Garten+Landschaft 03/2020

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M ÄR Z 2020

MAGAZIN FÜR L ANDSC HAFT SARC HI TEK TUR U ND S TADT P L A N UN G

GARTEN +

LANDSCHAFT

SPIELPLÄTZE IN DER STADT: WARUM DIE FORM DER FUNKTION FOLGEN MUSS

mit Projekten aus

Biberach, Köln, Kopenhagen, München, Regensburg und Schernbek


16 Gabriela Burkhalter führt uns durch die Geschichte des Spielplatzes: Von den Anfängen im Amerika des 19. Jahrhunderts über den dramatischen Niedergang in den 1980er-Jahren bis heute.

28 Die Stadt neu zu entdecken

Urban Games blickt man

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über seinen Kiez hinaus.

DTP Landschaftsarchitekten

ist nicht nur etwas für Skater und Traceure: Mit

kamen für eine Spielplatzanalyse nach Schermbeck. Und blieben, um ein umfassendes Spiel- und Bewegungsraumkonzept zu realisieren.

52 „El Pop“ ist ein bespielbarer Riesenoktopus des katalanischen Architekten Jordi Queralt, umgesetzt von Richter Spielgeräte. Warum die Kinder Barcelonas davon so angetan sind, erfahren Sie auf den Seiten 52/53.


INHALT

AK TUELLES 06 11

SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Cleane Miniatur

44 Die Bewegungsflächen

SPIELRÄUME:

der Europäischen Schule in Kopenhagen sind theoretisch für die breite Öffentlichkeit zugänglich.

Spielplätze in der Stadt: Warum die Form der Funktion folgen muss

In der Praxis steht jedoch die Architektur im Weg.

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VIEL STEHT AUF DEM SPIEL

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VON WEGEN LEICHTES SPIEL

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WO DIE WILDEN KERLE SPIELEN

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SPIELERISCH DIE STADT ENTDECKEN

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Feature: Aktuelle Herausforderungen bei der Gestaltung von Spielanlagen Die Geschichte des Spielplatzes: Von der Vergangenheit bis in die Gegenwart Schwabing, München: Zum neuen Spielplatz von ver.de Landschaftsarchitekten Urban Games: Ein neuer Trend?

„EINE HALTUNG ÄNDERT MAN NICHT IN DREI BIS FÜNF JAHREN“

Kinderfreundliche Kommune Köln: Im Interview mit Stephan Glaremin, Leiter des Amts für Kinder, Jugendliche und Familie Köln INKLUSION GELINGT NICHT ALS POSTULAT

Kommentar von Spielraumplaner Peter Hohenauer

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DIE GANZE STADT EIN SPIELPLATZ

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DER WEG IST DAS SPIEL

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Elisabeth Rathjen zur Spielleitplanung in Biberach und Regensburg

Schermbeck bei Wesel: Zum neuen Spiel- und Bewegungsraumkonzept von DTP Landschaftsarchitekten GmbH LEERE TROTZ DICHTE

Kopenhagen, Dänemark: Kasper Lægring zum Gestaltungskonzept der neuen Europäischen Schule im Stadtviertel Carlsberg City UNSERE SPIELPLÄTZE SIND ZU SICHER

Kommentar von Franz Danner, Spielplatzprüfer beim TÜV SÜD

STUDIO 50

BLICK INS BÜRO mahl·gebhard·konzepte

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REFERENZ PoP! Goes my heart

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LÖSUNGEN Spielgeräte und Sportanlagen

RUBRIKEN 60

Stellenmarkt

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Impressum

63

Lieferquellen

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DGGL

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Sichtachse

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Vorschau

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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VIEL STEHT AUF DEM SPIEL Er ist fester Bestandteil unzähliger Kindheitserinnerungen, die Kulisse mitreißender Fantasieabenteuer, Zufluchtsort, Treffpunkt im Quartier – der Spielplatz. Weder für Kinder noch für Erwachsene ist er aus dem städtischen Gefüge wegzudenken, und dennoch fällt er zunehmend Bauprojekten zum Opfer. G+L hat bei führenden Spielgeräteherstellern nach­ gefragt, welchen Herausforderungen wir uns in der Gestaltung von Spielräumen künftig stellen müssen. THERESA RAMISCH

