Garten und Landschaft 02 2012

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Februar 2012

Garten+

Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur

Gedenkorte


Inhalt 2/2012

Gedenkorte Newsletter

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Ort und Erinnerung Marcus Cordes Landschaft im Kontext der Vergangenheit

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Trennung überwinden – Mauergedenkstätten in Berlin Gesa Loschwitz Interview mit AW Faust vom Berliner Büro sinai Faust. Schroll. Schwarz.

Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

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Tod und Gesellschaft Robert Schäfer Zeitgemäße Bestattungsorte für die Menschen

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Gefangen im Moor – die Gedenkstätte Esterwegen Thomas Armonat Interview mit Hans-Hermann Krafft

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Erinnerung entwerfen Stefanie Wahl Konzepte für Ausstellungen im öffentlichen Raum

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Fußabdruck einer Kirche – der Wettiner Platz in Dresden Thomas Jakob Interview mit der Landschaftsarchitektin Christine May

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Islamische Bestattung – ein Weg zur Integration Andreas Morgenroth Islamische Vereine als Partner der kommunalen Friedhofsträger

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Spuren lesen in Wien – der Turnertempel Peter Zöch Interview mit den Landschaftsarchitekten Maria Auböck und János Kárász

Editorial

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Harmloser Anfang mit Rehen Robert Schäfer

Journal

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Über die Geschichte der Stadt im 20. Jahrhundert Peter Zöch Vittorio Lampugnani analysiert Visionen, Entwürfe und Gebautes

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Dunkle Räume in Norwegens Norden Robert Schäfer Das Steilneset Memorial – ein Denkmal für die Opfer der Hexenverfolgung

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Architektur + Fotografie II Thomas Jakob Eine Ausstellung in der Architektur Galerie Berlin

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Das 9/11-Memorial am Ground Zero Jennifer E. Cooper Eine Kombination aus Denkmal und Freiraum

5 Drei Fotografen zeigen in einer Ausstellung in der A ­ rchitektur Galerie Berlin ihren alltäglichen Blick auf Architektur und deren landschaftlichen Kontext.

6 Landschaft entsteht im Kontext vergangener, sich überlagernder Ereignisse. Planer müssen daher die wesentlichen Aspekte des Erinnerns herausarbeiten.

17 Die neugestaltete Gedenkstätte Esterwegen von WES & Partner und Hans-Hermann Krafft zeugt von der brutalen Ausbeutung der Menschen im dortigen KZ.

23 Auf einer erhöht liegenden Rasenfläche zeichneten May Landschaftsarchitekten den Grundriss der ehemaligen Jakobikirche am Wettiner Platz in Dresden nach.

32 Das Steilneset Memorial im norwegischen Vardø von Peter Zumthor und Louise Bourgeois erinnert an die Opfer der Hexenverfolgung im 17. Jahrhundert.

Urban Design Produkte Projekt

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GaLaBau Praxis Software Produkte Recht

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125 Jahre DGGL Fotografenportraits Nachrichten Campus Wettbewerbe DGGL Nachrichten Termine Autoren, Nachtrag, Vorschau, Impressum

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36 Der Freiraum um das 9/11Memorial am Ground Zero in New York, gestaltet von Peter Walker and Partners, rahmt zwei große Wasserbecken.

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org 122. Jahrgang Bilder: Iwan Baan, Marcus Cordes, WES & Partner, May Landschaftsarchitekten, Jarle Wæhler, Peter Walker and Partners Titel: Steilneset Memorial im norwegischen Vardø, Jarle Wæhler

Für die Zukunft gestalten. 2

Garten + Landschaft

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Ort und Erinnerung

Marcus Cordes

Erinnerungsorte sind nicht nur Orte, die uns etwas bewusst machen. An ihnen überlagern sich auch ­Ereignisse. Landschaft entsteht immer im Kontext der vergangenen Ereignisse. Deshalb ist es

Marcus Cordes (8)

die Aufgabe der Landschaftsarchitekten, wesentliche Aspekte des Erinnerns herauszuarbeiten.

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Die topografischen und topologischen Bezeichnungen im Museums­park Kalkriese: Stahllettern auf Cortenstahlplatten (1) entlang der „Römerroute“ (2), Spundwände als Einfassung des Landschaftsfensters (3), Cortenstahlstäbe als Markierung des ehemaligen Wallverlaufs (4).

