STUDI VERSUM NUMMER 42 | 2011.12
realitätsverlust 10 autorin Eveline Hasler im gespräch 12 Tibet Special 28 |30 auf warmem fuss 34
Das Buch
World of Weiterspielen
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EDITORIAL | INHALT
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Liebe Leserinnen und Leser,
«Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt», schrieb einst Nietzsche. Mit Blut meint der Meister der Metaphorik den Geist. In dieser Ausgabe tauchen wir ein in den Geist des Buches. Evelin Meierhofer war bei einer Bestsellerforscherin, Melanie Keim sprach mit einem Hörspiel-Regisseur, Myriam Schuler interviewte Eveline Hasler und Marina Lienhard hat sich der «Trivialliteratur» ausgesetzt. Entgegen aller Schwarzmalerei: Das Buch wird nicht aussterben. Doch wie sieht seine Zukunft in der digitalisierten Medienwelt aus? E-Books sind nun schon seit 2008 auf dem Massenmarkt vertreten. Wird das gedruckte Buch eine Seltenheit – ja gar ein Elitemedium? Madlaina Bundi, Programmleiterin in der Abteilung Sachbuch des Orell Füssli Verlags, weiss: «Es hängt sehr von der Produktart ab, ob das Buch in Printform erhalten bleibt.» Es gäbe allerdings schon Verlage, die nur auf E-Books setzen. Die Zukunft verspreche mehr Partizipation des Kunden, weiss Bundi. «Es gibt Verlage, die dem Kunden anbieten, den Content seines Buches selbst zusammenzustellen – zum Beispiel einen individuellen Reiseführer.» Der habtische Wert des Buches ist zu gross, um der Digitalisierung zu unterliegen. Ein Buch hat sentimentalen Wert und Erinnerungswert. Das Buch ist ein Kunstwerk für die Sinne. In der Interaktion lässt sich ein gemeinsamer Nenner mit dem Internet finden: Die visuellen Möglichkeiten der digitalen Welt sind enorm. Google hat ein digitales Bücherregal erstellt, das auf chromeexperiments.com/bookcase einsehbar ist. Es ist endlos. Diese Ausgabe ist die Dernière von Martina Zimmermann und André Bähler, die beide auch als Buchautoren tätig sind. Ein «Versüecherli» vom Werk, wo Martina beteiligt war, gibt es unter semestra.ch/ leseprobe und Andrés sämtliche bisher im StudiVersum erschienen Kurzgeschichten könnt ihr als Buch unter studiversum. ch/3er-WG bestellen. Sie hinterlassen beide einen grossen Fussabdruck im StudiVersum. Merci für euren Einsatz und alles Gute für die Zukunft! Und an alle Studierende: Viel Erfolg bei euren Examen! Für die entspannende Zeit danach: Die Buchtipps der Redaktion findet ihr auf Seite 19. Mit Blute geschrieben,
Eure Raffaela Angstmann 3 STUDIVERSUM | 2011.12
04 LIEBLINGSDING Warum ich meinen hut liebe 05 UMFRAGE Was ist für dich Luxus? 07 AUS DEM LEBEN Wie werde ich meinen Kater los? 08 ATELIER Strichcode auf Strichcode 09 DAS UNIKAT Gewinne das fliegende buch 10 WISSENSCHAFT Der reale Traum
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Die stillen Rebellen 16
Bestseller 2.0 20
Für eine Handvoll Groschen 24
Geschichten aus dem Radio 28 UNIPOLITIK Tibet in Zürich 30 reportage Reise zum Ich 32 UNTERHALTUNG impressum, denkspiel 33 Die flotte 3er-WG Das Ende der 3er-WG 34 WIE ANNO DAZUMAL Eisfüsse
LIEBLINGSDING
Warum ich meinen hut liebe
Rhea Blem, 17, angehende Studentin der Englischen Literaturwissenschaften und Theaterwissenschaft «Der Hut ist aus einem Theaterfundus und deshalb einzigartig! In dieser beinahe krankhaft rationalen Welt brauchen wir ganz einfach etwas Verspieltes, Verrücktes, Nonsense… Deshalb liebe ich ihn. Nicht zuletzt der köstlich verstörten, oft schockierten und manchmal erfreuten Blicke wegen, welche uns zugeworfen werden.»
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UMFRAGE
Was ist für dich Luxus? Mit dem Porsche an die Uni? Klubbesitzer sein und sich in einer Langzeit-Suite im Dolder einnisten? Oder darf es ruhig weniger spektakulär sein? Wir haben an der Zürcher Hochschule der Künste bei den Studierenden nachgefragt, was für sie über grundlegende Bedürfnisse hinausgeht. r Text und Bild Dominic Illi Sebastian Fehr, 24, Visuelle Kommunikation «Das Leben gestalten, wie ich es mir wünsche! Dazu gehört die Lebensform und die Umgebung – auch im Kleinen. Zum Beispiel will ich meine Wohnung mit genau dem Möbelstück einrichten, das meinen Vorstellungen entspricht.» Pascal Sidler, 22, Bildende Kunst «An einem Sonntag den ganzen Tag im Bett bleiben. Mit einem Bier und einer Zigi in der Hand.» Gian Gadient, 28, Interaction Design «Luxus ist für mich ein allgemeines Wohlbefinden. Um das zu erreichen, muss man Ballast abwerfen und sich den Problemen stellen, statt sie mit sich herumtragen.» Martin Feigel, 34, Interaction Design «Luxus bedeutet Entscheidungsfreiheit: Selber bestimmen, was man machen will. Genau deshalb habe ich mich für ein Studium entschieden.» Raffael Greminger, 23, Cast / Audiovisuelle Medien «Freizeit! Selbst wenn ich dann nichts anderes mache als auch im Studium: filmen und kreativ sein – aber ohne wirtschaftlichen Druck und einengende Vorgaben. Nur so kann ich mich richtig austoben.» Fabienne Wyss, 25, Visuelle Kommunikation «Es ist Luxus, eine Berufung zu finden – sprich: einer Tätigkeit nachgehen zu können, die mit Leidenschaft verbunden ist. Und Menschen zu haben, die für einen da sind. Beides ist nicht selbstverständlich.» Manu Beffa, 34, Visuelle Kommunikation «Ich will genug Zeit haben. Nicht nur für die schönen Dinge, auch für diejenigen, die ich erledigen muss. Nicht jedes Zeitfenster soll ein fix definiertes Label haben. Und dann sind da noch die materiellen Dinge: ein neuer Computer oder eine Stereoanlage.» Lukas Baumgartner, 24, Industrial Design «Ich hätte gerne mehr Zeit für Musik mit meiner Band ‹Sluthorn›. Die reinste Form von Luxus ist aber die unberührte Natur. Keine Stadt, keine Menschen, keine Zivilisation. Eigentlich habe ich den falschen Studiengang gewählt, merke ich gerade!»
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AUS DEM LEBEN
Unverhoffte Publizität Nicht nur Promis müssen damit leben, dass sie sich unverhofft in der Öffentlichkeit wiederfinden. Eine (freiwillig) publizierte Schilderung. Text Dominic Illi
Wenn dein Telefon den ganzen Tag Sturm klingelt und der SMS-Speicher zu überquellen droht, kann das eigentlich nur eines bedeuten: Happy Birthday! Schon wieder hast du ein Jährchen mehr auf dem Buckel. Dem muss nicht zwingend so sein. Es könnte auch daran liegen, dass du gerade fälschlicherweise als frischgebackener Vater oder als Petting liebender Jüngling gefeiert wirst. Aber der Reihe nach. Im vorletzten Sommer wurde ich von einem Ex-Klassenkameraden angefragt, ob ich mit ihm bei einem kleinen Shooting vor die Kamera stehen würde. Es gehe um PET-Recycling, Fotograf sei der bekannte Walter Pfeiffer. Ich habe eingewilligt, weil ich gerade mit jenem Kumpel auf Mallorca war und jeder Bieridee zugestimmt hätte. Erst am Shooting erfahre ich die Details: Ich soll halbnackt in ein Becken voller PET-Flaschen liegen und meinen Arm um den Kollegen legen. Was macht man nicht alles für eine Öko-Kampagne, die nur aus einer limitierten Anzahl Kalendern besteht! Das Shooting schon verdrängt, das Honorar längst investiert, stellt sich mehrere Monate später heraus: Die Kalender werden in verschiedenen Magazinen verlost, und offenbar gefällt unser Bild den Redaktoren speziell gut. «Friday» findet mit «Wir lieben Petting» eine besonders passende Überschrift. Ich werde bombardiert von Anfragen: «He, bist du das? Und bist du schwul?» Ja, bin ich. Nein, bin ich nicht. Was mich damals unnötig Energie gekostet hat, amüsiert mich heute: all die Sprüche abzuwimmeln und dafür zu sorgen, dass meine heutige Freundin das Bild nicht ohne vorgängige Erklärung sieht. Etwas weniger Resonanz hat das zweite Ereignis hervorgerufen. Ein Dozent hat die Zeichen der Zeit erkannt und auf eine etwas eigenwillige Form der Interaktivität zurückgegriffen: ein Handy, auf das Studierende Fragen zum Stoff schicken können, die dann direkt in der Vorlesung beantwortet werden. Klar, dass damit auch Unsinn getrieben wurde. Neben etlichen Fragen zu seiner Tochter hat der Dozent im grössten Vorlesungssaal der Uni Zürich auch folgenden Glückwunsch berücksichtigt: «Es haben nicht nur Leute Geburtstag, Dominic Illi ist sogar Vater geworden. Ich hoffe, er
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weiss es selber.» Weiss ich bis heute nicht. Zum Glück habe ich mich an jenem Morgen entschieden, zugunsten einer anderen Veranstaltung auf diese Vorlesung zu verzichten. Die Glückwünsche haben mich via Kommilitonen trotzdem in Sekundenschnelle erreicht.
Der Euro und die Strumpfkrise Wie ich dank einem Loch im Strumpf herausfand, was graue Strümpfe mit der SVP zu tun haben und wie es sich anfühlt, Angela Merkel zu sein. Text Melanie Keim
In regelmässigen Abständen stehe ich mit dem gleichen alten Problem vor meinem Kleiderschrank: Ich finde keine Strumpfhose ohne Loch. In etwas grösseren aber leider doch auch regelmässigen Abständen taucht ein anderes Problem auf – nämlich, dass ich das Problem erst erkenne, wenn ich schon aus dem Haus bin – mit Strumpfhose und Loch. Kürzlich war es wieder so weit: An der Bushaltestelle grinste einer meiner rot lackierten Zehen frech aus dem Strumpfloch hervor. Ich fand es weniger lustig, da ich am Abend an einen schicken Anlass musste und rannte schnurstracks in die nächste Coop-Filiale, obwohl ich schon längstens an der Uni hätte sein sollen. In der Strumpfabteilung musste so schnell wie möglich eine schwarze Strumpfhose her. Auf der Toilette der Uni Zürich angelangt, konnte ich meinen nackten Zeh endlich wieder einpacken, doch – oh Schreck! – die Strümpfe waren nicht schwarz, sondern grau. Nicht so schlimm, dachte ich zuerst, passt schon zum grünen Kleid. Doch das Grau war wirklich grässlich – so etwas hatte ich bisher noch nirgendwo gesehen. «Euro» stand auf der Packung, wo sonst «Noir» oder Ähnliches stehen sollte, und ich ärgerte mich. Mein Spiegelbild erinnerte an Angela Merkel, denn meine Beine hatten in diesem Grau nicht mehr viel
mit Beinen zu tun, sondern eher mit der Stillosigkeit der deutschen Bundeskanzlerin. Doch plötzlich überkamen mich Gewissensbissen. War es vielleicht unpassend, sich in Zeiten der Eurokrise nett zu kleiden? Sollten wir Schweizer, denen es trotz der Finanzkrise immer noch so gut geht, vielleicht etwas bescheidener sein und uns nicht noch glamourös kleiden wollen? Und darf man sich denn wegen kleiner Strumpflöcher aufregen, wenn anderswo viel schwerwiegendere Löcher gestopft werden müssen? Auf jeden Fall fühlte ich mich unwohl in meinen Eurostrümpfen und verdrückte mich in die hinterste Ecke der Bibliothek. Auf dem Weg zum Bahnhof hetzte ich nochmals in eine Coop-Filiale, verzichtete auf das Farbexperiment «Champagne», obwohl ich ein «Cüpli» vertragen hätte, streifte mir in der Zugtoilette endlich normale schwarze Strümpfe über und versank erschöpft im Zugsessel. Nach diesem Abenteuer hatte ich zwar eine wage Ahnung davon, wie anstrengend es war, Angela Merkel zu sein, dafür weder eine Ahnung, warum solch fürchterliche Strümpfe verkauft werden, noch den leisesten Schimmer, warum sie diesen Namen tragen. Oder steckte hinter allem eine besonders raffinierte Strategie der SVP, um die EU mit schlechten Gefühlen zu verbinden?
