Caritas-Magazin: «Menschen» 1/2016

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Nr. 1 März 2016 www.caritas.ch

Menschen

Schweiz Wenn Kinder allein flüchten Seite 18

Lernen auf der Flucht Syrische Flüchtlingskinder besuchen in Libanon die Schule Seite 6

Philippinen Der Wiederaufbau geht voran Seite 21


Inhalt

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Nah dran

Das Richtige tun

4 Echo Georg Fischer baut Hilfe aus 4 Caritas-Forum zu Familienarmut

6 Reportage Libanon: Die Schule macht das Bergdorf zur neuen Heimat

4 Ein Herz für arme Kinder

8 Libanon: 25 Prozent Flüchtlinge

4 Spenden für Jugendliche in Not

12 Beim Lernen Blockaden überwinden

5 Am Puls Hugo Fasel: «Wir unterstützen Schulen, damit die Flüchtlingskinder eine Ausbildung haben.»

14 Alles tun, damit keine verlorene Generation entsteht

16 Alltagsfragen Tonny Okilla, Uganda 17 Augenblick

18 Schweiz Kinder auf der Flucht 19 Prävention gegen Mädchen beschneidung verstärken 20 Welt Uganda: Eine neue Chance für Gefangene 20 Rumänien: Roma-Gemeinschaften stärken 21 Philippinen: Es geht voran 22 Brennpunkt 34 Caritas-Schulhäuser für Nepal 25 Perspektiven Am Anfang jeder Kunst steht der Mensch

Das Symbol weist auf spannende und wissenswerte Online-Informationen hin.

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Bilder: Alexandra Wey


Editorial

Schule als Neubeginn

27 Meine Caritas 26 Tipps 26 Wieso wir als Frei­willige im Caritas-Markt mithelfen 26 Computer & Co: Effizient, Gesund und Fair 27 Fribourg: Neue Präventionsstelle gegen Rassismus

«Sie gehen so gerne in die Schule, sie wollen unbedingt etwas lernen», berichtet Schwes­ ter Georgette, Leiterin einer Schule im Liba­ non, über die zahlreichen syrischen Kinder, die während der letzten Monate im Dorf Kartaba ankamen. Zu Zehntausenden ent­ flohen sie dem Chaos in ihrem Land und fanden im Libanon Zuflucht. Für viele Kin­ der ist der Schulbesuch der Lichtstreifen am Horizont. Das öffentliche Schulsystem im Libanon versucht sein Bestes, um Hundertausende von Flücht­ lingskindern in den Schulen aufzunehmen. Caritas Schweiz und Österreich unterstützen in Kartaba die Schule, welche von der Schwesternkongregation Don Bosco geleitet wird (siehe Reportage ab Seite 6). Die syrischen Kinder sehnen sich danach, wieder zu lernen und ein neues Leben zu beginnen. Unter ihnen ist auch die elfjährige Yara, die seit zwei Jahren nicht mehr in die Schule gehen konnte. Das Mädchen floh mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern aus ihrem Heimatdorf im Norden Syriens, als die Bombeneinschläge immer näher rückten. Doch oft haben die Fa­ milien nicht einmal genug Geld, um den Schulbus und ihre Kleider zu bezahlen. Es fehlt an so vielem. Wir danken den Spenderinnen und Spendern, dank deren Unterstützung diese Kriegskinder wieder lernen und lachen dürfen, fast wie normale Kinder. Auch in Nepal macht der Wiederaufbau der Schulen Fortschritte. 8000 Schulen hatte das Erdbeben 2015 zerstört. In einem der vom Erdbeben am stärksten zerstörten Gebiete baut Caritas Schweiz derzeit 34 nepalesische Schulen wieder auf (Seite 22). Die neuen Gebäude werden gemäss den Standards für erdbebensicheres Bauen erstellt, sie sind bunter und heller, lassen sich besser sauber halten und die Kinder haben mehr Platz. Die Städte entwickeln sich mit der neuen Schule als Zentrum. Das Leben kann wieder beginnen. Fabrice Boulé Redaktion

27 Sozialalmanach 2016 27 Die Bergsaison beginnt! 29 Rätsel 30 Engagiert «Wir sind alle Flüchtlinge» 31 youngCaritas Migration und Flucht in der Schule

IMPRESSUM «Menschen». Magazin der Caritas Schweiz, erscheint viermal im Jahr: jeweils März, Juni, September, Dezember. Redaktionsadresse: Caritas Schweiz, Kommunikation und Marketing, Adligenswilerstrasse 15, Postfach, CH-6002 Luzern, E-Mail: info@caritas.ch, www.caritas.ch, Tel. +41 41 419 22 22 Redaktion: Dominique Schärer (dos), Leitung; Jörg Arnold (ja); Fabrice Boulé (fbo); Stefan Gribi (sg); Vérène Morisod Simonazzi (vm); Odilo Noti (on); Ulrike Seifart (use) Abopreis: Das Abonnement kostet sechs Franken pro Jahr und wird einmalig von Ihrer Spende abgezogen. Auflage: 65 331 (deutsch und französisch, Wemf-beglaubigte Auflage) Grafik: Evelyne Bieri Titelbild: Alexandra Wey Druckerei: Kyburz, Dielsdorf Papier: Carisma Silk, 100 % recycling Spendenkonto: PC 60-7000-4

Bilder: Franca Pedrazzetti; Pia Zanetti

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Nah dran  Echo

Georg Fischer baut Hilfe aus Caritas Schweiz und der Georg Fischer Konzern (GF) setzen ihre Partnerschaft im Bereich Trinkwasserversorgung für weitere vier Jahre fort: Die Stiftung Clean Water von GF stellt erneut einen Beitrag von einer Mil­ lion Schweizer Franken zur Verfügung. Zum zehnjährigen Jubiläum der Stiftung im Jahr 2012 hatten die beiden Partner eine Zusam­ menarbeit vereinbart. Bisher profitierten davon mehr als 40 000 Menschen, die somit in den Genuss einer nachhaltig verbesserten Trinkwasserversorgung kamen. Die Versor­ gung mit sauberem Trinkwasser sei eine der grossen globalen Herausforderungen, so Yves Serra, CEO von Georg Fischer. «Wir freuen uns deshalb sehr, dass wir gemeinsam mit Caritas dazu beitragen können, diese wertvolle Ressource jenen verfügbar zu ma­ chen, die sie am meisten benötigen.» (dos)

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Ein Herz für arme Kinder

Im bolivianischen Sapahaqui erhalten die Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Spendenaktion der Migros Alle Er­ wartungen übertroffen hat die Weih­ nachtsaktion der Migros für armutsbe­ troffene Kinder in der Schweiz: Über 5,1 Millionen Franken haben MigrosKunden gespendet und damit ein star­ kes Zeichen der Solidarität gesetzt. Die Migros hat den Spendenbetrag um eine weitere Million erhöht und überreichte Caritas, Heks, Pro Juventute und Win­ terhilfe einen Scheck in der Höhe von total 6,12 Millionen Franken. (dos)

Caritas-Forum zu Familienarmut Rund 200 Fachleute diskutierten am Cari­ tas-Forum Ende Januar über Familienarmut. Dabei wurde deutlich: Der individuelle Wert der Familie ist unbestritten, der gesellschaft­ liche Wert hingegen sehr umstritten. In der Schweiz sind Familien Armutsrisiken aus­ gesetzt und 223 000 Kinder und Erwachsene leben in Armut. Wie man dem mit wirksamen politischen Instrumenten begegnen kann, zeigte in ihrem Referat etwa Esther Alder, Stadtpräsidentin von Genf. Dazu zählen Er­ gänzungsleistungen für Familien auf kanto­ naler Ebene sowie in der Stadt Genf Zulagen für Schulkosten, kostenlose Freizeitaktivitä­ ten für Kinder und Sprachkurse für fremd­ sprachige Eltern. (dos)

Spenden für Jugendliche in Not

Am Caritas-Forum 2016 nahmen rund 200 Fachleute teil.

JRZ Auch die Spendenaktion «Jeder Rappen zählt» von SRG und Glückskette war ein Erfolg: In der Adventszeit konnten während sieben Tagen und Nächten über vier Millionen Fran­ ken gesammelt werden. Diese Spenden fliessen nun in Projekte für Jugendliche in Not im In- und Ausland. (dos)  www.caritas.ch/jrz2015

www.caritas.ch/forum/d

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Bilder: Alexandra Wey; zVg; Nique Nager


Am Puls  Nah dran

Liebe Spenderinnen Liebe Spender

Hugo Fasel, Direktor Caritas Schweiz

Das Reden über Flüchtlinge ist intensiv und nimmt in der Öffentlichkeit einen breiten Platz ein. Allerdings beginnt das Nachden­ ken meistens dort, wo jemand bereits Flücht­ ling ist. Flüchtlinge gibt es aber nicht einfach so. Es sind Menschen, die ihr Land verlassen haben, weil sie keinen andern Ausweg mehr sahen. Sie waren konfrontiert mit Vergewal­ tigung, mit der Entführung von Kindern mit Rückgabepreis, mit Frauenhandel und mit Bombardements. Am Beispiel Syrien heisst dies – zynisch betrachtet –, dass sie das At­ tentat von Paris alltäglich erlebt haben. Und dennoch: Von 19 Millionen Syre­ rinnen und Syrern haben bisher erst vier Millionen ihr Land verlassen. Davon sind 2,2 Millionen in der Türkei, 700 000 in Jor­ danien und mehr als eine Million im Liba­ non, der bloss vier Millionen Einwohner zählt. Im Vergleich dazu sind im vergange­ nen Jahr gut eine Million Flüchtlinge nach

«Wir unterstützen Schulen, damit die Flüchtlingskinder eine Ausbildung haben.» Europa gekommen, das mehr als 650 Mil­ lionen Einwohner zählt. Die stets wieder­ kehrende Behauptung, dass alle Syrer zu uns kommen wollen, ist deshalb sachlich falsch. Es ist auch nicht so, dass sie unsere Identität gefährden. Die wesentlichen Einflüsse, die unsere Gesellschaften in den letzten Jahren verändert haben, sind die neuen Kommu­ nikationstechnologien, die ökonomistische Denkweise und die geringere Nähe zu Kirche und Religion. Wenn in der politischen Debatte immer wieder verlangt wird, dass die Flüchtlinge aus Syrien prioritär in den Nachbarländern