Mephisto: Im ganzen – haltet Euch an Worte

Dann geht Ihr durch die sichre Pforte

Zum Tempel der Gewißheit ein.

Schüler: Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein. Mephisto: Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;

Denn eben wo Begriffe fehlen,

Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil Mit der Beziehung zwischen Erinnerung, Ort und Landschaft setzte sich der Autor ausgiebig auseinander. Die Ergebnisse veröffentlichte er in: Marcus Cordes: Landschaft – Erinnern: Über das Gedächtnis im Erfinden von Orten. 232 Seiten. Klappenbroschur. Junius Verlag. Hamburg 2010 34,90 Euro

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Wie sich in der Sprache der Begriff beziehungsweise Sinn des Wortes zeigt, so entsteht die Bedeutung des Ortes entlang der ihn umfassenden Strukturen, die gemeinsam eine Landschaft beschreiben. Sowohl Text als auch Landschaft weisen ordnende, narrative Strukturen auf, durch die das einzelne Wort respektive der Ort ihre Bedeutung erhalten. Landschaft kann man dabei als Überlagerung von Strukturen sehen, die in Form von Kombinationen bestimmter, ­individuell hervorgerufener Erinnerungs­ momente und Repräsentationsformen ­immer wieder neu zusammengesetzt wird. Die Landschaft entsteht folglich in jenem Kontext vergangener Ereignisse, die individuell entdeckt, entschlüsselt und umge­ wandelt werden. Landschaft offenbart also ­historische Bezüge, die durch das Erinnern vergegenwärtigt werden. Erst wenn man die Bedeutungszusammenhänge erkennt, entsteht Landschaft. Der Ort wird neu erfunden, wenn man ihn erlebt und man setzt dem steten Wandel immer wieder einen Standpunkt entgegen­, an dem sich die Deutung zeigt. Demzufolge markiert dieser standortbezogene Ausgangspunkt ­sowohl die neue Bedeutung als auch die Konstruktion der Bezeichnung selbst. Ohne Sprache ist ein Ort nicht denkbar Landschaften entstehen nicht aus sich selbst, sondern indem man alle am Ort auftretenden Kommunikationsstrukturen verknüpft. Dabei bildet die Sprache die Distanz zu den Dingen, die wir für ein Erkennen benötigen. Ohne Sprache ist ein Ort demnach nicht denkbar. Der jeweilige Ort wird über die Sprache zum individuellen mentalen Ereignis und schafft hierüber Identität. Durch Landschaft erleben und erzeugen wir die Kultur, in der wir uns selbst positionieren. Sie ist ein kommunikativer Akt, bei dem, basierend auf kulturspezifischen und individuellen Erinnerungen, Vorstellungen und Eindrücke an ­Orte gebunden werden. Am Ort erfinden wir die Landschaft, die uns Orientierung bietet. In diesem Sinne ist der Ort die eigene Erfahrung einer Landschaft, die in unseren Erinnerungen verankert ist und in der wir uns selbst erkennen. Deshalb ist das Erinnern grundlegend für das Ereignis, das den gegenwärtigen Ort hervorbringt. Dieser steht in Distanz zu den früheren Ereignissen und ist zugleich der Ausgangspunkt, sich Geschichte anzueignen.

Der Blick aus dem Seminarraum der Begegnungsstätte „Ehemalige Synagoge Wuppertal“. Der markierte Standpunkt eröffnet eine Perspektive, in der sich die fragmentarische Konstruktion der Anlage zu einem Bild zusammensetzt.

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Tod und Gesellschaft Die individuelle Freiheit währt bis zum Tode. Wir können selbst entscheiden, wo und wie wir bestattet werden wollen. Wir sollten aber auch nachdenken, wie wir die zeitgemäßen Orte der Erinnerung gestalten können.

