A P RI L 2016
M AG AZIN F ÜR L AN D S CH AF TS ARCH ITEKTU R
GARTEN +
LANDSCHAFT
ORT UND MACHT: WER BESTIMMT ÜBER DEN FREIRAUM? plus
Polinna + Hauck SLZ Berlin Naturstein-Trends
E D I T ORIAL
Spricht man von einer Metamorphose, meint man eine Verwandlung, die augenfällig geworden ist. Was hier Gestalt annimmt, sind schlicht: Antworten. Die Antworten, die ein Wesen auf ein sich seinerseits wandelndes Biotop findet. Das Resultat einer Metamorphose medialer Natur liegt gerade vor Ihnen: die neue Garten + Landschaft. 1890 erscheint „Die Gartenkunst“ zum ersten Mal, 1948 kommt sie als „Garten und Landschaft“ neu heraus. Seit der Titel 1956 in den Callwey Verlag wechselte, zeigt er exzellente Garten- und Landschaftsarchitektur. Und wirft immer auch ein analytisches, kritisches Auge auf sie. Sein Gesicht hat die Zeitschrift über die Jahre verändert. Auch jetzt. Wir haben diskutiert und hinterfragt, was wir tun und wo wir hin wollen. Genauer: Wo Sie hin wollen. Wie sieht ihre Arbeits- und Lebensrealität aus? Was kann das Magazin beitragen, diese Realitäten zu spiegeln, ihnen aber auch klug neue Facetten hinzuzufügen? Wichtiger Wegweiser war eine zweistufige Studie unseres Verlages, die einen Round Table mit Landschaftsarchitekten und eine Umfrage unter 200 Vertretern der Profession einschloss. Drei Begriffe bilden das Destillat und unser Versprechen an Sie: Impuls, Orientierung, Beratung. An diesem Dreiklang muss sich ab jetzt jede Ausgabe messen lassen. Von Ihnen.
Das Schul- und Leistungszentrum Berlin ist ein Beispiel gelungener interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Landschaftsarchitekten und Architekten. Ein Farbcode schlägt die Brücke zwischen innen und außen.
Die Landschaftsarchitektur wird sich neu erfinden, meint Tobias Baldauf. Seinen Kommentar lesen Sie auf Seite 44.
In unserem Titelthema geht es übrigens auch um eine Wandlung: die der Landschaftsarchitektur hin zu einer Disziplin, die mit anderen raumbildenden Professionen auf Augenhöhe agiert. Die Idee ist keine neue, die Phantasie, über die Stadt fliegend die Übergänge von grüner Landschaft und grauer Architektur verschwimmen zu sehen, fasziniert schon lange. De facto hat sich erst in den vergangenen Jahren ein Paradigmenwechsel hin zu einer BAUKULTUR FÜR LEBENSWERTE FREIRÄUME abgezeichnet. Landschaftsarchitekten sind keine Dekorateure oder bloß zuständig fürs grüne Drumrum. Wer das noch ernsthaft behauptet, hat wenig verstanden. Freiräume stehen unter Druck. Der Landschaftsarchitekt ist ihr Anwalt, er moderiert räumliche Szenarien und fordert Komplexität im Planungsprozess ein. Auch und besonders gegenüber der Architektur. Seine Expertise für „NUR BEDINGT STEUERBARE ENTWICKLUNGEN“ kann Hochbauprojekten eine unerwartete Wendung geben. Wenn sie wirken kann. Das ist auch davon abhängig, wie viel Macht sie an einem Ort entfaltet. Die gute Nachricht ist: Freiraum und Raum werden heute schon in vielen Projekten als geteiltes Mandat gelebt. Die schlechte: Architektur hat oft noch immer einen kaum zu stillenden Dominanzanspruch. Form vor Freiraum. Es braucht starke Stimmen, die für Gleichberechtigung laut werden. Ein Anfang ist zwar gemacht. Aber es geht noch mehr.
Drei Professionen, eine Frage: Wie geht Zusammenarbeit? Die Ergebnisse unseres aktuellen Round Tables finden Sie ab Seite 18.