AUS DEM LEBEN
Umarmung in Weiss Eine Geschichte, die in der Vorratskammer eines kleinen Lebensmittelgeschäfts, auf dem Regal links neben der Tür, spielte. Text Julia Krättli
Auf diesem Regal standen zwei grosse Keramiktöpfe. Um sie drehte sich das Geschehen in dem kleinen Laden, der in seinen Auslagen Zuckerwatte, Salzheringe und Salzkartoffeln zum Take-away, Zuckerrüben, Salzgurken, herrlich süsse Torten und Salzbrezeln in allen Grössen anbot. Die Töpfe waren beide dunkelblau, mit weissen Verzierungen am Rand und auf den Henkeln. Beide standen an ihrem Platz, der eine neben dem anderen, seit es den Laden gab. Beide waren genau gleich. Aber ihr Inhalt war nicht derselbe, obwohl er sich zum Verwechseln ähnlich sah. Wer sich von jedem nur eine Messerspitze voll auf die Zunge legte, bat beim einen um mehr und beim anderen um ein Glas Wasser. Der Geschmack des einen verging viel zu schnell, während der andere noch lange seine Spuren im Mund hinterliess, ohne zu ahnen, wie unangenehm er dies tat. Aber woher sollte er das auch wissen? Er kannte ja überhaupt nichts anderes. Er kannte den anderen, wohlig schmeckenden nicht, denn zwei undurchdringbare Wände trennten sie. Und wie war es mit dem weich schmeckenden? Wenn er gewusst hätte, dass es auch noch einen anderen Geschmack gab, hätte ihn sein ewig süsslicher nicht genervt? Eines Tages, als das liebliche Bimmeln des Glöckleins über der Ladentür gerade wieder Kundschaft ankündigte, passierte es. Der eine Keramiktopf fiel klirrend zu Boden. Vielleicht war es ein Windstoss, der durch die offene Tür bis in den Vorratsraum gestürmt war und den Topf hinterrücks überwältigt hatte. Doch Zeit, sich die Frage nach der Ursache durch den Kopf gehen zu lassen, blieb keine, denn ein leises, kratzendes Geräusch kündigte ein erneutes Unheil an. Der andere Topf bewegte sich ebenfalls unaufhaltsam auf den Abgrund zu. Es schien, als würden ihn die vielen weissen Kristalle, die schon über den ganzen Boden zerstreut lagen, zu sich ziehen; als streckten sie sehnsüchtig ihre Arme aus. Die Zeit hielt ihren Atem an, denn das Herz des kleinen Ladens lag auf dem Boden zerstreut. Vereint. Weiss in Weiss. Der Zucker vermischte sich mit dem Salz und das Salz sich mit dem Zucker. Sie rochen einander, schmeckten einander und um-
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armten sich. Was war es denn nun, das auf dem Boden lag? War es Salz oder war es Zucker? Man vermochte es nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen, aber das war auch nicht mehr wichtig. Wichtig war nur, dass die beiden eins geworden waren und dass niemand sie jemals wieder trennen konnte.
Wie werde ich meinen Kater los? Für alle kleinen und grossen Probleme gibt es Telefon-Hotlines. Nur wir Studierenden werden davon grösstenteils ausgeschlossen – als ob wir keine (alkoholinduzierten) Probleme hätten. Text Jonas Frehner
«ICH HALTE DAS BABY NÜME US!», schreit mich ein leuchtend gelbes Plakat im Tram an. Nur schon die grelle Farbe verstärkt meine Kopfschmerzen. Meine vom Rausch der letzten Nacht immer noch ziemlich benebelten Hirnzellen machen gerade Urlaub und versuchen verzweifelt das Wort «Studium» in den Satz zu schmuggeln: «ICH HALTE DAS STUDIUM NÜME US, TAMISIECH!» Das wäre mal eine Werbung. Parallel zu einem Notruf für verzweifelte Eltern bräuchte die Welt nämlich einen Notruf für verkaterte Studierende. Beratung zum Zeitmanagement oder Infos über die nächsten Abgabetermine kann man sich an Uni und ETH bereits telefonisch abholen. Doch bei ebenso wichtigen Themen und spezielleren Leiden wird uns nicht geholfen: Wie finde ich aus diesem Bett, in dem ich neben einer unbekannten (aber wunderschönen), schnarchenden 25-Jährigen aufgewacht bin a) zu meinen Kleidern und b) zur nächsten Tramhaltestelle? Was ist das beste Rezept gegen den Todeskater nach einem durchzechten Wochenende, wenn am Montagmorgen die 8-Uhr-Vorlesung überstanden werden muss? Anscheinend sehen die «immersozialen» Hilfsorganisationen keinen
Bedarf, uns Studierenden hierbei zu helfen. «Die sind ja so superschlau, die wissen sich bestimmt selbst zu helfen – saufen können sie ja auch», lachen die sich wohl ins Fäustchen. NEIN, SIND WIR NICHT! Zumindest nicht immer. Auch wir sind manchmal total verstört, der Kopf platzt uns und wir wissen nicht mehr Ein und Aus. Haben eine Riesenkrise, weil die altbewährte Aussage «Ich habe ein Motivationsproblem, bis ich ein Zeitproblem habe» mit hämmerndem Kopf noch viel realer wird und einem der Himmel in Form von Arbeit und Büchern auf den Kopf fällt. Alles wird zu viel und ein guter Zuspruch würde einem schon wieder ein Bisschen Mut und Zuversicht einflössen. Apropos einflössen: Der letzte Schnaps gestern Abend war nötig. WÜKKI. Auch wenn ihr jetzt alle denkt: Soll der doch weniger trinken und sich aufs Studium konzentrieren! Abschliessend muss ich aber festhalten: Solange ich die nächsten Jahre nicht über ein Baby in Panik gerate, gebe ich mich gerne weiter mit den Problemen eines anständigen Katers ab. EIGENTLICH GNÜSS ICH JA S’STUDENTELEBE. MIT UND OHNI KATER A DE LEINE!
ATELIER
Strichcode auf Strichcode Projekt von Andreas Lori
Auch wenn der Fünfziger zwischen Trennstab und Band statt auf seiner Hand landet, lächelt Andreas Lori – und fängt die Szene später auf Papier ein. Wenn Andreas Lori mit dem Bleistift ein Stück Kassenzettel bekritzelt, meinen die Shoppenden möglicherweise, die Kasse 2 werde gleich geschlossen. Stattdessen notiert er sich Geistesblitze. Inzwischen haben sich über 100 solcher Quittungen angesammelt. Die festgehaltenen Einfälle lässt Andreas an seinen freien Tagen in Comicstrips einfliessen, welche sich mit der absurden Konsumwelt auseinandersetzen und den Shoppingwahn thematisieren. «East Mile» heisst die von ihm entwickelte und realisierte Publikation, die im Rahmen des «Fumettos» im März/April 2012 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Bei «East Mile» handelt es sich um ein fiktives Einkaufszentrum, in welchem ein Kassier seinen tageslichtlosen Alltag verbringt. Er bildet sich in Kassenseminaren weiter, lernt in einer Lachmeditation, wie er während achteinhalb Stunden sein freundliches und gleichzeitig authentisches Lächeln konservieren kann, und stellt sich Tag für Tag der Herausforderung, sein berufliches Dasein durchzustehen – oder vielmehr: durchzusitzen. Eigentlich bewarb sich Andreas um einen Teilzeitjob bei der Migros, um sich nach seinem Studium in Fiction sein Leben nicht mit Auftragsillustration verdienen zu müssen, sondern sich vermehrt dem Zeichnen von Comics widmen zu können. Das unkritische Konsumverhalten, wie beispielsweise das beinahe zwanghafte Akkumulieren von «hochprozentigen» Ermässigungen, beschäftigt ihn aber seit Februar 2010 über seine Arbeitszeit an der Kasse hinaus. Himbeeren aus Neuseeland wägend, darf man gut gelaunt dem Swiss Pop Radio lauschen und ungeduldig warten, bis die Drehtüre die Sicht auf das «East Mile»-Heft freigibt. Wer lächelt, kriegt zwei Prozent Rabatt. r Text Martina Zimmermann, Bild Andreas Lori
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Das 21. «Fumetto» findet vom 24. März bis 1. April 2012 in Luzern statt. www.fumetto.ch Mehr zu und von Andreas Lori unter www.thujaland.ch Thujaland ist eine humoristische Comicserie aus der Agglomeration der Schweizer Mittellandwüste. Herr und Frau Bachtel mieten eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, wo auch eine Hipster-WG haust. Das Über- und Nebeneinanderleben ist konfliktträchtig.
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WISSENSCHAFT
Der reale Traum Auf die Frage was Schizophrenie sei, meinen die meisten eine Antwort zu kennen: Betroffene hören Stimmen, haben mehrere Persönlichkeiten und leiden unter Verfolgungswahn. Ist das so einfach zu erklären? Ein Gespräch mit Psychologen versucht Klarheit zu schaffen. Laura hat Musik studiert und wächst in einem religiösen Zuhause auf. Sie heiratet ihren ersten Freund, der sie bald langweilt. Als sie während dem Studium Juan kennenlernt, ist sie sofort begeistert und erzählt ihrer Mutter, dass sie mit ihm nach Brasilien auswandern möchte, 20 Kinder bekommen will und ihr die Jungfrau Maria
erschienen ist. Sie bittet die ganze Familie Rosenkranz zu beten. Ihre Mutter schickt sie zu einem Priester. Laura reagiert hysterisch, bespuckt den Geistlichen und wird in eine psychiatrische Klinik eingeliefert.
Innere und äussere Gedanken
An Schizophrenie erkrankte Personen haben Mühe äussere und innere Einflüsse zu unterscheiden. Sie können nicht erkennen, welche Gedanken in ihrem Kopf entstehen und welche Wahrnehmungen von aussen auf sie einwirken – so wie bei Laura. Psychologe M. Sc. Nadeem Kalak vergleicht dies mit unseren Träumen: Im Traum sind alle Erlebnisse real. Während wir träumen, wissen wir nicht, dass wir träumen und nehmen den Traum als Wirklichkeit wahr.
Diagnose
Per Definition erkennt man Schizophrenie an folgenden Merkmalen: auffällige Verhaltensweisen, Desorganisation der Persönlichkeit, verzerrte Wahrnehmung der Realität und Probleme mit der Lebensführung. Zusätzlich werden körperliche Untersuchungen durchgeführt, um Halluzinationen aufgrund von Drogeneinfluss auszuschliessen. Liegt die Vermutung auf eine Erkrankung vor, muss ein Psychiater anhand der sogenannten ICD-10-Kriterien eine Diagnose machen. Das ICD-10 ist ein Diagnosemanual, in dem psychische Krank-
heiten erfasst sind und anhand der darin angegebenen Leitlinien diagnostiziert werden. Die Leitsymptome für Schizophrenie sind teilbar in zwei Gruppen. Zu der ersten, den eindeutigen Symptomen, gehören: 1. Gedankenlautwerden, 2. Wahnwahrnehmungen (Kontroll- oder Beeinflussungswahn), 3. Stimmen, 4. Anhaltender unrealistischer Wahn. Dann gibt es vier weitere Symptome, von denen mindestens zwei vorliegen müssen: 5. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität (Visuell, Gehör, Geschmack, etc.), 6. Gedankenabreissung, 7. Katatone Symptome (stundenlanges Starrstehen, Haltungsstereotypen, etc.), 8. Sprachverarmung, Apathie oder andere Affekte. Verhaltensweisen sind sehr individuell, was eine Diagnose sehr schwierig macht. Ein oder zwei Symptome müssen mindestens einen Monat lang anhalten. Eine Diagnose darf nie unter Drogeneinfluss, während eines Entzuges oder einer längeren Gehirnerkrankung erfolgen. An Schizophrenie erkranken nur genetisch prädisponierte Personen. Der präfrontale Kortex, zuständig für Handeln und Fühlen, ist verkleinert. So etwas ist angeboren, bedeutet aber nicht, dass eine schizophrene Erkrankung ausbrechen muss. Zum Ausbruch führen umweltbedingte Belastungen, sogenannte «Life Events». Alkohol und Drogen können diese Belastungen verstärken, da sie auf die betroffenen Hirnzentren einwirken. Regelmässiger Marihuanakonsum beschleunigt den Ausbruch bei einer prädisponierten Person um zirka acht Jahre. In Lauras Fall hat sich der Ausbruch schleichend angebahnt, weil sie unter massivem Druck ihrer Familie stand.
