wie man die Prozesse verbessert und so weiter, gibt es aber viel Raum für Innovationen. Zudem: Die Banken haben gezeigt, dass sie in vielerlei Hinsicht durchaus sehr kreativ sein können, so bei der Entwicklung neuer Anlageprodukte oder bei den Lohnmodellen. Diese Neukreationen waren allerdings nicht immer im Interesse der Kunden, wie sich später herausgestellt hat.

Klar ist aber auch: Als exportorientiertes Land kann sich die Schweiz nicht gänzlich vom internationalen Regulierungstrend abschotten. Um den Marktzugang zu gewährleisten, ist aber nur eine Äquivalenz der Regeln nötig, keine Punkt genaue Übernahme.

Immer wieder wird die ausufernde Regulierungswut der Finanzmarktaufsicht beklagt. Ist das wirklich im Sinne der Anleger? Zunächst ist ein Missverständnis zu klären: Wir sind in erster Linie eine Aufsichtsbehörde, keine Regulierungsbehörde. Unsere Aufgabe ist es, das vom Gesetzgeber vorgegebene Regelwerk umzusetzen. Die Regulierung kommt also in erster Linie vom Parlament und vom Bundesrat her. Zugegeben: Insgesamt ist in unserem Land insbesondere aufgrund der Erfahrungen aus der Finanzkrise sicher eine Verdichtung der Regelwerke festzustellen, insbesondere für die Grossbanken.

Kritik kommt auch von jungen Fintech-Unternehmen. Diese sprechen von einer innovationshemmenden Regulierung. Ich kann das nachvollziehen: Nicht alle Dienstleistungen, die mit Geld zu tun haben, benötigen das gleiche Schutzniveau. Daher müssen auch nicht alle Finanzdienstleister so streng beaufsichtigt werden wie eine klassische Bank. Doch die bestehende Gesetzgebung sagt genau das: Wer mehr als 20 Einleger betreut, ist eine Bank. Eine solche Regel ist nicht gerade innovationsfördernd. Deshalb haben wir die Idee lanciert, eine neue Kategorie für Unternehmen zu schaffen, die keine klassischen Bankgeschäfte tätigen. Wir sind daran, diese zu konkretisieren. Eine solche Idee kann aber nur auf Gesetzesebene umgesetzt werden, beispielsweise im Rahmen des Finanzinfrastrukturgesetzes FINIG.

Und das Ausland macht es nicht besser? Wenn man mit dem Ausland vergleicht, ist die Schweiz noch immer einer der mit Abstand am stärksten an Prinzipien und nicht an Regeln orientierten Finanzplätze. Dies ganz im Gegensatz zu den USA oder der EU, wo die Regulierung stark regelbasiert ist. Die Definition des Begriffes «Eigenhandel» beansprucht im Dodd Frank Act 900 Seiten, also rund die Hälfte der gesamten Schweizer Finanzmarktregulierung.

Die Fintech-Unternehmen wünschen sich ein rascheres Vorgehen… Wir machen, was in unserer Macht steht, damit neue Anbieter die gleichen Chancen haben wie die bestehenden und es für innovative Ansätze viel Freiraum gibt. Wir haben den von uns direkt beeinflussbaren Bereich der Regulierung durchforstet, damit dieser technologieneutral gestaltet ist. Dazu haben wir ein Rundschreiben lanciert, das es künftig erlaubt, Geschäftsbeziehungen über elektronische Kanäle auf-

Mark Branson: «Berufsverbote sind sicher wirksamer als Bussen, die von den Unternehmen und ihren Aktionären bezahlt werden.»


MARK BRANSON Mark Branson (1968) ist im März 2014 zum Direktor der Finanzmarktaufsicht (Finma) gewählt worden. Diese Wahl löste zunächst unterschiedliche Reaktionen aus, vor allem, weil er zuvor lange bei der «Problembank» UBS tätig war. Branson studierte an der Eliteuniversität Cambridge Mathematik und Management und erwarb zusätzlich einen Master in Operational Research an der Universität Lancaster. Seit 12 Jahren arbeitet der Brite, der über

zunehmen. Eine Kundenidentifzierung wird neu also per Video möglich. Ein radikaler Vorschlag kommt von einem früheren Kantonalbank Direktor. Nach seiner Meinung würde im Bankengesetz eigentlich ein einziger Artikel genügen, der sogenannte Gewährsartikel nämlich, also Art. 3c BG. Wer keine Gewähr für eine einwandfreie Geschäftsführung biete, dürfe ganz einfach nicht in der Finanzbranche tätig werden.

ausgezeichnete Deutschkenntnisse verfügt, in der Schweiz. Er war unter anderem für Coopers&Lybrand, Credit Suisse, SBC Warburg und in verschiedenen Funktionen für die UBS tätig. 2010 wechselte er als Leiter des Geschäftsbereichs Banken zur Finma. Branson ist Vater zweier Kinder und wohnt mit seiner Partnerin in der Nähe von Bern. Ende dieses Jahres kann und wird er das Schweizer Bürgerrecht beantragen.

Das wäre auf den ersten Blick eine verlockende Idee. Wohl aber kaum eine, die im praktischen Alltag umsetzbar ist. Zu offene Regulierungen bringen nämlich schlicht zu wenig Rechtssicherheit für die Beaufsichtigten. Im Strassenverkehr würde beispielsweise auch die Regel genügen, man solle vernünftig fahren. Jeder Polizist würde dies aber anders interpretieren. Der Mensch hat offenbar ein Bedürfnis nach klaren Regelwerken. Zudem: Ultraliberale Regelungen können verheerende Aus-

wirkungen haben, im Finanzbereich ganz besonders. Seit dem Jahr 2009 ist es der Finma möglich, Berufsverbote auszusprechen. Wie viele solcher Verbote sind bisher erteilt worden? Bislang hat die Finma rund zwei Dutzend solcher Berufsverbote aussprechen müssen. Das mag eher wenig scheinen. Doch solche Sanktionen können nicht rückwirkend ausgesprochen werden. Fälle, die vor 2009 passiert

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THEMA

Sind die Grossbanken auf gutem Weg, die verschärften Eigenmittelvorschriften und die anderen Bestimmungen bis 2019 erfüllen zu können? Ja. Und sie haben schon viel getan. Beim verlustabsorbierenden Fremdkapital waren die Schweizer Grossbanken Pioniere. Bis aber alle Komponenten des TBTF-Regimes umgesetzt sind, bleibt noch eine anspruchsvolle Wegstrecke zu gehen. Die Grossbanken sind heute intern noch sehr verflochten, was die angestrebte Möglichkeit zur Abtrennung systemrelevanter Teile stark beeinträchtigt. Insgesamt ist die Notfallplanung für die Abspaltung des Schweizer Geschäfts noch nicht da, wo sie sein sollte.

sind, können wir also nicht mit einem Berufsverbot belegen. Was erhoffen Sie sich von dieser neuen Sanktionsmöglichkeit? Bevor ein solches Verbot ausgesprochen wird, bedarf es sehr seriöser Abklärungen. Es braucht ein gravierendes persönliches Fehlverhalten. Ein mögliches Berufsverbot setzt ein klares Signal. Den beaufsichtigten Finanzmarktakteuren soll klar werden, dass sie etwas zu verlieren haben, wenn sie die Regeln verletzen, dass dies sogar das Karriereende bedeuten kann. In diesem Sinn sind Berufsverbote sicher wirksamer als Bussen, die von den Unternehmen und ihren Aktionären bezahlt werden.

Kann die Aufsicht effektiv einen Kulturwandel bei den Beaufsichtigten bewirken? Es geht uns in erster Linie nicht um einen Kulturwandel, sondern um die Sicherheit des Systems und der Kundengelder. Die Kultur ist aber insofern relevant, wenn durch sie die Sicherheit bedroht wird. Für die Beaufsichtigten muss klar sein: Exzessives Verhalten und Regelverstösse bleiben nicht ohne Konsequenzen für mein Institut und auch nicht für mich persönlich. Und hier haben die schärferen Sanktionen der Aufsicht durchaus Wirkung gezeigt. Aber man muss schon auch festhalten: Wir sind nicht Überwacher der Moral.

In einer Unzahl von Büchern, Filmen und auch in wissenschaftlichen Studien wird immer wieder die tiefe Moral der Bankenbranche beklagt. Zu Recht? Die Finanzbranche hat in der Tat viele Exzesse erlebt. Exponiert war und ist nicht zuletzt der Handel. Hier geht es ja grundsätzlich darum, Risiken einzugehen und so Geld für das Unternehmen zu verdienen. Wenn die persönlichen Anreize sehr verlockend sind, ist die Bereitschaft, Risiken einzugehen, logischerweise auch besonders gross. Deshalb braucht es immer auch eine sehr disziplinierte und rigorose interne Kontrolle, um diese Gefahren zu begrenzen. Und hier hat es immer wieder erhebliche Mängel gegeben, besonders bei den Investmentbanken, aber auch in der Vermögensverwaltung gab es klare Fehlverhalten und Kontrollmängel. Das Risiko, nicht steuerehrliche Kunden anzusprechen, wurde deutlich unterschätzt.

Kritiker behaupten, das Too-big-tofail-Problem sei nach wie vor nicht gelöst. Der neue Entwurf des Bundesrates beruhe auf einem Kompromiss mit den Grossbanken, was konsequente Massnahmen ausschliesse. Richtig? Ich halte die verschärften Regeln nicht für einen Kompromiss, sondern für eine gute Lösung. Das schweizerische Regelwerk in diesem Bereich gehört zu den strengsten der Welt. Das ist aber nötig, weil die Too-big-to-fail-Problematik in unserem Land auch besonders ausgeprägt ist. Deshalb braucht die Schweiz auch ein starkes Sicherheitsnetz. Mit Kapitalreserven von insgesamt zehn Prozent der Bilanzsumme wäre dies bei den Grossbanken sicher vorhanden. Die neue Regelung ist zwar streng, aber vernünftig. Es geht nun darum, sie auch umzusetzen. Die Schweiz schliesst damit zu konkurrierenden Finanzplätzen wie den USA auf, die ein vergleichbares Regime haben.

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Mit Kapitalreserven von insgesamt 10 Prozent der Bilanzsumme wäre das Sicherheitsnetz für die Banken gegeben. Fotos: zVg

Es gibt offensichtlich aber nicht nur das Too-big-to-fail-Problem, sondern auch ein Too-small-to-survive-Problem. Viele kleine Banken sind wegen der jahrelangen Tiefzinsperiode und den Negativzinsen margenmässig unter enormem Druck. Dazu kommt die technologische Herausforderung. Ein beschleunigter Strukturwandel scheint demnach wünschenswert. Die Finma will und kann keine Strukturpolitik betreiben. Veränderungen kommen von den Unternehmen und vom Markt. Eine Konsolidierung in der Bankenbranche, speziell bei den Vermögensverwaltungsinstituten, ist im Gange. Es gibt in unserem Land immer noch fast 300 Banken, also eine im Vergleich zu anderen Ländern sehr hohe Dichte. Im Gegensatz zur Bankenaufsicht gibt die Versicherungsaufsicht in der Öffentlichkeit kaum zu reden. Warum eigentlich? Die Probleme im Versicherungssektor waren weniger spektakulär als jene der Banken, und für die Medien wohl etwas weniger sexy. Aber eine sorgenlose Branche sind die Versicherer aus Sicht der Überwachung keineswegs. Die Lebensversicherer sind beispielsweise aktuell mit ihren Zinsgarantieprodukten stark gefordert. Und man muss immer auch die Bedeutung der Assekuranz betonen: Der Versicherungsplatz Schweiz ist einer der bedeutendsten der Welt. Sie hätten kürzlich zur britischen Finanzmarktaufsicht wechseln können. Hat Sie dies nicht gereizt? Mein Job bei der Finma fasziniert mich und ich fühle mich auch sonst in der Schweiz zu Hause. Ich habe also keinen Grund zu einem Wechsel.



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Verklickt und verschuldet F I N A N Z K O M P E T E N Z Mit eigens entwickelten Lernmethoden und Tools bringt das Team von «Three Coins»

den Jugendlichen bei, sich in der Welt der Finanzen zurecht zu finden. Gegründet wurde das Startup in Wien, seit 2014 bauen sie das Projekt im Impact Hub in Zürich aus.

TEXT DOMINIQUE LIEB

Wir hantieren täglich mit Geld, trotzdem rinnt es vielen Menschen durch die Finger. Das höchste Verschuldungsrisiko hat die Gruppe der 25- bis 29-Jährigen, das zeigt die Radar-Analyse von Intrum Justitia. Für die Jugendlichen ist der Umgang mit Geld eine wichtige Entwicklungsaufgabe im Übergang von der elterlichen Abhängigkeit zur Selbständigkeit. Je früher man die finanzielle Organisation des Alltags lernt, umso besser. In Kursen und Workshops vermittelt das Team von «Three Coins» den Jugendlichen, wie man ein Sparvorhaben angeht, wie man Kontostände prüft, ein Haushaltsbudget erstellt, wie man mit persönlichen Schulden umgeht oder einen Konsumkredit finanziert. Für die Generation der Digital Natives haben sie zudem

NINA HOBI Die Primarlehrerin arbeitet freiwillig für Integrationsprojekte in der Jugendarbeit. Sie hat an der Universität Basel ein Masterstudium in Medienwissenschaft und Geschichte abgeschlossen. Bei «Three Coins» hat sie die Leitung für Programm und Pädagogik.

