Garten + Landschaft 09/2017

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ORT UND GEDENKEN

S EP TEMBER 2017

MAGAZIN FÜR LANDSCHAFT SARCHITEKTU R

GARTEN +

LANDSCHAFT VERLETZT, VERNARBT, VERGESSEN ORT UND GEDENKEN plus

Visionen für Utøya Kirchen: wirklich unantastbar?

GARTEN + LANDSCHAFT

S E P T E M B E R 2 017

Was die documenta 14 kann


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Der Gedenkort als gestaltete

2 753 Menschen starben am

Erinnerung – eine

11. September 2001 in New

Analyse.

York. Die 9/11-Gedenkstätte macht das Grauen zwar fassbar, bleibt aber ein Fremdkörper im Stadtgefüge.

20 Die Anwohner von Utøya wollen nicht ständig an den Terroranschlag von Anders Breivik erinnert werden. Sie kämpfen gegen das Denkmal.

36 Sportlich: Im ehemaligen Olympischen Dorf bei Berlin soll neuer Wohnraum entstehen. Ein Konzept zum Umgang mit der Vergangenheit aber fehlt.

42 Was tun, wenn die Gläubigen ausbleiben? Die Umnutzung von Kirchen ist in anderen Ländern schon gang und gäbe.


INHALT

AR EN A 06 11

SNAPSHOTS MOMENTAUFNAHME Baumhaus-Utopie

T ITEL Verletzt, vernarbt, vergessen? Ort und Gedenken 12

IM MASCHINENRAUM DES ERINNERNS Wie Landschaftsarchitektur kollektives und individuelles Erinnern ermöglicht

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KLAFFENDE WUNDE 69 Menschen tötete Anders Behring Breivik auf Utøya – Anwohner und Politik diskutieren die Sinnhaftigkeit eines Denkmals

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ÜBER GEDENKEN NACHDENKEN Was muss ein Gedenkort leisten? Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin, im Interview

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DAS LEUCHTEN DER STILLE Die größte Narbe der USA: das National September 11 Memorial & Museum

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VERGESSEN ERLAUBT? Wohnen, wo einst Olympioniken trainierten. Dass die Nazis das Olympische Dorf in Elstal bauten, blenden die Planer bislang aus

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SYNERGIE BEIM GEDENKEN Multicodierung von Gedenkorten? Ein Kommentar

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DIE (UN-)ANTASTBAREN Eine Kirche als Disco oder Kletterhalle? Über die Umnutzung von Kirchen

STUDIO 46

FRAGE Was macht ein Wohlfühlbüro aus?

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PRAXIS Vorbild: Tageslicht

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LÖSUNGEN Spielgeräte und Sportanlagen

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REFERENZ Englischer Garten für San Francisco

RUBRIKEN 60

Stellenmarkt

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Lieferquellen

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Impressum

64

DGGL

66

Sichtachse

66

Vorschau

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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ARENA SNAPSHOTS

IR A SCH EI B E Ü B ER ...

EIN NEUES STÜCK KÖLNER GRÜNGÜRTEL AUTORIN Ira Scheibe ist Architekturhistorikerin und schreibt über zeitgenössisches Bauen, etwa bei koelnarchitektur.de. Mit ihrem Team bietet sie auch Architekturtouren an und ist Mitglied im Netzwerk

Der Siegerentwurf schafft markante Eingänge zum Gelände und eine klare, verbindende Wegeführung in den benachbarten Park und die Quartiere. Die Planer führen die Grundstruktur des Grüngürtels weiter: Platanenalleen und weite, offene Wiesen bestimmen das Bild. Dass auch die vier anderen Entwürfe ähnliche Ansätze zeigen, ist nicht erstaunlich. Es ging nicht darum, einen unverwechselbaren Ort zu schaffen, sondern ein Bindeglied zwischen dem vorhandenen und dem entstehenden Park. Mit dezenten Gestaltungselementen, die sie dem bestehenden Parkteil hinzufügen, wie beispielsweise die „Jugendlounge“ – ein Holzpodest am Eingang – oder eine lange Betonbank im Hain gelingt Förder Landschaftsarchitekten diese Gratwanderung. Das eigentliche Vorzeigeprojekt wird nach dem Lückenschluss aber der vollendete Grüngürtel sein: s Sieben Kilometer Grünfläche an einem Stück, das ist einzigartig!

Baumpflanzungen an den Rändern, multikodierte Wiesenflächen im Zentrum: der neue Teil des Kölner Grüngürtels bietet Dichte und Weite.