Bild: Pia Zanetti

untergebracht werden sollen, dann ist das bereits Realität. Diese Länder halten einer enormen Belastung stand. Obwohl oft ge­ fordert wird, dass den Menschen primär vor Ort geholfen werden solle, hat die Schweiz bisher nur 50 Millionen Franken pro Jahr dafür eingesetzt. Gerade die Politikerinnen und Politiker, die die Hilfe vor Ort vehement postulieren, haben bisher keinen einzigen Vorschlag vorgelegt, dass diese Mittel zu er­ höhen seien. Als Caritas können wir dank Ihnen, liebe Spenderinnen und Spender, sehr wohl di­ rekte Hilfe vor Ort leisten: Wir unterstützen Schulen, damit die Flüchtlingskinder eine Ausbildung haben. Je mehr wir für die Kin­ der tun, umso glücklicher sind deren Eltern, denn sie haben meist ein einziges grosses Anliegen: Sie möchten, dass es trotz der dra­ matischen Zeiten ihren Kindern einmal bes­ ser geht als ihnen. Dafür sind sie bereit, alles herzugeben. Diese Eltern in ihrem Anliegen zu unterstützen, ist etwas vom Schönsten, das ich bisher erlebt habe: Eltern, die Hoff­ nung schöpfen für ihre Kinder. Allen Spenderinnen und Spendern, die uns in unserem Programm «Lernen auf der Flucht» unterstützen, danke ich von Herzen, auch im Namen der Eltern.

Hugo Fasel Direktor

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Das Richtige tun  Reportage

Die Schule macht das Bergdorf zur neuen Heimat

Hunderttausende syrische Flüchtlings­kinder können nicht zur Schule gehen – eine verlorene Generation könnte entstehen. Die elfjährige Yara hat in einem Caritas-Projekt die Chance zu einem Neuanfang erhalten, indem sie wieder eine Schule besuchen kann. Stefan Gribi (Text), Alexandra Wey (Bilder)

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Das Richtige tun  Reportage

V

iertel vor acht frühmorgens, im Hintergrund beleuchtet die Sonne die verschneiten Bergzüge des Mount Lebanon, während ein klappriger Kleinbus das schmale Strässchen hochfährt und vor dem eisernen Gittertor anhält. Der Fahrer öffnete die Tür und heraus springen Mäd­ chen und Jungen mit grossen Schulrucksä­ cken, gekleidet in mehr oder weniger warme Winterjacken. «Bonjour, sœur Georgette», rufen sie der Schulleiterin zu, bevor sie sich über den Schulhof ins Schulgebäude trollen. Ein neuer Schultag beginnt. Mit dem laufenden Schuljahr wurde in der Dorfschule im Bergdorf Kartaba auf 1200 Metern über Meer ein neues Kapitel aufgeschlagen. Zu den einheimischen Kin­ dern gesellen sich Flüchtlingskinder aus Sy­ rien im Alter von 3 bis 12 Jahren. Mit einem Mal hat sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler auf rund 200 verdoppelt. «Natürlich hatten wir am Anfang viele Probleme», erzählt Schwester Georgette. Sie gehört der Kongregation der Don BoscoSchwestern an, welche diese Schule seit über 30 Jahren führt. «Wir haben zusätzliche Lehrerinnen eingestellt, die Klassen vergrös­

sert, Schulbänke angeschafft, das Computer­ zimmer in ein Klassenzimmer umfunktio­ niert», erzählt die über 70-jährige Schulleiterin. «Den neu eingetretenen Kindern mussten wir zuerst Grundlegendes beibrin­ gen: das Verhalten in der Schule, Hygiene, eine anständige Sprache und vieles mehr. Aber inzwischen sehen wir: Die syrischen Flüchtlingskinder kommen motiviert zur Schule, sie wollen lernen, ihre Eltern haben die Kinder gerne und wollen das Beste für

ändert daran nichts. Bewusst hat die Schule auf die Einführung des andernorts üblichen Zweischichtunterrichts verzichtet, um die beiden Gruppen nicht getrennt zu unterrich­ ten. 125 Kinder aus den ärmsten Familien

Die von der Don Bosco-Kongregation ge­ führte Schule in Kartaba ist staatlich aner­ kannt. Anders als in öffentlichen Schulen, welche die libanesische Regierung seit einem

«Wir haben zusätzliche Lehrerinnen eingestellt und die Klassen vergrös­sert.» sie.» Besondere Schwierigkeiten zwischen Flüchtlingskindern und einheimischen Kin­ dern gibt es kaum. Dafür sorgt auch die Schulleitung, wie Schwester Georgette be­ tont: «Wir behandeln alle Kinder gleich, sie haben die gleiche Schuluniform, die gleichen Bücher, die gleiche Unterstützung. Sie gehö­ ren alle zusammen!» Dass die Flüchtlings­ familien alle muslimisch sind und die Einhei­ mischen mehrheitlich maronitische Christen,

Jahr für alle Kinder – also auch für Flücht­ linge aus Syrien – kostenlos zugänglich macht, deckt der Staat in einer solchen privat geführten Schule nur die Hälfte der Schul­ kosten. Die Eltern bezahlen 500 Franken

Bild rechts: Caritas-Sozialarbeiterin Nina El-Khoury kennt die Sorgen und Nöte von Yara (links), den Schulkolleginnen und ihren syrischen Flüchtlingsfamilien.

Libanon: 25 Prozent Flüchtlinge Der Libanon hat eine Bevölkerung von ca. 4,5 Millionen. Dazu gekommen sind in den letzten fünf Jahren über eine Mil­ lion von der Uno registrierte Flüchtlinge und zusätzlich eine unbekannte Zahl nicht registrierter Flüchtlinge. Anders als Jordanien lässt die libane­ sische Regierung seit Beginn des Zustroms von syrischen Schutzsuchenden keine of­ fiziellen Flüchtlingslager zu. Der Grund dafür liegt in der Geschichte: Seit Jahr­ zehnten gibt es im Land palästinensische Flüchtlingslager als endlose Provisorien. Daher müssen sich die Flüchtlinge in in­ formellen Siedlungen niederlassen. 1500 solcher informeller Lager gibt es in der im Osten liegenden Bekaa-Ebene. Ihre Bewohnerinnen und Bewohner sind vollständig von internationalen Hilfsor­ ganisationen abhängig. Seit einem Jahr hat sich die tolerante Stimmung im Liba­

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non geändert. Es gibt Spannungen, die Men­ schen beginnen sich zu beklagen, dass sie unter dem grossen Zustrom an Flüchtlingen leiden. Die Versorgungsprobleme sind offen­ sichtlich, nicht nur im Schulbereich. Die Stromversorgung fällt immer wieder aus. In Beirut herrscht ein alltägliches Verkehrs­ chaos, und überall liegen Müllberge am Strassenrand. Maronitische Christen, Schiiten, Sunni­ ten, Drusen und weitere Gruppen leben im Libanon zusammen. Zwischen 1975 und 1990 herrschte Bürgerkrieg. Weil das Land von strategischer Bedeutung im Nahen Osten ist, vertreten die Regionalmächte hier rücksichtslos ihre Interessen. Die libanesische Armee kontrolliert nur einen Teil des Lan­ des, im Süden ist die vom Iran unterstützte Hisbolla-Miliz die Ordnungsmacht. Trotz allen Problemen ist Beirut eine boo­ mende Stadt, Hochhäuser schiessen aus dem

Boden, das Nachtleben vibriert. Das kul­ turhistorische Erbe ist reich, aber seit in Syrien Krieg herrscht, bleiben die Touris­ ten aus und die Zukunft ist ungewiss.

Libanon in Zahlen Fläche 10 452 km² Hauptstadt Beirut Einwohnerzahl ca. 4,5 Millionen Syrische Flüchtlinge 1,07 Mio. registriert Religionszugehörigkeit Muslime 54 % (je zur Hälfte Sunniten und Schiiten), Christen 40 % (davon rund die Hälfte zur katholischen Kirche zählende Maroniten), Drusen 6 % Sprache Arabisch, Schulsprachen Französisch und Englisch



Das Richtige tun  Reportage

«Ob Flüchtlinge oder Einheimische, wir behandeln alle Kinder gleich», sagt Schwester Georgette, die Schulleiterin.

Schulgeld pro Jahr. In Kartaba aber gibt es keine staatliche Primarschule. Daher über­ nimmt die Caritas im Rahmen ihres in Jor­ danien und im Libanon durchgeführten Schulprojekts die Kosten für 125 Kinder aus den ärmsten Familien (Informationen zum Projekt siehe Seite 14). 90 davon sind syrische Kinder, 35 stammen aus bedürftigen libanesischen Familien. Ausschliesslich Flüchtlingen zu helfen könnte zu Unmut in der einheimischen Bevölkerung führen. Die­ ser Grundsatz wird nicht nur hier, sondern inzwischen in den meisten Projekten für Flüchtlinge angewandt. Dies garantiert, dass die Hilfe als gerecht empfunden wird. Wohnen im Geräteschuppen

Auch die elfjährige Yara und ihre drei jünge­ ren Geschwister sind aus Syrien geflüchtet und gehören zu den Kindern, die von diesem Einschulungsprojekt profitieren. Mit ihrer Mutter bewohnen sie einen Geräteschuppen

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oberhalb des Dorfes, wo auf Terrassen im steilen Gelände Apfelbäume und anderes Obst angebaut sind. «Wir brauchen etwa eine halbe Stunde zu Fuss bis zur Schule, auf dem Heimweg geht es hinauf, da brauchen wir länger», erzählt Yara lachend. Dass sie auf den Schulbus verzichten können, entlas­

Regen oder Schneefall dringt Wasser durch Wände und Böden. Es gibt keine Toilette, keine Küche, die diesen Namen verdient, der kleine Holzofen heizt zwar gut, aber die Wärme entweicht durch die nur mit einem Blech und Tüchern verhängten Fenster. «Das Wasser hole ich an einem öffentlichen Hahn