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das Spiel «Cure Runners» entwickelt. Mit diesem lernen sie, dem Konsumdruck zu widerstehen und bei einer Anwandlung von Kaufrausch rechtzeitig stopp zu sagen. Was hat Sie zu dieser Geschäftsidee motiviert und wie setzen Sie sie um? Nina Hobi Dass es zunehmend junge Menschen sind, die Schuldenberatungen aufsuchen, hat uns motiviert, eine alternative Lösung zu den traditionellen Finanzschulungen zu entwickeln. Die Forschung hat schon in Richtung Verhaltensänderung gedeutet und wir wussten von unserer Partnerin, der Game Designerin Doris Rusch vom Play4Change Lab der DePaul University in Chicago, dass Computerspiele Verhalten trainieren können. Mit der Entwicklung des Spiels «Cure Runners» hat sich dann herauskristallisiert, dass wir eine Organisation sind, die einen guten Zugang zu Zielgruppen findet, die das schwierige Thema Finanzkompetenz auf Augenhöhe und spielerisch vermitteln kann. Mangelnde Kontrolle über die eigenen Finanzen ist bei Jugendlichen ein zunehmendes Problem. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe? Ein Grund ist, dass unser Finanz- und Konsumsystem immer komplexer wird:

Die vielfältigen digitalen Zahlungsmöglichkeiten erschweren es, die Übersicht über die Ausgaben zu behalten. Zum anderen wird erwartet, dass die Kinder den Umgang mit Geld zu Hause lernen. Wenn die Eltern jedoch selbst nicht über die entsprechenden Kompetenzen verfügen, passiert das in der Regel nicht. Zusätzlich ist es vielen Jugendlichen wichtig, im Jetzt zu leben. Dabei spielt Status durch Konsum eine grosse Rolle. Das hat sich durch die digitale Vernetzung in den vergangenen Jahren noch verstärkt. Stolperfallen bei der Verschuldung bei Jugendlichen sind häufig Handyrechnungen und der Online-Versandhandel. Soll man mit der Finanzbildung schon bei kleinen Kindern anfangen? So früh wie möglich! Jüngere Kinder haben noch keine Vorstellung von der tatsächlichen Bedeutung des Geldes, aber dass es etwas Wichtiges ist, verstehen sie. Sobald Eltern Kindern Taschengeld auszahlen, sollten sie Prioritäten setzen und auch die Kosten von alltäglichen Dingen wie dem Familien-Einkauf oder auch der Wohnung ansprechen. Kinder sollen mitbekommen, was das Leben kostet und bald selbst Verantwortung in Geld-Dingen übernehmen – selbstverständlich in einem altersgemässen Rahmen. Ein gutes Beispiel, wie


das funktionieren kann, ist der Jugendlohn (www.jugendlohn.ch). Zentral ist, dass Geld in Familien kein Tabuthema sein sollte. Wo liegen die Schwierigkeiten, diese Kompetenz zu vermitteln? Wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der akzeptiert wird, Autos zu leasen, elektronische Geräte auf Raten zu bestellen und sich Kredite für das neueste Mobiliar zu nehmen. Gleichzeitig sind Schulden ein grosses Tabu. Für die meisten Menschen ist es aber eine Realität, sich nicht alles leisten zu können. Man muss lernen, Prioritäten zu setzen, und auf manches zu verzichten. Das ist nicht sexy. Unsere Methoden sind darauf ausgerichtet, ein reflektiertes, nachhaltiges Verhalten in Geldangelegenheiten zu stärken und zu fördern. Die sozialen Bedingungen spielen eine wichtige Rolle bei der Verschuldung. Berücksichtigen Sie diese Faktoren? Diese Aspekte spielen eine sehr grosse Rolle. Die Statistiken zeigen zum Beispiel, dass junge Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss stärker gefährdet sind. Will man hier etwas für die Chancengleichheit tun, muss man

«THREE COINS» Verein zur Förderung der finanziellen Bildung Katharina Norden, Geschäftsführerin von Three Coins, gründete 2012 ein Sozialunternehmen, das innovative Methoden entwickeln sollte, um junge Menschen im Umgang mit Geld zu schulen. Im Jahr 2011 erhielt das Startup den Preis «Ideen gegen Armut». Das Team arbeitet mit Schuldenberatern, Banken und Schulen zusammen. 2014 wurde zudem der «Verein zur Förderung der finanziellen Bildung» in Zürich gegründet. Im Team arbeiten Expertinnen aus den Bereichen Wirtschaft, Sozialwissenschaft, Bildung, Unternehmertum und IT.

einen speziellen Fokus auf Risikogruppen legen. Sie bieten auch Workshops für Finanzbildung an. Welches ist da Ihr Zielpublikum? Ja, im Rahmen des «Cure Runners»-Programms. Wir haben in den letzten Jahren mit Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 20 Jahren Erfahrungen gesammelt, mittlerweile bilden wir Multiplikator/innen zu Trainer/innen aus, damit diese mit der Zielgruppe arbeiten können. Dies gilt aktuell für das Format für 13 bis 16-Jährige. Anwendbar ist es sowohl in Schulklassen als auch in Jugendgruppen. In Zukunft ist es denkbar, dass wir weitere Formate für andere Altersgruppen entwickeln werden und dafür Trainings anbieten. Wenn jemand ein Projekt im Bereich der finanziellen Bildung umsetzen will und schon eine Vorstellung hat, wie dieses aussehen soll, dann kommen wir punktuell zum Prozess dazu, um unsere Expertise einfliessen zu lassen und Feedback zu geben. In diesem Zusammenhang bieten wir Basis-Workshops an, die den Themenkomplex «Finanzkompetenz» umfassend vermitteln. Wie weit geht Ihre Kooperation mit den öffentlichen Einrichtungen? In der Schweiz existieren vielversprechende Ansätze, beispielsweise vernetzen wir uns mit Schuldenpräventions- und Beratungsstellen und haben bereits gemeinsame Anlässe und Workshops umgesetzt. In Österreich haben wir schon Projekte mit Ministerien durchgeführt. Wir sind sehr an solchen Kooperationen interessiert, sie geben uns die Möglichkeit, mit starken Partnern zusammen zu arbeiten, die viel Erfahrung und Kompetenz mitbringen,

teilweise in Bereichen, die komplementär zu unseren eigenen Stärken wirken können. Wie finanzieren Sie die Projekte? Bis jetzt finanzieren wir uns durch Unterstützungen von Stiftungen und indem wir unsere Expertise in Beratungsworkshops weitergeben. Zudem entwickeln wir unsere Produkte und Programme gemeinsam mit lokalen Partnern weiter. Warum haben Sie Ihr Projekt nach Zürich ausgeweitet? Unser Projekt wurde von einem Schweizer Business Angel ermöglicht und die Entwicklung des Projekts wurde zum Teil in Zürich, zum Teil in Wien vorangetrieben. In der Schweiz haben wir viel Rückenwind erhalten und sind auf grosse Resonanz gestossen. Die Herausforderung «Umgang mit Geld» ist bei Schweizer und Österreichischen Jugendlichen ähnlich: In der Schweiz wird der Umgang mit Geld jetzt auch im Lehrplan 21 thematisiert, was ein erster Schritt ist, um das Thema im Bildungssystem zu verankern. In diesem Bereich sind wir sowohl Österreich als auch Deutschland einen Schritt voraus. Was wären Ihre drei wichtigsten Tipps an Jugendliche, wie sie mit ihrem Geld haushalten sollten? – Mach dir bewusst, was du ausgibst und wieviel davon für wirklich notwendige Dinge. – Es kann immer etwas Unerwartetes passieren, wofür du plötzlich Geld brauchst. Darum leg dir am besten frühzeitig Geld für Notfälle zur Seite. – Wenn du in Schwierigkeiten kommst oder Fragen hast, such dir Hilfe bei professionellen Schuldenberatern, bevor die Probleme zu gross werden.

Finanzkompetenz spielerisch lernen mit dem Game «Cure Runners»: Das Three Coins Team Nina Hobi, Eva Gruber, Katharina Norden, Lena Robinson, Stephan Dorfmeister, Vincent Tschaikner, Alexandra Wolk (v.l.n.r.). Fotoquelle: zVg/BilderBox.com

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UNTERNEHMEN

Die «Marktlücke GmbH» bietet erwerbslosen Frauen praxisnahe Erfahrungen nahe am ersten Arbeitsmarkt Im Bild: Brot-Stoffel aus Leinen.

Lücke zum Glück « M A R K T L Ü C K E G M B H » Sie ist ein wachsendes «Biotop» von erfolgreich umgesetzten prak-

tischen Ideen und sozialen Visionen. Zur «Marktlücke GmbH» gehört ein Verkaufsladen an der Schipfe, die «Kantine Hermetschloo» sowie ein Atelier für innovative Designprodukte.

TEXT DOMINIQUE LIEB

Auf dem ersten Arbeitsmarkt gehören Mütter nicht unbedingt zu den bevorzugten Bewerberinnen. Noch schwieriger wird es, wenn sie alleinerziehend sind, ungenügend ausgebildet oder wenn sie einen Migrationshintergrund haben. Christina Dalbert hat mit der «Marktlücke GmbH» ein Integrationsprojekt geschaffen, das benachteiligte Frauen dabei unterstützt, in den ersten Arbeitsmarkt einzusteigen. Mit Feingefühl und strategischem Geschick baut sie seit sechs Jahren das Netzwerk aus. Das leitende Team ist inzwischen von zwei auf zwölf Mitarbeitende gewachsen. 68 Teilnehmerinnen wurden seither ausgebildet, 31 davon haben den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt geschafft. 2015 wurde das Unternehmen mit dem Gleichstellungspreis der Stadt Zürich ausgezeichnet.

Bilderquelle: zVg

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Ungeahnte Ressourcen Christina Dalbert hatte bereits ein Integrationsprogramm der Stadt Zürich geleitet, doch dann wurde das Atelier im Rahmen von Umstrukturierung und

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Sparmassnahmen geschlossen. Das veranlasste die gelernte Designerin, ein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen: ein Integrationsprogramm für Frauen mit Kindern. Alleinerziehende arbeiten oft unter widrigen Umständen, um finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen. Dabei entwickeln die Frauen oft ungeahnte Ressourcen, etwa Management- und Sozialkompetenz, und verfügen über eine beachtliche Leistungsfähigkeit. Und doch bleiben viele von ihnen trotz Erwerbsarbeit arm. Die Armutsquote unter den Erwerbstätigen liegt bei den Alleinerziehenden bei fast 13 Prozent, das ist rund vier Mal höher als bei den anderen Gruppen. Sie arbeiten Teilzeit, oft im Stundenlohn, in Kleinstpensen oder mit unregelmässigen Arbeitszeiten und erhalten kärgliche Löhne. In den Teppichetagen wird schon einiges getan für die Balance von Beruf und Familie – dies sollte auch für weniger qualifizierte Frauen mit Kindern möglich sein, schliesslich müssen auch sie sich nach der Fremdbetreuung richten, die in der Regel um sechs Uhr abends schliessen und während den Schulferien keine

Betreuung anbieten. Es gibt sehr wenige Stellen, die explizit die Bedürfnisse von Müttern – insbesondere von Alleinerziehenden –, berücksichtigen. Vor allem im niederschwelligen Bereich braucht es flexible Arbeitszeiten und Teilzeitjobs, damit die Mütter nicht gleich 100 Prozent arbeiten müssen. Auch Teilzeitstellen für Männer sollten stärker gefördert werden, damit auch sie die Betreuung ihrer Kinder übernehmen können. Praxisnahes Förderprogramm Die «Marktlücke GmbH» hat drei verschiedene Geschäftsbereiche und bietet erwerbslosen Frauen praxisnahe Erfahrungen nahe am ersten Arbeitsmarkt. Alle drei Geschäftsbereiche bieten auch ein spezifisches und individuell angepasstes Programm, in dem die Frauen ihrer Situation entsprechend gefördert werden. Ergänzend dazu gibt es Deutschkurse, Bewerbungscoaching, Qualifikationsmassnahmen in der Arbeit, Teamsitzungen sowie Gesundheitsförderung. Im Verkaufsladen an der Schipfe und im Restaurant Kantine «Hermetschloo» können die Teilnehmerinnen ihr Verkaufstalent


auf die Probe stellen und den Umgang mit Kunden trainieren. Die Kantine «Hermetschloo» in Altstetten ist auch für Frauen ohne Ausbildung geeignet. In der Gastronomie findet man zwar Arbeit, die Zeiten sind aber für Mütter ungeeignet, es sei denn in Tagesbetrieben wie Kantinen. Im dritten Geschäftsbereich, in der Werkstatt, werden Rucksäcke, Portemonnaies, Notizbücher, Gürtel und andere originelle Recyclingartikel produziert. Dabei wird besonders Wert gelegt auf das Design und die sorgfältige Fertigung von Hand. Es werden auch Aufträge von Gestaltern und Designern in Kleinstserien, zum Beispiel für Mitarbeiter- und Firmengeschenke, im Auftrag hergestellt. Geglückte Integration Beim Eintritt in das Förderprogramm werden zuerst die Grundvoraussetzungen dafür geschaffen, dass sich die Frauen überhaupt auf das Entwickeln beruflicher Perspektiven einlassen können. Alle vier Monate werden mit den Teilnehmerinnen neue Zielvereinbarungen besprochen. Sie lernen Verantwortung zu übernehmen und ihr Familienmanagement zu optimieren. Christina Dalbert wäre es lieber, wenn die Firmen den Frauen mehr entgegenkommen und familienfreundliche Arbeitsbedingungen schaffen würden. Stattdessen müssen die Frauen darauf trainiert werden, in unmöglichen Verhältnissen zu arbeiten. Besonders Migrantinnen leben oft isoliert. Durch das Integrationsprogramm bekommen sie Gelegenheit, sich mit ihrem neuen Umfeld zu vernetzen. Frauen, die Kinder im Alter von über drei Jahren haben, sind verpflichtet, sich in einem Integrationsprogramm zu engagieren. Bei der «Marktlücke» haben sie die Möglichkeit, schon ab einem Pensum von zehn Prozent zu arbeiten und sind im Durchschnitt zwei Jahre bei der «Marktlücke». Nicht wenige, vor allem Ungelernte, gehen durch alle Betriebe, von der Werkstatt – dem Eingangstor – bis zum Verkauf, um ihre Fähigkeiten abzuklären. Oder sie arbeiten zu Schulungszwecken längere Zeit in der Werkstatt, um Deutsch zu lernen. Beim Eintritt geht es an erster Stelle um die Kinderbetreuung. Wenn ein Krippen- oder Hortplatz gefunden ist und es mit der Integration im Betrieb funktioniert, geht es los mit den Bewerbungen. Empfehlungsschreiben und Zeugnisse von der «Marktlücke GmhH» helfen bei der Stellensuche.

