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CARITAS Nr. 3 / Juni 2017

Magazin

Flucht ohne Eltern Seite 6

Brennpunkt

Jahresbericht

Schweiz

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Seite 13

Hungersnot in Ostafrika

Die CaritasHilfe 2016

Betreuung im Quartier


Offener Brief

Liebe Spenderinnen Liebe Spender Entwicklungshilfe soll nur noch gegen­ über Ländern geleistet werden, deren Regierungen bereit sind, ein Rücküber­ nahmeabkommen für abgewiesene Asyl­ suchende zu unterzeichnen. Dies ver­ langen verschiedene parlamentarische Vorstösse vom Bundesrat. So einfach sich diese Forderung formulieren lässt, so viel hat sie mit Unkenntnis der Fak­ ten zu tun. Die meisten Asylsuchenden stammen aus Syrien, Eritrea, dem Irak, dem Iran, Nigeria, Gambia, der Türkei, dem Sene­ gal und Sri Lanka. Sie erhalten von der Schweiz keine Entwicklungshilfe. Die For­

derung geht also ins Leere. Wenn man nichts gibt, kann man auch keine Gegen­ leistung fordern. Wer die Zahl der Asylsuchenden tief halten will, muss – wie das Beispiel ­Syrien eindrücklich zeigt – das Gegenteil vor­ schlagen: Es braucht mehr statt weniger Mittel für die Humanitäre Hilfe. L ­ änder wie der Libanon und Jordanien, die gemein­ sam rund zwei Millionen syrische Flücht­ linge beheimaten, brauchen weit mehr Unterstützung, als sie aktuell erhalten, damit sie diese riesige Aufgabe bewälti­ gen können. Deshalb weist Caritas immer wieder auf die Notwendigkeit hin, die Hu­ manitäre Hilfe für Syrien auf 100 Millionen Franken pro Jahr zu erhöhen. Wenn der Libanon und Jordanien es nicht schaf­ fen, all die Menschen in Not zu beherber­

gen und ihnen eine Perspektive zu geben, dann ziehen die Flüchtlinge – notgedrun­ gen – weiter. Ein besonderer und sehr positiver Aspekt der schweizerischen Entwick­ ­ lungszusammenarbeit besteht darin, dass die Schweiz keine allgemeine Bud­ gethilfe an fremde Regierungen leistet. Die Entwicklungshilfe der Schweiz ist an konkrete Projektvorhaben gebunden, um

«Es braucht mehr statt weniger Mittel für die Humanitäre Hilfe.» Korruption vorzubeugen. ­ Regierungen erhalten also nicht direkt Geld und sind deshalb kaum interessiert an einem Rücknahmeabkommen. Die Erfahrung aus der Entwicklungs­ zusammenarbeit zeigt, dass Menschen ihr Land nicht verlassen, wenn sie Hoff­ nung auf eine bessere Zukunft haben. Es gibt nicht viele Menschen, die freiwil­ lig ihre Heimat verlassen. Entwicklungs­ zusammenarbeit lohnt sich auch unter dem Aspekt der Migration! Um diese grundlegenden Zusammen­ hänge ins Parlament zu tragen, hat Cari­ tas Schweiz ein Positionspapier verfasst, das allen Parlamentarierinnen und Parla­ mentariern zeigen soll, dass eine Anbin­ dung der Entwicklungszusammenarbeit an Rücknahmeabkommen nicht funktio­ niert!

Hugo Fasel Direktor Caritas Schweiz

Bild: Franca Pedrazzetti


Inhalt

Neue, fremde Heimat

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Wenn Kinderflüchtlinge wie der Eritreer Okbazgi in der Schweiz ankom­ men, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit: Mit dem 18. Geburtstag verlie­ren sie den Anspruch auf besonderen Schutz. Plötzlich erwachsen, müssen sie sich ohne Eltern selbst zurechtfinden in einer Welt, die sie noch kaum ­kennen. Seite 6

Brennpunkt: Hungersnot in Ostafrika

Seit zwei Jahren warten die Menschen in Somaliland auf Regen. Mensch und Tier hungern. Auch in anderen Ländern Afri­ kas spitzt sich die Lage zu. Es droht die schlimmste humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg.

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Jahresbericht: Die Caritas-Hilfe 2016

Ein nicht enden wollender Krieg in S ­ yrien, eine Hungerkrise in Ostafrika, ein ge­ waltiger Hurrikan in Haiti: Das Katastro­ phenjahr 2016 prägte auch die Arbeit der ­Caritas Schweiz. Ein Rückblick.

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Schweiz: Betreuung im Quartier

Gegen Vereinsamung und für mehr Unab­ hängigkeit: In einem Quartier in Suhr (AG) begleitet und unterstützt Caritas seit An­ fang Jahr Menschen im vierten Lebens­ alter.

IMPRESSUM Das Magazin der Caritas Schweiz erscheint sechsmal im Jahr. Herausgeberin ist Caritas Schweiz, Kommunikation und Marketing, Adligenswilerstr. 15, Postfach, CH-6002 Luzern, E-Mail: info@caritas.ch, www.caritas.ch, Tel. +41 41 419 22 22 Redaktion: Sabine Schaller (ssc), Leitung; Jörg Arnold (ja); Fabrice Boulé (fbo); Stefan Gribi (sg); Anna Haselbach (ah); Vérène Morisod Simonazzi (vm); Odilo Noti (on) Das Abonnement kostet fünf Franken pro Jahr und wird einmalig von Ihrer Spende abgezogen. Grafik: Katrin Ginggen Titelbild: Ephraim Bieri/Ex-Press Druckerei: Kyburz, Dielsdorf Papier: 100 % Recycling Spendenkonto: PC 60-7000-4

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Echo

Prix Caritas 2017

Auf den Philippinen baute Caritas Häuser für 1200 Familien wieder auf.

Die wiederaufgebaute Palchok-Hauptschule im Distrikt Sindhupalchok in Nepal.

