Baumeister 07 2011

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Baumeister Zeitschrift für Architektur 108. Jahrgang Juli 2011

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Licht ⁄ Schatten ⁄ Spiegel ⁄ Scherben ⁄ Glas

+ Boot in den Alpen + Eliasson in Island + Sarah und Mies



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Thema

Der große Durchblick als Mogelpackung Gläserne Architektur gilt gemeinhin als transparent und damit offen und demokratisch. Doch längst nicht alles, was Glas ist, ist auch durchsichtig. Und Einblicke in reale Machtstrukturen gewähren die Glaspaläste unserer Innenstädte auch nicht. von Oliver G. Hamm

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enn es um Bauen mit Glas geht, scheint Transparenz (lat. transparens = „durchscheinend“) das oberste Gebot zu sein. Denn wer transparent baut, der gilt als modern, offen, irgendwie „demokratisch“. Doch was Architekten und ihre Bauherren, die gelegentlich zu philosophischer Selbstüberhöhung neigen, oder PR-Sprechblasen produzierende Marketingentscheider der Immobilienwirtschaft vor Augen haben, wenn sie von transparenten Bauwerken schwärmen, ist leider allzu oft irreführend – und zudem für den Laien alles andere als selbstverständlich. So überrascht es nicht, dass Wikipedia zwar Erläuterungen für Transparenz im Bereich der Physik und der Akustik, der Computergrafik und der -systeme, der Signalverarbeitung und sogar der Politik, selbst zur Markttransparenz und zur „Transparenten Wärmedämmung“ anbietet – aber sich zugleich noch kein Wikipedianer zum Begriff „transparente Architektur“ geäußert hat. Es gibt wohl keinen anderen Bereich der Architektur, der so sehr von Mythen umwölkt ist wie das Bauen mit Glas. Wer nichts zu verbergen hat, so die Vorstellung vieler Architekten, Bauherren und auch Passanten, bringt dies am besten durch „transparente Architektur“ zum Ausdruck, die tief blicken lässt. Doch hier lauert schon das erste Missverständnis – um nicht zu sagen: Ammenmärchen. Denn es ist, wie meistens im Leben, eine Frage der Perspektive: Von außen betrachtet, entpuppt sich die oft bewusst zur Schau gestellte Transparenz eines Bauwerks im täglichen Praxistest tagsüber meist als Mogelpackung, weil nichts die Umgebung besser widerspiegelt (und damit das eigene Bauwerk mitsamt seinem Innenleben ausblendet) als eine Ganzglasfassade. Erst wenn die Dämmerung einsetzt und die Innenräume künstlich beleuchtet werden, treten diese – und mit ihnen die Menschen hinter der Fassade – in Erscheinung. Dann aber herrscht zumindest im Sommer in den meisten Büros bereits Leere, von Reinigungskolonnen mal abgesehen. ►

Gebäudereiniger gucken den Mächtigen auf die Schreibtische – zumindest theoretisch. Die ganz großen Enthüllungsgeschichten hat die Zunft allerdings noch nicht recherchiert.


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Wer nichts zu verbergen hat, so die Vorstellung vieler Architekten, Bauherren und auch Passanten, bringt dies am besten durch „transparente Architektur“ zum Ausdruck, die tief blicken lässt.

Erst mit der Dämmerung gewähren die meisten Bürobauten Einblicke in ihr Inneres. Die Wirtschafts- oder Finanzmanager aus den Büros sind dann aber oft schon zuhause.