Die Spielflächen in unseren Städten werden knapper. Dies bestätigte vergangenen Sommer das Deutsche Kinderhilfswerk im dpa-Interview. Bundesweit vergleichbare Zahlen zu der Entwicklung von Spielflächen in deutschen Städten existieren keine, nur Berlin kann aufgrund des Spielplatzgesetzes, das es als Unikum seit 1979 in der Hauptstadt gibt, mit belastbaren Zahlen aufwarten. So sank in Berlin seit dem Jahr 2000 die durchschnittliche Spielfläche je Einwohner von 0,8 auf 0,6 Quadratmeter. Anfang der 1990er-Jahre lag der Wert in Westberlin noch bei durchschnittlich 1,3 Quadratmeter. Das Berliner Spielplatzgesetz gilt als rechtliche Grundlage für den Bereich der öffentlichen Spielplätze in Berlin und schreibt mindestens einen Quadratmeter pro Person vor. Folgt man dem Regelwerk, fehlen in Berlin derzeit 40 Prozent an Spielplatzfläche. Tendenz steigend. Dass der Flächendruck in deutschen Metropolen zunimmt, ist weder eine Neuheit noch eine Überraschung. Jedoch sind auch die kleineren Städte vom zunehmenden Spielplatzmangel betroffen. Ob Berlin oder Adendorf – laut Steffen Strasser, dem Geschäftsführer des Spielplatzgeräteherstellers Playparc, sei es egal, in welcher Stadt man sich befände, deutsche Verwaltungen aller Größen geben immer wieder Spiel- und Freizeitflächen als Bauland frei. Das Deutsche Kinderhilfswerk und der Bundesverband der Spielplatzgeräte und FreizeitanlagenHersteller e.V. – kurz BSFH – bestätigen dies. „Wir erleben vermehrt, dass Kommunen weniger stark frequentierte Spielplätze schließen und für Bauprojekte zur Verfügung stellen“, sagt BSFH-Geschäftsführer Gerold Gubitz. Laut dem Deutschen Kinderhilfswerk käme es auch vor, dass Spielflächen, die in Bebauungsplänen als solche festgesetzt sind, zu Bauland erklärt und veräußert werden. Spielplätze weichen folglich nicht allein im Zuge kleinteiliger Nachverdichtungsprojekte. Sie werden von vornherein ausgeplant. Die Gründe für Entscheidungen dieser Art liegen laut Strasser in der Rentabilität der Flächennutzung. Mit Bauprojekten ließe sich kurzfristig mehr verdienen als mit Spielplätzen, die in Wartung und Pflege kostenintensiv seien. RESOLUTION ZUM SPIELFLÄCHEN-ERHALT

„Einige Kommunen betrachten Grün- und Spielflächen nur als ‚nice to have‘“, sagt Strasser. Wenn dem so wäre und der Spielplatz seine Bedeutung als gesellschaftliche Institution in der Stadtentwicklung verliert, wären die Folgen fatal. Spielen zählt zu den kindlichen Grundbedürfnissen, das soziale,

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SPIELRÄUME TITELSTORY

kognitive und motorische Fähigkeiten fördert. Gleichzeitig wirken sich öffentliche Spielflächen positiv auf Biodiversität, Stadtklima und lokale Bewegungsmöglichkeiten aus. Sie schaffen öffentliche Bewegungsflächen in Stadtteilen mit städtebaulichen Missständen und einkommensschwachen Bevölkerungsschichten. Den aktuellen Entwicklungen folgend, haben der Beirat vom „Bündnis Recht auf Spiel“, in dem das Deutsche Kinderhilfswerk aktuell den Vorsitz hat, mit der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz eine Resolution zum Erhalt von Spielflächen in Deutschland aufgesetzt. Sie fordern in dieser, dass die Bundesländer gesetzliche Regelungen für beteiligungsorientierte Spielflächenkonzepte verabschieden und dass Kommunen Kindern in ausreichendem Maße sichere, gut vernetzte und erreichbare Spielräume zur Verfügung stellen sowie ein Spielflächenentwicklungskonzept und eine Spielleitplanung entwickeln. IM TREND: THEMENSPIELPLÄTZE