Im Einsatz für den Wiederaufbau 2013 zerstörte Taifun Haiyan auf den Phi­ lippinen eine Million Häuser. Auf den In­ seln Bantayan und Kinatarkan hat Caritas mit Unterstützung der Glückskette und dem Caritas Netzwerk 1200 Familien ge­ holfen, ihr Zuhause wieder aufzubauen. Dabei bezog sie die Begünstigten in das Projekt mit ein und bildete lokale Hand­ werker zu Maurern und Schreinern mit fundiertem Wissen über erdbeben- und taifunsicheres Bauen aus. So stellt Cari­ tas sicher, dass sich die Bevölkerung bei einer erneuten Katastrophe besser sel­ ber helfen kann. Im Mai wurden die letz­ ten Häuser fertiggestellt. Den Wiederauf­ Video und mehr Infos: caritas.ch/philippinen

bau von Schulen schloss Caritas bereits im Herbst 2016 ab. In Nepal ist der Wiederaufbau in vollem Gang. Nach dem schweren Erdbeben am 25. April 2015, der Nothilfephase und der Errichtung von temporären Klassenzim­ mern startete Caritas im März 2016 den Wiederaufbau von erdbebensicheren und kinderfreundlichen Schulen im ländlichen Distrikt Sindhupalchok. Bereits konnten fünf Schulen für 800 Kinder fertiggestellt werden. Insgesamt baut Caritas bis Ende 2018 mit Unterstützung der Glückskette 34 Schulen wieder auf. (ssc)

Webreportage aus Nepal: caritas.ch/2jn

25 Jahre Caritas-Markt Der erste Caritas-Markt geht 1992 in Basel auf und heisst damals noch Carisatt. Die Idee: Armutsbetroffene sollen die Möglich­ keit erhalten, sich gesund zu ernähren, in­ dem sie Lebensmittel günstiger einkaufen können. Das Projekt hat Erfolg und wird ausgebaut. 2017 existieren in der Schweiz bereits 21 Caritas-Märkte. (ssc)

In den letzten zehn Jahren hat sich der Umsatz in den Caritas-Märkten mehr als verdreifacht.

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Video und mehr Infos: caritas.ch/caritas-markt

Am 28. Juni wird im KKL zum 14. Mal der Prix Caritas verliehen. Mit dem Preis ehrt Caritas Persönlichkeiten, die sich beson­ ders verdient gemacht haben um Men­ schen, die am Rande der Gesellschaft leben: sie setzen sich ein für Armuts­ betroffene, für Menschen, die ganz auf sich alleine gestellt sind, wenn sie über das Meer nach Europa flüchten, und für die Bildung junger Menschen in Ländern, wo das Recht auf Schule nach wie vor er­ kämpft werden muss. Der Preis ist mit 10 000 Franken do­ tiert. Caritas unterstützt damit das inno­ vative und nachhaltige Engagement der ausgezeichneten Personen. (ssc) Infos zum Preisträger ab 28. Juni: caritas.ch/prixcaritas

Nachhaltiger Spass im Lager Sommerzeit ist Lagerzeit. Jedes Jahr ver­ bringen etwa 65 000 Kinder und Jugend­ liche ihre Ferien in einem Sommerlager von Jungwacht, Blauring oder der Pfadi. Die Leitenden darin zu unterstützen, auf die Umwelt Rücksicht zu nehmen und ein Lager nachhaltig zu gestalten – das ist das Ziel von «Faires Lager». Auf der Website finden sich Infos und Tipps zur Planung und Durchführung nachhaltiger Lager sowie ein Leitfaden zum Herun­ terladen. Nachhaltigkeit lohnt sich: Auch in diesem Jahr findet wieder ein Projekt­ wettbewerb statt, diesmal zum Thema Upcycling! Aus Alt mach Neu. Auf die Ge­ winnerinnen und Gewinner warten attrak­ tive Preise und jede Menge Spass. Die Anmeldung zum Wettbewerb ist ab dem 2. Mai möglich. Helen Joss Mehr Infos: www.faires-lager.ch

Bilder: Maria Ruppen, Caritas Schweiz


Brennpunkt

Die Kinder leiden besonders unter der Trockenperiode. Viele sind unterernährt. Andere müssen die Schule verlassen, um ihre Eltern bei der Versorgung des Viehs zu unterstützen.

Somaliland: Die Menschen könnten alles verlieren Somaliland erlebt die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten. Achtzig Prozent des Vieh­ bestandes sind bereits verendet und über die Hälfte der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Caritas leistet dringend notwendige Überlebenshilfe. Seit zwei Jahren wartet Somaliland auf Regen. Der hat zwar im April wieder ein­ gesetzt. Aber er müsste bis Juni anhal­ ten, damit eine Besserung eintritt – und das ist alles andere als sicher. In ausge­ trockneten Landstrichen ist das Vieh be­ reits verhungert. Durchhalten bis 2018 Jetzt geht es darum, den Menschen, die fast alles verloren haben, das Überle­ ben bis zur nächsten Regenzeit im Jahr 2018 zu sichern. Sie müssen mit Wasser, Lebens­mitteln und Medizin versorgt oder mit dem für die eigene Versorgung not­ wendigen Geld ausgestattet werden. Zu­ dem müssen die Kinder die Möglichkeit erhalten, eine Schule zu besuchen. Bla­ chen, Decken, Hygieneartikel und Koch­ utensilien sind ebenso unverzichtbar. Ca­ ritas unterstützt die Nothilfe in den am schwersten betroffenen Regionen von Somaliland.

Bild: Caritas Schweiz

Auf der Suche nach Wasser Aus Tankwagen verteilen staatliche und humanitäre Dienste lebensnotwendiges Wasser an die halbnomadisch lebende Bevölkerung. Die Kamele, die früher das Wasser von den letzten der Dürre trot­ zenden Versorgungsstellen beförderten, sind verschwunden. Auch die Ziegen und Schafe, die keine grossen Strecken zu­ rücklegen können, sind verendet. «Es ist wichtig, dass jetzt nicht alle in die Ort­ schaften strömen, in denen es Bohr­ löcher gibt. Die lokalen Wasservorkom­ men und Weideflächen werden durch Menschen und Tiere zu stark belastet; sie brauchen immer länger, um sich zu re­ generieren», erklärt Jakob Strässler, der als Sachverständiger für Caritas im April vor Ort war. (fbo)

Ganz Ostafrika ist betroffen Ostafrika hat mit den Folgen einer katastrophalen Dürre zu kämpfen. ­ Mehr als 16 Millionen Menschen leiden ­unter einer dramatischen Nahrungs­ mittel- und Trinkwasserknappheit. Mit Unterstützung der Glückskette setzt ­Caritas ihre Nothilfe in der Region fort. Sie konzentriert ihre Hilfe auf den Süd­ sudan, auf Somaliland, Äthiopien und Kenia. Als Folge des Klimaphänomens «El Niño» ist der Regen ausgeblieben. Die Mehrheit der ländlichen Bevöl­ kerung verlor ihre Lebensgrundlage. Ihr Vieh ist verhungert, die Kornspei­ cher sind leer. Der Getreidepreis ist stark gestiegen, das Saatgut ist auf­ gebraucht.

