STUDI VERSUM NUMMER 45 | 2012.05
ROGER KÖPPEL IM INTERVIEW ÜBER DIE WELTWOCHE 12 ERASMUS-GELDER IM KONFLIKT 28
Abseits
Badminton-Schläger
Sonnenbrille Après-Soleil Sonnencrème
Anzündwürfel
Badminton-Shuttles Strandball
Grillzange
AUCH BEREIT FÜR DEN SOMMER?
Badehose
Flip-flops
FALLS NICHT: AUF SEMESTRA.CH/SOMMER WERDEN PÄSSE FÜR DIE BELIEBTESTEN OPENAIRS UND TICKETS FÜR ALLE ORANGE CINEMA-VORSTELLUNGEN VERLOST! ZUDEM FINDET IHR LECKERE UND AUFS STUDENTENBUDGET ZUGESCHNITTENE SOMMERREZEPTE! DAMIT IHR DIE HEISSE SAISON IN VOLLEN ZÜGEN GENIESSEN KÖNNT.
EDITORIAL | INHALT
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Liebe Leserinnen und Leser,
Letztens musste ich ein schreckliches Massaker beobachten. Nicht das im neusten Comic von Gregor auf Seite 19, aber eines in der Seebahnstrasse in Zürich-Wiedikon: Überall liegen sie – die geschändeten Panini-Bilder. Zerstreut, verdreckt, verloren auf dem Trottoir. Ihre Anordnung verrät mir, dass sie ursprünglich in einer logisch strukturierten Reihenfolge gebündelt waren. So liegen die Niederländer beieinander und auch die Kroaten und Griechen. Vielleicht will mir diese Abfolge etwas sagen? Auf dem ersten Bildchen, das ich aufhebe, starrt mir Ibrahimovic entgegen. Mögliche Bedeutung: Er wird Torschützenkönig der EM? Ich folge der Spur. Als Nächstes liegen da Robben, Mertesacker, Lahm – ich fühle mich langsam wie Gretel auf dem Heimweg. Dann hört die Spur plötzlich auf. Die Portugiesen bilden das Schlusslicht. Gewinnen sie die EM? Wohl eher nicht. Mit diesem Gedanken überlasse ich die Paninis ihrem Schicksal. Ins Abseits statt ins Panini-Heft. Passend zur kommenden EM ist diese Ausgabe sehr fussballlastig. Viel Spass! Pfeifende Studis – Claudia Piwecki hat sich mit zwei Studenten unterhalten, die nebst dem Vorlesungssaal als Schiedsrichter arbeiten. Die Weltwoche polarisiert, thematisiert und schockiert gerne. Liegt die Weltwoche im Abseits der Medienlandschaft? Roger Köppel weiss sich zu helfen. Im Interview findet er sogar eine Gemeinsamkeit zwischen Woody Allen und Christoph Blocher. Dominic Illi führte dieses Gespräch. Einer wie keiner – die HSG, dazu gehört Smoking und Hemd, oder nicht? Doch einer sticht heraus. Ein Punk. Julia Krättli hat sich den für ein Porträt geschnappt. Frauenfussball – ein Sport, der mehr Aufmerksamkeit verdient. Wie sieht es aus mit der Popularität des Frauenfussballs in der Schweiz? Dem bin ich nachgegangen und habe bei den FCZ Frauen und dem Schweizer Fussballverband angeklopft. Nach 14 Ausgaben stelle ich mich mit dieser selbst ins «Abseits»: Ich gebe das Ruder ab und Redaktor Filip Dingerkus übernimmt. Ich wünsche ihm alles Gute! Merci ans Campus-Lab-Team und die ganze Redaktion. Ich danke zudem Patrick Mollet und Sarah Huber, die mir grosses Vertrauen geschenkt haben. Ich hatte eine schöne Zeit, die ich um nichts hätte missen wollen. Zum letzten Mal,
Eure Raffaela Angstmann 3 STUDIVERSUM | 2012.05
04 LIEBLINGSDING WARUM ICH MEINE PUSTEFIX-DOSE LIEBE 05 UMFRAGE WER GEWINNT DIE FUSSBALL-EM? 07 AUS DEM LEBEN KÜSSCHEN KÜSSCHEN 08 DAS UNIKAT SEI DER LINIENRICHTER! 09 WISSENSCHAFT LATEX UND CO. 10 ATELIER ALLTAGSLEBEN IM ALL
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Gegen den Strom 16
Unvergleichlich 20
Anders unter Gleichen 24
«Jäger der Wahrheit» 28 UNIPOLITIK MEHR KP ALS GELD 30 REPORTAGE NI HAO RUI SHI 32 UNTERHALTUNG IMPRESSUM, DENKSPIEL 33 EXTREM S7 + ICE X SBB = ACTION? 34 WIE ANNO DAZUMAL HAARIGE ANGELEGENHEITEN
LIEBLINGSDING
WARUM ICH MEINE PUSTEFIX-DOSE LIEBE
Duygu Dede, 22, studiert Französische Übersetzung an der Marmara Universität in Istanbul «Dieses Ding ist für mich kostbar. Mit meiner Kindheitsfreundin Burcu habe ich stundenlang damit gespielt. Da wir beide mit unseren Familien in eine andere Stadt gezogen sind, haben wir uns fünf Jahre lang nicht gesehen. Als wir uns dann das erste Mal wiedergesehen haben in Istanbul, wo wir jetzt beide studieren, hat sie mir dieses Spiel als Geschenk mitgebracht.»
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UMFRAGE
WER GEWINNT DIE FUSSBALL-EM? Am 8. Juni geht es los. Spanien, Deutschland, Niederlande – Welcher der Favoriten soll’s sein? Oder doch Frankreich, England oder Italien? Wir haben bei Studierenden an der Marmara Universität in Istanbul nachgefragt, für welches Nationalteam sie mitfiebern werden. Text und Bilder Selin Bourquin Franka Putziger, 22, studiert BWL (Austauschstudentin aus Deutschland) «Man muss ja Deutschland sagen als Deutsche! (lacht) Ich hoffe Deutschland gewinnt, dann haben wir etwas zu feiern! Ich denke, unser Team hat Potential zu gewinnen, ausser Spanien steht uns wieder im Weg!» Duygu Deze, 22, studiert Französische Übersetzung «Ich wusste nicht, dass die EM dieses Jahr stattfindet, und interessiere mich auch nicht für Fussball, aber ich denke, Spanien wird gewinnen, weil sie guten Fussball spielen und erfolgreich sind.» Nilüfer Üstüner, 21, studiert Grafikdesign «Keine Ahnung.» Madelen Deniz, 27, studiert Flächendesign (Austauschstudentin aus Deutschland) «Frankreich. Weil sie an der letzten WM guten Fussball gespielt haben.» Samuel Burkhard, 27, studiert Design (Austauschstudent aus Deutschland) «Keiner wird gewinnen oder alle gewinnen zusammen! Und es kommt sehr wahrscheinlich auch darauf an, wie schief der Fussballrasen ist. Wer auf der Anhöhe liegt, wird gewinnen!» Murat Aluclu, 21, studiert Radio und Fernsehen «Spanien wird gewinnen, wegen ihres starken Sturms!» Alex Yair von Pentz, 26, studiert freie Kunst (Austauschstudent aus Italien) «Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Ich schaue mir zwar gerne Spiele an, weiss aber nicht, wie es zurzeit um den europäischen Fussball so steht. Bestimmt wird nicht Italien gewinnen, vielleicht Deutschland, ich sage jetzt mal Türkei, weil ihre Fans so fröhlich sind. Ah, die Türkei ist gar nicht dabei?! Dann sage ich Portugal, ich mag die Portugiesen und sie haben gute Verteidiger in ihrer Mannschaft.» Marco Valdés Diaz, 27, studiert Grafik (Austauschstudent aus Spanien) «Spanien wird gewinnen, weil wir die besten sind! Ich hab zwar keine Ahnung von Fussball, aber Madrid und Barcelona haben die besten Spieler!» Oscar Eaton, 23, studiert Kunst (Austauschstudent aus England) «Spanien, weil sie ein tolles Team haben. Die werden bestimmt gewinnen, ausser es gibt einen Zwischenfall. Na ja, vielleicht auch Holland…»
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AUS DEM LEBEN
AB INS GETÜMMEL Musikgenuss unter freiem Himmel? Auf jeden Fall! Nur an welches Openair soll man gehen bei dem breiten und abwechslungsreichen Angebot? Text Filip Dingerkus
Die Schweiz ist in vielerlei Hinsicht Rekordhalterin: Sie bietet ihren Einwohnern hohe Lebensqualität und eine immense Angebotsvielfalt. Auf die Fläche verteilt, besitzt sie nicht nur die meisten öffentlichen Einrichtungen, wie Krankenhäuser oder Schulen, sondern setzt auch im Freizeitbereich Massstäbe. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Zürich hätte die grösste Clubdichte Europas. Bewiesen ist dies zwar nicht; dass die Schweiz auf ihrem Territorium aber die meisten Festivals unterbringt, ist hingegen kein Marketingmythos, sondern eine Tatsache. Nirgendwo ist die Fülle an Openairs so gross wie im kleinen Alpenland. Weit über 200 Musikfestivals finden hier in den Sommermonaten statt. Davon sind etwa 20 Stück auch über die Landesgrenzen bekannt. Alle nur erdenklichen Stilrichtungen sind an den unterschiedlichen Veranstaltungen vertreten: Von Rock, Pop, Jazz, Electro, Alternative, Hip-Hop, Blues, Country, «Ländler» oder Klassik ist alles dabei. Und dank dieser bemerkenswerten Auswahl kann jeder etwas für sich finden. Die Programme der grossen Festivals werden standesgemäss von prominenten Darbietungen gesäumt: Zum Beispiel ist einer der laut angepriesenen Höhepunkte am «Moon and Stars» der Auftritt von Lenny Kravitz. Beim «Gurten» wurde als lange unangekündigter Überraschungsheadliner vor kurzem Lenny Kravitz vorgestellt und das «Paleo» rühmt sich in ihrem Pressematerial damit, dass einer der Rockgötter exklusiv an ihrem Openair vertreten ist, nämlich Lenny Kravitz. Aber es gibt auch kleine Veranstaltungen wie zum Beispiel das «Stimmen» in Lörrach (an der Grenze zu Basel). Dort treten weniger bekannte Musiker auf, die aber den Superstars qualitativ allemal das Wasser reichen können. Am 22. Juli hat dort der Geheimtipp Lenny Kravitz ein Stelldichein mit seinen hoffentlich zahlreich erscheinenden Fans – beispielsweise denjenigen, die es im Vorfeld versäumt haben, eines der seltenen Konzerte des USMusikers live zu erleben. Für welches Festival man sich in diesem Sommer entscheidet, spielt so gesehen gar keine Rolle, denn sie sind alle auf ihre Art und Weise einmalig und bieten einzigartigen Künstler eine Plattform zur Selbstinszenierung.
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WAS BEDEUTET DAS HIGHLIGHT VON HEUTE FÜR DAS MORGEN? Ich war müde, der Tag mühsam. Gegen Abend hatte ich eine Blitzidee: Ich brauche einen Highlighter! Dann dachte ich über die Konsumgesellschaft nach. Text Myriam Schuler
Nach der Arbeit begab ich mich schnurstracks zu Body Shop. Dort sass ich ruck, zuck auf dem Schminkstuhl und liess mich nicht nur mit dem gewünschten Highlighter – nein – auch mit Rouge bepudern. Später spazierte ich aus dem Laden, mit einem Highlighter, einem Rouge, einem Make-up Pinsel und einem Lächeln im Gesicht. Ich habe mich glücklich gekauft. Sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? Menschen tun das ständig. Wir wollen neue Kleider, eine Reise, eine Kaffeemaschine, ein MacBook. Die Liste lässt sich beliebig lange fortsetzen. Ich denke, das ist ein grosses Dilemma unserer Generation. Wir haben so viele Möglichkeiten. Modehausketten, die ständig neue Kollektionen produzieren und zu niedrigen Preisen anbieten. Hunderte von Kosmetikmarken, die Produkte mit fragwürdigen Namen erfinden. Fluggesellschaften, die Flüge zu Spottpreisen anbieten. Nahrungsmittel in Massen. Das alles hat viele positive Seiten, ich profitiere selber davon. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass Menschen, Tiere und die Natur unter der Last der Gütermasse leiden. Menschen arbeiten unter schlechten Bedingungen, Tiere werden respektlos wie Ware behandelt und die Natur ausgebeutet. Aber ganz ehrlich: Das ist so weit weg. Wenn wir in der Schweiz shoppen, macht das Spass. Im neuen Kleid fühle ich mich gut, auch wenn Blut und Schweiss indischer Näher daran klebt. Das tönt zynisch, ist aber Realität – nicht nur meine. Doch so weit weg, wie
wir denken, sind Leid und Zerstörung nicht. Alle sind betroffen. Alle brauchen saubere Luft, frisches Wasser und Nahrungsmittel von guter Qualität. Sonst werden wir unglücklich, unzufrieden und krank. Was können wir tun? Ein total fairer Lebensstil ist heute fast unmöglich. Einerseits, weil er teuer ist, andererseits, weil in vielen Bereichen das Angebot fehlt oder kümmerlich ist. Bio-Fairtrade Klamotten finde ich meistens scheusslich. Und erst die Schuhe! Hat jemand schon ein umweltgerechtes Handy gesehen? Eben. Es bleiben die Alltagsdinge, die wir tun können. Wieso nicht Kleider im gut sortierten Second-Hand-Laden kaufen? Die neuen Sachen vom Grossverteiler hat eh schon jede Zweite. Wieso Dinge wegschmeissen, die wir nicht mehr wollen? Verkaufen wir sie im Internet, kriegen wir sogar Geld dafür. Solche Sachen bewegen zwar nicht die Welt, sie machen aber doch einen Unterschied. Viele Firmen haben erkannt, dass Handlungsbedarf besteht. Oft führen sie eine BioLinie. Auch wenn viele dieser Ansätze nur dem Marketing dienen, so sind sie doch Zeichen einer Bewegung. Unsere Generation hat es in der Hand, die Bewegung fortzusetzen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich bin überzeugt, dass wir den luxuriösen Lebensstil beibehalten und gleichzeitig Natur und Menschen stärker respektieren können und müssen. Das Einzige, was wir brauchen, ist den Mut, neue Wege zu beschreiten.
