Mediendienst 1 23. Januar 2014
Zur Kampagne des Schweizer Fleischwirtschaft
Alles nur Beilage? Geert van Dok
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Zur Kampagne des Schweizer Fleischwirtschaft
Alles nur Beilage? Seit Monaten erklärt einem die Schweizer Fleischindustrie, das einzig Wahre seien Fleischprodukte, denn „alles andere ist Beilage“. In der Werbung sieht man hauchdünnen Rohschinken, knusprige Pouletschenkel und saftige Steaks, die „Beilagen“ hingegen bekommt man nicht zu Gesicht. In einer Zeit, da die Ernährung unbestritten ausgewogen sein sollte, ist dies äussert fragwürdig. Und in einer Zeit, da 840 Millionen Menschen chronisch hungern und gleichzeitig ein erheblicher Teil des weltweit angebauten Getreides für Futtermittel verwendet wird, ist eine solche Fleisch-Hymne auf Kosten der „Beilagen“ schlicht unanständig. Einst war es üblich, dass Familien, die es sich leisten konnten, sonntags auswärts essen gingen. Dann wurde das Menü nach der Fleischsorte ausgewählt und nicht selten daraufhin das Fleisch gegessen, während ein Grossteil der restlichen Speisen – die Beilagen eben – unberührt wieder zurückgingen, direkt zur Abfallverwertung. So zumindest berichtete mir das eine Bekannte, die im Service eines mittelständischen Ausflugsrestaurants arbeitete. Das war in den 1980er Jahren und Fleisch galt als Zeichen des kleinbürgerlichen Wohlstands. Solches sei längst vorbei, sollte man meinen, aber weit gefehlt: Als sei die Zeit still gestanden, kam Proviande, die Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft, nichts Besseres in den Sinn, als in der Dauerkampagne zur Promotion ihrer Produkte den Slogan „Schweizer Fleisch. Alles andere ist Beilage“ zu lancieren. Während das vor dreissig Jahren, als das Wissen um die Vernichtung von Nahrungsmittelabfällen und um den Hunger im armen Teil der Welt noch den Fachleuten vorbehalten war, noch nachvollziehbar gewesen sein mag, ist eine solche Botschaft heute ein Affront.
Futtermittel aus Brasilien Nichts gegen Fleischkonsum, doch alle anderen Speisen auf dem Teller als Beilage abzuqualifizieren, ist zunächst einmal ein Affront gegenüber all jenen Bäuerinnen und Bauern, welche nicht-tierische Nahrungsmittel anbauen. Kartoffeln, Reis, Getreide, Gemüse und Salat werden so zu minderwertigem Essen, das man getrost liegen lassen kann, wenn der Teller zu voll ist, was ja durchaus vorkommt – Beilagen eben. Wer solches anbaut, ist in den Augen von Proviande offenbar ein Landwirt zweiter Klasse. Zweitens könnte der Slogan als Freipass verstanden werden, dass die restlichen Nahrungsmittel getrost entsorgt werden dürfen, solange nur das Fleisch gegessen wird. Diese Mentalität und damit die Nahrungsmittelvernichtung haben auch in der Schweiz Tradition. Gemäss dem Bundesamt für Landwirtschaft beträgt der Verlust hierzulande schätzungsweise 290 Kilo pro Kopf und Jahr, rund ein Drittel der zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel landet auf dem Müll. Vor allem geht ist es drittens nicht an, einseitig Fleisch zu propagieren, wenn man bedenkt, dass Futtermittel für die Tiere zu einem ansehnlichen Teil aus Entwicklungsländern, insbesondere aus Brasilien importiert wird. Über 50 Prozent des Futtergetreides kommen aus dem Ausland, bei eiweisshaltigem Kraftfutter wie Sojaschrot sind es gar über 60 Prozent. In Zahlen für 2012: Einfuhr von 1,04 Millionen Tonnen Kraftfutter, davon knapp 270 000 Tonnen brasilianisches Sojaschrot, 197 000 Tonnen
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Weizen, 85 000 Tonnen Mais und 70 000 Tonnen Reis. Dabei wächst der Anteil importierter Futtermittel ständig, da die einheimische Produktion seit langem sinkt; beim Futtergetreide liegt die Eigenversorgung mittlerweile bei unter 50 Prozent. Nicht nur gehen beim Verfüttern von Getreide je nach Tiersorte zwischen 40 und 85 Prozent der Nährwerte verloren, auch fehlt so etwa ein Drittel der weltweiten Getreideproduktion auf den Tellern der 840 Millionen chronisch hungernden Menschen in Entwicklungsländern. Ein Grossteil des Kraftfutters aus Sojaschrot kommt aus Brasilien, das zwar als Schwellenland gilt, in dem aber zwischen 10 und 15 Prozent der 192 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner unter chronischem Hunger leiden. Für diese Menschen sind Soja, Mais und andere Getreide keine Beilagen, sondern wertvolle Nahrungsmittel für den täglichen Bedarf. Aber eben: mit Futtermittel lassen sich gute Geschäfte machen, mit den weltweit 1,4 Milliarden armen Menschen hingegen nicht. Diese haben weniger als 1,25 USDollar pro Tag zur Verfügung, da reicht’s nicht einmal für das Allernötigste.
Nachhaltiger Konsum Proviande dürfte von sich aus ihren einprägsamen Slogan kaum aufgeben, nicht-tierische Nahrungsmittel sind ihr gleichgültig, Beilagen eben. Da braucht es vielmehr ein Umdenken der Konsumentinnen und Konsumenten, die 2012 pro Kopf knapp 52 Kilo Fleisch assen: Sie müssen sich keineswegs vegetarisch ernähren, einfach nur Fleisch als eines von zahlreichen Produkten im Rahmen einer ausgewogenen Nahrung zu sich nehmen und damit der einseitigen Promotion durch Proviande entgegentreten. Denn in der Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung herrscht Einigkeit darüber, dass dies nicht nur für die Produktion, sondern auch für die Konsumption gelten muss. Dies hat beispielsweise der Klimaforscher Munasinghe, Vizevorsitzender des UN-Weltklimarats und Träger des Friedensnobelpreises 2007, mit seiner Idee von „Millennium Konsumzielen“ gefordert. Anlässlich der Vorbereitungsarbeiten zur UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung von 2012 wies er darauf hin, dass die Anstrengungen um Nachhaltigkeit zu kurz greifen würden, wenn das Konsumverhalten unangetastet bliebe. Er dachte dabei an die Reduktion von Energie- und Wasserverbrauch, an die Eindämmung von Treibhausgasen und Umweltverschmutzung, an die Effizienzsteigerung bei Ressourcennutzung und Transport, aber eben auch an einen Verschwendungsstopp bei Lebensmitteln und die Einschränkung des Fleischkonsums. Nicht nur Schweizer Entwicklungsorganisationen engagieren sich seit Jahren für die Überwindung von Hunger und vermehrte Ernährungssicherheit in den armen und verletzlichen Ländern und Regionen, auch Organisationen wie der Bauernverband, der Bäcker- und Konditorenmeisterverband oder die Vétérinaires Sans Frontières Suisse setzen sich als Mitglied der „Schweizer Allianz gegen den Hunger“ dafür ein. Proviande hingegen hält sich da diskret zurück, lieber propagiert man einseitiges Fleischessen, dekoriert mit Beilagen. Geert van Dok, Leiter Fachstelle Entwicklungspolitik, Caritas Schweiz, E-Mail gvandok@caritas.ch, Tel. 041 419 23 95
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