Entwicklungszusammenarbeit mit Schwellenländern

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Mediendienst 7 22. Mai 2014

Entwicklungszusammenarbeit mit Schwellenl辰ndern

Es geht um Rechte, nicht um Hilfe Geert van Dok

Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung. F端r R端ckfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verf端gung.


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Entwicklungszusammenarbeit mit Schwellenländern

Es geht um Rechte, nicht um Hilfe Schwellenländer befinden sich auf der Schwelle vom Entwicklungs- zum Industrieland. Sie weisen hohe Wachstumsraten auf und viele von ihnen sind wirtschaftliche und politische globale Player. Schwellenländer sind aber auch Armenhäuser – zwei Drittel aller extrem Armen leben dort – und sie gehören nach wie vor zu den Zielländern der Entwicklungszusammenarbeit. Soll diese Zusammenarbeit weitergeführt werden und falls ja, in welcher Form und mit welchen Kriterien? Davon handelt ein neues Caritas-Positionspapier. Brasilien gilt als Schwellenland. Es weist gesamthaft gesehen nicht mehr die „typischen“ Merkmale eines Entwicklungslands auf, auch wenn es dazu gezählt wird. Brasilien gehört zu den „aufstrebenden Märkten“, die für die Schweizer Pharma-, Maschinen- und Chemie-Unternehmen wegen ihres starken Wirtschaftswachstums und der schnell wachsenden Mittelschicht von grösstem Interesse sind. Auf 2,23 Milliarden Franken beliefen sich 2013 die Schweizer Exporte nach Brasilien.

Globale Player und Armenhäuser Die Bezeichnung „Schwellenland“ kaschiert eher, als dass sie zur Klärung beitragen würde. Denn Schwellenländer sind nicht nur von Wachstum und konsumierender Mittelschicht gekennzeichnet, sondern auch von extremer Armut und grosser sozialer Ungleichheit. 650 Millionen Frauen, Männer und Kinder müssen dort mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen. Brasilien zählt etwa 14 Millionen chronisch unterernährter Menschen und exportiert gleichzeitig die Hälfte seiner 66 Millionen Tonnen Soja als Futtermittel. Der Norden und Nordosten Brasiliens gleichen trotz aller regionalen Planungsmassnahmen noch immer den Armutsgebieten in Entwicklungsländern, während der Entwicklungsstand des Südostens und Südens mit europäischen Ländern vergleichbar ist. Die Widersprüche der extrem beschleunigten nachholenden Entwicklung in den Schwellenländern werden zunehmen. Indien bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Mars-Mission und Slums, ITTechnologien und Schuldknechtschaft. Brasilien wendet für die Fussball-Weltmeisterschaft 2014 mindestens 36 Milliarden Real (14 Milliarden CHF) auf und lässt gleichzeitig Millionen Menschen hungern. In Chinas Metropolen können die Menschen vor lauter Luftverschmutzung kaum noch atmen und in Russland plündern wenige Ultrareiche den Rohstoffreichtum des Staates, während bis zu 20 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze leben. Grosse Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien sind also weltpolitische und -wirtschaftliche Player und gleichzeitig Armenhäuser. Sie stehen auf der OECD-Liste der Empfängerländer für Entwicklungshilfe, dabei verfügen sie über die nötigen Kapazitäten und Ressourcen, die Armut und Ungleichheit im eigenen Land zu überwinden, allein: sie tun es nicht. Welchen Weg sollen angesichts dieser Widersprüchlichkeit nun Entwicklungsorganisationen einschlagen? Sollen sie ihr Engagement in Schwellenländern beenden oder angesichts der grossen Armut aufrechterhalten?

Caritas Schweiz, Mediendienst 7, 22. Mai 2014


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Stärkung der Zivilgesellschaft Vor den Grenzen der Schwellenländer halt zu machen, in denen die Mehrheit der extrem armen und benachteiligten Menschen lebt, kann nicht der Weg sein. Doch da diese Länder selber über die nötigen Kapazitäten verfügen und zudem meistens die gesetzlichen Grundlagen und politischen Programme zur Überwindung der Armut vorliegen, geht es nicht darum, als Entwicklungsorganisation breit angelegte materielle Hilfe zu leisten. Die staatlichen Institutionen der Schwellenländer stehen als Rechtsgarant in der Pflicht und haben die Ressourcen, wichtige Grundlagen wie materielle Existenzsicherung, Bildungsmöglichkeiten oder Gesundheitsdienste zu schaffen, die es den Menschen erst möglich machen, ihre Rechte und somit ihre Teilnahme an Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu verwirklichen. Daher sind Interventionen der Entwicklungszusammenarbeit in Schwellenländern wie Brasilien auf strukturelle Veränderungen und insbesondere den Abbau von Ungleichheiten auszurichten. Jene zivilgesellschaftlichen Kräfte sind zu stärken, welche mittels Aufklärung und Mobilisierung die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rechte marginalisierter Bevölkerungsgruppen einfordern. Diese Rechte sind zwar häufig gesetzlich verankert, werden aber zu einem grossen Teil nicht umgesetzt. Es geht darum, bei marginalisierten Gruppen das Bewusstsein für und das Wissen um ihre Rechte zu wecken und die Fähigkeiten und Möglichkeiten zu steigern, sich Gehör zu verschaffen und diese Rechte durchzusetzen.

Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung Die Schweiz darf die Augen nicht vor den gesellschaftlichen Missständen verschliessen, die in den Schwellenländern vorherrschen. Sie soll einen klaren Fokus auf die „Kehrseite der Globalisierung“, das heisst die extreme Armut und Ungleichheit in vielen dieser Länder legen. Dies verlangt zwingend auch Politikkohärenz im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung. Dazu gehört beispielsweise, bei Verhandlungen über Freihandels- und Investitionsschutzabkommen auch die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. Oder auch, dass die Schweiz hiesige Unternehmen, die in Schwellenländern präsent sind, in die Pflicht nimmt, für ihre Tätigkeiten, ihre Tochterfirmen und auch Zulieferer vorsorglich Massnahmen zu treffen, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen zu verhindern. Es darf nicht sein, dass die Schweizer Exportwirtschaft, die alleine im Handel mit Indien in den vergangenen 20 Jahren über 10 Milliarden Franken Gewinne erzielte, ungerührt in Kauf nimmt, dass dort gleichzeitig fast 400 Millionen Menschen von extremer Armut betroffen sind.

Geert van Dok, Leiter Fachstelle Entwicklungspolitik, Caritas Schweiz, E-Mail gvandok@caritas.ch, Tel. 041 419 23 95

Beilage Caritas-Positionspapier „Zwischen High-Tech, Favelas und Ochsenkarren“ Link: www.caritas.ch/positionspapiere

Caritas Schweiz, Mediendienst 7, 22. Mai 2014


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