AUS DEM LEBEN
KÜSSCHEN KÜSSCHEN Wer kam eigentlich auf die Idee, dass EIN Küsschen zur Begrüssung reicht? Wer immer es war, hat babelähnliche Verwirrung gestiftet. Text Julia Krättli
Früher war es ganz einfach. Man gab sich drei Küsschen, links, rechts, links und fertig war die Begrüssung. Das funktionierte bei alten Freunden, entfernten Bekannten, der potentiellen Schwiegermutter und auch bei gerade erst kennengelernten Freunden von Freunden. Nie musste dieses Vorgehen thematisiert werden, ausser bei noch nicht akklimatisierten zweimalküssenden Deutschen vielleicht. Aber auch dann: einmal darüber geschmunzelt, es besprochen und später keine Probleme mehr gehabt. Das Dreimalküssen war sogar so einfach, dass nebenher locker noch der Austausch von «Wie geht es dir?» – «Gut, danke, dir?» – «Danke» stattfinden konnte. Inzwischen klingt das anders. Ungefähr so: «Hey, wie geht es dir?» – Küsschen links – «Gut, dan… oh, nur eins…» – unsicheres Innehalten Nase an Nase – «Aähm… ist einfacher» – Abstand einnehmen, Verlegenheit weglächeln. Von wegen einfacher! Wenn es funktionieren würde, ja, dann wäre es einfacher. Aber es funktioniert nicht, denn die Grenzen zwischen Einküsschenund Dreiküsschenfreundeskreis sind unklar. Am Anfang betraf die Ein-Kuss-Idee nur die engsten Freunde. Nur ein Küsschen zu geben, bedeutete «wir haben uns schon so viele Küsschen gegeben, dass inzwischen eines reicht (und ausserdem geht es schneller)». So wurde ein Küsschen witzigerweise intimer als drei. Dann aber kam das Problem: Was tun, wenn die engsten Freunde zusammen mit Bekannten begrüsst werden? Eine Klassifizierung vornehmen? Nein, viel zu unhöflich, alle bekommen nur eines. Das nächste Mal waren die Bekannten ohne die engsten Freunde unterwegs. Was tun? Bekommen sie jetzt wieder drei? Das Ganze ist inzwischen so ausgeartet, dass die Küsschenfrage mit Strategien umschifft wird, welche die Begrüssung noch verwirrender machen, zum Beispiel dadurch, dass das Gegenüber gleich umarmt wird. Also ein Küsschen links geben und dann ran an den Speck, um Küsschen zwei und drei zu verunmöglichen. Eigentlich eine schöne Strategie, aber Achtung! Sie zieht den Ärger einer christlichen HipHop-Crew auf sich. Bei einer Umarmung von vorne würden nämlich sexuelle Trie-
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be geweckt. Wie schlimm dies im Vergleich mit anderen Taten ist, beschreiben sie in einem Lied, dessen Titel auch gleich die Lösung des Ganzen vorwegnimmt: Man gebe sich zur Begrüssung einen «Christian side hug»: sich wie für ein Foto nebeneinander stellen, seitlich mit einem Arm kurz aneinander drücken, fertig. Küsschen ade.
DER FUCHS VOM IRCHEL Spät nachts unterwegs durch Zürich, ganz allein und ein bisschen angetrunken: Da kommt es mitunter zu denkwürdigen Begegnungen. Text Gregor Schenker
Sie waren abends etwas länger zusammengesessen. Powerpoint-Karaoke, Rösti und Bier. Als sich Rolf endlich auf den Heimweg machte, war kein Tram oder Bus mehr zur Hand. Zu Fuss vom Albisriederplatz nach Seebach, eine beachtliche Strecke. Dann also über die Hardbrücke und anschliessend in Richtung Oerlikon. Als er den Bucheggplatz erreichte, fiel ihm das weitgehende Fehlen motorisierten Verkehrs auf. Typisch Zürich, die kleine Möchtegern-City. Da ist man mitten in der Stadt unterwegs, aber sobald die Sonne untergeht, liegt sie da wie ausgestorben. Kein Wunder, dass die Tiere übernehmen. Rolf sah einen Fuchs den Platz überqueren und mitten über die Strasse trippeln. Verdutzt rief er ihm zu: «He, wo willst du denn hin um diese Zeit?» Der Fuchs knurrte verärgert, blieb aber tatsächlich stehen. «Ich will rauf zum Irchel», antwortete er. «Und wieso willst du rauf zum Irchel? Um diese Zeit ist doch keine Uni mehr.» «Ich studiere nicht mehr, ich wohne dort bloss.» «Und wo auf dem Irchel wohnst du?» «Im Weiher.» «Wie bitte? Wieso wohnt ein Fuchs auf dem Irchel im Weiher?» «Ich bin dort bei einer Ente zur Untermiete.» «Ausgerechnet! Wieso wohnt denn ein
Fuchs auf dem Irchel im Weiher bei einer Ente zur Untermiete?» «Es ist halt verdammt schwer, in Zürich eine günstige Wohnung zu finden.» «Ach so, das kenne ich. Mensch, ich weiss noch, wie ich hier zum ersten Mal etwas gesucht habe. Ich bin einen ganzen Monat von Termin zu Termin gerannt! Jedes Mal waren fünfzig andere da. Und die haben viel lieber junge Familien als Studenten.» «So ähnlich ist es mir auch gegangen», erklärte der Fuchs. «Jetzt suche ich übrigens schon wieder etwas», fuhr Rolf fort, «die wollen mich aus der WG raus haben. Die Freundin von meinem Mitbewohner will einziehen.» «Ja, wahnsinnig spannend. Du, ich muss wirklich mal weiter.» «Oh, okay, klar.» Der Fuchs wollte seinen Weg über den menschenleeren Bucheggplatz fortsetzen – und sah sich zwei grellen Schweinwerfern gegenüber. «Pass auf!», brüllte Rolf, doch um den Fuchs war es bereits geschehen. Rolf blieb vor Ort, während die Polizei hinzukam und sich die Gaffer sammelten. Äusserlich wirkte er sehr traurig und bestürzt, aber insgeheim nahm er sich vor, tags darauf am Irchelweiher wegen des leeren Zimmers nachzufragen.
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mehr als ein kluger Kopf. ACAD-WRITE.com 8 STUDIVERSUM | 2012.05
auch Recherche und vereinfachtes Zitieren sind im Programm enthalten. Online steht eine Probeversion gratis zum Download bereit. Ein Blick auf die Homepage der eigenen Uni lohnt sich jedoch, da viele Hochschulen eine Lizenz zur Verfügung stellen und ihre Studierenden so Zugang zur Vollversion haben.
WISSENSCHAFT
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Aufmerksames Programm
EndNote ist ein kommerzielles Literaturverwaltungsprogramm, mit dem sich unterschiedliche Datensätze verwalten lassen. Dank EndNote können beispielsweise unterschiedliche Bibliothekskataloge durchsucht werden und automatische Literaturverzeichnisse erstellt werden. Insbesondere der direkte Zugriff auf eine EndNote-Datenbank aus dem Text heraus ermöglicht ein schnelles, effektives Arbeiten. Citavi hilft ebenfalls bei der Wissensorganisation und der Literaturverwaltung;
LitLink, das Ergebnis der Zusammenarbeit des Zürcher Geschichtsprofessors Prof. Dr. Philipp Sarasin, des Basler Historikers Dr. Peter Haberg und des Filemaker-Spezialisten Nicolaus Busch, bietet eine kostenlose Alternative zu kommerziellen Programmen. LitLink verspricht eine vereinfachte Datenverwaltung, die vor allem Studierenden in Geistes- und Sozialwissenschaften zugutekommt. Eine Fülle von Daten (neben Texten auch Bilder) kann so gesammelt, geordnet und abgerufen werden. Ein Eintrag kann beispielsweise mit verschiedenen Schlagwörtern besetzt werden, die später beim Wiederauffinden und Vernetzen der Informationen helfen. Dabei ist jeder frei darin, wie genau und ausführlich das Programm gefüttert wird. Hier gilt: Früh beginnt, wer ein Meister seines Faches werden will! Je mehr Einträge die Datenbank umfasst, desto weitreichender und daher nützlicher ist sie für den Benutzer später.
Ein Fetisch?
Wer in der Schlussphase des Schreibens an der Formatierung verzweifelt, sollte in Erwägung ziehen, sich mit LaTeX vertraut zu machen. Die Grundidee dieses Programms besteht darin, dass Autoren sich darauf konzentrieren, was sie am besten können: Texte schreiben. Jedoch sollten gewisse Computerkenntnisse vorhanden sein, da die Benutzung von LaTeX anfangs etwas kompliziert ist und man zunächst eine Art «Code» erstellen muss, nach dem der Text dann aufgebaut ist. Dafür kann man sich dadurch aber in Zukunft Scherereien ersparen (Abgabetag, 23:58 Uhr, ein Titel leicht verschoben und plötzlich ist nichts mehr an seinem Platz). Dann hilft nur noch eins – und das ist der beste je persönlich erhaltene Tipp bezüglich schriftlicher Arbeiten: die Uhr des eigenen Computers einfach um eine, zwei Stunden zurückzustellen, da sich das EMailkonto an diese anpasst (Anwendung auf eigene Gefahr!). Text Evelin Meierhofer, Illustration Melanie Imfeld
SURFEN www.citavi.ch www.litlink.ch www.latex-project.org
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ATELIER
ALLTAGSLEBEN IM ALL PROJEKT VON EVA RUST
LUKE SKYWALKER KÄMPFT GEGEN DAS BÖSE, FEUERT TORPEDOS AB UND SCHWINGT SEIN LICHTSCHWERT, ABER WÄSCHE WASCHEN TUT ER NIE. WARUM EIGENTLICH? Nicht nur Luke scheint ein Leben jenseits von alltäglichen Arbeiten wie Putzen, Kochen (isst er überhaupt?) und Abwaschen zu führen. Auch andere Weltraumhelden und -heldinnen machen sich auf diesem Gebiet die Hände nicht schmutzig. Als Sciencefiction-Fan ist das der Illustratorin Eva Rust aufgefallen. Und nicht nur das: Was macht ein Weltraumbewohner zum Beispiel, wenn er nicht gerade in höherer Mission unterwegs ist? Spielt er in seiner Freizeit Mühle mit einem Freund? In ihrer Bilderreihe «Raumschiff Tachyon» zeigt Eva dem Betrachter, wie der Alltag von vier Charakteren im Weltraum aussehen könnte. Gefährliche Zusammenstösse mit Monstern sind zwar auch dabei, aber im Vordergrund stehen sie nicht. Es geht vielmehr um die Zeit der Normalität. Viele Szenen könnten sich jeden Tag wiederholen. So sieht man in einem Bild die dreiäugige, affenähnliche Figur dabei, wie sie ein Buch liest, während der kleine grüne Kollege ein Feierabendbier trinkt und im Hintergrund der Menschenähnliche mit Riesenschnurrbart in der Hängematte liegt und döst. Eine andere Szene zeigt nur den kleinen Grünen, wie er auf Weltraumkristallen sitzend sehnsüchtig in das weite Weltall hinausschaut. Was dazu geführt hat, dass er dies tut, muss sich der Betrachter selbst ausdenken. Auch Namen haben die Figuren nicht. Eine Ausnahme bildet die Wurst: Die vierte Figur heisst inzwischen eigentlich so, wie sie aussieht. Eva kann sich aber gut vorstellen, an dieser Illustrationsreihe weiterzuarbeiten, die sie ursprünglich für das Comicfestival «Fumetto» in Luzern gestaltet hat. Vielleicht wird daraus irgendwann ein Bilderbuch. Text Julia Krättli, Bilder Eva Rust
Es muss nicht immer Panini sein: Im aktuellen, von kreativen Köpfen gestalteten Tschuttiheftli Sammelalbum zur EM 2012 hat Eva Rust das Team Kroatien gemalt. Infos auf www.tschuttiheft.li Die neusten Arbeiten von Eva findet ihr auf ihrem Blog: http://evarust.tumblr.com/
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PUBLIREPORTAGE
HTW Chur Fachbereich Informationswissenschaft
WEGBEREITER DES WISSENS Aus der Datenflut Wissen zu generieren, darin sieht Nathanael Hofer die reizvollste Aufgabe der Informationswissenschaftler. Er selber bringt sein im Studium erworbenes Wissen bei der Credit Suisse ein. «In der Bewerbungsrunde befanden sich neben mir studierte Informatiker und Wirtschaftsinformatiker. Das beweist doch, dass Informationswissenschaftler auch in der IT-Praxis gefragt sind», meint Nathanael Hofer. Der 26-jährige Bündner hat im Sommer das Bachelor-Studium Information Science an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur abgeschlossen und arbeitet nun als Project Management Officer im IT Development Center der Credit Suisse in Chur. In dieser Funktion unterstützt er die Entwicklung von Software für das Credit Risk Management der Bank. Damit übe er keine klassische Aufgabe eines Informationswissenschaftlers aus, meint Hofer.
vatwirtschaft trauen. Diese Stellen werden für Informationswissenschaftler auch in Zukunft wichtig sein, glaubt Hofer. Doch weil in vielen Unternehmen immer grössere Datenmengen anfallen, die professionell aufbereitet werden müssen, werde mittelfristig auch der Bedarf in der Privatwirtschaft an entsprechend ausgebildeten Fachkräften steigen. KONTAKT HTW Chur Hochschule für Technik und Wirtschaft Pulvermühlestrasse 57, 7004 Chur Telefon +41 81 286 24 24 hochschule@htwchur.ch FHO Fachhochschule Ostschweiz
Weil in vielen Unternehmen immer grössere Datenmengen anfallen, werden Informationswissenschaftler zunehmend auch in der Privatindustrie gefragt sein, meint CSMitarbeiter Nathanael Hofer.