Von innen betrachtet, sieht die Angelegenheit meist genau andersherum aus. Denn während tagsüber die Grenze zwischen Innen- und Außenraum praktisch aufgehoben ist, wird sie nachts durch die Dunkelheit draußen und den Spiegeleffekt der die Lichtquellen reflektierenden Glasfassaden gleich doppelt gezogen. Ob beim Nationalen Konzert- und Konferenzzentrum in Reykjavik oder beim MRT-Forschungsgebäude in Berlin-Buch (um zwei aktuelle Beispiele aus diesem Heft zu nennen): Von Transparenz im Sinne einer tatsächlich durchscheinenden Architektur kann oft nur sehr eingeschränkt die Rede sein. Firmenzentralen, Kultur-, Behörden- und auch Parlamentsbauten haben, sofern sie auf die Karte „transparente Architektur“ setzen, eines gemeinsam: Mit der realen Transparenz – sowohl von innen nach außen als auch umgekehrt – ist es meist nicht weit her. Politik ist kompliziert, globalisierte Wirtschaft ebenso. Je komplizierter, desto häufiger wird die durch eine Glasfassade symbolisierte Offenheit im übertragenen Sinne beschworen. Auch Produktionsprozesse werden offengelegt, zum Beispiel in der Gläsernen Manufaktur der Volkswagen AG in Dresden (2000). Auf der hauseigenen Website www.glaesernemanufaktur.de liest man: „Die gläserne Fassade der Manufaktur ist Sinnbild für Transparenz und Authentizität.“ In der Tat wird hier die Produktion durch Öffnung der Architektur sichtbar. Aber wie viel Transparenz bedeutet dies, in einem abstrakteren Sinn, wirklich? Die Erfolgsstrategien eines global operierenden Autokonzerns lassen sich nun einmal nicht mehr primär an seiner Produktion ablesen.

Doch die Begeisterung für transparentes Bauen geht noch weiter. Regelrecht pathetisch wird es, wenn transparente Architektur als Sinnbild für Demokratie verwendet wird. Die Olympiabauten in München mit dem alles überwölbenden Glasdach (1972) und der Plenarbereich des Deutschen Bundestages in Bonn (1992) sollten das demokratische Deutschland der Nachkriegsjahre symbolisieren. Doch der Gleichsetzung von Demokratie und Glas-Architektur, die spätestens seit der Einweihung seines Bonner Meisterwerks immer wieder bemüht wird, stand ausgerechnet Günter Behnisch selbst recht skeptisch gegenüber – und doch konnte er nicht verhindern, dass seinen Bauten, einerlei ob Schul-, Büro- oder eben Parlamentsbauten, immer wieder eben dieses Etikett angeklebt wurde. Nach dem gläsernen Plenarbereich in Bonn war kein Parlamentsbau in Deutschland mehr ohne die gläserne Metapher denkbar, ob beim Sächsischen Landtag in Dresden von Peter Kulka (1997) oder bei Lord Norman Fosters gläserner Kuppel über dem Plenarsaal des Deutschen Bundestags im Berliner Reichstagsgebäude (1999). In anderen, ebenfalls demokratischen Ländern, wie Frankreich oder Großbritannien, hatten und haben bis heute Parlamente und auch Regierungschefs kein Problem damit, in altehrwürdigen Bauwerken zu tagen bzw. zu residieren, die ursprünglich für eine noch ganz anders determinierte Gesellschaft errichtet worden waren. Letztlich kommt es in Zeiten, in denen jede Parlamentssitzung, durch das Auge der Kamera betrachtet, in jeden Haushalt übertragen werden kann, ohnehin nicht mehr drauf an, ob man den Abgeordneten von außen bei der Arbeit zuschauen kann. Und ob die Zuschauer dank des permanenten architektonischen Dabeisein-Angebots besser durchblicken und ob die Arbeit der Parlamentarier besser wird, wenn sie unter ständiger Beobachtung stehen, darf nun doch bezweifelt werden. ●

Oliver G. Hamm, ehemaliger Chefredakteur des Deutschen Architektenblatts (2000-2007), ist freier Autor, Herausgeber, Redakteur und Kurator in Berlin.


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Inspiriert von der Natur: Erkaltete Lavaformationen wie die für Island typischen schwarz glänzenden Basaltsäulen standen Pate für den Fassadenentwurf von Olafur Eliasson. Die Seiten- und Dachflächen sind zweidimensionale Ableitungen des hexagonalen Säulenmotivs.