Vertreter der Spielgerätebranche suchen gemeinsam mit Planerinnen und Planern nach alternativen Spielplatzformen. Allen voran die Berliner Seilfabrik, die auf Dachspielplätze als Spielplatzform der Zukunft setzt. „Natürlich merken auch wir die zunehmende Flächenkonkurrenz in unseren Städten“, sagt Ferdinand Sieglin vom Berliner Unternehmen. „Hier ist es wichtig, neue Wege zu gehen und Alternativen zu finden. Wir glauben dabei an Dachaufbauten.“ Entsprechende „best practices“ hat der Spielgerätehersteller bereits in Kopenhagen und San Francisco umgesetzt. Wolfgang Keiner von Huck Seiltechnik bestätigt den Dachbauten-Ansatz. Tiefgaragendächer wären für neue Spielplätze optimal geeignet, und nicht nur unsere skandinavischen Nachbarn, sondern auch deutsche Kommunen würden mehr und mehr Spielplätze dieser Art umsetzen, so der Huck-Geschäftsleiter. Aber ist dem wirklich so? Einer G+L-Recherche zufolge lassen sich in Deutschland mehrere Dachspielplätze ausmachen – darunter in Berlin und Hamburg –, diese sind jedoch stets Teil privater Einrichtungen. Öffentliche Dachspielplätze, die Ausgleich zu den abnehmenden öffentlichen Spielflächen bieten, sind der Redaktion unbekannt. Aktuell sind auf Deutschlands Spielflächen indes Themenspielplätze und Bewegungsflächen mit Calisthenics auf dem Vormarsch. Ob Weltall, Prinzessinnenschloss oder Piratenschiff – mittels themengebundener

Spielgeräte erschaffen Hersteller auf Freiflächen ganze Spielwelten. Laut Ferdinand Sieglin von der Berliner Seilfabrik sind Motto-Spielplätze sogar besonders häufig das Resultat von Partizipationsprozessen. Blind folgen sollte man dem Trend jedoch nicht. Das denkt auch Steffen Strasser von Playparc: „Themenspielplätze geben Kindern eine konkrete Spielwelt vor und nehmen dem Kind seine Vorstellungskraft.“ Viele Erwachsene empfänden Spielplätze, die weder Motto noch Funktion vergäben, als langweilig. „Ich glaube, dass einige von uns Spielgeräteherstellern ihre Geräte für die Eltern bauen. Die Bedürfnisse des Kindes rücken dabei gerne mal in den Hintergrund“, sagt Strasser. Er persönlich halte die freie Entfaltung des Kindes im Spielen in seiner Physis und seiner Kreativität für die optimale Lösung. Strasser spricht damit einen Aspekt an, den auch die Experten von Richter Spielgeräte unterstützen: Motto-Spielplätze sind in der Regel geschlossene Gebilde, die nach ihrer Fertigstellung noch kaum Veränderung zulassen. „Wir sollten Spielplätze nicht bis zum Ende fertigdenken, sie nicht bis zum unveränderlichen Ende treiben. Vielmehr müssen wir als Gestalter Raum für Veränderungen durch die Nutzer lassen“, sagt Peter Heuken, ChefPlaner bei Richter Spielgeräte in Frasdorf. Bei Calisthenics sollte ein modularer Aufbau hingegen kein Problem darstellen. Sie wurden von den G+L-Befragten als der aktuell wichtigste Trend auf Bewegungsflächen angegeben. Stichwort Calisthenics: Laut Steffen Strasser könnte hieraus auch das „next big thing“ resultieren: Hindernislauf im öffentlichen Raum. Playparc arbeitet derzeit an entsprechenden Konzepten. BEWERTUNGSMATRIX FÜR INKLUSION

