Kindermagazin 2017

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Kinder

März 2017

Bericht für die Patinnen und Paten

Kinder in die Schule: Elizabeth bildet sich für die Zukunft

Kinder von der Strasse: Raus aus dem Müll

Lebensmut für Kinder: Traumata verarbeiten


Inhalt 4 ■ Bangladesch Fit für die Schule 6 ■ Nicaragua «Meine Knie schlottern nicht mehr» 7 ■ Uganda Selbstbewusst in die Zukunft 8 ■ Haiti Ich wünsche mir für Haiti . . . 10 ■ Äthiopien Mizan bietet ihrem grössten Feind die Stirn 12 ■ Bosnien-Herzegowina «Wir haben dieselbe Geschichte durchlebt» 14 ■ Familie Tobler: Paten «Uns hat das Glück getroffen» 15 ■ Ruanda Zurück zur Familie 16 ■ Brasilien Fussball, Drogen und viel Hoffnung 18 ■ Bolivien Ein Tag im Haus «Minka» 20 ■ Interview mit Jean Zermatten «Kinder haben Rechte!» 22 ■ Kambodscha Für 30 Dollar und eine Brille verkauft 24 ■ Kuba Claudias Flair für Mathematik 25 ■ Bolivien Als Baby im Park ausgesetzt 26 ■ Philippinen «Der Gestank ist unerträglich» 28 ■ Palästina Spielend lernen 29 ■ Tadschikistan Es ist besser, darüber zu sprechen 30 ■ Kolumbien So stelle ich mir den Frieden vor 32 ■ Paten fragen – Kinder antworten 2  Caritas   «Kinder» 2017

Titelbild: Mridah Shihab Mahmad; Redaktion: Sabine Schaller, Jörg Arnold; Grafik: Evelyne Bieri; Papier: Carisma Silk, 100 % recycling


Stück für Stück eine gere chtere Welt Liebe Patin, lieber Pate Tiago ist nicht nur ein brasilianischer Fussballgott. Er ist auch der Namensvetter eines 14-jährigen Strassenjungen, dem wir im letzten Sommer eine kleine Pocketkamera in die Hand gedrückt haben. Damit sollte er seinen Alltag fotografisch dokumentieren. Stolz und selbstbewusst ist Tiago wenige Tage später ins CaritasZentrum zurückgekommen und hat eindrückliche Bilder einer Welt zurückgebracht, in der Hoffnung und Abgrund wörtlich Rücken an Rücken stehen. Sehen Sie selbst in der Mitte dieses Heftes. Kindern in Haiti und Kolumbien haben wir Buntstifte aufs Pult gelegt. Sie sollten ihre Wünsche an die Zukunft und den Frieden zeichnen. Auch diese Zeichnungen finden Sie in diesem Heft. Sie zeigen uns, welch grosse Kraft und Weisheit in den Kindern steckt und wie wichtig es ist, sie auf dieser gesunden Basis zu Erwachsenen werden zu lassen, welche die grossen Herausforderungen in ihren Heimatländern anpacken und umsetzen können. Liebe Patin, lieber Pate und liebe Paten, Sie gehören zu den Menschen, die den Kindern dieser Welt genau das ermöglichen wollen. Sie wissen, dass die Zukunft in ihren Händen liegt. Ich danke Ihnen, dass Sie in unbeschwertes Kinderlachen investieren. Sie tragen damit dazu bei, dass unsere eine, gemeinsame Welt zu einer besseren Welt wird. Jörg Arnold Caritas-Kinderpatenschaften

Die Welt aus der Sicht von Eddy Toledo (11), Bolivien

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«Kinder» 2017   Caritas


Kinder in die Schule  ■ Bangladesch

Fi t für d ie Schu le Die Caritas-Kindertagesstätte hat das Leben von Shubo und seiner Familie verändert: Seine Mutter konnte endlich arbeiten und Geld verdienen, während er auf den Schuleintritt vorbereitet wurde.

Shubo geht gerne zur Schule. Er hat viele neue Freunde gefunden, und das Lernen fällt ihm leicht. Selbstverständlich ist das nicht. Seine Familie lebt in einem Wellblechhaus in den Slums von Mymensingh im Norden von Bangladesch. Kinder, die wie Shubo in armen Verhältnissen aufwachsen, brechen ihre Schulkarriere in der Regel ab, bevor sie richtig angefangen hat. Ein Einkommen ist zu wenig

Das Leben in der Stadt ist teuer. Shubos Familie fehlt es an Essen, medizinischer Versorgung und Bildung. Sein Vater ist aufgrund seiner ethnischen Herkunft in der Berufswahl eingeschränkt. In der streng hierarchisierten Gesellschaft von Bangladesch sind für die Minderheit der Pochima viele Jobs tabu. Shubos Vater repariert am Strassenrand Fahrräder und verdient damit rund 37 Franken im Monat. Mit Beginn der Monsunsaison bricht das Geschäft weg. In der Vergangenheit folgten dann für die Familie jeweils harte Zeiten. Mutter Anjoli (28), die sich um die beiden Söhne kümmert, konnte es sich schlicht nicht leisten, arbeiten zu gehen. «Die Kosten für eine herkömmliche Kindertagesstätte hätten das gesamte Einkommen aufgezehrt», erklärt sie. Als ihr zu Ohren kam, dass in ihrer Gemeinde mit Unterstützung der Caritas eine Kindertagesstätte eröffnet wird, horchte die junge Mutter auf. «Ich wusste, das ist unsere Chance», sagt sie. Kurz darauf besuchten Shubo und sein jüngerer Bruder Shujo gemeinsam die Projaboti-Butterfly-Tagesstätte. Dort spielen die Kinder, singen, basteln und machen erste Schritte in Mathema4  Caritas   «Kinder» 2017

tik, Schreiben und Lesen. Eine frühkindliche Bildung ist für Kinder aus einem schwierigen Umfeld besonders wichtig. Ohne Unterstützung gelingt vielen der Sprung in die Regelschule nicht. Shubo hat es geschafft. Heute besucht der Sechsjährige die Primarschule und ist stolz, wenn er die Gedichte, Lieder und Reime wiedererkennt, die er in der Tagesstätte gelernt und seiner Mutter zu Hause vorgetragen hat. «Er hat keine Probleme, sich die Worte zu merken. Das gibt ihm ein gutes Gefühl», sagt sie genauso stolz. Endlich Arbeit!

Auch für Anjoli und ihren Mann hat sich viel verändert. Seit einiger Zeit arbeitet die junge Mutter als Putzfrau und kann so das Familieneinkommen aufbessern. «Das war nur möglich, weil ich meine Kinder in der Tagesstätte gut versorgt wusste», sagt sie. ■

Shubo (6) auf dem Weg zur Schule. Text: Sabine Schaller; Bild: Mridah Shihab Mahmad


Bangladesch: Ihr Stück gerechtere Welt

Weg aus den Slums Eine arme Familie in Bangladesch kommt nur mit zwei Einkommen über die Runden. Aber Beruf und Familie sind schlecht miteinander vereinbar. Wenn die Mutter arbeitet, sind die Kinder häufig sich selbst überlassen oder Geschwister übernehmen die Betreuung und müssen deshalb die Schule abbrechen. In den Tagesstätten der Caritas-Partnerorganisation MATI werden die Kinder auf die Regelschule vorbereitet, während ihre Mütter einer Arbeit nachgehen. Gut zu wissen: –  Mit 75 Franken finanzieren Sie das Monatsgehalt einer Betreuerin der Kindertagesstätte. –  10 Franken kostet die Verpflegung eines Kindes pro Monat. –  Mit 150 Franken bezahlen Sie einen Monat lang Betreuung, Raummiete und Material für 20 Kinder. ■ www.caritas.ch/kinder/bangladesch


Kinder in die Schule  ■ Nicaragua

«Meine Kn ie schlottern ni cht m ehr» Weil ihre Eltern arm sind, arbeiten im nicara­guanischen San Lucas viele Kinder, statt in die Schule zu gehen. Durch den Einsatz von Jugendpromotoren soll sich das ändern.

