Baumeister 09/2015

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Bau me ister

11 2 . J a h r g a n g

September

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Das ArchitekturMagazin

Amunt Architekten + Atelier Deshaus + Bearth & Deplazes / Durisch + Nolli + Zaha Hadid Architects + M athias Klotz + Reinhold Messner + Perikles + Vector Architects

Beton oder die Freiheit des Gestalters

D A , L I CH

15 E u r o 17 E u r o 1 9 , 5 0 EURO 23 SFR


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Baustein für die Kultur Die internationale Museumsszene befindet sich im Umbruch, Schanghai will mithalten – und investiert in neue Museen nahe des Expo-Geländes von 2012. Hier entsteht eine ganze Reihe von Neubauten. Der Bemerkens­werteste: das Long-Museum

T i t el t hema BetonF re i he i t en

A r c h i t ek t en

Atelier Deshaus kr i t i k

Hubertus Adam Fotos

Su Shengliang


Ideen

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Tragwerk und raumbildendes Element: Die Betontr채ger spielen in ihrer Orthogonalit채t und Expressivit채t die Hauptrolle.

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Ideen

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Die Sch端ttgutbunker der ehemaligen Kohle-Verladestation sind eine Attraktion f端r sich und markieren den Haupteingang.

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Ideen

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Das Long-Museum beherbergt die private Gem채lde- und Skulpturensammlung des Unternehmerpaars Liu Yiqian und Wang Wei.


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ie Revitalisierung von Hafenarealen ist auch in Schanghai ein wichtiges Thema. Dabei fokussiert sich die Aufmerksamkeit seit einigen Jahren auf den sogenannten „West Bund Cultural Corridor“, der an das Gelände der Weltausstellung von 2010 anschließt und sich über mehrere Kilometer entlang des linken Ufers des Huangpu erstreckt – vom Hafen Rihui im Norden bis zur Xupu-Brücke im Süden. Kulturelle Ankerpunkte sollen dem Entwicklungsgebiet nach dem Willen der Stadtverwaltung eine neue Identität verleihen. Neuer Baustein im Quartier Einer dieser Ankerpunkte ist das im Frühjahr 2014 eröffnete Long-Museum, das die private Sammlung des Unternehmerpaars Liu Yiqian und Wang Wei präsentiert. Deren Kollektion ist schon in einem von Zhong Song entworfenen und im Dezember 2012 eröffneten Museum im Stadtteil Pudong zu sehen. Die Dependance auf dem anderen Flussufer entsprach dem Wunsch der Stadtverwaltung, die dafür das Grundstück kostengünstig zur Verfügung stellte. Ohne Zweifel ist das Long-Museum von Atelier Deshaus der bislang bemerkenswerteste Baustein des neuen „West Bund“. Es besetzt eine dreieckige Parzelle, die von der Longteng Avenue, der Ruining Road und dem Flussufer im Osten begrenzt wird. Seit den 1950er Jahren befand sich hier eine Verladestation: Kohle, die von Schiffen angelandet wurde, gelangte mittels Schüttgutbunkern in bereit stehende Eisenbahnwaggons. Liu Yichun, der Chef von Atelier Deshaus, entschied sich, die seit Jahren leerstehenden Verladeeinrichtungen nicht komplett abzureißen, sondern als Zeugen der Vergangenheit in das Konzept einzubeziehen. Die 110 Meter lange, zehn Meter breite und acht Meter hohe Reihe aus Kohleschüttbunkern bildet nun gleichsam das Rückgrat des Museums und schiebt sich zwischen den Hauptbaukörper und einen schmaleren Annex, welcher Auditorium, Restaurant und Verwaltung umfasst. Der Hauptbau selbst besteht aus zwei niedrigen unterirdischen und zwei opulenten oberirdischen Geschossen und ist orthogonal organisiert. Die unterirdischen Geschosse des Sockels sind größer dimensioniert als die oberirdisch sichtbaren Teile des Museums und folgen mit ihrer Geometrie der dreieckigen Parzelle. Sie wurden nicht neu errichtet; es handelt sich um eine zweigeschossige Tiefgarage, die schon vorhanden