Wo wir gerade beim nächsten „big thing“ sind: Am Thema „Inklusion“ kommt man beim Bau und der Gestaltung von Spielplatzanlagen nicht mehr vorbei. Mit der Änderung der DIN-Norm 18034 hat das Deutsche Institut für Norm Inklusion als Kriterium niedergeschrieben und deutsche Kommunen verpflichtet, künftig Spielanlagen inklusiv zu planen. Eine Änderung, die längst überfällig war, denn bei Inklusion auf Spielplätzen hinken Deutschlands Kommunen hinterher. „Inklusive Spielgeräte sind noch nicht in der Fläche des Marktes angekommen. Es gibt zwar einen Bedarf, aber nicht in der Fläche. Das liegt vorrangig an den Verwaltungen, viele Zuständige haben Inklusion noch nicht auf dem Schirm“, sagt Steffen Strasser. In Nordamerika ist man da viel weiter. Das

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Fotos: © Library of Congress (oben), Modern Records Centre and the Lady Allen of Hurtwood papers, University of Warwick, Coventry (unten)


SPIELRÄUME GESCHICHTE DES SPIELENS

VON WEGEN LEICHTES SPIEL Die Geschichte des Spielplatzes ist die Geschichte einer erstaunlichen Dynamik und dann eines dramatischen, wenn auch lautlosen Niedergangs in den 1980er­Jahren. Wo stehen wir heute? Viele Ansätze und Ideen der Pionierjahre wurden übernommen und kommerzialisiert. Der Standardspielplatz ist heute im Idealfall mehr als nur Rutschen und Schaukeln. Kreative Ansätze bringen maßgeschneiderte Lösungen und partizipative Elemente ein. GABRIELA BURKHALTER

AUTORIN Gabriela Burkhalter ist Politologin und Raumplanerin. Seit 2006 erforscht sie die Geschichte des modernen Kinderspielplatzes und macht sie unter www.architekturfuerkinder.ch zugänglich. Sie ist die Kuratorin von The Playground Project, eine Wanderausstellung, die zugleich ein Spielplatz ist und aktuell im DAM Frankfurt zu sehen ist.

Begonnen hat es in den großen Industriestädten Amerikas um etwa 1890. Sozialreformer, die bemüht waren, das Elend der Arbeiterklasse zu lindern, richteten Spielplätze ein, um Kinder von der Straße zu holen und ein Minimum an Tagesstruktur und Bildung zu vermitteln. Um die Jahrhundertwende übernahm der Staat diese Aufgaben und begann, einfache Spielplätze mit industriell gefertigten Stahlrohrgeräten einzurichten. Ging es am Anfang ums Kontrollieren und Disziplinieren, interessierten sich in Skandinavien schon um die 1920er-Jahre Pädagoginnen und Pädagogen für die kindliche Kreativität. In vielen Bereichen wie der Wohnungspolitik, der Planung von öffentlichen Einrichtungen und Grünflächen gingen insbesondere Schweden und Dänemark, aber auch die Niederlande neue Wege. Dies begünstigte, dass neue Spielplatzkonzepte aufkamen. 1940: VIER SPIELPLATZTYPEN