TANJA BRAEMER Foto: Gereon Holtschneider
CHEFREDAKTEURIN
3 GARTEN+ L ANDSCHAFT
12
40
Freiraum als geteiltes Mandat: Wie
Duett der Professionen:
interdisziplinäre Teams
Cordelia Polinna und
Landschaft denken
Thomas Hauck im Porträt über Inspiration und Intervention
24 hat das Schul- und Leistungszen-
30
trum Berlin im Team mit
Landschaft,
Architekten neu gestaltet
ein natürlicher
Gold ist Programm: Club L94
Taktgeber: das Fort Vechten von West 8
58 Ausruhen auf dem Berta-Kröger-Platz in Hamburg
4 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Foto: xxxxx
Wellenlandschaft zum
INHALT
AREN A
06 10
SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Urbane Veteranen
TIT EL Ort und Macht: Wer bestimmt über den Freiraum? 12
F REIRAUM ALS GETEILTES MANDAT Interdisziplinäre Zusammenarbeit: ein Status Quo
18
WICHTIG IST DAS GEMEINSAME MINDSET“ „ Round Table: Drei Professionen über die Balance zwischen Freiraum und Architektur
24
OLDENE BRÜCKEN BAUEN G Schul- und Leistungszentrum Berlin / Club L94
30
SANFTE KONTUR Fort bei Vechten / West 8
36 Q UADRATUR
DES KREISES Moderne Galerie Saarbrücken / BBZ
40
D IE STADTSTRATEGEN Polinna+Hauck öffnen ihre Bürotüren
44
IMMICK, KITT ODER GENERATOR? G Landschaft als Motor: Tobias Baldauf kommentiert
S TU D IO 46 FRAGE
Nachwuchsprobleme: Wo sind die Guten? 50
PRAXIS „Stein für Stein ein Stück Erdgeschichte“: Ingrid Schegk über Naturstein-Trends
52 LÖSUNGEN
Innovationen + Editor’s Pick 58 REFERENZ
Gezeitenspiel in 3-D: der Berta-Kröger-Platz in Hamburg
RUBRIKEN
Foto: xxxxx
57 Impressum 64 DGGL 66 Sichtachse 66 Vorschau
5 GARTEN+ L ANDSCHAFT
SN A PS H O T S
ENTWURF UND WIRKLICHKEIT „… da kannst du zum Feierabend hin, da ist’s wunderbar, man hat noch die letzten Sonnenstrahlen, man kann da sehr bequem sitzen, (…) und auch wenn man allein ist, ist es halt durchaus ein lebendiges, angenehmes Gefühl.“ Wenn ein Landschaftsarchitekt solche Sätze hört, weiß er: Alles richtig gemacht, die Atmosphäre stimmt, die Entwurfsidee ging auf. In diesem Fall galt das Lob der Tribüne im Park am Gleisdreieck in Berlin, entworfen vom Atelier Loidl. Was so selbstverständlich daherkommt – ein Ort, an dem sich Menschen gerne aufhalten – ist die hohe Kunst der Landschaftsarchitektur. Ging es in den 1990ern noch darum, sich von der funktionalen Landschaftsarchitektur der 1970er und 1980er zu emanzipieren und die Gestaltung in den Mittelpunkt zur rücken, fokussiert sich die Diskussion nun (wieder) auf die sozialen Aspekte: der öffentliche Raum als Ort, der die heterogene Stadtgesellschaft zusammenhält, als Treffpunkt für alle. Das bedeutet, die Menschen mit all ihren Wünschen und Bedürfnissen beim Entwerfen ohne Wenn und Aber in den Mittelpunkt zu stellen. Das kann unbequem sein, ohne Zweifel. Besonders, 6 GARTEN+ L ANDSCHAFT
wenn die Laien-Wünsche den Entwurfsideen zu widersprechen scheinen. Und doch ist es die entscheidende Herausforderung für den, der Freiräume entwirft und plant. Wie man ihr begegnen kann, steht im Buch „Parks entwerfen – Berlins Park am Gleisdreieck oder die Kunst, lebendige Orte zu schaffen“ im Fokus. Die Autoren Leonard Grosch und Constanze A. Petrow rücken die soziale Verantwortung der Landschaftsarchitektur in den Mittelpunkt. Es geht ihnen um „die soziale Leistungsfähigkeit von Freiräumen.” Das bedeutet auch „… in Freiräumen nicht nur die deutsche Mittelschicht willkommen zu heißen.“ Wahrlich kein Selbstläufer, denn Vertreter dieser Schicht sind natürlich auch vorne dabei, wenn es um Bürgerbeteiligung geht. Das Beispiel Gleisdreieck zeigt, wie es zu schaffen ist, vielen Ansprüchen an einen Park gerecht zu werden: Essenziell sind ein Gerüst, das stark genug ist, sich ändernde Inhalte auszuhalten, und Möglichkeitsräume zu schaffen, die viele Gründe zum Aufenthalt bieten. Leonard Grosch gibt im Buch Einblick in die Strategien, denen er beim Entwerfen des Gleisdreieck-Parks gefolgt ist. Constanze A. Petrow leitet daraus allgemeingültige Prinzipien ab. Es geht um nichts Geringeres als gute Landschaftsarchitektur, die sich eben nicht nur an Ästhetik messen lassen muss, sondern immer auch an ihrer Nutzung: daran, ob ein lebendiger Ort entstanden ist.
+
AUTOR Gesa LoschwitzHimmel ist Landschaftsarchitektin und freiberufliche Autorin. Sie arbeitete viele Jahre als Redakteurin für Garten + Landschaft und Topos.
Das Berliner Gleisdreieck hat sich von einem unwirtlichen Ort in einen lebendigen Park verwandelt. Im Buch „Parks entwerfen“ leiten Leonard Grosch und Constanze A. Petrow aus dem Projekt
Eine ausführliche Rezension des Buchs finden
Prinzipien für die
Sie unter garten-landschaft.de/gleisdreieckbuch
Parkgestaltung ab.
Foto: Julien Lanoo / Visualisierungen: Korzó Stúdió – True Vision
GE S A LOSC H W I TZ - H I M ME L ÜB E R ...
URBANE VETERANEN
10 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Vergehende Architektur trifft vergehendes Menschenleben. In der Fotoserie "Souvenir d'un Futur" von Laurent Kronental geht es um etwas, das im temporeichen Zeitalter von Instagram und Smartphone den meisten überaus leicht fällt: das Vergessen. Die monströsen Wohnkolosse der "Grand Ensembles" von Paris und ihre wuchtigen öffentlichen Räume entstanden zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren als Reaktion auf Wohnungskrise und stetige Zuwanderung. Heute sind die Viertel stigmatisiert, architektonisch aus der Zeit gefallen, gemieden. Ihnen zur Seite stellt Kronental die, die hier ihren Lebensabend verbringen. Auch sie sind vergessen, in einer radikal dem Heute zugewandten Gesellschaft für viele nicht einmal existent. Die Kombination von beiden, der Kontrast ihrer Dimensionen zwingt zum Hinsehen. Sie erzählen: Alles hat und wir alle haben ein Gestern. Und das wird es auch morgen noch geben.