Ungewohnte Gesellschaftskultur Für Christina Dalbert ist es wichtig, bei den Teinehmerinnen ein Selbstwertgefühl aufzubauen, denn bei Frauen, die lange zu Hause waren, fehlt oft die Selbstsicherheit für den Arbeitsmarkt. Migrantinnen sind es in ihrer Heimat gewohnt, dass Mütter, Schwestern und Grossmütter die Kinder betreuen, doch hier haben sie oft keine Verwandten. Es ist ein Prozess, in dem die Frauen lernen, dass die Gesellschaftskultur hier anders ist, dass Frauen arbeiten können und für die Kinder eine Krippe zuständig ist – und dass das auch etwas Gutes sein kann. Christina Dabert will den Frauen das Selbstwertgefühl vermitteln, das sie brauchen, um selbständig im Leben stehen zu können. Mit einer erfolgreichen sozialen und beruflichen Integration kann sich ihre Familiensituation allmählich stabilisieren. Die Frauen, die zur «Marktlücke» kommen, sind alle ausgesteuert. Migrantinnen sind schon von Anfang an ausgesteuert, weil sie noch nicht in der Schweiz gearbeitet haben. Die anderen waren beim RAV angemeldet, haben Kinder bekommen, keine geeignete Stelle gefunden und wurden nach zwei Jahren ausgesteuert. Sie werden über das Sozialamt angemeldet, haben ein Vorstellungsgespräch wie bei einem Job, sie schnuppern und bleiben für eine Probezeit. Wenn es gut aussieht, dann wird eine Leistungsvereinbarung gemacht. Erweiterung geplant Im Weiteren plant Christina Dalbert eine Kooperation mit der Privatwirtschaft. Sie möchte mit Firmen oder Gastroketten und Kantinen einen Vertrag aushandeln, nach dem diese Betriebe, bevor sie eine Stelle ausschreiben, zuerst bei der «Marktlücke» anfragen. Wenn die Arbeitgeber gute Erfahrungen machen, dann kommen sie wieder. Über dieses Integrationsprogramm werden Mütter relativ gut vermittelt. Auch die Kinder profitieren von der sozialen und beruflichen Integration ihrer Mütter, da sie dadurch bessere Startmöglichkeiten erhalten und sich besser in die Gesellschaft integrieren können. Finanzierung Nach einem Verlust in den ersten drei Gründerjahren wurde 2014 mit einem erstmaligen Gewinn der Turnaround geschafft. Heute finanziert sich die Organisation zu zwei Dritteln selbst, einen Drittel der Kosten übernimmt das Sozialamt.

Das Team der Marktlücke GmbH mit Geschäftsleiterin Christina Dalbert in der «Kantine Hermetschloo».

Schniidbrättli, geölt, aus Eschenholz.

«Die Marktlücke» an der Schipfe verkauft handgefertigte Produkte aus kleinen Manufakturen.

Nackenkatzen: Die Innenkissen sind mit Dinkelspreu gefüllt.

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UNTERNEHMENK

Zur Betreuung auf Bundesebene gehören neben einer ausgewogenen Ernährung der Zugang zu Schlafplätzen und medizinischer Grundve

Im Auftrag des Staates O R S S E R V I C E A G Spezialisiert auf die Betreuung von Asylsuchenden und Flüchtlingen,

blickt die ORS mit Sitz am Zürcher Wipkingerplatz auf eine veritable Erfolgsgeschichte zurück. Nicht alle freuen sich mit ihr.

TEXT DELIA BACHMANN

So viele Asylgesuche wie im Jahr 2015 wurden zuletzt 1999 während der Kosovo-Krise gestellt. Die Flüchtlinge, die hier ankommen und Asyl beantragen, wollen und müssen betreut werden – darüber besteht weitgehend Einigkeit. An der Frage, wer diese Betreuungsaufgabe wahrnehmen soll, scheiden sich jedoch die Geister. Mittendrin: Die ORS Service AG (ORS). Die Tatsache, dass ein privates, gewinnorientiertes Unternehmen mit der Betreuung von Flüchtlingen Geld verdient, sorgt vielerorts für rote Köpfe und hat das Unternehmen ins Scheinwerferlicht der Medien gerückt. Letzteres selten zum Vorteil der Zürcher Betreuungsfirma. Stefan Moll-Thissen, Geschäftsführer der ORS, hat für die geäusserte Kritik nur bedingt Verständnis. Er spricht von «ideologischer Einfärbung» und wünscht sich eine «saubere und sachliche Ausarbeitung von dem, was die ORS im Asylbereich leistet, im Vergleich mit anderen Organisationen». Ein Portrait. Exot im Asylwesen Gegründet wurde die ORS 1992 als Tochterfirma des Schweizer Stellenvermittlers Adia Interim, der heu-

tigen Adecco. Auslöser war eine Anfrage des Kantons Basel-Landschaft zur Betreuung der Asylunterkunft «Gitterli» in Liestal, wo kurzfristig 100 Personen untergebracht und betreut werden mussten. Noch im selben Jahr beauftragte das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) – heute das Staatssekretariat für Migration (SEM) – die ORS mit der Betreuung der Bundesempfangszentren in Basel, Kreuzlingen, Chiasso und Genf. Die ORS ist damit ein alter Hase im Asylbereich – und bleibt dennoch ein Exot. Denn die gewonnenen Mandate wurden zuvor, wenn nicht vom Staat selbst, von gemeinnützigen Hilfswerken wie der Caritas Schweiz, dem SRK oder der Heilsarmee Flüchtlingshilfe wahrgenommen. Die private Konkurrenz im Asylwesen war ein Novum, das bis heute nicht vollständig verdaut wurde. Angesprochen auf die Gründe für die Privatisierung der Betreuungsaufgaben im Asylbereich, antwortet Moll-Thissen mit einer Gegenfrage: «Warum baut der Staat nicht selbst Häuser?» Für ihn handelt es sich um eine «klassische Aufgabenteilung»: Das Finden von neuen Unterkünften, die Gespräche mit Kantonen und Gemeinden und alles, was mit den Verfahren zusammenhängt, ist

Sache des Bundes und für diesen «immer ein sehr grosser Aufwand». Sobald ein Standort gefunden ist und die Parteien sich einig sind, muss die Betreuung «fast am nächsten Tag bereits losgehen». Hier sieht Moll-Thissen die Kernkompetenz der ORS als private Organisation: «Was wir dem Staat als ausgelagerte Dienstleistung zur Verfügung stellen können, ist die Flexibilität und Geschwindigkeit, in diesem Bereich etwas aufzubauen, langfristig zuverlässig zu betreuen und auch wieder abzubauen.» Kein Platz für Grauzonen Diese «klassische» Aufgabenteilung ist nicht nur praktisch sinnvoll, sondern auch eine rechtliche Notwendigkeit. Eine klare Auftragsdefinition, ein enges Verhältnis zu sowie ein offener und regelmässiger Austausch mit den Auftraggebern ist für eine eindeutige Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeiten unerlässlich und auch im Interesse der ORS: «Wir wollen keine Interessenskonflikte.» In der Schweiz betreut die ORS Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene auf allen drei Staatsebenen. Über 20 Jahre lang betrieb sie die Asylunterkünfte des Bundes, weil das heutige SEM es unterliess, die

«BETREUUNGSARBEIT IST IMMER AUCH EIN THEMA VON NÄHE UND DISTANZ. ES GIBT EIN GEWISSES MACHTGEFÄ 20 l

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rsorgung sowie die Organisation von Bildungs-, Beschäftigungs- und Unterhaltungsprogrammen.

Mandate öffentlich auszuschreiben, obwohl dafür seit 1996 eine gesetzliche Grundlage besteht. 2013 wurde ausgeschrieben und die ORS sicherte sich die Mandate für die sogenannten Empfangs- und Verfahrenszentren in Basel, Chiasso, Vallorbe sowie am Flughafen Genf. Jene für Altstätten, Kreuzlingen und am Flughafen Zürich gingen an die öffentlich-rechtliche Konkurrentin AOZ (Asylorganisation Zürich). Verantwortlich ist die ORS auf Bundesebene in 17 Kantonen, das heisst; sie wäre bei Inbetriebnahme eines neuen Zentrums automatisch zuständig für die Betreuung der dort untergebrachten Asylsuchenden. Auf kantonaler Ebene zählen Zürich, Freiburg, Solothurn, Bern, Aargau und Basel-Stadt zu ihren Auftraggebern. Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind teilweise beträchtlich. Der Kanton Freiburg beispielsweise – in dem die ORS das Globalmandat hat – transferiert die Asylsuchenden nicht in die Zuständigkeit der Gemeinden. Der Kanton Zürich, wo die ORS neben der AOZ betreut, kennt hingegen das Zwei-Phasen-System. Auf kommunaler Ebene ist die ORS für insgesamt 40 Gemeinden in den Kantonen Solothurn, Zürich und Basel-Land tätig. Im Unterschied zu den übergelagerten Ebenen tritt die ORS hier teilweise als Mieterin von Unterkünften auf. Behördengänge und Velowerkstatt So unterschiedlich wie die Auftraggeber sind auch die Leistungsvereinbarungen. Während die ORS-Mitarbeitenden auf Ebene der Kantone eine 24-StundenBetreuung bieten, sind es auf Gemeindeebene regelmässige Besuche eines Sozialarbeiters, der die Asylsuchenden beim «Führen eines eigenverantwort-

lichen und selbstständigen Lebens» unterstützt – etwa bei Behördengängen oder typischen «Nachbarschaftsthemen». Zur Betreuung auf Bundesebene gehören neben dem Zugang zu Schlafplätzen, ausgewogener Ernährung und medizinischer Grundversorgung auch das Auszahlen von Taschengeld, grenzsanitarische Massnahmen und die Organisation von Bildungs-, Beschäftigungs- und Unterhaltungsprogrammen. Auf kantonaler Ebene betreut die ORS sowohl in Durchgangszentren als auch in Nothilfezentren, wohin jene Asyl suchenden transferiert werden, auf deren Gesuch nicht eingetreten, oder das abgelehnt wurde. Während das Betreuungskonzept im ersten Fall jenem auf Bundesebene gleicht, fehlen im zweiten Fall die Aktivitäten; es ist auf das Grundlegendste reduziert. Sport für die Männer, Basteln für die Familien – die Betreuung wird den Bewohnern angepasst. Besonders interessiert sei der Bund jedoch an den «gemeinnützigen Beschäftigungsprogrammen», denn diese «bereichern den Alltag und geben den Gemeinden etwas zurück». Dazu gehört beispielsweise das Entsteinen von Alpwiesen, das Instandsetzen von Wanderwegen oder die Korrektur von Flussläufen. Je nach Standort wird mit unterschiedlichen Partnern zusammengearbeitet. Im Kanton Freiburg etwa betreibt die ORS eine Velowerkstatt, wo Flüchtlinge die Publibikes von «Velopass» – vergleichbar mit jenen von «Züri rollt» – reparieren. Bei solchen Projekten sei wichtig, dass es nicht zu einer «Konkurrenzierung des lokalen Gewerbes» kommt. Sprich die Reparatur «privater Velos» ist tabu. Dasselbe gilt für Wohnungen, die von Asylsuchenden eingerichtet und auch bezogen werden.

Nähe und Distanz in der Betreuungsarbeit Eine Mitfahrgelegenheit zum Bahnhof oder eine nachmittägliche Tasse Tee ausserhalb der Arbeitszeit – das sind bereits «Grenzverletzungen», die es im Rahmen einer «professionellen Betreuung» zu vermeiden gilt. «Betreuungsarbeit ist immer auch ein Thema von Nähe und Distanz. Es gibt ein gewisses Machtgefälle vom Betreuer gegenüber dem Betreuten, dessen sich die Mitarbeitenden bewusst sein müssen», so Moll-Thissen. Neben permanenter Sensibilisierung auf das Thema Grenzverletzungen, ist auch das «Vertrauen» in die Mitarbeitenden ein zentraler Faktor, denn diese arbeiten in dezentralen Strukturen und manchmal auch allein. «Sicherzustellen, dass nie etwas passiert, das ist nicht möglich», gibt Moll-Thissen unumwunden zu und ergänzt: «Wir müssen als Organisation aber alles tun, damit dieses Risiko so klein wie möglich wird.» Das 2005 eingeführte ORS-Qualitätssystem spielt dabei eine Schlüsselrolle und erfüllt Moll-Thissen sichtlich mit Stolz. Es umfasst über 200 Prozesse, die genau definiert und in Form von Checklisten, Anleitungen etc. dokumentiert wurden. Vom Eintritts- bis zum Austrittsprozess wird so wenig wie möglich dem Zufall überlassen. Der Rekrutierungsprozess etwa ist vom Stellenprofil über die Fragebögen, Referenzgespräche etc. bis hin zum ersten Arbeitstag weitgehend vorgespurt, was Zeit spart, wenn es schnell gehen muss. Bei der Zusammensetzung des Teams wird auf Interdisziplinarität geachtet. So sind auch handwerkliche oder gastronomische Fähigkeiten wertvoll, wenn sie pädagogische und soziale Fachkompetenzen ergänzen. Ebenso wichtig sind

ÄLLE VOM BETREUER GEGENÜBER DEM BETREUTEN, DESSEN SICH DIE MITARBEITENDEN BEWUSST SEIN MÜSSEN.» l ZHKMU l Nr. 1 l 2016 l 21


UNTERNEHMEN

Monate und Jahre «können wir keine Renditeziele verfolgen».

