Baumeister Leseprobe 1/2015

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Bau me ister

11 2 . J a h r g a n g

Januar

Schรถpferische Zerstรถrung Die EZB greift mal richtig durch

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D A,L C H

15 E u r o 17 E u r o 23 SFR

+ drei weitere radikale Umbauten

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Das ArchitekturMagazin

+ Was wollen eigentlich Architekten? Interview zur BAU 2015 + Und was wollen Pezo von Ellrichshausen? Einblick in einen Architekturkosmos


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Ideen

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Fürsorgliche

Vor dem Eingriff: Die Großmarkthalle von Martin Elsässer im Umbruch. Die Fassade wurde inzwischen im Detail minutiös wieder hergestellt.


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Brandstiftung T ite l t h em a T R a n s f o rm a ti o n


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Ideen

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Kollision neuer Vertikale mit bestehender Horizontale. Im Wettbewerbsbeitrag ist Coop Himmelb(l)au mit dem Altbau noch radikaler umgegangen.


25 Die Europäische Zentralbank hat sich für 1,3 Milliarden Euro in Frankfurt ihren neuen Hauptsitz geleistet. Er besteht aus einem gläsernen Turm, der forsch in die denkmalgeschützte ehemalige Großmarkthalle am Mainufer eingreift. Die Vision eines europäischen Binnenmarkts findet mit dieser spektakulären, vielfältig lesbaren Architektur eine unverwechselbare Adresse. Arc h itekte n

K ritik

Fotos

Coop Himmelb(l)au

Wolfgang Bachmann

European Central Bank/ Robert Metsch

Die ehemalige Markthalle bleibt erlebbar wie hier im Bild, wurde aber auch gefüllt mit Einbauten für Konferenzen, Besucher und Gastronomie.


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oop Himmelb(l)au könnte Glück haben. Die zum Presserundgang erschienenen Kollegen waren wesentlich jünger als die Architekten und hatten deren Arbeit nicht jahrzehntelang begleitet. Folglich werden sie sich kaum mit der Frage aufhalten, wo hier die Architektur brennt und wie sich das propagierte Entwerfen – gleichzeitig gegen die Schwerkraft und die Formen der Unterdrückung – im EZB-Neubau wiederfinden lässt. Man hatte ja schon bei der BMW-Welt gerätselt, was Wolf Prix unter „subversiv“ versteht, wenn er das Hauptquartier eines Autokonzerns baut. Also, kein Wort zur Politik, kein garstig Lied, wir betrachten die sichtbare Architektur der Europäischen Zentralbank. Sich Annähern Schon lange konnte man, wenn man mit dem Zug nach Frankfurt reiste, die wachsende Kontur des Hochhauses erkennen. Darunter lagerte der Wellenriegel der alten Großmarkthalle, dem der Neubau zu Leibe rückte. Je weiter er sich der Fertigstellung näherte, um so dunkler und schwerer wirkte er. Was man von den eleganten Renderings i n E r i n n e r u n g h i e l t, z we i l euch t e n d e Glasprismen, zwischen denen ein gläserner Spalt gähnte und den Blick auf ein dramatisches Strebewerk freigab, davon war nichts zu sehen. Bis jetzt. Es mag Wetterlagen und ideale Sonnenstände geben, bei denen man von ausgewählten Blickpunkten einen günstigeren Eindruck gewinnt. Aber eher bestätigt sich, was Hanno Rauterberg 2013 bemerkt hat: „...mal sieht der Turm seltsam zerrissen aus, ein verkeiltes, in sich verdrehtes Glasgebilde; dann wieder wirkt er stumpf und monolithisch banal.“ Es gibt vom Deutschherrnufer sogar Ansichten, da ähnelt sein Umriss einer halbvollen Tüte, deren nach unten gesackter Inhalt das Papier spannt, während es sich rückwärtig in die alten Kniffe faltet. Aber Vorsicht: Nach wenigen Metern gewinnt man ein völlig anderes Bild, als sollte unser geometrisches Wahrnehmungsvermögen auf die Probe gestellt werden. Ein Chamäleon. Haut und Knochen Ausgang für die kristallinen Faltungen war jedoch keine ästhetische Willkür, sondern eine rationale Überlegung. Diese simpel erscheinende Versuchsanordnung setzt allerdings eine lange Praxis freien Entwerfens voraus, sonst würde man sich nicht daran wagen. Da man die Höhe des Gebäudes beschränken wollte (oder musste, da wider-