Therapie
Ist Schizophrenie anhand der ICD-10-Kriterien diagnostiziert, folgt eine medikamentöse Behandlung durch Psychopharmaka. Medikamente bringen die Neurotransmitter wieder ins Gleichgewicht. Mit einer kognitiven Verhaltenstherapie versucht man dem Betroffenen die Krankheit zu erklären und damit umzugehen. Diese Phase ist oft schwierig, denn zum Krankheitsbild gehört keine Krankheitseinsicht. Im seltenen Fällen ist es aber durchaus möglich, dass ein Schizophrenie-Erkrankter wieder ein normales, aber nie medikamentenfreies Leben führen kann. r Text Claudia Piwecki, Illustration Melanie Imfeld
In der Schweiz ist zirka ein Prozent der Bevölkerung an Schizophrenie erkrankt. In wenigen Fällen lässt sie sich gänzlich heilen. Medikamentös kann man die Krankheit teilweise unter Kontrolle bringen, die betroffenen Personen müssen aber in der Regel mit sozialen Einschränkungen leben. Informationen für Betroffene und Angehörige gibt es unter: www.vask.ch.
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Die stillen Rebellen Eine blasse Wintersonne strahlt über den Lago Maggiore, als die Autorin Eveline Hasler in einer chicen Leopardenprintjacke zum Interviewtermin erscheint. Belanglosigkeiten liegen ihr nicht, das ist schnell klar. Unser Gespräch führt von der Occupy-Bewegung über Feminismus bis zum Tessin als Künstlerdestination.
Als Studentin an der Universität Fribourg war Eveline Hasler beeindruckt von Geschichtsprofessor Oskar Vasella. Er hatte die Fähigkeit, Geschichte lebendig weiterzugeben. Vom Vater Daniel Vasellas habe sie viel gelernt. Er sei ein sehr begabter Professor gewesen, habe einfach gelebt und sei mit dem Fahrrad zur Uni gekommen. Heute ist die Autorin berühmt dafür, dass sie historische Stoffe packend umsetzt. «Ich bearbeite historische Stoffe, die nicht unter einer Staubschicht ersticken dürfen.» Hasler deckt Geschichten auf, die manche lieber unter den Teppich kehren würden. Etwa jene der Emily Kempin-Spyri. In der Festschrift, die zum 100. Geburtstag der Uni Zürich verfasst wurde, erwähnte man die legendäre Juristin nur am Rande, in zwei, drei Sätzen. Dabei war ihr ein Durchbruch gelungen. Als erste Frau im deutschsprachigen Raum studierte sie Jura, arbeitete als Dozentin an der Uni Zürich und baute in den USA eine Rechtsschule auf. Ihr ist es zu verdanken, dass seit 1898 Frauen als Anwältinnen vor Gericht treten dürfen. Sie selbst konnte aber nicht mehr von dieser Neuregelung profitieren. Autorin Hasler
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befreite Emilies Geschichte vom Staub der Jahrzehnte und brachte sie ans Licht. Neben starken Frauen sind auch eigenwillige Männer Thema ihrer Romane. So etwa Henry Dunant, den man nach seinem sozialen Abstieg aus dem Komitee des Roten Kreuzes ausschloss, das er selbst gegründet hatte.
Verdrängte Geschichten aufdecken
In ihrem ersten historischen Roman «Anna Göldin – Letzte Hexe», der 1982 erschien, rollte sie den Fall Göldin neu auf. Die Autorin, die wie Göldin aus dem Kanton Glarus stammt, hörte bereits als Kind von Göldins Geschichte. Später habe sie erkannt, dass da ein aussergewöhnlicher Hexenprozess stattgefunden hatte; und das während die Aufklärung in vollem Gange war und die Väter des «Siècle des Lumières» bereits im Grab lagen. Bei der Recherche über Göldins Prozess rannte sie keine offenen Türen ein. In Glarus war man nicht begeistert über den Staub, den sie aufwirbeln wollte. Hasler musste erst einige Widerstände überwinden, bevor sie im Landesarchiv von Glarus an die zeitgenössischen Dokumente herankam. Solche Geschichten entsprechen nicht dem Bild einer heilen Welt, es sind verdrängte Stoffe. Oft würde es sich besonders lohnen, den Geschichten nachzugehen, die verdrängt werden, sagt die Autorin. «Nur die Geschichten von Menschen, die gegen den Strom schwammen, die eigene Gedanken hatten und die sich selber waren, sind es Wert, niedergeschrieben zu werden», ist Eveline Hasler überzeugt. Ihre Helden sind «stille Rebellen», weil sie nicht rebellieren wollten, ihre Lebensweise fiel einfach aus dem Rahmen des Durchschnittlichen. Was im Durchschnitt liege, bringe einen nicht weiter, gibt Hasler zu bedenken. Vom Durchschnitt gehen keine neuen Impulse aus.
Leidenschaft für Geschichten
Im Gespräch wird deutlich, dass Eveline Hasler ihre Figuren bewundert. Doch identifizieren würde sie sich nicht mit ihnen. Sie bewahrt immer eine gewisse Distanz, auch wenn die Protagonisten ihrer Romane ihr teilweise sehr nahe kommen. Um ihre Geschichten lebendig zu erzählen, muss sie sich intensiv mit ihren Leben auseinandersetzen. Das Ambiente der Orte, an denen sich die Ereignisse abspielten, ist wichtig. Halser nennt sich selbst eine Ortsfetischistin. Sie ist überzeugt, dass Geschichten stets mit einem Ort verknüpft sind. Die Geschichte der Anna Göldin etwa hätte sich an einem anderen Ort wohl anders zugetragen. Damit ein Roman authentisch und spannend wird, sind zahlreiche Details zu beachten. In ihrer Arbeit stecke viel Leidenschaft. Die Autorin nimmt für jedes Buch einen grossen Aufwand auf sich. Bis ein Roman fertig ist, vergehen jeweils etwa drei Jahre. Gut eineinhalb Jahre verbringt sie mit Recherchen. Sie webt sich einen dichten Faktenteppich, auf dem sie in den mentalen Raum der Protagonisten schweben kann.
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Sie webt sich einen dichten Faktenteppich, auf dem sie in den mentalen Raum der Protagonisten schweben kann.
Hasler nennt sich selbst eine Ortsfetischistin.
Der Klang der Sprache
Zum Schreiben schottet sie sich nicht von der Umwelt ab und folgt keinem strengen Stundenplan. Manchmal habe sie die schönsten Einfälle, wenn sie gerade das Haus verlasse, sagt Eveline Hasler. Während des Schreibprozesses ist ihr die Spracharbeit sehr wichtig. Lange brütet sie jeweils über Formulierungen. Jedes ihrer Bücher habe einen anderen Klang. Um präzise und lebendige Formulierungen zu entwickeln, braucht Eveline Hasler eine gewisse Stille. Sie spürt der Tonalität der Sprache nach. Die Autorin versucht, aus einem Geschehnis das herauszuschälen, was wesentlich ist. Diesen wesentlichen Kern will sie in lebendige Sprache fassen.
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Eine satte Gesellschaft
Geschichten, ähnlich wie die von Anna Göldin, würden sich auch heute noch abspielen, ist sich Hasler sicher. Als Jury-Mitglied beim «Prix Courage» sei sie oft auf Personen getroffen, denen man es verübelt habe, dass sie der Wahrheit nachgegangen seien, die sich nicht einer verschwiegenen Unternehmenskultur gebeugt hätten. Menschen, die nicht dem Mainstream folgen, hätten es auch heute schwer. Die Autorin wird energischer, als sie die OccupyBewegung anspricht. «Wer sonst soll hingehen und sagen: ‹Das geht nicht!›, wenn nicht junge Leute? Das braucht viel Mut in einer sehr satten Gesellschaft, die nichts mehr wagt.» Ein Verhalten, das nicht dem Mittelmass entspräche, werde in der Schweiz grundsätzlich nicht akzeptiert, fährt die Autorin weiter. Besonders Frauen würden das zu spüren bekommen, sie würden härter kritisiert, wenn sie sich exponierten. Als Feministin versteht sich Hasler nicht. Sie sieht nicht ein, wieso ein solches Etikett nötig wäre. Sie sei einfach eine Frau, die sensibel gegenüber Schwierigkeiten an-
«Nur die Geschichten von Menschen, die gegen den Strom schwammen […] und die sich selber waren, sind es Wert, niedergeschrieben zu werden»
Die Schriftstellerin Eveline Hasler
derer Frauen sei. Für einen Mann, der über Schwierigkeiten anderer Personen berichte, bräuchte man auch keine spezielle Bezeichnung. Sie selbst habe aber von Feministinnen profitiert und respektiere deren Errungenschaften. Sie ist überzeugt, dass es auch heute noch Einsatz brauche, um die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern. Männer und Frauen müssten sich in dieser Hinsicht gemeinsam entwickeln. Sie finde es schade, wenn junge Frauen das Gefühl hätten, sie müssten sich nicht mehr um wichtige politische Themen kümmern. Es wäre ein Rückschritt, wenn sich junge Frauen nur noch mit Lifestyle und Shopping beschäftigen würden.
Tessin – ein Künstlerhort
Nach dem Exkurs in aktuelle gesellschaftliche Themen führt unser Gespräch zurück ins Tessin. Hier lebt die Autorin seit vielen Jahren und hat damit eine Gemeinsamkeit mit Hermann Hesse und den «Cabaret Voltaire»-Gründern Emmy und Hugo Ball. Die innige Freundschaft dieser drei Freigeister beschreibt Hasler in ihrem jüngsten Buch «Und werde immer ihr Freund sein», welches 2010 erschienen ist. Das Tessin war früher, bevor es wirklich touristisch wurde, ein Zufluchtsort für Künstler. Im damals günstigen Kanton konnten sie, die oft wenig Geld hatten, Ferien machen und die faszinierende Natur geniessen. Das Tessin hat die Freigeister angezogen. Diese Atmosphäre ist auch im heutigen Tessin noch zu spüren, doch vieles davon ist verlorengegangen. Heute würden viele Menschen im Tessin weilen, die keine Ahnung hätten, wo
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sie seien. Sie könnten ebenso gut in Monaco oder Nizza sein. Sie lernten kein Italienisch und nähmen die Kultur des Ortes nicht wahr, bemerkt Eveline Hasler. Künstler wie Hesse und das Ehepaar Balls verbanden sich intensiver mit dem Tessin. Alle drei Persönlichkeiten hatten spannende Lebensläufe. «Ihre Geschichte lässt Impulse spüren, die wichtig sind für die Gegenwart», erklärt die Autorin. Etwas wie das «Cabaret Voltaire» ist aus Not und Verzweiflung entstanden. Die Balls sind wegen dem ersten Weltkrieg in die Schweiz immigriert. Sie verabscheuten Krieg und Gewalt. In der Schweiz hatten sie weder Arbeit noch Geld. Ihre Not war gross. In dieser schwierigen Situation stellten sie etwas ungemein Kreatives auf die Beine. In ihrem Cabaret ist der Dada-
ismus entstanden. Im Tessin haben sich die Balls vom intensiven und exzessiven Künstlerleben erholt. Dort trafen sie auf Hermann Hesse, der die Pflanzenwelt des Tessins liebte. Auch Hasler hat einen speziellen Bezug zur Natur. «Hier im Tessin wird die Pflanzenwelt immer stärker sein als der Mensch.» Es sei nicht wie in grossen Städten, wo die Natur zurückgedrängt wurde. Hier lebe man mit ihr und müsse sich ihr beugen. Von der Natur könne man sehr viel lernen, man müsse sie respektieren. Die Natur zeige ihr, dass das Feine stärker sei als das Grobschlächtige, sagt Eveline Hasler. In ihrem Garten blühe eine rosarote Winterkamelie, dünn wie Seidenpapier. Sie übersteht jeden Schneesturm.r Text Myriam Schuler, Bilder Yvonne Böhler (Porträt), Johanna Muther (Montagen)
Zur Autorin und ihre Bibliographie zum Stöbern Die im Kanton Glarus aufgewachsene Autorin studierte Psychologie und Geschichte in Freiburg und Paris. Heute lebt und arbeitet sie im Tessin. Ihre Bücher sind bisher in zwölf Sprachen übersetzt worden. Zu Eveline Haslers wichtigsten Werken zählen die Romane: «Und möchte immer Ihr Freund sein. Hermann Hesse, Emmy Hennigs und Hugo Ball», «Engel im zweiten Lehrjahr» (eine Weihnachtsgeschichte!) (Nagel&Kimche) und «Die Wachsflügelfrau», «Anna Göldin – Letzte Hexe», «Der Zeitreisende. Die Visionen des Henri Dunant», «Aline und die Erfindung der Liebe» (dtv).
Bestseller 2.0 Mit dem ständig wachsenden Angebot an Büchern steigen auch die Anforderungen an die Schriftsteller. Wer sich gegen die Konkurrenz durchsetzen will, muss sich etwas einfallen lassen. Wie schafft man es, als Autor im Zeitalter des Internets erfolgreich zu sein?