Cementerio de la Recoleta in Buenos Aires

Foto: Paul Beaudoin

Schweizer Gebirgsbach mit Urnenbestattung

Foto: Willi Krummenacher/pixelio.de

Neptune Memorial Reef

elkman/wikipedia.org

Jazz-Beerdigung in New Orleans

Foto: infrogmation/flickr.com

Der Wald als Freiluftkathedrale

Foto: FriedWald GmbH

Friedhof im norwegischen Vardø

Foto: Robert Schäfer

Robert Schäfer Der Tod ist unvermeidlich. Dennoch verdrängen wir Gedanken an das Ableben – sogar dann noch, wenn die Sonntagsspaziergänge immer häufiger auf den Friedhof führen. Verschwunden sind die Trauerprozessionen mit dem pferdebespannten Leichenwagen, ebenso die nicht selten zu einem Gelage ausartenden Trauerfeiern im Gasthof. Die Autos der Beerdigungsunternehmen sind grau oder silbern, bloß nicht schwarz, und wer als Berufswunsch Bestatter angibt, wird schräg angesehen. Aber die Todesanzeigen werden in der Regionalzeitung immer noch als erstes durchgesehen, man nimmt Anteil am Tod von Menschen die man selbst kannte, zumindest deren Namen. Die städtische Gesellschaft, in deren Wirklichkeit wir uns zunehmend bewegen, veränderte viele Lebensumstände. Dem kulturellen Umfeld, wie es sich im 20. Jahrhundert entwickelte, haben wir viel zu verdanken. Zunächst Eigenverantwortung, wie die Kulturwissenschaftlerin Ina Schmidt beschreibt: „Religion, Tradition, Familie, all das wird zu einer individuellen Lebensentscheidung und bietet keinen universalen Rahmen mehr ... Das ist einerseits ein Riesengeschenk an 14

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unsere persönliche Freiheit, überfordert uns aber häufig genug – geistig wie körperlich. Dieser Geworfenheit in die Freiheit (JeanPaul Sartre) müssen wir eine ‚Entworfenheit’, also unseren eigenen Entwurf entgegen­ setzen, der neue Zusammenhänge herstellt, in denen wir uns sicher fühlen.“ Nur in der Stadt kann man allein sein Diese Sicherheit haben wir dem städtischen Leben zu verdanken, meint der Soziologe Armin Nassehi: „Nur in Städten kann man wirklich allein sein – weil so viele andere da sind. Nur in Städten bleibt man unbeobachtet – weil der andere eben ein Fremder ist.“ Das führt aber auch dazu, dass man echte Freunde gewinnen kann, die man sich aussucht und nicht von einer engen Gemeinschaft zwangsläufig zugeordnet bekommt. Nassehi bezeichnet die Urbanität als Garant für individuelle Entwicklung. Dieses „bürgerliche Privileg“ sei in Gefahr, wenn Ordnung die Anonymität einschränke. „Urbanität lebt von der Begrenzung der Gemeinschaft und der Abwesenheit äußerer Kontrolle.“ Der Lackmustest sei, wie viel Pluralität die städtische Gesellschaft gewähre.

Jean-Paul Sartre nannte die Freiheit, die eigene Existenz zu gestalten, eine „große Last“. Die eigene Identität, in der Gesellschaft zu finden – und nicht gegen sie – ist ­eine große Aufgabe. Identität schreibt der Sozial­psychologe Heiner Keupp, entstehe in einem dialogischen Prozess. Grundlage der Iden­tität sei die Anerkennung der Person. Ein Identitätsentwurf enthalte immer auch die Position der anderen. Seit der Antike galt Ordnung, ja Unterordnung als eine Tugend, die zur Anerkennung in der Gesellschaft führt. Zusammen mit den Begriffen Fleiß, Treue, Gehorsam, Liebe zum „Vaterland“ und zur Heimat geriet die Tugendhaftigkeit als Leitlinie der Lebensführung im Rückblick auf preußische Zeiten und die nationalsozialistische Herrschaft mit der Gleichschaltung aller Lebensbereiche in Verruf. Gewachsene Ordnungen werden heute, den 68ern sei Dank, auf den Prüfstand gestellt, was die Politiker verunsichert, die womöglich noch in nationalkulturellen Konzepten denken, die die gesamte Gesellschaft umfassen. Der Ruf nach einer deutschen Leitkultur, der sich Migranten aussetzen müssten, ent-

Der Tod ist das Symbol für die Individualität des Menschen. Das drückt sich aus in den Bestattungsformen, die vom Mausoleum über Naturbestattungen bis hin zur Urnenverwahrung zuhause reicht.