«Ich bin sehr froh, dass meine drei Töchter und mein Sohn in die Schule gehen können.» tet die Mutter von den Fahrkosten. Aber dennoch fehlt es in der Familie an allen Ecken und Enden. Der Vater hat die Familie verlassen. Die überteuerte Miete beträgt genau so viel, wie Mutter und vier Kinder monatlich vom Flüchtlingshilfswerk der Uno als Unterstützung erhalten, nämlich 150 Franken. Dabei ist die Behausung für ein Leben mit Kindern völlig ungeeignete. Bei

ein Viertelstunde zu Fuss von hier», erzählt Yaras Mutter. In ähnlichen prekären Ver­ hältnissen wohnen die meisten Flüchtlinge im Dorf. Nächtliche Albträume lassen nach

Die Kinder sitzen am Boden auf einem dün­ nen Teppich rund um den knisternden Ofen und sind in ihre Schulbücher vertieft. «Ich


Für traumatisierte Kinder wichtig: Lernen nicht nur mit dem Kopf, sondern mit allen Sinnen.

bin sehr froh, dass meine drei Töchter und mein Sohn in die Schule gehen können. Sie gibt ihnen Halt. In den Ferien quälte sie die Langeweile, sie fragten andauernd, wann die Schule wieder beginne», sagt die Mutter lachend. Besonders Sorgen macht ihr ihre älteste Tochter: «Vor drei Jahren sind wir aus Syrien geflohen. Es war nicht mehr aus­ zuhalten. Unser Dorf wurde bombardiert, ein Nachbardorf komplett dem Erdboden gleichgemacht. Das haben die Kinder alles mit eigenen Augen gesehen. Yara fürchtet sich noch heute, wenn sie Flugzeuge sieht. Kürzlich kam die Armee zu einer Kontrolle der Papiere hier vorbei. Yara zitterte am gan­ zen Körper, ich musste die Soldaten bitten, die Waffen draussen zu lassen, wozu sie zum Glück bereit waren. Früher war es normal, dass die Kinder in der Nacht wegen Albträu­ men aufwachten. Das hat sich zum Glück gebessert, seit sie zur Schule gehen.» Der Schuleintritt kostete sie Überwindung. Am Anfang hatten die Geschwister Angst, als Ausländer nicht akzeptiert zu werden. Nun haben sie Freunde gewonnen und lieben die Schwestern und Lehrerinnen für ihren herz­ lichen Umgang. «Viele Flüchtlingsfamilien leben in äus­ serst armen Verhältnissen. Die Situation die­ ser alleinstehenden Mutter mit ihren Kin­ dern aber ist desolat. Hier gibt es keinen Zweifel, dass die vier Kinder in unser Schul­ projekt gehören», sagt Nina El Khoury. Die Sozialarbeiterin der Caritas Libanon unter­ stützt die Schule in sozialen und organisato­ rischen Fragen und besucht alle Familien zu Hause. Nicht immer ist die Situation so klar wie in diesem Fall. Manchmal stellt sich bei einem Hausbesuch heraus, dass die Eltern das Schulgeld selbst bezahlen können, dage­ gen aber andere Familien auf die Unterstüt­ zung stärker angewiesen wären. Ist die Situ­ ation so schlimm wie bei Yaras Mutter, kann die Sozialarbeiterin zusätzliche Unterstüt­ zung aus andern Programmen der Caritas Libanon zusagen. So erhält die Familie als Unterstützung zwei Monatsmieten sowie Be­ ratung in rechtlichen Fragen, die sich für sie als geschiedene Frau stellen. Schulsprache ist Französisch

Die Hände zu Hilfe nehmen ist erlaubt.

Yara ist elf, ihre Schwester Alia zehn Jahre alt, trotzdem besuchen sie gemeinsam die erste Klasse. Die beiden haben zwar bereits in Syrien die Schule besucht, dann aber durch

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Das Richtige tun  Reportage

Beim Lernen Blockaden überwinden Tschetschenien, Kosovo, Rumänien, Gaza: Die Pädagogin Beatrice Rutishauser arbeitet seit vielen Jahren mit Kindern in Kriegsregionen. Ihre Erfahrungen wird sie auch im Schulprojekt für Flüchtlingskinder im Libanon einbringen. 700 000 Flüchtlingskinder aus Syrien, die in den Nachbarländern leben, gehen nicht zur Schule. Was bedeutet das?

Das ist eine grosse Tragik. Bei einer so lange andauernden Krise wie in Syrien können Kinder, wenn überhaupt, nur mit Unterbrüchen lernen. Flüchtlingslager sind als temporäre Einrichtungen in einem Niemandsland gedacht. Obwohl sich viele zu einem permanenten Ort verwandeln, gibt es dort keine wirklichen Schulstruk­ turen. Dies bräuchte es jedoch, um den Kindern das Lernen zu ermöglichen und Schulunterbrüche zu reduzieren. Die libanesische Regierung hat die Schulen für Flüchtlingskinder geöffnet. Was sind die Probleme?

Es fehlt an Platz, um so viele Kinder in den regulären Schulbetrieb aufzunehmen. Die libanesische und auch die jordanische Regierung haben als Antwort darauf Unterricht in zwei Schichten eingeführt. Die einen Kinder gehen am Morgen zur Schule, die andern am Nachmittag. Weil die Schulzeit kürzer ist, muss auch der Lehrplan gestrafft werden. Einerseits wird mehr Stoff in weniger Zeit vermittelt, an­ dererseits werden Fächer gestrichen, die für traumatisierte Kinder besonders wich­ tig wären: Sport, künstlerische Fächer und Handarbeit. Flüchtlingskinder leben im permanenten negativen Stress. Sie haben Lernlücken und Schwierigkeiten mit dem Erinnern, und beides beeinträch­ tigt das Lernen. Formales Lernen ist für

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«Formales Lernen ist für Flüchtlingskinder eine wahnsinnige Anstrengung», sagt Pädagogin Beatrice Rutishauser.

Flüchtlingskinder eine wahnsinnige An­ strengung. Bildlich gesagt: Ihr Problem ist nicht der Kopf, sondern ihr permanent über­ fordertes Nervensystem. Sie werden im Schulprojekt der Caritas auch im Libanon pädagogische Kurse durchführen. Was möchten Sie dabei vermitteln?

Lehrerinnen und Lehrer im Libanon sagten mir, dass sie oft gar nicht wüssten, wie sie die Flüchtlingskinder unterrichten sollen, damit der Schulstoff die Kinder erreicht. Ich möchte aufzeigen, wie sie dieses Problem überwin­ den können. Eine wichtige Botschaft ist die: Der Stoff darf nicht nur über den Kopf ver­ mittelt werden, es braucht die sinnliche Er­ fahrung. Ein traumatisiertes Kind hat zum Beispiel das Problem, dass es mit abstrakten Zahlen vorerst nichts mehr anfangen kann. Kinder sagen dann: «Die Zahlen fallen mir aus dem Kopf». Wenn es die Zahlen mit Material – das können zum Beispiel Deckel von Petflaschen sein – «erfühlen» kann, hilft ihm das, Lernblockaden zu überwinden. Das Kind hat dann die Möglichkeit, diese posi­ tive Bewältigungsstrategie auch für andere Lerninhalte zu nutzen. Im Gaza stellen die

Kinder im Rahmen eines Caritas-Projekts individuelle Lernboxen zusammen, die helfen, Schulstoff mit einfachen sinnli­ chen Mitteln besser zu «begreifen». Die Kinder sagen mir, dass ihnen die Schule wieder Spass macht. Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Kindern in Krisenregionen. Was ist Ihr wichtigstes Ziel?

Kinder in Krisensituationen haben eine grosse Resilienz, eine Widerstandsfähig­ keit, um den schwierigen Alltag zu bewäl­ tigen. Es ist enorm wichtig, dass wir ihnen helfen, positive Strategien erfahrbar zu machen, die ihrem Alter und Entwick­ lungsstadium entsprechen. Dann können sie auch an der Überwindung ihres Trau­ mas arbeiten.

Bild: YEC


Yara und ihre drei Geschwister konzentriert am Lernen in ihrer notdürftigen Unterkunft.

Krieg und Flucht zwei Jahre verloren. Die Erinnerungen sind schmerzhaft. Alia erzählt: «Ob meine syrische Lehrerin noch lebt, weiss ich nicht. Ich wünsche mir sehr, dass sie uns hier einmal besuchen kommen

denn er kann damit bereits im Kindergarten beginnen. Yara und Alia dagegen wurden wegen diesem Handicap mit zwei bis drei Jahren jüngeren Kindern eingeteilt. Dennoch lautet die Antwort beider Mädchen auf die

Gerade bei Mädchen sind frühe Schulabgänge keine Seltenheit. könnte.» Der Einstieg in die libanesische Schule gestaltete sich nicht einfach, vor allem wegen sprachlichen Hürden. Zwar wird im Libanon wie in Syrien Arabisch gesprochen, was eine problemlose Verständigung ermög­ licht. Aber der Unterricht wird hier gemäss dem nationalen Lehrplan in französischer Sprache erteilt. Das heisst, dass die Kinder als erstes eine ihnen völlig fremde Sprache erlernen müssen, um dem Unterricht folgen zu können. Der fünfjährige Omar hat Glück,

Frage nach ihrem Lieblingsfach ohne Zö­ gern: «Französisch». Ihre Lehrerin lobt ihre Fortschritte. Sie ist sich bewusst, dass die bei­ den wegen ihres höheren Alters andere Be­ dürfnisse haben als der Rest der Klasse. «Ich gebe ihnen spezielle Aufgaben und setze sie auch ein, um eine Gruppenarbeit zu organi­ sieren», sagt sie. Die beiden Schwestern seien lernbegierig und selbstbewusst. Gerade des­ halb besteht aber auch die Gefahr, dass sie durch die Einteilung in eine nicht altersge­

rechte Schulstufe unterfordert sind. Noch ist Yara ein Kind, aber wenn die Pubertät be­ ginnt, ist gut denkbar, dass sie sich in dieser Situation nicht mehr gleichermassen wohl fühlt wie heute. Gerade bei Mädchen sind frühe Schulabgänge keine Seltenheit. Die Al­ ternative ist dann häufig eine frühe Heirat innerhalb der Gemeinschaft der syrischen Flüchtlinge. So werden die sozialen Prob­ leme an die nächste Generation weitergege­ ben. Das Risiko, dass auch die Kinder aus einer unter solch erschwerten Bedingungen gegründeten Familie in Armut aufwachsen, ist sehr hoch. Landwirtschaft als Verdienstquelle

