Garten + Landschaft 06/2015

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Editorial

Smartphones im Bayerischen Wald

Gesa Loschwitz-Himmel

Ab Seite 34 erzählt Peter Haimerl, wie es dazu kam, dass er ein Konzerthaus auf dem Dorfplatz von Blaibach im Bayerischen Wald baute.

„Die Natur will dich zurück“, mit diesem Slogan wirbt ein großes Verlagshaus für seine neue Zeitschrift für männliche Smartphone-Besitzer, die in schicken SzeneVierteln deutscher Metropolen wohnen, einen Computer-Job haben, aber tief in ihrem Inneren verborgen den Wunsch hegen, im Wald einen Bären zu erlegen, ein Kanu zu bauen, oder Pfeil und Bogen zu schnitzen. Naja, oder zumindest am Lagerfeuer zu sitzen und darüber zu reden. Dort, wo die ersehnte Naturnähe möglich wäre, die sich diese hippen Städter wünschen, im Thüringer Wald oder im Erzgebirge zum Beispiel, wünscht man sich eher, ein bisschen mehr Smartphone und ein bisschen weniger Lagerfeuer zu sein. Der Architekt Peter Haimerl analysiert, dass sich die Bevölkerungs­ zusammensetzung zum Beispiel im Bayerischen Wald garnicht so sehr von einer Großstadt unterscheide. Auch die Bayerwaldler schnitzen also nicht den ganzen Tag Wurzelmännchen, sondern arbeiten in Hightech-Firmen und gehen abends vielleicht in ein Konzert. Daher nutzen Kleinstädte und Dörfer die zahlreichen Fördertöpfe, um Anschluss an die größeren Nachbarn zu halten, den Ort vielleicht sogar attraktiv für neue Bewohner zu ­machen, oder zumindest die jetzigen nicht zu verlieren. Auch Landesgartenschauen mit ihren zahlreichen Möglichkeiten der Fördergelderakquise machen jedes Jahr aus mehr oder weniger bekannten und unbekannten Orten quer durch Deutschland Besuchermagnete für ein halbes Jahr, und sie alle hoffen, durch die Transforma­ tion von Brachen in neue Parks und Stadtteile einen Impuls für die Stadtentwicklung gegeben zu haben. Strukturförderung rückt die Blümchen in den Hintergrund, man hofft auf weitere private Investitionen als Sidekick der Schau. Und auf Smartphone-Besitzer, die gar nicht so gern direkt im Wald wohnen, sondern lieber über ihn lesen.

Titelbild: Hanns Joosten; Detail des Abdrucks der ehemaligen Apsis des Klosters Lorsch Seite 12: In Lorsch war es die Unesco, die die Neugestaltung der Kulturlandschaft rund um das einstige Kloster aus dem ­ 8. Jahrhundert ermöglichte.

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Inhalt 6/2015

Newsletter Jetzt kostenlos Newsletter abonnieren: www.garten-landschaft.de Regelmäßig Neuigkeiten aus der Branche Seite 10: Die Stiftung Baukultur widmet sich dieses Jahr der ­Region. In der ersten Werkstatt im April wurde diskutiert, was es braucht, um vitale Gemeinden zu gestalten. Stiftung Baukultur

Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de

125. Jahrgang

Für die Zukunft gestalten.

Garten + Landschaft

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Smartphones im Bayerischen Wald Gesa Loschwitz-Himmel

Journal

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Zukunft Stadt Die grüne Infrastruktur der Stadt Carlo Wolfgang Becker

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Wolken bauen Peter Zöch Neuer Park in den Kristallwelten im österreichischen Wattens

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Streitbarer Partner für die Landschaftsarchitektur Prof. Dipl.-Ing. Hans J. Loidl 1944-2015

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Vitale Gemeinden schaffen Thomas M. Krüger Erste von drei Baukulturwerkstätten in Kassel am 24. und 25. April

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Erinnern an das Unvorstellbare Susanne Isabel Yacoub Gedenkort für das Lager Klinkerwerk des KZ Sachsenhausen

7 Die Kristallwolke von Cao Perrot ist das Herzstück des neuen Parks der Swarovski Kristallwelten in Wattens, Tirol.

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org

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Editorial

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11 Im April eröffnete der Gedenkort für das ehemalige Klinkerwerk, ein Außenlager des Konzentra­ tionslagers Sachsenhausen.