springt solchen überholten Vorstellungen. Doch damit wird zugleich manifestiert, dass die Realität bereits multikulturell ist, wie Armin Nassehi feststellt: „Was die moderne Gesellschaft an Stilen und Lebensformen, an Milieus und biografischen Diskontinuitäten erlaubt, hätte unser Land auch ohne Einwanderer zu einer multikulturellen Gesellschaft werden lassen.“ Vielfältige Bestattungsrituale Die Vielfalt der Kulturen, Traditionen, Einstellungen und Religionen wirkt sich natürlich auf das aus, was wir Friedhofskultur nennen, oder vornehmer: Sepulkralkultur. Schon lange ist nicht mehr der kommunale Friedhof mit den christlichen Bestattungs­ ritualen das Maß aller Dinge. Mag der Tod aus dem Alltag und aus dem Stadtbild verschwunden sein, so bietet doch die letzte Ruhestätte mannigfaltigen Grund zur näheren Betrachtung, denn hier wird manifest, was gesellschaftlich relevant ist, wie dem Buch „Naturbestattung und Totenleite“ von Reiner Sörries, dem Direktor des Zentral­ instituts für Sepulkralkultur in Kassel, zu entnehmen ist.

Friedwald im Sauerland

Foto: Andrea Amerland

Urnenbestattung im Friedwald

Foto: Thomas Gasparini

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Hamburger Friedhöfe – AöR (4)

Im Auftrag der Hamburger Fried­ höfe gestaltete das Hamburger Büro Gartenlabor in Öjendorf ­einen neu­ en islamischen Friedhofsteil. Dort gibt es einen Granittisch, um den Toten aufzubahren und Gelegen­ heiten zur rituellen Waschung.

Garnisonsfriedhof umgewidmet werden. An dessen Rand hatte damals gerade die Sehit­ lik-Moschee eröffnet. Durch die damit ver­ bundene, stark steigende Nachfrage nach islamischen Grabstätten entschloss sich die Bezirksverwaltung Neukölln, einen neuen islamischen Friedhofsteil einzurichten. Inzwischen ist abzusehen, dass man den Friedhof dauerhaft erhalten kann. In Hamburg leben 130 000 Muslime. Die Betreiberin der Hauptfriedhöfe Ohlsdorf und Öjendorf, Hamburger Friedhöfe – Anstalt öffentlichen Rechts, AöR, wies in Öjendorf einen neuen Friedhofsteil für Muslime aus. Dieser unterscheidet sich ge­ stalterisch von den bisherigen Angeboten für Muslime. Lokal ansässige Islamverbände hatten sich im Vorfeld mit eingebracht. Aufbahrung und rituelle Waschung Das Hamburger Landschaftsarchitekturbüro Gartenlabor griff dort auf orientalische Ge­ staltungselemente zurück. So ist die Grund­ struktur der neuen Grabanlage dem Muster

eines orientalischen Teppichs nachempfun­ den, die einzelnen Grabfelder sind rauten­ förmig angelegt. Im Zentrum der Anlage steht ein massiver Tisch aus Granit. Nach islamischem Ritus wird der Tote dort abge­ legt, damit die Trauergemeinde vor der ­eigentlichen Beisetzung die Totengebete sprechen kann. Für die rituelle Waschung vor dem Gebet sind in die Anlage Granit­ blöcke mit Wasserhähnen integriert. Seit Ende 2008 gibt es auf dem islamischen Friedhofsteil in Öjendorf Beisetzungen. Als vor Jahren die Diskussion um die „multi­ kulturelle Gesellschaft“ die Schlagzeilen bestimmte, wurde die hessische Industrie­ stadt Rüsselsheim gerne als Beispiel für eine gelungene Integration von Einwanderern herangezogen. Der Ausländerbeauftragte der Stadt initiierte einen islamischen Fried­ hofsteil. Das Projekt wurde in einen Fried­ hofsentwicklungsplan eingebettet, aller­ dings entstand eine große Eigendynamik: Vier der sechs örtlichen, islamisch gepräg­ ten Kulturvereine gründeten einen Träger­

verband, der die Planung vorantreibt und zwischen den Verbands­mitgliedern und der Friedhofsverwaltung vermittelt. Für die Verwaltung ist das von Vorteil, da sie nicht mehr zwischen die teils widerstrebenden Einzelinteressen gerät. Islamischer Trägerverband als Partner Die Stadt hat einen Abschiedsraum bereit­ gestellt. Dem Trägerverband steht es frei, zusätzliche Gestaltungselemente einzubrin­ gen. So sollen ein in Marokko gefertigtes Friedhofstor aus Pinienholz sowie ein Auf­ bahrungsstein aufgestellt werden. Auch die Bepflanzung soll Elemente der orienta­ lischen Gartenkultur aufnehmen. Der Unter­ halt sowie die Verlängerung der Nutzungs­ rechte obliegen dem Trägerverband. Somit wird ein „ewiges“ Ruherecht möglich, nicht durch Zusagen der Verwaltung, sondern durch den islamischen Trägerverband selbst. Bereits jetzt engagiert sich eine regional ver­ ankerte Gruppe junger Muslime der Ahma­ diyya-Gemeinde für die Friedhofspflege.