«Es gibt keine Bestsellerformel», bemerkt Ingrid Tomkowiak, Professorin für Populäre Kulturen an der Universität Zürich und Bestsellerforscherin, als erstes. Der Zeitgeist spiele eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, ob ein Buch zu einem Bestseller avanciert. Ihr fällt auf, dass Autoren heute vermehrt so schreiben, dass ihr Manuskript einem Drehbuch gleicht und es verfilmt werden könnte. Die Wichtigkeit der visuellen Komponente (Schauplätze und Aussehen der Personen) werde zunehmend hervorgehoben. «Schlussendlich sind Bestseller Zufallserfolge, die nicht vorhersehbar sind und auch nicht erzwungen werden können. Der Erfolg ist abhängig von unterschiedlichen Faktoren wie der Bekanntheit des Autors, dem Marketing, den Rezensionen und nicht zuletzt vom Text selbst.»
Verlagssuche
Am Anfang ist also immer noch das Wort – doch wie bringt es ein Autor, sobald es einmal geschrieben ist, zwischen zwei Buchdeckel? Die erste Etappe ist die Verlagssuche, wobei man sich sehr genau über das Angebot des Verlags informieren sollte, wie Sara Schindler, Cheflektorin des Zürcher Verlags Kein&Aber erklärt. «Viele Autoren begehen den Fehler, ihre Texte wahllos Verlagen zuzuschicken, ohne sich vorher über deren Programm zu informieren.» Literaturagenten können die-
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se Recherchearbeiten zwar übernehmen und setzen sich für bessere Margen ihrer Kunden ein, allerdings müssen diese auch wieder bezahlt werden. Besonders für unbekannte Jungautoren ist es folglich fraglich, ob es sich lohnt, einen Profi zu engagieren. Obwohl Kein&Aber unter anderem Grössen wie Woody Allen, Truman Capote und David Nicholls vertritt, sind sie auch immer wieder auf der Suche nach bisher unentdeckten Talenten. «Wir konzentrieren uns nicht nur auf einige wenige bekannte Schriftsteller, sondern kümmern uns gleichermassen um die Vermarktung der Bücher all unserer Klienten.» Insbesondere zeichnet sich der 1997 von Peter Haag gegründete Verlag durch seine Affinität zu humoristischer und illustrierter Literatur aus. Bereits zum Klassiker avancierte der Bestseller von Ursus Wehrli «Kunst aufräumen», dessen neuester Streich «Die Kunst, aufzuräumen» dieses Jahr erschienen ist. Originell ist ebenfalls das Internetradio, welches mit Auszügen aus dem Hörbuchsortiment von Kein&Aber unterhält – und dabei natürlich auch Lust auf mehr macht.
Die ersten Seiten sind entscheidend
Da der Stapel an zu bearbeitenden Manuskripten auf den Schreibtischen der Lektoren täglich um bis zu zehn Exemplare wächst, rät Schindler: «Es muss mich von Anfang an packen!» Die ersten Seiten sind also entscheidend. Sehr beliebt ist es auch, wenn ein Autor sich mit ein bis zwei interessanten Auszügen aus dem Manuskript, einem Exposé und einem persönlichen Begleitschreiben inklusive Lebenslauf bewirbt. «Wir sind an einer längerfristigen Zusammenarbeit interessiert. Darum möchte ich auch wissen, mit was für einem Menschen ich es zu tun habe, ob er zu uns passt und ob wir etwas aus ihm machen können.» Der zunehmenden Digitalisierung von Büchern sieht Schindler gelassen entgegen: «Wir gehen mit der Zeit und engagieren uns auch in diesen Bereichen. So bieten wir beispielsweise iPhone-Apps
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sowie vermehrt E-Books parallel zur gedruckten Version an.»
Buchtipps von der Redaktion Haruki Murakami: Hard-Boiled Wonderland and the End of the World T.C. Boyle: Water Music Antal Szerb: Reise im Mondlicht Annemarie Schwarzenbach: Flucht nach oben Frédéric Beigbeder: Neununddreissigneunzig Jean-Claude Izzo: Die Marseille-Trilogie Jonathan Safran Foer: Extrem laut und unglaublich nah David Sedaris: Me talk pretty one day Elif Batuman: Die Besessenen: Abenteuer mit russischen Büchern und ihren Lesern Bone Black: Memories of a Girlhood Diethmar Dath: Deutschland macht dicht Rhonda Bryne: The Power Derek Blasberg: Classy Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Sir Arthur Conan Doyle: Die Abenteuer des Sherlock Holmes (davor aber «eine Studie in Scharlachrot» von Doyle lesen – Holmes’ erster Fall) Zadie Smith: Von der Schönheit Daniel Glattauer: Gut gegen Nordwind Thomas Morus: Utopia Raymond Chandler: The Big Sleep Doris Dörrie: Was machen wir jetzt? Martin Suter: Business Class Douglas Coupland: Generation X Umberto Eco: Die grosse Zukunft des Buches
Das Projekt Business Breakfast
Bisher noch ohne Verlag, aber auf dem besten Weg dazu, ist Mathias Ruch, dessen Projekt mit dem Arbeitstitel «Business Breakfast» ein Beispiel einer innovativen Auseinandersetzung mit dem Medium Buch darstellt. Im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern, die sich bei ihrer Arbeit nicht in die Karten schauen lassen, stellt Ruch Auszüge seines Manuskripts einer breiten Leserschaft online zur Verfügung. Die sogenannten Business Breakfasts mit seinem Chef Sergio werden für Jonas zur qualvollen Tortur, so sehr widert ihn sein Vorgesetzter an. Der Anblick des in Sergios Rachen verschwindenden Frühstücks bereitet Jonas nicht nur psychische und physische Schmerzen – sondern auch den einen oder anderen Gedanken an das Ableben des verhassten Gegenübers. Dieser halbherzige Wunsch könnte allerdings schneller in Erfüllung gehen als Jonas lieb ist.
Vom Manuskript zum fertigen Buch
Indem Ruch seine Schreibtischschublade öffnet und die Leser am EntstehungsANZEIGE
Unsere Kunden informieren und direkt an ihr Ziel bringen. Das begeistert mich. Gemeinsam täglich eine Meisterleistung.
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prozess seines Romans – vom Manuskript bis zur Veröffentlichung – teilhaben lässt, schafft er ein ganz neues Leseerlebnis. Die Leser können den Weg vom Entwurf bis zum fertigen Buch nicht nur mitverfolgen, sondern werden sogar zur aktiven Mithilfe aufgefordert. Ruch, der unter anderem bekannte Fernsehformate wie «Joya rennt» entwarf, profitiert von der Erfahrung, die er im Umgang mit TV-Serien gesammelt hat. «Vor der Aufnahme ins Programm werden einige Testsendungen gemacht, um zu sehen, wie das Konzept beim Publikum ankommt und welche allfälligen Schwierigkeiten beim Dreh auftreten. So ähnlich funktioniert ‹Business Breakfast› auch», sagt er.
«Hilf mit, einen Roman zu schreiben!»
Bevor das Buch gedruckt wird, soll es auf Herz und Nieren geprüft werden. Ruch ist davon überzeugt, dass mehr Köpfe zusammen mehr schaffen als einer alleine. Die sogenannten Supporter haben Zugang zu verschiedenen Auszügen des Manuskripts und werden im Gegenzug darum gebeten, Stellung zu den Leseproben zu beziehen. Ganz nach dem Motto «Hilf mit, einen Roman zu schreiben!» werden die Leser dazu angehalten, ihre Meinung über die auf der Homepage veröffentlichten Passagen zu äussern. Ein typisches Beispiel für diesen Austausch ist beispielsweise ein Hinweis auf eine zeitliche Ungereimtheit im Zusammenhang mit einer Flasche Mineralwasser: Die Erzählung ist im Jahr 2009 angesiedelt, das Design einer bestimmten Mineralwasserflasche wurde jedoch erst 2010 auf den Markt gebracht. Dieser Fehler konnte durch den hilfreichen Kommentar eines Users aufgedeckt und dadurch in der Endversion behoben werden. «Dieses Expertenwissen habe ich nicht – und es ist toll, wenn andere es mit mir teilen und so das Manuskript verbessert wird!» Sich aktiv am Projekt zu beteiligen, ermöglicht interessante Einblicke in den Entstehungsprozess eines Buches und ist eine Bereicherung für die Beteiligten. Durch den Perspektivenwechsel sieht der Leser den Text – und somit auch die Arbeit, die in einem fertigen Buch steckt – mit ganz anderen Augen.
Einschneidende Erlebnisse
Die Glaubwürdigkeit der Charaktere stellt für Ruch ein besonders wichtiges Anliegen dar. «Ich möchte, dass die Leser die Entwicklung der Protagonisten nachvollziehen können.» Aufgrund der Reaktionen der Leser stellt er etwa fest, dass gewisse Informationen fehlen und im Vorfeld eine Passage hinzugefügt werden muss, um die Handlung einer Figur verständlich zu machen. Auf die Frage, ob «Business Breakfast» denn
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auch ein Bestseller werden könnte, antwortet Ruch nach einigem Zögern: «Was ich sehr spannend finde, sind einschneidende Erlebnisse. Eine wichtige Veränderung, die entscheidenden Einfluss auf das Leben des Charakters hat. Dabei interessiert mich, was dazu geführt hat, dass eine Figur sich in dieser Situation wiederfindet. Damit kann sich der Leser identifizieren – jeder kennt solche Momente. Wenn der Leser sich dann noch seine eigenen Gedanken dazu und zu sich selbst macht, habe ich mein Ziel erreicht. Ich denke ‹Business Breakfast› erfüllt diese Anforderungen und hat daher das Potenzial, ein Bestseller zu werden.»
«Ohne Internet geht ja heute gar nichts mehr!»
Laut der Bestsellerforscherin Tomkowiak entspricht die Inhaltsangabe von «Business Breakfast» durchaus einem klassischen Spannungsbogen: Eine Person befindet sich in einer schwierigen Situation, der sie nicht entkommen kann und versucht, diese zu verändern. Daraus ergibt sich der Handlungsverlauf des Romans. «Ich habe mir das Projekt gerade kurz auf Facebook angesehen», fährt sie fort. «Ohne Internet geht ja heute gar nichts mehr! Ich denke hier werden die Möglichkeiten, die die neuen
Medien bieten, sehr geschickt genutzt. Der Geschmack des möglichen Publikums wird miteinbezogen und der Text dadurch optimiert. Die Abstimmung mit den Erwartungen der Rezipienten könnte dazu beitragen, dass sich der Roman schlussendlich besser verkauft.» Von purer Kommerzialisierung und dem Untergang der Kunst will die Professorin allerdings nichts wissen. «Man kann das natürlich so sehen. Aber wenn man es aus einer anderen Perspektive betrachtet, war das Schreiben eines Romans lange Zeit einem sehr begrenzten Kreis vorbehalten. Dank den neuen Medien hat jeder die Möglichkeit, aktiv an der Kultur teilzunehmen, anstatt sich der Deutungsmacht einer Bildungselite zu unterwerfen. Man kann diese Entwicklung also durchaus auch als Emanzipierungs- und Demokratisierungsprozess sehen.» Die Zauberformel für den sicheren Erfolg gibt es also nicht. Der Erfolg der Akteure in der Branche wird massgebend durch ihre Fähigkeit, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, bestimmt. Junge Schriftsteller, die sich der Macht des Internets bewusst sind, können dieses Wissen zu ihrem Vorteil nutzen und sich dadurch von ihrer Konkurrenz absetzen. r Text Evelin Meierhofer, Bild Maya Wipf
der verlag lebt weiter Es ist ein Verdrängungsprozess der Verlage beobachtbar. Um an die Öffentlichkeit zu gelangen, braucht der Autor eigentlich nur noch das Internet. Die Verlage haben die Medienrevolution des Internets aber nicht ohne Grund überlebt. «Der Verlag steht für eine Qualitätsgarantie. Er hat unter anderem die Funktion eines Filters in Bezug auf problematische Inhalte. Er behält die gesellschaftlichen Entwicklungen im Auge und schafft Orientierung. Es gibt Grenzen, was die Selbstbestimmung der Leute betrifft», sagt Madlaina Bundi, Programmleiterin in der Abteilung Sachbuch des Orell Füssli Verlags. SURFEN Lust zum selber Mitmachen oder Weiterlesen? Mehr über Mathias Ruch und sein Business Breakfast findest du unter www.businessbreakfast.ch WEITERLESEN Wie wird aus einem Roman eigentlich ein Drehbuch? Es ist kein einfaches Unterfangen. Schon E.T.A Hoffmann wusste, dass verschiedene Künste nicht restlos ineinander überführbar sind. Beatrice Kohler ist dem Prozess dieses Medienwechsels nachgegangen. Den Artikel kannst du unter www.semestra.ch/roman-zu-drehbuch einsehen! quiz Romanheft oder grosser Klassiker: Welches Buch passt zu dir? Bist du ein Bücherwurm? Mach den Test! www.semestra.ch/buch-quiz
für eine handvoll Groschen Jede und jeder kennt sie: Romanhefte. Während sie bis in die 70er-Jahre reissenden Absatz fanden, gelten sie nun als antiquiert und von den neuen Medien verdrängt. Zu Recht? In einem Selbstversuch habe ich mich tief ins Feld der sogenannten «Trivialliteratur» gewagt.