Neben Fach- und Sozialkompetenzen müssen Betreuer auch das nötige «Fingerspitzengefühl» mitbringen.

persönliche Eigenschaften wie «Fingerspitzengefühl» und «eine gewisse Empathie». Hinzu komme der kulturelle Hintergrund: «Meistens haben wir Teams, die gesamthaft mehr als zehn Sprachen sprechen.» Den Job «Asylsuchendenbetreuer» als solchen gibt es nicht. Auch deshalb kreierte die ORS 2008 ein eigenes Weiterbildungsprogramm, das auch Externen offen steht. Die Steine des Anstosses Die Kritik an der ORS reicht von diffusen Anschuldigungen bis hin zu konkreten Vorwürfen. Sie zielt auf die Führung einzelner Unterkünfte, die Gewinnorientierung des Unternehmens oder die umstrittene Unternehmensstruktur. Selten erweist sie sich, wie im Fall «Eigenthal», als berechtigt, häufig als haltlos, wie auch im jüngsten Fall «Glaubenberg». Am meisten stören Stefan Moll-Thissen «Vorwürfe, die einfach falsch sind» und nur deshalb geäussert werden, «weil wir als private Organisation in diesem Bereich tätig sind». Die Gewinnorientierung sei notwendig: «Unsere Verluste werden durch niemanden gedeckt, weder durch den Staat mit Defizitgarantie, noch gibt es andere Töpfe, die wir anzapfen könnten.» Darüber, wie hoch diese Gewinne sind, schweigt sich die ORS allerdings aus. Zu Kritik an einzelnen von NGOs geführten Unterkünften will sich MollThissen nicht öffentlich äussern und sagt lediglich: «Ich glaube, langfristig sind die Strukturen, in denen sich Asylsuchende bei uns aufhalten, zuverlässiger und besser organisiert als die anderer Organisationen.» Schnittstellen zu NGOs gibt es nur beschränkt, aber: «Wir haben grundsätzlich keine Berührungsängste und sind auch offen.» So arbeitet die ORS etwa in Freiburg mit der Caritas

ECKDATEN ZUM UNTERNEHMEN Die ORS Service AG betreut im Auftrag des Staatssekretariats für Migration, von sechs Kantonen und rund 40 Gemeinden Asylsuchende und Flüchtlinge. In der Schweiz werden 6000 Asylsuchende von rund 600 Mitarbeitenden in über 40 Asylunterkünften und etwa 500 Wohnungen betreut. 2011 übernahm Stefan Moll-Thissen die operative Leitung des Unternehmens und gründete zwei Jahre später die OX Holding AG. Im Jahr 2014 setzte die ORS Service AG 65 Millionen Franken um.

zusammen oder mit einem Verein, der das private Wohnen fördern möchte. Bis anhin konnten über 60 Personen platziert werden. Die Zusammenarbeit mit NGOs und Freiwilligen habe aber auch Grenzen: «Wenn es so weit geht, dass sie in unsere Tätigkeit eingreifen und sich dann noch am Schweizer System reiben.» Moll-Thissen sieht die ORS in solchen Fällen in einer Art Sandwichposition, denn die Gesetze gilt es umzusetzen. Die netzwerkartige Unternehmensstruktur der ORS ist einer der Gründe, warum sich der Vorwurf der Gewinnorientierung hartnäckig hält. Die ORS ist als Tochtergesellschaft der OX Holding AG angegliedert, deren Mehrheitsaktionärin seit 2013 die Equistone Partners Europe ist – eine Beteiligungsgesellschaft. Ihre Investitionsziele für die OX Holding AG: «Internationales Wachstum weiter vorantreiben» und «Marktposition sichern». Gefragt nach allfälligem Renditedruck, stellt Moll-Thissen, der selbst VR-Mitglied der OX Holding AG ist, klar: «Nein, sie üben null Druck aus» und «um langfristig bestehen zu können, müssen wir uns zu 100 Prozent auf unsere Arbeit konzentrieren». Aufgrund der Ungewissheit in Bezug auf die Gesuchszahlen der kommenden

Bilder: zVg

Der Schritt über die Grenze Die ORS ist seit ihrer Gründung 1992 stark gewachsen. Seit 2012 führt sie auch Asylunterkünfte in Österreich, wofür mit der ORS Service GmbH eine Tochtergesellschaft gegründet wurde. Zwei Jahre später entstand mit der ORS Deutschland GmbH eine zweite Tochter: «Die bayerische Regierung ist aufgrund einer absoluten Notsituation auf uns zugekommen. Innerhalb von drei Wochen haben wir dort eine Unterkunft für 400 Personen eingerichtet und ausgerüstet.» Speziell an der Arbeit in Österreich sei der Generalunternehmeransatz. So lagert die ORS etwa Sicherheitsdienstleistungen an Subunternehmer aus oder bindet Ärzte vertraglich an sich – trägt aber die Gesamtverantwortung. Dass die ORS auch im Ausland Asylunterkünfte führt, wurde der breiten Öffentlichkeit durch den Fall «Traiskirchen» in Österreich bekannt, wo das Gelände mit einer Vollauslastung von 1800 Plätzen zeitweise mit mehr als 4500 Personen belegt wurde, die zum Teil draussen schlafen mussten. «Ich bin wöchentlich dort gewesen. Die Betreuung und Versorgung der ankommenden Menschen war eine gewaltige Herausforderung für unsere Mitarbeitenden und eine psychische Belastung für alle vor Ort.» Dass die ORS dafür verantwortlich gemacht wurde, findet Moll-Thissen nicht korrekt: «Die Frage ist: Hätte es eine Alternative gegeben?» Im Moment sei die ORS sehr zurückhaltend, was neue Mandate betrifft: «Unsere Strategie ist, unseren Kunden zu 100 Prozent zur Seite zu stehen.» Schon vorher sei die ORS bei Ausschreibungen selektiv vorgegangen: «Bei Ausschreibungen, wo der Preis mit 90 bis 95 Prozent das auschlaggebende Kriterium ist, wie teilweise in Deutschland, machen wir nie mit». Der Preis überwiege aber auch in der Schweiz und in Österreich mit 60 bis 70 Prozent. Zu den restlichen Kriterien zählen etwa das Betreuungskonzept oder die Qualifikation des Personals. Das Szenario, dass die Flüchtlingszahlen wieder und möglicherweise auch drastisch zurückgehen, beunruhigt Moll-Thissen nicht: «Dann ist meine Aufgabe, die Strukturen so anzupassen, dass wir überleben können.»

«BEI AUSSCHREIBUNGEN, WO DER PREIS DAS AUSSCHLAGGEBENDE KRITERIUM IST, MACHEN WIR NIE MIT.» 22 l

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ZÜRCHER PIONIERE

Weitsichtiger Brückenbauer P I O N I E R D E S M O N AT S Die George Washington Bridge, die 1931 eine neue Ära im Brücken-

bau einleitete, trägt unverkennbar die Handschrift Othmar Ammanns. Der Zürcher erbaute einige der berühmtesten Brücken der Welt, darunter die damals längste Hängebrücke – noch vor der Golden Gate Bridge.

TEXT ANOUK ARBENZ

Vor 50 Jahren starb einer der grössten Brückenbauer Amerikas und wohl wertvollsten «Schweizer Exporte» in seiner Wahlheimat New York, wo Othmar Ammann allein für die Erbauung von zehn Brücken (mit-)verantwortlich war. Sein letztes Glanzstück, die Verrazano-Narrows Bridge, ist eine zweistöckige Hängebrücke, welche die beiden Stadtbezirke Staten Island und Brooklyn verbindet und mit einer Spannweite von 1298 Metern bis zum Jahr 1981 als längste Hängebrücke der Welt galt. Heute ist sie weltweit die elftlängste Hängebrücke, in Amerika steht sie nach wie vor an der Spitze. Der amerikanische Traum Die Anziehungskraft Amerikas auf junge Schweizer und Europäer im Allgemeinen war zu dieser Zeit ungemein gross. In den 1880er-Jahren kam es in Europa aufgrund der zweiten industriellen Revolution und der Bevölkerungsexplosion zu politischen und sozialen

ZÜRCHER PIONIERGEIST Portraits von Menschen mit Ideen. Herausgeber: Beat Glogger, Fee Anabelle Riebeling. Lehrmittelverlag Zürich. 200 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-0313-677-5

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Spannungen. Zudem wurde das transatlantische Reisen mit der Erfindung des Dampfschiffes erheblich schneller und einfacher, wodurch Amerika ein beliebtes Auswanderungsziel wurde. Auch Othmar Ammann verfiel diesem Reiz: Im Jahr 1904 bestieg der 25-jährige Bauingenieur im französischen Boulogne-sur-Mer ein Schiff, um das Land der unbegrenzten Möglichkeiten für sich zu entdecken. Wie hätte er zu dem Zeitpunkt wissen können, dass es genau umgekehrt sein würde; dass Amerika Entdecker eines seiner grossartigsten Brückenbauer werden würde! Wer war dieser junge Ingenieur, der von seinen Professoren an der ETH Zürich als «begabter und fleissiger Student» bezeichnet wurde? Othmar Hermann Ammann wurde als Sohn eines Fabrikanten am 26. März 1879 in Schaffhausen geboren. Die Gemeinde Feuerthalen, in der er aufgewachsen ist, war ihm zu klein, und auch für Zürich, wo er Bauingenieurswesen am Polytechnikum – wie die ETH damals noch hiess – studierte, brachte er nicht annähernd so viel Begeisterung auf wie für das grosse, aufregende Amerika. Dort gab es so Vieles zu bestaunen: Beeindruckende Wolkenkratzer, grosse Häfen, schöne Frauen natürlich und ein reger Verkehr sowohl zu Wasser, als auch an Land. Aufgeregt und voller Zuversicht schrieb er seiner damaligen

Freundin bei seiner Ankunft in New York von seinen Eindrücken. Der eifrige junge Mann bewarb sich sogleich bei zahlreichen Ingenieurbüros – und wurde jedes Mal aufs Neue enttäuscht. Sie wiesen ihn ab mit der Begründung, dass Amerikaner ausländischen Bewerbern grundsätzlich vorgezogen würden. In seinem Brief an seine geschätzte Lilly schrieb er: «Niemand will einen nehmen, der direkt von drüben kommt.» Brücke schlagen Schliesslich klappte es doch noch und Ammann durfte im grossen Ingenieurbüro von Joseph Mayer sein erstes Brückenprojekt realisieren. Infolge einer Personalreduktion sah sich Othmar Ammann veranlasst, zur Pennsylvania Steel Company zu wechseln, arbeitete daneben aber weiterhin für Joseph Mayer. Im Stahlunternehmen erhielt er wertvolle Einblicke in die Stahlproduktion und –montage. Er und seine Frau Lilly feierten im Jahr 1905 in der Schweiz Hochzeit und wanderten im Anschluss endgültig in die USA aus. Seine Ingenieurskunst sprach sich in New York schnell herum: 1912 stellte ihn der Staringenieur Gustav Lindenthal bei sich an, nichtwissend, dass dieser ihm einige Jahre später den Rang ablaufen würde. Als Lindenthal eine Brücke über den River Hudson bauen wollte, die zwölf


Die George Washington Bridge, die Othmar Ammann als seine «Geliebte» bezeichnete, ist eine der wichtigsten Verbindungen zwischen Manhattan und New Jersey und machte den Schweizer Visionär unter Brückenbauern weltbekannt.

Bilder: Keystone/AP/Julio Cortez, ETH Bibliothek

Eisenbahngleise und 20 Fahrspuren fassen sollte, war Ammann entsetzt. Eine solche Brücke würde seiner Überzeugung nach nur zusätzliche Verkehrsprobleme nach sich ziehen. Das konnte er nicht verantworten. In einem vertraulichen Schreiben warnte Ammann den Gouverneur von New Jersey vor Lindenthals waghalsigem Projekt – im Wissen darum, dass er seinen Chef hinterging. Es dauerte nicht lange, bis Lindenthal von Ammans Vorhaben erfuhr und ihn vor die Tür setzte. Ammann zögerte nicht lange und stellte dem Gouverneur sodann sein eigenes Brückenprojekt vor, das statt 200 Millionen Dollar mit 30 Millionen Dollar (30.23 Millionen Franken) wesentlich günstiger ausfiel. Der vorausschauende Ingenieur erkannte bereits damals, dass Mobilität in Zukunft ein immer bedeutenderes Thema werden würde und plante genügend Platz für zusätzliche Fahrspuren ein. Auf diese Weise konnten auch Jahrzehnte später Spuren unter- und nebeneinander angefügt werden. Ein besonderes Merkmal von Othmar Ammanns Brücken ist ihre Eleganz. Statt schwerfällig wirkenden Versteifungsträgern beschränkt er sich auf ein einziges – aber genug schweres – Seil. Es erstaunt daher nicht, dass der Gouverneur wenig später erfreut Othmar Ammans Hand schüttelte.

