August 2015
Garten+
Landschaft Zeitschrift f端r Landschaftsarchitektur
Regionalentwicklung
Editorial
Das Neue im Vertrauten
Stadtpflanze oder Dorfkind? Ich behaupte, jeder von uns hat auf diese Frage eine eindeutige Antwort. Und an dieser Frage haben sich schon große Diskussionen entsponnen. Wo ist das Leben eigentlich lebenswerter? Hat man auf dem Land, was man braucht? Nervt die Stadt nicht schrecklich? Stadt und Land gelten als dia metrale Gegensätze und werden auch so erlebt. Auch ganz offiziell wird der ländliche Raum durch die Abwe senheit von Stadt definiert. Wie gut diese Definition heute noch trifft und warum Stadt und Land planerisch immer mehr als gleichberechtigte Protagonisten ange sehen werden (sollten), ist Thema in diesem Heft. Um die Stadt von morgen geht es in Hamburg buchstäblich nicht erst seit gestern: Die Metropolregion ist in Sachen Wachstum und Aktivierung von Flächenpotenzialen seit Jahren Vorreiter – mit mannigfaltigen Strategien (Seite 30). Unser Titelthema schaut dann noch einmal aus einem anderen Blickwinkel auf das Verhältnis von Stadt und Land: Wie kann es eigentlich gelingen, den Rhein vom Grenzfluss zu einem länderverbindenden Element zu machen? (Seite 36) Es geht im aktuellen Heft also viel um Grenzen – in den Köpfen und auf der Landkarte. Um frische, zeitgemäße Definitionen, und darum, wie Wandel und Transfor mation landschaftsarchitektonisch gut gelingen kön nen. Auch der Verlag spürt den Wunsch nach Verände rung. Als neue Chefredakteurin bin ich Teil eines her ausragenden Teams. Und aller Veränderung zum Trotz: Unser Kernziel bleibt, ein gutes Magazin zu machen. Im journalistischen Sinne meint „gut“ vor allem, die richtigen Fragen zu stellen, Themen zu entwickeln, die nicht nur an der Oberfläche kratzen, den Blick wegzu lenken vom Offensichtlichen hin zu dem, was eigentlich Aufmerksamkeit verdient. In unserem Fall heißt das auch, die landschaftsarchitektonischen Themen in den Fach-Diskurs zu heben, die aus unserer Sicht dort hin gehören. Wir wollen beschreiben, wo es sich lohnt, und einordnen, wo es unabdingbar ist. Immer mit dem An spruch, das Thema so anschaulich und verständlich wie möglich zu machen. Das können und wollen wir. Behalten Sie uns im Auge. Tanja Braemer
Garten + Landschaft
8/2015
1
Inhalt 8/2015
Newsletter Jetzt kostenlos Newsletter abonnieren: www.garten-landschaft.de Regelmäßig Neuigkeiten aus der Branche
Verlag: Callwey Verlag Streitfeldstraße 35 D-81673 München Fon +49 89 /43 60 05-0 Fax +49 89/43 60 05-113 www.garten-landschaft.de
125. Jahrgang
Für die Zukunft gestalten.
Garten + Landschaft
1
Das Neue im Vertrauten Tanja Braemer
Journal
4
Zukunft Stadt Die Zukunft der Stadt liegt in der Landschaft Daniel Czechowski
7
Engagement für den öffentlichen Raum Regine Keller erhält Bayerischen Architekturpreis 2015
8
Ein Uferpark für Mühlacker Sabine Klotzbücher, Armin Dauner Enzgärten 2015: Kleine Gartenschau in Baden-Württemberg
10
Volkspark 2.0 Susanne Isabel Yacoub Architekturfestival „Make City“ in Berlin
12
Interdisziplinäres Arbeiten als Zukunftsaufgabe Thomas M. Krüger Infrastruktur und Landschaft: Baukulturwerkstatt Regensburg 2015
14
Das neue Vorzimmer von Planten un Blomen Heike Vossen Wettbewerb in Hamburg zur Parkerweiterung und zum Dag-Hammarskjöld-Platz
8 Anlässlich der Kleinen Gartenschau im baden-württembergischen Mühlacker wurde die Enz renaturiert.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V. (DGGL) Wartburgstraße 42 10823 Berlin www.dggl.org
2
Editorial
8/2015
10 Beim Auftaktpanel des Berliner Architekturfestivals „Make City“ stand der Volkspark 2.0 im Fokus. Was macht gelungene Parkkonzepte wie das für den Mangfallpark in Rosenheim so gut?