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Dunkler Kristallpalast Harpa-Konzerthalle und -Konferenzzentrum in Reykjavik Henning Larsen Architects und Batteríið Arkitekter Schillernd wie Elfenflügel, geformt aus funkelnden Eiskristallen – die Oberfläche des neuen Reykjaviker Kulturhauses löst Assoziationen aus, die aus der isländischen Sagenwelt zu stammen scheinen. Urheber des dunklen Glasspiels: der isländische Starkünstler Olafur Elíasson. Nach ersten Konzerten im Frühjahr wird das Gebäude im Herbst offiziell eröffnet. von Guja Dögg Hauksdóttir

Licht und Transparenz sind die Leitgedanken für den Entwurf, die die enorme Baumasse am Reykjaviker Hafen etwas mildern sollen. Die Konzerthalle ist der Auftakt des „East Harbour Project“, einer umfangreichen Revitalisierung des Geländes.


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s war ein außergewöhnlich kalter Frühling, als die neue Konzerthalle in Reykjavik nach einem langen, turbulenten und problematischen Bauablauf kürzlich mit einer Reihe von Veranstaltungen ihre Tore öffnete. Manche würden sagen, dass dies isländischer Tradition entspricht: zum Zeitpunkt der Eröffnung alles andere als fertig zu sein und vor Geschäftigkeit zu summen und zu brummen, da die Bauarbeiter ja bis zur offiziellen Inbetriebnahme des Hauses im Herbst alles geschafft haben müssen. Andere würden eher eine romantische Betrachtungsweise wählen und auf die Tatsache hinweisen, dass der poetische Name, den man dem Haus gegeben hat, nun eben eine Eröffnung genau zu diesem Zeitpunkt verlangte. Harpa bedeutet im Isländischen nämlich nicht nur das international bekannte Musikinstrument „Harfe“, sondern ist entsprechend unserem alten nordischen Kalender auch der erste Monat des Sommers. Und vor dem Hintergrund der extremen Schwierigkeiten, die die Nation nach der Bankenkrise vor einigen Jahren zu meistern hatte, geht die symbolische Bedeutung des Neuanfangs auch Hand in Hand mit der Freude darüber, endlich einen qualitativ hochwertigen und vielseitig nutzbaren musikalischen Veranstaltungsort vorweisen zu können. Die Harpa-Konzerthalle steht mitten in einer wunderschönen Landschaft am alten Hafen von Reykjavik. Im Süden befindet sich das historische Stadtzentrum, im Norden rahmt der Berg Esja die Faxfloi-Bucht. Mit seiner ungewöhnlichen Form sieht das Haus aus, als stamme es von der rauen, großartigen isländischen Wildnis ab. Es ist groß, und manche sagen, dass es mit seinen rund 200 000 m³ über der Erde zu voluminös für die kleine Hauptstadt von Island geraten ist, in der rund die Hälfte der Einwohner leben. Die Gestalt des Hauses profitiert jedoch davon, dass sie in unregelmäßig geschnittene Teile aufgebrochen wurde, und – unterstützt von der ausgeklügelten Verwendung von Glas in der gesamten Fassade einschließlich des Dachs – an Eisberge auf dem Meer erinnert. Die Leichtigkeit von Seifenblasen Das Glas wird sowohl in flächigen Scheiben wie auch in facettenreichen dreidimensionalen Gebilden verwendet. Sie fangen das ständig wechselnde nordische Licht ein und reflektieren den Himmel und die Umgebung in hypnotisierender Weise. Darüber hinaus verstärken das stählerne Rahmenwerk des Glasgitters und gelegentliche bunte Glasscheiben das Gefühl von Seifenblasen, die jeden Moment wegzuschweben und zu zerplatzen drohen. Ihr scheinbar planloses Muster ist in Wahrheit alles andere als zufällig und basiert auf geometrischen Berechnungen der gestapelten 3D-Einheiten, den sogenannten „Quasi-Ziegeln“. In Kombination mit den abfallenden Seiten der Glasfassade bilden die Ecken ein eigentümliches Profil, als wären sie noch im Bau, so dass das Gebäude trotz seiner Größe eine gewisse Leichtigkeit erhält. Die Eingangsachse des Harpa verlängert sich nach draußen in den öffentlichen Raum, wo Holzbrücken einen schmalen Kanal überspannen. Sie erinnern an die Zeiten der ursprünglichen Küstenlinie, als eine Reihe von einfachen Brücken Seereisende begrüßten und ihnen einen ersten Eindruck von Reykjavik vermittelten. Die Erinnerung an das frühere Gesicht des Küstenstreifens wird innen im weitläufigen Foyer noch deutlicher. Auf den oberen Ebenen befinden sich Restaurants, die sich ebenso zur Stadt wie zur Landschaft im Westen orientieren, wo die Sonne untergeht – oder im Sommer knapp über dem Horizont schwebt.