«Die Jugendlichen sehen in uns ein Vorbild.» Obell Nehemías González Mejía sagt das nicht ohne Stolz. Als Jugendpromotor berät er die Kinder und Jugendlichen in seiner Gemeinde San Lucas bei schulischen Arbeiten, gibt Nachhilfe und organisiert Freizeitaktivitäten. Der schüchterne 22-jährige Landwirt ist an seinen Aufgaben gewachsen und hat an Selbstbewusstsein gewonnen. «Meine Knie schlottern nicht mehr», sagt er. Und er weiss, wie wichtig dieses Selbstbewusstsein auch für die arbeitenden Jugendlichen in San Lucas ist. Eine von ihnen ist Karen Sarai Gutiérrez Moreno. Sie sagt: «Dank der Arbeit mit Obell traue ich mir viel mehr zu.» Der Traum vom Studieren

Wenn um 7 Uhr morgens die Schule beginnt, hat Karen bereits den Haushalt bei ihren pflegebedürftigen Grosseltern erledigt. Auf dem Schulweg löst sie die Hausaufgaben. Die 15-Jährige ist talentiert und möchte gerne studieren. Ihrer Familie fehlt zwar das Geld, um ihr diesen Traum zu erfüllen, aber sie steht hinter ihr und unterstützt Karen, wo sie nur kann. Das ist nicht selbstverständlich. «Manche Familien finden es nicht gut, wenn Jugendliche an unseren Aktivitäten teilnehmen», sagt Obell. Denn dann können sie nicht arbeiten und ihre Familien unterstützen. Dennoch kommt es langsam zu einem Umdenken. Obell ist stolz: «Wir konnten das Vertrauen der Gemeindemitglieder gewinnen. Jetzt bringen sie ihre eigenen Ideen ein.» Damit sind die Jugendlichen von San Lucas einer Zukunft mit besseren Einkommenschancen dank Schulabschluss ein Stück näher. ■ 6  Caritas   «Kinder» 2017

Nicaragua: Ihr Stück gerechtere Welt

Starke Jugendliche, starke Gemeinde Damit arbeitende Kinder die Schule besuchen und abschliessen können, brauchen sie Unterstützung. In San Lucas bildet die Caritas-Partnerorganisation INPRHU Jugendpromotoren wie Obell aus. Sie sollen Verantwortung übernehmen sowie eigene Aktionen durchführen, die den arbeitenden Kindern zugute kommen. Langfristiges Ziel ist, dass sie die neuen Führungspersonen ihrer Gemeinde werden. Gut zu wissen: –  In Nicaragua lebt die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in Armut. Nur zwei Drittel von ihnen schliessen die Primarschule ab. –  Dank der Unterstützung von Caritas können jedes Jahr rund 805 arbeitende Kinder und Jugendliche zur Schule gehen. –  Mit 25 Franken können Sie dazu beitragen, dass ein Kind Schulmaterial, einen Rucksack und eine Schuluniform erhält. ■ www.caritas.ch/kinder/nicaragua

Text: Anna Haselbach; Bild: Christian Isaías Flores


Kinder in die Schule  ■ Uganda

Selb stbew usst in d ie Zuku nft Seit Elizabeth in die «Nwoya Girls Academy» geht, ist sie voller Optimismus für sich und ihren zwei Jahre alten Sohn. Schafft sie den Sekundarschulabschluss, stehen ihr viele Wege in eine erfolgreiche berufliche Zukunft offen.

Vor etwas mehr als einem Jahr begann für Elizabeth ein neues Leben. «Bevor ich in der ‹Nwoya Girls Academy› aufgenommen wurde, dachte ich sogar daran, mich umzubringen», gesteht die 18-Jährige. Elizabeth hat düstere Jahre durchlebt. Als ihr Vater starb, besuchte das Mädchen noch die Grundschule. Ihre Mutter brachte die Familie mehr schlecht als recht mit Gemüse- und Getreideanbau durch. Dann starb auch der Onkel, der ihr geholfen hatte, das Schulgeld aufzubringen. Zwei Brüder von Elizabeth sprangen zwar in die Bresche und unterstützten ihre Mutter fortan. Die beiden waren aber der Meinung, dass Elizabeth schon lange genug die Schule besucht habe. «Es kam mir vor, wie wenn ich plötzlich eine Last für die Familie wäre», sagt sie.

In dieser Zeit begann das Mädchen, mit einem Mann auszugehen, dem Vater ihres Kindes. Der jedoch hielt nicht, was er versprach, und weigerte sich, für Elizabeth und den gemeinsamen Sohn Mike zu sorgen. «Meine Mutter nahm mich danach mit offenen Armen auf. Doch gegenüber dem Rest der Familie und den Nachbarn fühlte ich mich wie eine Aussätzige.» Eines Tages hörten sie im Radio von der «Nwoya Girls Academy». Und schon wenige Wochen später drückte Elizabeth dort die Schulbank – mit dem grossen Ziel vor Augen, den Sekundarabschluss zu machen. «Ich werde studieren und das wünsche ich mir auch für meinen Sohn», sagt das Mädchen und lächelt. ■

Uganda: Ihr Stück gerechtere Welt

Mit dem Kind in die Schule In der überwiegend ländlichen Gesellschaft Ugandas sind Mädchen vor allem ein Kostenfaktor. Die Eltern versuchen deshalb, sie früh zu verheiraten. Mädchen, die eine Schule besuchen und schwanger werden, droht der Ausschluss von der Schule. Caritas unterstützt im Norden Ugandas die «Nwoya Girls Academy», wo Mädchen und junge Mütter die Möglichkeit erhalten, eine Schul- und Berufsbildung zu absolvieren, und wo ihre Kinder in einer Krippe betreut werden.

Text: Fabrice Boulé; Bild: Alexandra Wey

Gut zu wissen: –  2015 haben 62 Mädchen die von Caritas unterstützte «Nwoya Girls Academy» besucht und das Schuljahr erfolgreich beendet. –  20 Babys wurden in der schulinternen Krippe betreut. –  Acht Hektar Land wurden urbar gemacht und bepflanzt, um künftig einen Teil des Nahrungsmittelbedarfs der Schule zu decken. ■ www.caritas.ch/kinder/uganda

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Kinder in die Schule  ■ Haiti

Ich wünsche m ir für Haiti  … Wie sieht das Haiti deiner Träume aus? So lautete die Aufgabe vor einigen Monaten im Zeichenunterricht an der Caritas-Schule «La Sainte Famille de Trou Sable». Entstanden sind Bilder von sauberen, aufgeräumten Orten mit Blumen, Bäumen und Spitälern. Sie drücken den Wunsch nach Normalität aus. Kurze Zeit später wurde dieser durch Hurrikan «Matthew» einmal mehr jäh zerstört.

«

Ich träume von einem Haiti, das sauber ist, und ich träume von Städten, in denen es schön und angenehm ist zu leben.

»

Hendrick Madistou, 5. Klasse (11)

«

Viel zu viele Leute in Haiti sterben, weil sie keine medizinische Hilfe bekommen. Ich habe das selbst schon miterlebt. Ich möchte in einem Haiti aufwachsen, in dem es funktionierende Spitäler gibt und die Kranken gut betreut werden.

»

Kerwiby Lemaître, 5. Klasse (11)

dass Haiti wieder so schön wird, «wieIchesmöchte, einmal war – mit vielen Bäumen, Spitälern, Spielplätzen für Kinder, schönen Mäuerchen und sauberen öffentlichen Toiletten.

»

Fortuné Lucson, 5. Klasse (12)

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Text: Sabine Schaller; Bild: Paolo Charles


mir, dass keine Menschen mehr «aufIchderwünsche Strasse übernachten und Kinder nicht mehr hungern müssen. Dafür bete ich. »

Junia Geneviève Jean-Baptiste, 6. Klasse (14)

Haiti: Ihr Stück gerechtere Welt

Mit Bildung gegen Armut In der von Caritas gebauten Schule «La Sainte Famille de Trou Sable» in Gonaïves haben die Kinder aus Haitis Elendsviertel «Trou Sable» die Möglichkeit, den Kindergarten, die Primarschule und die Oberstufe zu besuchen. Caritas Schweiz unterstützt die Schule unter anderem beim Bau von sanitären Anlagen, bei der Weiterbildung der Fachpersonen sowie beim Nachhilfeunterricht und bei der Vergabe von Stipendien. Gut zu wissen: –  Zurzeit besuchen 1594 Kinder die Schule «La Sainte Famille de Trou Sable» in Gonaïves. –  Mit 900 Franken können in den sanitären Anlagen der Schule ein Waschbecken und eine ToilettenSchüssel installiert werden. –  Mit 200 Franken kann ein Kind ein Jahr lang in die Schule gehen, Schreibmaterial und Hefte eingeschlossen. ■ www.caritas.ch/kinder/haiti

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Kinder in die Schule  ■ Äthiopien

Mizan bietet ihrem grössten Feind d ie Stir n In Mizans Klassenzimmer bleiben immer mehr Plätze leer, weil der Hunger viele Familien in die Flucht getrieben hat. Mizan hatte Glück. Dank der Lebensmittelhilfe konnte sie in ihrem Dorf bleiben und weiterhin zur Schule gehen. Und seit sie Energiekekse erhält, fällt ihr auch das Lernen wieder leichter.

