Mit Familienergänzungsleistungen gegen die Armut Alleinerziehender

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Mediendienst 6 25. Juni 2015

Mit Familienergänzungsleistungen gegen die Armut Alleinerziehender

„Keine Kraft mehr zu haben. Das ist meine grösste Angst.“ Bettina Fredrich

Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung. Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.


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Mit Familienergänzungsleistungen gegen die Armut Alleinerziehender

«Keine Kraft mehr zu haben. Das ist meine grösste Angst.» Armut in der Schweiz hat viele Gesichter. Alleinerziehend sein ist eines davon. Jede sechste alleinerziehende Familie in der Schweiz ist von Armut betroffen. Alleinerziehende sind jedoch nicht nur finanziell benachteiligt. Armut wirkt sich auch auf andere Lebensbereiche aus. Die Politik darf der prekären Lebenslage Alleinerziehender nicht tatenlos zusehen. Es gilt, die Lücken in der Existenzsicherung zu schliessen. Die positiven Erfahren mit Familienergänzungsleistungen in den Kantonen Tessin, Solothurn, Waadt und Genf weisen den Weg. Die Anzahl alleinerziehender Haushalte ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Heute gibt es rund 200 000 Einelternhaushalte in der Schweiz. Das sind doppelt so viele wie 1970. In 86 Prozent der Fälle leben die Kinder bei der Mutter. Alleinerziehende sind mit einer Quote von 16,5 Prozent viermal häufiger von Armut betroffen als Zweielternfamilien mit zwei Kindern und mehr als doppelt oft wie Familien mit drei und mehr Kindern. Obwohl diese Fakten seit langem auf dem Tisch liegen, blieb die prekäre Lebenslage Alleinerziehender bislang unterbeleuchtet. Was sind ihre alltäglichen Herausforderungen? Was sind Gründe für die verstärkte Prekarität? Caritas hat beim interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern eine Studie in Auftrag gegeben, um die Lebenslage armutsbetroffener Alleinerziehender besser zu verstehen und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Zu geringe Alimente führen in die Sozialhilfe Das enge finanzielle Korsett belastet Alleinerziehende. Oft erhalten sie nach einer Trennung oder Scheidung zu wenig Alimente, um ihre Existenz zu sichern. Als Konsequenz sparen viele Betroffene zuerst bei den eigenen Bedürfnissen. Sie verzichten auf Hobbies und neue Kleidung, achten auf Aktionen und schieben den Zahnarztbesuch so lange wie möglich hinaus. Obwohl viele in dieser belastenden Situation von ihren Eltern finanziell unterstützt werden, reicht das Geld häufig nicht und es bleibt nur der Gang zum Sozialamt. Dabei fällt der Entscheid, Sozialhilfe zu beziehen, vielen Betroffenen schwer. Die Angst vor Stigmatisierung ist gross. Tun sie es doch, ist der Bezug von Sozialhilfe oft mit Schamgefühlen verbunden. Die Betroffenen ziehen sich aus der Gesellschaft zurück. Einsamkeit und Isolation sind die Folge: „Für mich kam das überhaupt nicht infrage, aber ich habe nachher keinen Weg mehr gefunden. (…) Ich musste zur Sozialhilfe gehen. (…) Ich probiere es zu vertuschen und gehe in der Woche selten ins Dorf. Die Leute dort tratschen über Menschen wie mich. Über Sozialhilfebezüger werden viele Lügen verbreitet. (…)Wenn Menschen in negativer Art und Weise indirekt in meine Richtung sprechen. Das ist sehr belastend, wenn die Leute so reagieren.“

„Wenn ich kippe, dann kippt alles!“ Armutsbetroffene Alleinerziehende kämpfen jedoch nicht nur mit einem knappen Budget. Häufig wirkt sich die belastende Situation auch auf ihr Wohlergehen und das ihrer Kinder aus. Bei den alleinerziehenden Müttern und Vätern kann die Last zu Stress, Ängsten, Überforderung und gesundheitlicher Beeinträchtigung führen. Bei einigen reicht die Belastung weit über die Erziehungsphase hinaus und verursacht dauerhafte Prekarität. Aufgrund der Mehrfachbelastung mit Kindern und Beruf fehlt vielen Alleinerziehenden Zeit für sich selbst, um zur Ruhe zu kommen: „Ich hatte in den ersten zwei