41 war, als die Entscheidung fiel, auf diesem Grundstück das Museum zu errichten. Während das zweite Untergeschoss weiterhin als Garage dient, wurde das erste UG zum großen Teil in Kunstlichtsäle umgewandelt, in denen jetzt historische chinesische Kunst ausgestellt ist; parziell wurde die Decke entfernt, um ein versenktes Atrium zu schaffen oder Räume dem aus dem Untergrund herauswachsenden oberirdischen Baukörper zuzuschlagen. Struktur und Vielfalt Dieser besteht aus raumbildenden T-förmigen Sichtbetonstrukturen, deren Positionierung durch das Konstruktionsraster der Tiefgarage mit seinen 8,4 Metern bestimmt ist. Bei den Sichtbetonelementen handelt es sich um mit innen liegenden Leitungen ausgestattete Hohlwände unterschiedlicher Länge, die am oberen Ende gekurvt in die Decken übergehen, so dass sich ein pilzähnlicher Querschnitt ergibt. Wenn zwei der Elemente aneinanderstoßen, ergibt sich ein gewölbter, in der Mitte zumeist mit einem Lichtschlitz versehener Raum. Komplex und spannungsreich wird das Gefüge dadurch, dass Atelier Deshaus die einzelnen Einheiten nicht nur um 90 Grad verdreht, sondern auch abwechselnd ein- oder zweigeschossig angeordnet hat. Dadurch entstehen mal gewaltige doppelgeschossige Hallen, mal intimere eingeschossige Säle oder Kabinette. Immer wieder ergeben sich Durch- und Ausblicke auf andere Teile des Museums oder die umgebende Landschaft – dies wird durch die in den Gesamtkomplex integrierten, als Terrasse genutzten Außenbereiche des Museums auf der Ebene des Obergeschosses noch verstärkt. Inneres und Äußeres sind auf geschickte Weise verzahnt; die gekurvten Deckenelemente greifen in den Außenraum und umfassen damit auch die Phalanx der Kohleschüttbunker, die nun als Aussichtsplattform dient.

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ährend die Gewölbefragmente sich an der einen Stelle zu einer bergenden Hülle verdichten, wirkt das Geschiebe am anderen Ort wie auseinanderstrebend, fast dekonstruiert. Die innere Struktur der Räume zeichnet sich ringsum an der Fassade ab, wie man es seit den 1990er Jahren vom niederländischen Bauen kennt. Faszinierend ist, dass die Architekten aus Schanghai letztlich mit einem Grundelement arbeiten, das durch unterschiedliche Höhe, Ausdehnung und Ausrichtung verändert wird, aber auf einem klaren Grundriss-

raster basiert. Repetition und Extrusion, Variation und Kombination schaffen ein immer wieder überraschendes Raumgefüge. Je nachdem, wie die einzelnen Elemente aufeinander stoßen, entstehen mal gerichtete, mal eher zentralisierte Räume, bisweilen aber auch expressive Raumformationen, welche sich über mehrere Ebenen erstrecken. Die durchgehenden, für chinesische Verhäl tnisse über ragend ausgefüh r ten Sichtbetonoberflächen lassen das Innere dabei im wahrsten Sinne des Wortes wie aus einem Guss erscheinen. Ein Museumshybrid Die weltweite Museumsarchitektur der vergangenen Jahre wurde von zwei Tendenzen bestimmt: Abfolgen von or thogonalen, möglichst neutralen und flexibel zu bespielenden Boxen stehen expressiveren Konzepten gegenüber, welche räumlich spannungsreicher wirken, die Kunstwerke aber zu übertrumpfen drohen. Im Long-Museum ist Atelier Deshaus gleichsam eine intelligente Synthese gelungen, die neue Wege weist: Orthogonalität und Expressivität finden zusammen. Der Charakter der Ausstellungsräume wandelt sich aufgrund unterschiedlicher Proportionen ständig, doch da stets die gleichen Elemente verwendet werden, entsteht nie der Eindruck eines formalen Spektakels. So wird einerseits Ruhe für die Betrachtung der Kunst geschaffen – und an anderer Stelle, etwa in den geschossübergreifenden Erschließungszonen, entwickelt sich die große Geste, die in einem öffentlichen Gebäude wie einem Museum schließlich auch ihren Platz hat. Pläne auf Seite 45


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Fragen

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Hilft die Architektur den Griechen ? Man redet ja gern davon, dass Architektur politisch sei. Was aber, wenn es politisch wirklich mal turbulent wird? Spielen Architekten dann 端berhaupt noch eine Rolle? Wir fuhren nach Athen, um das herauszufinden. Eine Krisenrecherche an f端nf Standorten