16 An der regionalen Bundesgartenschau waren kaum Landschaftsarchitekten beteiligt. Eine der Ausnahmen: geskes.hack aus Berlin entwarfen den Packhof in Brandenburg an der Havel.
Die Thüringer sollen sich mit ihrem Bundesland identifizieren. Daher gibt es bei der IBA Thüringen vor allem Projekte, die auf den individuellen Bedürfnissen in einzelnen Orten basieren (Seite 21). IBA Thüringen
Regionalentwicklung
16
Schau schafft Marketing Bettina Krause Die Regionale Bundesgartenschau an der Havel
21
Wenig Stadt, viel Land Uwe Rada Die Strategien der IBA Thüringen für das Bundesland
26
Der schnellste Weg durchs Revier Juliane von Hagen Der Radschnellweg RS 1 durch das Ruhrgebiet
30
IBA, Olympia und Co. Cordelia Polinna Strategien für das wachsende Hamburg
35
Die Flusslandschaft als grenzüberschreitende Verbindung Jens Denissen Die Studie Rheinliebe der IBA Basel 2020 als Vision für den Rhein
21 Die IBA Thüringen setzt darauf, die Orte und Landschaften des Bundeslandes zu stärken und damit ihre Identität zu schärfen (im Bild: Bahnhof Rottenbach).
30 Hamburg wächst, daher sucht die Stadt nach Entwicklungsmöglichkeiten, zum Beispiel durch das Konzept „Stromaufwärts an Bille und Elbe“.
Nachrichten Projekt Campus Produkte Wettbewerbe DGGL Nachrichten Vorschau, Autoren, Impressum
40 44 46 50 52 58 64
Termine garten-landschaft.de
35 Die IBA Basel hat sich zum Ziel gesetzt, grenzüberschreitend zu agieren. Bereits 2007 wurde in diesem Sinne die Dreiländerbrücke eröffnet.
Cover: Studie Rheinliebe; Studio Urbane Landschaften (StationC23_Sabine Rabe Landschaften); Bilder Inhalt: Elke Ukas Landschaftsarchitekten, Hanns Joosten, lichtschwärmer, Thomas Müller, BSU/Spengler Wiescholek/WES/ Urban Catalyst studio/Visualisierung moka-studio/Luftbild Matthias Friedel, IBA Basel 2020
Garten + Landschaft
8/2015
3
Journal
Das neue Vorzimmer von Planten un Blomen Wettbewerb in Hamburg zur Parkerweiterung und Umgestaltung des Dag-Hammarskjöld-Platzes
Egal ob als Tourist, in der Mittagspause, oder sonntags mit der ganzen Familie – in „Planten un Blomen“ war fast jeder schon, der sich in Hamburg aufhält. Kein Wunder, der Park im dichtbesiedelten Bezirk Hamburg- Mitte ist der größte Park im Zentrum und zählt zu den zehn bedeutendsten Grünanlagen Deutschlands. Der Umbau des angrenzenden Congress Centrum Hamburg (CCH) ermöglicht nun den Verkehrsraum samt dem Dag-Hammarskjöld-Platz neu zuordnen, die Marseiller Straße rückzubauen, und dem Park mehr Raum zu geben. „Planten un Blomen wird nicht angefasst“, erklärt Jörg Michel, Geschäftsführer von POLA Landschaftsarchitekten, die den offenen freiraumplanerischen Wettbewerb für sich entschieden. Stattdessen ergänzen die Planer die Lücke zwischen den beiden denkmalgeschützten Parkteilen Planten und Blomen und Alter
Botanischer Garten mit einer grünen Esplanade und schaffen großzügige Entrees und Plätze, die Park, CCH und Dag-Hammarskjöld-Platz am Bahnhof Dammtor funktional und gestalterisch verbinden. Ein offenes Foyer „Es ist das große Ziel des Entwurfes, den dunklen Verkehrstrog der Marseiller Straße zu einer offenen Parkanlage und den ungastlichen Dag-Hammarskjöld-Platz zu einem lichten Parkund Platzfoyer umzugestalten“, fasst Michel seinen Entwurfsgedanken zusammen. Dafür verfüllt POLA den tiefen Straßentrog und schafft eine ebene Erweiterung, die „Marseiller Esplanade“, die beide Parkteile verbindet. „Der Rückbau, die Entsiegelung und Nutzbarmachung der Marseiller Straße ist ein großes Plus“, bescheinigt Eva Henze dem Entwurf von POLA. Die Parkmana-