Es lag auf einem leeren Tramsitz, war etwas zerlesen und auf dem Titelblatt war auf rotem Hintergrund eine Wild-West-Szenerie zu sehen. Ich kann mich noch so gut an das erste Mal erinnern, dass ich ein Romanheft gesehen habe, weil mein Vater dieses mit seinem typisch professoral-spöttischen Lächeln aufhob und mir erklärte, dass sei ein sogenanntes «Groschenheft», die bevorzugte Lektüre älterer Damen. Gerade weil mein Vater so verächtlich darüber gesprochen hatte, wuchs meine Neugierde ins Unermessliche. Was konnte denn der Inhalt eines so verwerflichen Romans sein? Ich musste dieses Heft lesen! Durch ein grossartiges Täuschungsmanöver gelang es mir, den Groschenroman, von meinem Vater unbemerkt, nach Hause zu schmuggeln. Mit klopfendem Herzen, zitternden Händen und grösstem Schuldbewusstsein faltete ich in meinem Zimmer schliesslich die dünnen Seiten auseinander. Aber die geheimnisvolle Ablehnung des Mediums
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durch meinen Vater hatte meine Erwartungen viel zu hoch geschraubt. Western? Immerhin kamen Pferde vor, aber die Geschichte vermochte mich als Achtjährige nicht wirklich zu packen. Eine Pubertät und ein fast abgeschlossenes Geschichtsstudium später, stehe ich fürs StudiVersum vor dem Romanheftregal im Bahnhofskiosk und schaue mir die riesige Auswahl an: Krimis, Western, Gruselund Horrorromane, Science-Fiction und Fantasy, Adels-, Liebes-, Ärzte-, Heimatund Mutter/Kindromane – alle mit bunten Einbänden und genretypischen Bildern auf der Titelseite. Erschaudern lässt mich eine Reihe mit dem Titel «Der Landser», die laut Einband «Authentische Erlebnisberichte zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges, die schonungslos die Härte und Grausamkeit des Kampfes und die Entbehrungen des Frontalltages aufzeigen» verspricht. Wer liest vor dem Einschlafen Wehrmachtgeschichten? Da der Westernversuch vor 17 Jahren gescheitert ist, entscheide ich mich diesmal für typische Frauengenres.
Feldforschung auf der Alm
Zuhause kuschle ich mich mit «Nachhilfe in Sachen Liebe. Überraschende Begegnungen auf der Alm» unter die Bettdecke. Der Roman stammt aus der Reihe «Der Bergpfarrer. Der gute Hirte von St. Johann» und wurde von Toni Weidacher verfasst. (Ob es sich um den gleichen Toni handelt, welcher der Serie «Toni. Der Hüttenwirt» seinen Namen leiht?) Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein schnittiger Städter, Florian, fällt durch seine Jura-Prüfungen und muss deshalb
«Glücklich sahen sie sich an und gingen Hand in Hand zur Berghütte zurück. Sie hatten sich wiedergefunden und diese Nacht gehörte ihnen allein»
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zu einer anmutigen Bauerntochter namens Alex, die dieselben Prüfungen mit Bravour bestanden hat, auf die Alm, um von ihr Nachhilfe zu erhalten. Nach 32 Seiten (von insgesamt 64) bricht Florian mit folgendem Satz das Eis: «Sagen S': Sollen wir net lieber ‹du› zueinander sagen? Dieses dumme Siezen ist doch viel zu förmlich und unpersönlich.» Doch ihr junges Glück wird bald getrübt, als Monika, Florians Ex-Verlobte aus der Stadt, plötzlich im Bergdorf auftaucht und die zart knospende Liebesbeziehung sabotiert. Glücklicherweise ist aber der Bergpfarrer gerade zu Besuch und mit etwas Geschick – und kalkulierter Manipulation – gelingt es ihm, Alex und Florian wieder zueinander zu führen. Der Roman endet mit Liebesschwüren, dem ersten Kuss der beiden und einem Hauch der Andeutung eines erotischen Verhältnisses: «Glücklich sahen sie sich an und gingen Hand in Hand zur Berghütte zurück. Sie hatten sich wiedergefunden und diese Nacht gehörte ihnen allein.» Zwei Studierende, die sich siezen, mit Schecks bezahlen, Faxe erhalten, im «schnittigen Sportwagen» nicht mal ein Navi haben und von denen immer als «die Alex», «der Florian» oder schlicht «das Madel», beziehungsweise «der Bursche», die Rede ist – all dies klingt nicht gerade nach 21. Jahrhundert. Immerhin muss man dem Roman zugute halten, dass Alex, obwohl sie im Verlaufe der Handlung mindestens vier Mal in Tränen ausbricht, und auf den ersten Annäherungsversuch Florians total unbeholfen und überfordert reagiert, immerhin dadurch Stärke beweist, dass sie erfolgreich ein Jura-Studium abgeschlossen hat. Mir hätte die Geschichte besser gefallen, wäre Alex tatsächlich ein Junge gewesen, wie Florian aufgrund ihres androgynen Namens zuerst angenommen hat, aber sie hat mich irgendwie auch angenehm in meine Teenagerzeit versetzt, in der ein Annäherungsversuch von Seiten eines «Burschen» tatsächlich noch verstörend sein konnte.
Exotik, Erotik und Familienglück
Weit weniger zaghaft geht es in den Romanen der Reihe «Baccara Exklusiv» zu. Der Cora-Verlag bewirbt die Reihe so: «Stürmische Gefühle, die nur ein Ziel kennen: ein Happy End, das keine Wünsche offen lässt.»
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Es geht mit anderen Worten um gemeinsame Orgasmen. Diese sind auf den wenigen Seiten häufig gestreut und einer ist überwältigender als der andere: «Lucky stöhnte und gab sich ganz den köstlichen Gefühlen hin, die sie durchströmten. Ihr ganzer Körper schien elektrisiert zu sein und zu vibrieren. Sie fühlte sich von diesem Mann in Besitz genommen und aufgesogen. Sie ergänzten sich so perfekt und verschmolzen miteinander nicht nur körperlich. Sie waren so sehr eins, wie es Frau und Mann nur sein konnten. Ken stöhnte, während er sich mit rhythmischen Stössen vor und zurück bewegte. Lucky klammerte sich an ihn und folgte instinktiv seinen Bewegungen. […] Sein Körper war schweissüberströmt, als er Luckys Hüften ein letztes Mal heftig umklammerte und sich ihrer beider Lust in einem ekstatischen Höhepunkt entlud.» Wer schon lange von einem gleichzeitigen Höhepunkt geträumt hat, dem sei die Lektüre herzlich empfohlen. Menschen mit Symbioseängsten hingegen sollten eher die Finger davon lassen, wenn sie sich den Gang zum Psychiater ersparen wollen. In «Katz und Maus. Lena weiss nicht, was sie will» von Viola Maybach aus der Reihe «Arztroman. In grosser Schrift» ist der Titel Programm: Lena findet einfach keinen Mann, der ihr gewachsen ist. Ihre Schwester und ihr todkranker Vater fürchten beide, dass sie womöglich nie erwachsen wird, sprich: unter die Haube kommt. Doch da taucht Steffen auf, ein junger Arzt, der gerade von einer «schwierigen Mission» in Afrika zurückkehrt – und so einen gewissen «Exoten-Bonus» geniesst. Lena zeigt sich zwar zunächst widerspenstig und unzähmbar, doch der Missionar – äh sorry, Arzt – aus Afrika ist der Aufgabe gewachsen und so finden die beiden in einer bewegenden Szene doch noch zueinander: «Er machte einen Schritt auf sie zu, streckte die Arme nach ihr aus und zog sie an sich, endlich. Sie fing an zu weinen und zitterte am ganzen Körper, während er sie an sich presste und seine Lippen in ihren Haaren vergrub. Als sie sich beruhigt hatte, küsste er sie – und tat das so lange, bis sich der Sturm in seinem Innern gelegt hatte und bis auch ihre letzte Träne versiegt war.» Der Roman ist nicht gerade subversiv, was die Geschlech-
terrollen angeht und glänzt auch nicht mit einem sehr differenzierten Bild von Afrika. Auch «Emergency Room»-Fans werden hier zu kurz kommen, denn medizinischer Jargon spielt bei der Menge an Freizeit, die die Hauptfiguren geniessen, keine Rolle. Fachjargon ist im Roman «Was haben wir angerichtet! Als Graf Gregor der Versuchung erlag» aus der Reihe «Fürstenkinder» umso bedeutender. So ist die Schilderung des Mobiliars oft ausschweifender und spannungsvoller als jene der Handlung: «Ein bezaubernder Lüster aus Nymphenberger Porzellan erhellte das Zimmer, doch Angelina schaltete das Licht aus und stattdessen die Porzellan-Appliquen an den Wänden ein.» Weniger sorgfältig geht es zu und her, wenn es um orientalistische Klischees geht. So wird Graf Gregor, Ehemann der Gräfin Angelina, von einer «Orientalin» namens Soraya von Thal verführt. Diese Frau, der nachgesagt wird, sie besässe wie ihre Volksgenossinnen «einen ganz besonderen Sexappeal» will Gregor jedoch nur um des Geldes und des Ansehens Willen. Weil aber solche unehrlichen Spielchen gerade von klugen Kindsköpfen gerne mal durchschaut werden, ist ihre Mission zum Scheitern verurteilt und am Ende siegt das traute Familienglück.
Die Qual der Wahl
Es wäre absurd, die Heftromane aufgrund ihrer Realitätsferne anklagen zu wollen, denn gerade das ist ihre Stärke. Sie entführen vom tristen Alltagsleben geplagte Zeitgenossen gekonnt in traumhafte Welten, in denen sie für einmal wissen, was sie erwartet und gewissermassen alles «in Ordnung» ist. Doch man muss eben erst die richtige Parallelwelt finden, in die man sich flüchten möchte. Angesichts der Identifikationsangebote in meinem Sampling bleibe ich etwas ratlos. Jungfräuliche Heulsuse? Harmoniebedürftige Nymphomanin? Nach Zähmung verlangende, nur vermeintlich selbständige Frau? Biedere Gräfin? Oder irgendeine der farblosen Männerfiguren, die sich vor allem durch ihre Körpergrösse und ihr Vermögen auszeichnen? Vielleicht werde ich es das nächste Mal doch mal wieder mit einem Western versuchen. r Text Marina Lienhard, Bilder Maya Wipf
«Stürmische Gefühle, die nur ein Ziel kennen: ein Happy End, das keine Wünsche offen lässt.» Es geht mit anderen Worten um gemeinsame Orgasmen.
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Geschichten aus dem Radio Das Buch ist bei weitem nicht das einzige Medium, um Geschichten zu verbreiten. Dank Johannes Mayr darf man getrost zurücklehnen und die Augen schliessen, denn er bringt sie als Hörspielregisseur zum Klingen. Im Interview mit Studiversum erzählt er von seinem Beruf.
StudiVersum: Herr Mayr, wie ein Hörspiel zustande kommt, ist den meisten Radiohörern wohl unbekannt. Wie muss man sich eine Aufnahme für ein Hörspiel vorstellen? Johannes Mayr: Die Aufnahmen finden praktisch immer im klassischen Hörspielstudio statt. Da gibt es den Aufnahmeraum mit Mikrofonen und Schauspielern drin und einen Regieraum, in dem der Techniker und ich sitzen. Über eine Gegensprechanlage können wir jederzeit mit den Schauspielern kommunizieren, ihnen etwa sagen, dass sie etwas in einem andern Ton sprechen sollen oder dass eine Stelle wiederholt werden muss. Ähnlich wie auf einem Filmset arbeiten wir das Manuskript oft nicht chronologisch durch. Es kann sein, dass wir auf Seite 1 anfangen und dann zu Seite 50 springen. Meine Aufgabe dabei ist es, das gesamte Hörspiel jederzeit im Kopf zu haben. Nach den Sprachaufnahmen wähle ich die besten Takes aus und füge Musik und Geräusche hinzu.