Auch Banken brauchen Informationswissenschaftler
Doch was macht denn ein Informationswissenschaftler? «Die Informationswissenschaft befasst sich mit dem optimalen Weg von Daten über Information hin zu Wissen», erläutert Hofer. Entsprechend sei der Informationswissenschaftler ein Wegbereiter, der Rohdaten zu Informationen aufbereite, die der Einzelne dann wiederum als Wissen für seine Entscheidungsfindung nutzen könne. Diese einschlägige informationswissenschaftlichen Kompetenz sei sicher mit ein Grund gewesen für den Zuschlag der Bank.
Viele Türen stehen offen
Wenn es aber die einschlägigen Stellen für Informationswissenschaftler gibt, warum ist dann der Fachbereich so wenig bekannt? Der neue CS-Mitarbeiter glaubt, dass die Qualifikationen von Informationswissenschaftlern in der Privatwirtschaft noch zu wenig bekannt sind. Das hänge auch damit zusammen, dass bisher die meisten Absolventen dieser Studienrichtung in Archiven oder Bibliotheken arbeiteten und sich nur selten in die Pri-
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WAS IST INFORMATION SCIENCE? Information und Wissen sind die wichtigsten Rohstoffe der heutigen Wissensgesellschaft. Der Erfolg von Unternehmen und Organisationen hängt wesentlich ab von der richtigen und rechtzeitigen Nutzung von Information. Diese Betriebe benötigen Führungskräfte, Spezialistinnen und Spezialisten, die den professionellen Umgang mit der stetig wachsenden Datenmenge organisieren und dabei den Menschen und seine Informationsbedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Unsere Absolventinnen und Absolventen arbeiten in weborientierten Unternehmen der Privatwirtschaft und der Verwaltung, aber auch in zukunftsgerichteten Bibliotheken, Archiven, Museen und Dokumentationsstellen. Studium der Informationswissenschaft: www.htwchur.ch/informationswissenschaft WEITERE BACHELOR-STUDIENGÄNGE DER HTW CHUR: - Bau und Gestaltung - Betriebsökonomie - Information Science - Multimedia Production - SystemtechnikNTB - Tourismus
GEGEN DEN STROM ALS JOURNALIST SPIELT ROGER KÖPPEL GERNE DEN SCHIEDSRICHTER UND HAT SCHON VIELE POLITIKER INS ABSEITS GESTELLT. UNS VERRÄT ER, WELCHE ROLLE ER FRÜHER AUF DEM FUSSBALLPLATZ EINGENOMMEN HAT.
StudiVersum: Roger Köppel, Sie stehen als Journalist abseits des politischen Systems. Trotzdem möchten Sie oft selber mitmischen. Wieso schiessen Sie Ihre Pfeile aus Zürich Richtung Hauptstadt und ziehen nicht mit dem Schwert nach Bern? Roger Köppel: Ich stehe nicht abseits, sondern bin voll und ganz Journalist. Meine Aufgabe besteht darin, in wichtigen Fragen die Meinungsvielfalt zu gewährleisten, Gegensteuer zu geben und Missstände in der Politik aufzudecken. Das könnten Sie auch als Parlamentarier. Ja, aber als Journalist bin ich parteiunabhängig – jedoch nicht neutral. Ich würde mich als bürgerlich-liberal bezeichnen. Hätten Sie als Politiker Mühe, sich ins Konkordanzsystem zu integrieren und gemeinsam gefasste Entschlüsse mitzutragen? Nein, aber darüber denke ich gar nicht nach. Konkordanz besagt lediglich, dass die wesentlichen Kräfte in die Regierung eingebunden sein müssen. Konkordanz heisst nicht, dass sich jemand verbeugen oder seine Meinung ändern muss. Als Journalist beobachte und kritisiere ich den Staat, ohne von ihm abhängig zu sein – anders als die Parteien, deren Parlamentarier zu einem wachsenden Anteil vom Staat bezahlt werden.
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Sie fanden es stossend, dass die Minarett-Initiative nachträglich auf dem völkerrechtlichen Weg ausgehebelt werden sollte. Halten Sie jeden Volksentscheid für letztinstanzlich? Das Volk hat nicht immer Recht, aber Mehrheitsentscheide sind zu akzeptieren. Demokratie hat eben die Eigenschaft, dass nicht immer alle einverstanden sind. Bei der Minarett-Initiative entschuldigte sich der Bundesrat im Ausland, ausserdem zweifelte er – im Nachhinein – die Rechtmässigkeit der Initiative an. Das waren Versuche, sich über einen legitimen Volksentscheid hinwegzusetzen, was ich als Verfechter der direkten Demokratie in der Zeitung kritisierte. Sehen Sie das bei der Zweitwohnungsinitiative auch so? Genau, obwohl ich der Initiative eher kritisch gegenüberstehe. Aber auch bei deren Umsetzung soll man nicht «herumeiern». Wir haben in der Schweiz Tendenzen, die Macht des Staates und seiner Organe auf Kosten der Bürger auszudehnen, die Volksrechte einzuschränken. Dies kritisch aufzuarbeiten, ist eine wichtige journalistische Aufgabe. Aktuell sprechen Sie vom «Geist der Selbstdemontage», der vom politischen Linksrutsch der letzten Wahlen ausgeht. Wie kann sich die Schweiz mit einer demokratischen Wahl selbst abschaffen? Abgeschafft werden die wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren unseres Landes. Die Energiepolitik ist eine Sackgasse, wir steigen geradezu aus der Energie aus. Der Finanzplatz wird laufend geschwächt, der Bundesrat weicht scheibchenweise unsere Rechtsordnung auf. Die Schweiz kippt wieder Richtung Etatismus und verabschiedet sich von ihrem erfolgreichen auf Freiheit und Eigenverantwortung basierenden Konzept.
Seit den Parlamentswahlen 2011 ist bei der SVP der Wurm drin. Hat das etwas mit dieser Selbstdemontage zu tun – oder will sich die Schweiz von der übermächtigen Aussenseiterpartei befreien? Das zweite trifft zu. Der Niedergang oder die relative Schwäche der SVP hängt damit zusammen, dass die Partei gegen 30 Prozent Stimmanteil marschierte. Das war nur möglich, weil einer einzigen Partei wichtige Themen exklusiv überlassen wurden. Die SVP hat als erste Partei einen Kontrapunkt gegen den Zeitgeist der 90er-Jahre gesetzt, der bestimmt war durch steigende Staatsausgaben und die Öffnung nach aussen im Sinne der institutionellen Verschmelzung der Schweiz mit anderen Organisationen. Das hat der SVP Erfolg gebracht, aber sie ist auch verteufelt und ausgegrenzt worden. Was ist heute anders? Schweizer mögen nicht, wenn eine Partei zu gross und zu mächtig wird. Letzteres geschieht eigentlich nur im Notfall, wenn wichtige Anliegen in Bundesbern nicht richtig vertreten werden. Mittlerweile sieht man, dass andere Parteien die Themen und Methoden der SVP kopieren, vielleicht nur oberflächlich, aber die SVP ist wohl auch Opfer ihres eigenen Erfolgs. Man muss heute nicht mehr ausschliesslich SVP wählen, um SVP-Anliegen nach vorne zu bringen. Wenn andere Parteien das rechtsbürgerliche Gedankengut aufnehmen, spricht das aber gegen einen Linksrutsch. Ich spreche ja auch von einer gewissen Oberflächlichkeit. Die Situation in Bern ist verwirrt. Faktisch sind etatistische Anliegen auf dem Vormarsch, die Verpackung allerdings hat sich verändert. Heute wirbt auch die SP mit einem Bild von Schweizer Bauern für sich.
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«Auch ein Zahnarzt muss Wurzelbehandlungen machen, die er nicht angenehm findet»
Die SVP hat sich wiederholt als Oppositionspartei bezeichnet. Imponiert Ihnen dieses Statement? Ich finde es gut, dass unser System dies erlaubt und nicht jeder Parlamentarier zum sklavischen Staatsdiener mutiert. Es ist falsch, wenn die Kritik gegen bestimmte Institutionen sofort als Angriff gegen die Schweiz gewertet wird. Unser System lebt davon, dass der rebellische Oppositionsgeist auch in den Parlamenten wirkt oder zumindest wirken sollte. Christoph Blocher wird zunehmend mit Kritik aus den eigenen Reihen konfrontiert. Werden Sich Ihre Leser abwenden, wenn Sie Ihn auch auf dem politischen Niedergang unterstützen? Ich sehe Blocher nicht auf dem politischen Niedergang. Ohne ihn wäre die Schweiz vermutlich in der EU, ausserdem erkannte er früher als andere die Fehlentwicklungen in der Schweizer Politik. Dafür sollten ihm auch seine Kritiker eigentlich dankbar sein. Den SVPlern, die Blocher zu dominant finden, empfehle ich, Blocher durch bessere Leistungen überflüssig zu machen. Er selber wird sicher so lange politisieren, wie er kann. Das ist auch in Ordnung. Woody Allen dreht mit 77 noch jedes Jahr einen Film. Ihm nimmt man die Kamera auch nicht weg. Sie bezeichnen die Schweizer Journalisten gerne als zu konformistisch und sehen sich als Einzelkämpfer gegen den linken Mainstream-Journalismus. Handelt es sich um ein typisch Schweizerisches Phänomen? Nein, die meisten Menschen ziehen Konformismus und Harmonie der Auseinandersetzung vor. Aber als Journalist haben Sie eben eine andere Aufgabe: Sie müssen Missstände aufdecken, Fehlentwicklungen erkennen, den Mächtigen im Staat auf die Finger schauen, den Meinungskonsens, wo möglich, in Frage stellen. Meinungsvielfalt ist lebenswichtig für Demokratien. Journalismus, wie ich ihn verstehe, ist unbequem, aber er orientiert sich am Wohl der Schweiz. Wer Probleme aufdeckt, trägt zu ihrer Lösung bei.
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«Die Schweizer sind Weltmeister der vordergründigen Harmonie»
Setzt die Konkordanz nicht auch gemässigte Medien voraus? Sagen wir es so: Die Demokratie braucht kritische, problemorientierte, auf Fakten abzielende Medien. Wie gemässigt oder provokativ sie auftreten, hängt vom Thema ab. Wir Schweizer sind Weltmeister der vordergründigen Harmonie. Weil das Land klein ist, vermeiden wir nach Möglichkeit die offene, direkte Auseinandersetzung. Das ist eine Stärke, aber auch eine Schwäche. In der Konkordanzharmonie werden Missstände unter den Teppich gekehrt, abweichende Meinungen gerne weggedrückt. Dann kann es passieren, dass man bestimmte politische Ideen – etwa die Personenfreizügigkeit – zu wenig kontrovers diskutiert und dann von negativen Folgen überrascht wird. Nichts gegen Konsens, aber gute Entscheidungen kommen erst nach einer intensiven Auseinandersetzung zustande. Wo diese fehlt, muss die «Weltwoche» eingreifen. Oft greifen Sie radikal ein: Im April haben Sie auf dem Cover die Roma verunglimpft. Wir verunglimpfen nicht, wir decken Missstände auf. Lesen Sie den Artikel. Hier werden mit fundierten Recherchen präzis der Kriminaltourismus von Roma-Clans in die Schweiz und der Missbrauch von Kindern zu verbrecherischen Zwecken beschrieben. Genau. Im Text werden die Kinder als Opfer dargestellt, aber auf dem Cover zielt ein Kind mit der Pistole auf den Leser. Wir haben ein eindringliches, dokumentarisches Symbolbild gewählt, das die Verbindung von Kindern, Kriminalität und Verwahrlosung zum Ausdruck bringt. Das ist journalistisch präzis und eine wichtige Botschaft des Artikels. Es werden nicht die Kinder kritisiert, denn minderjährige Kinder sind naturgemäss immer Opfer, nicht Täter. Verantwortlich sind die Eltern. Es geht um die Art und Weise. Sie sprechen von «Zigeunern» und «Blitzkriegern». Der Sprachgebrauch des Artikels und die Art und Weise der Recherche sind tadel-
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los. Die herrschenden Verhältnisse werden sehr genau und differenziert beschrieben. Sie scheuen sich nicht, andere Menschen vor den Kopf zu stossen. Wenn das sachliche Anliegen relevant ist, wenn Sie ein wichtiges Problem ansprechen, werden Sie immer Leute vor den Kopf stossen. Die Irritation ist nicht das Ziel, aber die Folge einer brisanten Recherche. Das müssen Sie aushalten. Und hinstehen. Das bringt die Aufgabe mit sich. Haben Sie privat einen dicken Schädel? Ich bin so empfindlich wie andere auch, aber wenn Sie mit fundierten Recherchen echte Missstände enthüllen, dann können Sie nicht falsch liegen. Wer den Finger auf wunde Punkte legt, muss sich nicht wundern, wenn es weh tut. Auch ein Zahnarzt muss Wurzelbehandlungen machen, die er nicht angenehm findet. Er macht es trotzdem, damit es dem Patienten besser geht. Ich betreibe Journalismus, um mitzuhelfen, dass die Schweiz ein liberales, wettbewerbsfähiges Land mit einem soliden Wohlstand bleibt. Bruno Zuppiger und Philipp Hildebrand sind im politischen Abseits gelandet, nachdem sie von der «Weltwoche» zurückgepfiffen wurden. Wären Sie auch auf dem Fussballplatz ein guter Schiedsrichter?