gerin beim Bezirk Hamburg- Mitte war in der Wettbewerbs jury. Die breite Asphaltstrecke in eine grüne Rasenfläche zu verwandeln, war keine Wettbewerbsvorgabe, fügt sie hinzu. Als weitere Besonderheit hebt sie die Öffnung des Parks zum Bahnhof Dammtor und den nach Süden gerückten CCH-Vorplatz hervor, der als Angelpunkt einen neuen Platz bildet. Hier greift POLA den aktuellen Weg auf und stärkt die Verbindung zwischen Messegang im Norden und dem Eingang Alter Botanischer Garten. Die zum Kongresszentrum aufsteigende Treppen- und Rampen anlage grenzt den Platz räumlich ab und schafft zugleich großzügige Entrees zu den beiden Park teilen. „Ein Achtungspunkt entsteht, im Sinne von Shared Space, in der Fußgänger und Radfahrer gleichberechtigt unterwegs sind“, führt Henze aus. POLA gelingt es, mit wenigen schlichten Gesten die Parkteile
Mit einer Esplanade und begrünten Terrassen schaffen POLA Landschaftsarchitekten ein räumlich stimmiges Ensemble, das Planten un Blomen erweitert und außen um ein Park- und Platzfoyer ergänzt.
14
Garten + Landschaft
8/2015
POLA Landschaftsarchitekten (5)
Der Vorplatz wird geschickt durch Blickbeziehungen und Wegeführung mit den Parkflächen verknüpft.
mit den Vorplätzen gekonnt zu verbinden, und eine räumlich stimmige Abfolge zu schaffen, die sich zu einem großzügigen zusammenhängenden Ensemble entwickelt, so die Jury. Grüne Terrassen ziehen sich als ver bindendes Gestaltelement von der Marseiller Straße über den Bahnhofsvorplatz bis zum U-Bahnhof Stephansplatz. Die dazwischen liegenden Wege greifen wichtige Verbindungen auf und schaffen Sichtbezüge vom Dag-Hammarskjöld-Platz zum CCH-Vorplatz und zum Stephansplatz, führt Henze aus. Die neue Wegeführung sei daher eigenständig und nicht
an die Einblicke in den Park geknüpft. POLA gestaltet den Dag-Hammarskjöld-Platz zum neuen „Vorzimmer“ des Alten Botanischen Gartens. Für einen direkten Sichtbezug brechen die Planer die sechs Meter hohe Stützwand ab, böschen das Gelände ab und entwickeln mit einem blickdurchlässigen Zaun aus vertikalen Stahlelementen ein „Schaufenster“ in den Park. Die gesamte Entwurfsidee ordne sich einer „eleganten Bescheidenheit“ unter, so POLA, um den denkmalgeschützten Gartenkunstwerken Planten un B lomen und Alter Botanischer Garten gerecht zu werden. Heike Vossen
Der neue Dag-Hammerskjöld-Platz öffnet den Park im Entwurf zum Bahnhof und dem Vorplatz des Congress Centrums Hamburg.
Offener Realisierungswettbewerb Auslober: Freie und Hansestadt Hamburg Entscheidung: 4. Mai 1. Preis: POLA Landschaftsarchitekten, Berlin, in Kooperation mit bube Fachberatung, Rotterdam 2. Preis: Lohaus+Carl GmbH Landschaftsarchitekten, Hannover, Dresden, in Kooperation mit SHP Ingenieure GbR, Hannover 3. Preis: WES GmbH Landschaftsarchitektur, Hamburg, mit Fachberatung Pflanzenverwendung Mark Krieger 4. Preis: Hager Partner AG, Berlin, in Kooperation mit Ingenieurbüro Dipl.-Ing. H. Vössing GmbH, Berlin 5. Preis KRAFT.RAUM. Landschaftsarchitektur und Stadtentwicklung, Krefeld, in Kooperation mit RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten, Hamburg
Garten + Landschaft
8/2015
15
Der schnellste Weg durchs Revier Die Metropole Ruhr geht mit der Machbarkeitsstudie zum geplanten Radschnellweg Ruhr einen großen Schritt in Richtung Mobilität ohne Auto.
Davids Terfrüchte Partner
Planerisch ist die Zusammenarbeit mit unzähligen Akteuren ein Kraftakt.