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Haben Sie denn als Regisseur einen grossen Einfluss auf die Produktion oder bleibt Ihnen nur die Rolle eines Dirigenten? Es ist wichtig, dass man zwischen Hörbuch und Hörspiel unterscheidet. Bei einer Hörbuchproduktion, wo im Grunde ein Buch vorgelesen wird, ist der kreative Einfluss eines Regisseurs natürlich begrenzt. Bei Hörspielen ist das anders: Es gibt verschiedene Figuren und Stimmungen, je nach Manuskript wählt man auch Musik und Hintergrundgeräusche selbst aus oder gibt eine Komposition in Auftrag. Immer aber geht es bei meiner Arbeit darum, sprachliche Feinheiten herauszuarbeiten. Denn kleine Unterschiede in der Sprechmelodie sind beim Hörspiel viel wichtiger als beim Theater oder im Film, da wir aufs Akustische beschränkt sind. Welche Regieanweisungen geben Sie einem Schauspieler? Das Tolle an meiner Arbeit ist, dass sich vieles spontan im Studio entwickelt, viel ausprobiert werden kann. Ich habe zwar schon meine Vorstellungen, wie etwas klingen soll, aber häufig kann man das gar nicht beschreiben. Dann muss man das gemeinsam mit den Schauspielern erarbeiten. Das mache ich lieber, als den Leuten den Text so vorzulesen, wie ich ihn will. Manchmal kommt auch der Schauspieler und sagt: «Das stelle ich mir so und so vor.» Ist mir danach eine Stelle zu brav, sage ich dem Schauspieler vielleicht, er solle sich vorstellen, dass er eine Lederjacke trägt, damit es etwas rauer tönt.
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Was meinen Sie mit erster Idee? Wird das Hörbuch nicht nach einem festen Drehbuch aufgenommen? Meistens schon, aber es kann auch vorkommen, dass uns Leute ein Hörbuch anbieten – also andere, die mit einer Idee auf uns zukommen. Dann wird in der Hörspielredaktion diskutiert, ob wir das realisieren wollen. Bei unbekannten Autoren wird vielleicht noch eine Arbeitsprobe verlangt. Wie kommt man eigentlich dazu, Hörspielregisseur zu werden? Waren Sie schon immer ein Fan von Hörspielen? Sie müssen wissen, ich bin auf dem Land aufgewachsen. Als Jugendliche waren wir viel mit dem Auto unterwegs und hörten deshalb viel Radio. Am Freitag- und Samstagabend fuhren wir jeweils zu irgendeiner Landdisco, im Radio lief ein Hörspiel. Mit meiner Band habe ich dann selbst herumzuexperimentieren begonnen. Wir erzählten Geschichten und machten Musik dazu, machten sozusagen Live-Hörspiele. Inspiriert haben mich Storyteller in Irland und Griots in Westafrika, wo ich Anfang 20 läng-ere Zeit herumreiste. Diese Art Geschichten zu erzählen, hat mich sehr fasziniert. Sie sind also nicht einfach durch Zufall zu diesem ungewöhnlichen Beruf gekommen? Die meisten Hörspielregisseure kommen vom Theater her. Bei mir war das anders. Ich merkte irgendwann, dass ich Hörspiele machen wollte und habe mich nach einem Studiengang erkundigt, obwohl ich eigentlich auf keinen Fall studieren wollte. So bin ich auf den Studiengang Mediengestaltung an der Bauhaus Universität in Weimar gestossen, wo es einen eigenen Lehrstuhl für Radio gibt. Nach einem Volontariat beim Südwestrundfunk in Baden-Baden kam ich nach Basel zu DRS 2. Verstehe ich Sie richtig, dass Sie viel mit Bildern arbeiten? Naja. Es gibt diesen Satz, dass ein Hörbuch «Kino im Kopf» sei. Den finde ich ziemlich doof, denn wenn ich ins Kino will, gehe ich ins Kino. Es geht mir vielmehr darum, dass die Schauspieler eine gewisse Haltung einnehmen, die sich dann auch auf die Sprechweise auswirkt. Wie lange dauert es normalerweise, bis ein Hörspiel fixfertig ist? Oft geht es etwa ein Jahr von der ersten Idee, dem ersten Treffen, bis zur Ausstrahlung des Hörspiels. In der Zwischenzeit arbeitet man dann aber auch an andern Sachen und so mache ich etwa vier bis fünf Hörspiele pro Jahr.
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Bei DRS 2 denkt man eher an ältere Leute, die klassische Musik mögen. An wen richten sich Ihre Hörspiele? Es sind schon eher junge Leute, die meine Hörspiele hören. Das weiss man aus der Hörerforschung und anhand der Feedbacks. Wichtig ist im Radio immer, was vorher und nachher läuft und am Mittwochabend, wenn meine Hörspiele meist gesendet werden, läuft nachher eben experimentelle Musik, die vor allem junge Leute anspricht. Klar kann man sich sein Publikum mit der Zeit auch schaffen, das mache ich aber nicht gezielt. Stimmt es, dass die Hörspieltradition besonders im deutschsprachigen Kulturraum wichtig ist?
Das Hörspiel spielt im deutschsprachigen Kulturraum nach wie vor eine wichtige Rolle. Und hat eine enorme Tradition vorzuweisen. Allerdings hat es seinen Ursprung im Amerika der 20-er/30-er Jahre. Damals gab es sogenannte «Radio-Soaps», kurze Hörspiele mit einem Cliffhanger, genau wie die heutigen Fernsehserien. Das deutschsprachige Hörspiel hatte lange den Ruf, dass es innerlich und ernst sei und sehr psychologisierend. Das stimmt durchaus für die Radiozeit der 50er und 60er. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten aber sehr verändert, die Palette der Hörspielformen ist sehr breit und bunt geworden.
Es kann sein, dass wir auf Seite 1 anfangen und dann zu Seite 50 springen. Meine Aufgabe dabei ist es, das gesamte Hörspiel jederzeit im Kopf zu haben.
Was kann für Sie ein Hörspiel oder ein Hörbuch, was ein Buch nicht kann? Was ich sehr schätze am Hörspiel, ist, dass ich nebenbei etwas machen kann. Man kann aus dem Fenster schauen, Hemden bügeln oder kochen, oft schlafe ich auch ein beim Zuhören. Früher gab es diesen Anspruch, dass man das ganze Hörspiel am Stück hört und sich nur auf dieses konzentriert. Das ist heute nicht mehr so, mich stört es zum Beispiel nicht, wenn Leute neben meinem Hörspiel etwas anderes machen. Dass man sich eben einfach abgeben kann an das Hörspiel, das ist das Schöne für mich. Dazu kommt, dass es mir keinen Ort vorschreibt, anders als beim Buch kann man auch einfach die Augen schliessen und eintauchen. Wann ist ein Hörspiel für Sie gelungen? Möchten Sie etwas Bestimmtes vermitteln? Ideal ist für mich, wenn Kritik und Witz zusammen kommen. Mein Anspruch ist es, etwas Kritisches zu vermitteln und gleichzeitig zu unterhalten. Ich mag es, wenn etwas skurril ist und möchte, dass den Leuten das Lachen im Hals stecken bleibt. Ob ein Hörspiel gelungen ist, merke ich auch oft an den Feedbacks der Hörer. Leider bin ich manchmal selbst ein sehr intoleranter, ungeduldiger Hörer und stelle ab, wenn mich etwas nicht überzeugt. Für mich muss jemand ein gutes Sprachgefühl haben, damit ich ihm gerne zuhöre. Wie sieht das bei Ihren eigenen Hörspielen aus. Können Sie sich diese selbst überhaupt noch anhören? Wenn ich mit einem Hörspiel fertig bin, ertrage ich das fast nicht mehr als Ganzes. Nach einer Produktion braucht es zuerst einmal Abstand. Natürlich gibt es Sachen, die ich gemacht habe, die mir später nicht mehr gefallen, aber es kommt auch vor, dass ich mir nach zwei Jahren ein Hörspiel wieder anhöre und denke: «Wow, das ist toll.» r Text Melanie Keim, Bilder thomyhaeusermann.ch, Johanna Muther
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Hörspielzeit bei DRS Eine Abwechslung zum leselastigen Studentenalltag gefällig? DRS 2 sendet jeweils mittwochs um 20 Uhr und samstags um 21 Uhr Hörspiele zu den verschiedensten Themen. Auf DRS 1 gibt es jeweils montags um 14 Uhr und freitags um 20 Uhr ein Hörspiel. Im Programm auf www.drs.ch findet man vom experimentellen Hörspiel über den Krimi bis hin zu Hörspielen zu historischen Themen so ziemlich alles. Noch mehr Hörspiel findet man auf www.dasweisselauschen.ch. Auf dieser Plattform können Hörspielmacher ihre eigenen Produktionen hochladen und der Hörer diese gratis herunterladen, damit er die Geschichten geniessen kann, wann und wo es ihm gerade gefällt. Reinhören Eine Hörspielprobe von Johannes Mayr kannst du unter www.semestra.ch/hörspiel finden. Play klicken, Augen schliessen und eintauchen.
UNIPOLITIK
Nirgends in Europa leben so viele Tibeter wie in der Schweiz. Von Zürich aus kämpfen die jungen Tibeter Europas für ein unabhängiges Tibet. Im November wurde Tenzin Kelden Losinger in Cannes kurzzeitig festgenommen, als sie bei einem Protest die G20-Staaten aufforderte, sich für die Menschenrechte in Tibet einzusetzen. «Diese beispiellosen und verzweifelten Selbstverbrennungen von Tibetern stellen einen Hilfeschrei an die internationale Gemeinschaft dar», erklärt Tenzin Kelden Losinger, Vizepräsidentin des Vereins Tibeter Jugend in Europa (VTJE), ihr Engagement in Cannes. Seit März dieses Jahres haben sich in Tibet neun Mönche und zwei Nonnen selbst verbrannt. Amnesty International fordert von China, sich mit den Gründen zu befassen, die dazu geführt haben. Während das offizielle China die Selbstverbrennungen als durch die tibetische Exilregierung gutgeheissene und geförderte Propagandaaktionen bezeichnet und die Exilregierung dahingehend kritisiert, sieht Losinger darin den Versuch, ein Zeichen gegen Chinas Repressionspolitik zu setzen. «Diese Selbstverbrennungen sind ein beunruhigendes Zeichen der tibetischen Mönche und Nonnen, die seit jeher gewaltlosen Widerstand leisten.» Losinger äussert tiefes Bedauern und ist erschüttert darüber, dass die jungen Tibeter ihren Körper als letztes Mittel des Widerstands einsetzen. «Das sind traurige Ereignisse. Schuld trägt Chinas repressive und tyrannische Herrschaft. Seit den Unruhen 2008 wurde die Religionsfreiheit in Ngaba [Ost-Tibet, Anm. d. Red.] durch Umerziehungsmassnahmen noch stärker eingeschränkt.» Grundsätzlich wird im Buddhismus keine Gewaltanwendung gegen Lebewesen toleriert, auch nicht gegen sich selbst. Da die jungen Gläubigen aber für die Anliegen eines ganzen Volkes sterben, beurteilt Losinger die Taten anders: «Diese Menschen gaben sich selbstlos auf, in der Hoffnung auf ein Ende
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der chinesischen Unterdrückung.» Dass der Selbstmord ihrem Glauben entgegenstehe, mache die durch die Selbsttötung transportierte Botschaft umso intensiver. «Sie erleben die Unterdrückung aus erster Hand, wir können nur versuchen mitzufühlen, was sie durchmachen.»
Sprachrohr
An diesem Mitfühlen und dem damit verbundenen Gefühl der Machtlosigkeit des Zuschauenden macht Losinger denn auch ihre Motivation fest, sich für ein unabhängiges Tibet zu engagieren. «Es ist extrem erschütternd zu sehen, dass sich die Menschen keinen Meter mehr frei bewegen können. Die Situation in Ngaba ist ein Mikrokosmos für die landesweite Repression.» Im Gegensatz dazu verfügen die jungen Tibeter in der Schweiz über Meinungsäusserungsfreiheit. Auch wenn sie gegen das Geschehen vor Ort direkt wenig ausrichten können – sie können ihren Landsleuten Gehör verschaffen. Der VTJE, der seinen Hauptsitz in Zürich hat, hat sich zum Ziel gesetzt, immer wieder an die Weltöffentlichkeit zu appellieren, um «das Bewusstsein der unrechtmässigen und gewaltsamen Besetzung Tibets durch die Volksrepublik China wachzuhalten». Mit diesem Ziel wurde auch die Protestaktion in Cannes lanciert. Losinger wurde von den Behörden in Cannes drei Stunden festgehalten. Nach der Aufnahme ihrer Personalien wurde sie freigelassen.