Foto: Laurent Kronental
MO ME N TA UF N AH M E
„WICHTIG IST DAS GEMEINSAME MINDSET“ Der Freiraum in unseren Städten steht unter Druck. Immer weniger davon hat für immer mehr Menschen zu reichen. Bedeutet: Wer ins Raumgefüge eingreift, muss Stadt und Quartier, Innen und Außen als Einheit verstehen, um das sensible Gleichgewicht zwischen Freifläche und Gebäuden nicht zulasten des Freiraums zu verschieben. Wie gelingt die Balance? Und wie hilft hier der Austauch zwischen den raumbildenden Disziplinen? Garten + Landschaft hat Architektur, Landschaftsarchitektur und Städtebau an einen Tisch geholt.
JONAS
OLIVER
ROBERT
BELLINGRODT
ENGELMAYER
MEYER
NITSCH
ist seit 2010
studierte Landes-
ist Architekt. Er
studierte Architektur
wissenschaftlicher
pflege an der TU
studierte an der
und Stadtplanung
Mitarbeiter am
München-Weihenste-
Fachhochschule
an der Universität
Lehrstuhl für
phan. Nach Stationen
Augsburg und an
Stuttgart. Sie ist
Landschaftsarchi-
im In- und Ausland
der Akademie der
Gründungspartnerin des Architekturbüros
tektur und industrielle
ist er seit 2015
Bildenden Künste
Landschaft an der
Partner im Büro
München Architektur,
SBA im Jahr 2001
TU München. Er
Burkhardt Engel
1992 gründete er
mit heutigem Sitz in
studierte Landschafts-
mayer Landschafts
das Architekturbüro
Stuttgart sowie
und Freiraumplanung
architekten
Robert Meyer
den Dependenzen
an der Leibniz
Stadtplaner in
Architekten,
München und
Universität Hannover
München.
München.
Shanghai. Seit 2010
sowie Landscape
den Münchner
Sveriges Land-
Standort von SBA.
Schweden.
GARTEN+ L ANDSCHAFT
leitet Bianca Nitsch
Architecture an der bruksuniversitet SLU,
18
BIANCA
ORT UND MACHT ROUND TABLE
Landschaftsarchitekten, Stadtplaner und Architekten diskutieren beim
INTERVIEW:
Round Table im Callwey Verlag
EVA HERRMANN, TANJA BRAEMER
über das Verhältnis von Landschaftsarchitektur, Stadtplanung
Fotos: Laura Klöser
Garten + Landschaft: Architektur galt lange Zeit als eine Art unantastbare Setzung, der sich alles unterzuordnen hatte – auch der Freiraum. Das scheint sich zu ändern. Erleben wir gerade einen Paradigmenwechsel hin zu einer Baukultur für lebenswerte Freiräume? OLIVER ENGELMAYER: Ich denke ja. Im
Vergleich zum letzten Jahrzehnt ist klar eine Tendenz zu beobachten. Das äußert sich in der medialen Präsenz des Themas, in der Vielzahl an Bürgerbeteiligungen und dem Fokus der Stadtplanung, das Thema Freiraum auf der Agenda zu lancieren. Allerdings hat sich hier nicht das Bewusstsein geändert, sondern eher der Umgang mit dem Thema in der Praxis.
Inwiefern? OE: Das Prozedere ist viel selbstverständ-
und Architektur.
licher geworden. Wir merken eine andere Haltung der Stadtverwaltung. Bürgerbeteiligungen werden den größeren Projekten und städtebaulichen Entwicklungsvorhaben vorangestellt und die Bürger dürfen ihre Wünsche äußern. Danach kommt der Wettbewerb, der Städtebau, die Architektur – so wie ich es mir aus meiner fachlichen Haltung wünsche.
Freiraum und Architektur werden also mehr denn je als Symbiose gesehen. Woher kommt das? ROBERT MEYER: Der Druck auf den
Grundstücksmarkt in München ist enorm. 19 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Das verändert das fragile Verhältnis von Quartier, Architektur und Freiraum. Früher waren in den Städten genügend Ausweichflächen vorhanden, da wurden Veränderungen lautlos hingenommen. Heute formiert sich schnell breiter Widerstand, wenn wertvolle Restflächen zugunsten wirtschaftlicher Vorteile einiger weniger überbaut werden sollen. Der steigende Druck auf die Freiflächen ist aber nicht der einzige Grund, oder? OE: Nein, einen großen Anteil am Paradig-
menwechsel hat ganz klar die lokale Planungspraxis der Verwaltung. Gerade in München wird viel Wert auf den Schutz von Bäumen oder die Einhaltung von Abstandsflächen gelegt. In anderen Kommunen ist der Umgang mit dem Bestand ein anderer. Da liegt der Fokus auf den Sachzwängen der Hochbau- oder Infrastrukturmaßnahme und der Rest kommt später ... JONAS BELLINGRODT: Dass zumindest schon mal zwei Disziplinen, Architektur und Landschaftsarchitektur, zusammensitzen, ist der Entwicklung der letzten Jahre geschuldet. Die Relevanz beider Professionen versuchen wir auch den Studenten in der Lehre schon früh mitzugeben. Frau Nitsch, Ihr Büro trägt der veränderten Bedeutung des Freiraums täglich ganz operativ Rechnung. Städtebau, Architektur und Landschaftsarchitektur arbeiten bei Ihnen zusammen. Wie organisieren Sie den fachlichen Austausch mit der Landschaftsarchitektur? BIANCA NITSCH: Wir gehen zwei Wege:
Ziele verfolgen. Den zweiten Weg gehen wir bei Projekten, die nicht in großen externen Wettbewerbsverfahren bearbeitet werden, sondern intern als direkte Aufträge das Büro durchlaufen. Das klingt nach prototypischer Zusammenarbeit ... BN: Der hauseigene Fachmann ist ein
großer Mehrwert für uns. Schon vor der ersten Skizze und bevor überhaupt grundlegende Entscheidungen getroffen werden, ziehen wir ihn hinzu.