Foto/Perspektive: Strenger, Ramboll Studio Dreiseitl/Förder Landschaftsarchitekten

guiding-architects.net.

Ein altes Versprechen einlösen und gleichzeitig einen gelungenen Start in die Zukunft hinlegen: Dieses Kunststück gelingt in Köln mit der Parkstadt Süd. Seit gut zwei Jahren laufen die Planungen für dieses Projekt, mit dem der Innere Grüngürtel bis an den Rhein verlängert wird. So fordert es der 2009 beschlossene Masterplan der Stadt – und vollendet damit nach rund 100 Jahren eine Planung, die Konrad Adenauer initiierte. Der Wettbewerb für den ersten Teilbereich ist nun entschieden. Wie es der Name vorgibt, beginnt der Bau des neuen Stadtteils mit einer Parkanlage. Für die Brachfläche am Eifelwall hinter dem Stadtarchiv haben insgesamt 14 Freiraumplaner Entwürfe eingereicht, aus denen die Jury fünf auswählte. Ihr Favorit ist der Vorschlag von Förder Landschaftsarchitekten aus Essen. Derzeit arbeiten die Büros noch an letzten Änderungen; nach der Sommerpause beginnt das offizielle Vergabeverfahren.

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ARENA MOMENTAUFNAHME SNAPSHOTS

M OME N TAU FN AH M E

Foto/Visualisierung: © Ossip van Duivenbode/Damien Assini

BAUMHAUS-UTOPIE Wohnen auf Stelzen? Damien Assini, Student an der UCL Bartlett School of Architecture, zeigt: Das geht. Für ein Studienprojekt entwickelte er das Konzept „zero carbon economy“, modulare Wohneinheiten über Normalnull mit futuristischer Optik. Als Inspirationsquelle diente ihm die Planung der Schnellfahrtstrecke HS2, die London mit den Midlands verbinden und die Infrastruktur und das Land nach dem Brexit stärken soll. Von den Vorteilen der Strecke nicht überzeugt, entwarf Assini einen Gegenvorschlag, der lokalen Bedürfnissen Priorität gibt. Er wandelt die Route der HS2 in einen grünen Landstrich um, an dem entlang kohlenstofffreie Städte entstehen sollen. Die über der Landschaft schwebenden Häuser sollen der darunterliegenden Flora und Fauna wieder mehr Raum geben.

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ORT UND GEDENKEN – IM MASCHINENRAUM DES ERINNERNS Gedenkorte müssen viel leisten. Jeder Besucher projiziert eigene Erfahrungen, Erwartungen, Erinnerungen auf sie. Und sie sind Gegenstand des sich stetig verändernden politischen, öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurses über Erinnerungskultur. Inmitten dieses Diskurses steht der Landschaftsarchitekt als Gestaltender und handelt aus den Haltungen und Vorgaben der Gegenwart heraus. Eine Analyse. AW FAUST, VERA HERTLEIN-RIEDER

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ORT UND GEDENKEN WAS KANN EIN GEDENKORT LEISTEN?

Kollektives Gedenken im Stelenfeld: das HolocaustMahnmal in Berlin. Insgesamt 2 711 Stelen erinnern an die Verfolgung und Vernichtung der

Foto: picture alliance / Markus C. Hurek

europäischen Juden.

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Visualisierung: Jonas Dahlberg Studio

ORT UND GEDENKEN UTØYA-DENKMAL


DISKUSSION ZUM UMGANG MIT DER LANDSCHAFT

Die norwegische Regierung legte die Halbinsel Sørbråten als Ort für die Gedenkstätte fest. Sie liegt einen Kilometer nördlich der Anlegestelle, von wo aus ein Boot nach Utøya startete. Rechts: Der Weg zum Tunnel, der in die Besuchergalerie mündet.

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Die Debatte darüber, wie mit der Insel und ihrer Landschaft künftig umgegangen werden soll, gestaltet sich auch sechs Jahre nach dem Terroranschlag als schwierig. Schon bald nach dem tragischen Ereignis entfachte sich eine Diskussion über die Errichtung einer Gedenkstätte, die bis heute andauert. Zunächst ergriff die AUF die Initiative, mit dem Ziel „die Insel Utøya wiederherzustellen“. Die politische Jugendorganisation wollte die Spuren des Anschlags beseitigen, die bestehenden Gebäude abreißen und so „eine neue Erzählung über Utøya“ beginnen. Die Pläne wurden der Öffentlichkeit im Herbst 2012 vorgestellt. Einige der Hinterbliebenen waren allerdings der Ansicht, die gesamte