Plötzlich kamen sie jeweils nicht mehr zur Schule. Sie waren verschwunden aus Awo, dem Dorf im TigrayDistrikt ganz im Norden von Äthiopien. Und Mizan vermisste ihre Freundinnen. Aber sie weiss, warum sie Awo verlassen mussten: «Ihre Familien sind weit weg gezogen, um ihre Kühe zu ernähren. Hier gab es nicht mehr genug Futter.» Der Weg zur Schule wäre für ihre Freundinnen

jetzt zu lang und zu beschwerlich. Die Suche nach Essen und Wasser hat Vorrang. Mizans Freundinnen sind keine Ausnahme: Immer wieder müssen Kinder in Äthiopien die Schule aus diesem Grund ab- oder für eine längere Zeit unterbrechen. Mizan Kibrom Desta hingegen hatte Glück: Ihre Familie konnte in Awo bleiben. Mizan ist elf Jahre alt. Und sie kämpft bereits gegen einen grossen Gegner: «Oh, die Dürre. Sie ist unser grösster Feind», sagt sie. Wie über 80 Prozent der Menschen in Äthiopien sind auch Mizan und ihre Familie Selbstversorger, die vor allem von ihren wenigen Tieren und dem Ertrag der Felder leben. Ihre Lebensgrundlage hängt komplett vom Wetter ab. «Ohne Regen keine Aussaat, ohne Aussaat keine Ernte, und das bedeutet Hunger für uns und das Vieh», erzählt Mizan. Von ihren fünf Tieren sind der Familie eine Kuh und zwei

Die Energiekekse, die an den Schulen ausgegeben werden, enthalten wichtige Fette, Proteine und Kohlenhydrate.

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Text: Anna Haselbach; Bilder: Caritas Harar, Sabine Schild


Ziegen übrig geblieben. Davon hätte die sechsköpfige Familie nicht überleben können. Doch als der Hunger überhand nahm, kam Unterstützung von der Regierung: Mizans Familie erhielt Lebensmittelhilfe. Deshalb war die Familie nicht gezwungen, Awo zu verlassen. Und Mizan konnte weiterhin regelmässig zur Schule gehen. Energie für das Gehirn

Aber im Unterricht aufzupassen, fiel dem Mädchen schwer. Denn die Lebensmittelpakete sind knapp bemessen. «Ich war so hungrig, dass ich mich gestresst und müde fühlte in der Schule», erzählt sie. Seit sie – wie die Kinder in elf anderen Schulen in Tigray – jedoch von

«Ich war so hungrig, dass ich mich gestresst und müde fühlte in der Schule.» Caritas Schweiz regelmässig Riegel mit hohem Energiewert erhält, kann sie sich viel besser konzentrieren. Die Riegel enthalten so viele Nährstoffe, wie die Kinder sie sonst nur mit einer normalen Mahlzeit einnehmen. «Und sie schmecken richtig gut», sagt Mizan und strahlt. Nicht nur für die Schule, auch für den Alltag zuhause braucht Mizan die Stärkung. Wie viele Kinder muss sie im Haushalt mitanpacken. Nach der Schule füttert sie die Tiere und sammelt Holz zum Anfeuern. Sie muss ihrer Mutter zur Hand gehen, denn Mizans Vater hat die Familie verlassen. Mizans Mutter muss sich um alles kümmern – keine einfache Aufgabe. Wenn ihre Mutter krank ist oder auf den Markt geht, dann springt Mizan ein. Sie ist das einzige Mädchen unter ihren fünf Geschwistern. Mizan ist froh, dass sie trotzdem zur Schule gehen und dem Unterricht ohne den Hunger im Bauch auch richtig folgen kann. Damit kommt sie ihrem Zukunftswunsch näher: «Ich möchte einen Schulabschluss machen, damit ich einen Beruf erlernen kann.» ■

Äthiopien: Ihr Stück gerechtere Welt

Die blauen Schulen Im Kampf gegen Hunger ist der Umgang mit Wasser zentral. Caritas setzt deshalb im Bildungsbereich zunehmend auf die Idee von «blue schools»: Die Kinder lernen in der Schule, wie sie Wasser im Alltag nutzen können. Neben Toiletten werden Sammelbehälter für Regenwasser installiert. Dieses nutzen die Schulen als Trinkwasser und für die Bewässerung der Schulgärten. So lernen die Kinder, wie sie mit wenig Wasser Obst und Gemüse anbauen können. Gut zu wissen: –  2055 Kinder können dank Caritas in Äthiopien jedes Jahr zur Schule gehen. Dabei fördert Caritas Schweiz besonders Mädchen. Denn in ihren Händen liegt die Zukunft des Landes. –  Für 68 Franken erhalten fünf Schüler vier Monate lang pro Schultag vier Energieriegel. –  346 Franken kosten Saatgut, Werkzeug, Bewässerungsanlage und ein Wassertank für 150 Kinder. Das entspricht einem Betrag von 2.31 Franken pro Kind. ■ www.caritas.ch/kinder/aethiopien

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Bosnien-Herzegowina: Ihr Stück gerechtere Welt

Schule für die Zukunft Die Roma sind in Bosnien-Herzegowina diskriminiert und schlecht integriert. Caritas Schweiz unterstützt Schulen mit Integrationsklassen für Romaund andere benachteiligte Kinder. Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler die obligatorische Schulzeit erfolgreich beenden. Dabei werden sie mit Hausaufgabenhilfe und Schulmaterial unterstützt, sie erhalten Kleider und regelmässige Mahlzeiten. Die Eltern werden von Sozialarbeitenden begleitet. Gut zu wissen: –  Seit 2013 erhielten 629 Roma-Kinder in 11 Primarschulen über 10 000 Nachhilfestunden. –  41 Kinder wurden spezifisch auf die Abschlussprüfung der Grundschule vorbereitet und konnten so auf weiterführende Sekundär- oder Berufsschulen gehen. –  136 Kinder und Jugendliche haben die Sekundarund Berufsschule besucht. –  Mit 30 Franken kann eine arme Familie einen Monat lang mit Reis, Mehl, Gewürzen, Seife und Zahnpasta versorgt werden. ■ www.caritas.ch/kinder/bosnien-herzegowina


Kinder in die Schule  ■ Bosnien-Herzegowina

«Wir habe n d ie selbe Ges ch ichte d urchlebt» Die bosnische Mediatorin Murisha Halilovic´ (21) trägt mit ihrer Arbeit dazu bei, dass RomaKinder in einem sicheren Umfeld eine fast normale Schulzeit erleben. Den Eltern zeigt die junge Frau auf, dass es ohne Bildung keine Zukunft gibt für die Kinder. Wenn sie dabei auf Unverständnis stösst, hilft ihr häufig die eigene Geschichte als Türöffner.

Welche Aufgaben nehmen Sie in der Funktion als Roma-Mediatorin an der Schule wahr?

Ich unterstütze und fördere den Kontakt zwischen der Schule und den Eltern. Daneben erteile ich Nachhilfeunterricht und betreue sogenannte Aufholklassen, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Unterricht erhalten. Zu meiner Arbeit gehört auch die Anwesenheitskontrolle der Kinder. Wenn sie nicht zur Schule kommen, gehen wir in die Roma-Siedlung und erkundigen uns bei den Eltern nach ihrem Verbleib. Zusammen mit der Sozialarbeiterin statte ich der Gemeinschaft und den Familien Besuche ab, um etwa über Veränderungen in der Schule zu informieren. Mit älteren Schülern, die kurz vor dem Primarschulabschluss stehen, diskutieren wir Möglichkeiten einer beruflichen Zukunft oder einer weiterführenden Ausbildung. Wir versuchen, so viele Schüler wie möglich an die Sekundarschule zu bringen, und unterstützen die Eltern dabei in administrativen Belangen.

Warum ist der Zugang zum Bildungssystem für Roma-Kinder so schwierig?

Jede zweite Familie hadert mit der Entscheidung, ihre Kinder in die Schule zu schicken, weil sie fürchtet, dass sie dort gehänselt, verprügelt und diskriminiert werden könnten. Und manchen Eltern fehlt schlicht das Geld, um das Schulmaterial zu finanzieren. Wir versuchen dann, den Eltern aufzuzeigen, wie wichtig die Schule für die Zukunft ihrer Kinder ist, und erklären, dass wir Schulmaterial zur Verfügung stellen und Mahlzeiten anbieten. Wie gelingt es Ihnen, die Eltern von der Schule zu überzeugen?

Anfänglich war das schwierig. Inzwischen hat sich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Es hilft auch, dass ich mit ihnen meine eigene Geschichte teile. Ich komme ebenfalls aus der Roma-Gemeinschaft und habe früh meine Eltern verloren. Dank der Unterstützung meines Onkels konnte ich aber die Schule besuchen. Später habe ich verschiedene Kurse absolviert, ähnlich denen, die ich heute selbst unterrichte. Was motiviert Sie bei Ihrer Arbeit?