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Das Glas wird sowohl in flächigen Scheiben wie auch in facettenreichen dreidimensionalen Gebilden verwendet. Sie fangen das ständig wechselnde nordische Licht ein und reflektieren den Himmel und die Umgebung in hypnotisierender Weise. Materialeffekte – Licht reflektieren und schlucken Tief im Inneren des vielschichtigen Foyers wird man überrascht von dynamischen hypnotisierenden Luftspiegelungen, so als befände man sich in einem gigantischen Kaleidoskop. Glasdach und Glasfassade treffen sich hier an der Decke in einer unruhig geformten Landschaft aus abgekanteten Spiegelblättern. Sie fangen vielfältige bunte Bewegungen ein – vom Verkehr draußen und den Menschen im Foyer – und werfen sie auf reflektierende Oberflächen in alle Richtungen. In starkem Kontrast dazu stehen pechschwarze Betonwände, Steinböden und Stahlelemente und begrenzen die surreale Atmosphäre in dem komplexen Raum. Im Unterschied zum magischen Licht und der Leichtigkeit in Foyer und Gängen wirkt der große Saal des Harpa in seiner überwältigenden Schwere und Größe fast wie ein dunkles Loch am sternenerleuchteten Himmel. Alle horizontalen Flächen sind mit einem tiefroten Muster überzogen, das sich als Holz entpuppt und zu einer anderen Welt zu gehören scheint. Die Akustik bietet eine großartige Klangqualität, und es wurde an nichts gespart, um allen denkbaren Anforderungen gerecht zu werden. Die kleineren Säle eignen sich für Konferenzen, Theater oder kleinere Musikensembles und sind in ihrem Erscheinungsbild sympathischer. Hier bedeckt ein schwarz eingefärbter, unregelmäßiger Putz scheinbar lose die Wände der gerade geschnittenen Räume. Abgesehen von der merkwürdigen Schwere des großen Saals und einigen zu groß geratenen Nebenverkehrszonen, die sich an die Hallen auf jedem der vielen Flure anschließen, kann man die Erscheinung des Harpa jedoch als geschmeidig, raffiniert und elegant bezeichnen. Es ist eine markante Sehenswürdigkeit, auf die die Stadt stolz sein kann und deren inspirierendes Innere und Äußere perfekt zu den künstlerischen Aktivitäten und Möglichkeiten passt. ● Aus dem Englischen von Daniela Reinsch

Ähnlich wie das Opernhaus in Sydney ist die neue Konzerthalle markant am Wasser platziert und soll nach Finanzkrise und Vulkanasche eine bessere Zukunft versprechen.


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Im Unterschied zum magischen Licht und der Leichtigkeit in Foyer und Gängen wirkt der große Saal des Harpa in seiner überwältigenden Schwere und Größe fast wie ein dunkles Loch am sternenerleuchteten Himmel.

Im Foyer erscheinen die Säle als dunkles, basaltartiges Felsmassiv. Ebenfalls sinnbildlich – das glutrote Innere des großen Konzertsaals


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Titelthema: Gläserne Welten

Feststimmung vor dem Konzert im Foyer. Die gewaltige Halle mit der Spiegeldecke, ebenfalls Olafur Eliasson, dient als Verteiler für die vier Säle, die rückwärtigen Büros, Garderoben und den Probensaal.

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