Zu amerikanisch für die Schweiz Sieben Jahre später gelingt ihm mit der George Washington Brücke, die nach seinen Plänen gebaut wurde, zum ersten Mal die Überbrückung einer Spannweite von über 1000 Metern. Keine andere Hängebrücke zuvor und an keinem anderen Ort auf der Welt war so lange. Heute ist sie eine wichtige Transitstrecke zwischen Manhattan und New Jersey und die meist befahrene Brücke der Welt. Von da an ging es mit Ammans Karriere steil bergauf. Er erlangte die amerikanische Staatsbürgerschaft und wurde zum Chefingenieur der Hafenbehörde von New York berufen. Zudem hat Ammann wesentlich zum Bau der Golden Gate Bridge in San Francisco beigetragen. Unter Brückenbauern war er weltbekannt. Die Amerikaner hätten ihm alles zugetraut und auch die Schweiz war stolz auf den Zürcher. Den Eidgenossen waren seine Dimensionen jedoch «zu amerikanisch»: Ein Projekt, bei dem eine gigantische Hängebrücke das Genfer Hafenbecken überspannen sollte, wurde abgelehnt. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere kommt der Rückschlag: Seine Frau Lilly stirbt 1933 überraschend im Alter von 55 Jahren und hinterlässt ihm zwei Söhne und eine erst elf Jahre alte Tochter. Zwei Jahre später heiratet Othmar Ammann die Schweizerin Kläry Nötzli-Vogt, die

Witwe des international bekannten Ingenieurs im Bereich Staumauern Fred A. Nötzli, mit dem Ammann befreundet war. 1940 – im Alter von 61 Jahren – machte sich Othmar Ammann selbständig und gründete 1946 zusammen mit dem Betonexperten Charles Whitney das «Ammann & Whitney Büro». Den letzten Rekord bricht er mit 85 Jahren. In der Hafeneinfahrt von New York wird 1964 die Verrazano-Narrows Bridge eröffnet. Mit einer Spannweite von fast 1298 Metern war ein neuer Weltrekord aufgestellt worden. Gleichzeitig wurde Ammann als erstem Ingenieur überhaupt die grosse Ehre zuteil, die National Medal of Science verliehen zu bekommen – und dies vom Präsidenten Lyndon B. Johnson höchstpersönlich! Als hätte er nur noch darauf gewartet, stirbt Othmar Ammann ein Jahr später in seiner New Yorker Wohnung im Alter von 86 Jahren. Eine Schrift der Baubehörde von New York schrieb zur Eröffnung der Hängebrücke in seiner Schrift «Spanning the Narrows» über Othmar Ammann (Übersetzung)*: «Der junge Schweizer Ingenieur kam 1904 nach Amerika, um «ein paar Jahre Erfahrung in der amerikanischen Brückenbautechnik zu sammeln» und trug in den 60 Jahren, die er hier verbrachte, wesentlich zur Entwicklung dieses Landes bei. Er gilt heute als einer der grössten Brückenbauer dieser Welt.»

* Quelle: Stadtarchiv Schaffhausen. Originaltext: «The young Swiss engineer who came to America in 1904 to «gain a few years experience in American bridge building techniques» has spent 60 years here making an enormous contribution to the development of his adopted land. He stands today the foremost bridge builder in the world.»

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Die Zeit als Hauptakteur E I N L E H R S T Ü C K Eveline Hasler ist eine Meisterin des historischen Romans. Mit Vorliebe macht sie sich dabei

auf die Spur einer vergessenen Persönlichkeit, die im Laufe der Erzählung eine beachtliche Wirkung entfaltet, weil sie einen rückständigen oder sogar gefährlichen Zustand in ihrer Gesellschaft verändern will.

INTERVIEW DOMINIQUE LIEB

Im Herbst 2015 wurde im Schauspielhaus Zürich das Buch «Stürmische Jahre» von Eveline Hasler vorgestellt. Es behandelt die bewegten Jahre rund um die Pfauenbühne, in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Ich wunderte mich, warum die grosse Schweizer Autorin sich einer Epoche zuwendet, die bereits eine ganze Weile zurückliegt.

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Frau Hasler, in Ihrem neuen Roman lassen Sie Episoden aufleben, die sich vor über 80 Jahren rund um das Stadttheater in Zürich ereignet haben. Glauben Sie, dass die Ereignisse etwas mit der heutigen Zeit zu tun haben? Evelin Hasler Die Ereignisse sind alle gut dokumentiert und wir sind heute nicht weit davon entfernt. Wir sind alle miteinander verflochten, auch mit den

zeitlichen Abläufen. Meine Herzensangelegenheit in diesem Roman ist die Person Ferdinand Rieser. Er war ein Schweizer jüdischer Herkunft, seine Familie stammte aus Süddeutschland. Die Familie hatte sich in Riesbach niedergelassen und betrieb eine Manufaktur, die sich der Fabrikation von Destillaten, Likör und Wein widmete. Von daher hatte Ferdinand Rieser eine wirtschaftliche Grundlage, um später das

Das riskante Stück «Die Rassen» wurde schon 1933 am Schauspielhaus aufgeführt. Es war das erste Stück, das den Faschismus thematisierte. Foto: zVg/ T+T Fotografie


seine Frau Marianne Werfel in Prag kennengelernt. Die Werfels hatten eine Handschuhfabik in Prag, und Rieser hatte dort geschäftlich zu tun. Warum war Ferdinand Rieser so wichtig? Thomas Mann war ein regelmässiger Gast im Zürcher Schauspielhaus. Man könnte sagen, Thomas Mann war viel wichtiger, er hat den Nobelpreis bekommen. Oder die sehr betuchten Schwarzenbachs mit ihrer Fabrik in Thalwil und 27 Tochterfabriken in der ganzen Welt. Aber für mich sind die Riesers wichtiger. Ich habe eine Schwäche für Menschen, die zu ihrer Zeit unbeachtet geblieben sind. Es hat mich immer seltsam gedünkt, dass man bei der Geschichte des Schauspielhauses nur den Nachfolger Oskar

BÜCHER ÜBER UNBEQUEME HELDEN In ihrem ersten Roman bescheibt Eveline Hasler das Leben von Anna Göldi, die als Hexe in Glarus hingerichtet wurde. Es folgt ein Roman über Emily Kemplin-Spyri, die erste Frau, die in der Schweiz als Juristin promovierte. Zeitlebens kämpfte Kemplin-Spyri für die Zulassung als Anwältin: Nach einer Odyssee über Berlin nach Amerika, wo sie als Juristin dozierte, kehrte sie in die Schweiz zurück und wurde wegen Geisteskrankheit in eine Irrenanstalt eingewiesen. Ob sie tatsächlich geisteskrank war, ist umstritten. Ein weiteres Buch handelt von Henry Dunant, der das Rote Kreuz gegründet und die Genfer Konvention initiiert hatte: Er wurde als Mitglied aus seiner eigenen Gründung gestrichen. Die letzten 30 Jahre seines Lebens verbrachte er in ärmlichen Verhältnissen. Mit 73 Jahren erhielt er den Friedensnobelpreis. Eveline Haslers letzter Roman «Stürmische Jahre» rekonstruiert die Ereignisse rund um das Schauspielhaus in Zürich in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Gegen die Anfeindungen der Frönteler setzt Ferdinand Rieser, der Besitzer des Theaters, in den 1930er-Jahren am Pfauen einen Spielplan durch, der den Ungeist des aufkommenden Nationalsozialismus thematisiert. Noch heute zehrt das Schauspielhaus Zürich vom Ruf des legendären Immigrantentheaters. Mit diesen Geschichten zeigt Eveline Hasler, wie einzelne Menschen durch ihr geschärftes Bewusstsein eine Zeit beeinflussen und verändern können – ungeachtet des Risikos, dabei ihr Leben in Gefahr zu bringen. Stürmische Jahre, gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-312-00668-7 Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, 31.90 Franken eBook 24.90 Franken

Schauspielhaus zu kaufen. Viele Menschen, die zu unserer Wirtschaft oder zur Kunst beitragen, sind Secondos, das vergessen wir immer wieder. Auch Rieser war ein Sohn von Zuwanderern.

Wälterlin erwähnt. Er hat das Theater mit dem Ensemble 1938 übernommen. Wälterlin war ein sympathischer Mann, aber er hatte sich in das gemachte Bett gesetzt, wie man so schön sagt.

Ferdinand Rieser selbst hatte von seinem Hintergrund her nicht viel mit Theater zu tun. War seine Frau eine Theaterenthusiastin? Durch die Liebe zum Theater hatte er

Hatte Rieser mit seinem Theaterprogramm die geistige Landesverteidigung vorbereitet? Rieser hat das riskante Stück «Die Rassen» schon 1933 am Schauspielhaus

aufgeführt. Es war das erste Stück, das den Faschismus thematisiert. Das nächste Stück «Professor Mannheim» wurde 1934 aufgeführt und war noch brisanter. Das setzte einen Lernprozess in Gang, den die ganze Schweiz mitmachte. Es waren fantastische Aufführungen, denn jetzt hatte das Zürcher Theater die besten deutschsprachigen Schauspieler. Aus der ganzen Schweiz kam das Publikum, um sich das Stück anzuschauen. Theo Otto hat die Bühnenbilder gemacht, er war ein grosses Kaliber in Norddeutschland. Auch er war geflohen, weil er sich weigerte, ein Nazistück zu bearbeiten. So sind die besten Leute nach Zürich gekommen. Im Grunde spielten sie genau das Leben nach, wie es gerade stattfand. Im Pfauentheater gab es immer wieder Störaktionen von den Frontisten. Es gab auch Kommunisten, die viele Störungen verursacht haben. Alle diese extremen Gruppierungen wurden verboten, weil man die Ruhe im Land erhalten wollte. In der ganzen Schweiz wurde mobilisiert, jeder Schweizer musste ins Militär und es entstand eine ganz andere Mentalität. Bis dahin hatten diverse Gruppierungen mit den Bewegungen von rechts aussen sympathisiert. Aber dann haben sich alle Kreise auf die Landesverteidigung konzentriert, denn bei Kriegsbeginn 1939 musste man auf das Schlimmste gefasst sein. Ferdinand Rieser hatte zwölf Jahre lang an der geistigen Verteidigung der Schweiz gearbeitet. Der ärgste Störfaktor des Pfauentheaters war James Schwarzenbach, ein Anführer der Zürcher Fröntelerbewegung. James Schwarzenbach war der sogenannte Mentor dieser Aktionen gegen das Theater. Er hat die Ideen geliefert und eigenhändig Stinkbomben gezündet. Bei der «Dreigroschenoper» von Bertolt Brecht gab es den schlimmsten Krawall. James war gegen die Menschen, die Hitler in seinen Absichten erkannten. Der Hauptaffront von James Schwarzenbach war gegen Erika Manns «Pfeffermühle». Wie hat sich denn die Stadt Zürich zu diesen Vorfällen geäussert? Der damalige Stadtrat war ziemlich links und hatte sich hervorragend gehalten. Emil Klöti war 14 Jahre lang Stadtpräsident. Er war ein sehr gebildeter Mann. Er wusste, dass die «Dreigroschenoper»

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kein Pornostück war und dass es in vielen Städten bereits aufgeführt worden ist, ohne eine einzige Klage nach sich zu ziehen. Emil Klöti sagte, der Protest sei eine Schande für Zürich, man könne das Stück nicht absetzen. Annemarie Schwarzenbach war die Cousine von James und sie war in Erika Mann verliebt, das waren komplizierte Verhältnisse. Das ist das Schöne am Buch, dass die drei Familien wie drei Stränge miteinander verzopft sind. Die Zeit ist der Hauptakteur in diesem Buch, aber die Zeit ist etwas Abstraktes. Wie mache ich den Geist der Zeit dingfest. Anhand von drei Familien, die sehr einflussreich waren. Die Schwarzenbachs waren widersprüchlich. Die Familie war von Hitler begeistert, bis auf Annemarie, die uns heute noch im Gedächtnis ist. Sie wurde zur Kultfigur, auch wegen ihrer androgynen Schönheit. Sie fuhr damals mit einem kleinen Auto nach Afghanistan und in Amerika führte

EVELINE HASLER

sie Industrieanalysen durch – das war auch für eine Industriellentochter ungewöhnlich. Aber sie war restlos verloren. Sie hat ihre Familie geliebt, und Annemarie war gespalten durch die Liebe zur Mutter und die Liebe zu den Kindern der Manns. Da sind noch viele Briefe erhalten. Sie wurde von den Frontisten verleugnet. Doch Erika wollte nichts von Annemaries Liebe wissen: Ihr war bewusst, ihre «Pfeffermühle» wäre in Gefahr gekommen. Es gab ja noch das Theater Cornichon in Zürich. Die Pfeffermühlentruppe ging oft auf Tourneen, nach Deutschland und nach Prag. Unterdessen hatte sich das Theater Cornichon in die Nische gesetzt. Da waren mehr Schweizer Autoren und Schauspieler beteiligt, was den Vorteil hatte, dass sie die Schweiz kritisieren konnten. Erika Mann hätte man das nie verziehen.