Onlinespende: caritas.ch/ostafrika

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Reportage

Hoffen auf ein gutes Leben Text: Sabine Schaller Bilder: Ephraim Bieri/ Ex-Press

An der Berufsschule in Freiburg besucht Okbazgi einen Integrationskurs. Der Junge aus Eritrea will endlich ankommen im Leben – einen Beruf erlernen, arbeiten und unabhängig sein.

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Reportage Okbazgi hat viele Träume. Um sie zu realisieren, ist er als Kind alleine aus Eritrea in die Schweiz geflüchtet. Bald feiert er seinen 18. Geburtstag. Von diesem Tag an gilt er als erwachsen. Dann wird er das Recht auf besonderen Schutz verlieren. Wo er sich in zehn Jahren sehe? «Ich wohne in Freiburg, habe eine Arbeit, ein Auto und vielleicht bin ich verheiratet», sagt Okbazgi. Es sind die Träume eines Jugendlichen von einem erfüllten Leben, von Freiheit und Unabhängigkeit und von einer Zukunft mit Perspektiven. Zu Hause in Eritrea gab es keine Per­ spektiven – nur Träume. Eine Ausbil­ dung kommt für die Kinder häufig nicht in

Die Zeit drängt Als Okbazgi im August 2015 in der Schweiz ankommt, geht alles recht schnell: im November ist sein Verfahren abgeschlossen. Er wird vorläufig aufge­ nommen und kann bleiben. Trotzdem: die Zeit rennt voraus. Um seinen Traum zu realisieren, braucht er eine gute Aus­ bildung, und dazu muss er Französisch lernen. Doch Okbazgi ist 16 und damit nicht mehr im schulpflichtigen Alter. «Das ist eine kritische Phase, weil es für diese Kinder an geeigneten Brückenangebo­ ten fehlt», sagt die Caritas-Sozialarbei­ terin Viola Frauenknecht, die in Freiburg Erwachsene und Kinder mit Bleiberecht begleitet.

seres Leben irgendwo in Europa treibt ihn schliesslich fort. Zu Fuss geht er über die Grenze nach Äthiopien und reist weiter in den Sudan. Er durchquert die Sahara, er­ reicht Libyen und wagt auf einem Kutter die Fahrt über das Mittelmeer. In Italien trifft er seinen Bruder. Gemeinsam neh­ men sie den Zug in die Schweiz. Neustart in der Schweiz Der junge Eritreer gehört zu einer steigen­ den Zahl von Kindern, die alleine flüch­ ten. Im Fachjargon heissen sie UMA – Un­ begleitete Minderjährige Asylsuchende. Die Erlebnisse auf der Flucht, Krieg, Ver­ treibung und Armut zu Hause – all das schlägt Kerben in die Seelen der Kinder und Jugendlichen. Was Okbazgi erlebt hat, will oder kann er nicht sagen. «Es ist schwierig für mich, darüber zu sprechen», erklärt er und lächelt etwas verlegen. Wer es nach Europa geschafft hat, will die Ver­ gangenheit hinter sich lassen und nach vorne schauen.

«Es ist schwierig für mich, über meine Flucht zu sprechen.» Frage, weil sie arbeiten müssen, um die Eltern zu unterstützen, oder weil sie auf unbestimmte Zeit in den Militärdienst ein­ gezogen werden. Okbazgi ist z­ wischen Pflicht und Gefühl hin- und hergerissen. «Diese Situation war sehr schwer zu er­ tragen», sagt er. Die Hoffnung auf ein bes­

Die Sprache ist der Schlüssel Nach zwei Sprachkursen besucht der junge Eritreer die Integrationsklasse der Berufsschule in Freiburg. Im Juli schliesst er den einjährigen Kurs ab. Wie es dann weitergeht, ist offen. «Er hat noch nicht das Sprachniveau erreicht, das nötig ist, um eine Lehre zu beginnen», erklärt ­Viola Frauenknecht. Deshalb sucht er nun ein Praktikum. «Vielleicht in der Landwirt­

Eritrea 850

1

Afghanistan 352

2

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6

2

10

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5

1 7

11 12

Total Asylgesuche in der Schweiz 2016: 27 207

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Äthiopien 157 Guinea 101

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Syrien 45

7

Gambia 35

8

Sri Lanka 22

9

Irak 19

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Marokko 17

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Nigeria 16

5 14

Somalia 247

3

13

8

Anteil unbegleitete Minderjährige: 1997 (7,3 %)

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Elfenbeinküste 14

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davon 83,7 % Knaben und 16,3 % Mädchen

Albanien 13

14

Sierra Leone 10

Der prozentuale Anteil unbegleiteter Kinder und Jugendlicher an den Asylgesuchen hat in der Schweiz zugenommen (2014: 3,34 %; 2015: 6,92 %; 2016: 7,3 %). Die meisten Kinderflüchtlinge kommen aus Eritrea, Afghanistan und Somalia und sind zwischen 16 und 17 Jahre alt.

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Reportage schaft», erklärt Okbazgi. Die Arbeit auf dem Feld kennt er von zu Hause. «Aber es gibt so viele Möglichkeiten hier. Ich muss mich erst informieren und überle­ gen, was ich will.» Plötzlich erwachsen? Der Junge mit den dunklen Zapfenlocken wird bald 18 Jahre alt. Er freut sich und träumt davon, endlich den Führerschein zu machen. Die Volljährigkeit bringt viele neue Freiheiten, aber Jugendliche wie er verlieren an diesem Tag auch viel: Die Bei­ ständin, zum Beispiel, die ihn seit seiner Ankunft in der Schweiz begleitet hat, wird

nicht mehr für ihn da sein. Und aus der Wohngemeinschaft, in der er zusammen mit seinem Bruder lebt, muss er auszie­ hen und sich etwas Eigenes suchen. So will es das Gesetz. Jung, stark und selbstbewusst. So werden Kinderflüchtlinge wahrgenom­ men in der Öffentlichkeit. Doch das Bild täuscht. Hinter der starken Fassade ver­ birgt sich ein verletzliches Kind, das oft traumatisiert und verloren ist ohne Eltern in einer Welt, die ihm noch fremd ist. Umso wichtiger ist es, dass Kinder­ flüchtlinge – auch wenn sie volljährig ge­ worden sind – besonderen Schutz erhal­

ten und Angebote geschaffen werden, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Nur so kann die Integration gelingen. «Wenn es nicht vorwärts geht, verfliegt die an­ fängliche Motivation sehr schnell», weiss Viola Frauenknecht. Den nächsten Schritt zu kennen ist wichtig. Das Warten und die ewige Unsicherheit zerreiben die Hoffnung. Okbazgis nächster Schritt ist ein Praktikum. Er glaubt fest an seinen Traum.