Erwünschte Flüchtlinge
Gegründet wurde der Jugendverein 1970 – zehn Jahre nachdem die ersten tibetischen Flüchtlinge mit offenen Armen in der Schweiz empfangen wurden. Flüchten mussten die Tibeter im Jahr 1959, nachdem die chinesische Volksarmee 1951 in Tibet einmarschiert war und nun – rund zehn Jahre später – den Volksaufstand blutig niederschlug. Trotz der zunehmenden Angst vor Überfremdung – welche 1970 in der Schwarzenbach-Initiative gipfelte – wurden die ersten aussereuropäischen Flüchtlinge in der Schweiz grosszügig aufgenommen. Aufgrund der Initiative von Privatpersonen wurden 200 tibetische Waisenkinder in Familien und im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen untergebracht. 1963 bewilligte der Bundesrat die Aufnahme von weiteren 1000 Tibet-Flüchtlingen. Aus den indischen Auffanglagern reisten die Familien in die Schweiz ein und wurden in möglichst hügeligen Gegenden angesiedelt. Die Identifikation mit dem tibetischen Bergvolk, die antikommunistische Stimmung und die positive Berichterstattung in den Medien waren wohl Gründe aus denen die Sympathie der Schweizer für die Tibeter erwuchs. 1968
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wurde in Rikon ZH das erste tibetisch-buddhistische Kloster in der westlichen Welt eingeweiht.
Auch Integration
Wie viele der Vereinsmitglieder wurde Losinger in der Schweiz geboren, ist hier aufgewachsen, studiert hier, hat hier Freunde und Bekannte – lebt hier. Gleichzeitig fühlt sie sich ihrem Ursprungsland stark verbunden. «Das eine schliesst das andere nicht aus. Das ist eine Bereicherung für meine Identität, dass ich beide Kulturen leben kann.» Die Erhaltung und Pflege der tibetischen Kultur ist auch ein explizites Ziel des Vereins, dazu werden zum Beispiel Ferienlager für Kinder durchgeführt. Die Vernetzung der jungen, oftmals gut ausgebildeten Tibeter zählt zu den Hauptinteressen des Vereins. Denn auch im Exil soll die Debatte um die Zukunft Tibets durch das tibetische Volk weitergeführt werden. Wobei der VTJE lautstark die Unabhängigkeit fordert.
Demokratisierung der Exilregierung
Von einem Generationenkonflikt, wie er in den Medien oft heraufbeschworen werde, mag Losinger aber nicht reden. Vielmehr sieht sie in den moderaten Forderungen des Dalai Lamas und der Exilregierung nach Autonomie einen Mittelweg. «Natürlich haben sie eine andere politische Stellung und somit eine andere Verantwortung.» Die Jugend dagegen könne unversöhnlicher aussprechen, was sie wolle. «Wir wollen Unabhängigkeit. Diese steht uns zu, wir haben das Recht auf unser Land.» Die unterschiedlichen Ansichten innerhalb der tibetischen Gemeinschaft vergleicht sie mit den unterschiedlichen Einstellungen der politischen Parteien der Schweiz. Im Exil hat sich das ursprünglich theokratische tibetische System zu einer Demokratie entwickelt. Treibende Kraft für diesen Demokratisierungs-
prozess war dabei stets der Dalai Lama selbst. Im März 2011 ist der Dalai Lama als politisches Oberhaupt Tibets zurückgetreten und hat seine Verantwortung an den demokratisch gewählten Premierminister abgegeben. Die Wahl des Premierministers hatte somit dieses Jahr eine besondere Bedeutung. Die Schweiz-Tibeter konnten ihre Stimmen für den Premierminister und zwei europäische Parlamentarier in grösseren Schweizer Städten abgeben. «Wir haben versucht, die jungen Tibeter zu informieren und zu aktivieren. Wir haben unter anderem eine Debatte mit allen Kandidaten der europäischen Parlamentssitze – welche unsere Interessen im Exilparlament im indischen Dharamsala vertreten – organisiert.»
Hauptziel: Menschenrechte
Die mit dem Demokratisierungsprozess verbundene Einschränkung der Autorität des Dalai Lamas auf religiöse Fragen bringt also erwünschten politischen Diskussionsstoff mit sich. Ungeachtet jeglicher Differenzen ist für Losinger aber klar: «Wir kämpfen alle für das Gleiche: für das Wohlergehen der Tibeter in Tibet und damit für die Einhaltung der Menschenrechte.» Die Selbstverbrennungen haben den Verein Tibeter Jugend in Europa dazu veranlasst, einen Brief an Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey zu schreiben. «Wir haben alle einen Schweizer Pass und ich erwarte von meinem Land, dass es etwas unternimmt, wenn auf der Welt Menschenrechte mit Füssen getreten werden.» Den Traum eines freien Tibets aufzugeben, ist Losinger aber nicht gewillt. Sollte es soweit kommen, könnte sie sich gut vorstellen in Tibet zu leben. «Ein freies Tibet – dafür kämpfen wir seit eh und je und wäre es soweit, gäbe es sicher viel Arbeit und Leute würden gebraucht, um das Land aufzubauen.» r Text Nora Lipp, Illustration Melanie Imfeld
Uni-Aktivität Tenzin Kelden Losinger (25) studiert Publizistik und Film an der Uni Zürich und ist dort auch Teil einer studentischen Arbeitsgruppe aus Tibet. Zurzeit ist diese Gruppe inaktiv, weil die Mitglieder ausgelastet sind mit Vereinsarbeit. Der VTJE hat im April 2010 das erste tibetische Jugendparlament lanciert, wobei auch Workshops an der Uni Zürich angeboten wurden. Beendet wurde das Parlament mit der Verabschiedung einer friedlichen Resolution. Losinger: «Unser Ziel war, das Netzwerk der Tibeter Jugend zu stärken und ihr politisches Bewusstsein zu erhalten.» SURFEN www.vtje.org www.tibet-institut.ch
REPORTAGE
Reise zum Ich Filmemacher Sonthar Gyal ist einer von zwei Regisseuren aus Tibet, die ausschliesslich in Tibetisch gesprochene Filme drehen. Ein junges Phänomen im ansonsten restriktiven China, welches eine neue Auseinandersetzung mit dieser unterdrückten Kultur ermöglicht.
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Das Interview wurde am Filmfestival Locarno 2011 geführt. Sonthar Gyal war in der Kategorie der jungen Filmemacher, Concorso Cineasti del presente, mit seinem Film «Tai yang zong zai zuo bian» («The Sun Beaten Path») nominiert. StudiVersum: Wie und wann sind Sie zum ersten Mal in Berührung mit dem Medium Film gekommen? Sonthar Gyal: Als ich noch ein kleiner Junge war, erinnere ich mich, dass regelmässig, etwa einmal im Monat, ein sogenanntes «rollendes Kino» bei uns im Dorf vorbeikam. Im Stile eines Wanderzirkus fuhr dieser Mann durch die kleinen Ortschaften der tibetischen Hochebene und strahlte auf dem Dorfplatz Filme aus. Mein schönstes Bild vor Augen ist, als ich in einer lauen Sommernacht auf dem Boden vor einer aufgespannten Leinwand liege, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und die bewegten Bilder vor mir betrachte. Das war ein magischer Moment für mich [lacht]. Mit neun Jahren wurde ich in den
Bann des Films gezogen und wartete ungeduldig, bis das rollende Kino wieder ins Dorf kam. Fasziniert zu sein von diesem Medium ist eins, aber wie kommt man dazu, wirklich Filmemacher zu werden? Ihre Eltern hatten doch mit Sicherheit ihren Anteil daran? In der Tat waren meine Eltern und besonders mein Vater eine treibende Kraft. Wissen Sie, meine Eltern waren anders als die meisten in meinem Dorf. Sie waren beide Lehrer und waren im Umgang mit mir sehr liebevoll. Ich denke, ich hatte mehr Freiheiten als andere Kinder in meinem Alter und war irgendwie privilegiert. Immerhin hatte mein Vater als Einziger im Dorf eine Universität besucht. Er förderte meine Kreativität und unterstützte die Entwicklung eines freien Geistes. Ich sollte frei sein wie ein Wildpferd, sagte er einmal zu mir. Er war selbst Künstler, das mit dem Film ist also naheliegender, als es im ersten Augenblick scheint.
Inwiefern wurden Sie dazu ermutigt, diesen künstlerischen Weg einzuschlagen? Ich habe früh angefangen zu malen. Wenn man als Junge seinen Vater dabei beobachtet, möchte man ihm nacheifern. Es war für mich immer klar, dass ich an eine Kunsthochschule gehen wollte und so studierte ich Malerei und Fotografie. Erst später ging ich zur Filmschule in Peking, wo ich auch den Produzenten dieses Films kennenlernte. Haben Sie den Produzenten bereits während dem Studium für diesen Film gewinnen können? Nein. Wir sind gut miteinander ausgekommen und ich hatte die Hoffnung, dass in Zukunft eine Kooperation mit ihm möglich wäre. Aber konkret war in dem Moment noch nichts. Als ich ihm dann einige Zeit später das Skript zu «The Sun Beaten Path» geschickt habe, war ich sehr erstaunt, als zwei Stunden später eine Antwort von ihm kam und er sofort zusagte [lächelt]. Das war ein sehr erbaulicher Moment. Das Projekt war geboren. Der Film ist eine sehr spirituelle Reise. Eigentlich ein Roadtrip über einen büssenden Jungen auf der Suche nach sich selbst. Wie viel Autobiografisches steckt in der Geschichte? Ich selbst habe dieses Gefühl durchlebt, eine wichtige Person aus meinem Leben zu verlieren. Als mein Vater 53 Jahre alt war, starb er. Das war ein herber Verlust. Ich fühlte mich verloren und besass nicht die Kraft, mich auf meinen Beinen zu halten. Ich war auf einen Schlag erwachsen, musste Verantwortung übernehmen. Das Schlimmste aber war, dass ich ihm nie dafür danken konnte, was er mir ermöglicht hat. In der tibetischen Kultur ist die Ehrerbietung den Eltern gegenüber sehr wichtig. Also versuchte ich, meinen Vater intellektuell und künstlerisch zu reflektieren. Diese Verarbeitung steckt auch in dem Film, denn der Hauptdarsteller fühlt sich schuldig für den Tod seiner Mutter und begibt sich auf eine Wanderung durch die Wüste Gobi in der Hoffnung, die Schuld zu sühnen und sich in der Folge besser zu fühlen. Ihr Vater ist sehr wichtig für Ihren Film. Gab es noch andere Vorbilder? Das ist schwer zu sagen. Ich gehöre bereits der aufgeklärten Generation an und
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habe einige Filme gesehen, auch viele ausländische. Aber künstlerisch ist sicher Pema Tseden ein wichtiger Filmschaffender für mich. Er ist auch ein tibetischer Regisseur, der mir für das Realisieren von Filmen vieles beigebracht hat. Sein wohl bekanntester Film ist «The Search», bei dem ich auch Kameramann war. Durch das Malen und Fotografieren habe ich eine sehr visuelle Vorstellung. Ich nähere mich Fragestellungen künstlerisch an. Pema ist direkter, mehr der Theoretiker. Er ist gut im Umgang mit Darstellern und stark im Erzählen einer Geschichte. Sie drehen, wie Ihr Mentor Pema Tseden, Ihre Filme gänzlich in tibetischer Sprache. War es schwierig, hierfür geeignete Schauspieler zu finden? Wie gesagt, Pema war sehr wichtig für meinen Film. Er half mir auch bei der Suche nach geeigneten Schauspielern, denn es gibt keine professionellen Darsteller in Tibet. Hier war die Erfahrung der Beteiligten an meinem Film von grosser Bedeutung. Als wir den Hauptdarsteller für die Figur Nima fanden, ging es auch an die Arbeit, dem Charakter psychologische Tiefe zu verleihen. Da gab es auch viele Inputs von den Professoren aus der Filmschule. In China wurde der Film zwar gezeigt, aber vor allem die Festivals im Westen scheinen an Ihrem Werk interessiert zu sein. Meinen Sie, das hat vor allem mit dem stärkeren medialen Interesse an Tibet in Europa und den USA zu tun? Das ist sicher möglich. Das weiss ich nicht so genau. Auf jeden Fall haben Sie recht mit dem Interesse. Ich war von dem grossen Applaus nach der ersten Vorführung hier sehr angetan. Es ist kein Vergleich zum Publikum in China, das sehr verhalten reagiert hat. Ich erkläre mir das vor allem mit dem Wert, den kulturelle Filme in der Gesellschaft haben. In Europa ist das viel ausgeprägter. Chinesen bevorzugen vor allem die kommerziellen Filme und das actionreiche Hongkong-Kino. Es ist eine Gesellschaft, die ökonomisch boomt und alles, was dieses Wirtschaftswachstum beflügelt, erscheint für die Menschen erstrebenswert. So auch die MainstreamFilme. Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das besagt «Erst musst du genügend zu essen haben». Das bedeutet, dass Kunst einfach nicht Priorität hat. Die Leute sind momentan zu sehr damit beschäftigt, ihren