12 Abdrücke in der Wiese zeichnen die ursprünglichen Grundrisse des Klosters Lorsch nach. Erhalten sind nur noch wenige Gebäude.


Landschaft erzählt Geschichte Das Welterbe-Areal Kloster Lorsch am Fuß der Bergstraße in Südhessen erhielt einen neuen gestalterischen Rahmen, der die Relikte der Anlage wieder erlebbar macht. Nach anfänglicher Skepsis der Einwohner ist der neue Anziehungspunkt für Besucher nun akzeptierter Bestandteil der Kleinstadt.

Vom einstigen Kloster Lorsch sind heute nur noch die Königshalle sowie Teile der Basilika und der Klostermauer erhalten. Topotek 1 ­arbeiteten daher mit Abdrücken der Grundrisse.

Hanns Joosten (7)

Topotek 1

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Ursula Kellner Geblieben ist von dem einst blühenden Klos­ ter Lorsch, das mit seinen Bauten die Land­ schaft prägte, die wirtschaftliche Entwick­ lung der Stadt beförderte und zugleich „ein wichtiger Ort für die Bewahrung und Ver­ mittlung von antiker Kunst und Wissen­ schaft“ war, wenig. Aber das, was an bau­ lichen Relikten von dem bereits im Dreißig­ jährigen Krieg zerstörten und 1557 aufgeho­ benen Kloster noch erhalten ist, war es der Unesco wert, das Areal auf die Welterbe-­Liste zu setzen. Urzelle der Ordensniederlassung war das 764 gegründete Kloster Altenmünster in der Nie­ derung am Ufer der Weschnitz. Doch schon einige Jahre später errichtete man eine neue, größere Anlage etwas weiter westlich auf ­einer eiszeitlichen Flugsanddüne, die sich aus dem ebenen Rheintal erhebt. Von einer Mau­ er umgeben bedeckte die aus zahlreichen Gebäuden bestehende Klosteranlage den gesamten Hügel und wurde gleichzeitig zur Keimzelle der heutigen Stadt Lorsch. Erhalten sind heute nur noch drei Gebäude:

die Königshalle, ein Fragment der Basilika ­sowie die Klostermauer, die auch einige ­später hinzugekommene Gebäude wie zum Beispiel eine Zehntscheune umschließt. Am ­bekanntesten und das Wiedererkennungs­ merkmal ist die Königshalle aus der Karolin­ gerzeit mit ihrer markanten weiß-roten Sandsteinfassade und dem zierlichen Glo­ ckentürmchen. Kenntnisse über die verloren gegangenen Bauten stammen lediglich aus punktuellen Grabungen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts vorgenommen wurden und immer noch fortgesetzt werden. Einheimi­ schen wie kulturell interessierten Touristen erschloss sich dagegen die Besonderheit des Ortes in ihrem scheinbar zusammenhang­ losen Nebeneinander von Einzelrelikten nur schwer bis gar nicht. Von der Stadt kommend ging man vielfach gerade mal zu den „High­ lights“, der Königshalle und den Mauerres­ ten der Basilika. Allenfalls reichte es von der Hangkante aus noch zu ­einem Blick hinweg über Siedlung, Betriebe, Parkplätze und land­ wirtschaftlichen Flächen der Ebene auf die

Die Grundrisse nicht mehr vor­ handener Klostergebäude werden im Gelände durch Eintiefungen in den Rasen nachgezeichnet.


Turbomotor für Landau Landau in der Pfalz nutzt die Landesgartenschau, um seine Stadtentwicklung anzukurbeln. Die Konversion der ehemaligen Militärflächen war der Start für ein umfassendes Konzept für

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die gesamte Stadt.

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weitere mögliche temporäre Parkplätze Messeplatz ca. 1150 Stp temporöre Innenstadt Parkplätze weitere mögliche temporäre Parkplätze Messeplatz ca. 1150 Stp temporöre Parkplätze 7

n

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temporäre Parkplätze Messeplatz ca. 750 Stp 5

Eingangsplatz temporäre Parkplätze Messeplatz ca. 750 Stp

weitere mögliche temporöre Grüne Fuge Parkplätze

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Sport- und Freizeitcampus

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Landau Süd Grüngürtel

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weitere mögliche temporöre Parkplätze

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A24 Landschaft

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Naturschutzgebiet/FFH-Gebiet/ Nationales Naturerbe Ebenberg