Die Schriftstellerin wurde 1933 in Glarus geboren. Sie studierte Psychologie und Geschichte an der Universität Fribourg und in Paris. Heute lebt Evelin Hasler im Tessin. Sie verfasste zunächst Kinder- und Jugendbücher, später Lyrik und Romane. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet. 1990/91 war sie Guest Lecturer am German Department der City University in New York. 2012 wurde ihr ein Ehrendoktor von der Universität Bern verliehen. Einige ihrer Bücher sind in zwölf Sprachen übersetzt.

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Wie war Annemarie Schwarzenbachs Verhältnis zu ihrem Cousin James? Sie war drei Jahre älter als er und sie wurde, was er auch werden wollte, nämlich Schriftstellerin. Die ganze Familie rühmte sie, bevor die Sachen zu sehr ins Kraut schossen. Sie hat früh ihren Doktor gemacht und schrieb schon bald

ihr erstes Buch. Das Buch wurde am wenigsten gerühmt, da sahen sie schon, das geht nicht in die richtige Richtung. James vertrat eine total andere politische Ansicht als Annemarie. Es sind auch drei schöne Passagen im Buch, die sich steigern. In denen James Annemarie als Kind bewundert, Annemarie aber schon ein Fräulein ist und darüber nachdenkt, was sie werden will. Dann treffen sie sich wieder auf dem Landgut Bocken in Horgen. Bocken gehört heute der Credit Suisse und ist jetzt ein Schulungsseminar. Aber damals war es ein riesiges Gebiet und Eigentum der Schwarzenbachs. Thomas Mann ist relativ früh in die Schweiz emigriert, hat aber weiterhin in Deutschland publiziert. Er hatte in ganz Europa eine Vortragsreihe gehalten über Richard Wagner. Die deutsche Kulturaufsicht sagte, die Vortragsreihe wende sich gegen den Komponisten, der Hitler so sehr gefiel. So wollte man Thomas Mann nach der Rückkehr seiner Reise betrafen. Das haben die zwei ältesten Kinder gehört – Klaus und Erika waren ja hellwach. Die Eltern weilten zu der Zeit in Arosa. Da haben sich die Kinder beraten und gesagt, um Himmels willen, kommt nicht mehr nach Hause. Aus dieser


Moorsoldaten» eingeladen. Das Buch war im Schweizer Spiegel-Verlag erschienen. Bei der Lektüre ging den Leuten ein Licht auf, denn Langhoff hat 13 Monate lang in einem Konzentrationslager geschmachtet. Später hatte Rieser veranlasst, dass Langhoff im Fond eines Wagens über die Grenze in die Schweiz geschmuggelt wurde. Wer hat das Theater übernommen, als Rieser nach Amerika emigrierte? Ferdinand Rieser, der Besitzer, hatte das Schauspielhaus 1938 an die Stadt verpachtet. Emil Opprecht und Stadtpräsident Emil Klöti gründeten eine AG und bestimmten Riesers Nachfolger, Oskar Wälterlin. In dem Moment, in dem das Theater offiziell von der Stadt übernommen wurde, machte es sofort Defizite. Unter Rieser gab es nie Defizite, dabei scheint er die besten Löhne von allen Schweizer Theatern bezahlt zu haben. In der langen Sommerpause vom Frühling bis zum Herbst war das Theater geschlossen, das konnte er nicht bezahlen. Darum hatte es immer wieder Streitigkeiten gegeben.

Reise wurde eine Emigration von vielen Jahren. Bei der Uraufführung von «Die Rassen» in Zürich 1933 sass auch Thomas Mann im Publikum. Er war natürlich privilegiert. Die Deutschen hatten immer noch gehofft, sie könnten ihn zurückholen. Korrodi schrieb einen Artikel in der NZZ: Es seien keine guten Leute ausgewandert aus Deutschland, nur die Juden mit ihrer Romanindustrie – mit diesen Emigranten wolle Thomas Mann sicher nicht gemeine Sache machen. Thomas Manns Kinder haben das beanstandet und gesagt, er müsse endlich mal Klartext reden. In dem Moment als er das getan hatte, entzogen ihm die Nazis das Bürgerrecht. Leider waren die Schweizer Behörden zu verschlafen und haben ihn nicht eingebürgert. Also hat er, wie sein Bruder, das tschechische Bürgerrecht angenommen. Später wurde er Amerikaner. Die Kulturaufsicht in der Schweiz hatte eine Art «Ausmusterung» betrieben. Sie wollte nur die «guten» Schriftsteller in die Schweiz lassen. Ja, diesem Thema habe ich ein Kapitel in meinem Buch gewidmet. Der Präsident des Schriftstellerverbands hatte sich eingebildet, er könne das beurteilen, dabei stufte er sehr gute Schriftsteller als minderwertig ein.

Durch die Liebe zum Theater hatte Ferdinand Rieser seine Frau Marianne Werfel in Prag kennengelernt. 1926 erwarb er das Zürcher Schauspielhaus und führte es bis 1938 als Privattheater, ohne finanziellen Defizite.

Else Lasker-Schüler beispielsweise wurde abgewiesen. Das war ein Skandal, sie musste auf Parkbänken schlafen. Andere Schriftsteller durften nicht zum Radio, oder durften nicht publizieren. Ein paar Verlage wollten sich in Zürich etablieren, darunter auch der Verlag von Thomas Mann. Das wurde ihnen nicht erlaubt. Der Verband der Schweizer Verleger und die Theaterverbände wollten Schweizer Stücke aufführen. Es gab Schweizer Autoren die dramatisch begabt waren, deren Stücke hat Ferdinand Riese auch aufgeführt. Aber die meisten Schweizer Stücke waren beim Publikum nicht beliebt, dafür konnte Rieser nichts. Max Frisch hat sein Stück «Andorra» erst geschrieben, als der Krieg längst vorbei war. Hätte er das früher gebracht, hätte er den Leuten etwas sagen können. Der Verleger Emil Opprecht hatte sich doch schon früh auf Emigrantenliteratur spezialisiert? Er hatte einen Laden an der Rämistrasse, da wurden immer wieder Scheiben eingeschlagen. Schon 1933 hatte er Bücher im Schaufenster, die in Nazideutschland verbrannt worden waren. Das war ein grosses Mutstück. Zusammen mit seiner Frau hat er Wolfgang Langhoff für eine Lesung aus seinem Buch «Die

Ich stelle mir Ihre Arbeit vor wie ein Gewebe: Sie sammeln Informationen und verflechten sie zu einem Bild, das immer deutlicher und dadurch gegenwärtiger wird. Es war ein Glücksfall mit den drei Familien, denn die waren tatsächlich miteinander vernetzt. Ich habe im Leo Baeck Archiv in New York nach Dokumenten aus dieser Zeit gesucht. Die Unterlagen und Briefe der Riesers sind dort und ich habe ein Theaterstück von Marianne Werfel gefunden. Ich gehe gerne nach New York, auch weil ich das Ambiente schon kenne. Diese Erfahrung habe ich für ein anderes Buch gebraucht, das ebenfalls für die Zürichseeregion relevant ist: «Die Wachsflügelfrau», über die Nichte von Johanna Spyri. Schreiben Sie nie aus der Fantasie? Es gibt genug Schriftsteller, die Geschichten erfinden. Ich finde, das Leben schreibt die verrücktesten Geschichten. Was soll ich da etwas erfinden, bei dem sich die Leute fragen müssen: Ja war das jetzt wirklich so oder nicht? Sicher gibt es in dem Buch fiktive Passagen, etwa wenn die Leute miteinander sprechen. Aber diese Gespräche sind Briefen nachgebildet. Ich weiss ungefähr, worüber und wie sie miteinander gesprochen haben. Auf diese Weise kann man sehr viel Unbekanntes ans Licht bringen.

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Chorprojekt

ironisieren die Konsumgesellschaft, die Steuerflucht, die Finanz- und Marktgläubigkeit.

F I N A N Z R E Q U I E M Der Zürcher Chor «Kultur und Volk» hat gerade sein

40-jähriges Jubiläum hinter sich. Unter der Leitung von Ines Bauer nimmt der Chor unsere Finanzkultur unter die Lupe und probt die «Gesänge aus der Unruhe». INTERVIEW DOMINIQUE LIEB

Musik ist eine Sprache, die jeder versteht und die Menschen verbindet. Seit seinen Anfängen in den 1970er-Jahren setzt sich der Chor «Kultur & Volk» auch mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinander. Nach dem Programm «Heimat Fluchten» wurden Lieder über Wanderarbeiter und illegale Einwanderer einstudiert, dazu kam ein Zyklus mit italienischen Volksliedern. Mit Bernhard Lohri von der Projektgruppe treffe ich mich zu einem Gespräch. Er präsentiert mir einen Ordner, in dem er fein säuberlich Zeitungsausschnitte aus dem Wirtschaftsressort zusammengestellt hat. Für das neue Projekt haben Sie eine Komposition in Auftrag gegeben, woraus ein «Finanzrequiem» entstanden ist. Was wird da besungen? Bernhard Lohri Unser Chor hat kein klassisches Repertoire, sondern wir gehen meistens von einem Thema aus. Dazu suchen wir die passenden Lieder oder geben eine Neukomposition in Auftrag, mit einem Libretto, das wir selber geschrieben haben. Haben Sie eine besondere Vorliebe für die Finanzindustrie? Für unsere «Gesänge aus der Unruhe» haben wir die Struktur eines Requiems gewählt. Im Requiem aeternam haben wir die Steuerflucht umgedeutet in die Sehnsucht nach den «Tresoren des Glücks». Eine Schicht von Finanzjongleuren entzieht der Zivilgesellschaft das Geld und sondert sich ab im Offshore-Konstrukt – vereinfacht gesagt. Überhaupt soll das gängige eigennützige Verhalten entlarvt werden. Im Dies irae beklagen wir die weltweite Umverteilung: In einem Teil der Welt wird schwer gearbeitet unter schlechtesten Bedingungen, und die westlichen Industriegesellschaften profitieren davon. Im Offertorium besingen wir das Finanzkarussell, wo haufenweise Finanzprodukte kreiert werden. Im Sanctus ironisieren wir die Aufre-

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Heute ist das Geld besser verteilt als vor 500 Jahren, die Situation hat sich doch eigentlich verbessert? Durch die Finanzkrise hat sich die Wohlstandsschere wieder weiter aufgetan. Vor allem die materielle Sicherheit vieler Bürger und Bürgerinnen ist gefährdet. Die Banken sind bedroht durch den Crash. In Italien gehen Regionalbanken in Konkurs und die kleinen Leute haben ihr Erspartes verloren. Sie wünschen sich ein Umdenken. In welche Richtung soll das gehen? Es gibt Reformvorstellungen, zum Beispiel mit der Vollgeld-Initiative: Das heisst, dass die Banken nur Geld ausleihen dürfen, das sie auch bekommen. Gegenwärtig haben sie zu wenig Eigenkapital.

gung an den Märkten. Das Agnus Die endet in einer feierlichen Harmonie. Ein Requiem ist eine Totenmesse. Wer ist denn gestorben? Es ist eine Totenmesse auf die Zivilgesellschaft. Sie wird bedrängt durch die Steuerflucht. Die Realwirtschaft wird zerstört, wie im Süden von Europa. Die Pensionsgelder werden dem Risiko der Finanzspekulation ausgesetzt.

Im Zürcher Chor «Kultur & Volk» besingen 40 Frauen und Männer brennende Themen aus der Gegenwart. Foto: zVg/Dieter Stokar

Dann machen wir alle früher oder später Schulden? Ja, und es gibt eine Schuld, die nicht mehr rückzahlbar ist, so wird das auch von Finanzexperten dargestellt. Historisch hat sich immer wieder gezeigt: Die Schuldenwirtschaft geht nicht auf, man muss wieder von vorne anfangen. Ist das Chorprojekt eine Persiflage auf das Finanzsystem? Bei der Frage nach der Güterverteilung wollen wir auch unsere Wut ausdrücken. Die Wut darauf, dass die eine Seite am Hungertuch nagt und die andere im Konsumüberfluss lebt. Wir

«GESÄNGE AUS DER UNRUHE» Aufführungen/Konzerte: 9. März, 11. März, 16. März, 18. und 23. März, jeweils um 20.00 Uhr., Sonntags: 13. und 20. März, jeweils um 11.00 Uhr. Photobastei, Sihlquai 125, Reservation: www.kuv.ch/aktuell

Das Libretto des «Finanzrequiems» ist eher minimalistisch, man muss viel interpretieren. Versteht das ein breites Publikum ? Zur Ergänzung haben wir eine Dokumentation mit verschiedenen Beiträgen von Referenten erstellt, etwa des Wirtschaftsethikers Peter Ulrich, emeritierter Professor der Hochschule St. Gallen und des Entwicklungs- und Steuerexperten Bruno Gurtner. Für die Aufführungen im März konnten wir den Regisseur Christopher Kriese und die Rapperin BigZis gewinnen. Das Libretto ist sehr poetisch und offen geschrieben. Können Sie noch etwas zur Komponistin sagen? Die aus Rom stammende Sängerin, Komponistin und Musikethnologin Giovanna Marini sammelte und transkribierte eine Vielzahl überlieferter italienischer Volkslieder. Ihr kompositorisches Werk umfasst unter anderem Lieder, Kantaten, ein weiteres Requiem und Werke für den Chor. Wie finanzieren Sie das Projekt? Wir finanzieren uns über öffentliche und private Beiträge sowie Crowdfunding. Was bleibt nach der Aufführung beim Publikum hängen? Es ist ein Bauchgefühl, dass mit unserem Finanzsystem etwas nicht stimmt. Vielleicht wird nach der Aufführung mit dem Publikum ein Gespräch entstehen. Anschliessend sitzt man zusammen bei Wein und Brot und verbrüdert sich.