Wenn ich meine Geschichte den Kindern erzähle, hören sie gespannt zu. Sie stellen Fragen und beginnen, auch ihre Geschichte zu erzählen. Die Kinder sind meine Motivation, als Roma-Mediatorin weiterzumachen. ■

Dank Caritas besuchen immer mehr Roma-Kinder in Bosnien-Herzegowina eine Schule. Text: Dominique Schärer; Bilder: Denis Rović, zVg

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«Kinder» 2017   Caritas


«Uns hat da s Glück getroffe n»

Mit den Kinderpatenschaften möchte die schweizerischperuanische Familie Tobler aus Greppen (LU) Kindern helfen, die keine guten Startbedingungen ins Leben haben. «Brauchst du Geld oder möchtest du etwas zu essen?», fragte Peter Tobler den peruanischen Jungen, der vor ihm auf der Strasse stand und seine kleinen Hände zu einem Kelch formte. Das Wort «Hunger» purzelte schnell aus dem Kindermund, worauf der Schweizer und seine peruanische Frau ihn und seinen Bruder kurzerhand ins Res­ taurant einluden. Nachdem auch noch der Cousin der beiden draussen am Fenster vorbeilief, sassen sie plötzlich zu fünft am Tisch, und die Kinder teilten mit dem Ehepaar Geschichten aus ihrem Alltag: Der Älteste des Trios erzählte, dass er die Schule besucht habe, bis seine Eltern das Geld für die Uniform und die Schulbücher nicht mehr aufbringen konnten. Die beiden Jüngeren sagten, dass sie noch nie eine Schule besucht hätten. «Die Kinder machten keinen unglücklichen Eindruck. Aber mir war klar, dass sie niemals über die Möglichkeiten verfügen würden, wie sie Kinder in der Schweiz haben», sagt Peter Tobler. Etwas vom eigenen Glück abgeben

In Peru hat Peter Tobler viele Facetten der Armut gesehen: bettelnde Kinder, die mit den Almosen der Touristen die Familie unterstützten, kranke Menschen, die Geld sammelten, um Medikamente zu kaufen, behinderte 14  Caritas   «Kinder» 2017

Kinder, die, von den Eltern ausgesetzt, Aufnahme bei Ordensschwestern fanden. Diese Begegnungen haben ihn nachdenklich gestimmt – dies umso mehr, weil im Bauch seiner Frau gerade ein neues Leben heranwuchs. «Das war ein Augenöffner. Ich habe realisiert, wie gut wir es in der Schweiz haben.» Nach der Geburt des ältesten Sohnes Leonardo (13) erinnerte er sich an die drei peruanischen Jungen. «Uns hat das Glück getroffen. Deshalb wollten wir einem

«Wir wollten einem Kind helfen, das nicht im Wohlstand aufwächst.» Kind helfen, das nicht im Wohlstand und Sicherheit aufwächst.» Diese Tradition hat Tobler nach der Geburt von Alexandra (11) und Gabriel (9) fortgesetzt und in deren Namen je eine Kinderpatenschaft abgeschlossen. «Bei den Kindern muss das Bewusstsein für die Bedeutung der Patenschaften wie ein Samen erst noch wachsen. Aber eines Tages werden sie erkennen, dass sie mit ihrer Hilfe etwas verändern können», sagt Peter Tobler. ■ Text: Sabine Schaller; Bild: Silvan Fessler/Ex-Press


Kinder von der Strasse  ■ Ruanda

Zu rück zu r Fam il ie Izabayo Amani hat es geschafft: Das Leben als Müllsammler in den Strassen von Kigali gehört der Vergangenheit an. Der 14-Jährige ist zu seinen Geschwistern und zu seiner Mutter zurückgekehrt und besucht die öffentliche Schule.

Wenn die Hauptstadt Ruandas am Morgen erwachte und Izabayo Amani sich unter dem freien Himmel von Kigali den Schlaf aus den Augen rieb, plagte ihn ein knurrender Magen und die Frage, ob er aus den Mülltonnen so viel Alteisen zusammentragen und verkaufen konnte, um den Hunger irgendwann am Tag mit einer warmen Mahlzeit zu stillen. «Wenn es nicht reichte, habe ich geklaut. Manchmal wurde ich dabei erwischt und verprügelt», erzählt der Bub. Die Strasse war zu seinem Zuhause geworden, nachdem sein Vater die Familie verlassen hatte. Alleine schaffte es die Mutter nicht, die fünf Kinder durchzubringen – mit dem wenigen Geld, das ihr noch blieb, konnte sie knapp eine Mahlzeit pro Tag kochen. «Ich habe nicht mehr daran geglaubt, dass ich irgendwann zu meiner Familie zurückkehren oder in die Schule gehen würde», sagt der 14-jährige Izabayo. Die Wende kam, als ihn Mitarbeitende von Abadacogora-Intwari an­ sprachen und in eines ihrer drei Caritas-Zentren brachten: «Dort bekam ich Essen, Medikamente und wurde auf die Schule vorbereitet», sagt er. Heute beginnt der Tag für Izabayo im eigenen Bett: Er steht auf, wäscht sich, betet, frühstückt mit seiner Familie und macht sich auf den Weg in die öffentliche Schule. Am Abend kocht die Mutter – seit sie vom Zentrum Unterstützung erhält, reicht das Geld für zwei Mahlzeiten täglich – und wenn die Hausaufgaben erledigt sind, bleibt gar Zeit, von der Zukunft zu träumen. «Ich möchte eine Universität besuchen und Arzt oder Journalist werden, um den Armen zu helfen», sagt Izabayo stolz. ■ Text: Sabine Schaller; Bild: Eric Rutembesa

Ruanda: Ihr Stück gerechtere Welt

Hilfe für Strassenkinder Die Wirtschaft in Ruanda wächst zwar – doch der Aufschwung kommt bei den Ärmsten nicht an. Häufig sind es finanzielle Nöte, die ein Leben auf der Strasse erzwingen. In drei Zentren der CaritasPartnerorganisation Abadacogora-Intwari erhalten Strassenkinder eine warme Mahlzeit, medizinische Versorgung, und sie können an Freizeitaktivitäten teilnehmen. Ziel ist es, den Kindern die Rückkehr in die Familie zu ermöglichen und berufliche Perspektiven zu schaffen. Gut zu wissen: –  128 Strassenkinder wurden im 1. Halbjahr 2016 im Zentrum Abadacogora-Intwari neu aufgenommen. –  93 % der ehemaligen Strassenkinder, die in die Primarschule eingeschult wurden, haben erfolgreich ihre Jahresabschlussprüfungen absolviert. –  151 Eltern von Strassenkindern schlossen sich in Kleinspargruppen zusammen, um besser für ihre Kinder sorgen zu können. ■ www.caritas.ch/kinder/ruanda

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«Kinder» 2017   Caritas


Kinder von der Strasse  ■ Brasilien

Fu ssball, Drog en und viel Hoffnu ng Tiago Oliveira da Conceição (14) lebt im Nordosten von Brasilien in der Hafenstadt Recife. Ein richtiges Zuhause hat er nicht. Die meiste Zeit verbringt er zusammen mit anderen Jugendlichen auf der Strasse. Mit der Kamera hat der 14-Jährige einen Tag in seinem Leben dokumentiert.

Tiago ist der grosse Star des brasilianischen Fussballs. Sein kleiner Namensvetter lächelt in die Kamera, sein Daumen zeigt nach oben, im Hintergrund kräuselt sich vor der Hafenstadt Recife das Wasser des Atlantiks. Dass die Postkartenidylle trügt, verrät das Logo der CaritasPartnerorganisation «Ruas e Praças» auf dem gelben Trikot des 14-Jährigen. Gleich wird er seine Turnschuhe schnüren und auf das asphaltierte Fussballfeld einlaufen – gemeinsam mit seinen Teamkollegen, die wie er auf der Strasse leben.

Der Tag beginnt spielerisch: Am Morgen nimmt Tiago an einer Fussballwerkstatt der Gruppe «Ruas e Praças» teil. Den Nachmittag und die Nacht verbringt er zusammen mit anderen Strassenkindern im Zentrum von Recife.

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Text: Sabine Schaller; Bilder: Tiago und Freunde


Auf den Boulevards und Plätzen Recifes hat Tiago die Sozialarbeiter der Gruppe «Ruas e Praças» kennengelernt und Vertrauen zu ihnen gefasst. Seither pendelt er zwischen zwei Welten: Am Vormittag nimmt er an Aktivitäten der Organisation teil, den Nachmittag und die Nacht verbringt er im Stadtzentrum. Kleine Lichtblicke

Tiago hat sich verändert. Er hat eine klarere Vorstellung gewonnen vom Leben abseits der Strasse. Dazu beigetragen hat auch die Schule, die er wieder regelmässig besucht. Trotzdem bleibt die Strasse vorläufig sein Zuhause. Hier lebt er zusammen mit seinem Bruder, seinen Freunden und mit der Frau, in deren Obhut ihn seine Mutter vor zwei Jahren gegeben hatte. Und hier locken immer wieder die Drogen. Hoffnung bringt ihm sein Bruder. Er wird für ein Wochenende auf das Landgut «Capim de Cheiro» der Gruppe «Ruas e Praças» ziehen und eine Therapie gegen Drogen und Kriminalität beginnen. Und Tiago? Vielleicht kann er seinem grossen Fussballer-Vorbild eines Tages folgen. Hofft Tiago. ■