Und wer legt dann Hand an den Freiraum? BN: Nicht der Architekt entwirft den
Lageplan oder das Freiraumgestaltungskonzept, sondern der Landschaftsarchitekt übernimmt die Konzeption im Team und zeichnet diese auch direkt. Das spart unglaublich viel an Kommunikation sowie Ressourcen und kommt der Planungsqualität zugute.
Gehen Architekten eigentlich anders mit Freiraum um als Landschaftsarchitekten? BN: Wir sind immer in verschiedenen
Maßstäben unterwegs. Wenn man „nur“ das neue Wohnquartier betrachtet, ergeben sich als Stadtplaner andere Aspekte als beim Weiterdenken eines neuen Stadtquartiers für die Zukunft.
Also alles eine Frage des Maßstabs? RM: Ja, das kann ich bestätigen. Wenn wir
uns im Bereich der Stadtplanung bewegen, diskutieren wir mit den Lanschaftsarchitekten auf Augenhöhe sehr viel mehr übergreifende Themen, aber auch über Bezüge zueinander, Baukörper und Erschließungen.
Der klassische läuft über den Wettbewerb, wo man sich schon im Vorfeld mit Kollegen zusammenschließt. Idealerweise mit denjenigen, die die gleichen gestalterischen
„WEM GEHÖRT DIE STADT UND DER BODEN AUF DEM SIE STEHT? EIGENTLICH UNS ALLEN.“ ROBERT MEYER ROBERT MEYER ARCHITEKTEN
20 GARTEN+ L ANDSCHAFT
ORT XXX UND TITELTEMA MACHT ROUND LIRUM LARUM TABLE
Und im konkreten Bauvorhaben? RM: Da sind wir Architekten oft weiter
voraus. Die Baukörper sind gesetzt, die Grundrisse fertig, die Eingänge und Tiefgaragen haben ihre Position – da redet man eher über das Bild, das man erzeugen will, wie die Landschaftsarchitektur dies noch unterstützen kann, welche Schnittstellen bis zur Ausführung zu bedienen sind. Das klingt eher nach Architektur, die dominiert, denn nach interdisziplinärer Zusammenarbeit auf Augenhöhe ... BN: Ich kann nicht sagen, dass wir unsere
Landschaftsarchitekten erst dann dazu holen, wenn wir schon alles festgelegt haben. Mich fasziniert immer wieder ihr Können im Zweidimensionalen, schnell die Höhenentwicklung zu entwerfen und unsere Landschaft im Vorfeld schon gedanklich zu modellieren. Das können nicht viele Architekten so gut.
Wie schafft man es, sich zugunsten besserer Stadträume gestalterisch zu einigen? BN: Wertschätzung für die anderen
Professionen und deren Wissen ist für mich das Stichwort. Die Nachverdichtung unserer Städte zwingt uns zur Frage, wie wir unsere Freiräume so gestalten können, dass viele verschiedene Bevölkerungsgruppen davon profitieren. Deshalb ist auch die Zusammenarbeit von Stadtplanung und Landschaftsarchitektur als Symbiose zu sehen.
Und was genau kann hier aus Ihrer Sicht die Landschaftsarchitektur beitragen? BN: Landschaftsarchitekten bringen ganz
andere Aspekte mit in die Diskussionen ein, etwa zur Stadtökologie und bei Nachhaltigkeitsthemen. Die Aufgabe der Stadtplaner ist es dagegen eher, den Bedarf der Bevölkerung und der Nutzungen heute sowie für
zukünftige Entwicklungen zu denken. Wenn wir diese Fähigkeiten auf Augenhöhe zusammenbringen können, dann entstehen bessere Lebensräume für alle. Was braucht es außer fachlicher Kompetenz und Respekt noch? JB: Es geht auch um Kommunikation.