In der Schule hat Schwester Georgette einen Harass mit Äpfeln aufgestellt. Die Kinder dürfen sich für die Pause bedienen. «Die Äpfel stammen aus dem Garten meiner Schwester, die in Kanada lebt und ihr Haus hier im Dorf kaum mehr besucht», erzählt

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Das Richtige tun  Reportage Schwester Georgette. Sie ist selbst in Kartaba aufgewachsen, hat als Lehrerin gearbeitet und ist dann dem Don Bosco-Orden beige­ treten. Erst seit wenigen Jahren ist sie auf diesem Weg wieder in ihrem Heimatdorf zu­ rückgekommen. «Obst und besonders Äpfel sind eine Spezialität unseres Dorfes. Die Landwirtschaft hier in den Bergen ist arbeits­ intensiv, die Bauern sind angewiesen auf billige Arbeitskräfte», sagt Schwester Geor­ gette. Schon vor dem Krieg haben Syrer hier den Sommer durch ein Einkommen erarbei­ tet. Als der Krieg ausbrach, zogen sie mit ihren Familien hierhin, andere folgten ihrem Beispiel. Das Bergdorf, das unter der Ab­ wanderung der Jungen litt, hat so seine Be­ völkerung mit einem Mal verdoppelt. Die Männer arbeiten weiterhin im Stundenlohn, aber inzwischen ist das Angebot an Arbeits­ kräften grösser als der Bedarf. Lange nicht alle Familien können ihren Lebensunterhalt

decken. Die Kinder zur Schule zu schicken, wäre ohne das Caritas-Projekt für viele un­ erschwinglich. Das Schulprojekt ist noch im Aufbau. Samstags gibt es Nachhilfeunterricht in Französisch für die syrischen Kinder, im Frühsommer wird mit einer Partnerorga­ nisation ein Zirkusprojekt stattfinden. Die Lehrerinnen und Lehrer können an Kursen teilnehmen, die die besonderen Bedürfnisse von traumatisierten Kinder zum Thema haben. Caritas arbeitet auch mit den Eltern der unterstützten Kinder. Ein zentrales Ziel ist es, ihr Bewusstsein darüber zu fördern, wie wichtig die Schule für die Zukunft der Kinder ist.

Antwort. Ihre Schwester würde gerne Lehre­ rin werde. Die Mutter wünscht sich «ein Zu­ hause, wo es nicht feucht ist, wo meine Kin­ der gut lernen können, einen Ort, wo ein menschenwürdiges Dasein möglich ist.» Und alle zusammen haben einen gemeinsa­ men Wunsch: dass der Krieg in Syrien ein Ende finden möge und sie alle zusammen wieder in ihre Heimat zurückkehren kön­ nen. Vorderhand ist aber Kartaba zu ihrer neuen Heimat geworden – nicht zuletzt dank der Schule.  www.dasrichtigetun.caritas.ch www.caritas.ch/syrien

Wünsche für die Zukunft

Sozialarbeiterin Nina El Khoury befragt Yara zu den Wünschen für ihre Zukunft. «Ich möchte so werden wie Sie», lautet ihre

Bild rechts: Die vier Geschwister auf dem Schulweg.

Alles tun, damit keine verlorene Generation entsteht Der Krieg in Syrien zwingt immer mehr Menschen auf die Flucht. Die meisten syrischen Flüchtlinge leben in den Nach­ barländern; Ende Januar 2016 waren es bereits 4,6 Millionen Menschen. Mehr als die Hälfte davon sind Kinder unter 18 Jah­ ren. 700 000 dieser Flüchtlingskinder im Libanon, Jordanien, der Türkei und dem Irak können keine Schule besuchen. Auch wenn vielerorts im Zweischichtbetrieb unterrichtet wird und neue, meist provi­ sorische Schulräume erstellt werden, kann der enorme Bedarf bei Weitem nicht ge­ deckt werden. Es mangelt an Schulräumen und an Lehrerinnen und Lehrern. Eltern haben kein Geld, um Schul- und Trans­ portkosten zu bezahlen. Vielfach halten sie ihre Kinder dazu an zu arbeiten und so zum Überleben der Familie beizutragen. Schulprojekt für 2500 Kinder

Das gemeinsame Schulprojekt von Caritas Österreich, Caritas Libanon und Caritas Jordanien, das von Caritas Schweiz mit­ getragen wird, leistet einen Beitrag dazu, diesen Missstand zu bekämpfen. Es er­ möglicht während drei Jahren jeweils

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2500 Kindern im Libanon und Jordanien die Schule zu besuchen, indem Schul- und Trans­ portkosten gedeckt werden. 70 Prozent davon sind Flüchtlingskinder, 30 Prozent benachteiligte einheimische Kinder. Das Projekt will die eingeschulten Kinder auch in die Lage versetzten, dem Unterricht zu folgen. Die Lehrerinnen und Lehrer wer­ den speziell ausgebildet darin, wie sie auf die Situation von kriegstraumatisierten Kindern eingehen können. Im Weiteren fördern die Schulen gezielt den sozialen Zusammenhalt zwischen Flüchtlingen und den einheimischen Kindern. Nicht zuletzt sind auch die Eltern miteinbezogen: Sie erhalten die Möglichkeit, selbst Kurse zu besuchen, die sie bei der Bewältigung des Alltags unterstützen oder ihnen gar eine Einkommensquelle eröffnen. Die Arbeit mit den Eltern hat auch das Ziel, dass diese den Schulbesuch ihrer Kinder als sinnvoll ansehen. Nur so kann das Risiko von frühen Schulabgängen reduziert werden. Schulprojekt im Nordirak

Auch im Nordirak setzt sich Caritas Schweiz für die Förderung der Schulbildung ein. In fünf arabischsprachigen Schulen in der kur­

dischen Stadt Erbil läuft ein Programm zur Integration von 5000 syrischen und irakischen Flüchtlingskindern. Um ihre traumatisierenden Erfahrungen überwin­ den zu können, erhalten die Kinder psy­ chosoziale Begleitung und bei Bedarf the­ rapeutische Unterstützung.

Schulprojekte der Caritas für syrische Flüchtlingskinder TÜRKEI

SYRIEN LIBANON 2 Schulen

JORDANIEN 5 Schulen

IRAK 5 Schulen



Nah dran  Alltagsfragen

Tonny Okilla, Uganda Wie sieht Ihr Alltag aus?

Die Kinder stehen um sechs Uhr auf und helfen meiner Frau, bevor um halb acht die Schule beginnt. Am Mittag essen sie zu Hause, lernen dann für die Schule und tref­ fen Freunde. Ich selbst stehe um sieben Uhr auf und arbeite tagsüber als Fahrer. Nach der Arbeit gehe ich zuerst in die Kirche und um halb neun fürs Abendessen heim zu meiner Familie. Danach verkaufen meine Frau und ich Getränke bis zehn Uhr. Was verdienen Sie?

Tonny Okilla (35) wohnt in Arua und arbeitet als Fahrer für verschiedene Organisationen, darunter Caritas. Seine erste Frau starb bei der Geburt des dritten Kindes. Drei weitere Kinder hat Tonny mit seiner zweiten und jetzigen Frau Acaya (27). Diese arbeitet als Schneiderin und betreut die insgesamt sechs Kinder im Alter zwischen zwei und 17 Jahren. Aufgezeichnet von Pia Käch

Ich verdiene pro Tag 50 000 ugandische Schil­ ling (rund 14 Schweizer Franken). Leider ist mein Lohn als Fahrer unregelmässig, sodass wir noch auf andere Einkünfte angewiesen sind. So vermieten wir von unseren sechs Zimmern im Haus drei an kleine Geschäfte, und abends verkaufen wir zusätzlich Ge­ tränke. Wofür haben Sie zum letzten Mal Geld ausgegeben?

Für die Schulgebühren meiner Kinder, fürs Radio und das Fahrrad meines jüngsten Soh­ nes.

Was bedeutet für Sie Glück?

Wenn ich einen Auftrag als Fahrer habe, weil ich dann für mich und meine Familie planen kann. Es macht mich sehr glücklich, wenn ich für uns alle sorgen und unsere Probleme selbst lösen kann. Es macht mich auch glück­ lich, mit Menschen zusammenzusein, die ich gern habe. Und ich liebe Musik – vor allem Gospel-Musik bedeutet mir viel. Was wünschen Sie sich?

Ich habe viele Wünsche! Vor allem wünsche ich mir, dass unsere Familie zusammenbleibt und alle Kinder die Schule abschliessen und eine Anstellung erhalten. Dass ich und meine Frau uns im Alter selbst versorgen können. Zudem möchte ich einen Computerkurs ma­ chen, weil ich keine Ausbildung absolvieren konnte. Dann könnte ich in der Computer­ branche arbeiten und hätte ein regelmässiges Einkommen.

Was schätzen Sie an Ihrer Heimat?

Sicherheit und Frieden. Die Entwicklung des Landes geht vorwärts. Ich mag die Land­ schaften, die Menschen, meine Freunde und Familienmitglieder. Womit haben Sie zu kämpfen?

Es macht mich unglücklich, dass meine Frau und ich bis zehn Uhr abends lokale Getränke verkaufen müssen, um zu überleben. Ich hätte gerne ein regelmässiges Einkommen. Was macht Sie stolz?

Ich bin sehr stolz, dass ich die Sekundar­ schule selbst bezahlt habe. Mein Vater zahlte

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mein Schulgeld nicht mehr für mich, weil er meine Geschwister bevorzugte. Jeden Abend arbeitete ich von fünf bis sieben als Bau­ arbeiter. Auch bin ich stoz, dass ich meinen Kindern ein gutes Leben in christlichem Glauben bieten kann.