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Jahren null Freizeit.“ Zahlreiche Alleinerziehende äussern deshalb den Wunsch nach mehr Unterstützung und etwas Freizeit: „Ein bisschen mehr Zeit, ein bisschen mehr Spielraum. Dann kann ich EBanking machen oder solche Sachen, es ist nicht so, dass ich dann Wellness betreibe.“ An den Kindern gehen Erschöpfung und Stress der alleinerziehenden Eltern nicht spurlos vorbei. Einige berichten von plötzlichen Schulschwierigkeiten und Wutausbrüchen ihrer Kinder. Kinder erfahren aber nicht nur die Belastung des alleinerziehenden Elternteils, sondern werden auch aufgrund des unzureichenden Budgets benachteiligt. Sie haben weniger Zugang zu Früher Förderung und ihre Hobbies werden von den Kosten bestimmt. Ferien liegen ausserhalb der finanziellen Möglichkeiten. Den betroffenen Kindern droht der Ausschluss aus der Gesellschaft. Die Armutsstatistik verdeutlicht, dass insbesondere zwei Faktoren für das Armutsrisiko in der Schweiz bestimmend sind: Die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf einerseits und ungenügende Bildung andererseits. Armutsbetroffene Alleinerziehende werden mit beiden Faktoren konfrontiert. So sind sie im Vergleich mit Zweitelternfamilien häufiger auf familienergänzende Betreuung angewiesen. Das Angebot an Kindertagesstätten und Tagesschulen ist jedoch noch immer nicht ausreichend, oft zu teuer oder nicht anschlussfähig an flexible Arbeitszeiten. Verschärft wird die Situation, wenn die Betroffenen im Tieflohnsektor tätig sind. Neben einem kleinen Lohn, der insbesondere bei Teilzeitanstellungen nicht existenzsichernd ist, schliesst Arbeit im Tieflohnsektor oft auch prekäre Arbeitsbedingungen ein. Arbeit auf Abruf, Temporärarbeit oder befristete Verträge sind keine Seltenheit. Diese irreguläre Arbeitszeiten schränken jedoch wiederum die Möglichkeit ein, Familie und Beruf zu vereinbaren. Armutsbetroffene Alleinerziehende sind deshalb auf informelle, private Lösungen angewiesen. Und so bleibt eine Mehrheit der Alleinerziehenden trotz Erwerbsarbeit arm. Unter den Alleinerziehenden gibt es viermal mehr Working Poor als in der Gesamtbevölkerung.

Familienergänzungsleistungen sind ein Lösungsansatz Das System der sozialen Sicherheit in der Schweiz deckt neue Risiken schlecht ab. Lücken in der Alimentenhilfe tragen dazu bei, dass viele Alleinerziehende ihre Existenz nicht aus eigener Kraft sichern können. Neben Massnahmen in der Alimentenhilfe – insbesondere die Einführung eines bedarfsabhängigen Kindesmindestunterhalts –, braucht es ein flächendeckendes Angebot an erreichbarer und kostengünstiger familienexterner Betreuung sowie schärfere Regeln zur Entprekarisierung der Arbeitsbedingungen im Tieflohnbereich. Ein gangbarer Weg, um die Armut Alleinerziehender zu bekämpfen, sind zudem Familienergänzungsleistungen. Die Kantone Tessin, Solothurn, Waadt und Genf haben mit diesem Instrument bereits gute Erfahrungen gesammelt, Evaluationen bestätigen deren Wirksamkeit. Es gilt deshalb, diese Erkenntnisse ernst zu nehmen und Familienergänzungsleistungen in allen Kantonen einzuführen. Studie und Caritas-Positionspapier: www.caritas.ch/alleinerziehende Bettina Fredrich, Leiterin Fachstelle Sozialpolitik, Caritas Schweiz, E-Mail: bfredrich@caritas.ch, Tel. 041 419 23 37

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