Wo liegt der Mehrwert, welche Geschichte kann man erzählen – diese Fragen sollte man gemeinsam beantworten, statt nach Schema F das Problem zu lösen. Identität und Heimat lässt sich eher durch Dialog schaffen als allein mit skulpturaler Architektur oder einem Parkkonzept. All diese Fragen müssen integral gedacht werden. Stichwort integrale Planung: Gehen die verschiedenen Professionen Aufgabenstellungen unterschiedlich an? RM: Nein. OE: Auf jeden Fall! Was machen Sie, Herr Engelmayer, ganz konkret anders als der Kollege? OE: Ich will und muss das Gebäude
verstehen, wenn der Freiraum Sinn machen soll. Aber wir kommen eher von Außen. Wie gliedert sich das Gebäude in den jeweiligen Ort, die bestehende Landschaft ein? Ist es gut erschlossen, hat es eine gute Adresse, ist es ein Gewinn für seine Umgebung – das sind nur einige Fragen. Außenraum entsteht oft erst durch die Architektur. Die Gebäude machen die Raumkanten, definieren den Garten, den Hof, den Straßenraum. Gebäude und Freiraum sind so eng miteinander verschränkt, dass man gemeinsam eine Gestalt finden muss.
21 GARTEN+ L ANDSCHAFT
„ICH WÜRDE MIR WÜNSCHEN, DASS DIE STÄDTE IN ZUKUNFT MEHR OFFENHEIT FÜR INNOVATIONEN, TECHNOLOGIEN UND NEUE KONZEPTE ZEIGEN.“ BIANCA NITSCH SBA ARCHITEKTUR
Muss es menschlich bei der Zusammenarbeit eigentlich unbedingt stimmen? RM: Mit Sicherheit. Die passende Chemie
ist das Allerwichtigste. Ich möchte mich wohlfühlen. Wenn es persönlich nicht funktioniert, muss man nach neuen Partnern suchen. Aber auch das handwerkliche Können und das Kreative sind entscheidend. BN: Ich würde es auch nicht nur auf die Chemie zwischen den Planern reduzieren. Wenn die Wertschätzung und der Respekt für die Arbeit des Anderen da sind, funktioniert auch die Zusammenarbeit mit Personen, die man privat nicht treffen würde. JB: Wichtig ist die gemeinsame Sprache, das gemeinsame Mindset. Damit etwas Gutes entsteht, muss man Meinungsverschiedenheiten ernst nehmen und diskutieren. Wenn man sich zu früh einig ist, handelt man zu schnell Kompromisse aus. Das Wichtigste ist doch, dass wir gemeinsam über Raum für Menschen nachdenken. Wenn man von der täglichen, projektbezogenen Zusammenarbeit absieht: Wie reagiert die Lehre auf den Paradigmenwechsel Richtung lebenswerte Freiräume? JB: Dass Landschaftsarchitekten irgend-
wann in einen Planungsprozess eintreten und in die Runde fragen „Ist schon Zeit für Garten?“, wollen wir in Zukunft nicht mehr hören. Natürlich gibt es unterschiedliche Bedingungen und Bedürfnisse in der Stadt und manchmal ist das Dekorative als
Fastfood auch gefragt, aber damit können wir zukünftigen Anforderungen nicht gerecht werden. Das bedeutet? JB: „Problems first“ ist unser Grundsatz. Bei
allen Projekten und in der Arbeit mit den Studenten liegt das zugrunde. Erst wenn ich weiß, für wen ich plane, welche klimatischen Bedingungen vorherrschen, welches Umfeld und was die Identität des Ortes prägt, kann man sich mit der Problemlösung auseinandersetzen. Wir fördern die Studenten darin, frühzeitig die gesamte Expertise der Hochschule zu nutzen, Fachleute zu konsultieren und deren Sprache zu lernen. Ein umfangreicher Prozess, denn auch die Dozenten müssen daran arbeiten, eine gemeinsame Sprache zu finden und das interdisziplinäre Arbeiten vorzuleben.
Machen sich diese Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt schon bemerkbar? OE: Das neue Studiensystem bringt
ungewöhnliche Biografien zum Vorschein – zum Beispiel den Bachelor in Geographie, dem ein Master in Landschaftsarchitektur folgt. Das hat es früher nicht gegeben und macht es für uns jetzt umso interessanter.
So mancher sieht das aber auch kritisch, weil man nicht mehr sicher sein kann, was ein Absolvent nun kann und was nicht ... OE: Der übergreifende interdisziplinäre
Blick eröffnet vielfältige Möglichkeiten,
22 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Absolventen können sowohl im Architekturbüro als auch in der Landschaftsarchitektur arbeiten. Das erweitert nicht nur den Horizont, sondern wird auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit weiter befruchten. Was muss sich im Bewusstsein der anderen Professionen aus Ihrer Sicht unbedingt noch ändern? JB: Ich setze auf den Erfolg unserer Lehre
und die kommende Generation Architekten und Landschaftsarchitekten, die ein gemeinsames Mindset leben und offen bleiben für neue Professionen, Mut haben aus Fehlern zu lernen und weiterhin querdenken. Wo liegen in Zukunft ganz allgemein gesprochen die Gefahren für unsere Städte und unsere Freiräume? Wo die Chancen? OE: Angesichts der Themen Nachverdich-
tung und kostengünstiges Bauen müssen wir darauf achten, dass der Freiraum weiterhin eine wichtige Rolle spielt und aktuelle Krisen nicht zum Anlass genommen werden, mühsam erkämpfte Standards über Bord zu werfen. München hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, über Quadratmeter, Richtwerte und vieles Andere. Wenn wir
kein Bewusstsein für unverzichtbare Qualitäten entwickeln, dann werden genau diese Vorgaben aufgeweicht, für Personengruppen wie Flüchtlinge oder Studenten, die gerade angesichts beengter Wohnverhältnisse gut nutzbare Freiräume sehr wohl brauchen. BN: Wir sind seit fünf Jahren Partner beim Verbundforschungsprojekt „Morgenstadt: City Insights“. Ich würde mir wünschen, dass die Städte in Zukunft mehr Offenheit für Innovationen, Technologien und neue Konzepte zeigen, speziell für das aktuelle Thema Nachverdichtung. Nicht nur für den Zeithorizont von mehreren 100 Jahren, wie wir in der europäischen Stadt denken, sondern auch mal Wege ermöglichen, die für die nächsten 15 Jahre nachhaltig funktionieren. RM: Wem gehört die Stadt und der Boden, auf dem sie steht? Eigentlich uns allen. Deshalb müssen Politik und Gesellschaft Maßnahmen einleiten, die mittlerweile astronomische Entwicklung der Preise für Kauf oder Miete einer Wohnung deutlich zu begrenzen, damit qualitätvoller Wohnraum in der Stadt mit Ruhe, gesunder Luft und ausreichendem Freiraum kein Luxusgut für einige wenige wird.