Uganda in Zahlen Hauptstadt Kampala Einwohnerzahl 35 Millionen Währung Ugandischer Schilling (UGX) Ein Sack Kohle 20 000 UGX (ca. 6 Franken) Ein Kilo Reis 4000 UGX (ca. 1 Franken) Ein Bund Matoki (Kochbananen) 20 000 bis 30 000 UGX (ca. 6 bis 9 Franken)

Bild: Pia Käch


Augenblick  Nah dran

In der Region San Lucas können arbeitende Kinder dank Caritas trotzdem die Schule besuchen. Nicaragua, Juli 2015.

«Auf der anderen Seite des grossen Ozeans entstand das Licht», sagt Antonio Aragón Renuncio (44). Er lebt in Nicaragua und ist freier Fotograf für verschiedene internatio­ nale Agenturen. Antonio Aragón Renuncio hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten und ist auch Lehrer für Fotografie und Organisa­ tor von Austausch-Projekten. www.antonioaragonrenuncio.com

Bilder: Antonio Aragón Renuncio; zVg

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Das Richtige tun  Schweiz

Das gemeinsame Kochen hilft den Tag im Durchgangszentrum zu strukturieren.

Kinder auf der Flucht In der Schweiz befinden sich einige hundert Kinder und Jugendliche in einem Asylverfahren. Sie sind allein auf der Flucht und in einer prekären Situation. Unbegleitete Minderjährige «Mein Bruder wurde zwangsrekrutiert, ein anderer Bruder ist im Krieg gestorben», erzählt der 17-jäh­ rige Asylbewerber aus Eritrea, der nicht mit Namen genannt sein will. «Ich hatte ständig Angst, dass die Soldaten auch mich eines Tages einfach abholen würden. Darum habe ich die Schule abgebrochen und bin über die nahe gelegene Grenze nach Äthiopien ge­ gangen.» Dort kam er in ein Flüchtlingslager, wo aber nach Protesten der Flüchtlinge Gewalt ausgebrochen sei und Polizisten auf Flücht­ linge geschossen hätten. «Alles was ich wollte, war in Ruhe und Frieden leben und irgendwann arbeiten», sagt der junge Mann.

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So kam er nach einer langen Flucht in die Schweiz, wo sein Asylgesuch hängig ist. In der Schweiz befinden sich jedes Jahr einige hundert unbegleitete Jugendliche (UMA) in einem Asylverfahren. Manche haben ihre Eltern im Krieg verloren, andere wurden weggeschickt in der Hoffnung, dass sie in der Fremde die Familie unterstützen können. Viele haben traumatische Fluchten, Gewalt oder sexuelle Übergriffe erlebt. Wenn sie in der Schweiz Glück haben, kom­ men sie in gut betreute Zentren für Jugend­ liche. Wenn sie Pech haben, landen sie in Kollektivunterkünften, wo sich vorwiegend Männern aufhalten. Besonders schutzbedürftig

und Jugendlichen dem Alter entsprechend untergebracht werden und sich Wissen an­ eignen, eine Lehre machen und die Freizeit gestalten können. Aufgrund der besonderen Bedürfnisse von unbegleiteten Minderjährigen bietet Caritas Schweiz ab 2016 in der Deutschschweiz be­ troffenen Kindern und Jugendlichen eine Platzierung in geeigneten Pflegefamilien an. Dort finden sie Geborgenheit und ein kindund jugendgerechtes Umfeld, können sich integrieren und die Schule besuchen. Caritas Schweiz organisiert seit über zwanzig Jahren Pflegeplatzierungen. (dos)  www.caritas.ch/positionspapiere www.caritas.ch/platzierung-uma

Oft werden im Asylverfahren nicht die ent­ sprechenden Massnahmen für den Kinder­ schutz ergriffen, den unbegleitete Jugendliche brauchen. Caritas Schweiz fordert im Posi­ tionspapier «Kinder und Jugendliche in den Zwängen des Asylrechts», dass die Kinder

Bild: Pia Zanetti


Bei ihrer Präventionsarbeit achtet Caritas darauf, dass die Gemeinschaften aus den betroffenen Ländern einbezogen sind und im geschützten Rahmen diskutieren können.

Prävention gegen Mädchenbeschneidung verstärken Mit einem neuen Netzwerk sollen die Aktivitäten gegen Mädchenbeschneidung in der Schweiz gebündelt und verstärkt werden. Caritas Schweiz leistet seit mehr als zehn Jahren Präventions­ arbeit. Prävention Ein warmer Tag im Durchgangs­ zentrum Tramelan. Eine Gruppe von jungen Frauen, vorwiegend aus Eritrea und So­ malia, hört aufmerksam den Ausführungen der Gesundheitsexpertin Félicienne Villoz Muamba zu. «Wisst ihr, was Beschneidung ist?», fragt die Präventionsfachfrau aus Biel, während ihre Kolleginnen auf Arabisch und Tigrinya übersetzen. Félicienne Villoz

Bild: Heike Grasser/Ex-Press

Muamba erklärt anhand von Bildern, was weibliche Genitalbeschneidung bedeutet, was die Gründe für diese Praxis sind und wo die gesundheitlichen Risiken liegen. Die Frauen, im Alter zwischen 15 und 35 Jahren, darunter viele sehr junge Mütter, bleiben scheu und abwartend. Erst als die Expertin erklärt, dass Mädchenbeschneidung in der Schweiz verboten ist, beginnen sie aufgeregt miteinander zu tuscheln. Derzeit leben in der Schweiz fast 15 000 Mädchen und Frauen, die von Beschneidung betroffen oder bedroht sind. Mit der Zu­ nahme von Migrantinnen und Asylsuchen­ den aus Ländern wie Somalia und Eritrea be­ kommt das Thema stets mehr Dringlichkeit. Caritas Schweiz leistet im Auftrag des Bundes­amtes für Gesundheit und des Staats­ sekretariats für Migration Präventionsarbeit,

bietet Fachpersonen und Institutionen Bera­ tung an und unterstützt den Wissens­transfer in die Kantone. Gemeinsam agieren

Der Bundesrat will mit neuen Massnahmen die Aktivitäten gegen Mädchenbeschnei­ dung stärken und bündeln. Mit einem neuen Netzwerk sollen Institutionen, Fachperso­ nen und Migrantengruppen besser vernetzt werden. Caritas begrüsst dieses Netzwerk, da die Prävention so flächendeckender um­ gesetzt wird. (dos)  www.caritas.ch/fgm

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Das Richtige tun  Welt

Beim Anbau von Maniok oder Mais werden die ehemaligen Sträflinge von erfahrenen Bauern begleitet.

Eine neue Chance für Gefangene Ein Reintegrationsprojekt hilft straffälligen jungen Menschen in Norduganda beim Aufbau eines kleinen Unternehmens. Neben der Einkommenssicherung soll damit auch die Kriminalitätsrate gemindert werden. Uganda Nach jahrzehntelangen Entbehrun­ gen durch den Konflikt zwischen Regierung und Rebellen steht Nordugandas Jugend vor dem Nichts. Fast ausnahmslos gross gewor­ den in Flüchtlingscamps, fehlt es den jungen Menschen an Bildung und Perspektiven. Die Kleinkriminalität ist hoch, die Gefängnisse sind massiv überbelegt. Allein 75 Prozent der männlichen und weiblichen Insassen sind zwischen 18 und 35 Jahre alt. Die Caritas Partnerorganisation Advance Afrika will diesen jungen Menschen eine Per­ spektive geben. In den Regionen Acholi und Lango werden zusammen mit 800 Sträflingen Geschäftsideen entwickelt. Die Vermittlung der Theorie zum Aufbau und zur Führung

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eines Unternehmens beginnt bereits im Ge­ fängnis. Nach der Freilassung gilt es, die Idee umzusetzen. Es sind Kleinstunternehmen wie der Anbau von Maniok, ein Beauty­ salon, eine Flickstube oder die Zucht von Schweinen. Dabei werden die Ex-Sträflinge von er­ fahrenen Geschäftsleuten oder Bauern be­ gleitet. «Es ist wichtig, das gesellschaftliche Gleichgewicht nicht zu stören», sagt Kathrin Wyss, Projektverantwortliche von Caritas Schweiz. «Die Gefangen dürfen nicht besser gestellt werden als andere Jugendliche. Mit dem Projekt wollen wir vor allem das Defi­ zit durch die Inhaftierung wettmachen.» (use)  www.caritas.ch/uganda-gefangene

In den Tageszentren bietet Caritas Roma-Kindern Aufgabenhilfe an.

Roma-Gemeinschaften stärken Rumänien Der 8. April ist Internationaler Tag der Roma. Noch immer gehört diese Minder­ heit zu den ärmsten und am meisten diskri­ minierten Bevölkerungsgruppen in Europa. Caritas setzt bei ihren Projekten den Fokus auf Bildung, Gesundheit, Einkommen und Wohnen. Zum Beispiel in Rumänien, wo sie gemeinsam mit Caritas Satu Mare drei Tages­ zentren für Roma-Gemeinschaften unter­ stützt. Mit Angeboten zu Bildung und Ge­ sundheit sollen deren Perspektiven verbessert werden. So besuchen in Baia Mare 60 Roma-Kin­ der die Grundschule und 30 weitere Kinder sind in Klassen integriert, in denen sie nach ihrem Schulabbruch zurück zum Lernen finden. Zudem bietet Caritas in allen Tages­ zentren Kindergärten, Aufgabenhilfe und Elternarbeit an. Speziell ausgebildete Gesund­ heitsmediatorinnen bringen der Gemein­ schaft die medizinische Vorsorge näher. Bei all diesen Aktivitäten werden die Anliegen der Roma-Gemeinschaft stark berücksichtigt und ihre Eigeninitiative gestärkt. (dos)  www.caritas.ch/projekt-roma

Bilder: Advance Afrika; Pia Zanetti


Wenn im Sommer alle sieben Schulen fertig sind, werden 4000 Kinder davon profitieren können.

Es geht voran auf den Philippinen Der Taifun Haiyan zerstörte im November 2013 auf den Philippinen zahlreiche Wohnhäuser und Schulen. Caritas baut sieben Schulen und über 1000 Häuser wieder auf. Philippinen Es ist der 11. Dezember 2015. Die gleissende Sonne wird nur noch von den strahlenden Gesichtern der geladenen Gäste übertrumpft. Kinder, Lehrer, Eltern und Ver­ treter der Regierung warten in Pili, auf der philippinischen Insel Bantayan, auf die feier­ liche Übergabe der neuen Grundschule von Caritas. Dort, wo nach dem verheerenden Taifun Haiyan im November 2013 kein Stein mehr auf dem anderen war, stehen nun helle und luftige Schulgebäude. In leuchtendem Orange, Grün und Blau gruppieren sich die neuen Klassenräume auf dem mit Bäumen bepflanzten Schulhof.