Nein, auf dem Sportplatz war ich nie gern derjenige, der immer dazwischen geht. Ich habe gerne als Spielmacher im Mittelfeld gespielt oder als Libero von hinten das Spiel aufgebaut – und ab und zu ein Tor geschossen. Sie haben bereits selber «Weltwoche»-Exemplare an der Uni Zürich verteilt. Sind wir Studierenden überhaupt Ihre Zielgruppe? Auf jeden Fall. Die «Weltwoche» ist die unbequeme Stimme der Vernunft, sie bedient geradezu idealtypisch die akademische Forschertugend der Skepsis. Sie stellt allgemein geglaubte Gewissheiten in Frage und versucht, den Dingen aus überraschender Perspektive auf den Grund zu gehen. Der typische Phil-I-Student ist zwar eher links, aber der rebellische kritische Geist der «Weltwoche» sollte ihn ansprechen. Hand aufs Herz: Hätten sie damals als Student ihre heutige Zeitung gelesen? Aber sicher, ich habe die «Weltwoche» ja gelesen… …die damals noch eine andere Ausrichtung hatte. Die «Weltwoche» hat schon damals polarisiert, ist aus der Reihe getanzt und war gut geschrieben. Text Dominic Illi, Bild Gregor Brändli
ROGER KÖPPEL Roger Köppel ist seit 2006 Verleger und Chefredaktor der «Weltwoche». Zuvor war er unter anderem in der Chefredaktion des «Tages-Anzeigers», des «Magazins» und der deutschen Zeitung «Die Welt» tätig. Roger Köppel hat in Zürich studiert und 1995 das Lizentiat in Politischer Philosophie und Wirtschaftsgeschichte erlangt.
UNVERGLEICHLICH AUFMERKSAMKEIT IST NICHT LEICHT ZU HABEN UND WURDE IN DEN LETZTEN JAHREN MIT DER ZUNEHMENDEN SCHNELLLEBIGKEIT DER MEDIEN IMMER FLÜCHTIGER. DER SCHWEIZER FRAUENFUSSBALL TUT SICH DAMIT SCHWER: ER IST MEDIAL UNTERREPRÄSENTIERT UND FINANZIELL ABHÄNGIG. WARUM ES DIE FRAUEN VERDIENEN, POPULÄRER ZU SEIN.
Aufgeweckt, professionell und engagiert – Marion Daube, die Geschäftsführerin der FCZ Frauen, muss das sein. Alles läuft bei ihr zusammen: Medienarbeit, Marketing und Organisation. Die FCZ Frauen sind in der NLA auf Meisterkurs und bis zum Erscheinen dieses Heftes wird sich herausstellen, ob sie auch Cupsiegerinnen werden. Geht dieser Erfolg Hand in Hand mit der Professionalität des Vereins? 100-Prozent-Stellen wie die von Marion gibt es im Frauenfussball wenige bis gar keine. Gemäss Sonia Testaguzza, Chefin des Ressorts Mädchen- und Frauenfussball beim Schweizerischen Fussballverband (SFV), gibt es beim Verband selber vier solche Stellen. Für die meisten ist dies jedoch ein ehrenamtlicher Job, was allerdings deutlich macht, dass viele diesen Einsatz nur als Nebenbeschäftigung leisten können. Gäbe es mehr finanzielle Unterstützung, dann könnte man auch mehr Mittel aufwenden für die Ausbildung der Trainerinnen. Gerade der Wechsel der Nationaltrainerin zeigt es: Nach dem Rücktritt von Bea von Siebenthal kam als Nachfolge eine sehr erfolg-
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reiche ehemalige deutsche Nationalspielerin, Martina Voss-Tecklenburg. In der Schweiz mangelt es an gut ausgebildeten Trainerinnen mit A-Diplom.
Zu alt
Die FCZ Frauen, ehemals SV Seebach, sind sehr aktiv: «Wir gehen in die Schulen und besuchen den Turnunterricht. Dort machen wir Übungen mit den Kindern und beantworten Fragen», so Marion zum Engagement ihrer Spielerinnen. «Wir wollen Emotionen rüberbringen. Die Mädchen fangen viel zu spät an, Fussball zu spielen.» Bei den C-Juniorinnen sind sie meist bereits zwölf Jahre alt. Trotzdem ist Fussball bei den Mädchen in der Schweiz die beliebteste Teamsportart. Gemäss Webseite des SFV sind derzeit 20'000 Mädchen und Frauen aktiv, Tendenz steigend. Daher ist es verwunderlich, dass viele Profispielerinnen, selbst solche auf dem internationalen Parkett, nicht zu 100 Prozent davon leben können. In der Schweiz sind alle Amateurinnen. Würden die Perspektiven anders aussehen, hätte es sich die 20-jährige Dominique Schück nochmals überlegt, eine Profikarriere anzustreben.
Real Madrid und FCZ
Dominique spielt beim FC Volketswil in der Zweitliga. Sie ist Verteidigerin. Diese stellt man sich normalerweise robust vor, Dominique hingegen ist schlank und sportlich gebaut. Könnte man in der Schweiz als Profi vom Fussball leben, dann würde sie das sofort tun. Ihr Herz schlägt für das schwarzweisse Leder. In ihrer Freizeit trainiert sie ein Kinderfussballteam in Wallisellen, wo sie selbst aufgewachsen ist. Beruflich will sie sich ebenfalls mit Kindern beschäftigen: Dominique ist angehende Studentin der Pädagogischen Hochschule und will Primar-
lehrerin werden. Bevor sie nach Volketswil wechselte, spielte sie für die U21 der FCZ Frauen. «Das waren mir einfach zu viele Trainings», erklärt Dominique ihren Entscheid dort aufzuhören, «aber es fehlt mir manchmal schon.» Ihre Lieblingsspielerin ist Ramona Bachmann. Die Schweizer Stürmerin ist gleich alt wie Dominique und spielt beim schwedischen Meister Malmö. Wenn man eine derart starke Fussballerin ist und davon leben möchte, dann muss man ins Ausland wechseln. Das sind aber Einzelfälle. Gerade den Zusammenhalt schätzt Dominique im Frauenfussball und fragt sich natürlich, ob das genauso aussehen würde, wenn Frauenfussball mehr Möglichkeiten bieten würde, wie es bei den Männern der Fall ist. Beim Männerfussball ist sie übrigens FCZ- und Real-Madrid-Fan, schon seit sie klein ist.
Mit den Männern, nicht gegen sie
«Beim Cuphalbfinale der Frauen schauten 850 Zuschauer zu», erläutert Marion. Dies
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Man vergleicht auch keine Schwimmerinnen mit Schwimmern oder Roger Federer mit Maria Scharapowa. sei vergleichbar mit der Zweitliga, je nach Team auch mit der Erstliga, der Männer. Ein Vergleich des Frauen- mit dem Männerfussball ist jedoch unangebracht, sind sich Marion und Dominique einig. Man vergleicht auch keine Schwimmerinnen mit Schwimmern oder Roger Federer mit Maria Scharapowa. Folglich auch nicht Birgit Prinz mit Mario Gomez. Es ist nicht dasselbe – körperlich und technisch. Die geringere Anzahl Zuschauer liegt aber nicht nur daran, dass es Frauenfussball ist. Marion weist auf die bunte Sportland-
schaft der Schweiz hin und die vielfältigen Interessen der Schweizerinnen und Schweizer. Selbst Super-League-Spiele sind mit zirka 2000 Zuschauern teils schlecht besucht. Wenn im Eishockey Play-off-Spiele laufen, interessiert der Fussball weniger. «Miteinander, nicht gegeneinander» ist das Prinzip, vielleicht sogar ein mögliches Erfolgsrezept. Der FCZ, wie auch zwei der erfolgreichsten deutschen Vereine, 1. FFC Frankfurt und 1. FFC Turbine Potsdam, setzen bei ihren jüngsten Mädchen auf Trainingsspiele gegen Jungs. Das schnellere
härtere Spiel fordert die Mädchen stark. Der Erfolg dieser Teams spricht für sich.
«Wir wollen Emotionen rüberbringen»
Männerfussball im Abseits?
Ein Blick ins Ausland macht neidisch: In den USA ist Fussball primär eine Frauensportart. Das liegt daran, dass sich bei den Männern andere Sportarten, wie Baseball und American Football etabliert haben. «Dort hat jede Uni und jedes College ein Frauenfussballteam», sagt Marion. Fraglich ist, ob Frauenfussball mehr Aufmerksamkeit erhält als hierzulande, denn auch in den USA gucken vor allem diejenigen zu, die selber spielen oder anderweitig daran beteiligt sind. Auch in Deutschland ist Frauenfussball um einiges populärer als in der Schweiz. Das mag mit der Anzahl Einwohner, aber auch mit dem Erfolg der Nationalmannschaft zu tun haben. Dort gab es nämlich
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einen regelrechten Boom von Einsteigerinnen, als die Deutsche Elf 2007 Weltmeister wurde. Testaguzza sagt, dass dies auch der Schweiz gut tun würde: «Eine Qualifikation des Frauennationalteams für eine EModer WM-Endrunde würde bestimmt einiges bewegen. Die Durchführung einer Europameisterschaft im eigenen Lande würde dem Frauenfussball ebenfalls zu mehr Popularität verhelfen.»
«Hinter die Kulissen»
Die Medien hätten das Potenzial, einen grossen Beitrag zu leisten. Oftmals können Berichte nur über eigene Kanäle verbreitet werden statt über die Massenme-
dien, weil das öffentliche Interesse fehlt. Was es braucht, sind Hintergrundreportagen. Trockene Spielberichte ohne Tiefe lesen die wenigsten. Über die männlichen Weltstars weiss man alles: Ehepartner, Allergien und Lieblingsfarbe. Aber kennt man Selina Zumbühl vom FCZ, die auch in der Nationalmannschaft spielt? Bekannt sind solche, die durch einen Wechsel ins Ausland in TV-Sendungen erscheinen, wie Ramona Bachmann. Gemäss Marion führt der Grossteil allzu oft ein Schattendasein. Allbekannt sind die besonders Erfolgreichen, die mehrmals zur Weltfussballerin des Jahres ernannt wurden. Die Rede ist hier von der brasilianischen Stürmerin Marta Vieira
da Silva und der deutschen Stürmerin Birgit Prinz. Sie können vor allem auch durch Werbeaufträge ihre Einnahmen in die Höhe treiben. Ein kleiner Schub im Kreislauf von Sponsoring, Aufmerksamkeit und Professionalisierung würde reichen, um alles voranzutreiben. Die Frauen sind jedoch «abhängig». Bekanntheit hat grosse Wirkung. Dadurch wird automatisch Aufmerksamkeit generiert. Das weiss auch Dominique, die in Spielen beobachtet hat: «Schon das FCZLogo schüchtert andere ein.» Kein Wunder also, dass Marion sagen kann: «Die Beachtung ist sicher anders als in anderen Vereinen.» Testaguzza weiss: «Die Richtung geht eher in die Integration des Frauenfussballs in die Männerprofivereine.» So auch im Bereich des Sponsorings. Testaguzza weist darauf hin, dass die Frauennationalteams die gleichen Sponsoren haben wie die Männer. Die FCZ Frauen geniessen also durch die Prominenz der Männer eine Popularität, die es aber nicht einfacher machen wird, den Vergleichen mit dem Männerfussball zu entkommen. Text Raffaela Angstmann, Bilder Selin Bourquin
STUDIKRAKEL
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MARION DAUBE Marion Daube (35) arbeitete nach ihrem Abitur in Werbeagenturen. Später studierte sie BWL und Marketing in Frankfurt, war dann beim Fernsehen (Hessischer Rundfunk) und machte sich darauf mit Fussballprojekten in Deutschland selbstständig. Seit Januar 2009 leitet sie die FCZ Frauen. Selbst im Verein gespielt hat sie nie, aber schon seit 10 Jahren ist sie im Fussballbereich tätig – meist ehrenamtlich. Sie «tschuutet» gerne zum Spass. ZUM SCHMÖKERN UND SURFEN www.frauenfussballmagazin.ch www.11freundinnen.de www.spiegel.de/thema/frauenfussball/ www.football.ch/nm/de/Frauen-Nationalteam.aspx www.fcz-frauen.ch
ANDERS UNTER GLEICHEN AN DER HSG IN ST. GALLEN SEHEN DIE STUDIERENDEN AUF DEN ERSTEN BLICK ALLE ETWA GLEICH AUS. BIS AUF EINEN: «DER» PUNK STICHT AUS DER MASSE HERVOR. ÜBER SEIN INTERESSE AN WIRTSCHAFT, DAS AUFFALLEN UND DIE HSG ALS NEOLIBERALE BRUTSTÄTTE.