Die neuen Ansätze stellten das Kind als schöpferisches Wesen in den Mittelpunkt. Es entstanden abstrakte Spielskulpturen, Spiellandschaften und die legendären „Gerümpelspielplätze“, heute Abenteuer-

spielplätze genannt. Die Pioniere dieser neuen Konzepte waren der Künstler Egon Møller Nielsen, der Landschaftsarchitekt Carl Theodor Sørensen und der Architekt Aldo van Eyck. Die abstrakte Spielskulptur aus geschliffenem Stein, Beton, später Fiberglas oder Polyester ermöglicht vielfältige und parallele Aktivitäten, je nach Größe der Skulptur können viele Kinder gleichzeitig spielen. Die Spiellandschaft schafft eine Topografie aus Erde, Stein, Sand oder künstlichen Materialien, Wasser und Pflanzen, ergänzt mit Spielgeräten. Das Spiel ist nicht vorgegeben, und Kinder können die Landschaft im Idealfall verändern. Auf dem Abenteuerspielplatz können Kinder mit Holz bauen, Löcher graben, Feuer machen und sich um Haustiere kümmern. Die Aktivitäten werden von einem „playleader“ betreut oder unterstützt. Einen vierten herausragenden Typus schuf ab 1947 Aldo van Eyck, Architekt beim Stadtplanungsamt Amsterdam: Er realisierte ein dichtes Netz von Hunderten von Spielplätzen und -nischen mit standardisierten Stahlrohrgeräten und individuell gestalteten Sandkästen in einem offenen Setting. So wurde der städtische Raum zum Spielraum.

Die ersten staatlichen Spielplätze entstanden um 1900 in den USA. Ein Beispiel: N.Y. Playground, 1910–1915 (oben). Später entstanden Spielskulpturen und -landschaften wie auf der Riis Plaza, Jacob Riis Houses, New York City, 1965, von M. Paul Friedberg (unten).

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Foto: Johann Hinrichs Photography

WO DIE WILDEN KERLE SPIELEN

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SPIELRÄUME SCHWABINGER SPIELLANDSCHAFT, MÜNCHEN

Von 2013 bis 2019 entstand entlang der Leopoldstraße im Norden Münchens das neue Stadtquartier Schwabinger Tor. Zwischen Hochhäusern, Büros und Luxushotel entwickelten die Landschaftsarchitekten von ver.de eine vielfältige Spiellandschaft für alle Altersstufen, die auf die Geschichte des Künstlerviertels Schwabing Bezug nimmt und Kinder zu kreativen, mutigen Entdeckern machen will. MATTHIAS OBERFRANK

Höhepunkt der Schwabinger Spiellandschaft von ver.de: Der nördlichste Platz erinnert mit Wasser, Sand, Findlingen und Baumstämmen an eine Schwemmlandschaft. Hier darf gematscht und geklettert werden.

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Die Spielleitplanung gibt es seit 1999. Ihr Ziel: Den urbanen öffent­ lichen Raum so zu gestalten, dass auch Kinder ihn nutzen können, ohne großen Gefahren ausgesetzt zu sein, und um Bewegung und Spiel an der frischen Luft zu fördern. Wie funktioniert das Instrument in der Praxis? Wir schauen nach Regensburg und Biberach. ELISABETH RATHJEN

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Foto: Harald Nachtmann, Westend61 GmbH/Alamy Stock Foto

DIE GANZE STADT EIN SPIELPLATZ


SPIELRÄUME SPIELLEITPLANUNG REGENSBURG UND BIBERACH

unterschiedlichen Fachbereiche einer Gemeinde zusammenarbeiten, sondern auch Kinder und Jugendliche selbst als Experten für ihre Bedürfnisse intensiv am Planungsprozess teilnehmen. Zum Beispiel durch „Streifzüge“, auf denen Kinder die Führung übernehmen und den Planern und Verwaltungsangestellten ihr Viertel zeigen. Die Erwachsenen tragen die Ergebnisse in Fragebögen und Karten ein – als Grundlage für Analysepläne und Maßnahmenempfehlungen. Die Spielleitplanung wird durch Gemeinderatsbeschluss rechtlich bindend und muss anschließend in allen Grünflächen-, Bebauungs-, Verkehrs-, Freizeit-, Schul- oder auch Kulturplanungen zurate gezogen werden. Wie gut das Instrument in der Praxis auch bei unterschiedlichen Ausgangslagen anwendbar ist, zeigt sich am Beispiel der Städte Regensburg und Biberach. REGENSBURG

AUTORIN Elisabeth Rathjen studierte Landschaftsarchitektur an der FH Weihenstephan und war von 2016 bis 2018 am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und öffentlichen Raum der TU München tätig. Aktuell arbeitet sie als freiberufliche Landschaftsarchitektin und Autorin.