„AKTUELLE KRISEN DÜRFEN NICHT ANLASS SEIN, ERKÄMPFTE STANDARDS ÜBER BORD ZU WERFEN.“ OLIVER ENGELMAYER BURKHARDT ENGELMAYER LANDSCHAFTSARCHITEKTEN STADTPLANER
STUDIO FRAGE
WO SIND DIE GUTEN? Berufseinsteiger büroreif machen – darin sehen viele Planungsbüros eine Mammutaufgabe, die viel Zeit und Energie kostet. Die Ursache für das vermeindlich mangelnde Praxiswissen der Absolventen ist schnell ausgemacht: Im verschulten Bachelor- und Mastersystem hätten Studenten keine Zeit mehr, Erfahrungen abseits des Hörsaals zu sammeln. Wie schwer ist es wirklich, an qualifizierten Nachwuchs zu kommen?
THOMAS JAKOB
Die Antwort auf die Frage, ob die heutigen Bachelor- und Masterabsolventen gleich, besser oder schlechter qualifiziert in den Beruf einsteigen als die Absolventen der früheren Diplomstudiengänge, beginnt mit einer Rechenaufgabe: In Deutschland kann man an 17 Hochschulen und Universitäten Landschaftsarchitektur, Landschaftsplanung oder etwas anderes studieren, das dazu befähigt, in einem Planungsbüro oder einer Behörde zu arbeiten. An diesen 17 Hochschulen gibt es laut BDLA 31 Bachelorstudiengänge und 33 Masterstudiengänge. Nicht alle davon sind konsekutiv, bauen also aufeinander auf. Jeder Studienanfänger kann theoretisch aus rund 900 Kombinationen wählen. Und innerhalb eines Masters kann es dann weitere Vertiefungsrichtungen geben. Die Zahlen des BDLA stammen aus dem Jahr 2014, der eine oder andere Masterstudiengang ist bis heute sogar noch dazugekommen.
Foto: ver.de Landschaftsarchitekten
UNIS FEHLEN DIE SCHWERPUNKTE
„Wie soll angesichts dieser Kombinationsmöglichkeiten ein Büroinhaber wissen, welcher Absolvent zu ihm passt?“, fragt Ute Fischer-Gäde, Fachsprecherin Ausbildungswesen beim BDLA. Früher stand jede Uni und jede Fachhochschule für einen oder zwei Ausbildungsschwerpunkte: die Uni Hannover für eine eher soziologisch ausgerichtet Ausbildung, Dresden für eine entwerferisch ausgerichtete Lehre, die FH 47 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Trüper, Gondesen und Partner
EIGENINITIATIVE IST GEFRAGT
Für wenig zufriedenstellend hält die BDLA-Beisitzerin und Initiatorin des Arbeitskreises Junge Landschaftsarchitekten im BDLA, Elisabeth Lesche von el:ch Landschaftsarchitekten aus München, die Entwicklung an den Universitäten. Dort würden immer mehr Professorenstellen mit Personen besetzt, die kein Planungsbüro führen. Die Folge: „Trotz Projektarbeiten geht der Praxisbezug für die Studenten verloren“, meint Lesche. Ausgebildet würde 48 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Landschaftsarchitekten bieten vor und während dem Studium Praktika an.