K U LT U R

Mit Verspätung D A D A G L O B E R E C O N S T R U C T E D Rund 200 Werke und Texte aus ganz Europa wollte der Dadaist Tristan

Tzara 1921 in seinem Buchprojekt «Dadaglobe» zusammenbringen. Das ist ihm damals nicht gelungen. Zum 100. Geburtstag von Dada wird sein Vorhaben nun im Kunsthaus Zürich verwirklicht.

TEXT SILVAN BUHOLZER

Im Jahre 1916 wurde die Bewegung «Dada» von Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Hans Arp in Zürich gegründet. «Dada» stand für den totalen Zweifel an allem. Im Cabaret Voltaire an der Spiegelgasse 1 in Zürich stellte man den Idealismus des Bürgertums in Frage, warf die Ethik über den Haufen und setzte sich ein für den Frieden. Über die Begriffsherkunft «Dada» gibt es verschiedene Thesen: Ein in Zürich erhältliches Haarwaschmittel mit dem Namen «Dada» soll die Künstlergruppe zur Namensgebung angeregt haben. Eine andere Erklärung besagt, das Wort «Dada» sei der Kleinkindersprache entnommen worden. Der Begriff «Dadaismus», wie er heute von der Kunstwissenschaft verwendet wird, wäre von den Dadaisten abgelehnt worden, denn der «-ismus» bezeichnet eine Stilrichtung.

Reihe ausgewählter Lyrik- und Prosawerke, Manuskripte, Drucksachen und historisch relevante Dokumente. Einige stammen von renommierten öffentlichen und privaten Sammlungen aus Berlin, Paris und New York. Aus der Bibliothéque littéraire Jaques Doucet hat die in New York ansässige Gastkuratorin Adrian Sudhalter Werke zusammengetragen und gemeinsam mit der Zürcher Kunsthaus Kuratorin Cathérine Hug zu einer dichten Kabinett-Ausstellung arrangiert. «Dadaglobe Reconstructed» wird vom 12. Juni bis zum 18. September 2016 ebenfalls im Museum of Modern Art in New York zu sehen sein.

Für die Künstler der Dadabewegung war «Dada» ausdrücklich Anti-Kunst und richtete sich gegen jede Form von Ideologie. «Dada Reconstructed» Hundert Jahre nach der Gründung des Dadaismus präsentiert das Kunsthaus Zürich nun «Dadaglobe Reconstructed». Die Ausstellung zeigt die gesellschaftspolitische Relevanz und kunsthistorische Schlagkraft der Dada-Bewegung. Arbeiten von Hans Arp, André Breton, Max Ernst, Hannah Höch, Sophie Taeuber-Arp und von rund 30 weiteren Künstlern und Künstlerinnen machen mit ihren Beiträgen auf die brutale gesellschaftliche Verwerfung des Ersten Weltkrieges aufmerksam. In langjähriger Recherchearbeit wurden die weltweit verstreuten Beiträge zusammengetragen. Unter den 200 kleinformatigen Arbeiten auf Papier befinden sich Fotografien, Zeichnungen, Fotomontagen und Collagen sowie eine

100 Jahre Verspätung Ein grosser Teil des Materials stammt aus dem Nachlass von Tristan Tzara. Es sind künstlerische Beiträge, die dem Künslter ab 1921 aus ganz Europa zugeschickt worden waren. Möglicherweise DADA-KOSTÜMBALL Zum 100-jährigen Dada-Jubiläum 2016 findet im Kunsthaus Zürich ein grosser DADA-Kostümball mit Live Musik, DJs sowie Bars und Lounges statt. Für das musikalische Programm sind Les Reines Prochaines, Jessy Howe & The Rhythm Cobras, die DJs Lexx, Untitled Campolongo und David Suivez besorgt. Weitere Höhepunkte sind die Kostümprämierung und das Anstossen aufs Dada-Jubiläum um Mitternacht. Samstag 13. Feb 2016, 20.00 – 00:00h

Nic Aluf, Porträt von Sophie Taeuber mit DadaKopf, 1920, Silbergelatineabzug, 20,9 x 16,6 cm Bildquelle: Galerie Berinson, Berlin Nachlass Nic Aluf ©

war das Projekt eine Vision der grenzenlosen Möglichkeiten des nahenden digitalen Zeitalters. Die heutige Kommunikationstechnologie wäre für Tristan Tzara sicher sehr nützlich gewesen – nur gab es die Cybergesellschaft damals noch nicht. Aufgrund finanzieller sowie organisatorischer Schwierigkeiten kam die Veröffentlichung nie zustande. Mit der Ausstellung im Kunsthaus erscheint eine Publikation, die den Anweisungen des Dadaisten so getreu wie möglich folgt und das Buchprojekt mit dadaistischer Verspätung rekonstruiert.

INFOS Öffentliche Führungen finden statt am 6.2./19.3. um 11 Uhr, am 17.2./3.3./14.4. um 18 Uhr und am 3.4. um 13 Uhr, www.kunsthaus.ch.

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BUSINESSLUNCH

Restaurant Intermezzo: Kulinarische Köstlichkeiten in gepflegter Umgebung.

Genuss am See Z E N T R A L G E L E G E N Das im Kongresshaus Zürich angesiedelte Restaurant

Intermezzo sorgt für kulinarische Höhepunkte.

Der Direktor der Betriebsgesellschaft Kongresshaus Zürich AG Titus Meier und Küchenchef Urs Keller mit der Trophäe des Irish Beef Clubs. Fotos: Marie Madeleine LINTER & Kongresshaus Zürich

TEXT PETER BLATTNER

Das Intermezzo ist prädestiniert für Geschäftsessen am Mittag oder Abend, wo in angenehmer Atmosphäre und kulinarischen Köstlichkeiten schwelgend, vertrauliche Gespräche geführt und zum erfolgreichen Abschluss gebracht werden können. Küchenchef Urs Keller und sein Team bürgen für Qualität, welche sich nicht zuletzt in der Mitgliedschaft in der «Chaîne des Rôtisseurs» sowie der «Tafelgesellschaft zum Goldenen Fisch» niederschlägt. Ein(blick) ins gastronomische Angebot Für Gesellschaften, wie zum Beispiel die goldenen Fischer, kreiert der Küchenchef Spezialmenüs, aber auch sonst ist Fantasie angesagt. So gibt es unter anderem ein «Wasser-Menü», das aus Tuna Tatar, Orkney Salm, Zander und Ananas mit Schokolade besteht. Das «Gartenmenü» wartet mit Risotto, Linsenküchlein, Spitzpaprika und einem Heidelbeersorbet mit Quitte auf. Alternativ zur Süssspeise gibt es eine ausgesuchte Käsevariation. Und dann das «Weidemenü» für Fleischliebhaber:

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Es startet mit Jungente auf Sauerkraut, Schweizer Kalb mit Trüffel (oder wahlweise Rentierrücken), Bread and Butter Pudding. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Fisch. Es wird grossen Wert auf regionale Produkte, nachhaltige Zucht oder Wildfang gelegt. Der Tagesfisch kommt aus dem Zürichsee. Er wird von Andy Braschler aus Hurden geliefert, der den Fisch gleichentags fängt und verarbeitet. Im Weiteren gibt es die riesige Seeforelle. Salzwasserfische liefern Schottland (Salm), Indonesien und der West Pazifik. Dass nach einem feinen Mahl fantasievolle Desserts und ausgesuchte Käseplättli vom Maître Fromager gereicht werden, versteht sich von selbst. Das Angebot wechselt regelmässig, die hier geschilderten Speisen waren im Moment der Abfassung des Porträts im Angebot und sollen die Fantasie und Vielseitigkeit des Küchenchefs belegen. Urs Keller bevorzugt regionale Lieferanten. In vino veritas Was wäre ein feines Essen ohne Wein? Die Karte lässt sich im Intermezzo erwartungsgemäss sehen. Bei den

Weissweinen umfasst das Angebot nebst unseren Nachbarländern Spanien und Kalifornien. Die Karte der Schweizer Tropfen ist sehr erfreulich, seien es der Räuschling von Weinbauer Lüthi in Männedorf, der Neftenbacher Chardonnay von Nadine Saxer oder der Malanser Chardonnay von Annatina Pelizatti in Jenins. Auch die grossen Namen aus dem Waadt, dem Wallis und dem Tessin sind dabei. Die Rotweinkarte ist naturgemäss umfangreicher, auch hier ein Lob für die Auswahl an einheimischen Weinen aus quasi allen Wein produzierenden Kantonen.Hier sind auch Magnum Flaschen im Angebot wie zum Beispiel Nauer’s Pinot noir Rarum oder Quattromani, ein Merlot von vier Produzenten aus dem Tessin. Selbstredend adäquate Angebote aus europäischen Weinbaugebieten sowie den USA, Argentinien und Südafrika.

INTERMEZZO Gotthardstrasse 5, 8002 Zürich. Telefon: 044 206 36 36, Öffnungszeiten Mo-Fr: 11.30 bis 15.00 Uhr und 17.30 bis 23.30 Uhr, am Wochenende nur für geschlossene Gesellschaften geöffnet. www.kongresshaus.ch


GESCHICHTE DES KONGRESSHAUSES ZÜRICH 1937 wurde mit der Kongresshaus-Stiftung eine Trägerschaft geschaffen, das Gebäude wurde von Max Ernst Haefeli, Werner Moser und Rudolf Steiger entworfen. Das Kongresshaus, das am 5. Mai 1939 eröffnet wurde, ist mit der Tonhalle zu einem einheitlichen Baukörper verschmolzen. In diesem Haus sind viele Weltstars, aber auch Staatspräsidenten, Bunderäte und Wirtschaftsführer aufgetreten. Die AG hat ein Aktienkapital von 5 Millionen Franken und wird von über 1100 Aktionären gehalten.

wähnen, eine Assemblage von Zweigelt, Merlot und Pinot Noir.

Carpaccio von der Wildfang-Dorade mit Hummer, Lime Fingers und Avocado-Öl.

Die Preise der Rotweine sind naturgemäss unterschiedlich, aber es muss gesagt werden, dass viele Tropfen zu zwischen 50 und 70 Franken erhältlich sind, was in einem Betrieb dieser Klasse sicher nicht übertrieben ist. Es wird

auch der Offenausschank gepflegt, bei den Weissen sind immer zwei Schweizer Weine im Angebot, so zum Beispiel ein Pinot Gris vom Château d’Auvernier. Bei den Rotweinen könnte man den 1834 Stadt Zürich von Landolt er-

Weitere Angebote Die ebenfalls im Kongresshaus ansässige «Brasserie» mit der grossen Terrasse setzt auf Frischprodukte, sei es zum Snack, zum Lunch oder einem Abendessen vor oder nach einer Veranstaltung. Mit der Carte Plus profitiert man von einem Treuebonus. Und wer gerne einen Abstecher ins Zürcher Nachtleben wagt, der ist mit einem Besuch im «Club Adagio» gut beraten. Trendige Veranstaltungen in einer prunkvollen Atmosphäre lassen jeden Abend bestens ausklingen. Anzeige

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RECHT

Ungleiche Ellen A R B E I T S Z E I T E R FA S S U N G Grundsätzlich sind in der Schweiz alle Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitszeiten

ihrer Mitarbeitenden zu erfassen, soweit diese dem Arbeitsgesetz unterstehen.

TEXT NICOLAS FACINCANI

In letzter Zeit wurden die Voraussetzungen hierfür massiv gelockert und für gewisse Mitarbeitende kann ganz auf die Arbeitszeiterfassung verzichtet werden. Gestützt auf Art. 46 des Arbeitsgesetzes (ArG) und Art. 73 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1) sind die meisten Arbeitgeber jedoch zu einer umfassenden Erfassung der Arbeitsund Ruhezeiten der Mitarbeitenden verpflichtet. Verantwortung beim Arbeitgeber Grundsätzlich gilt die Regelung, dass die Dauer und die Lage der geleisteten Arbeitszeit, die Pausen von einer halben Stunde und mehr sowie die Ruhetage lückenlos erfasst werden müssen. Unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die entsprechende Pflicht an Dritte – insbesondere an die Arbeitnehmenden – überträgt, oder ob er selbst der Arbeitszeiterfassung nachkommt, verbleibt die Verantwortung für die korrekte Erfassung der Arbeitszeit beim Arbeitgeber, welcher auch zu prüfen hat, ob die entsprechenden Dritten ihrer Verpflichtung nachkommen. Die Realität sieht in der Schweiz jedoch anders aus. In vielen Betrieben wird die Arbeitszeit überhaupt nicht, oder nur unvollständig erfasst. Dabei wird oft argumentiert, bei den betroffenen Mitarbeitenden handle es sich um höhere leitende Angestellte und das Arbeitsgesetz finde daher ohnehin keine Anwendung. Nachfolgend sollen die Ausnahme und die Erleichterungen von dieser allgemeinen Regel aufgezeigt werden. Anwendbarkeit des Arbeitsgesetzes Das Arbeitgesetz sieht für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmenden vor, dass die Bestimmungen nicht anwendbar sind. So gelten die Bestimmungen zu den Arbeitszeiten und die Erfassung der Arbeitszeit nicht für Mitarbeitende, die eine höhere leitende Tätigkeit ausüben, wobei dieser Begriff in Art. 9 ArGV 1 konkretisiert wird. Nach die-