Immer mehr Verkehr und im Gegenzug weniger sichere Wege und gut gestaltete Freiflächen: Besonders Kinder sind von diesen Problemen unmittelbar betroffen. Eindrücklich sind die Zahlen der Studie des Kinderhilfswerks. Bewegten sich in den Sechzigerjahren Kinder etwa zwei Kilometer alleine von ihrem Zuhause weg, sind es heute nur noch 500 Meter. Selten reicht der Radius über den eigenen Garten oder den nächsten Spielplatz hinaus. Doch es gibt bereits seit 1999 ein Instrument, das Abhilfe schaffen soll: die Spielleitplanung. Sie soll helfen, Bedürfnisse und Interessen von Kindern und Jugendlichen im öffentlichen Raum zu integrieren. Das heißt, den öffentlichen Raum als bespielbare Fläche zu sehen: Plätze, Grünanlagen, Straßen, Bürgersteige, Bachufer, aber auch Brachen, Siedlungsränder, Hinterhöfe und Hauseingänge. Natürlich bedeutet das einiges an Aufwand. Nicht nur müssen die

Regensburg beschloss 2010, angestoßen vom Amt für Kommunale Jugendarbeit, die Spielleitplanung einzuführen. Als externe Fachplaner unterstützten WRW FreiRaumArchitekten und „Stadt-Kinder“ den Prozess. Das Besondere: Regensburg ist die erste Stadt, die das Instrument in einer großen historischen Innenstadt etablierte und wurde zu Beginn daher auch als Modellvorhaben vom Deutschen Kinderhilfswerk e.V. gefördert. Die Ausgangslage war nicht einfach: Eine enorme Baudichte, eine belebte Fußgängerzone und flächendeckender Denkmalschutz hatten dazu geführt, dass es kaum Spielplätze gab. „Um hier die richtigen Dinge anzupacken, ist es wichtig, dass man alle Dezernate an einen Tisch holt“, betont Peter Apel von Stadt-Kinder, der die Spielleitplanung 1999 maßgeblich mitentwickelt hat. Beteiligt waren dementsprechend das Stadtplanungsamt, das Amt für Stadtentwicklung, das Gartenamt und Tiefbauamt, daneben Stadträte des Jugendhilfeausschusses sowie Mitarbeiter aus verschiedenen Schulen und sozialen Einrichtungen in den Stadtteilen. Ausschlaggebend für das Projekt war aber die Meinung der Kinder und Jugendlichen. Auf den Streifzügen und mithilfe einer Mental-Map zeigten diese den Planern und Verwaltungsangestellten ihre Schul- und Freizeitwege, ihre Spiel-, Erlebnis- und Aufenthaltsplätze und ihre Angst-Orte. All das floss in Analysepläne und Projektempfehlungen ein. Für die gesamte Stadt gibt es außerdem zehn übergeordnete Qualitätsziele für die Kinderfreundlichkeit. Zu diesen gehört zum Beispiel auch, die Jugendbeteili-

Über die Spielleitplanung für Regensburg konnte unter anderem die immer geforderte Mehrfachnutzung realisiert werden: Wettbewerbskriterium für den Gedenkort der zerstörten Synagoge am Neupfarrplatz (von Dani Karavan) war die Bespielbarkeit.

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DER WEG IST DAS SPIEL Zunächst sollten in Schermbeck bei Wesel nur die Spielplätze analysiert werden. Schnell war klar, dass es weit mehr bedurfte, um Bewegung und Spiel in der Stadt attraktiv zu machen. DTP Landschaftsarchitekten entwickelten ein umfassendes Spiel­ und Bewegungsraumkonzept, das in Etappen realisiert wird.