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sprechen sich die Aussagen), hätte ein massiver Block ein langweiliges Gebäude mit großen Innenflächen ohne Tageslicht ergeben. Coop Himmelb(l)au teilte die erforderliche Kubatur von oben nach unten mit einem schrägen Schnitt, stellte eine Hälfte auf den Kopf und verdrehte die Nord- und Südfassade der beiden Baukörper als hyperbolische Paraboloide so gegeneinander, dass die gekrümmten Flächen der 43 beziehungsweise 45 Stockwerke hohen Türme nach außen kamen. Die gegensinnig gebogenen Fassaden sind aus geraden Elementen zusammengesetzt. Nach Osten und Westen schließen ebene Schrägen an, was diese irritierende, aus jedem Blickwinkel anders erscheinende Form ergibt. Hinter den bläulich spiegelnden Fassaden verbirgt sich ein Tragwerk aus Stahlbeton. Es wird im Zwischenraum der Türme, einem gewaltigen, in der Höhe unterteilten Atrium, von einem räumlichen Fachwerk stabilisiert. Dieses statische Gerüst besteht aus Blechkastenträgern mit einer Wandstärke von zehn Zentimetern, wo nötig, wirken Rundrohre mit. Zusammen ergeben sie ein noch nie erlebtes Raumkunstwerk aus diagonalen Streben, die zwischen den Innen- und Außenfassaden hin- und hereilen. Die windschiefen Verschneidungen der kantigen Profile wären ein eigenes Kapitel im Fach darstellende Geometrie. Nichts passt, es tut weh – aber alles wurde gelöst, die selbst geschaffenen Probleme bewältigt. Ein Eisenglimmeranstrich domestiziert die nützlichen Quertreiber. Die Architekten nennen es Gestalt, wenn Form und Funktion sinnvoll zusammentreffen. Denkmalkunde Während die Zwillingstürme die Büros der hier versammelten europäischen Organisationen aufnehmen, dient die einbezogene alte Großmarkthalle, Mitte der 1920er Jahre von Martin Elsässer als größte stützenfrei überspannte Eisenbetonkonstruktion der Welt errichtet, halböffentlichen Funktionen. Hier verteilen sich Konferenzräume, Besucherzentrum, Mitarbeiterrestaurant, Cafeteria und jede Menge Lobby-Flächen. Der Angriff dieses Denkmals löste eine eigene Diskussion aus. Im Wettbewerbsbeitrag hatte Coop Himmelb(l)au den Altbau noch ungenierter behandelt. Nach der Überarbeitung attackiert das Eingangsbauwerk mit dem darüber ragenden Pressezentrum nur noch die nach dem Krieg rekonstruierten Rippen-Dachschalen und nicht mehr die originalen Zeiss-Dywidag-Tonnen. Insofern hielt sich die Kritik der Denkmalpflege in Grenzen. Da sei, erinnert sich Wolf Prix, die Auseinandersetzung mit Frankfurter Kollegen heftiger gewesen. Niedrige Bauteile und Annexe der Großmarkthalle wurden ersatzlos entfernt, ihre Ziegel für Ausbesserungen an anderer Stelle wiederverwendet. W eiter auf seite 3 2

„Nach wenigen Metern gewinnt man ein völlig anderes Bild, als sollte unser geometrisches Wahrnehmungsvermögen auf die Probe gestellt werden. Ein Chamäleon.“


kleine Werke ( 56 )

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Abgeschirmte Angelegenheit Auch Wanderer müssen mal. Gut also, wenn selbst an unwirtlichen Orten auf Wanderrouten ein Toilettenhäuschen zu finden ist. Das Architekturbüro Manthey Kula aus Oslo hat in den Bergen der Lofoten, eine Inselgruppe in Norwegen, jetzt so einen nützlichen architektonischen Eingriff vorgenommen. Ihr gewisses Örtchen ist schön – und bietet auch noch das richtige Fundament. Das war wichtig, denn ein Vorgängerbau an der selben Stelle war vom kräftigen Nordwind schlicht weggeweht worden. Text