Video und mehr Infos: caritas.ch/kinderfluechtlinge

Bessere Chancen dank Berufsbildung

Die Hilfe der Caritas …

Im Oktober eröffnet in Matran das Haus der Bildung und ­Integration, das Caritas im Auftrag des Kantons Freiburg füh­ ren wird. Das Haus ist offen für junge unbegleitete Kinder und Jugendliche, die als Flüchtlinge anerkannt sind oder vorläufig aufgenommen wurden. Sie können sich intensiv auf die sozi­ ale und berufliche Integration vorbereiten. Zum Angebot ge­ hören unter anderem berufliche Grundkurse, die Vermittlung und Begleitung externer Praktikumsplätze, eine Begleitung des Integrationskurses der Berufsschule sowie die sozial­ pädagogische Betreuung im Alltag. So werden die Kinder­ flüchtlinge nicht nur den Anforderungen der Uno-Kinder­ schutzkonvention gemäss betreut, sondern erhalten auch die Chance, in dieser Zeit eine Erstausbildung zu absolvie­ ren und selbständig zu werden.

… für Kinderflüchtlinge in der Schweiz: Caritas vermittelt Familienplatzierungen und Patenschaften. Sie engagiert sich in der Rechtsberatung und -vertretung sowie in der Freizeitgestaltung. Weiter fördert sie die soziale und berufliche Integration von Kinderflüchtlingen und setzt sich für eine kindergerechte Unterbringung ein. … für Kinderflüchtlinge unterwegs: Im Libanon und im Nordirak unterstützt Caritas Schul­ projekte für syrische Flüchtlingskinder und sie bildet Lehr­ personal für den Unterricht der zum Teil traumatisierten und ­benachteiligten Kinder aus. In Griechenland finden Kinder in den Caritas-Unterkünften eine sichere Übernachtungs­ möglichkeit.

Kinderflüchtlinge sind vor allem eines: Kinder. Unterstützen Sie die Betreuung und Ausbildung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden in der Schweiz.

Helfen Sie mit einer Spende! Spendenkonto: 60-7000-4 Vermerk «Kinderflüchtlinge»

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Bild: Christine Bärlocher/Ex-Press


Reportage

«Unsere Kinder schmeissen wir mit 18 auch nicht aus dem Haus» Martin Flügel, was unterscheidet Kinderflüchtlinge von Erwachsenen oder Familien im Asylbereich? Sie leben hier ohne Eltern, ohne ihr ge­ wohntes familiäres Umfeld. Bereits auf der Flucht mussten sie alles selbst be­ wältigen und dabei permanent einschät­ zen, wer ihnen gut oder böse gesinnt ist. Manche haben ihre Eltern oder an­ dere Familienangehörige unterwegs verloren. Das sind schwere zusätzliche psychische Belastungen. Auf der ande­ ren Seite steht ihr jugendliches Alter, sie träumen vom Leben, sind motiviert und bringen ein grosses Potenzial mit sich. Wie beurteilen Sie den Umgang der Schweiz mit Kinderflüchtlingen? Ich denke nicht, dass wir ihnen ge­ recht werden. Vor zwei Jahren stieg die Zahl unbegleiteter minderjähriger Asyl­ suchender dramatisch an. In der Folge gab es teilweise schlimme Verhältnisse, was Betreuung und Unterkünfte anging. Viele 15-Jährige waren ohne spezifische Unterstützung mit fremden Erwachse­ nen untergebracht. Das hat sich inzwi­ schen stark verbessert. Es gibt aber noch immer Defizite. Wo sehen Sie die grössten Probleme? Den jüngeren Kindern fehlt es an einem stabilen Netz. Sie bekommen nicht die nötige Geborgenheit und Erziehung. Die älteren Jugendlichen sind psychisch oft stabiler, leiden aber unter einem gravie­ renden Bildungsmanko. Sie dürfen nach dem 16. Geburtstag nicht mehr die öf­ fentliche Schule besuchen. Wegen feh­ lender sprachlicher und schulischer Kenntnisse sind sie auch nicht in der Lage, einen Beruf zu erlernen, und fallen durch die Maschen. Die allermeisten Kinderflüchtlinge werden vorläufig aufgenommen. Da sie aus Ländern mit lange an­

Bild: Franca Pedrazzetti

schüler. Sie brauchen ein Daheim. Un­ sere Kinder haben ein Bett, ein Zimmer vielfach für sich allein, eigene Kleider, eine eigene Welt, über die sie teilweise verfügen können.

Martin Flügel ist Leiter Politik bei Caritas Schweiz.

dauernden Konflikten stammen, werden sie kaum je zurückkehren können. Gleichzeitig ist die vor­ läufige Aufnahme ein unsicherer Status. Was bedeutet das für die Zukunft dieser jungen Menschen? Dieses Vorgehen ist aus Sicht der Cari­ tas mindestens unklug. Wenn wir möch­ ten, dass die Kinder und Jugendlichen ihre ganze Energie, ihre Power hier in­ vestieren, müssen wir ihnen eine Pers­ pektive geben, statt ihnen Steine in den Weg zu legen. Am besten würde man sie aus dem Asylprozess herausnehmen und ihnen eine Aufenthaltsbewilligung geben. Es sind ja nicht Zehntausende. Kinderflüchtlinge sind in erster Linie Kinder, schreibt die Caritas. Was heisst das? Sie brauchen das Gleiche, was un­ sere Kinder auch brauchen: Liebe, Zu­ neigung, Erziehung mit klaren Grenz­ setzungen, ein stabiles Umfeld, die Grundsicherheit, dass es am Schluss gut wird. Sie benötigen Bildung so ver­ mittelt, dass sie sie aufnehmen können. Dabei sind die Voraussetzungen sehr unterschiedlich: Manche Kinderflücht­ linge sind Analphabeten, andere Mittel­