Brasilien: Ihr Stück gerechtere Welt

Raus aus der Sackgasse! Im Nordosten von Brasilien beträgt das monatliche Pro-Kopf-Einkommen etwa 235 Franken, dasjenige der extrem Armen ganze 21 Franken. Oft führt die finanzielle Not in eine Abwärtsspirale aus Drogen, Prostitution und Bandenkriegen. In Recife arbeitet Caritas mit der Partnerorganisation «Ruas e Praças» (GRP) zusammen. GRP setzt Sozialarbeiter ein, um die Kinder von der Strasse in ihr Zentrum zu holen, wo sie duschen, schlafen, essen und sich an Freizeitaktivitäten beteiligen können. Gut zu wissen: –  Eine warme Mahlzeit am Tag kostet bei GRP 3 Franken. –  210 Kinder und Jugendliche nehmen jeden Monat an Capoeira- und Percussion-Kursen von GRP teil. –  Mit 50 Franken leisten Sie einen Beitrag zum Erwerb von didaktischem Material für Kinder und Jugendliche. –  Mit 115 Franken finanzieren Sie ausreichend Hygienematerial, damit 50 Kinder sich einen Monat lang waschen und duschen können. ■ www.caritas.ch/kinder/brasilien

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«Kinder» 2017   Caritas


Ein Tag im Haus «Minka» Kinder von der Strasse  ■ Bolivien

Carolina lebt in einem von den Caritas-Kinderpatinnen und Paten mitfinanzierten Zentrum für misshandelte Kinder in El Alto. Hier fühlt sie sich geborgen und fasst neuen Mut. Was sie durchgemacht hat und wie ein Tag im Haus «Minka» aussieht, erzählt sie gleich selbst.

«

Mein Name ist Carolina und ich bin zehn Jahre alt. Im letzten Februar kam ich in das Haus «Minka», weil meine Stiefmutter mich so fest geschlagen hatte, dass ich ins Krankenhaus musste. Ich habe meinen Vater und zwei kleine Halbbrüder. Meine Stiefmutter aber will mich nicht. Sie schrie mich immer an, schlug mich heftig und hat mir Verbrennungen zugefügt. Ich hatte sehr grosse

Angst vor ihr. Als ich hierher kam, war ich zuerst eingeschüchtert. Ich dachte, dass ich auch hier verletzt werden könnte. Aber die Betreuerinnen waren sehr freundlich zu mir. Sie haben gesagt, dass sie mir helfen werden. Gärtnern und multiplizieren

Ein Tag im Haus «Minka» macht fast immer Spass. Wir stehen um 7 Uhr auf. Gerne würde ich etwas länger schlafen, aber wir müssen unsere Betten machen, unsere Schränke aufräumen und den Boden wischen. Nach dem Waschen und Kämmen gibt es Frühstück. Wenn die Betreuerinnen kommen, sprechen wir darüber, wie es uns geht. Einige Mädchen gehen dann zu einem Gespräch mit unseren zwei Psychologinnen. Danach beginnen die Klassen mit den freiwilligen Lehrerinnen. Wir turnen,

Im Haus «Minka» hat die zehnjährige Carolina zu ihrem Lachen zurückgefunden, nachdem sie von ihrer Stiefmutter misshandelt worden war.

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Text: Stefan Gribi; Bilder: Diane Clerc


basteln und malen. Mit Señora Paulina arbeiten wir im Garten. Ich habe drei eigene Zwiebelpflanzen, die vierte ist leider eingegangen. In den Schulstunden mag ich am liebsten Mathematik. Ich kann schon gut multiplizieren, jetzt lernen wir das Dividieren. Gerne möchte ich später auch Lehrerin werden und Kindern das Rechnen beibringen. Nach der Schule gibt es Mittagessen. Ich habe alles gerne, auch Gemüse, nur Kutteln mag ich nicht. Dann erledigen wir unser Ämtchen: Abräumen, Abtrocknen und den Speisesaal wischen. Am Nachmittag gehen wir zuerst in die Ludothek und machen Spiele. Das ist mir die liebste Zeit des ganzen Tages. In den Handwerkstunden zeigt uns Señora Marcia, wie man Schals und Handschuhe herstellt. Ich habe hier auch gelernt zu weben, das ist ganz einfach, ich werde es später meinen kleinen Brüdern beibringen. Nach dem Zvieri können wir fernsehen. Wir Kleineren schauen

«Wenn die Betreuerinnen kommen, sprechen wir darüber, wie es uns geht.» gerne Trickfilme, die Grösseren möchten aber ihre Serien haben, und deshalb gibt es manchmal Streit. Nach der Nachhilfe gibt es Abendessen, und schon ist es Zeit, die Zähne zu putzen und schlafen zu gehen. Immer ein offenes Ohr für Sorgen

So vergehen die Tage im Haus «Minka». Was ich noch vergessen habe: Am Samstag kommen häufig die Junticos. Das sind Jugendliche, die mit uns spielen und Theater machen. Darauf freue ich mich immer. Und ab und zu machen wir auch einen Ausflug, zum Beispiel in einen Park oder auf einen Bauernhof. Einmal sind wir sogar mit der Luftseilbahn gefahren. Das einzige, was mir Sorgen macht: dass mich meine Stiefmutter wieder schlecht behandelt, wenn ich zurück nach Hause gehe. Und manchmal bin ich traurig, weil ich meinen Vater und meine Brüder nicht sehe. Aber die Señoras hören mir zu, wenn es mir nicht gut geht, und machen mir Mut. ■

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Bolivien: Ihr Stück gerechtere Welt

Wo Mädchen Schutz finden In der Grossstadt El Alto erleiden vier von fünf Mädchen Gewalt in der Familie. Mit Unterstützung von Caritas betreibt die Organisation ENDA zwei Einrichtungen: Das Zentrum «Fraternidad» nimmt Mädchen auf, die von zuhause weggelaufen sind und auf der Strasse leben, das Zentrum «Minka» kümmert sich um Opfer familiärer Gewalt. Die beiden Zentren bieten Unterkunft, Schutz und Betreuung für je 20 Mädchen und junge Frauen im Alter von sechs bis achtzehn Jahren. Gut zu wissen: –  Gewalt gegen Kinder in der Familie kommt in El Alto doppelt so häufig vor wie im restlichen Bolivien. Gründe dafür sind extreme Armut und eine vom Machismo geprägte Kultur. –  Mit 120 Franken kann das Haus «Minka» die Kosten für ein Frühstück für alle Mädchen decken. –  Hygiene ist wichtig für eine gesunde Entwicklung: Zahnbürsten, Zahnpasta, Seife und Shampoo für 15 Mädchen kosten 50 Franken. ■ www.caritas.ch/kinder/bolivien-strasse

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«Kinder habe n Re chte!»

«Für, aber vor allem mit den Kindern», so lautet das Credo von Jean Zermatten. Seit über 20 Jahren setzt sich der Walliser unermüdlich für die rechtliche Besserstellung der Kinder in der Gesellschaft ein. Jean Zermatten, die UNO-Kinderrechtskonvention (KRK) wurde 1989 in Kraft gesetzt. Wie schätzen Sie die seitdem erzielten Fortschritte ein?

Das Glas ist halb voll und halb leer. Sieht man das halbvolle Glas, würde ich sagen, dass die Konvention viel verändert und bewegt hat. Das Kind wird nicht mehr als Empfänger von Dienstleistungen, beispielsweise im Ausbildungs- und Gesundheitsbereich, verstanden, sondern

«In der Schweiz wird das Recht des Kindes auf Gehör nur ungenügend umgesetzt.» als Träger von Rechten. Durch diesen Statuswechsel sind weltweit zahlreiche neue Gesetze entstanden, denn 195 der 196 Unterzeichnerstaaten der Konvention haben den Text auch ratifiziert. Man kann dies zweifellos als beachtlichen Schritt in der Entwicklung der Menschheit bezeichnen. Betrachtet man das halbleere Glas, dann sieht man ein grosses Ausbildungsdefizit bei den Fachpersonen. Vieles wurde getan, um die Kinder besser zu schützen 20  Caritas   «Kinder» 2017

und zu unterstützen, wenig dagegen zur Stärkung der Kinder als Träger von Rechten. Auch die hierfür bereitgestellten finanziellen und personellen Ressourcen sind bei weitem nicht ausreichend. Wir leben in einer krisengeschüttelten Welt und die für Schutz und Prävention bereitgestellten Mittel werden entsprechend gekürzt. Die Schweiz trat der Kinderrechtskonvention am 26. März 1997 bei. Welche Bilanz ziehen Sie angesichts der Situation in unserem Land?