ser Bestimmung wird eine höhere leitende Tätigkeit nur durch Personen ausgeübt, die aufgrund ihrer Stellung und Verantwortung sowie in Abhängigkeit von der Grösse des Betriebes über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügen oder Entscheide von grosser Tragweite massgeblich beeinflussen und dadurch auf die Struktur, den Geschäftsgang oder die Entwicklung des Betriebes oder Betriebsteils einen nachhaltigen Einfluss nehmen können. Vereinfachung gemäss Seco Gemäss der Weisung von Dezember 2013 ist für gewisse Mitarbeitende eine vereinfachte Arbeitszeiterfassung möglich. Voraussetzung dafür Vereinfachte Arbeitszeiterfassung ist möglich, – aber nicht für alle. ist, dass sie einen wesentliFoto: BilderBox.com chen Entscheidungsspieldiese Regelung nur für Mitarbeitende raum bei der Arbeit haben, ihre Arbeit zur Anwendung gelangen kann, sofern weitgehend selbst planen und die die entsprechenden Arbeitnehmer über Arbeitszeit selbst bestimmen. Im Weiein Bruttojahreseinkommen vom mehr teren, dass sie mit dem Arbeitgeber verals 120 000 Franken verfügen und bei einbaren, auf eine lückenlose Arbeitsihrer Arbeit über eine grosse Gestalzeiterfassung zu verzichten und nicht tungs- und Zeitautonomie verfügen. regelmässig Nacht- und Sonntagsarbeit Mit Art. 73b ArGV wurde die Mögleisten. Sind diese Voraussetzungen lichkeit einer stark vereinfachten Argegeben, sind nur die tägliche und die beitszeiterfassung eingeführt. Für die wöchentliche Arbeitszeit zu erfassen. Anwendbarkeit dieser Vereinfachung Die Weisung des Seco wird ab 1. Januar 2016 durch die nachfolgend darbraucht es eine kollektive Vereinbarung gelegte Änderung der ArGV 1 überholt. mit der Arbeitnehmervertretung. Sofern Unternehmen, welche die Weisung des keine solche besteht, hat die Mehrheit Seco bereits umgesetzt haben, dürfen der Arbeitnehmenden der Einführung noch bis Ende 2016 danach verfahren. der Erleichterung zuzustimmen. Bei Betrieben mit weniger als 50 MitarbeiNeue Ausnahmen seit 1. Januar 2016 tenden kann dies auch auf individueller Am 1. Januar 2016 wurden mit den Grundlage eingeführt werden. Art. 73a und 73b ArGV 1 zwei Ausnahmen zur systematischen Erfassung der Arbeitszeit eingeführt. Gemäss Art. 73a DER AUTOR ArGV 1 ist es möglich, auf der GrundNicolas Facincani, lic. iur., LL.M., ist Partner der lage eines Gesamtarbeitsvertrages und Anwaltskanzlei Voillat Facincani Sutter + Partner. mit der schriftlichen Zustimmung des Er ist als Rechtsanwalt tätig und berät Unternehbetreffenden Arbeitnehmers von der men und Private in wirtschaftsrechtlichen Erfassung der Arbeitszeit für diesen Belangen. Kontakt: facincani@vfs-partner.ch Arbeitnehmer ganz abzusehen, wobei

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NETZWERKE

Nein zu mehr Unsicherheit D U R C H S E T Z U N G S I N I T I AT I V E In diesem Jahr stehen zahlreiche Abstimmungen an. Einige davon betreffen

ganz konkret den Wirtschaftsstandort.

TEXT REGINE SAUTER

Am 28. Februar stimmen wir über vier nationale Vorlagen ab. Aus Sicht der Wirtschaft zu wenig im Fokus stand dabei bis anhin die sogenannte Durchsetzungsinitiative der SVP. Denn ihre problematischen Folgen für den Wirtschaftsstandort werden erst auf den zweiten Blick sichtbar. Die Initiative will der im Jahr 2010 von der Schweizer Stimmbevölkerung angenommenen Ausschaffungsinitiative «zur Durchsetzung» verhelfen. Dazu soll ein detaillierter Katalog von Delikten in der Verfassung verankert werden, die Anlass für eine Ausschaffung von Ausländerinnen und Ausländern sein sollen. Das Spektrum reicht dabei von Bagatellen bis zu Mord. Rechtsstaatlich bedenklich Aus Sicht unseres demokratischen Rechtsstaates steht diese Initiative quer in der Landschaft. Sie schreibt etwas in die Verfassung, was in einem Gesetz geregelt werden müsste und somit in die Kompetenz des Parlaments fällt. Dieses ist denn auch tätig geworden und hat zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative klare gesetzliche Regelungen erlassen, die sofort in Kraft treten könnten. Bereits bevor das Parlament seine Tätigkeit aufgenommen hatte, lancierte die SVP aber die Durchsetzungsinitiative – ein Misstrauensvotum sondergleichen an den vom Volk gewählten Gesetzgeber. Der vom Parlament verabschiedete Gesetzestext stellt nicht in Frage, dass Ausländerinnen und Ausländer, die wegen schwerer Delikte verurteilt wurden, aus unserem Land ausgewiesen werden können. Zu Recht, denn wer eine Gefahr für unsere öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, hat hier nichts verloren. Im Gegensatz zur Initiative sehen die vom Parlament erlassenen Bestimmungen aber richtigerweise vor, dass den Gerichten in Härtefällen ein Ermessensspielraum zukommt. Und, dass klar unterschieden wird zwischen Bagatellen und schwerer Kriminalität.

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Die Durchsetzungsinitiative verletzt klar das Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Foto:Keystone/Lukas Lehmann

Wenn ein junger Secondo ein Fahrrad entwendet, ist das zwar höchst ärgerlich, und er wird auch dafür bestraft. Er stellt für unsere Bevölkerung aber keine Bedrohung dar, derentwegen er in ein Land ausgewiesen werden müsste, in dem er noch nie gelebt hat. Unsicherheit ist Gift für unseren Standort Die Initiative setzt damit das Zusammenspiel zwischen unseren demokratisch legitimierten Gewalten – Parlament und Gerichte – ausser Kraft. Dies ist aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich. So wie die Durchsetzungsinitiative formuliert ist, verletzt sie zudem das Personenfreizügigkeitsabkommen, das die Schweiz mit der EU abgeschlossen hat. Denn auch Staatsangehörige europäischer Staaten sollen bereits bei Kleinstvergehen in ihr Herkunftsland ausgeschafft werden. Und hierin liegt die Hauptproblematik aus Sicht der Wirtschaft: Die Initiative schafft neue Unsicherheiten in Bezug auf unser Verhältnis zur EU und damit in Bezug auf die Zuverlässigkeit und Rechtsbeständigkeit unseres Wirtschaftsstand-

orts. Bereits heute hängt die ungeklärte Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative wie ein Damoklesschwert über uns. Unsicherheit in Bezug auf die Rechtsentwicklung eines Standortes ist jedoch Gift. Schon gehen Ansiedlungen ausländischer Unternehmen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze in der Schweiz zurück. Und die Erklärung dafür ist deutlich: Man weiss nicht, was einen erwartet. Hier mit der Durchsetzungsinitiative noch zusätzliche Probleme zu schaffen, können wir uns angesichts ohnehin schon angespannter Rahmenbedingungen nicht leisten. Wem die Zuverlässigkeit und Attraktivität unseres Wirtschaftsstandortes am Herzen liegt, der lehnt die Durchsetzungsinitiative somit klar ab. Und zwar ohne dass er Angst haben müsste, Kriminalität in unserem Land würde deshalb toleriert.

DIE AUTORIN Dr. Regine Sauter ist Direktorin der Zürcher Handelskammer und Nationalrätin.


NETZWERKE

Harte Folgen einer Fehlbarkeit A R B E I T S R E C H T Eine fristlose Kündigung ist dann zulässig, wenn ein wichtiger Grund vor-

liegt, der die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitgeberin unzumutbar macht.

Foto: BilderBox.com

TEXT HANS STRITTMATTER

VERBAND ZÜRCHER HANDELSFIRMEN

044 267 40 30 www.vzh.ch

Der Verband Zürcher Handelsfirmen (VZH) ist mit seinen rund 2 300 Mitgliedsfirmen eine starke Stimme der Arbeitgeber im Wirtschaftsraum Zürich. Die Mitgliedsfirmen profitieren u.a. von der kostenlosen Rechtsberatung im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht und den regelmässig erscheinenden Mitteilungsblättern mit aktuellen personalrechtlichen und -politischen Informationen wie Gerichtsurteilen, Checklisten, Gesetzesneuerungen, Veranstaltungshinweisen u.v.m.

Oft ist eine zugrundeliegende Situation nicht eindeutig und das Risiko einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung entsprechend gross. In der täglichen Zusammenarbeit kann aber auch bei objektiv geringfügigen Verstössen der Vertrauensverlust auf Seiten der Arbeitgeberin so tiefgreifend sein, dass eine sofortige Trennung gerechtfertigt ist. Geringfügiger Schaden Das Bundesgericht hatte im Herbst 2015 zwei Fälle zu entscheiden, bei denen es um objektiv geringe Verstösse und tiefe Schadensbeträge ging, weshalb die Zulässigkeit der von der Arbeitgeberin ausgesprochenen fristlosen Entlassung umstritten war. Konkret ging es um folgende Situationen: Im ersten Fall hatte ein langjähriger Restaurantmitarbeiter eine Flasche Wein mit einem Wert von rund 60 Franken aus dem Lager seiner Arbeitgeberin entwendet. Der Vorgesetzte ertappte ihn dabei, worauf die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis wegen versuchten Diebstahls fristlos kündigte. Im Jahr vor der Kündigung hatte der Arbeitnehmer zwei schriftliche Verwarnungen erhalten, einmal wegen Alkoholkonsums am Arbeitsplatz, das andere Mal wegen Zuspätkommens und unkorrekter Kleidung. Nach Meinung der kantonalen Vorinstanz war der versuchte Diebstahl eines Gegenstandes von so gerin-

gem Wert für eine fristlose Kündigung nicht ausreichend, zumal es sich um einen Mitarbeitenden mit mehr als elf Dienstjahren handelte und beide vorangegangenen Verwarnungen einen anderen Anlass hatten (Urteil vom 29. September 2015, 4A_228/2015). Im zweiten Fall wurde einer Mitarbeiterin mit knapp einem Dienstjahr fristlos gekündigt, nachdem an drei Tagen Manipulationen bei der Arbeitszeiterfassung festgestellt worden waren. So zeigte das Protokoll des Arbeitszeiterfassungssystems jeweils Zeiten nach 20 Uhr als «Ausstempeln» an, obwohl die Mitarbeiterin erwiesenermassen zwischen 16 und 17 Uhr nach Hause gegangen war. Die Arbeitnehmerin argumentierte unter anderem, dass die fristlose Kündigung ungerechtfertigt war, weil aus den wenigen Stunden der zu viel erfassten Arbeitszeit nur eine geringfügig erhöhte Lohnforderung resultiert habe (Urteil vom 2. November 2015, 4A_395/2015). Verstoss gegen Treuepflicht Das Bundesgericht erachtete die fristlose Entlassung in beiden Fällen als gerechtfertigt. Entscheidend dabei sei der Treuebruch und nicht die Höhe des Schadens. Ein schwerwiegender Verstoss gegen die Treuepflicht kann auch dann angenommen werden, wenn nur ein geringer Schaden resultiert. Massgebend ist, ob das Vertrauensverhältnis zwischen der Arbeitgeberin und dem Arbeitnehmer aufgrund des Ver-

haltens des Arbeitnehmers zerstört wurde. Unklar bleibt, ob die Dienstdauer zu berücksichtigen ist. Während das Bundesgericht im ersten Fall die lange Dienstdauer als nicht relevant betrachtete, berücksichtigte es im zweiten Fall, dass das Arbeitsverhältnis nur rund zehn Monate gedauert hatte und die Manipulationen wiederholt vorgekommen waren. Schriftliche Verwarnung empfohlen Die vorliegenden Entscheide bringen insoweit Klarheit, als die Arbeitgeberin einen schweren Treuebruch auch dann annehmen und von einer zulässigen fristlosen Kündigung ausgehen darf, wenn der Schaden gering ist. Dies gilt auch bei langjährigen Arbeitsverhältnissen. Die beiden neuen Entscheide lassen zudem den Schluss zu, dass es im Fall eines schwerwiegenden Vertrauensbruchs keine vorgehende Verwarnung braucht. Um nicht unnötige Risiken einzugehen, ist dennoch nach wie vor im Zweifel eine vorgängige Verwarnung zu empfehlen. Insbesondere bei objektiv geringfügigen Verstössen ist, wenn immer möglich, zunächst eine klare, schriftliche Verwarnung auszusprechen und dem betroffenen Arbeitnehmenden unmissverständlich zu kommunizieren. Ebenso klar ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Wiederholung mit Sanktionen zu rechnen ist, wobei je nach Situation bereits in der ersten Verwarnung die fristlose Kündigung angedroht werden sollte.

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ZÜRICH IM BILD

In der Mitte des Bahnhofplatzes begrüsst uns eine Zürcher Persönlichkeit, die einen enormen Einfluss auf die politische und wirtschaftliche Lage der Schweiz im 19. Jahrhundert hatte. Es ist der Politiker und Wirtschaftsführer Alfred Escher. Als Eisenbahnunternehmer befürwortete er die Finanzierung der Nordostbahn durch private Investoren. Zur Deckung des grossen Kapitalbedarfs der Eisenbahnen regte er die Gründung der Schweizerischen Kreditanstalt an. Und so steht er, als Bedeutungsträger für wirtschaftliche Entwicklung, an der Schnittstelle von Zürcher Hauptbahnhof und Bahnhofstrasse. 38 l

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Foto: Silvan Buholzer


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