Lebensstandard zu erhöhen. In Europa ist das anders – stabilisierter. Ein viel grösserer Teil der Bevölkerung, als in China, muss sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob sie morgen auch noch genug zu essen haben. Ausserdem besitzt ihr (Europäer) eine grosse Tradition in der Filmkunst. Sie hat einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft. War es schwer, den Film durch die chinesische Zensur und Filmförderung zu bringen? Die tibetische Thematik und der gänzlich in der eigenen Sprache gesprochene Film könnten doch als störend aufgefasst werden? [Lacht] Ich glaube nicht. Interessanterweise war es sehr einfach. Worum geht es denn in meinem Film? Nur um zwei Personen, die durch die Wüste Gobi gehen! Da gibt es nichts offensichtlich Politisches, also nichts zum zensieren [schmunzelt]. Aber haben Sie keine Angst vor den politischen Vorgängen in Ihrem Land? Wie mit Künstlern wie Ai Weiwei umgegangen wird? Ihr Film berührt immerhin auch zumindest am Rande ein Thema, das von den Autoritäten nicht gerne aufgegriffen wird. Natürlich beschäftigt mich das... speziell als Tibeter [Der chinesische Produzent Li unterbricht ihn und bestätigt, dass man in der Tat immer wieder Angst hat]. Gyal: Ich halte sehr viel vom iranischen Regisseur Abbas Kiarostami. Nicht nur, dass er meisterhaft im Umgang mit Laiendarstellern ist. Er verpackt seine Botschaften in eine poetische Filmsprache. Es ist beeindruckend. In seinem Land ist es auch nicht einfach als Regisseur. Trotzdem schafft er es, seine Geschichten zu erzählen und die eigene Kultur anderen Menschen zu zeigen. Zum Thema Kultur. Meine letzte Frage ist: Sind Sie zum ersten Mal in der Schweiz und wie gefällt es Ihnen hier? Dies ist für mich das erste Mal, dass ich in Europa bin. Die Schweiz gefällt mir sehr gut. Viele Dinge erinnern mich an meine Heimat. Die bergige Landschaft und die Seen. Aber es ist viel grüner. Die Leute hier sehen auch viel glücklicher aus [lächelt]. Wenn ich wiedergeboren werde, weiss ich zumindest, wo ich gerne leben würde [deutet lachend mit der Hand aus dem Fenster]. r Text und Bild Filip Dingerkus
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DENKSPIEL | Darts–Lohntüte
HERAUSGEBERIN:
Das ist kein abzufüllendes Schnittmuster, es ist aber auch keine Bank-Bonus-Lohnliste (sprich Wundertüte) in Tausendern. Dies ist schlicht und einfach eine Auszahlungsliste in Punkten beim Darts. Was bedeutet beispielsweise die Linie mit den Zahlen 8, 240, 150, 120, 110 und 100? Acht Spieler haben ein Turnier ausgetragen, wobei Gold 240 Punkte, Silber 190 Punkte und Bronze 150 Punkte einbringt. Damit werden auch die Buchstaben verständlich: T = Anzahl Teilnehmer, G = Gold, S = Silber, B = Bronze. Der 4. Rang (4) – weit weg vom Siegespodest – ist in Darts-Kreisen offensichtlich nicht allzu viel wert. Ob zudem schliesslich jemand stolzer Fünfter oder gedemütigter Achter und Letzter wird, ist ebenfalls nur noch ein «Nachdenkerli» fürs Einschlafen. Die Punktedifferenz beträgt gerade einmal zehn Punkte. Angesichts der ausgedehnten «Schwenkungen» rund um die rote Laterne kann von einer logischen Konsistenz nun wirklich keine Rede sein. Dafür lohnt sich das Mitmachen, denn hundert Punkte sind beim Darts stets ein Minimal-Lohn, selbst wenn sämtliche Pfeile das Nichts mal für mal präzis treffen! Andererseits, so völlig unsystematisch ist eine Darts-Ausschüttung nun auch wieder nicht. Deshalb sind wir aufgefordert, systematisch die Zellen, die absichtlich leer sind, zu füllen, denn hinter der «Darts-Lohn-Tüte» steckt tatsächlich ein logisches System, wobei die Akzentuierung bei 8, 16 und 32 Teilnehmern liegt.
Campus Lab AG Eschenring 2 6300 Zug CHEFREDAKTORIN:
Raffaela Angstmann REDAKTOREN DIESER AUSGABE:
Raffaela Angstmann, André Bähler Filip Dingerkus, Jonas Frehner Mario Fuchs, Dominic Illi Melanie Keim, Julia Krättli Marina Lienhard, Nora Lipp Evelin Meierhofer, Claudia Piwecki Myriam Schuler, Martina Zimmermann LAYOUT:
Aline Dallo DESIGN:
Céline Beyeler, Maike Hamacher BILDREDAKTION:
Johanna Muther, Maya Wipf ILLUSTRATION:
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Yvonne Böhler, Filip Dingerkus thomyhaeusermann.ch Johanna Muther, Prinzli Maya Wipf LEKTORAT:
André Bähler DRUCK:
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T 8
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Lösung der letzten Ausgabe (Bananiertes): Ali legt sein erstes Lager vorteilhaft nach 30 Meilen an. Hier kann er optimal insgesamt 300 Bananen lagern. Somit braucht er 150 Bananen als Futter für die fünf Wegstücke (dreimal hin und zweimal zurück) zum ersten Lager. Vom ersten bis zum zweiten Lager sollen nochmals 150 Bananen verfüttert werden, da es optimal ist, die maximale Kapazität (150 Bananen) zu lagern. Da sich im ersten Lager nur noch 300 Bananen befinden, braucht Ali den Weg vom ersten zum zweiten Lager nur noch drei Mal (zweimal hin und einmal zurück) zu absolvieren. Somit wird er sein zweites Lager 50 Meilen hinter dem ersten Lager anlegen. Voll beladen absolviert Ali die restlichen 20 Meilen und bringt damit beachtliche 130 Bananen zur Oase. r Kreation Peter Hammer
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Die flotte 3 er-WG
Das Ende der 3er-WG Text: André Bähler
Es gab eine Zeit, da Beat nicht mehr daran glaubte, der Hand auf einen Stuhl steigt und um Aufmerksamdass er sein Studium erfolgreich abschliessen würde. keit bittet. Als er sich endlich Gehör verschafft hat, sagt Wenn er ehrlich ist, dauerte diese Zeit praktisch von er: «Liebe Leute, heute gibt es gleich dreifachen Grund Anfang bis Ende seines Studiums. Doch jetzt hat er den zum Feiern! Nicht nur Rebekka und Beat sind mit ihMaster in der Tasche, wird aus der WG ausziehen, sei- rem Studium fertig, sondern auch ich. Ich habe nicht ne Habseligkeiten einlagern und sich auf eine Weltrei- die geringste Lust, mein Studium fortzusetzen!» Unter se mit unbestimmter Dauer begeben. dem tosenden Applaus der nicht mehr ganz nüchterAuch Rebekka hat ihr Studium abgeschlossen und nen Menge öffnet er seinen Sack, entnimmt ihm einen wird nun eine Praktikumsstelle Ordner und schreit «Nie mehr als Betriebspsychologin in MünStatistik!» und wirft ihn ins Feuchen antreten. John tut den beier. Dann hält er ein blaues Skript den ein wenig leid. Einerseits, in die Höhe: «Nie mehr nervtöweil sie beide aus der WG austende Musikethnologie-Seminaziehen werden, andererseits, re!» Nach und nach wirft John die weil er als Einziger noch weigesamten Unterlagen seines Stuterstudieren muss. Doch John diums ins Feuer. Jeder Wurf wird trägt es mit Fassung und hat sich von einem lauten «Olé» der aufentschlossen, die gemeinsame geputschten Menge begleitet. Wohnung aufzugeben: «NatürAuch als John nichts mehr zum lich könnte ich zwei neue WGVerbrennen hat, bleibt er auf Mitglieder suchen, aber ohne dem Stuhl stehen. Jetzt muss er alles rauslassen, was sich angeeuch wäre es nie mehr dasselbe. staut hat: «Nie mehr etwas UnLasst uns die WG auflösen – mit sinniges auswendig lernen, das einer würdigen ‹Ustrinkete›.» dich einen Scheiss interessiert! Zur «Ustrinkete» kommen Alle 50 bisher erschienen Nie mehr an ECTS-Punkte denviel mehr Leute als erwartet. Bald Kurzgeschichten ken müssen! Nie mehr Mensaist die Wohnung völlig übergibt es nun gesAMMelt füllt und so feiern ein paar LeuFrass! Nie mehr Uni!» in eineM buch! Es wird eine lange Nacht. Imte auf dem Vorplatz des Hauses. Um sich warm zu halten, zünmer wieder skandieren einzelne sichere dir jetzt dein den sie dort ein grosses Feuer an Gruppen oder alle zusammen: exeMplAr für nur 19.90 fr.* – die perfekte Scheiterbeige von «Nie mehr Uni! Nie mehr Uni! bequeM per internet: Nachbar Knörri existiert schon Nie mehr Uni!» www.studiversum.ch/3er-Wg bald nicht mehr. Schliesslich Als die letzten Teilnehmer *plus Porto und Verpackung der «Ustrinkete» gehen, sendet verlagert sich das ganze Fest auf die Sonne bereits ihre ersten den Vorplatz und die Strasse, es hat eine Eigendynamik angenommen, die nicht mehr Strahlen auf Beat, Rebekka und John. Rebekka fragt zu kontrollieren ist. Immer mehr Leute strömen her- John, was er nun für Pläne habe. John sagt: «Keine Ahbei, bringen Bier, Wodka und Whisky mit, denn das, nung. Vielleicht werde ich bei der Müllabfuhr arbeiten was es auszutrinken gab, ist längstens ausgetrunken. oder ich eröffne eine Strandbar. Das Einzige, was ich Beat und Rebekka versuchen gerade den aufgebrachten weiss: Ich will nicht mehr studieren – ich will leben! Nie Knörri davon abzuhalten, die Polizei zu rufen, als sie mehr Uni!» «Nie mehr Uni!», rufen alle drei gemeinsam. plötzlich John sehen, der mit einer riesigen Tasche in
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WIE ANNO DAZUMAL
Alltagstipp Eisfüsse Die Vorlesung hatte schon angefangen, als Carolin die Tür des Hörsaales aufstiess, mit schmerzverzerrtem Gesicht eintrat und umständlich die Treppe zum letzten freien Platz hochhumpelte. Mit einem Seufzer liess sie sich neben mir auf den Stuhl fallen. «Was ist denn mit dir los? Hast du dich verletzt?», flüsterte ich. «Ach Horst», antwortete sie, «ich leide unter schrecklichen Eisfüssen. Meine Beine fühlen sich an wie abgestorben.» Ich dachte kurz nach. Dann kritzelte ich folgende Zeilen auf ein Blatt und schob es ihr zu: «Meine Liebe, Eisfüsse sind unangenehm, aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Man kann Einiges dagegen tun. Das A und O sind natürlich warme Schuhe. Aber Obacht: Entgegen der landläufigen Meinung sind zu enge Schuhe nicht gut. Ein Eisfuss braucht genügend Platz und Luft, um Wärme zu speichern. Auch sind Schuhe aus atmungsaktivem Material billigen Turnschuhen vorzuziehen. Ich selbst schwöre noch immer auf die guten alten Lederschuhe mit dicker Sohle. Sodann empfehle ich allen Eisfüsslern regelmässige Fussbäder. Ein Eimer heisses Wasser, eine Handvoll Rosmarin und fünf Esslöffel Salz ist alles, was man dazu braucht. Das Wasser mit dem Salz und Rosmarin anreichern und hinein mit den Füssen. Nach dem Bad sorgen flauschige, möglichst warme Wollsocken für anhaltende Wärme. Auch ein Vollbad schafft – mit den richtigen Zusätzen – Abhilfe gegen kalte Füsse. Ich empfehle Heublumen aus der Apotheke. Hartgesottenen sei schliesslich das Schneetreten empfohlen: Morgens nach dem Aufstehen mit den nackten, noch warmen Füssen raus in den Schnee – das regt den Kreislauf an und sorgt für eine gute Durchblutung. Und wie so oft gilt auch hier: viel trinken, auch das unterstützt den Blutfluss.» Carolin nahm den Zettel, las ihn aufmerksam durch, begann zu lächeln, strahlte, beugte sich zu mir rüber und drückte mir einen dicken Kuss auf meine bärtige Wange. «Danke, Horst», hauchte sie zärtlich. «Du bist der Beste.»
Horst
Horst, 75, zweifacher Vater, ist allzeit bereit: Ob im Haushalt oder in der Garage, beim Einkaufen oder an der Uni, Horst hilft! Als Hörer besucht er regelmässig Vorlesungen und weiss daher bestens Bescheid, was den Jungen von heute unter den Nägeln brennt. Seine Tipps sind längst schon keine Geheimtipps mehr. Deshalb: Horst ausschneiden, an den Kühlschrank oder die Pinnwand heften, dann kann nichts mehr schiefgehen!
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