Anfangs war die Schweiz eher zurückhaltend und extrem vorsichtig. Sie trat als letztes europäisches Land der Konvention bei. Aber dann nahm sie das Thema sehr ernst. So wurde in der neuen Bundesverfassung Artikel 11 eingefügt, der besagt, dass «Kinder ihre Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit ausüben». In den Bereichen Grundversorgung, Bildung, Gesundheit und Schutz des Kindes leistet die Schweiz vorbildliche Arbeit. Hingegen verletzt die grosse Zahl armutsbetroffener Kinder in der Schweiz das garantierte Recht eines jeden Kindes auf menschenwürdige Lebensbedingungen. Ausserdem wird in der Schweiz das Recht des Kindes auf Gehör nur ungenügend Text: Vérène Morisod Simonazzi; Bild: zVg


umgesetzt. Im Falle einer Scheidung beispielsweise werden nur 10 Prozent der Kinder gehört. Allergrösste Sorgen bereiten mir Kinder in Migrationssituationen. Eine Untersuchung hat aufgezeigt, dass 2015 in der Schweiz 142 minderjährige Migranten in Gewahrsam genommen wurden, nur um sie dann ausweisen zu können. Solche Massnahmen stehen natürlich vollkommen im Widerspruch zur Kinderrechtskonvention.

führenden Schulen dagegen ist der Handlungsbedarf nach wie vor gross. Es gilt, den Kampf für die Rechte der Mädchen fortzusetzen und von den Staaten mehr Kontrolle einzufordern. Hier spielen auch Organisationen wie die Caritas eine wichtige Rolle. Eltern beispielsweise, die ihre Töchter zum Arbeiten statt in die Schule schicken, müssen von der Bedeutung der Schulbildung überzeugt werden. ■

Mädchen werden überall auf der Welt stark diskriminiert. Was braucht es, um ihre Situation zu verbessern?

Jean Zermatten

Millionen Mädchen in dieser Welt werden ausgebeutet – insbesondere als Prostituierte und Hausangestellte. Gemäss Artikel 2 der Kinderrechtskonvention müssen Kinder gegen jede Form von Diskriminierung geschützt werden. Im Bildungsbereich, vor allem in der Grundschule, wurden Fortschritte erzielt. In den weiter-

Der Jurist Jean Zermatten (68) hat sich während seiner gesamten beruflichen Laufbahn für die Rechte des Kindes engagiert. Unter anderem war er 25 Jahre lang Präsident des Jugendgerichts im Kanton Wallis, er präsidierte das UNO-Komitee für Kinderrechte und gründete das Internationale Institut der Rechte des Kindes. Das vollständige Interview lesen Sie unter: www.caritas.ch/kinderrecht

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Lebensmut für Kinder  ■ Kambodscha

Für 30 Do llar und eine Br ille verkauft Von sechs Uhr morgens bis elf Uhr nachts musste der sehbehinderte Phirun in Vietnam auf der Strasse betteln. Wenn er nicht genug Geld verdiente, bekam er nichts zu essen. Seine Peiniger schlugen ihn mit einem Stock und drückten seinen Kopf so lange unter Wasser, bis er fast ertrank.

30 Dollar bar auf die Hand für die Familie, für seinen stark sehbehinderten Sohn endlich eine Brille, neue Kleider und eine Arbeit in Vietnam – das Angebot seines Nachbarn war zu verlockend für Phiruns Vater, als dass er es hätte ablehnen Die Caritas-Partnerorganisationen können. Es war ein Lichtbieten in ihren Zentren blick in der armseligen Schutz und Schulunterricht für Hütte unweit der vietnamissbrauchte Kinder. mesischen Grenze. Das Versprechen, dass von nun an gesorgt sein würde für den damals etwa zwölfjährigen Phirun und dass er mit seinem Verdienst die bitterarme Familie sogar würde unterstützen können, bedeutete eine grosse Erleichterung. Dass der Verdienst leere Worte waren, die Arbeit Betteln, die neuen Kleider Lumpen und die Brille Fensterglas, das erfuhr Phirun erst, als er sich nach einem illegalen Grenzübertritt am Strassenrand in einer vietnamesischen Stadt wiederfand. Jeden Tag wurde der Bub von neuem gedemütigt, geschlagen und zum Betteln auf die Strasse gezwungen.

Die grausame Folge von Armut

Tausende von Kindern und Jugendlichen wie Phirun werden in Kambodscha jedes Jahr Opfer von Menschenhandel. Immer weiter klaffen Arm und Reich in diesem Land auseinander, immer chancenloser gestaltet sich das Leben der Ärmsten. Skrupellose Verbrecher nützen die bittere Armut aus. Sie schicken die Kinder nicht nur zum Betteln, sondern zwingen sie auch in die Prostitution oder vermarkten sie als billigste Arbeitskräfte nach Thailand. Ein neuer Anlauf

Viele Kinder werden in Thailand und Vietnam von der Polizei aufgegriffen, verhaftet und als illegale Migranten nach Kambodscha zurückgeschafft. Auch Phirun erging es nicht anders. Drei Monate lang war er in einem überfüllten Gefängnis eingesperrt, bevor er in seine Heimat zurückgeschoben wurde. Erst als er im Auffangzentrum des lokalen Caritas-Partners Aufnahme und Betreuung gefunden hatte, war der Albtraum für ihn zu Ende. Hier kann er nun seine traumatischen Erlebnisse verarbeiten, wieder zu einem Kind werden, zur Schule gehen und mit einer Berufsausbildung einen neuen Anlauf in ein besseres Leben nehmen. ■

Kinder aus armutsbetroffenen Familien sind leichte Opfer für Menschenhändler: sie werden zu Spottpreisen verkauft und ausgebeutet.

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Text: Jörg Arnold; Bilder: Barbara Dietrich, Alexandra Wey


Kambodscha: Ihr Stück gerechtere Welt

Nie mehr Ausbeutung Mehr als neunhundert Kinder, die Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung geworden sind, finden in den Zentren der beiden lokalen Caritas-Partner CCPCR (Cambodian Center for the Protection of Children’s Rights) und Damnok Toek Schutz und eine neue Zukunft. Sie können die Schule besuchen und eine Berufsausbildung absolvieren. Wichtig ist zudem die Aufklärungsarbeit in Gemeinden, wo Kinder besonders gefährdet sind.

Gut zu wissen: –  38 Franken kostet die Unterbringung eines Kindes in einem der Schutzzentren pro Monat. –  Eine Nähmaschine und das nötige Material für die Ausbildung zur Näherin kosten 58 Franken. –  Mit geschätzten 32 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr ist das Geschäft mit der Handelsware Mensch das drittgrösste illegale Business nach dem Drogen- und Waffenhandel. Kambodscha ist in Südostasien eine der wichtigsten Drehscheiben. ■ www.caritas.ch/kinder/kambodscha


Lebensmut für Kinder  ■ Kuba

Claud ia s Flair für Mat hematik «Wachsen lernen» heisst das Projekt, das in Kuba geistig behinderten Kindern hilft, einen Platz in Familie und Gesellschaft zu finden. Projektkoordinatorin Graciela Alfonso Ares erklärt, weshalb das nur mit Frühförderung geht.

Wie sind die Bedingungen für geistig behinderte Kinder und ihre Familien in Kuba?

Es gibt in Kuba Programme für behinderte Kinder. Aber es mangelt an geeignetem Schulmaterial, das schlecht bezahlte Personal ist demotiviert und die Anfahrtswege sind häufig lang. Wenn die Mutter die Betreuung des Kindes übernimmt, kann sie nicht mehr arbeiten und die finanzielle Situation verschlechtert sich, zumal der Mann häufig keine Unterstützung leistet.

Welche positiven Auswirkungen hat das FrühförderProgramm auf das Leben der Eltern?

Die Eltern erhalten Informationen, Unterstützung und die erforderliche Beratung, damit sie sich in ihrer neuen Situation zurechtfinden und ein gutes Verhältnis zu ihrem Kind aufbauen können. Können Sie uns von einem Kind erzählen, dem das Projekt geholfen hat?

Claudia Martha Lora Sánchez ist aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung halbseitig gelähmt. Sie besuchte erst die Regel-, dann die Sonderschule und kam 2012 in das Programm «Aprendiendo a Crecer» («Wachsen lernen») in ihrer Gemeinde. Ihre Schüchternheit legte sie schnell ab, sie machte Fortschritte beim Lesen, Schreiben und bei der Aussprache. Sie hat ein Flair für Mathematik, erkennt geometrische Formen und bleibt beim Ausmalen innerhalb der Konturen, was uns zeigt, dass ihre Muskelbeherrschung sich positiv entwickelt hat. ■

Kuba: Ihr Stück gerechtere Welt

Selbstständig trotz Behinderung Frühförderung ist für behinderte Kinder besonders wichtig. In Kuba mangelt es an den dafür notwendigen pädagogischen Mitteln und an Fachpersonal. Caritas Kuba bietet in speziellen Tagesstätten Physiotherapie, Turnen, Malen, Musik, Tanz sowie psychologische und medizinische Begleitung und Sprechstunden für Eltern an. Durch Aufklärungsarbeit wird die Gesellschaft für die Bedürfnisse der Kinder sensibilisiert.