eher für die akademische Laufbahn. Dieser Trend dürfte auch daher rühren, dass sich Nischenstudiengänge wie die Landschaftsarchitektur durch Akademisierung und Verwissenschaftlichung gegen die Sparbestrebungen so mancher Hochschulleitung zu wehren versuchen. „Die Nachausbildung ist heute wichtiger als früher“, sagt Ute Fischer-Gäde. Büros, die Absolventen einstellen, müssten sich heute viel mehr Zeit nehmen, um sie in den Berufsalltag zu integrieren und fit für die Arbeit zu machen. Meist unterstützen die Neuen zunächst einen erfahrenen Projektleiter, ehe sie sukzessive eigene kleine Projekte übernehmen. Auch bieten die Architektenkammern und der BDLA Fortbildungen für Berufseinsteiger an. Zudem arbeiten sich viele Absolventen aber auch von sich aus in neue Arbeitsgebiete ein. Diese Erfahrung hat auch Maria Julius gemacht, Partnerin bei Trüper, Gondesen und Partner Landschaftsarchitekten aus Lübeck. „Wir sehen es schon mit Sorge, wenn ein Absolvent zu uns kommt und nicht weiß, was in einem Landschaftspflegerischen Begleitplan drin stehen muss.“ Dabei gehe es ihr nicht darum, dass ein Absolvent den Begleitplan allein erstellen kann, wohl aber sollte er wissen, welche prinzipiellen Inhalte er enthält. Das Büro bietet deshalb Studenten Praktika vor und während des Studiums an, um sie nach dem Masterabschluss fest einzustellen. Die Studenten zu begleiten, sei allemal einfacher als darauf zu hoffen, dass sich irgendwann
Foto: Trüper, Gondesen und Partner Landschaftsarchitekten
Weihenstephan für breitgefächertes, extrem praxisnahes Wissen. Heute mute es mitunter schon abenteuerlich an, welche Masterstudiengänge die eine oder andere Hochschule anbietet und welche Kombinationsmöglichkeiten sich daraus ergeben, sagt Fischer-Gäde: „Jede Hochschule möchte sich mit immer neuen, einmaligen Masterstudiengängen profilieren.“ Das ist nicht immer zum Vorteil der Studenten und der Büros. Immerhin: Fast alle Hochschulen bieten mittlerweile wieder ein verpflichtendes Praxissemester an. Die Kritik von Kammern, Verbänden, aber auch von Büros und Studenten hat gefruchtet. Ein schnelles Studium ist schön und gut. Ohne praktische Erfahrung bildet man aber an der Realität vorbei aus. Diese Erkenntnis hat bei vielen Studenten eingesetzt: Weil ein Job im Büro während des Studiums für viele zeitlich schlicht nicht zu bewerkstelligen ist, setzen sie zwischen Bachelor und Master ein halbes oder gar ein ganzes Jahr aus, um zum ersten Mal Büroluft zu schnuppern. Einige Hochschulen fordern auch ein Praktikum vor Studienbeginn.
STUDIO FRAGE
die passenden Absolventen bei ihr meldeten. „Wir müssen in Lübeck als hochschulferner Standort vor allem gegen die Attraktivität Berlins ankämpfen.“ Das hat Elisabeth Lesche schon häufiger gehört. Vor allem kleine Büros täten sich schwer, Absolventen für sich zu gewinnen. „Die Guten gehen in die großen Städte und in die großen Büros. In die kleinen Büros und in Mittelstädte zieht es kaum jemanden.“ Und die vielen Absolventen aus dem Ausland? „Die gehen entweder zurück in ihr Heimatland oder es scheitert an der Sprache und am Verständnis für die deutsche Planungsrealität.“ GROSSE BÜROS HABEN ES LEICHTER
Da haben es Münchner und Freisinger Landschaftsarchitekturbüros vergleichsweise leicht. In Freising gibt es gleich zwei renommierte Ausbildungsstätten. Ein Büro, das davon profitiert, ist Ver.de Landschaftsarchitektur um Birgit Kröniger, Jochen Rümpelein und Robert Wenk. Birgit Kröniger, seit kurzem zudem Professorin an der Hochschule Nürtingen, hält nichts von der Aussage, dass die Praxisnähe und die Berufsfähigkeit der Absolventen durch das Bachelor-Master-System nachgelassen habe. „Heute wie früher hängt die Qualifikation der Absolventen entscheidend von deren persönlichem Engagement und Eigeninitiative ab.“ Ihrer Erfahrung nach gelinge es interessierten und gut organisierten Studenten auch im Bachelor-MasterSystem, Zeit für das Arbeiten in Büros zu finden. Diese Berufseinsteiger seien klar im Vorteil und könnten im Büro gut eingesetzt werden. „Natürlich braucht es klar umrissene Aufgaben sowie Betreuung und Hilfestellung durch erfahrene Ansprechpartner im Büro. Das war aber früher auch nicht anders.“ Und die ganz allgemeine Kritik am verschulten Charakter des Bachelor-Masterstudiums? „Die Studenten können trotz des straffen Systems durch zahlreiche Wahlmöglichkeiten je nach Interesse eigene Akzente setzen“, sagt Kröniger. Sie könnten sich dann auch gezielt ein auf diesem Gebiet spezialisiertes Büro für ein Prakti-
„DIE GUTEN GEHEN IN DIE GROSSEN STÄDTE UND IN DIE GROSSEN BÜROS. IN DIE KLEINEN BÜROS UND IN MITTELSTÄDTE ZIEHT ES KAUM JEMANDEN.“ ELISABETH LESCHE EL:CH LANDSCHAFTSARCHITEKTEN, MÜNCHEN
kum suchen. Etwas habe sich aber doch verändert: „Wir stellen eine stärkere Konsumhaltung fest.“ Dieser gesellschaftliche Wandel macht auch vor Studenten und Absolventen der Landschaftsarchitektur nicht halt. Gegen diese Einstellung arbeite sie wie alle ihre Kollegen an den Hochschulen an. Wer also ein großes oder namhaftes Büro in einer großen Stadt hat, der tut sich leichter mit den Bachelor- und Masterabsolventen. Hier greift schlicht der Standortvorteil. Vor allem die engagierten Bewerber zieht es dorthin – sie haben auch durchaus schon Praxiserfahrung. Kleinere Büros und Büros abseits der Metropolen aber haben zu kämpfen, wenn es um qualifizierten Nachwuchs geht. Ihre Auftragsbücher aber sind voll. Intensive Einarbeitung bleibt für sie das Mittel der Wahl.
SI C HTACH S E
WEM GEHÖRT DAS FELD?