Im Audimax, dem grössten Hörsaal an der HSG, warf Professor Torsten Tomczak in einer Marketing-Vorlesung einmal die Frage auf, weshalb wohl die Studentenschaft in St. Gallen viel homogener sei als in Berlin, wo er ebenfalls doziert. Das Studium sei ja das gleiche, aber in Berlin stehe er vor Hippies, Nerds, Rocker, Normalos, Punks, Schönheitskönigen und -königinnen – wohl vor so ziemlich jeder Ausprägung der modernen Kultur, die am Körper sichtbar in Erscheinung tritt. Demgegenüber stehe er in St. Gallen vor ungefähr 700 HSG-Studierenden, die alle etwa gleich aussähen. Die Frage war irgendwie eher rhetorisch gemeint und wurde von ihm nicht abschliessend beantwortet. Ein Blick quer durch den Hörsaal bestätigt aber das vom Professor beschriebene Bild. Spätestens nach einem Jahr in der Kaderschmiede HSG sehen alle angepasst und viele bereits sehr erwachsen aus.
Das Erscheinungsbild
Der typische Student an der Uni St. Gallen ist männlich, trägt unter dem Feinstrickpullover ein Polohemd (Ralph Lauren, nicht Lacoste!), formt seine Haare mit Gel, hat eine teure Uhr am Handgelenk und ei-
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ne Sonnenbrille auf der Nase. In der wärmeren Jahreshälfte kommen Segelschuhe und rote oder grüne Hosen hinzu. Alles in allem sieht er gut, professionell und erfolgreich aus. Dieses Bild zeichnet sich nach einem Tag als Besucher dieser Uni ab, es wir aber auch von den Studierenden selbst gezeichnet, wenn sie nach dem typischen HSGler gefragt werden. Viele entsprechen diesem Bild auch tatsächlich, aber alle tun dies natürlich längst nicht. Viele sehen auch einfach, nun ja, normal aus. Und trotzdem ist die St. Galler Studentenschaft am östlichen Rande der Schweiz nicht mit derjenigen in Basel, Bern oder Zürich zu vergleichen. An diesen Orten würde wohl mit einem verständnislosen «Ja, und?» auf die Aussage reagiert, es gäbe einen Punk an der Uni. Das wäre, als würde man darauf hinweisen, dass es auch grüne Gummibärchen in der Tüte gibt. An der HSG ist die Antwort auf dieselbe Aussage jedoch eher ein erstauntes «Wirklich?». Und danach wird das Erfahrene weitererzählt, so dass Anwesende an diesem Ort wissen, dass es «einen Punk an der HSG geben soll», ohne ihn jemals gesehen zu haben. Dazu gesellen sich dann weitere Aussagen, wie «das ist ‹imfall› gar kein richtiger Punk: Der trinkt Cola!». Es soll auch einen Rocker mit Wallemähne geben, aber der Punk ist mit dem Hinweis auf seinen ideologischen Hintergrund, der in seinem Äusseren steckt, natürlich interessanter und von Sagen umwoben, vor allem an einem Ort wie der Uni St. Gallen.
Das Bild von aussen
Die HSG wird immer wieder dafür angeklagt, ihren Studierenden die falschen Werte mit auf den Weg zu geben. Nichts als neoliberale Gewinnmaximierer wür-
den nach fünf Jahren Studium aus den grauen Betonbauten ausgespuckt. Auch auf der Suche nach einem Schuldigen an der Finanzkrise wurde sie an vorderster Front genannt. So druckte beispielsweise «Das Magazin» 2009 zusammen mit dem Aufmacher «St. Galler Götterdämmerung» ein Bild des Bibliothekgebäudes ab, über dem dunkle mit gephotoshopte Wolken hingen. Ein deutliches Bild. Aber ein Bild von aussen. Wie sieht es denn einer, der die HSG von innen kennt und seinem Erscheinungsbild nach nicht die Ansicht der homogenen Masse teilen dürfte? Dominik studiert Betriebswirtschaftslehre und ist mittlerweile im sechsten Semester. Er ist der Punk, der wie ein bunter Hund aus der Studentenschaft der Uni St. Gallen hervorsticht. Momentan hat er seine hellbraunen Haare in einem Mittelstreifen und zwei Seitenstreifen stehenlassen, der Rest ist abrasiert. Ein metallischer Stachel, der nicht so richtig zu seinem freundlichen Gesichtsausdruck passen will, ziert die Partie zwischen Unterlippe und Kinn, und in seinen schwarzen Springerstiefeln stecken Hosen mit Schottenkaromuster. Seine Kleidung sieht gepflegt aus, nicht zerrissen und von Sicherheitsnadeln übersäht. Er scheint sich sein Äusseres gut zu überlegen. In seinem Fall und in der Umgebung, in der er sich nun mal häufig bewegt, ist sie schliesslich auch ein sehr starkes Statement. «Klar schauen die Leute. Manche nur kurz und gleich wieder weg, während andere so richtig starren. Wenn ich dann mit ihnen spreche, sind sie häufig zuerst überrascht, aber danach habe ich zu den meisten eigentlich einen guten Draht. Andere gibt es natürlich auch, bei denen klappt das nicht.» Vor allem bei Gruppenarbeiten, die an der HSG zahlreich sind, spürt Dominik am Anfang häufig die
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«Je mehr HSG-Wortschatz ich brauche, desto überraschter sind die Leute»
Verunsicherung der anderen. Wenn er dann seinen Teil zur Gruppenarbeit abgeliefert habe, seien die Vorurteile aber eigentlich schnell beseitigt; er sei schon ziemlich diszipliniert. Wer mit ihm spricht, merkt schnell, dass er es mit einem Studenten zu tun hat, der bei der Sache ist und von ihr etwas versteht. Wenn Dominik erzählt, dass er gerade den Stoff des Steuerrechts repetiert, passt das zwar überhaupt nicht zu den Springerstiefeln und dem halbrasierten Kopf, aber nach etwas Gewöhnungszeit gelingt es, diese Diskrepanz auszublenden. Dominik scheint diese Reaktion öfters zu erleben: «Je mehr HSG-Wortschatz ich brauche, desto überraschter sind die Leute.» Eine ziemlich geschickte Taktik: Sobald er zu sprechen beginnt, nimmt er den Kritikern den Wind aus den Segeln. «Ich freue mich immer, die Sicht der HSG-Studenten zu verändern», meint er dazu.
Die Innensicht
Dominik ist in Rorschach in der Nähe von St. Gallen aufgewachsen und wohnt auch immer noch dort. Die Modelle, mit denen die Wirtschaft erklärt werden soll, haben ihn schon in der Schule interessiert, und da die HSG nicht weit weg war, lag die Studienwahl auf der Hand. Nach drei Jahren Studium beginne man das Denken schon etwas anzunehmen oder zumindest besser zu verstehen. «Bei gewissen Dingen hat mir das Studium auch die Augen geöffnet», sagt er. Seine Kritik ist aber nicht verstummt. Sie betrifft vor allem die in der BWL verwendeten Modelle, die nicht direkt gewinnbringende Faktoren, wie zum Beispiel soziale Wohlfahrt und Ökologie, meistens völlig ausschliessen. Wenn beispielsweise der Arbeitsmarkt nur als ökonomische Grösse angesehen wird und nicht als Gruppe von Menschen, wird ein moralisch und ethisch vertretbares Verhalten von Anfang an nicht gefördert. Erst später folgt dann das Feuerlöschen. «Die Modelle sind verständlich und in sich ja auch stimmig, aber wenn man tiefer geht, fehlt ihnen einfach etwas.» Für den Lehrplan an der HSG fände Dominik es deshalb eine gute Idee, wenn man
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Nachhaltigkeitsmanagement und Wirtschaftsethik zu Pflichtfächern machen oder die in der Vorlesung vorgestellten Modelle auch mal interdisziplinär anschauen würde. Wie steht es denn um den Vorwurf, die HSG sei eine Maschine, die unkritische Gewinnoptimierer produziere? Das Ganze sei schon etwas absolutistisch, antwortet Dominik, kritisches Denken werde nicht unbedingt gefördert. Am ersten Tag sitze man in der OLMAHalle zusammen mit 1500 weiteren Studienanfängern und verlasse sie mit einer gesponserten Goodie-Tasche. Die erste Woche ist zum Kennenlernen da, aber ab der zweiten geht es zügig los. «Bis man sich endlich zurechtgefunden hat, stehen schon die ersten Prüfungen an. Bei der Masse an Lernstoff bleibt dann gar nichts anderes mehr übrig, als das Ganze einfach auswendig zu lernen.» Trotz der Kritik merkt man aber, dass er nicht alle in einen Topf werfen möchte und auch seine Universität in einem positiven Licht sieht. «Ich habe hier auch coole Leute getroffen.» Damit meint er wohl, dass nicht alle HSG-Studierenden ihrem Klischee auch entsprechen. Letztlich ist
auch jeder selbst dafür verantwortlich, was er mit den Informationen macht, die er bekommt.
Zukunftsblick
Was die zukünftigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen angeht, ist Dominik optimistisch: «Es gibt Zeichen, die einen Wandel anzeigen. Die Menschen werden sich der Probleme bewusst, die bestehen, und versuchen sie zu lösen.» Wichtig sei einfach, dass Anreize geschaffen würden, die ein nachhaltiges Verhalten fördern. Für seine eigene Zukunft blickt er noch nicht in allzu weite Ferne. Als nächstes kommt jetzt die Abgabe seiner Bachelorarbeit, die er zum Thema Interessenvertretung im Schweizer Parlament schreibt. Bevor er mit dem Master beginnt, wird er vielleicht ein Zwischenjahr einlegen, um in verschiedenen KMUs zu arbeiten und einen Eindruck zu erhalten. Ansonsten fände er es schön, mal eine längere Zeit in Berlin zu leben. Auffallen würde er dort jedenfalls nicht mehr. Text Julia Krättli, Illustration Nilüfer Üstüner
Die Punkkultur entstand in den 70er-Jahren in den Metropolen New York und London. Am Anfang stand der eigenwillige Musikstil im Vordergrund, bei dem mit wenig komplex strukturierten Songs gegen den klassischen Rock angetreten wurde. Daraus entstand zunächst vor allem in Grossbritannien eine Jugendkultur, die sich komplett gegen den aktuellen Zustand der Gesellschaft richtete. Gesellschaftliche und ästhetische Werte wurden negiert, Punks waren dagegen: Anti-alles. Auch heute noch wird mit der Punkkultur eine Anti-Haltung verbunden, jedoch ist sie viel heterogener als in ihren Anfängen.
Die Ukraine ist mehr als nur Fussball
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«JÄGER DER WAHRHEIT» FAST JEDER KLEINE JUNGE ENTDECKT DIE LIEBE ZUM SCHWARZ-WEISSEN LEDER. VIELE SPIELEN AUCH NOCH ALS ERWACHSENE, DANN ABER MEIST NEBEN STUDIUM ODER BERUF. UND EIN PAAR WENIGE FLITZEN ALS SCHIEDSRICHTER ÜBER DEN RASEN. EIN PORTRÄT ÜBER ZWEI STUDENTEN, DIE TRILLERN STATT KICKEN.
Rocco ist 26 Jahre alt und studiert Antike Geschichte in Hamburg. Er sorgt seit gut zehn Jahren für Ordnung auf dem Fussballplatz und pfeift in der deutschen Oberliga, die ungefähr der Drittliga in der Schweiz entspricht. Ramzy ist 24 Jahre alt und studiert Maschinenbau an der ETH Zürich. Er wurde mit 16 Jahren Schiedsrichter und pfeift in der Zweitliga. Die zwei lieben ihren Nebenjob und machen ihn tatsächlich vor allem der Leidenschaft wegen: Wirklich Geld verdienen können sie damit nicht. Trotzdem können sich beide vorstellen, eine Karriere als Schiedsrichter anzustreben.