Stötzer Landschaftsarchitekten

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ende Maßnahmen

Schaugelände ca. 30 ha Renaturierung Birnbach Begrenzung LGS Reiterhof Naturerlebnis Ebenberg Rundweg Natur- und Forschungszentrum Ebenberg Bahnhaltepunkt Neue Bebaunng Verknüpfung zur Innenstadt, Aufwertung der Straßenräume Öffnung der historischen Bebauungsstruktur Denkmalgerechte Sanierung des Gebäudebestands Verknüpfung Hauptbahnhof Verbesserung von Teilbereichen in vorhandenen Parkanlagen

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Schaugelände ca. 30 ha Begrenzung LGS Rundweg

Die Machbarkeitsstudie von Stöt­ zer Landschaftsarchitekten (links) war Grundlage der Bewerbung zur Gartenschau. Den darauf fol­ genden Wettbewerb im Jahr 2011 gewann A24 Landschaft.


Für die Gestaltung des zentralen Quartiersparks waren die tekto­ nischen Verwerfungen des Ober­ rheinischen Grabenbruchs Ideen­ geber – hier als gekippte Rasenflächen interpretiert.

Heike Vossen „Als es hieß, die Franzosen ziehen ab, war das erst mal ein Schock“, so beschreibt Oberbürgermeister Hans-Dieter Schlimmer die Stimmung in Landau in den Neunzi­ gern. Mit Ende des Ost-West-Konflikts gab die französische Regierung ihren Militär­ standort mit zeitweise 6 000 Soldaten auf und überließ der Stadt rund 100 Hektar ­bebaute Militärflächen – was etwa acht Prozent des Kernstadtareals ausmachte. Letztlich war das aber ein Glücksfall für die südpfälzische Stadt, da erst die Konversion eine Innenentwicklung in zentraler Lage ermöglichte und den Druck auf die land­ wirtschaftlichen Flächen nahm. Nach dem deutsch-französischen Krieg im Jahr 1871 hatte die Stadt vor einer ähn­ lichen Situation gestanden: Die Annexion von Elsass-Lothringen verschob die West­ grenze. Landau in der Pfalz war nicht mehr Grenzstadt, schleifte seine Festung und schuf Platz für Ringstraßen und Wohn­ bebauung. Der Truppenabzug in den Neun­ zigern gab der Stadt den zweiten großen Entwicklungsschub. Mit einem prognosti­ zierten Bevölkerungswachstum bis ins Jahr 2030 zählt Landau nun zu einer der vier

„Schwarmstädte“ in Rheinland-Pfalz. Auf den Arealen der ehemaligen Kasernen und des Garnisonslazaretts entstanden bald Wohnbebauung und Gewerbe. Das aktuelle Gartenschaugelände, die 27 Hektar große ehemalige Kaserne Estienne et Foch, davon sieben Hektar Kohlelager und Güterbahnhof, ging jedoch erst 2008 in den Besitz der Stadt über. Die Idee, für den künftigen Wohnpark Am Ebenberg ­eine Gartenschau als Turbomotor für die Entwicklung und Vermarktung zu nutzen, folgte im Jahr darauf, so Schlimmer. Das bisher für die Öffentlichkeit unzugängliche Kasernenareal war stark herunter gekom­ men und war „black box“ und Barriere nach Süden. Die Erfahrungen aus der Kon­ versionsfläche „Quartier Vauban“ am Stadtrand von Landau zeigten, dass der Verkauf der Bauflächen langwierig sein kann. Erst die positive Berichterstattung über die geplante Landesgartenschau – auch über die Stadtgrenzen hinaus – stei­ gerte das Interesse an Grundstücken. Im Jahr 2011 gewann A24 Landschaft aus Berlin den Wettbewerb für die Landes­ gartenschau Landau, die drei Jahre später Garten + Landschaft

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Fotos: Edward Beierle (7)

Gemeinsam mit den Einwohnern von Blaibach entwickelte der ­Architekt Peter Haimerl die Idee, mit einem Konzerthaus neues ­Leben in die Dorfmitte zu bringen.

Zeichnungen: Peter Haimerl (3)

Musik im Grenzbereich Der Münchner Architekt Peter Haimerl hat ein kleines Wunder vollbracht: Im Rahmen des Wettbewerbs „Ort schafft Mitte“ errichtete er ein Konzerthaus in Blaibach, einer kleinen Gemeinde im Bayerischen Wald. Dadurch revitalisiert er nicht nur die Dorfmitte, sondern gibt einer ganzen Region neuen Schwung. Alexander Russ von der Architektur-Zeitschrift Baumeister sprach für Garten + Landschaft mit Peter Haimerl.