Insel müsse als Erinnerungsort gesehen werden. Sie falle daher unter den Schutz des Gesetzes zur Bewahrung des kulturellen Erbes. In einer vor Kurzem erschienenen Analyse der Konflikte und Prozesse zur Rolle der Landschaft beim Gedenken an Opfer verweist die Landschaftsarchitektin und Professorin an der Norwegian University of Life Science, Annegreth Dietze-Schirdewhahn, auf historische Beispiele. Sie kommt zu dem Schluss, dass es für den Prozess der Erinnerung von essentieller Bedeutung sei, auf „die von bestimmten Interessensgruppen erhobenen Forderungen nach einer unmittelbaren Antwort“ auf kluge Weise einzugehen und zu berücksichtigen, dass „die direkt betroffenen Menschen Zeit zum Trauern und zur Genesung brauchen“. Ihr Vorschlag: „Die Insel sollte so,


DAS LEUCHTEN DER STILLE

Fast jeder weiß, wo er am 11. September 2001 war, als zwei Flugzeuge in das New Yorker World Trade Center flogen. Heute erinnert das National September 11 Memorial & Museum am Ground Zero an die Terroranschläge.

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Foto: National September 11 Memorial & Museum

ORT UND GEDENKEN 9/11 MEMORIAL & MUSEUM

Wo einst die Twin Towers des World Trade Centers in die Höhe ragten, tummeln sich heute vor allem Touristen. Die Gedenklandschaft mit einem Museum und den Reflecting Pools macht das Grauen von 9/11 irgendwie greifbar, bleibt aber mit den vielen neuen Bauten in direkter Nachbarschaft, darunter die Einkaufspassage Oculus, für viele New Yorker ein Fremdkörper. EVA C. SCHWEITZER

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VERGESSEN ERLAUBT?

Auf dem Gelände des ehemaligen Olympischen Dorfs bei Berlin, wo 1936 die Olympischen Spiele stattfanden, soll neuer Wohnraum entstehen.

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FAKTEN PROJEKT Olympisches Dorf in Elstal wird zu Wohnzwecken saniert. BEGINN erster Spatenstich 4. Juli 2017 PROJEKTENDE 2019/2020 INVESTOR terraplan Immobilienund Treuhandgesellschaft mbH FINANZIERUNG Die Bundesregierung unterstützt die Sanierung mit 2,6 Mio. Euro. Die Gemeinde Wustermark steuert 1,3 Mio. Euro bei.


ORT UND GEDENKEN OLYMPISCHES DORF BEI BERLIN

Erinnerungsort oder Potenzialfläche für die Stadtentwicklung? Beim ehemaligen Olympischen Dorf im brandenburgischen Elstal bei Berlin liegt die Priorität eindeutig auf der Entwicklung neuen Wohnraums. Ein Konzept, das sich mit dem Gedenken auseinandersetzt, bleiben die Beteiligten bis dato schuldig. Dabei stellt sich die Frage: Muss man sich nicht erinnern?

Foto: I © terraplan, Nürnberg // Bernd Hiepe, Berlin

UWE RADA

AUTOR Uwe Rada, geboren 1963, lebt in Berlin. Er ist Buchautor und seit 1994 Redakteur für Stadtentwicklung bei der taz. Rada schreibt regelmäßig für Garten + Landschaft.

„Herzlich willkommen im Olympischen Dorf von 1936“: Mit zwei großen Bannern wirbt die DKB Stiftung am Eingang zum Dorf im brandenburgischen Elstal gleich hinter der Berliner Stadtgrenze. Der Eingang freilich ist verriegelt. Eine Besichtigung des 52 Hektar großen Geländes, auf dem die Nazis während der Sommerspiele 1936 fast 4 000 Sportler untergebracht haben, ist nur nach 14-tägiger Voranmeldung und gegen Gebühr möglich. So umweht diesen Ort

immer noch der Ruch des Verbotenen. Doch das soll sich ändern, und das hat viel mit Holger Schreiber zu tun. Der parteilose Bürgermeister der Gemeinde Wustermark, zu der Elstal gehört, sieht in den wenigen erhaltenen Mannschaftsunterkünften, dem „Speisehaus der Nationen“, der ehemaligen Schwimmhalle und der Turnhalle weniger eine schwierige erinnerungspolitische Hinterlassenschaft, sondern viel Potenzial für die Zukunft. Deshalb hat er Antrag um Antrag 37 GARTEN+ L ANDSCHAFT


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