Einer gegen 22
Rocco ist waschechter Römer und hat bis vor drei Jahren auch in Rom gelebt. Mit dem Fussballspielen hat er angefangen, als er zehn war. Seine Mutter stellte aber schon früh die Regeln auf: als Hobby ja, als Beruf nein. So kam es dann, dass Rocco mit 16 erstmals zur Trillerpfeife griff. Ihm gefällt, dass er als Schiedsrichter auf dem Rasen das Sagen hat. Als Alleinentscheider trägt er viel Verantwortung und
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muss lernen, sich selbst zu vertrauen. Das klinge zwar egozentrisch, meint er. Aber die Tatsache, dass er Einfluss auf die finale Entscheidung eines Spiels habe, verleihe ihm einen ganz anderen Stellenwert, als ihn die Spieler haben. Letztere haben alle dasselbe Ziel, die gleiche Perspektive und können sich bei Missverständnissen auf die Meinungen der Mannschaftskollegen beziehen. Der Schiedsrichter ist mit der endgültigen Entscheidung alleine und muss diese autoritär fällen. Das hat Konsequenzen: «Die Fussballer verlieren zu elft», erklärt Rocco, «während der Schiedsrichter alleine für einen Fehler geradestehen muss.» In Deutschland pfeift Rocco in der Oberliga, in Italien in der Promozione, was in etwa derselben Liga entspricht. In Italien verdient er etwas mehr pro Spiel: 27 Euro plus Spesen. In Deutschland gibt es nur Spesenkompensation. Auch wenn im Süden etwas mehr Geld für die Schiedsrichter zur Verfügung zu stehen scheint, ist es trotzdem fast unmöglich, von diesem Job zu leben. Rocco zeigte früh Talent und stieg schnell in höhere Ligen auf. Für einen Schiedsrichter ist es jedoch schwieriger, auf einem professionellen Niveau zu spielen, als für die Spieler, denn er muss in jeder Kategorie eine bestimmte Anzahl Spiele gepfiffen haben, bevor er aufsteigt. Ein Spieler dagegen kann mit Glück direkt in einen höheren Verein eingekauft werden, ohne dass er die Stufen dazwischen durchlaufen muss. Wenn ein Schiedsrichter jedoch Karriere auf dem Fussballplatz machen und in höheren Ligen pfeifen wolle, müsse er Opfer bringen, stellt Rocco klar. Dazu zähle, dass man als Schiedsrichter konstant zur Verfügung stehen müsse. Mit seinem Studium liess sich das nicht mehr vereinbaren. Obwohl Rocco nun keinem Verein mehr angehört, spielt der Fussball in seinem Leben eine grosse Rolle. In Hamburg spielt er regel-
mässig mit Freunden, ohne Leistungsdruck, aber immer mit viel Leidenschaft. Ramzy spielt Fussball seit seinem fünften Lebensjahr. Vom FC Schwamendingen wechselte er zu GC. Als er mit 15 wieder zu Schwamendingen zurückkehrte, suchte er eine neue Herausforderung. Durch Zufall und einen Bekannten wurde er schliesslich Schiedsrichter. In der Schweiz hängt der Aufstieg in eine höhere Liga nicht von der Anzahl Spiele ab, die man gepfiffen hat, sondern von den Inspizienten, welche die Spiele beobachten und einen einstufen. Mittlerweile arbeitet Ramzy als Schiedsrichter in der Zweitliga. «Je höher die Liga ist, in der man pfeift, desto geringer sind die weiteren Aufstiegschancen», sagt er. Er ist aber immer noch ambitioniert aufzusteigen. Sein Traum wäre es natürlich, ein FifaSpiel zu leiten. Was Ramzy am Fussball gefällt, ist die Unvorhersehbarkeit des Spiels. Anders als zum Beispiel beim Tennis geht es nicht nur um die einfache Punktejagd, sondern jeder einzelne Spieler gestaltet das Spiel mit. Gleichzeitig ist es aber ein sehr einfacher Sport, der im Grunde genommen weder
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den perfekten Rasen noch ein Tor braucht, sondern nur einen Ball und Menschen. Jedes Spiel ist wieder anders – und genau das gefällt Ramzy bei seiner Arbeit als Schiedsrichter. Hat man einmal seine Arbeit gut gemacht, kann es beim nächsten Mal schlecht laufen – womöglich unter den gleichen Voraussetzungen. Wichtig ist deshalb, die eigene Leistung trotz unterschiedlichen Bedingungen konstant hoch zu halten.
Ab der Zweitliga ist ein Schiedsrichter nicht mehr alleine auf dem Platz, sondern zu dritt mit seinen Assistenten – also den Linienrichtern. Bei einem Fifa-Spiel gibt es einen zusätzlichen vierten Offiziellen und nochmals zwei zusätzliche Assistenten hinter der Torlinie. Es sei unmöglich, immer alles zu sehen, bestätigt auch Ramzy, aber da ist es wichtig, der eigenen Wahrnehmung statt der Meinung anderer zu vertrauen.
Der Werdegang
«Eine Lebensschule»
Die Ausbildung zum Schiedsrichter sieht überall ähnlich aus: In Italien kann man ab 16 Jahren einen Kurs machen, der etwa zwei Monate dauert und mit einer schriftlichen und mündlichen Prüfung abgeschlossen wird. Dann muss man sich auf dem Platz beweisen. In der Schweiz liegt das Mindestalter bei 15 Jahren. Dazu muss man einen Regeltest ablegen, besucht einen zweitägigen Grundkurs und wird bei einigen Spielen beobachtet. Die ersten Spiele leitet man bei den C-Junioren. Sobald ein Inspizient – der meist unangekündigt erscheint – bei einer Spielbeobachtung einen Schiri als talentiert einstuft, steigt dieser auf.
Welche Eigenschaften muss ein Schiedsrichter haben? «Leidenschaft, Geduld und Persönlichkeit», sagt Rocco, «und zwar in dieser Reihenfolge.» Mutig muss man sein, wenn man sich gegen 22 Spieler durchsetzen will, womöglich in einem ganzen Stadion voller Zuschauern. Oft sieht nur der Schiri, was zählt, und dem Rest entgeht es. Streit auf dem Fussballplatz ist natürlich verboten; auch der Schiri selbst sollte immer möglichst gelassen bleiben. Doch gerade in Italien ist die Situation auf dem Fussballplatz weniger ruhig als nördlich der Alpen und im Zusammenhang des Schiedsrichteramts wird zuweilen auch von Kor-
Rocco sieht sich als «Jäger der Wahrheit», denn […] ein Fussballspieler sagt niemals die Wahrheit. ruption gesprochen. Einmal wurde er sogar mit Polizeieskorte aus dem Stadion geführt, erzählt Rocco, weil die Mannschaft mit seiner Entscheidung nicht einverstanden war. Neben dem Durchsetzungsvermögen, das man als Schiedsrichter mitbringen muss, braucht man aber auch eine gesunde Portion Selbstkritik. Oft muss man einsehen, dass ein Spiel nicht so gut gelaufen ist, wie man selbst dachte. Um die eigene Leistung hoch zu halten, muss man aber selbstkritisch bleiben, was oft eine Gratwanderung ist. Körperliche Fitness ist ein weiterer wichtiger Punkt, schliesslich muss der Schiedsrichter immer möglichst nah am Geschehen sein – und das ist meist dort, wo der Ball ist. «Nicht ohne Grund wird es Lebensschule genannt», meint Ramzy, «schliesslich braucht man als Schiedsrichter Eigenschaften, die auch in allen anderen Lebensbereichen wichtig sind.» Rocco gibt zu, dass sich der Schiedsrichter in ihm nie ganz abstellen lässt: Wenn er zwischendurch selbst wieder dem schwarzen-weissen Leder hinter-
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herjagt, weist er oft seine Freunde zurecht. Das sieht er als Vorteil, weil die Spieler nie alle Regeln kennen, er aber schon. Ramzy dagegen zieht es vor, sich mal wieder austoben, wenn er selbst spielt, anstatt auch dann der Schiedsrichter sein zu müssen. Es gibt so viele Finessen bei den Fussballregeln, die auch er erst mit der Zeit gelernt hat.
Fussballer sagen nie die Wahrheit
Schiedsrichtern wird nachgesagt, dass sie nur Schiedsrichter geworden sind, weil sie als Spieler erfolglos waren. Weder für Rocco noch für Ramzy ist das jedoch der Fall. Rocco sieht sich als «Jäger der Wahrheit», denn – und darauf ist seiner Meinung nach in Italien wie auch in Deutschland gleichermassen Verlass – ein Fussballspieler sagt niemals die Wahrheit. Ramzy sieht in einem Spiel sogar eine grössere Herausforderung für den Schiedsrichter als für die Spieler. Dieser Herausforderung will er sich weiter stellen, auch wenn ihn mittlerweile die Realität eingeholt hat und er sich bewusst ist, dass die höchs-
ten Ligen kaum zu erreichen sind. In den hohen Rängen geht es nicht mehr nur um Leistung, sondern auch darum, «zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein». Schiris untereinander sprechen sogar schon von einer Mafia. Wie subjektiv die Meinungen der Inspizienten schlussendlich sind, zeigte einmal ein sogenanntes «Kalibrierungsspiel», bei dem Ramzy von zehn Inspizienten gleichzeitig beurteilt wurde: Die Bewertungen variierten um eine ganze Note. Wünschen würde er sich aber trotzdem, nach dem Studium einen Job zu finden, der ihm genügend Freiraum lässt, Teilzeit als Schiedsrichter weiterzuarbeiten – schliesslich ist spätestens mit Mitte 40 das Rentenalter auf dem Fussballplatz erreicht. Auch Rocco möchte so lange weiterspielen, wie er kann. «Der Fussball gibt mir Emotionen, hält mich lebendig und fehlt mir, wenn ich nicht spielen kann», so Rocco. Schiedsrichter zu sein ist nicht leicht, aber gerade das macht es für Rocco und Ramzy so spannend. Ihre Herzen schlagen mit derselben Leidenschaft für den Fussball wie damals, als sie als kleine Jungs als Spieler auf dem Platz standen. Die vielen Facetten des Spiels, die sie über die Jahre kennengelernt haben, haben nicht den Stellenwert des Fussballs verändert, sondern ihre eigenen Sichtweisen darauf – und die sind bei jedem Spiel neu. Text Claudia Piwecki, Bilder Selin Bourquin
Es sei unmöglich, immer alles zu sehen, bestätigt auch Ramzy, aber da ist es wichtig, der eigenen Wahrnehmung statt der Meinung anderer zu vertrauen.
INFORMIEREN Einige Richtlinien der Fifa für Schiedsrichter: – Von einer optimalen Position kann der Schiedsrichter korrekt entscheiden. – Der Schiedsrichter bewegt sich grossräumig und diagonal über den Platz. – Der Schiedsrichter befindet sich nahe genug beim Spielgeschehen, um dieses optimal zu verfolgen, ohne jedoch darauf Einfluss zu nehmen. – Wichtige Ereignisse spielen sich nicht unbedingt in der Nähe des Balles ab. Der Schiedsrichter achtet auf aggressives Verhalten einzelner Spieler abseits des Spielgeschehens, mögliche Verstösse im Spielfeldbereich, in den sich das Spiel verlagert und Regelverstösse, nachdem der Ball weg gespielt wurde. – Wird der Schiedsrichterpfiff unverhältnismässig oft eingesetzt, verliert er seine Wirkung. ANSCHAUEN Der Dokumentarfilm «Kill the Referee» (Les Arbitres) von 2009 zeigt Spitzenschiedsrichter wie Howard Webb und Massimo Busacca, der heute Leiter der FifaSchiedsrichterabteilung ist, aus nächster Nähe bei der Arbeit – ein Film über entscheidende Fehler, Menschlichkeit und aussergewöhnliche Persönlichkeiten. SURFEN Infos für Schiedsrichter: www.football.ch/sfv/de/Schiedsrichter.aspx www.uefa.com/uefa/footballfirst/matchorganisation/ refereeing
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UNIPOLITIK
MEHR KP ALS GELD DASS EIN ERASMUSAUSTAUSCH UNIPOLITISCH GESEHEN STETS ETWAS ANDERES BEDEUTET, IST LÄNGST ALLEN KLAR. DIE KREDITPUNKTEVERGABE IST HÖCHST UNTERSCHIEDLICH, DEREN ANERKENNUNG SOWIESO UND AUCH DIE HÖHE DER UNTERSTÜTZUNGSGELDER VARIIERT VON LAND ZU LAND. STUDIVERSUM HAT SICH UMGEHÖRT. Wie gerne betonen wir, dass «Geld ja eigentlich gar nicht so wichtig ist». Klar, wer möchte sich schon als Materialist outen? Doch faktisch verneint niemand, dass es nett ist, ein kleines finanzielles Pölsterchen zu haben. Viele Studierende halten sich mit mehr oder weniger guten (Neben-)Jobs über Wasser, um nicht ganz von den Eltern abhängig zu sein – oder vom Staat. Doch im Ausland, als Erasmus-Student, ist dies oft nicht möglich, weshalb man froh ist, Unterstützungsgelder zu erhalten. Die Höhe der Gelder ist jedoch sehr unterschiedlich und wird von jedem Land, ja sogar von jeder Universität anders gehandhabt. Reicht dann bei manchen Austauschstudierenden das Geld knapp oder gar nicht, können andere sogar wieder mit Geld nach Hause kommen.