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Um was ging es in dem Wettbewerb „Ort schafft Mitte“? Der Wettbewerb wurde vom Bauministerium ausgelobt, das Modellprojekte fördern wollte, die auf unterschiedliche Weise die Revitalisierung von Leerstellen in Ortsmitten angehen. Ich bin durch mein „Haus-Paten“-Projekt, bei dem es um die Sanierung und ­Modernisierung alter Bauernhäuser im Bayerischen Wald geht, auf das Dorf Blaibach gestoßen und habe dadurch davon erfahren. Der Wettbewerb richtet sich ja eigentlich an Gemeinden und nicht an Architekten. Das heißt, die Gemeinden müssen sich dafür ­bewerben. Ich habe den Bürgermeister von Blaibach daraufhin gefragt, ob er sich das nicht vorstellen kann und ihm angeboten ein Konzept zu erstellen – natürlich mit der Bedingung, dass der städtebauliche Teil von mir übernommen wird.

Wie lief das genau ab?

Wie ging das Ganze dann weiter?

Wir haben uns eine Woche Zeit genommen, Ideen entwickelt und uns dann für den Wettbewerb beworben. Ganz am Anfang gab es aber zuerst noch eine Bürgerversammlung, in der die Gemeindemitglieder gefragt wurden, ob sie denn überhaupt mitmachen wollen. Die haben zugestimmt, dann ging es los.

Im Wettbewerb ging es eigentlich nicht so sehr um das Konzept der „Blaibach-GmbH“, sondern vielmehr um die bereits erwähnte Idee des Prozesshaften. Das war der Kern der ganzen Sache. Wir konnten im Vorfeld ja gar nicht wissen, ob sich ein Ärztehaus oder ein Supermarkt überhaupt trägt. Deshalb war es uns wichtig die einzelnen ­Akteure miteinzubeziehen. Ein Dorf kann nur funktionieren, wenn die Akteure und Institutionen im Dorf wirklich verwurzelt sind und miteinander harmonieren. Der erste Schritt war die Entscheidung für den Bau eines Bürgerhauses in der neuen Ortsmitte. Die Gemeinde hat da ein altes Bauernhaus mit mir zusammen umgebaut. Das war die Initialzündung.

Sie hatten zunächst das Konzept eines ­Gründerzentrums – warum ist nichts daraus geworden? Das war das ursprüngliche Konzept für den Wettbewerb. Es ging darum, die Revitalisierung der Ortsmitte durch die Bürger stattfinden zu lassen. In diesem Fall durch die Gründung einer „Blaibach GmbH“, die den Bewohnern die Möglichkeit gibt, das Ganze selbständig zu betreiben. Gescheitert ist das Konzept, weil das GmbH-Modell förderrechtlich schwer umzusetzen ist. Wir dachten, jeder Bürger könnte Teil davon werden, das hat sich im Laufe der Zeit als unrealistisch erwiesen. Deshalb wurde die Idee dann auch aufgegeben. Übriggeblieben ist aber der grundlegende Gedanke des Prozesshaften – also das gemeinsame Entwickeln von Ideen.

Haimerl und die Kunst Der Architekt Peter Haimerl nähert sich seinen Aufgaben auf vielschichtige Weise: Er erforscht die Orte, für die er plant. Oft spielt die Kunst eine Rolle – so auch in Blaibach. Haimerl arbeitete mit seiner Frau zusammen, der Künstlerin Jutta Görlich. Sie ging in Blaibach auf Spurensuche nach verlorenen Orten – Häuser, die kurz vor dem Abriss oder dem Umbau stehen, ein stillgelegtes Freibad, Geschäfte, die aufgegeben wurden. Mit gefundenen Objekten errichtete sie Installationen, die dem Vorhandenen eine neue ­Bedeutung geben: Eine Kuchentheke wird zum Schneewittchen-Sarg (Seite 37), ein Vorhang zum Schleier, Parkbänke werden zu Beichtstühlen. Gemeinsam mit dem ­Fotografen Edward Beierle dokumentierte sie die Transformation mit großen Plakaten, die in Blaibach an Scheunen, Garagentoren oder Schaufenstern verlassener Geschäfte angebracht wurden (Seite 39). Vergangenheit und Gegenwart treffen dort aufeinander und machen die Geschichte des Orts ­ablesbar.

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