Bild: Stéphanie Bouaziz

Endlich durchschneiden der örtliche Pries­ ter, der Schuldirektor und ein Caritas-Vertre­ ter feierlich das rot-weisse Band. Die Schule ist offiziell eröffnet. Nach Tanzeinlagen, Reden und Gedichten folgen viele Dankes­ worte. So sagt Marina Acorda, Präsidentin des Eltern-Lehrer-Verbandes: «Wir danken allen Spendern und der Caritas von Herzen, dass sie unsere Schule für den Wiederaufbau gewählt haben. Wir versichern Ihnen, dass wir sehr auf dieses Geschenk achten wer­ den.» Zhaira Tajanlangit aus dem Studen­ tenrat schliesst sich ihr an: «Ohne Ihre Hilfe hätten wir das nie geschafft. Es gibt nicht genug Worte für unseren Dank.» Erdbeben- und sturmsicher

Pili ist eine von sieben Schulen, die Caritas auf Bantayan wieder aufbaut. Bis Ende 2015 konnten in vier Schulen 16 Gebäude mit 36 Klassenzimmern fertig gestellt werden. Zwei Schulen wurden an die Bevölkerung übergeben, die anderen fünf werden bis

Sommer 2016 eröffnet. Insgesamt können dort 4000 Kinder unterrichtet werden. Neben dem Unterricht dienen die Gebäude zukünftig auch als Evakuationszentren bei einer erneuten Katastrophe. Dazu wurde auf eine erdbeben- und sturmsichere Bau­ weise geachtet. In den Bau involviert sind über 300 lokale Arbeiter, so können Arbeits­ plätze gesichert werden. Workshops zur Wartung und Notfällpläne komplettieren das Projekt. Auch im Wiederaufbau von Privathäusern ist Caritas aktiv. Auf den Inseln Bantayan und Kinatarkan werden bis Sommer 2017 über 1000 Häuser gebaut. Die Baustoffe kommen aus der Region, die Begünstigten sind in die Arbeiten involviert. (use)  www.caritas.ch/wiederaufbau/philippinen

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Das Richtige tun  Brennpunkt

34 Caritas-Schulhäuser für Nepal Das verheerende Erdbeben vom letzten April hat in Nepal auch achttausend Schulhäusern zerstört. Jetzt baut Caritas Schweiz 34 Schulen wieder auf. Sie sollen mithelfen, den Unterricht im Himalaya-Staat zu verbessern.

V

om einstigen Schulhaus ist nur das eiserne Eingangstor stehen geblieben. Dahinter liegt ein einziger, riesiger Trümmerberg. Auf den Ziegelsteinhaufen erkennt man vom Regen ausgewaschene Schulhefte. Wir sind in Gyalthum im Distrikt Sindhulpalchok in Zentralnepal und stehen vor einem der achttausend eingestürzten Schulbauten. Die Erdbebenfolgen beeinträch­ tigen fast alle Bereiche des täglichen Lebens. Herabfallende Felsbrocken und Steine aus erodierten Hängen bedrohen die Schüler, die an abgelegenen Orten manchmal bis zu vier und mehr Stunden täglich unterwegs sind. Viele Eltern haben Angst, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Frontalunterricht und riesige Klassen

Bereits vor dem Beben hatten 1,2 Millionen schulpflichtige Kinder noch nie eine Schule besucht. Die hat einen ziemlich schlechten Ruf. «Nepal pflegt an seinen Volksschulen weitestgehend noch ein sehr traditionelles Bildungsmodell», sagt Anil Sapkota, der in Nepal die Nichtregierungsorganisation «Fair Education» leitet. «Die Lehrperson steht vor der Klasse und doziert Texte. Die Kinder müssen sie nachsprechen und aus­ wendig lernen. Oft ohne zu wissen, was da­ hinter steckt.» Die Klassen sind häufig riesig. Marilyn Hoar, die bei Unicef Nepal das Bildungsde­ partement leitet, berichtet von Lehrkräften,

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Mehr als siebzig Schüler in einem Schulzimmer – damit ist Schluss an den neuen Caritas-Schulen.

die teilweise mehr als siebzig Schüler in einem Raum unterrichten. Bei diesem Fron­ talunterricht gibt es keine Gruppenarbeit, kein interaktives Lernen. Die Klassengrössen verunmöglichen, dass die Lehrer auf die Schüler individuell eingehen. Neunzig Pro­

zent des Lehrpersonals habe kaum eine Ah­ nung von Didaktik und Methodik, sagt Anil Sapkota: «Der Staat sollte viel mehr in die Lehrerfortbildung investieren.». Dass es in manchen Schulzimmern Nepals noch immer wie zu Pestalozzis Zeiten ausschaut, hat

Bilder: Peter Jaeggi


auch viel mit der Schulhausarchitektur zu tun: Dunkle, enge Klassenzimmer. Da stehen Schulbänke, auf denen fünf, sechs Schüler zu­ sammengepfercht sitzen. Viel zu wenig Fens­ ter und damit düsteres Licht – bei täglichen Stromausfällen von oft mehreren Stunden. Draussen zu wenig Platz zum Spielen. Man­ gelhaft gepflegte Toiletten – nicht selten ohne Wasser. Alles in allem so ziemlich das Gegen­ teil dessen, was eine lern- und kinderfreund­ liche Atmosphäre ausmacht. Ein Beitrag ans Bildungssystem

Bringt jetzt das Erdbeben eine Wende? Denn jetzt plant Caritas Schweiz im schwer zer­ störten Distrikt Sindhulpalchok für 10,9 Mil­ lionen Franken 34 neue Schulhäuser. Neue

werden die Caritas-Schulhäuser über grosse, helle Räume verfügen, mit genügend Fens­ tern und Türen. Pro Schüler sind 1,5 Quad­ ratmeter Platz berechnet – noch vor kurzem gestand der Staat jedem knapp die Hälfe zu. Lehrerzimmer, Bücher- und Aufenthalts­ räume und separate Toiletteneinrichtungen gehören ebenso dazu wie Spiel- und Pausen­ plätze. Khagendra Nepal, Direktor im ne­ palesischen Bildungsdepartement, sieht im Caritas-Schulhaus sogar einen Musterbau, der für den Wiederaufbau im ganzen Land als Vorbild dienen könne. Peter Eppler, Chefdelegierter der Caritas in Nepal, sagt: «Die Schule ist das Zentrum eines Dorfes. Ein Lehrer hat in diesem Land, das noch stark nach Autoritäten ausgerich­

«Die Schule ist das Zentrum eines Dorfes. Ein Lehrer hat eine wichtige Stellung.» Schulhäuser – bessere Schulen? Marilyn Hoar von Unicef sagt: «Eine kinder- und lernfreundliche Architektur hat einen moti­ vierenden Einfluss.» Seien die Schulräume gross genug, die Klassen nicht zu riesig, das Mobiliar beweglich, fördere dies moderne Unterrichtsformen. Genau diesen Intensio­ nen folgt Caritas Schweiz. Mehr Platz zum Lernen und Spielen

Selbstverständlich sind jetzt erdbeben­sichere Schulhäuser mit armierten Betongerüsten. Die traditionelle Bauweise mit Ziegelsteinen und Lehmmörtel ohne Versteifungen hielt dem Beben vom April nicht stand. Daneben

tet ist, in der Gesellschaft eine wichtige Stel­ lung.» Eppler sieht in den neuen Schulhäu­ sern eine bedeutende Investition in Nepals Zukunft. Anil Sapkota von «Fair Educa­ tion», der seine Schulhausbauten mit Dorf­ entwicklungsprogrammen koppelt: «Ich sage es den Menschen hier immer wieder: Seid nicht allzu traurig wegen dieses Erdbebens. Es gibt uns die Chance, ein neues Nepal auf­ zubauen.» Peter Jaeggi

Anspruchsvoller Wiederaufbau Nach der Erdbebenkatastrophe vom April 2014 kann Caritas Schweiz nun mit der Umsetzung ihres Wieder­ aufbau-Programms beginnen. Im Dis­ trikt Sindhulpalchok baut sie in sechs Gemeinden 34 erdbebensichere und kinderfreundliche Schulen für 6000 Schülerinnen und Schüler. Schliesslich unterstützt sie die Schulbehörden bei der Verbesserung der Schulqualität. Das Schweizer Hilfswerk Helvetas beteiligt sich ebenfalls am Wiederauf­ bauprogramm und übernimmt die Komponenten Wasserversorgung und Hygiene. Finanziell wird die Wieder­ aufbauhilfe auch unterstützt von der Glückskette, den Caritas-Organisatio­ nen aus Grossbritannien, Tschechien, Luxemburg und Belgien, ausserdem von der Stiftung Cleanwater der Georg Fischer AG und der Stadt Adliswil. Hygiene ist prekär

In Nepal leben 23,8 Prozent der Men­ schen unter der Armutsgrenze und auf dem Land sind die hygienischen Bedin­ gungen prekär. Nur 20 Prozent der Haushalte verfügen über eine Latrine und etwa die Hälfte hat Zugang zu sauberem Trinkwasser. Jährlich ster­ ben in Nepal rund 13 000 Kinder unter fünf Jahren an den Folgen. Ende Jahr wurde der Wiederaufbau verzögert wegen Demonstrationen im Zusammenhang mit einer neuen Ver­ fassung, durch die sich Minderheiten benachteiligt fühlen. Weil die wichti­ gen Transportwege aus Indien blo­ ckiert waren, wurden wichtige Güter wie Treibstoff, Gas, Eisen und Beton knapp. Die Preise für Baumaterialien verdoppelten sich. Caritas Schweiz konnte den Wiederaufbau aber im März starten. (Peter Jaeggi/dos)  www.caritas.ch/nepal

Eine kinder- und lernfreundliche Architektur, helles Licht und bewegliches Mobiliar fördern moderne Unterrichtsformen.