Was fordert die Caritas bezüglich Schulbildung konkret? Es soll das Gleiche gelten wie für die hie­ sigen Kinder. Für sie stellen wir den An­ spruch, dass sie durch die allgemeine Schulbildung ein bestimmtes Niveau der Allgemeinbildung erreichen. Wir sind der klaren Ansicht, dass dieses Ziel auch für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge zu gelten hat. Dafür muss wie bei den Schweizer Kindern investiert werden. Denn wenn diese jungen Leute den An­ schluss nicht finden und ihr Leben lang von der Sozialhilfe leben müssen, dann wird es sehr, sehr teuer. Caritas fordert auch, dass die Schweiz über das 18. Altersjahr hinaus Verantwortung übernimmt. Wieso? Wenn bei uns jemand 18 Jahre alt wird, bleibt die Familienstruktur bestehen. Es ist ja nicht so, dass wir unsere Kin­ der rausschmeissen und nicht mehr mit ihnen sprechen, wenn sie volljährig werden. Das ist aber bei genauer Be­ trachtung bei unbegleiteten Kinder­ flüchtlingen der Fall: sie verlieren ihre Be­ zugspersonen, die Rechtsberatung fällt weg, sie müssen Unterkunft und Wohn­ ort verlassen und das soziale Umfeld fällt weg. Das behindert sie massiv in ihrer Entwicklung und konfrontiert sie mit ei­ ner völlig neuen Situation. Sie ziehen ja nicht um, weil sie das so wollen, sondern weil sie 18 werden. Dies ist ein radikaler Einschnitt in ihr Leben, der völlig künst­ lich und unnötig ist. (sg)

Das ausführliche Interview: caritas.ch/kinderfluechtlinge

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Jahresbericht 2016

Durch den Bau von Bewässerungsanlagen in der Region Tigray in Äthiopien konnten die Ernteerträge der einheimischen Bauern nachhaltig gesteigert werden. 2016 flossen insgesamt 90,7 Prozent der Spenden und Beiträge direkt in Projekte und Programme.

Antworten 2016: Jahresbericht der Caritas Schweiz Der Krieg in Syrien, der Wirbelsturm «Matthew» und der Hunger in Ostafrika bestimmten 2016 die Auslandarbeit von Caritas Schweiz. Im Inland baute die Caritas ihre Hilfeleistungen für Armutsbetroffene aus. Ausserdem kritisierte sie den Sozialabbau in den Kantonen und richtete einen öffentlichen Appell an den Sozialminister, Bundesrat Berset, worin sie für eine Sozialpolitik eintritt, die alles daransetzt, Armut zu vermeiden. Seit nunmehr sechs Jahren dauert der syri­ sche Bürgerkrieg an. Die Hoffnung auf Frieden wurde auch 2016 durch neue Bombardierungen zerstört. Caritas hat den syrischen Kriegsopfern wiederum mit humanitären Programmen in Jordanien, Libanon, Syrien und Griechenland ge­ holfen. Die Internationale Zusammenarbeit war mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert: So zog das Wetterphäno­ men El Niño verheerende Schäden nach sich. In Ostafrika, wo Dürreperioden, ge­ folgt von sintflutartigen Regenfällen, zu einer Hungerkrise führten, leistete die ­ ­Caritas Not- und Überlebenshilfe. In Haiti startete sie ein Hilfsprogramm, unmittel­ bar nachdem der Wirbelsturm «Matthew» auf die Insel getroffen war. Gleichzeitig investierte Caritas auch in die langfristige Entwicklungsarbeit und

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setzte dabei Schwerpunkte in der Was­ serversorgung und in der Ernährungs­ sicherung. Insgesamt wurden 57,8 Millio­ nen Franken für Projekte und Programme der internationalen Zusammenarbeit auf­ gewendet. Wo Armut ihr Gesicht zeigt Die Caritas hat sich in einer Grundsatz­ erklärung von 2010 dazu verpflichtet, ­alles zu unternehmen, damit die Zahl der Armen in der Schweiz bis zum Jahr 2020 halbiert wird. Ihr Engagement ist konkret: So unterstützt sie Menschen in Not mit verschiedenen Angeboten. Insgesamt förderte sie im Inland soziale Projekte im Umfang von 44,9 Millionen Franken. Die Caritas engagiert sich aber auch im Inte­ resse der sozial Benachteiligten. So kriti­ sierte sie nicht nur die Sparprogramme in den Kantonen, sondern forderte in einem

öffentlichen Appell Bundesrat Berset auf, die Ursachen der Armut in der Schweiz zu bekämpfen durch nachholende Bildungs­ massnahmen oder Ergänzungsleistungen für armutsbetroffene Familien. Erfreuliches Spendenergebnis Die Arbeit der Caritas ist nur dank der Unterstützung starker Partner möglich: sie verbuchte 2016 direkte Spenden in der Höhe von 34,1 Millionen Franken. Die privaten Beiträge Dritter – seitens der Glückskette und anderer Caritas-­ Organisationen – betrugen 24,6 Millionen Franken. Hinzu kamen eigene betriebli­ che Erträge in der Höhe von 10,6 Milli­ onen Franken und Beiträge der öffentli­ chen Hand im Umfang von 45,2 Millionen Franken für die Entwicklungszusammen­ arbeit (DEZA) sowie für Leistungsaufträge im Asyl- und Flüchtlingswesen. Der allge­ meine Verwaltungs- und Werbeaufwand der Caritas betrug im vergangenen Jahr 9,3 Prozent. (on)

Bild: Fabian Biasio


Jahresbericht 2016 Schweiz

Unser Engagement für die soziale Sicherheit Eine Studie, welche die Caritas mit dem Schweizerischen Roten Kreuz und der Heilsarmee in Auftrag gegeben hat, zeigt auf, dass die öffentliche Sozialhilfe sich zunehmend auf die Auszahlung finanziel­ ler Unterstützungsleistungen konzentrie­ ren muss. Für eine längerfristige Beglei­ tung und Betreuung fehlt immer häufiger die Zeit. Gleichzeitig haben die Hilfswerke ihre Dienstleistungen ausgeweitet, die So­ zialberatung gestärkt und sich vermehrt mit Fragen des Sozialhilferechts beschäf­ tigt. Der durch die Sparmassnahmen der öffentlichen Hand ausgelöste Druck wird auch auf den Sozial- und Schuldenbe­ ratungsstellen der Caritas in der ganzen Schweiz festgestellt. Immer häufiger gilt es, Ratsuchende auf ihre Rechte und An­

sprüche hinzuweisen. Auch die Sozial­ angebote des Caritas-Netzes wurden in­ tensiv genutzt: Mehr Menschen kauften in den Caritas-Märkten zu vergünstigten Preisen ein (961 000), die kostenlose Tele­ fon- und Online-Hotline «SOS Schulden» wurde häufiger kontaktiert (3568). Zudem waren mehr Personen im Besitz einer Kultur­Legi (85 062). Die Hilfswerk-Studie macht deutlich: Die öffentliche Sozialhilfe muss gestärkt werden, und es ist die Auf­ gabe der Hilfswerke, sich dafür einzuset­ zen und auf Fehlentwicklungen hinzuwei­ sen. Caritas bezog deshalb auch 2016 unmissverständlich Stellung mit einem viel beachteten Appell gegen den Sozial­ abbau. (sg)

Weichen stellen für die Vermeidung von Armut: der Appell an Bundesrat Berset wurde innert zweier Wochen von 3271 Personen mit ihrer Unterschrift unterstützt.