Islamische Bestattung – ein Weg zur Integration Die 4,5 Millionen Muslime in Deutschland gehen anders mit dem Tod um als die christlich geprägten Deutschen. Ihre Toten müssen schon einen Tag nach dem Ableben beerdigt sein, nicht in einem Sarg, sondern in einem Tuch. Einige Gemeinden haben deshalb begonnen, Teile ihrer Friedhöfe für islamische Bestattungsriten zu öffnen. Partner sind meist lokale islamische Vereine.

Andreas Morgenroth In Deutschland leben nach Erhebungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie des Statistischen Bundesamtes 10,7 Millionen Migranten, darunter etwa 4,5 Millionen Muslime. Der aktuelle Integra­ tionsbericht lobt die Erfolge bei deren ge­ sellschaftlicher Eingliederung. Dennoch ist dieser Prozess nicht frei von Rückschlägen. Ein Beispiel ist die tief verwurzelte Tradition beim Umgang mit dem Tod. In allen Bundesländern, in denen viele Mus­ lime leben, haben die Kommunen auf ihren Friedhöfen Flächen für islamische Erdbestat­ tungen eingerichtet – nach Mekka ausge­ richtete Grabstellen und Abschiedsräume. Die Satzungen erlauben Beisetzungen ohne Sarg. Bescheinigungen und Grabnutzungs­ rechte werden beschleunigt ausgestellt. Vergleicht man jedoch Sterbe- und Beiset­ zungszahlen zeigt sich, dass die Überfüh­ rung und Beisetzung in der alten Heimat – etwa bei Türken – nach wie vor gängige 26

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Praxis ist. Die Überführung per Zinksarg und Flugzeug ist die denkbar aufwendigste und längste letzte Reise. Die mitreisenden Angehörigen müssen viel Geld für die Flüge bezahlen und können doch nicht während der 40-tägigen Trauerzeit jeden Tag das Grab besuchen, wie es im Islam üblich ist. Auch später sind ihnen regelmäßige Grab­ besuche von Deutschland aus kaum mög­ lich. Nach dem Koran soll der Tote schnellst­ möglich begraben werden. Das ist aber nur am Sterbeort möglich. Bestattung in der alten oder neuen Heimat Friedhofsplaner in Deutschland sehen sich zunächst mit dem Bestattungs-Unterstüt­ zungsverein der halbstaatlichen „TürkischIslamischen Union der Anstalt für Religion – Ditib“ konfrontiert, die seit den 1970er-Jah­ ren türkischen Emigranten für einen gerin­ gen Vereinsbeitrag die Überführung des Sargs in ihren Heimatort garantiert.

Aus heutiger Sicht fördert diese Ditib-Ver­ sicherung nicht die Integration. Eine verbrei­ tete Annahme unter den Immigranten ist, dass in Deutschland nach Ablauf der Ruhe­ zeit Gebeine ausgegraben und als Abfall entsorgt werden. Die Herausforderung liegt also darin, Informationslücken zu schließen. Um Vertrauen zu schaffen, sollten Imame islamische Grabfelder abnehmen. Dabei überprüfen sie deren geografische Ausrich­ tung, die Möglichkeit, nach islamischer Tra­ dition Abschied zu nehmen und das Entbin­ den von der Sargpflicht. Wichtig ist auch, sie als Wahlgrabfeld auszuweisen, um die Ruhe­ zeit verlängern zu können. In Berlin, wo etwa 350 000 Muslime leben, entstanden islamische Grabfelder eher zu­ fällig auf einem Friedhofsteil: Als man 2006 den Friedhofsentwicklungsplan für Berlin erstellte, ergab sich ein Flächenüberhang von über 300 Hektar. Im Rahmen der ge­ planten Neuordnung sollte der Neuköllner

Seit Ende 2008 gibt es auf dem Hamburger Friedhof Öjendorf islamische Beisetzungen. Und die Nachfrage nach islamischen Grab­ feldern steigt.