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Alexander Gutzmer F otos

Dimitris Savvakos

Teil 1, Exarchia Eigentlich sieht der junge Mann nett aus. Schmale Figur, sympathisches Gesicht. Einer, den man nach dem Weg fragt. Sollte man aber nicht. Zumindest nicht mit Kamera und am Exarchia-Platz in Athen, dem zentralen Treffpunkt im Alternativviertel Exarchia. „Die Fotos – alle löschen, sofort“, sagt er, ruhig, aber bestimmt. Und versucht, die schmalen Schultern ein wenig breiter aussehen zu lassen. Hinten gucken vier seiner Kumpels wachsam zu, eindeutig bereit, ihrem Freund bei Bedarf beizustehen. Man will nicht auf Fotos erscheinen dieser Tage in Athen – zumindest dann nicht, wenn man sich als alternativ denkend versteht. Eigentlich wollten wir vor allem atmosphärische Bilder schießen. Der junge Mann lässt sich die Bilder zeigen. Doch auch von weitem wollen die Menschen in Exarchia momentan nicht auf Fotos festgehalten werden. Wir drücken auf „löschen“. Ein – natürlich – willkürlicher Ausschnitt aus dem Athener Stadtleben. Doch einer, der zeigt, wie aufgeheizt die Stimmung in der Stadt ist. Keiner traut keinem. Vor allem keinem, den man nicht kennt und der nicht so „oppositionell“ denkt wie man selbst. Und in Krisenzeiten bedeutet „oppositionell“ eben mehr als nur ein anderes Wahlkreuzchen zu machen. Man lebt seinen Protest, auch wenn man manchmal gar nicht weiß, gegen was oder wen man eigentlich protestiert. Außer gegen Schäuble natürlich, den großen Kristallisationspunkt aller EU-Kritiker. Die jungen Menschen in Exarchia, ob nun singend, diskutierend oder übellaunig vor sich hin dösend, lassen keinen Zweifel daran, dass sie sich nicht arrangiert haben mit dem EU-induzierten Sparkurs. Teil 2, Halandri Wir fahren in einen Vorort im Norden der Stadt. Ganz früher lebte hier der Dichter Euripides. Im Zuge der Erweiterung Athens seit den 1960er Jahren ist Halandri mit dem Stadtzentrum zur Großmetropole zusammengewachsen. Hier hat der Architekt Aris

Giannopoulos sein Büro. Oder genauer gesagt, verschiedene Büros. Der junge Architekt ist Gründer eines Netzwerks an Kreativen unterschiedlicher Professionen, die sich unter einem Dach zusammen getan haben, um ein neues Serviceangebot zu entwickeln. Sie sind auf den Hotelsektor spezialisiert und bieten alles aus einer Hand an, wenn ein Investor ein neues Hotel bauen will: Vor-Ort-Recherche, Behördengänge, Architektur, Bauausführung, Vermarktung, Kommunikation. Giannopoulos: „In der Krise muss man erfinderisch sein. Wir wollen ein Angebot machen, das der Markt noch nicht kennt und das auch die wenigen Investoren überzeugt, die noch in Griechenland aktiv sind.“ Gute Idee eigentlich. Und es scheint auch einen Markt zu geben. Einen Auftrag für einen 45-Betten-Bau auf der Insel Elafonisos bearbeiten sie gerade. Aber auch hier schlägt die Krise zu. Ob das Projekt tatsächlich realisiert wird, ist fraglich. „Da hängen Staats- und EU-Gelder mit drin. Ob die letztendlich fließen, wissen wir aber nicht.“ Ansonsten bleibt ihm momentan nur, was die meisten kleinen und mittleren Büros umtreibt dieser Tage: einen der wenigen Interior- oder Renovierungs-Jobs abzugreifen. Und auf bessere Zeiten zu hoffen. Augen auf und durch. Dabei gilt es vor allem, das Ohr „immer am Markt zu haben“, wie der junge Architekt sagt. Das Reden vom Markt und von Angeboten, die man machen muss, geht ihm leicht von den Lippen. Zur reinen Lehre des politisch sensiblen, weltverbesserischen und komplett autarken Architekten, den man in deutschem Architekturdebatten so gern herbeisinniert, passt das nicht so recht. Gerade in politisch turbulenten Zeiten schreibt der akademische Theoriediskurs eigentlich eine andere Art von politischem Engagement vor. Eines, das die Kräfte des Markts bekämpft, anstatt sie als gegeben hinzunehmen und in ihnen zu agieren. Giannopoulos macht Letzteres. Und er kennt sie, die Zyklen des Krisenkapitalismus. „Wir hatten früh 14 Leute; im Jahr 2010 saßen mein Partner und ich dann plötzlich allein da. Danach ging es aufwärts – bis jetzt. Nun machen wir diesen Zyklus zum zweiten Mal mit.“ Sie versuchen, als Architekten aktiv zu bleiben, professionell zu überleben. Und nichts nervt dabei mehr als wohlmeinende Ratschläge von außen. Von „Krisen-Porn“ reden sie in diesem Zusammenhang in Athen. Gemeint sind die vielen Besucher, gerade auch aus Architektenkreisen, die aus Neugier nach Athen kommen, um sich einmal eine richtig kriselnde Stadt anzuschauen. Manchmal haben sie auch noch ein gut gemeintes Studentenprojekt im Gepäck, nach Art der Gutmenschenvorhaben, die deutsche Architekturlehrstühle bisher mit Vorliebe in Afrika starteten. Architekturpädagogi-