Welt

Unser Engagement für die syrischen Kriegsopfer

Die zwölfjährige Nour lebt mit ihrer Familie in Homs. Sie gehört zu den 60 000 syrischen Kriegsopfern, die 2016 von der Hilfe der Caritas profitieren konnten.

34 Millionen Franken beträgt der finan­ zielle Gesamtumfang der Projekte, die Caritas Schweiz seit Beginn für die Opfer des Syrienkonfliktes einsetzte. Allein im Jahr 2016 lagen die eingesetzten Projekt­ mittel bei über 6,5 Millionen Franken. Da­ von profitierten 60 000 Menschen. Ein Schwerpunkt der Caritas-Nothilfe in Syrien ist die Suppenküche in Aleppo, die intern Vertriebene und mittellose Men­

Bilder: Alexandra Wey

schen versorgt. Nachdem sich die huma­ nitäre Lage in der syrischen Grossstadt immer weiter zugespitzt hatte, steigerten die Partner der Caritas die Zahl der ausge­ gebenen Mahlzeiten im Herbst 2016 von 6300 auf 7600 pro Tag. In Damaskus ver­ teilte Caritas ausserdem monatlich 6000 Lebensmittelpakete für verarmte Familien. Auch in Jordanien setzte ­Caritas Schweiz zusammen mit ihrer lokalen Schwester­

organisation die Not- und Überlebens­ hilfe fort. 1000 besonders bedürftige sy­ rische Flüchtlinge und Angehörige der einheimischen Bevölkerung erhielten im Jahr 2016 finanzielle Unterstützung mit Kleinbeträgen zur Deckung des notwen­ digsten Tagesbedarfes. Im Herbst 2016 schliesslich hat die Caritas ein umfang­ reiches Projekt zur Schaffung von Ein­ kommen gestartet: 3000 Personen er­ halten während drei bis sechs Monaten eine Verdienstmöglichkeit in der Abfall­ wirtschaft. Im Libanon engagiert sich Caritas Schweiz im Schulbereich. Die Schulab­ bruchquote bei syrischen Flüchtlingskin­ dern liegt bei 70 Prozent. Caritas bildete Lehrpersonen und Schulleitungen an 26 Schulen darin aus, wie sie auf die beson­ deren Bedürfnisse traumatisierter Kinder eingehen können. 3600 Kinder werden im Rahmen von Nachhilfeunterricht ge­ zielt gefördert. (sg)

Jahresbericht zum Download: caritas.ch/jahresbericht

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Menschen Alltagsfragen

Badran Mahmoud Borum, Jordanien «Ich bin stolz auf meine Eltern und dass sie mir Werte wie Ehrlichkeit vermittelt haben.»

Eröffnung einer von Caritas Schweiz wieder aufgebauten Schule in Nepal: Tony Burgener, Direktor der Glückskette, übergibt die Schlüssel an die Gemeinde.

Helfen liegt ihm im Blut Seit fünf Jahren ist Tony Burgener Direktor der Glückskette. Der Walliser liebt die Herausforderung und setzt auf Innovation in der humanitären Hilfe. Das Helfersyndrom habe er von sei­ ner Mutter geerbt, sagt Tony Burgener. Seit 2012 ist der Walliser Direktor der Glückskette. Die humanitäre Stiftung der SRG mit Sitz in Genf führt nach grossen Katastrophen Sammelaktionen durch und unterstützt mit den Spenden Pro­ jekte von Schweizer Partnerhilfswerken wie der Caritas. Tsunamis, Erdbeben, Wirbelstürme und Kriege – die Organisation ist in Gebie­ ten aktiv, wo menschliches Leid Alltag ist. Bedrückend findet Burgener seine Arbeit trotzdem nicht. «Wenn wir helfen können, sind die Erlebnisse positiv. Schwierig ist es, wenn man nur zuschauen kann, ohne selber aktiv zu werden.» Im Februar machte er sich zusam­ men mit Caritas-Direktor Hugo Fasel und Caritas-Präsidentin Mariangela Walli­ mann-Bornatico vor Ort ein Bild von die­ ser Hilfe und nahm an der Eröffnungs­ feier einer Schule in Nepal teil, die Caritas nach dem Erdbeben 2015 mit Unterstüt­ zung der Glückskette wieder aufgebaut hat. «Die Schule ist ein Musterbeispiel

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für die Hilfe, die wir zusammen mit Part­ nerhilfswerken leisten können», sagt er. Die ­Euphorie ist gross – die Schule bringt Hoffnung für ein Land, das immer noch in Trümmern liegt. «In diesen Momenten tritt das menschliche Leid etwas in den Hin­ tergrund. Aber man vergisst es nicht», sagt Burgener. Der 54-Jährige hat als Lehrer, ­IKRKDelegierter, an der Expo 02, als Journa­ list und beim Olympischen Komitee gear­ beitet. Er mag die Abwechslung und die

«In diesen Momenten tritt das menschliche Leid etwas in den Hintergrund.» Herausforderungen. Und davon warten genug auf ihn: «Die sozialen Medien wer­ den auf dem Spendenmarkt relevanter, und die humanitäre Hilfe wird in Zukunft langfristig ausgerichtet sein, mit einem wichtigen Akzent auf Innovation.» (ssc)

Wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus? Ich stehe um 7 Uhr auf und um 8 Uhr be-­ ginnt die Arbeit. Dank Caritas kann ich im Abfallsektor arbeiten und so mein Einkommen aufbessern. 12 Dinar (17 Fran­ ken) verdiene ich am Tag, indem ich in der Stadt Jerash Abfall von den Strassen räume. Anschliessend beginnt meine Nachtschicht in einem lokalen Restau­ rant, die bis 22 Uhr dauert. Dort verdiene ich 5 Dinar (7 Franken). Meine freie Zeit verbringe ich mit meiner Frau und mit meinen Kindern, die mich meine täglichen Sorgen vergessen lassen. Was macht Sie stolz? Ich bin stolz auf meine Eltern und dass sie mir Werte wie Ehrlichkeit vermittelt ­haben. Sie haben mich auch gelehrt, wie wichtig Hilfsbereitschaft und Ausdauer sind. Was bedeutet für Sie Glück? Glück bedeutet für mich ein menschen­ würdiges Leben und ein regelmässiges Einkommen, mit dem ich meine Familie versorgen kann. So betrachtet hatte ich in meinem Leben bisher noch nie Glück. Was wünschen Sie sich? Dass ich in meine Heimat Syrien zurück­ kehren und dort ein Leben in Würde und Respekt führen kann. In Jordanien ist das nicht möglich. Hier haben wir als Flücht­ linge keine Rechte. Romea Brügger