66 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Axel Zutz ist Garten- und Planungshistoriker in Berlin. Er hat sich für eine weitgehend bewahrende Freihaltung des Tempelhofer Feldes engagiert und zu den historischen Volksparks geforscht, die sich zu früherer Zeit dort fanden.
keit kompensieren. Der Fall zeigt: Kein Gesetz bietet eine Garantie auf die Unantastbarkeit öffentlicher Güter. Wachsamkeit und Einmischung sind nach wie vor geboten, wenn es darum geht, die Errungenschaft des freien und für alle zugänglichen und nutzbaren Feldes zu schützen. Dass die Bebauung der Feldränder verhindert wurde, ist ein großer Erfolg. Die Berliner können „ihr Feld“ weiter als einen frei bespielbaren Park nutzen. Der jetzt ausgehandelte „Kompromiss“ ist zumindest zwiespältig: Die Nutzung der erweiterten Vorfeldflächen schadet zwar – wenn gewisse Vorgaben wie die Ungestörtheit des Bodens und die Begrenzung der Infrastruktur eingehalten werden – weder dem Freizeit- und Erholungswert des Freiraums für die Berliner noch dem Natur- und Denkmalschutz. Aber die gegen das Votum des Volksbegehrens durchgesetzte Gesetzesänderung ist ein Schaden für die Demokratie. Darüber hinaus hat das auf sie jetzt folgende Flüchtlingslager dieser Größenordnung mit einer menschenwürdigen Unterbringungs politik nichts zu tun.
GARTEN + LANDSCHAFT IM MAI Der Platz, das Gefühl und wir. Wie kann eine Stadt, ein Viertel eine eigene Identität prägen? Und wie schafft es Landschaft, dass sich Menschen einen Ort aneignen, der lange als blinder Fleck in der Stadt galt? G+L 5 geht der Frage nach der Verbindung von Mensch und öffentlichem Raum nach.
Illustration: Bob London
Mit zwei Millionen Besuchern pro Jahr ist das Tempelhofer Feld Berlins am intensivsten und vielfältigsten genutzte Grünfläche. Nach einem Volksentscheid im Mai 2014 trat für die 300 Hektar große Fläche das Tempelhofer-Feld-Gesetz in Kraft: Es schließt eine Bebauung grundsätzlich aus. Damit scheiterte der Berliner Senat mit seinem Plan, die Ränder des Tempelhofer Feldes zu bebauen. Doch jetzt gibt es eine Ausnahme von der Regel: In mobilen Wohnbauten, darunter eine für die IGA 2017 bestellte Blumenhalle, sollen auf dem Vorfeld des Flughafens Tempelhof mit den jetzt schon genutzten sechs Hangars bis zu 10.000 Flüchtlinge beherbergt werden. Den Weg dafür ebnete der „Gesetzesentwurf zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen“. Er wurde am 28. Januar 2016 vom Berliner Abgeordnetenhaus gebilligt. Anfang November hatte der Senat bereits verkündet, dass alle früheren Baufelder des Masterplans jetzt wieder aktiviert und das Bauverbot grundsätzlich aufgehoben werden soll. Diese Provokation blieb nicht ohne Echo: „Frontal-angriff gegen die Demokratie“ warnte die Bürgerinitiative 100% Tempelhofer Feld und nannte den Vorstoß eine „Ohrfeige für die 740.000 Wählerinnen und Wähler“, die für das ThF-Gesetz gestimmt hatten. Mehrere Initiativen forderten die sofortige Rücknahme der Entscheidung. Als Resultat der massiven Proteste gab der Senat seine raumgreifenden Pläne auf und will nun nur noch zwei kleinere Flächen im Vorfeldbereich für die Flüchtlingsunterbringung nutzen. Gewiss ist die befristete und räumlich begrenzte Erweiterung des Vorfeldes um diese beiden Flächen eine Option, die bisher auf das Flughafengebäude konzentrierte Notunterbringung und Versorgung von Flüchtlingen räumlich zu entzerren, wie der BUND schreibt, der den der „Kompromiss“ im wesentlichen ausgehandelt hat. Und selbstverständlich ist das Feld als Möglichkeitsraum für Integration, Begegnung und das Engagement für und mit geflüchteten Menschen prädestiniert. Aber dennoch: War es nötig, die auf demokratischem Weg errungene Freiflächensicherung und die Flüchtlingsbeherbergung in einen derart konfliktreichen Widerspruch zu bringen? Empfindlich gelitten haben die Demokratie und – einmal mehr – das Vertrauen in die Regierenden. Denn: Es gibt auch andere Lösungen. In einer gemeinsamen Pressemitteilung stadtpolitischer Initiativen forderte der Flüchtlingsrat Berlin die Schließung der Massenlager am Standort Flughafen Tempelhof zugunsten einer schnelleren Bereitstellung von Wohnungen. Die Kritik am Senat: Alternativen für kleinteiligere Unterkünfte würden nicht ausreichend geprüft. Tausende Wohnungen könnten sofort und mittelfristig zur Verfügung stehen – wenn der Senat den politischen Willen dafür aufbrächte. Weil Personal abgebaut und die Flüchtlingsbewegungen unterschätzt wurden, herrscht aber nach wie vor vielerorts Chaos, das nur durch das Engagement der Tausenden von freiwilligen Helfern abmildert wird. Die neue Massenunterkunft soll mit einem großen Wurf jahrelange Untätig-