Je mehr Studierende, desto weniger Geld
Das von der Europäischen Union im Jahre 1987 ins Leben gerufene Erasmus-Programm (European Community Action Scheme for the Mobility of University Students) soll die Mobilität der Studierenden und die Zusammenarbeit der Hochschulen fördern. Die finanzielle Unterstützung ist Teil des Programms, jedoch nicht gesamteuropäisch geregelt, genauso wenig wie die Verteilschlüssel. Oft ändert die Höhe des Erasmus-Taschengeldes sogar im Semesterturnus. Von gleichen Bedingungen für alle ist man also weit entfernt. Obwohl sie in einem anderen Land studieren, sind die Erasmus-Studierenden immer noch an der Heimuniversität einge-
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schrieben, welche die Beträge festlegt. Clemens aus Karlsruhe weiss: «Bei uns werden die Gelder jeweils durch die Anzahl Personen geteilt.» Da würde auch nicht zwischen Gastländern unterschieden, sprich: Solche, die in teure Länder wie die Schweiz kommen, werden nicht extra unterstützt. Je mehr Studierende also einen ErasmusAustausch machen, desto weniger gibt es für den einzelnen. Die Beträge schwanken somit zwischen 150 bis 200 Euro monatlich. Clemens, der an der ETH Zürich seine Abschlussarbeit schreibt, wurden etwa 170 Euro versprochen. «Davon habe ich jedoch bisher noch nichts gesehen.» Seine Lebenskosten seien, im Vergleich zu Deutschland, hier fast auf das Doppelte angestiegen. Im Sommer habe er gearbeitet, das Geld gespart und er werde noch von seinen Eltern unterstützt. Clemens sieht sein ErasmusAufenthalt an der ETH als eine Investition in die Zukunft. «Ich wäre auch ohne finanzielle Unterstützung hergekommen – das Erasmus-Programm erleichtert einfach die administrativen Angelegenheiten.»
Nur ein Trinkgeld
Für Juan aus Madrid, der in Zürich Business-Administration studiert, sieht es noch weniger rosig aus. Für seinen neunmonatigen Aufenthalt erhält er «maximal 2500 Euro» – exakt weiss er es nicht. Nehmen wir einmal an, er würde rund 270 Euro monatlich erhalten: Das reicht bei Weitem nicht einmal für sein Zimmer in dem WOKOGebäude für Studierende an der Altstetterstrasse, das ihn 530 Franken kostet. «Na ja, was soll ich machen? Bei der grossen Arbeitslosigkeit in Spanien müssen mich meine Eltern finanzieren», sagt Juan. Das Erasmus-Geld ist für ihn nichts mehr als «propina» – ein Trinkgeld. Er wollte in ein deutschsprachiges Land und wusste von Anfang an, dass es dort teuer sein würde als in Spanien. Ungerecht findet er jedoch, dass ein Freund, der nach Polen in den Austausch ging, wahrscheinlich noch mit Geld zurückkommen wird. «Unter uns», vertraut mir Juan an, «der ging eh nur wegen des Feierns nach Polen.» Was sein Freund macht, findet Juan nicht wirklich verwerflich – im Gegenteil. Was ihn jedoch stört, ist, dass sich in Spanien die Gelder je nach Comunidad Autónoma unterscheiden: Ein Andalusier kriegt bei Weitem mehr als jemand aus dem reicheren Norden Spaniens.
Im Norden gibt’s mehr Cash…
Da geht es Skandinaviern schon besser. Nicht umsonst haben die nordischen Ländern einen besseren Ruf und es gilt: Je nördlicher, desto besser die finanzielle Unterstützung – besonders diejenige durch den Staat. Alle Studierenden werden staat-
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lich unterstützt; gehen sie ins Ausland, kommen noch die Erasmus-Gelder dazu. Doch lassen wir sie selbst sprechen und fangen mit Christian aus Kopenhagen an. Er studiert Biochemie, wir unterhalten uns in Englisch, da er eben erst in der Schweiz angekommen ist. Gleich zu Beginn versichert er: «The Erasmus scholarship wouldn’t be enough.» Obwohl er ebenfalls aus einem teuren Land stammt, sei es in Dänemark doch noch «ein bisschen» billiger. 1477 Euro erhalte er für fünf Monate. «Das sind», und er zückt sein Smartphone, «295,40 Euro pro Monat.» Vom Staat erhält er knapp 500 Euro monatlich. Zusätzlich, und über diese Ausnahme sei er «very happy», hat er von einem Fonds eine Summe über 2500 Euro erhalten. Sind wir also bei rund 1300 Euro, die Christian monatlich für seinen Aufenthalt im Land von Heidi, Käse und Schokolade zur Verfügung hat. Elina aus dem finnischen Turku erhält, wie alle Studierenden ihres Landes, 250 Euro staatliches Geld. Dazu kommen monatlich 240 Euro Erasmus-Geld. Ausserdem hat sie ein Darlehen über 480 Euro pro Monat, das sie, einmal ganz im Arbeitsprozess, teilweise wieder zurückzahlen wird. Die Masterstudentin in Deutsch und Spanisch lebt zwar «ziemlich gut». Doch: «Das Leben ist sowohl zu Hause, als auch hier sehr teuer.» Deshalb habe sie im vergangenen Sommer in Finnland als Verpackerin bei einer Lebensmittelfabrik gearbeitet. Neben ihr sitzt Anna aus Uppsala, Studentin der Deutschen Literaturwissenschaft und Linguistik. Sie hat mit ihrer
Freundin eben das selbst gekochte Abendessen verspeist: Gemüse-Pasta, dazu Emmentaler mit einem 50-Prozent-Kleber. Anna erzählt, dass jeder schwedische Vollzeit-Student vom Staat rund 200 Euro monatlich erhält, dies auf acht bis zehn Semester beschränkt. Dazu kommen die 200 Euro Erasmus-Geld. «Ich kann hier ohne elterliche Unterstützung leben, da ich noch 600 Euro Stipendien erhalte, die ich später jedoch teilweise wieder zurückzahlen muss.» Das Geld reiche aus, doch grosse Sprünge kann Anna nicht machen. Nur punktuelle Ausflüge sind möglich, ansonsten geniesst sie Zürich.
…in der Schweiz nicht ganz so viel
Doch wechseln wir noch kurz die Seite – wie sieht es für Schweizer Studierende aus? Vreni, Geschichtsstudentin aus Basel, ist eben aus Uppsala zurückgekommen. Sie wartet jedoch noch auf ihr Erasmus-Geld, es handelt sich total um rund 1000 Franken. Doch noch bei den Eltern wohnhaft und mit einem Nebenjob nimmt sie es locker: «Vielleicht kriege ich das Geld ja noch…» Die Recherche hat's gezeigt: Die Erasmus-Gelder reichen nirgends hin. Wer nicht schon gespart, gearbeitet oder einen Goldesel gefunden hat, kann sich einen Aufenthalt im Ausland nicht leisten. Doch Geld hin oder her – und darin sind sich alle Erasmus-Studis einig – ein Austausch lohnt sich allemal. Arbeiten und viel Geld verdienen, finden sie, lässt sich auf später verschieben. Text Linda Mülli, Illustration Melanie Imfeld
Die Schweiz beteiligt sich bereits seit 1992 am ErasmusProgramm. Doch erst seit 2011 nimmt sie auch als Vollmitglied an dem europäischen Lifelong Learning Programme (LLP) teil, in das Erasmus 2007 integriert wurde. Jährlich steigt die Zahl der Austauschstudierenden, obwohl die Finanzierung nicht gesichert ist und ein gesamteuropäisches Abkommen diesbezüglich fehlt. Für Aufenthalte in Übersee können Schweizer Studierende Differenz- oder Regierungsratsstipendien beantragen, die jedoch nicht in jedem Falle gewährleistet werden.
REPORTAGE
NI HAO RUI SHI!* KONFUZIUS TRIFFT HELVETIA – CHINESEN, DIE IN DER SCHWEIZ STUDIEREN, LEBEN IM STUDENTENHEIM, VERKEHREN AUSSCHLIESSLICH MIT CHINESEN, MEIDEN PARTYS UND SIND NUR ZUM LERNEN HIER. BLOSS EIN VORURTEIL? DIE 23-JÄHRIGE LULU SHI ERZÄHLT VON IHREM DOKUMENTARFILM ÜBER DIE INTEGRATION CHINESISCHER STUDIERENDER.
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Lulu Shi kam als siebenjähriges Mädchen in die Schweiz und konnte damals kein Wort Deutsch. Heute hat sie einen waschechten Aargauerdialekt, wird wegen ihres Aussehens aber oft auf Englisch angesprochen. Wie soll man die junge Frau mit dem Schweizer Pass bezeichnen? Als Schweizer Chinesin oder als Schweizerin mit chinesischen Wurzeln? «Ich habe nie gewusst, bin ich Chinesin oder Schweizerin», sagt Lulu, deren Name eigentlich Shi Peng Hui ist. Der Name ist schwierig auszusprechen, weshalb sie hier von allen Lulu genannt wird – sogar auf ihrer Legi steht dieser Name. «Ich habe mich schon immer mit dem Thema befasst, Chinesin in der Schweiz zu sein.» Als Maturarbeit drehte sie einen Film über die zweite Generation Chinesen in der Schweiz – eine Art Selbstanalyse. Bald ist ihr zweiter Dokumentarfilm fertig, der ein ähnliches Thema behandelt: die Integration chinesischer Studierender in der Schweiz.
Chinesische Partymuffel?
Als sie vor bald vier Jahren an der Uni Zürich ihr Studium in Publizistik und Populären Kulturen begann, suchte Lulu ein Zimmer und einen Job und fand beides in einem Studentenheim für internationale Studierende. Mit zwei anderen Schweizern war sie ein Jahr lang für die 170 ausländischen Bewohner des Studentenheims verantwortlich, darunter 27 Chinesen. «Da gab es natürlich immer Riesenpartys», erzählt Lulu. «Doch die Chinesen haben fast nie mitgemacht.» In China haben solche Partys ein schlechtes Image, sind etwas für unseriöse Leute. Lulu war am Abend zuvor an einer Studentenparty. Ihrer Grossmutter in China könnte sie aber niemals erzählen, wann sie heimgekommen sei, meint Lulu lachend. Sie hätte sonst ein komplett falsches Bild von ihr, man kenne das in China einfach nicht von Studierenden. Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb die chinesischen Studierenden
wenig mitfeierten. Obwohl die verschiedenen Nationalitäten des Studentenheims oft Grüppchen bildeten, so haben sich diese doch immer wieder durchmischt – bis auf die Chinesen, die meistens unter sich blieben. Auch Lulu, die sich darauf gefreut hatte, hier in der Schweiz gleichaltrige Chinesen kennenzulernen, hatte bald relativ wenig Kontakt zu ihnen, war mehr mit Studierenden anderer Nationalitäten zusammen. Immer mehr merkte sie während dieses Jahres, dass sie doch anders war als sie und als Schweizerin gesehen wurde. Die Erfahrung im Studentenheim gab dann auch den Ausschlag zu diesem zweiten Dokumentarfilm. «Das Hauptthema im Film ist eigentlich, weshalb die Chinesen hier so abgeschottet leben», erklärt Lulu. «Ich versuche das nicht zu werten, weil ich das komplett verstehe», fährt sie fort. Auch ihre Eltern kamen damals aus ähnlichen Gründen in die Schweiz und verkehren noch heute vor allem mit Chinesen.
Hauptsache Studium
Ziemlich schnell fand Lulu chinesische Studierende, die bereit waren, über ihr Leben in der Schweiz zu erzählen und auch Szenen aus ihrem Alltag zu zeigen. Aus 20 Interviewpartnern wählte sie vier geeignete Studenten aus. Bedenken hatten diese nur wegen der Zeit, die die Dreharbeiten in Anspruch nehmen würden, schliesslich durfte das Studium auf keinen Fall zu kurz kommen. «Ob die Chinesen Streber sind?», fragt Lulu erstaunt und antwortet lachend: «Mega Streber, nicht nur ein bisschen.» Tatsächlich kommen die meisten Chinesen nicht in die Schweiz, um eine andere Kultur kennenzulernen, sondern wegen der guten Universitäten, dem Ruf der ETH. Das Studium hat erste Priorität, man konzentriert sich aufs Lernen und kehrt nach dem Abschluss nach China zurück, das chinesischen Forschern im Ausland bereits fünfstellige Beträge verspricht, damit sie in ihre Heimat zurückkehren. Viele machen sich auch wenig Gedanken darüber, was sie im Ausland erwartet, kennen den Westen vor allem aus Filmen oder den Medien, die oft ein verzerrtes Bild liefern. Man kann nicht sagen, dass sich die Chinesen gar nicht bemühen, sich zu integrieren», sagt Lulu bestimmt. «Am Anfang sind viele neugierig, gehen auch auf die Schweizer zu, aber es gefällt ihnen einfach nicht.»
Zu gross sind die kulturellen Unterschiede, zu unterschiedlich die Gesprächsthemen. Gerade Smalltalk, der am Anfang eben unumgänglich ist, bezeichnet Lulu als besonders schwierig, da man dabei nie weiss, was der andere denkt. So erzählt einer der Studenten im Interview auch, dass er stets unsicher sei, ob er nun etwas Falsches sage, bezeichnet sich Schweizern gegenüber sogar als gehorsam. Dass man sich dieser ständigen Angst, etwas Falsches zu sagen, und der Anstrengung, die die kulturellen Unterschiede mit sich bringen, lieber entzieht und sich in den gewohnten Kreisen bewegt, ist durchaus verständlich.
Eine Lulu – zwei Rollen
«Das Problem ist, dass man sich dauernd verstellen muss», erklärt Lulu, deren Leben von einem permanenten Role-Switching geprägt ist. Zuhause mit ihren Eltern und deren Freunden spricht Lulu nicht nur chinesisch, sondern verhält sich auch wie eine Chinesin. Schweizern gegenüber wird sie jedoch automatisch zur Schweizerin, ihre chinesische Seite würde man sowieso nicht verstehen, beteuert sie. Ihren kulturellen Hintergrund, der von aussen wahnsinnig interessant erscheint, empfindet Lulu jedoch nicht nur als Bereicherung: «Es macht dich nicht unbedingt glücklicher. Früher wollte ich es immer beiden recht machen, aber das kannst du nicht. Du musst dich für das eine oder andere entscheiden.» So habe sie in der Pubertät schnell gelernt, gewisse Dinge zu verstecken, etwa, dass sie viel gelernt hat, da bei ihr zuhause die Schulleistung anders gewertet wurde als in vielen Schweizer Familien. Noch immer sind Situationen, wo Chinesen und Schweizer zusammen kommen, schwierig, da man beide Seiten zeigen muss, doch inzwischen hat Lulu Übung, weiss damit umzugehen.