Bilder: Hans Hofmann, Caritas Schweiz


Schweiz

Eine helfende Hand: Betreuung im Quartier Nahe bei den Leuten und ihren Bedürfnissen: In Suhr im Kanton Aargau bietet Caritas betagten Menschen Unterstützung an, indem sie sie zum Beispiel zum Arzt begleitet. Im Quartier Feld in Suhr (AG). Seit Januar steht hier das rote Caritas-Care-Mobil. Auf einer weissen Planungstafel im Wa­ geninnern sind die Einsätze der aktuellen Woche eingetragen: einkaufen, Ausflug ins Museum, Hilfe im Haushalt, Beglei­ tung zum Arzt. Im neuen Projekt «Eine helfende Hand» bietet Caritas stunden­ weise Betreuung für Menschen im vierten Lebensalter an. Das Rezept heisst Nähe Alida Spitale, eine von vier Betreuerinnen, kommt gerade von einem Einsatz zurück, während Enrico in seinem Auto vorfährt. Der pensionierte Aarauer arbeitet als Frei­ williger im Projekt mit. «Ich habe Zeit und kann den Menschen, die zurückgezogen in ihrer Wohnung leben, etwas Abwechs­ lung bieten.» Neben ihm sitzt ein älte­ rer Herr. Die beiden machen heute einen Ausflug ins Schokoladenmuseum Frey.

Vereinsamung ist ein Thema, mit dem Projektleiter Andy Huwyler und Alida Spitale täglich konfrontiert werden. «Der Wirkungskreis betagter Menschen wird immer kleiner. Am Ende stehen sie zu Hause hinter dem Vorhang und schauen nur noch durch das Fenster in die Welt», sagt ­Huwyler. Mit dem neuen Angebot will ­Caritas älteren Menschen helfen, aus der sozialen Isolation auszubrechen, so­ wie würdevoll und möglichst lange im ei­ genen Zuhause zu leben. Vertrauen braucht Zeit Kurz telefonieren, um einen Termin beim Arzt oder Coiffeur zu vereinbaren – manchmal sind es die vermeintlich klei­ nen Dinge, die im täglichen Leben über­ fordern. «Viele Betagte haben Angst, dass sie die Person am Telefon nicht ver­ stehen, oder wissen nicht, wie sie den Transport organisieren sollen», sagt die

Projektleiter Andy Huwyler und Betreuerin Alida Spitale besprechen den Einsatzplan.

Betreuerin. Es braucht Mut und Zeit, um Hilfe zu bitten. Alida Spitale spürt, dass sie langsam das Vertrauen ihrer Klientin­ nen und Klienten gewinnt. «Sie stellen

«Der Austausch mit den Leuten ist für uns sehr wertvoll. So erfahren wir, wer auf Hilfe angewiesen ist.» Fragen, ­bitten mich, für sie zu telefonie­ ren oder zusammen die Vorsorgemappe auszu­füllen.» Betreuung hat ihren Wert Auf dem Wochenplan steht für Dienstag­ morgen «Treppenhausgespräche». Eine wichtige Aufgabe. Der Hauswart, der Briefträger oder die Nachbarin – niemand kennt das Quartier und seine Bewohne­ rinnen und Bewohner besser. «Der Aus­ tausch mit den Leuten ist für uns sehr wertvoll. So erfahren wir, wer auf Hilfe an­ gewiesen ist», sagt Huwyler. Eine helfende Hand können sich, dank einem mehrstufigen Preismodell, auch Menschen mit wenig Geld leisten. Ein weiteres Caritas-Care-Mobil ist bereits unterwegs. Ab August wird es in Zürich stationiert sein. (ssc)

Mehr Infos: caritas.ch/caritascare Seit Januar 2017 steht das Caritas-Care-Mobil im Quartier Feld in Suhr. Betagte Menschen, die Betreuung und Unterstützung im Haushalt benötigen, finden hier Hilfe.

Bilder: Alex Spichale /az Aargauer Zeitung

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Service

Klima schützen und Armut bekämpfen

Eine Folge des Klimawandels: Im ChapaiNawabganji-Distrikt in Nordwest-Bangladesch sinkt der Grundwasserspiegel.

Die Bekämpfung der Folgen des Klima­ wandels und die Armutsbekämpfung ge­ hören unbedingt zusammen. Die gröss­ ten Schäden, wirtschaftlich wie sozial, verursacht der Klimawandel in den ärms­ ten Regionen. Wird ihm nicht Einhalt ge­ boten, wird er die erzielten Erfolge in der

Armutsbekämpfung zunichtemachen – mit Folgen auch für die Industrieländer. Dieser Tatsache wird in der Öffentlich­ keit kaum Beachtung geschenkt. Des­ halb widmet Caritas Schweiz dem Zu­ sammenhang zwischen Klimapolitik und Armutsbekämpfung den Almanach Ent­ wicklungspolitik 2017 wie auch das Fo­ rum Entwicklungspolitik 2017, das am 25. September in Bern stattfindet. So­ wohl der Mitte September erscheinende Sammelband als auch die öffentliche Ta­ gung diskutieren die aktuellen Erkennt­ nisse zum Klimawandel mit seinen Fol­ gen für die Entwicklungs­länder. Denn um zu handeln, muss man zuerst verstehen. Iwona Swietlik Mehr Infos: caritas.ch/almanach-eza

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19. Mai 2017 –  21. Januar 2018: Migration: Ausstellung im Museum der Kulturen Basel. Weshalb migrieren Menschen und was wird dadurch bewegt? Eine Spurensuche. www.mkb.ch 17./18./20. Juni 2017: Flüchtlingstage: Am nationalen Tag der Flüchtlinge (17. Juni), am Flüchtlingssonntag der Kirchen (18. Juni) und am Weltflüchtlingstag (20. Juni) wird auf die Situation der über 60 Millionen Menschen auf­ merksam gemacht, die weltweit auf der Flucht sind. Die katholischen Pfarreien nehmen am Flüchtlings­ sonntag das ­Opfer zugunsten der Caritas ein. Die Kollekte hilft, dass die Caritas ihre Aufgaben in der Flüchtlingsarbeit erfüllen kann. 28. Juni 2017: Prix Caritas: Preisverleihung im KKL in Luzern. Caritas Schweiz zeichnet eine Persönlichkeit für ihr Engage­ ment im Bereich des Sozialen, in der Entwicklungszusammenarbeit oder in der interkulturellen Verstän­­ digung aus. www.caritas.ch/prixcaritas