AUTOREN Isabella de Medici ist Landschaftsarchitektin, und Martin Richardt ist Freiraumplaner. Beide sind seit vielen Jahren im Planungsbüro DTP Landschaftsarchitekten GmbH tätig und seit 2017 Gesellschafter. Da sie von frühen Konzepten bis zur Objektplanung alle Phasen bearbeiten, begleiten sie Kommunen und Menschen oft über viele Jahre bei der Aufwertung ihres Lebensumfelds.

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Schermbeck, eine kleine Stadt in Nordrhein-Westfalen, am westlichen Rand des Münsterlands, hat das gleiche Problem mit seinen Spielplätzen wie viele Städte und Gemeinden in Deutschland: Sie sind in die Jahre gekommen, die Spielgeräte in schlechtem Zustand, und ihre Angebote entsprechen oft nicht mehr den Bedürfnissen der unterschiedlichen Nutzer. Denn das sind nicht nur Kleinkinder. Auch Schulkinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren suchen nach Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten in der Stadt. Oft befinden sich solche Orte nicht dort, wo die Nachfrage am größten ist. Auch in Schermbeck ist mit steigenden Bevölkerungszahlen und in den damit einhergehenden neuen Baugebieten ein „unkontrolliertes“ Angebot an Spielräumen entstanden. Deren oftmals inselartige Lage und mangelnde Vernetzung zeigt, dass die Entwicklung keinem Gesamtkonzept oder übergreifendem Spielleitplan gefolgt war. So war unserem Team vom Planungsbüro DTP Landschaftsarchitekten schnell klar, dass die Analyse der Spielplätze, mit der wir beauftragt waren, nicht ausreichte. Wir überzeugten die Gemeinde, dass ein

Alle Fotos: Nikolai Benner

ISABELLA DE MEDICI, MARTIN RICHARDT


SPIELRÄUME SPIEL- UND BEWEGUNGSRAUMKONZEPT SCHERMBECK

Teil des gesamtstädtischen Spiel- und Bewegungsraumkonzepts für Schermbeck waren die Freiräume der Grundschule.

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LEERE TROTZ DICHTE Die Europäische Schule in Kopenhagen ist die jüngste Ergänzung im aufstrebenden Stadtviertel Carlsberg City. Die moderne Blockrandbebauung kombiniert Schulgebäude, Sporthalle, Spielplätze und Freizeitbereiche in und um einen Innenhof. Offiziell für die breite Öffentlichkeit zugänglich, verhindern jedoch architektonische Hemmschwellen die Nutzung der Bewegungsflächen von und durch alle. Das Projekt steht in Gefahr, seinem städtebaulichen Ziel zum Opfer zu fallen: der verdichteten Stadt.

AUTOR Kasper Lægring ist Architekturtheoretiker und externer Dozent an der Universität Kopenhagen. Er hat Abschlüsse in Architektur (PhD, Royal Danish Academy of Fine Arts, School of Architecture; MS, University of Pennsylvania) und Kunstgeschichte (Mag. art., Universität Kopenhagen).

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So manchem Leser dürfte die Biermarke Carlsberg ein Begriff sein. Bald könnte der Name Carlsberg aber auch zu einem Synonym verdichteter Stadterneuerung werden. Seit das dänische Architekturbüro Entasis 2007 den internationalen städtebaulichen Wettbewerb für das historische Carlsberg-Areal in Kopenhagen gewann, wird die ehemalige Brauerei zum gemischt genutzten Quartier umgewandelt. Der Entwurf von Entasis zeichnete sich durch eine Mischung aus dichter Bebauung und neuen Stadtplätzen aus. Das Modell für die Carlsberg City, das zum Teil auf Jan Gehls städtebaulicher Philosophie beruht, schließt eine unregelmäßige, für Kopenhagen typische Blockrandbebauung ein. Zugleich sollen neun sogenannte „Türme“ – ein Euphemismus für die Hochhäuser, die diese Struktur aufbrechen – der Carlsberg City eine unverwechselbare Skyline verleihen, die sich vom urbanen Charakter des historischen Kopenhagens abhebt. Der von Entasis erstellte Masterplan hob sich aber nicht nur durch die gewagte Kombination der beiden Typologien hervor, sondern auch durch die Würdigung des lokalen