sche Fingerübungen, die „den Menschen vor Ort“ helfen sollen, letztlich aber vor allem die eigene Sehnsucht nach einem architektonisch guten Gewissen befriedigen. Giannopoulos: „Mich interessieren solche theoretischen Debatten kaum. Wenn Du Geld verdienen musst, geht da Deine ganze Energie rein.“ Teil 3, Lykabettus-Berg Am Fuße des Stadtbergs Lykabettus liegt eine (der Begriff ist hier durchaus haltbar) Ikone der Athener Nachkriegsmoderne. Der Architekt Konstantinos Doxiadis realisierte hier im Jahr 1958 einen mehrgeschossigen Apartmentbau, in den dann auch sein Büro einzog. Das „Doxiadis“, wie die Athener den Bau nur nennen, wurde gerade vom jungen Büro Divercity komplett neu instand gesetzt. Und zwar auf eine Weise, die absolut zeitgemäß wirkt, weil sie die Idee der gemeinsam genutzten Innen- und Freiflächen nutzt. „Das ist das Beispiel dafür, wie Architektur ganz real politisch wirkt“, sagt der Architekt und Theoretiker Stavros Martinos. „Divercity haben geteilte Räume geschaffen, Räume für den Austausch. Das ist heute wichtiger denn je.“ Martinos schreibt gerade seine Doktorarbeit in ständigem Austausch und Pendelei zwischen Athen und Princeton. In den Arbeiten von Divercity sieht er durchaus ein Modell, das das Bauen in Athen insgesamt verändern könnte. Doch ob es das wird? „Das weiß man noch nicht, einfach weil momentan so wenig gebaut wird.“ Insgesamt sieht Martinos das Problem der Stadt in ihrer kleinteiligen Eigentümerstruktur. „Privateigentum ist ein zentraler Teil unserer Identität. Das macht es so schwer, eine einheitliche Baukultur in Athen zu verwirklichen. Und das macht es auch schwer, das Land zu regieren.“ Teil 4, Kallithea Auch sind es momentan allenfalls wenige reiche Investoren, die bauen. Und zwar nicht primär im Zentrum, sondern in Villengegenden oder den Außenbezirken. Das größte Projekt der Stadt entsteht – von der Krise relativ unbeeindruckt – in Hafennähe im Stadtteil Kallithea. Ein privat finanziertes Prestigeprojekt wächst hier heran, das ausgerechnet auf Gelder der fast schon sprichwörtlich verhassten „reichen Reeder“ zurückgeht. In Hafennähe realisiert Renzo Piano momentan ein Kulturzentrum in Auftrag der Stavros-Niarchos-Stiftung. Die verwaltet Gelder des Reeders Niarchos, 1996 verstorben. Im kommenden Jahr soll Eröffnung des Komplexes sein, der eine Oper, eine Bibliothek und einen Park beinhaltet. Ein antidemokratischer Protzbau? Nicht unbedingt. Pianois Grundidee ist es, das Gelände so anzuheben, dass die Besucher das Meer sehen können. Das nämlich konnten W eiter


70

Athen, Stadt zwischen

Unten rechts: Das mitt-

Hoffen und Bangen.

lerweile verwaiste

Offene Aggressivit채t

Olympiagel채nde.

herrscht nicht, aber

Unten links: die Archi-

unterschwellig sp체rt

tekten Aris Gian-

jeder: Es g채rt in Grie-

nopoulos und Stavros

chenlands Hauptstadt.

Martinos


Fragen

71

1

Die Bilder dieser Fotoserie hat der griechische Fotograf Dimitris Savvakos aufgenommen. Er betreibt den Fotoblog www.onepi-

Rechts oben: Farbsym-

caday.net und arbeitet

bolik als Erinnerung

als Kreativdirektor bei

an die gewaltsamen

der Digital-Agentur

Proteste vor der Univer-

OgilvyOne in Athen.

sit채t von Athen


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