Auffallend bei diesem kleinen Gebäude sind die zwei steil emporragenden Spitzen, die von Betonwänden mit angeschweißtem Cortenstahl eingefasst sind. Ein Oberlicht an den jeweiligen Seiten der Spitzen lässt Tageslicht ins Innere dringen und garantiert dem Pausierenden absolute Ruhe vor den Eindrücken der Berglandschaft. Erwischt man allerdings die kleinste Kabine, ermöglicht ein eingebautes Fenster in der Decke dem Sitzenden doch noch einen Blick auf die markanten Gipfel Norwegens.

Annalena Morra

Foto: Paul Warchol

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Tite lthem a transformation


Ideen

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Architekt

Seit ihrer Fertigstellung

Gunnar Asplund

terung immer wieder

ist Asplunds Erwei­ verändert worden (siehe auch Skizze un-

Architekten sanierung

ten). Mit der jüngsten

GAJD Arkitekter

Restaurierung kommt man dem Urzustand so nahe wie schon lange nicht mehr.

Umstrittener Klassiker

1932

1952

1952

1967

1967

1978

1978

2013

Seit Gunnar Asplund vor 77 Jahren die Gerüste der Erweiterung des Göteborger Rathauses abbauen ließ, hat es Kritik gehagelt. Bis heute schwelt der endlose Streit um seinen Anbau: Inzwischen dreht sich der Disput um die Restaurierung, die kürzlich abgeschlossen wurde.

Das barocke Rathaus in Göteborg mit Gunnar Asplunds Ergänzung rechts. An

kritik

die Wiederherstellung

Atli Magnus Seelow

seiner originalen Fassadenfarbe müssen sich viele Architek­ten in der Stadt erst gewöhnen.

Fotos

Krister Engström


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I

nzwischen zweifelt keiner mehr daran: Gunnar Asplunds Anbau an das Göteborger Rathaus, der zwischen 1913 und 1937 entstand, zählt zu den berühmtesten Werken des schwedischen Architekten. Der Bau, in dem ursprünglich die Gerichte der Stadt untergebracht waren und der deshalb auch als Justizgebäude bezeichnet wird, gilt als eines der Schlüsselwerke der skandinavischen Moderne. Konzipiert als bürgernahes Gericht ist es das genaue Gegenteil der furchteinflößenden historisierenden Justizpaläste des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Und als Anbau der Moderne an einen barocken Repräsentationsbau aus dem späten 17. Jahrhundert dient es auch immer wieder als Beleg, dass moderne Architekten eben doch in der Lage sind, mit einem historischen Bauwerk umzugehen. Im Frühjahr 2014 wurde es nach zweijähriger Restaurierung durch GAJD Architekten wieder eröffnet. Trotz ihrer Qualitäten hat dieser Umbau in den schwedischen Medien allerdings nicht nur Lob, sondern auch einigen Tadel hervorgerufen. Kritik an dem Bau ist nichts Neues, sondern hat ihn von Anfang an begleitet – bis heute haftet ihm das Odium eines Fremdkörpers im Zentrum Göteborgs an. Die Kritiker werfen auch ein interessantes Licht auf die Denkmalpflege in Schweden, die eher auf pragmatische Umnutzung ausgerichtet ist als auf behutsame Bewahrung. Der Urspungsbau Der heutige Rathaus-Anbau hat eine lange Entstehungsgeschichte. Das Projekt begleitete Gunnar Asplund (1885 – 1940) fast seine ganze Karriere lang: 1913 gewann er mit nur 27 Jahren den Wettbewerb für eine Erweiterung des barocken Gebäudes, das zwischen 1669 und 1672 von Nicodemus Tessin dem Älteren errichtet worden war. Bei diesem ersten Entwurf waren die Fassaden von Alt- und Neubau gleichermaßen in der nationalromantischen Formensprache jener Jahre überformt, und der Bau orientierte sich nicht, wie ursprünglich, nach Osten zum Gustav-Adolf-Platz hin, sondern zum Kanal im Süden. In den nächsten Jahren überarbeitete Asplund den Entwurf mehrfach; an den zahlreichen Varianten lässt sich nicht nur die Entwicklung jener Qualitäten ablesen, die den Bau später auszeichnen, sondern auch Asplunds Wandlung zum Architekten der Moderne: So zeichnete er ab 1915 neoklassizistische Fassaden, dann verlegte er den Eingang wieder auf die Platzseite, trennte nach 1918 Alt- und Neubau und