kulturellen Erbes. Das Gefüge einst improvisierter Straßen auf dem Fabrikgelände sollte beibehalten werden. Die Materialität, der hohe handwerkliche Standard, die ornamentalen Qualitäten und die skurrilen Details der denkmalgeschützten Bauwerke nehmen Einfluss auf die Gestaltung der geplanten Gebäude. Die Europäische Schule, ein fünfstöckiger, L-förmiger Baukörper, stellt keine Ausnahme dieser Regel dar. Die von Vilhelm Lauritzen und NORD Architects entworfene Schule befindet sich im historischen Kern des Quartiers und wurde Ende 2018 nach zweijähriger Bauzeit eingeweiht. Die Vorgaben des Architektenteams beinhalteten unter anderem, auf einem Grundstück mit einer Größe von nur 4 700 Quadratmetern eine Geschossfläche von 14 000 Quadratmetern unterzubringen. Die von der Europäischen Union akkreditierte Europäische Schule wurde von der Entwicklungsgesellschaft Carlsberg City in Auftrag gegeben und von der Stadt Kopenhagen sowie mehreren philanthropischen Stiftungen finanziert. Es handelt sich um eine internationale wie auch kommuna-

Alle Fotos: Adam Mørk and Hampus Berndtson; alle Grafiken: NORD Architects und Vilhelm Lauritzen Arkitekter

KASPER LÆGRING


SPIELRÄUME EUROPÄISCHE SCHULE, KOPENHAGEN

le Schule. Nach bescheidenen Anfängen im Jahr 2014, als die Schule in provisorischen Gebäuden untergebracht war, bietet die neu fertiggestellte Europäische Schule in Carlsberg heute Platz für 1 000 Schüler. Diese erhalten nach Abschluss der Kindergartenzeit sowie der Primar- und Sekundarstufe die Möglichkeit, das Europäische Abitur zu erlangen. LAYOUT, FUNKTIONALITÄT UND DETAILLIERUNG

Die Schule nimmt ungefähr zwei Drittel der neu entstandenen Blockrandbebauung ein, die durch ein östlich gelegenes Wohngebäude vervollständigt wird. Das Gebäude besteht aus zwei Baukörpern: einem V-förmigen, der Straße zugewandten Gebäude im Nordwesten sowie einem

niedrigeren rechteckigen Baukörper im Süden. Während ersteres Gebäude eine durchgehende urbane Straßenfassade bildet, erzeugt das andere Bauelement eine sehr viel durchlässigere Fassade zur Südseite des Geländes, angrenzend an eine neue, asphaltierte und abfallende Gasse. Neben diesem nur für Fußgänger zugänglichen Bereich liegen einige denkmalgeschützte Gebäude, wie etwa der kuriose gewendelte Schornstein aus dem Jahr 1900 und das imposante Kesselhaus aus dem Jahr 1928. Dementsprechend ist das Erscheinungsbild der janusköpfigen Schule zur Straße hin eher repetitiv, während sie von der Gasse aus, wo man die täglichen Aktivitäten im Hof der Schule verfolgen kann, abwechslungsreicher erscheint. Eine nähere Betrachtung der Zusammensetzung und Funktionen der Gebäude zeigt,

In Blockrandbebauung formen ein V-förmiges Gebäude (oben) und ein einstöckiges Bauelement im Innenhof (rechts unten) die zentrale, schwer von außen einsehbare Spielanlage der Schule.

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