Juliane von Hagen Dass die Städte zwischen Ruhr und Emscher noch immer daran arbeiten, ihre Geschichte als Montanregion hinter sich zu lassen und eine lebenswerte Region zu werden, ist wohl kaum einem entgangen. Programme und Projekte wie der Masterplan zum Emscher Landschaftspark oder zuletzt der Ideenwettbewerb für die Zukunft der Metropole Ruhr sorgen immer wieder für Schlagzeilen. L eider wurde es dann auch immer wieder r uhig. Und so ist es auch nach der Präsentation des Ideenwettbewerbs für die Metropole Ruhr vor zwei Jahren (siehe Garten + Landschaft 12/2013, Seite 4) wieder still geworden. Aber an einer Stelle tut sich etwas. Auch das ist typisch Ruhrgebiet und lässt hoffen. Schon bevor die Teams des Ideenwettbewerbs 2013 die Verbesserung der Mobilität als zentrale Aufgabe der Region identifiziert hatten, gab es die Idee eines regionalen Radschnellwegs für das Ruhrgebiet. Mit einer Machbarkeitsstudie zu dem etwa 100 Kilometer langen RS1 ist nun der Weg für ein innovatives, regionales Projekt bereitet. Radschnellwege, Velo-Expressrouten oder Cycle Highways gehören in unseren fahrradfreundlichen Nachbarländern schon lange
26
Garten + Landschaft
8/2015
zum Alltag. Schon in den 80er-Jahren erprobten die Niederländer schnelle Fahr radrouten, die für Stau anfällige Straßen entlasten sollten. Aber auch in Städten wie Kopenhagen, Basel und London entstehen derzeit leistungsstarke Radwege. Seitdem das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel an Bedeutung gewinnt, müssen auch größere Mengen an Radfahrern bewältigt werden. Um dies zu gewährleisten gilt es, für Radschnellwege hohe Qualitätsstandards hinsichtlich Linienführung, Vernetzung und begleitender Ausstattung zu erfüllen. Nach offiziellen Empfehlungen sollten sie eine Geschwindigkeit von mindestens 30 Kilo metern pro Stunde erlauben und so breit sein, dass zwei Fahrräder nebeneinander fahren und dabei von einem dritten überholt werden können. Rad-Autobahn auf alten Bahnstrecken Dass so etwas möglich ist, zeigt eine 100 Kilometer lange Route im Ruhrgebiet mit einem Einzugsgebiet von 2,5 Millionen Menschen. Auf einer Trasse, die von Duisburg, über die Innenstadt von Mühlheim an der Ruhr, durch das Essener Stadtzentrum, entlang der süd
Von Duisburg bis Hamm soll der Radschnellweg verlaufen. Auf seinen 100 Kilometern führt er zum Beispiel in Essen durch den KruppPark und vorbei an stillgelegten Zechen.
Dennis Mescher / DTP (3)
lichen Stadtgrenze Gelsenkirchens, über die Bochumer City, die Dortmunder Universität nach Unna und von dort über Kamen und Bergkamen nach Hamm verläuft, können demnächst Berufspendler und Radtouristen zügig von einer Stadt zur anderen radeln. Die Trasse verläuft zentral und nutzt zu über 90 Prozent vorhandene Straßen, Wege und Verkehrstrassen wie Bahnstrecken oder Uferwege. Das hilft nicht nur Flächen, sondern auch Kosten sparen und eröffnet gleichzeitig die Chance, die Stadtlandschaft entlang der Trasse aufzuwerten. Die ist inmitten der postindustriellen Metropolregion sehr heterogen: Während zum Beispiel in Mühlheim an der Ruhr der Radweg über die denkmalgeschützte Ruhrbrücke und das historische Viadukt verläuft, quert er Essen dort, wo erst kürzlich die Industrie dem neuen grünen Kruppgürtel und dem zentrumsnahen Univiertel Platz gemacht hat. An anderen Stellen führt der RS1 entlang von Halden, Wiesen oder Kleingärten, dann wieder vorbei an Baudenkmälern der Industriekultur oder Gewerbehallen. Für die Streckenabschnitte gibt es eine Studie mit einem Gestaltungshandbuch und detaillierten Steckbriefen.
Ein Planerkonsortium, unter anderem mit den Landschaftsarchitekten DTP – Davids Terfrüchte Partner aus Essen, erstellte eine Machbarkeitsstudie für den Radschnellweg. Diese enthält auch ein Gestaltungshandbuch.
Garten + Landschaft
8/2015
27