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Bei Katastrophen ist jede Minute kostbar.

Helfen Sie uns, schnell zu handeln – mit dem Katastrophen-Fonds der Caritas Wenn die Erde bebt, Flüsse über die Ufer treten oder die Dürre lebensbedrohlich wird, heisst es handeln. Der KatastrophenFonds ermöglicht es der Caritas, im Ernstfall sofort mit Nothilfe zu reagieren. Engagieren Sie sich mit einem Franken pro Tag für den Katastrophen-Fonds der Caritas – Sie helfen uns, Leben zu retten. Karte weg? Anmeldung auch unter: www.caritas.ch/katastrophenfonds


Perspektiven  Das Richtige tun

Am Anfang jeder Kunst steht der Mensch Das Theater sei mit seinem Vorhaben ge­ scheitert, für das Schicksal von Flüchtlingen zu sensibilisieren. Mit dieser Einschätzung trat unlängst Claus Peymann vom Berliner Ensemble in «Die Zeit» auf den Plan. Zu be­ tulich seien die Inszenierungen mit den brül­ lenden Nazis und den herumgeschubsten Flüchtlingen – zum Teil auch noch mit echten Flüchtlingen auf der Bühne, die sich selbst spielten. Der geniale Theatermann Peymann räumt ein, dass er selbst ratlos sei. Das ist ein Bekenntnis. Aber wofür? Die Flüchtlings­ tragödie in Europa ist nun einmal das drän­ gende Thema, und es kann keinen Künstler kalt lassen – sind Künstler doch kraft ihrer Tätigkeit (und ihrer Berufung) nach wie vor Seismographen der Gesellschaft. In meiner Kindheit im kommunistischen Rumänien hatten die Kunst, die Literatur einen besonderen Stellenwert: Verbotene Bücher zirkulierten in Handschriften – Stich­ wort Samisdat – von Familie zu Familie, sie galten als Fenster zur Welt. Und weil sie wie jede Literatur von den grossen Themen Liebe und Tod handelten, galten sie als Hort der Menschlichkeit in einem diktatorischen Willkürregime. Ich bin, über diese düstere Zeit des Kom­ munismus hinaus, mehr denn je davon über­ zeugt, dass uns die Literatur zur Empathie

Die Autorin und Journalistin Dana Grigorcea (36) stammt aus Rumänien. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Zürich.

Ich habe im Zürcher Kreis 4 eine Bene­ fiz-Lesereihe initiiert, deren Erlös der Flücht­ lingshilfe auf der griechischen Insel Lesbos direkt zugeht. Zwei Mal im Monat lesen je vier bis sechs bekannte Autorinnen und Au­ toren aus ihren aktuellen Büchern oder aber Texte, die sie für den Anlass schreiben. Diese

«Ich bin überzeugt, dass uns die Literatur zur Empathie erzieht.» erzieht – und zwar durch die Herausforde­ rung, in andere Welten einzutauchen, frem­ den Gedankengängen zu folgen. Was aber kann eine Literatin und Mutter in Zürich für die Flüchtlinge tun, die unter beträchtlicher Lebensgefahr übers Mittelmeer kommen?

Bild: Ayşe Yavas

handeln nicht alle von der Migration, aber alle handeln von der Menschlichkeit und von dem, was uns als Künstler und als Menschen zusammenhält. Wie schreibt man in der ak­ tuellen politisch-kulturellen Situation, was behindert das Schreiben und was treibt es

an? Die Abende sind nicht moderiert; da sind kurze Einführungen zu den Autoren und den vorzutragenden Texten. Im Anschluss an die Lesungen sitzen Au­ toren und Gäste noch lange zusammen und reden. Die Abende erfreuen sich einer gros­ sen Beliebtheit, weil sie einem Bedürfnis ent­ stammen. Stattliche Geldbeträge kommen zusammen, die Anlässe bringen die Anwe­ senden auf weitere Initiativen, von der Sach­ spende bis zur Hilfe vor Ort am Mittelmeer. Denn gerade in dieser prekären Zeit soll am Anfang jeder Kunst der Mensch stehen – und die Menschlichkeit. Dana Grigorcea

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Meine Caritas  Tipps

Wieso wir als Frei­willige im CaritasMarkt mithelfen

Francesca Scannapieco (51)

«Ich mag den Kontakt zu anderen Menschen und es bereitet mir grosse Freude, anderen zu helfen. Darum engagiere ich mich hier im Caritas-Markt in Lausanne.»

Rösli Geiger (67)

«Meine Familie ist gesund, meine Kinder durften eine Ausbildung absolvieren und haben gute Arbeitsplätze. Dafür bin ich dankbar und hoffe, im Caritas-Markt jenen Menschen etwas zu geben, die weniger auf der Sonnenseite des Lebens stehen.»

Joe Stucki (62)

«Es gibt auch in der reichen Schweiz Menschen, die sozial schwach aufgestellt sind. Hier kann ich ein wenig zur Unterstützung beitragen. Und für jedes Lächeln bekomme ich eines zurück.»

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Computer & Co: Effizient, Gesund und Fair Energiesparend, modern und nicht allzu teuer: Das sind zumeist die Kriterien, wenn Laptop, TV oder Natel angeschafft werden. Es gibt aber weitere Punkte, die man berücksichtigen könnte. Denn wer möchte vor einem Computer sitzen, der die Gesundheit belastet? Wer mit einem unfairen Handy telefonieren? Wir haben Kriterien zusammengestellt.

Effizienz Quelle: WWF Name: Geräteeffizienz-Check Thema: Reparieren oder neu anschaffen? Gut zu wissen: In einem Vierpersonen-Haushalt verbraucht die Beleuchtung von allen Stromgeräten am meisten Energie. Würden die Schweizer Haushalte auf energieeffiziente Technik setzen, liessen sich so jährlich bis 6 TWh Strom einsparen – das entspricht der zweifachen Jahresproduktion des AKW Mühleberg. Häufig lohnt es sich ökologisch wie auch finanziell, ältere Geräte zu ersetzen. So etwa bei Fernsehern und Monitoren. Anders bei Computern und Smartphones, die wertvolle Ressourcen enthalten und mehr Energie zur Herstellung als während des Betriebs verbrauchen. Dort lohnt ein Ersatz nicht, bei Defekten ist eine Reparatur meist die beste Lösung. Der Geräteeffizienz-Check vom WWF hilft Ihnen bei der Entscheidung. Auf Topten finden Sie Geräte, die sich durch Effizienz und eine gute Preis-Leistung auszeichnen. www.caritas.ch/wwf-check www.topten.ch

Gesundheit und Umwelt Quelle: Umweltbundesamt Deutschland Name: Blauer Engel Thema: Produkte betreffend Umwelt- und Gesundheitskriterien bewerten Gut zu wissen: Hochauflösende Fernsehgeräte müssen besonders energieeffizient sein und dürfen kein Quecksilber enthalten.

Herstellung und Transport von Geräten belasten die Umwelt, Emissionen während des Betriebs unsere Gesundheit. Wer auf die Label «Blauer Engel» und «TCO» achtet, minimiert diese Belastungen. Der Blaue Engel garantiert hohe An­ sprüche an Umwelt und Gesundheit, das TCO-Label erhalten Produkte, die definierte Anforderungen an Emissionen, Ergonomie und Umwelt erfüllen. www.tcodevelopment.de www.blauer-engel.de

Fair Quelle: Brot für alle und Fastenopfer Name: Hightech-Rating Thema: Wie fair sind die in der Schweiz wichtigsten IT-Produkte? Gut zu wissen: Möglichst nicht jedes Jahr ein neues Smartphone kaufen! Unter dem Stichwort «Handy­ reparatur» finden sich im Internet viele Anbieter. Die Förderung von Rohstoffen und die Produktion der Geräte sind häufig mit Problemen behaftet: So kommen verwendete Erze, wie Zinn und Wolfram aus der Krisenregion Kongo, Arbeiter in China werden ungeschützt krebserregenden Stoffen ausgesetzt und in Indonesien sind 14-StundenSchichten und 6-Tage-Wochen keine Seltenheit. «Wie viel Blut steckt in unseren Smartphones und Computern?», fragten Brot für alle und Fastenopfer und untersuchten die grössten IT-Hersteller in punkto Arbeitsrechte, Umwelt und Konfliktrohstoffe. Kauf-Tipp: Das Fairphone ist das erste Smartphone, das Mineralien aus konfliktfreien Gebieten enthält und auf faire Arbeitsbedingungen in der Produktion setzt. www.hightech-rating.ch www.faircostumer.ch (Fairphone kaufen)

Bilder: zVg


Fribourg: Neue Präventionsstelle gegen Rassismus

Das Ziel ist ein friedliches Zusammenleben, unabhängig von Herkunft und kultureller Angehörigkeit.

Im Auftrag des Kantons Freiburg eröffnet Caritas Schweiz neu eine Anlaufstelle für Rassismus-Prävention. Unter dem Namen «Respekt für alle» möchte die Stelle mit Sitz in Freiburg den gegenseitigen Respekt stär­ ken und den sozialen Zusammenhalt för­ dern. Sie nimmt schriftliche Berichte über rassistische Zwischenfälle entgegen und bie­ tet persönliche Beratungen an für Menschen, die Opfer von Rassismus wurden. Zudem entwickelt die Fachstelle gemeinsam mit öf­

fentlichen und privaten Institutionen Pro­ jekte, um Rassismus vorzubeugen. Die neue Fachstelle öffnet ihre Türen am 21. März. (dos)  Kontakt: «Respekt für alle», Caritas Schweiz Boulevard de Pérolles 55, Case Postale 11 1705 Fribourg, E-Mail: serespecter@caritas.ch Telefon 026 425 81 00 www.serespecter.ch

Sozialalmanach 2016 Familienarmut Im Sozial­ almanach 2016 macht Caritas Schweiz das Thema Familie zum Schwerpunkt. Denn die Familie ist nicht nur Ort individuellen Wohlbefin­ dens, sondern unterliegt auch zahl­ reichen gesellschaftlichen Aufgaben und Leistungen. In der Familie werden der Sinn für Gemeinschaft und Solida­ rität gebildet und Kranke und Ältere betreut. Die Familie sichert die wirt­ schaftliche Existenz ihrer einzelnen Mitglieder. Von diesen Leistungen pro­ fitiert die ganze Gesellschaft. Aus Sicht der Caritas ist es darum nicht zu recht­ fertigen, dass 223 000 Eltern und Kin­ der in der Schweiz von Armut betrof­ fen sind. Für Caritas steht ausser Frage, dass der hohe individuelle Stellenwert der Familie sich auch in einer investiven Familienpolitik niederschlagen muss, die Armut verhindert. Der Sozialal­ manach 2016 vereint Essays und Fach­ beiträge zur Familie, ihren Bedürfnis­ sen und Leistungen, aber insbesondere auch zu Familienarmut und Wegen, diese zu verhindern. (dos)  Sozialalmanach 2016: «Familie ist kein Luxus», Caritas-Verlag Luzern, Dezember 2015, 220 Seiten www.caritas.ch/sozialalmanach

Die Bergsaison beginnt!