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Gut zu wissen: –  Etwa 290 Kinder mit einer geistigen Behinderung werden in den Tagesstätten von Caritas Kuba betreut und gefördert. –  Etwa 400 Angehörige von geistig behinderten Kindern profitieren vom Programm. –  Mit 15 Franken können acht Kinder an einem Basteltag teilnehmen und Postkarten, Weihnachtsgeschenke, Dekorationen und anderes herstellen. ■ www.caritas.ch/kinder/kuba

Text: Dominique Schärer/Sabine Schaller; Bilder: Maydelín Azahárez Miranda, Yariana de la Torre Machado


Lebensmut für Kinder  ■ Bolivien

Als Baby im Park au sg es etzt Ignacio wurde von seinen Eltern als Baby in einem öffentlichen Park ausgesetzt. Nur knapp hat er überlebt. Eine Pflegefamilie sorgt nun für sein Wohl.

In einer kühlen Nacht im Frühjahr 2013, um 3.30 Uhr früh, fand ein Taxifahrer in einem Park in Cochabamba ein Baby. Im Spital stellten die Ärzte fest: Der zwei Monate alte Bub ist unterernährt, sein Leben akut gefährdet. Zudem ist er Caritas hilft Kindern, die von stark hörbehindert. ihren Eltern im Stich gelassen wurden. Die vom Spital alarmierte Caritas-Partnerorganisation Infante nahm sich des Jungen an. Sie brachten ihn in einer erfahrenen Pflegefamilie unter, die bereits zum sechsten Mal ein Kind in Not bei sich aufnahm. «Ignacio hat unserer Familie grösseren Zusammenhalt gebracht», sagt Pflegemutter María Teresa, die selbst als Kind Gewalt erlebt hat und in einem Heim aufwuchs. Mit ihrem Mann, der 18-jährigen Tochter Mary und dem 11-jährigen Adoptivmädchen Graciela sorgt sie für Ignacio und gibt ihm Geborgenheit. Eine richtige Familie

Ignacio ist bald vier Jahre alt. Von seinen Eltern fehlt jede Spur, sie konnten trotz gerichtlich eingeleiteten Nachforschungen nicht gefunden werden. Nun kann Infante daher eine Adoptivfamilie suchen. So lange bleibt Ignacio bei seiner Pflegefamilie. ■

Text: Stefan Gribi; Bilder: Banesa Morales

Bolivien: Ihr Stück gerechtere Welt

Familien für verlassene Kinder In der bolivianischen Grossstadt Cochabamba werden infolge der grossen Armut immer wieder Kinder verlassen, ausgesetzt oder von gewalttätigen Eltern weggeholt. Die Caritas-Partnerorganisation Infante sorgt dafür, dass diese Kinder rasch in einer Pflegefamilie Unterschlupf finden, und verhindert so, dass sie in Heimen untergebracht werden müssen. Ziel ist es, dass die Kinder in ihre Ursprungsfamilie oder in das erweiterte familiäre Umfeld zurückkehren oder zu bolivianischen Adoptiveltern kommen. Gut zu wissen: –  83 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Bolivien erleben körperliche oder psychische Bestrafungen. –  14 Kinder- und Jugendkomitees von Infante informieren 600 Kinder und Jugendliche in den armen Quartieren von Cochabamba über ihre Rechte gegen häusliche Gewalt. –  Mit 100 Franken kann Infante einen Satz Winterkleider für ein Kind in einer Pflegefamilie besorgen. ■ www.caritas.ch/kinder/bolivien-lebensmut

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Philippinen: Ihr Stück gerechtere Welt

Aktiv gegen Kinderhandel Der Caritas-Partner TSACMI geht in der GrossRegion von Cebu mit Nachbarschaftsnetzwerken gegen Kinderhandel vor. Er deckt Missbrauchsfälle auf, bietet Opferhilfe an sowie ökonomische Aktivitäten zur Verbesserung der Grundversorgung. Der philippinische Partner FORGE ist aktiv gegen Kinderhandel im Transportwesen. In der GrossRegion von Cebu und in Bohol hat er 2000 Personen im Tourismus- und Transportwesen für das Thema sensibilisiert sowie Freiwillige und Schlüsselpersonen von Transportgesellschaften und Hotels darin ausgebildet, gefährdeten Personen zu helfen. Gut zu wissen: –  TSACMI hat in acht Slums der Grossstadt Cebu Kinderschutznetzwerke mit etwa 3000 Mitgliedern und 313 ausgebildeten Freiwilligen aufgebaut. –  1200 Kinder nehmen an Schulkampagnen teil, und 1000 Haushalte profitieren von Programmen zur Aufbesserung des Einkommens. –  Für 50 Franken können 50 Leute an einem Aufklärungskurs über Kinderhandel und Kinderschutz teilnehmen. ■ www.caritas.ch/kinder/philippinen


Lebensmut für Kinder  ■ Philippinen

«Der Ges tank is t un erträg li ch» Abfall ist alles, was sie haben: Die Kinder suchen im Müll nach Recyclingware und Essensresten, die Eltern lassen sich von Menschenhändlern dazu verführen, ihre Jungen und Mädchen zu verkaufen. Der Caritas-Delegierte Raymond Salas gibt Einblick in den Alltag auf einer Müllhalde im philippinischen Mandaue.

Welche gesundheitlichen Risiken wiegen besonders schwer für die Kinder?

Die Ernährung und der Konsum von verschmutztem Wasser können krank machen. Weil sie täglich giftige Dämpfe einatmen, leiden viele Kinder zudem unter Husten oder Atembeschwerden. Woher stammen die Menschen, die auf der Müllhalde leben?

Am Stadtrand von Mandaue City haben sich etwa 100 Familien auf einer gigantischen Müllhalde ein Zuhause eingerichtet. Wie muss man sich das Leben an diesem Ort vorstellen?

Eine Familie, die aus durchschnittlich fünf Personen besteht, teilt sich in einer improvisierten Ein-ZimmerBaracke einen kleinen Raum, wo sie kocht, schläft und sich aufhält. Über den Häusern und der Müllhalde liegt ein unerträglicher Gestank. Aber die Menschen, die meist schon lange dort leben, scheint das nicht mehr zu stören, sie haben sich daran gewöhnt. Womit verdienen sie ihren Lebensunterhalt?

Die Kinder sammeln verwertbaren Abfall, etwa leere Kartonbehälter für Fruchtsäfte, Plastik- und Glasflaschen. Am meisten bezahlen die Recyclingfirmen für Eisen und andere Metalle. Daneben ernähren sich die Familien von Essensresten, die sie im Abfall finden. Um gefährliche Krankheitskeime abzutöten, werden die Essensabfälle nochmals erhitzt. Eine giftige Dunstwolke treibt über die Müllhalde von Mandaue. Hier suchen Kinder verwert-

Aus dem philippinischen Hochland im Norden. Sie hatten keine andere Wahl als wegzugehen: Nachdem die Landbesitzer sie vertrieben hatten, fehlte ihnen jegliche Lebensgrundlage. Finanzielle Nöte veranlassen Eltern, ihre Kinder an Kinderhändler zu verkaufen. Diese werden dann zur Prostitution oder zur Arbeit gezwungen. Wie werden die Kinder vermittelt?

Es gibt ein sehr gut organisiertes Netzwerk. Die Abwicklung erfolgt in der Regel über Mobiltelefon und SMS. Wenn der Deal steht, geht der Kinderhändler auf die Müllhalde, um die Kinder abzuholen. Die Philippinen haben die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet, daneben gibt es nationale Gesetze, die den Schutz der Kinder garantieren. Weshalb greifen diese Gesetze nicht?

Für die meisten armen Familien ist es schwierig, die Gesetze zu verstehen, weil sie in Englisch und in einer sehr technischen und komplexen Sprache abgefasst sind. Genau dort setzt TSACMI an. Die Aufklärung gehört zu unseren wichtigsten Aufgaben. Die Eltern werden dafür sensibilisiert, dass Kinderhandel und Kinderarbeit illegal sind und dass die Kinder Rechte haben – zum Beispiel das Recht auf Bildung. ■

baren Abfall, um das Familieneinkommen aufzubessern. Text: Sabine Schaller; Bilder: Leandro Destefani, zVg

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«Kinder» 2017   Caritas


Lebensmut für Kinder  ■ Palästina

Spielend lernen Als Kamil im Zentrum der CaritasPartnerorganisation YEC in eine Klasse für traumatisierte Kinder kam, war er ängstlich und zurückhaltend. Jetzt hat er Spass mit seinen Kameraden – und kann sich wieder konzentrieren. Mein Name ist Kamil. Ich bin zwölf Jahre alt und «wohne im Gazastreifen in Palästina. Meist wache ich um halb neun Uhr auf. Nach dem Frühstück mit meiner Familie gehe ich ins YEC-Zentrum. Dort bleibe ich zwei Stunden. Ich mag, wie meine Lehrer uns die Aufgaben erklären, damit wir danach selbstständig arbeiten können. Wir alle haben eine eigene Materialkiste mit selbst gebastelten Sachen, mit denen wir lernen. Ich rechne gerne mit den Deckeln von PET-Flaschen. Es ist wie mit den Zahlen spielen. Das hilft mir sehr, da ich immer viel von dem vergesse, was ich mir eigentlich merken sollte. Aber da es auch meinen Kameraden so geht, weiss ich, dass ich kein schlechter Schüler bin. Nach dem Mittagessen kümmere ich mich um die Tiere auf unserem Hof. Dann beginnt die «richtige» Schule. Wenn ich einen Test schreiben muss, erinnere ich mich, was ich im YEC-Zentrum gelernt habe, und wende es an. So bin ich besser geworden in der Schule, was meine Eltern freut. Wenn ich dann wieder zu Hause bin, spiele ich mit meinen Geschwistern. Meist ist es neun Uhr, wenn ich ins Bett gehe. Dann träume ich davon, wie ich als Architekt die im letzten Krieg zerstörten Wohnungen wieder aufbaue. Im YEC-Zentrum haben wir einmal ein kleines Dorf aus Abfall gebaut – hohe Häuser mit viel Platz für alle. Wenn wir alle wieder in richtigen Häusern wohnen, soll es nie mehr Krieg geben. ■