Worte aus fremdem Munde
Durch ihre eigenen Erlebnisse konnte Lulu zwar verstehen, dass die Integration für die chinesischen Studierenden sehr schwierig
war, doch es gelang ihr nicht, in Worte zu fassen, wieso dies so war. Bei den Interviews ist ihr dann mehrmals ein Licht aufgegangen. Dinge, die ihr schon lange bewusst waren, hatten andere endlich mit Worten ausdrücken können. Generell ist Lulus Sprache sehr bildreich, es erstaunt nicht, dass sie sich dem Thema über das Medium Film annähert, andere ihre Bilder beschreiben lässt. So hat sie wenig von dem, was bei den Interviews herausgekommen ist, überrascht. Nur manchmal sei es schwierig gewesen, die Wahrheit auch bei den Aufnahmen herauszubekommen. «Es ist eben doch ein heikles Thema und niemand gibt gerne zu, dass er sich so abschottet», meint Lulu dazu, dass beim Dreh manchmal alles ganz anders klang als noch beim Gespräch zuvor.
Letzter Schritt Synchronisation
Obwohl auch dieser zweite Film viel mit Lulus eigener Identität zu tun hat, wollte sie nicht primär sich selbst erforschen. Vielmehr sieht sie ihre Aufgabe als Vermittlerin zwischen den beiden Kulturen, möchte bei den Schweizern Verständnis für diese Haltung der Chinesen fördern, aber auch für die Chinesen hier in der Schweiz eine Möglichkeit zur Identifikation schaffen. Nun fehlt nur noch die Synchronisation des Tonmaterials, dann ist der Film abgeschlossen. Ob sie auch eine chinesische Version machen will, weiss Lulu noch nicht so recht. Denn nicht nur die Erzählstimme müsste geändert werden, auch der Schnitt müsste anders sein. «Ich habe klar nach Schweizer Mentalität gedreht», erklärt Lulu. Man kann nur erahnen, was dies bedeutet und was sich hinter Lulus aufgeschlossener Art noch alles verbirgt: Da fände sich auch diese versteckte Seite, die wüsste, wie man eine chinesische Version anfertigen würde. Gerne würde man auch diese Lulu kennenlernen. Ob man sie dann auch wirklich verstehen würde? Text Melanie Keim, Bild Lulu Shi
*Hallo, Schweiz!
WEITERLESEN ZUM TITELTHEMA Mit «Iron Sky» haben unabhängige Filmemacher Hollywood herausgefordert. Die groteske Komödie erwuchs aus dem Milieu der Fan- und Amateurfilme. Können sich die Laien mit Hilfe des Internets durchsetzen? Gregor Schenker will's wissen. Nachzulesen unter semestra.ch/ironsky Und Myriam Schuler hat sich mit Schweizer Ortschaften auseinandergesetzt, die abseits liegen, aber trotzdem einen Besuch wert sind. Reinschauen: semestra.ch/abseits-ortschaften
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IMPRESSUM | 2012.05
DENKSPIEL | Ahakus
HERAUSGEBERIN:
Unser dekadisches Zahlensystem, unsere potenziellen Wurzeln, unsere «logo rhythmischen» Ableitungen lassen keinen Zweifel offen: Unsere Mathematik ist widerspruchslos. Der eigenwillige Ahakus sieht dies alles aus einem ganz anderen Blickwinkel: Alles ist berechenbar, auch das Unberechenbare! So kreiert Ahakus eigene Gesetze, die er jeweils in vier Identitäten anwendet. In der Folge lässt er uns rätseln, was damit wohl gemeint ist, respektive welche Gesetzesmässigkeit dahinter steckt. Betrachten wir hierzu ein typisches Beispiel:
Campus Lab AG Eschenring 2 6300 Zug CHEFREDAKTORIN:
Raffaela Angstmann REDAKTOREN DIESER AUSGABE:
Raffaela Angstmann, Selin Bourquin Filip Dingerkus, Mario Fuchs Peter Hammer, Dominic Illi Melanie Keim, Julia Krättli Evelin Meierhofer, Linda Mülli Claudia Piwecki, Gregor Schenker Myriam Schuler LAYOUT:
Aline Dallo BILDREDAKTION:
Selin Bourquin ILLUSTRATION:
Melanie Imfeld, Gregor Schenker Nilüfer Üstüner
7 x 3 = 3, 16 – 2 = 5, 64 : 4 = 7 und 106 + 2 = 9. Des Rätsels Lösung ist das Stichwort «Quersumme». Anstatt 7 x 3 = 21, heisst es bei Ahakus 7 x 3 ist nicht 21, sondern 2 + 1. Mit vier weiteren Sequenzen mit jeweils vier Identitäten können wir beweisen, dass wir gleich vier Mal auch die Denkweise eines Querdenkers verstehen!
18 36 77 51
– – – –
41 22 34 50
= = = =
67 41 34 10
11 13 10 18
× × × ×
3 5 2 1
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60 98 44 57
23 25 22 34
+ – × :
14 22 22 33
= = = =
9 28 16 3
14 22 20 13
+ – × :
9 1 4 16
= = = =
11 23 10 52
FOTOGRAFIE:
Selin Bourquin, Gregor Brändli Lulu Shi LEKTORAT:
Katrin Rychener DRUCK:
Vogt-Schild Druck AG KONTAKT:
Campus Lab AG Lavaterstrasse 71 8002 Zürich Tel: +41 44 201 16 57 Fax: +41 44 201 16 50 www.campuslab.ch info@campuslab.ch LESERBRIEFE:
leserbriefe@studiversum.ch StudiVersum erscheint sechs Mal jährlich in einer Auflage von 25 000 Exemplaren an allen Universitäten und Fachhochschulen der Deutschschweiz. Alle Rechte vorbehalten; Nachdruck, Aufnahme in OnlineDienste und Internet und Vervielfältigung auf Datenträgern wie CD-Roms etc. nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung der Herausgeberin.
Lösung der letzten Ausgabe (Gruppenbild mit und ohne Damen): Der Lösungsweg führt zur Mengenlehre. Bei zwei Elementen gibt es vier Teilmengen: Die leere Menge sowie die Mengen, die nur aus a und b bestehen und die ganze Menge: { }, {A}, {B}, {A; B}. Mit jedem weiteren Element verdoppelt sich die Anzahl Teilmengen. Mit sechs Elementen gibt es 26 = 2 x 2 x 2 x 2 x 2 x 2= 64 Teilmengen. Von diesen 64 Varianten ist die leere Menge zu subtrahieren. Somit gibt es insgesamt 63 (= 64 – 1) Varianten, sechs Personen abzulichten. Sind unter den sechs Personen drei Frauen (A, B und C) und wird zudem verlangt, dass bei jedem Foto mindestens eine Frau dabei sein muss, gibt es nur noch 56 (= 64 – 8) Varianten. Die acht Varianten, die wegfallen, sind die Fotos mit ausschliesslich Männern (E, F und G) ergänzt durch die leere Menge. { }, {E}, {F}, {G}, {E; F}, {E; G}, {F; G}, {E; F; G} Kreation Peter Hammer
Lösungswort des Kreuzworträtsels in der letzten Ausgabe: Traumfänger
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EXTREM
S7 + ICE x SBB = ACTION? EINEN TAG LANG IM ZUG DURCH DIE SCHWEIZ KURVEN? NICHTS SCHÖNER ALS DAS – WENN MICH STUDIVERSUM NICHT ALLE 30 MINUTEN ZUM UMSTEIGEN VERDONNERT HÄTTE. Mit unzähligen, feinen Verästelungen spannt sich das Bahnnetz der SBB über die Schweizerkarte im Gang des ICE nach Olten – alles scheint möglich an diesem Ostersonntag. Vor meinem inneren Auge flitze ich mit meinem GA in die Westschweiz, über einige Umwege ins Goms, von dort weiter ins sonnige Tessin und schliesslich durch den Gotthard zurück nach Zürich HB. Ich freue mich auf einen faulen Sonntag im Zug mit Zeit zum Lesen, vielleicht eine spannende Begegnung, unbekannte Entdeckungen. Doch schon wenig später merke ich, dass StudiVersum Extrem mir keine süsse Plauschfahrt gönnt, sondern mit dem halbstündigen Umsteigen ein ziemlich hartgekochtes Ei gelegt hat, das die Schweiz zur mühsamen Sackgasse macht. Hat man die Reise nämlich, so wie ich, nicht geschickt geplant oder zumindest ein Smartphone zur Hand, so bleibt man nach einer halben Stunde entweder an einem Ort stecken, wo trotz fürchterlichem Aprilwetter kein Café geöffnet hat (Herzogenbuchsee), fährt wieder zurück mangels Alternative (Brig – Visp), oder wechselt abwechslungsweise zwischen Pendlerzug und Schnellzug (Brig – Sierre – Sion – Martigny – Lausanne), wodurch man keineswegs mehr sieht, sondern nur länger im Polster sitzt. Doch immerhin weiss ich nach diesem Tag nun, was ich schon lange geahnt habe: Die ÖV-Kolumnenschreiber, die uns tagtäglich mit den Resultaten ihrer Lauschangriffe überfluten, sind keine besonders aufmerksamen Zug-, Tram- oder Busfahrer, sondern viel mehr fantasievolle Geschichtenerzähler. Denn links wie rechts vom Röschtigraben gilt: Die Schweizer sind anständige, aber langweilige Zugfahrer und Aufregendes kommt höchstens aus dem Lautsprecher: «À cause d’une personne agée, qui marchait sur la voie à droite, on a du ralentir le train.» Ob man mir die Oma, die kurz vor Martigny von zwei Polizisten vom Gleis geführt wurde, abnimmt oder nicht – vielleicht verkürzt sie ja einem StudiVersum-Leser eine langweilige Zugfahrt mit der SBB. Text Melanie Keim, Bilder Selin Bourquin
33 STUDIVERSUM | 2012.05
WIE ANNO DAZUMAL
HAUSHALTSTIPP Haarige Angelegenheiten Der Sommer steht vor der Tür, und Jung und Alt balzt um die Wette. Ach, wie haben sich die Mädchen zu meiner Zeit hübsch und artig das Haar zu Kränzen geflochten! Und die Jünglinge, wie haben wir uns rasiert und gekämmt, es war eine helle Freude. Alle verfolgten wir nur ein Ziel: Dem anderen Geschlecht zu gefallen. Und wenn sich auch manches ändert durch die Jahre, dieser eine Wunsch bleibt ewig gleich. So begegnete mir unlängst Fabian, als er mit seinem Motorrad zur Uni einbog. Er nahm den Helm ab und begrüsste mich stürmisch: «Horst, du musst mir helfen. Meine schicke Frisur wird durch diesen Helm jeden Morgen zerstört. Kennst du nichts, was die Haare in Form hält? Ich will doch gut aussehen.» Ich lachte laut auf. «Aber natürlich, mein Freund. Als ich so alt war wie du, kannte ich dieses Problem. Wir haben damals selber Pomade hergestellt. Die war besser als alles, was es heute zu kaufen gibt.» Und ich fing an zu erzählen. Man nehme einen Teil Bienenwachs und zehn Teile Pflanzenöl. Welches es ist, spielt keine Rolle. Die Zutaten in einer Pfanne zusammenschmelzen und nach Wunsch duftende ätherische Öle hinzugeben. Je nach gewünschter Festigkeit mehr oder weniger Pflanzenöl benutzen. Je weniger man hinzugibt und je höher der Bienenwachsanteil ist, desto dicker wird die Pomade und desto besser hält die Frisur. Aber Obacht: Eine dicke, feste Pomade ist schwierig rauszuwaschen. Heutzutage verwenden junge Leute oft Spezialshampoos. Da wir diese nicht gekannt haben, haben wir jeweils vor der Wäsche die Haare mit Pflanzenöl eingefettet, wodurch das Auswaschen leichter wurde. Meistens jedoch war es uns egal und die Pomade blieb bis zum nächsten Wochenende in der Frisur. Fabian bedankte sich freudig. Er versprach, mich am nächsten Wochenende mitzunehmen in den Ausgang. Ich habe dann nie wieder was von ihm gehört. Aber was soll’s. Meinen zweiten Frühling verbringe ich allzu gerne im Schrebergarten.
Horst
Horst, 75, ist allzeit bereit: Ob im Haushalt oder in der Garage, beim Einkaufen oder an der Uni, Horst hilft! Als Hörer besucht er regelmässig Vorlesungen und weiss daher bestens Bescheid, was den Jungen von heute unter den Nägeln brennt. Seine Tipps sind längst schon keine Geheimtipps mehr. Deshalb: Horst ausschneiden, an den Kühlschrank oder die Pinnwand heften, dann kann nichts mehr schiefgehen!
34 STUDIVERSUM | 2012.05
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35 STUDIVERSUM | 2012.05
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