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Jennifer Cooper (3)

Das 9/11-Memorial am Ground Zero Das Denkmal für die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 am Ground Zero in New York ist eine Kombination aus Gedenkstätte und F­ reiraum. Der

Steinerne Sitzblöcke ragen aus dem Belag, Wasser stürzt in die ­Tiefe, in bronzene Geländer sind die Namen der Opfer graviert: Die ­Gestaltungslemente des 9/11­Memorials sind schlicht gehalten.

Memorial Park bildet m ­ it sorgfältig gearbeiteten Details einen klaren Rahmen um zwei schlicht gestaltete Wasser­becken.

Zur Eröffnung im September 2011 besuchten US-Präsident Barack Obama und dessen Vorgänger George W. Bush mit ihren Ehefrauen das 9/11-Memorial in New York.

Jennifer E. Cooper

Freiraum gehört zum Denkmal Nachdem Arad alleine und ohne jegliches Feedback anderer seine Ideen entwickelt hatte, reichte er die Arbeit 2002 beim Wettbewerb zur Gestaltung des Denkmals ein. 36

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Der Masterplan von Daniel Libeskind sah auf dem 6,5 Hektar großen Gelände am Ground Zero einen zentralen Ort für e ­ inen Memorial Park vor, der in zehn Meter Tiefe die Schlitzwand freilegen sollte. Arad hielt es allerdings für unerlässlich, den Freiraum in das Denkmal einzubinden und auf das Niveau der Straße zu heben. Daher setzte er sich über die Vorgaben der Auslobung hinweg. Er sah den Platz als „einen Ort, der zwischen Denkmal und Stadt vermittelt“ und den die New Yorker jeden Tag nutzen sollten. Die acht Finalisten des Wettbewerbs sollten ihre Entwürfe überarbeiten. Arad wandte sich an das Büro Peter Walker and Partners, nachdem die Jury ihm die Zusammenarbeit mit einem Landschaftsarchitekten nahegelegt hatte. Die Juroren gaben zu bedenken, dass ein Landschaftsarchitekt dazu beitragen könnte, dem Entwurf „einen menschlichen Maßstab zu geben, ohne weniger abstrakt zu wirken“. Walker schob seine Pensionierung auf und nahm den Auftrag an. Eine Plaza als Puffer zur Umgebung Das Büro Peter Walker and Partners trug das Konzept für den Pflasterbelag und die Möblierung sowie die Pflanzpläne bei. Die Bäume sind ein wichtiger Teil der Plaza, die Walker als Puffer zu den umliegenden Hoch­ häusern in Lower Manhatten sah. Sie sollten ein Dach über der Gedenkstätte bilden, das den sakralen Aspekt des Ortes hervorhebt. Zudem stehen die verwendeten Eichen für Langlebigkeit und haben eine symbolische Bedeutung. Zunächst wählten die Planer Liquidambar styraciflua. Da deren rote Herbstfärbung

United States Government Work

Die Intensität der Vision, der der israelischamerikanische Architekt Michael Arad folgte, um das 9/11-Memorial am Ground Zero in New York umzusetzen, zeigt sich in jedem Detail. Sein Entwurf der „Reflecting Absence”-Gedenkstätte wurde 2004 von der Wettbewerbsjury auserwählt und katapultierte den bis dahin unbekannten Architekten ins Rampenlicht. Von den Ereignissen im September 2001 erschüttert, verlieh Arad mit dem Entwurf seinen Gefühlen Ausdruck. Er hatte seine Ideen schon skizziert und sie an Modellen erprobt, bevor überhaupt ein Wettbewerb ausgelobt wurde. Die ursprünglichen Entwurfselemente, eine Ebene mit zwei schwarzen, quadratischen Vertiefungen, konnten über viele Jahre den zahlreichen Kompromissen des Planungsprozesses standhalten. Sie bilden das Zentrum des Denkmals. Als Arad 1999 nach New York zog, befasste er sich intensiv mit der Stadt und ihren öffentlichen Freiräumen. In einem Interview zeigte er sich erstaunt darüber, wie stark die Emotionen und der Zusammenhalt der New Yorker Bürger seit dem Anschlag sind. Das gemeinsame Trauern, das er im Washington Square Park und an anderen Orten beobachtet hatte, bewegten ihn sehr. So kam es, dass der öffent­liche Freiraum ein fester Bestandteil in Arads Vorstellung eines 9/11-Denkmals wurde.

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