Die Arbeit wird belohnt mit frischer Bergluft.

Bilder: Georg Hofer; Franca Pedrazzetti

Mit dem Frühling beginnt für die Berg­ bauernfamilien eine strenge Zeit. Die Felder werden vorbereitet, Häuser und Ställe repa­ riert, Zäune geflickt und Weiden von Un­ kraut befreit. Wenn dann etwas Unvorher­ gesehenes passiert – eine Krankheit, ein Unfall oder ein Unwetter – ist die Arbeit rasch nicht mehr zu bewältigen. Engagieren Sie sich freiwillig mit einem Bergeinsatz, und unterstützen Sie während mindestens fünf Tagen eine Bauernfamilie in einer schwieri­

gen Situation. Ihre Arbeit wird belohnt mit interessanten Einblicken, frischer Bergluft und der Gewissheit, dass Ihre Hilfe wichtig ist. (dos)  www.bergeinsatz.ch

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Bild: Franca Pedrazzetti

Anpacken einmal anders: der Caritas-Bergeinsatz Mit Ihrem freiwilligen Einsatz Bergbauernfamilien helfen. Interessiert? Informationen zu den Einsatzorten: www.bergeinsatz.ch


Rätsel  Meine Caritas

Wo gehen diese Kinder zur Schule?

In dieser libanesischen Schule lernen syrische Flüchtlingskinder und einheimische Kinder friedlich unter einem Dach. Wie heisst das Dorf aus der Reportage ab Seite 6?

Wettbewerb Gewinnen Sie eine Caritas-Stofftasche!

Schicken Sie die richtige Antwort mit dem Vermerk «Rätsel» bis zum 30. April 2016 an fotoraetsel@caritas.ch oder an Caritas Schweiz, Redaktion Caritas-Magazin, Adligenswilerstrasse 15, Postfach, 6002 Luzern. Unter den richtigen Antworten wer­ den drei Caritas-Stofftaschen verlost (siehe Deckblatt). Die Lösung und die Gewinne­ rinnen und Gewinner finden Sie ab Mai 2016 auf www.caritas.ch/fotoraetsel sowie in der Juni-Ausgabe des Caritas-Magazins. Lösung zum Rätsel im Magazin 4/2015: Lösung B: Konzert, Kino, Theater, Zirkus, Museum, Zoo

Bild: Alexandra Wey

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Meine Caritas  Engagiert

«Wir sind alle Flüchtlinge» Maria Taliani ist auf der griechischen Insel Lesbos Fahrerin. Sie bringt besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in die Caritas-Unterkunft, die Sicherheit und Wärme bietet. Wenn in der Flüchtlingsunterkunft von Caritas auf Lesbos, einem Dreisterne-Hotel, Hände fehlen, ist Maria Taliani (47) schnell zur Stelle. Neben ihrer Arbeit als Fahrerin hilft sie Kleider verteilen, spielt mit den Kin­ dern oder erinnert die Mitarbeitenden auch mal daran, eine Pause zu machen. Maria Taliani, seit November bei Caritas Griechen­ land, ist mit dem Rezeptionisten des Hotels verheiratet, das den ankommenden Flücht­ lingen während bis zu drei Nächten ein war­ mes Zimmer, Waschmöglichkeiten und Essen zur Verfügung stellt, bevor sie nach Athen weiterreisen. Pro Schicht macht Taliani bis zu zehn Fahrten ins Flüchtlingscamp, wo sie alte und gebrechliche Menschen, Familien mit klei­ nen Kindern sowie Schwangere und Behin­ derte abholt, damit sie nicht wie unzählige Andere in einfachen Zelten oder draussen in der Kälte übernachten müssen. Und wenn es

Caritas-Fahrerin Maria Taliani gibt Neuankömmlingen ein Gefühl der Sicherheit.

vier Jahre lang im Zelt schlafen. «In jedem Kind sehe ich meine Grossmutter», so Maria Taliani. «Am liebsten würde ich sie alle ins Hotel fahren.» Ein Gefühl von Sicherheit geben

Ihre neue Rolle als Fahrerin passt sehr gut zu Maria Taliani, die über lange Erfahrung im

«Am liebsten würde ich alle ins Hotel bringen.» die Situation verlangt, bringt Taliani Kranke ins Spital oder Weiterreisende vom Hotel an den Hafen. «Hier auf Lesbos sind wir alle Flüchtlinge und wissen, wie es ist». Das sagt Maria Taliani, Mutter zweier erwachsener Söhne, obwohl sie selbst auf Lesbos aufgewachsen ist. Doch ihre Grossmutter musste 1922 wie unzählige andere aus der Türkei fliehen und

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Tourismus und eine Ausbildung als Sicher­ heitsfachfrau verfügt. «Meine Aufgabe ist es, den Neuankömmlingen ein Gefühl der Si­ cherheit zu geben», erzählt sie. «Wenn die Polizei uns den Zugang zum Camp verwehrt, muss ich diplomatisch bleiben und mich auch gegenüber den Taxifahrern auf der Insel durchsetzen, die unser Angebot oft als Konkurrenz verstehen.» (dos)

Wo Flüchtlinge Gäste sind In Griechenland unterstützt Caritas Schweiz gemeinsam mit Caritas Grie­ chenland besonders schutzbedürftige Flüchtlinge auf der Durchreise. Bis zum Frühling stellt sie in drei Hotels auf Lesbos und in Athen insgesamt 450 Betten für eine bis drei Nächte zur Verfügung. Dort können Flüchtlinge Kraft für die Weiterreise tanken und alle notwendigen Informationen erhalten. Das Projekt schafft auch Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung während der Wintermonate ohne Touristen.  www.caritas.ch/fluechtlinge

Bild: Fred Lauener


youngCaritas  Meine Caritas

Migration und Flucht in der Schule gehen… e s i e R isse e kenntn Auf ein prach

Pro Jahr besucht youngCaritas rund 30 bis 40 Schulen in der Deutschschweiz mit Schülerinnen und Schülern im Alter zwischen 13 und 20 Jahren. Ihr Angebot reicht vom Thema Fairer Handel über Entwicklungszusammen­ arbeit bis hin zu Armut in der reichen Schweiz. Besonders zugenommen haben im letzten Jahr die Anfragen zum Thema Migration und Flucht.

Bild: youngCaritas

ehen tigen S die nö draufg e e n s h is o rn e . . .  Erspa könnt nn alle ch sein li rsehen r e h d ä . . . we f ie erw ise ge m e R r im N ie uf er ode . . . d eicht a ft, Folt a H . . . viell m e nn ein en . . . we d droh o T r e d r a g so

Mit dieser Gedankenreise beginnen wir un­ sere Schulbesuche zu Migration und Flucht, denn wer würde nicht gerne wieder einmal eine Reise unternehmen? Natürlich gibt es in einer Klasse immer Draufgängerinnen, welche die Reise auch unternehmen würden, wenn sie gefährlich wäre, aber spätestens beim «Nimmerwiedersehen» ist für prak­ tisch alle Schluss. Die youngCaritas-Schulbesuche regen zum Nachdenken an, sind interaktiv und sol­ len junge Menschen zum Handeln motivie­ ren. Nicht selten gewinnen wir gleich meh­ rere Solidaritäterinnen und Solidaritäter. Und besonders motivierte Klassen führen gleich noch eine Sammelaktion durch. Ak­ tuell bereitet youngCaritas ein Dossier zum Thema «Bildung für syrische Flüchtlinge» vor. Darin werden Möglichkeiten der Un­ terrichtsgestaltung für die Einbettung und Organisation eines Spendenprojektes kurz und bündig vorgestellt. Aus zeitlichen Gründen – jugendli­ che Flüchtlinge gehen meist selbst in die Schule – bietet young-Caritas im Rahmen der regulären Schulbesuche keine Treffen mit Flüchtlingen an. Für unsere aktiven Solidaritäterinnen und

Solidaritäter kommen Begegnungen und neue Freundschaften bei unseren sonstigen Aktivitäten wie bei den Besuchen im Asyl­ zentrum zu Stande. In einer Gruppenarbeit begeben sich die Schülerinnen und Schüler auf die Flucht und müssen Entscheide treffen. Was nehme ich mit? Wie bezahle ich meine Flucht? Welche Route wähle ich? Wie viel Geld bin ich bereit für einen Schlepper zu bezahlen? Je nach Entscheid endet die Flucht erfolgreich, im Gefängnis oder aber auch mit dem Tod. Die Diskus­sionen gehen in viele Richtungen und es ist eindrücklich zu sehen, dass praktisch alle ihr Handy mitnehmen würden. Dieses ist für Menschen auf der Flucht Lebensretter, Wegbeschreiber und einzige Kontaktmög­ lichkeit zur Familie und Freunden.  Andreas Lustenberger www.youngcaritas.ch/school

youngCaritas wächst Seit Herbst hat sich youngCaritas auf einen Schlag verdoppelt, denn neu hat auch die Caritas Zürich einen Jugend­ bereich eröffnet. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, denn eine engagierte Jugend ist die Zukunft von morgen.  www.youngcaritas.ch/zh

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Yara Shuja (11), Fl端chtlingskind aus Syrien

Das Richtige tun

Wenn Armut ihr Gesicht zeigt Erfahren Sie mehr 端ber Yara und ihre Familie: www.dasrichtigetun.caritas.ch


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