Kleider – so gut wie neu Die Caritas-Kleiderzentrale in Waldibrücke bei Luzern sammelt jedes Jahr etwa 950 Tonnen Kleider und Schuhe für Bedürf­ tige in der Schweiz. Im Sortierwerk ent­ scheidet sich am Fliessband, ob die Stü­ cke den Qualitätsansprüchen genügen, um in ­einem der zwei Läden an einen Klei­ derbügel zu kommen: In der Kleiderhilfe können Inhaber einer KulturLegi günstig einkaufen, zudem werden Asylsuchende und im Auftrag der Winterhilfe Personen mit kleinem Budget eingekleidet. Der Secondhand-Laden steht allen offen. Wer Glück hat, findet hier Designerware zum Schnäppchenpreis. Ausgefallenes für spe­ zielle Anlässe gibt es in der Theater- und Fasnachtsabteilung. Kleiderspenden kön­ nen direkt in der Zentrale in Waldibrücke oder in der Region Luzern an einem der Sammelcontainer abgegeben werden. Für Kleiderspenden an Ihrem Wohnort richten Sie sich bitte an die nächste Re­ gionale Caritas-Organisation. (ssc)

Agenda

25. September 2017: Caritas-Forum Entwicklungspolitik: Tagung zum Thema klimaverträgliche Entwicklung im Event-Forum in Bern.

Ihre Kleiderspende hilft sozial benachteiligten Menschen in der Schweiz und schont gleich­ zeitig die Umwelt.

25. November 2017: youngCaritas-Award: Preisverleihung im Dynamo in Zürich. youngCaritas zeichnet die besten Projekte von jungen Menschen aus, die sich mit Kreativität und hohem persönlichem Einsatz für eine gerechtere Welt engagieren. www.youngcaritas.ch

Mehr Infos: caritas.ch/kleiderzentrale

Bilder: Alexandra Wey, Franca Pedrazzetti


Gemeinsam

Die Jugend in der Schweiz engagiert sich Im November haben Jil und Lara beim youngCaritas-Award 2016 mit ihrem Blog zum Thema Migration und Flucht den dritten Platz gewonnen. Die beiden Maturandinnen aus dem Kanton Aargau erzählen, wie es ihnen seither ergangen ist. «Der dritte Platz war für uns eine ­riesige Ehre und hat uns motiviert, die Arbeit mit jungen Flüchtlingen fortzusetzen. Nach dem Award hatten wir über einiges nach­ zudenken. Die Möglichkeit zu haben, Menschen zu helfen, ist ein Geschenk. Leider wird es immer Momente geben, in denen man an sich zweifelt und die Hoffnung aufgibt, etwas verändern zu können. Es ist schwierig, immer wieder Wahrheiten auszusprechen, von denen längst alle genug haben. Manchmal ver­ liert man sich im Kummer und Elend der Menschen, denen man so gerne helfen möchte. Es gibt aber immer Begegnun­ gen, die einen daran erinnern, weshalb man tut, was man tut, und die so neuen Mut schenken. Schliesslich sind es un­ sere Taten, die etwas verändern können, wenn wir für Gerechtigkeit, Solidarität und Menschlichkeit einstehen. Bereits ist es Juni und es dauert keinen Monat mehr, bis wir unsere Abschluss­ zeugnisse in der Hand halten und uns aufmachen auf eine neue Reise. Uns ste­ hen alle Türen dieser Welt offen, und wir

Aktiv werden Dein Engagement zählt. Werde jetzt aktiv in einem der vielen Projekte von youngCaritas und unterstütze ge­ flüchtete Menschen bei der Integra­ tion. Zum Beispiel im erstmals stattfin­ denden interkulturellen Sommerlager in Flumserberg oder im AktivismusWeek­end MigrAction! www.youngcaritas.ch/aktivwerden

Bild: youngCaritas

Deshalb bin ich dabei Wir haben Spenderinnen und Spender gefragt, weshalb sie Caritas unterstützen. Hier eine Auswahl an Antworten:

«Ich unterstütze Caritas, weil sie sich für die Bedürfnisse der Armen in der Schweiz einsetzt.» «Ich schätze es sehr, dass ich nach grossen Katastrophen sofort von Caritas informiert werde.» «Weil sich Caritas auch politisch einsetzt.» «An Caritas schätze ich, dass sie mit Partnerhilfswerken vor Ort zusammen­ arbeitet.» «Die Caritas ist nah am Menschen und ihre Projekte sind nachhaltig.»

In ihrem Blog schreiben Jil Kiener und Lara Wyss über geflüchtete Menschen. Mit ihrem Projekt haben sie am youngCaritas-Award den dritten Platz erreicht.

sind entschlossen, eine davon immer für Menschen offen zu halten, die unsere Hilfe brauchen.» Jil Kiener & Lara Wyss Mit dem youngCaritas-Award ehrt young Caritas das Engagement von jungen Menschen in der Schweiz. Hauptpreis ist eine zweiwöchige Reise in ein Projektland der Caritas Schweiz. Die A ­ nmeldung für den youngCaritas-Award 2017 ist jetzt möglich unter www.youngcaritas.ch/award.

Der Blog von Jil & Lara: youngCaritas.ch/stories

«Caritas setzt sich für Wasser­ver­sor­ gung und Bildung ein. Beides sind Themen, die mir sehr am Herzen liegen.» «Weil die Caritas mich gut über ihre Projekte informiert.» «Weil ich weiss, dass die Spenden gewissenhaft verwendet werden und den jeweiligen Projekten zukommen.» «Ich engagiere mich für Caritas, weil sie Hilfe zur Selbsthilfe leistet.» «Bei Caritas habe ich die Möglichkeit, eine Patenschaft einzugehen.» «Ich habe Vertrauen in die Projekte von Caritas.» «Meine Eltern haben früher auch schon gespendet. Der Caritas zu helfen hat sich als Tradition in unserer Familie etabliert.»

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Sayed Jamshidi (13) flüchtete ohne Eltern in die Schweiz

Das Richtige tun

Wenn Armut ihr Gesicht zeigt Erfahren Sie mehr über Sayed und seine Familie: www.dasrichtigetun.caritas.ch


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