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Palästina: Ihr Stück gerechtere Welt

Zerstörte Kinderseelen heilen Viele Kinder in Gaza sind durch die anhaltenden Blockaden und kriegerischen Wirren sowie durch das ständige Erleben von Gewalt stark traumatisiert. Die Caritas-Partnerorganisation Youth Enhancement Center (YEC) bietet in ihren Zentren psychosoziale therapeutische Betreuung für diese Kinder an. Dort lernen die Kinder, mit Stress, Wut und mit ihren Ängsten umzugehen. Gut zu wissen: –  In den letzten zwei Jahren unterstützte Caritas Schweiz sechs Jugendzentren der Partnerorganisation YEC, Workshops für Eltern sowie einen Parkour-Workshop. Bei dieser Sportart lernen die Kinder, sich über Geländer und Stufen im urbanen Raum kreativ fortzubewegen. –  1800 Franken decken den Jahresbedarf an Schreibwaren und Tafeln für ein Zentrum. –  625 Franken beträgt der Monatslohn einer Erzieherin oder eines Erziehers. ■ www.caritas.ch/kinder/palaestina

Text: Beatrice Rutishauser; Bild: Na’em Abu Sultan; Zeichnung: In dieser Zeichnung hat Kamil Kriegserlebnisse verarbeitet.


Lebensmut für Kinder  ■ Tadschikistan

Es is t be sser, darüber zu spre chen Vielleicht seien die Fieberkrämpfe schuld, an denen er als Baby habe leiden müssen. Anders kann es Tobon Davlayatova (29) nicht erklären, warum ihr Sohn Sherali (8) geistig zurückgeblieben ist. Behinderungen sind in Tadschikistan tabu, und Tobon musste lernen, das Anderssein von Sherali zu akzeptieren.

«Ich war sehr jung, als Sherali zur Welt kam», erzählt Tobon Davlayatova. Der Bub entwickelte sich anders als andere Kinder. Er vergass Wörter, die er gelernt hatte, und brauchte länger, bis er laufen konnte. «Ich wusste nicht, dass Sherali behindert ist. Ein Arzt diagnostizierte einen erhöhten Hirndruck.» Tobon lebt mit Sherali und seinen zwei Schwestern in Dushanbe, der Dank dem Förderunterricht Hauptstadt von Tadschikann Tobons Sohn Sherali heute kistan. Der Vater arbeitet eine Regelklasse besuchen. als Saisonnier in Russland. Von den 120 Dollar, die er jeden Monat heimschickt, geht das meiste für Sheralis Medikamente weg. Ein grosses Erfolgserlebnis

«Ich war glücklich, als Sherali den von Caritas unterstützten Kindergarten besuchen durfte», sagt Tobon. «Die Spezialisten haben ihm sehr geholfen. Er hat gelernt, einen Stift zu halten, zu zeichnen, seine Gefühle auszudrücken. Und ich habe gelernt, dass es auch für ihn eine Zukunft gibt.» Im September erfolgte der Übertritt in die Schule. Sherali besucht eine Regelklasse. «Erst wollte Text: Jörg Arnold; Bilder: Vladimir Umarov

ich den Lehrern nichts sagen wegen seiner Behinderung», meint Tobon. «Aber es ist besser, nichts zu verstecken, dann können alle besser helfen.» ■

Tadschikistan: Ihr Stück gerechtere Welt

Eine Schule für alle Im Projekt lernen behinderte zusammen mit nichtbehinderten Kindern in regulären Klassen. Kinder mit speziellen Bedürfnissen erhalten individuell oder in Kleingruppen angepasste Zusatzlektionen in Logopädie, psychologischer Therapie und Psychomotorik. Lehrpersonen werden in der integrativen Förderung und Sonderschulung ausgebildet. Ziel ist es, die bestehenden Schulen langfristig zu etablieren und sie dem tadschikischen Staat zu übergeben. Gut zu wissen: –  Seit 2009 konnten 250 Kinder mit einer Behinderung in Regelklassen integriert werden. –  Eine Unterstützungslektion von einem Spezialisten für ein Kind kostet zwei bis drei Franken. –  Für 220 bis 250 Franken kann eine Weiterbildung für die Unterrichtung behinderter Kinder für zwanzig Personen durchgeführt werden. ■ www.caritas.ch/kinder/tadschikistan

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Lebensmut für Kinder  ■ Kolumbien

So stelle ich m ir de n Fr ie de n vo r Beim zweiten Anlauf hat es geklappt: Die kolumbianische Regierung und die FARCGuerrilla haben Frieden geschlossen. Damit ist nach über 50 Jahren Bürgerkrieg endlich ein Ende der Gewalt in Sicht. Aber was ist eigentlich Frieden? Kinder aus den Armenvierteln von Medellín haben sich dazu Gedanken gemacht.

Viele « Menschen glauben, der Friede sei einfach nur eine Taube oder ein Prozess, der im Ausland gemacht wird. Aber Friede ist mehr: Er ist, was jeden Tag Glück bringt. Friede bedeutet Respekt und von Leuten umgeben zu sein, die dich mögen. Friede ist das Gefühl, keine Angst zu spüren. Friede ist Liebe und eine Melodie, der wir gerne zuhören.

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Lesly Carolina Ramírez Guerra (12)

Zeichnung «zeigtMeine die Schüler von hier und die Welt. Das Herz auf der Erdkugel und auf unseren T-Shirts steht für den ewigen Frieden. Klingt das Wort Frieden nicht wunderschön?

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Deiby Alejandro Estrada Herrera (7)

Was ich sagen möchte, ist, dass wir dem «Frieden Ausdruck verleihen sollen, indem wir uns alle gegenseitig respektieren, ohne dass die Rasse, die Hautfarbe oder die Art, wie man ist, eine Rolle spielt. Wir sind alle gleich.

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Duber Argel Solipa (11)

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Text: Mithra Akhbari; Bild: Luca Zanetti


Kolumbien: Ihr Stück gerechtere Welt

Auswege aus der Gewalt Die Weichen für einen dauerhaften Frieden in Kolumbien sind gelegt. Dennoch werden die Folgen des Krieges noch Jahre zu spüren sein: Unzählige intern Vertriebene sind in den grossen Städten mit Armut und Gewalt konfrontiert. Kinder und Jugendliche sehen oft keine andere Perspektive, als sich kriminellen Banden anzuschliessen. Die Partnerorganisation Combos engagiert sich in den Armenvierteln von Medellín für den Schutz von Kindern.

Gut zu wissen: –  Combos betreut 4500 Mädchen und Jungen zwischen 6 und 18 Jahren in rund 60 Quartieren von Medellín. –  Über 800 Kinder besuchten in der aktuellen Projektphase die ausserschulischen Bildungsangebote von Combos. –  Mit 250 Franken werden 100 Kinder pro Monat psychosozial betreut. ■ www.caritas.ch/kinder/kolumbien


Pate n frag en – Kinder antworte n Was hat Dir im vergangenen Jahr am meisten Freude bereitet?

Werner Gröbli möchte wissen, wie die Patenkinder ihren Alltag erleben.

Vitoria Batista Vicente de Santana (10), Brasilien «Der Ausflug an den Strand und die Geschichte von der Riesenseerose und Curupira *, die uns unsere Lehrerin erzählt hat.»

Koeng Sreytoch (12), Kambodscha «Das Schönste war für mich, dass ich wieder in die Schule gehen darf und die Leute dort sehr freundlich und hilfsbereit sind.»

* Gestalt aus der Guaraní Mythologie

Ahmed Décalo Díaz (4), Kuba «Das Tanzen, Spielen und Malen in der Tagesstätte.»

Was möchten Sie von den Kindern aus den Caritas-Patenschaftsprojekten wissen? Richten Sie Ihre Frage per E-Mail an patenschaften@caritas.ch oder schicken Sie uns eine Postkarte. Caritas Schweiz, Patenschaften Adligenswilerstrasse 15 Postfach CH-6002 Luzern

Telefon: +41 41 419 22 22 Telefax: +41 41 419 24 24 E-Mail: patenschaften@caritas.ch

Internet: www.caritas.ch Postkonto: 60-7000-4 IBAN: CH69 0900 0000 6000 7000 4

Das Richtige tun


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