machte den Eingang des Altbaus zum Haupteingang. So erscheinen uns Bestand und Ergänzung nach außen hin klar getrennt, während beide im Inneren eng miteinander verzahnt sind. Es entsteht ein spannungsreiches Verhältnis zwischen dem offenen Innenhof des Barockgebäudes und dem überdachten Lichthof des Neubaus, die nur durch eine Glasfassade und die lang gestreckte Treppe getrennt sind. Erst vergleichsweise spät, in den Jahren 1934 bis 1936, löste Asplund sich von klassizistischen Fassadenentwürfen und entwickelte für den Neubau jene moderne, deutlich von der Fassade des Altbaus abgesetzte Rasterfassade, deren Rhythmus und Proportionen jedoch von jener abgeleitet sind. Als im Oktober 1936 die Baugerüste entfernt wurden, brandete eine Welle der Kritik auf. Der Bau wurde gar „als die vielleicht größte Tragödie in Göteborgs jüngster Geschichte“ bezeichnet. Man kritisierte sowohl das Gebäude als auch den Eingriff in das historische Stadtzentrum, wo der moderne Bau als Fremdkörper erschien. Ein Teil der Kritik war darauf zurückzuführen, dass der Entwurf von einem Stockholmer Architekten stammte. Erst als die Fassade umgestrichen wurde und sich eine gewisse Gewöhnung einstellte, flaute die Kritik langsam ab.

Loos Asplund Stirling Diener

In dem 42 cm hohen Schuber versammeln sich vier bemerkenswerte Gebäude­ studien: Sie sind das Ergebnis eines semesterübergreifenden Lehrkonzepts an der TU Kaiserlautern – eine Wochenübung, an der alle Studierenden des Fachbereichs Architektur teilnehmen und die für alle Pflicht ist. Dabei wird umfangreiches Material zusammenge­tragen und dann sorgfältig auf großen pergamentartigen Bögen präsentiert – ein Genuss für Bibliophile. Bei den vier Gebäuden handelt es sich um das LoosHaus am Michaelerplatz in Wien, James Stirlings Clore Gallery in London, eine Wohnüberbauung von Roger Diener in Basel und nicht zuletzt Gunnar Asplunds Erweiterung des Gerichtshofs in

Die Restaurierung

Göteborg.

Im Laufe der Jahrzehnte wurde Asplunds Erweiterung mehrmals umgebaut und die Fassade insgesamt viermal anders gestrichen. Als die Gerichte schließlich 2010 in ein neues Justizzentrum zogen und die Stadtverwaltung den Bau nutzen wollte, nutzte man dies als Gelegenheit für eine grundlegende Sanierung: Ziel von GAJD Architekten war es, möglichst zu dem von Asplund ausgeführten Zustand von 1936 zurückzukehren, spätere Umbauten rückgängig zu machen und gleichzeitig die Eingriffe, die eine Umwandlung vom Gerichts- zum Verwaltungsgebäude mit sich brachten, zu minimieren.

„Loos Asplund Stirling Diener– Hoch 3 1– 4“, Park Books ISBN 978-3-906027-69-2

M

it großem Aufwand haben die Architekten zahlreiche Elemente des Gebäudes restauriert und einige teilweise rekonstruiert. Außen wurde die ursprüngliche Farbe der Fassade in hellem Ocker mit dem subtilen Helligkeitsunterschied zwischen Fassadenraster und leicht zurückgesetz ten Feldern wiederhergestellt. Innen konnte vieles erhalten bleiben – etwa die zahlreichen hölzernen Möbel und Einbauten, darunter die Brüstungs- und Wandverkleidungen, die der W eiter

Im Hof wird deutlich, dass Asplund wesentlich mehr ergänzte, als die Hauptfassade am Gustav-Adolf-Platz suggeriert.


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