Mediendienst 7 22. Mai 2014
Erfreuliche Anerkennung für Espace des Solidarités in Neuenburg
Sozialfirma, und doch ein ganz normales Unternehmen Hubert Péquignot
Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung. Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.
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Erfreuliche Anerkennung für Espace des Solidarités in Neuenburg
Sozialfirma, und doch ein ganz normales Unternehmen Das Projekt Espace des Solidarités ("Raum für Solidarität") wurde von Caritas Neuenburg ursprünglich als Integrationsprogramm im Gastgewerbe gegründet und kürzlich in eine Sozialfirma umgewandelt. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) zeigte grosses Interesse an diesem Unternehmensmodell und hat nun entschieden, dass Espace des Solidarités in jeder Hinsicht einem Unternehmen des ersten Arbeitsmarkts entspricht. Die hier entstehenden Arbeitsverhältnisse werden als vollwertige Arbeitsverträge angesehen. Eine erfreuliche Anerkennung. In der Vergangenheit konnten sich Arbeitslose über die Teilnahme an Integrationsprogrammen erneut einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung erwerben. Nach wiederholten Missbräuchen (Schaffung fiktiver Arbeitsplätze) reagierte der Bund. Seit 2011 sieht Art. 23, Abs. 3bis des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) neu vor, dass ein Verdienst, den eine Person durch Teilnahme an einer von der öffentlichen Hand finanzierten arbeitsmarktlichen Massnahme erzielt, nicht versichert ist. Diese Bestimmung gilt für alle Personen, die im Rahmen einer Integrationsmassnahme bei einer subventionierten Organisation arbeiten und von ihr Lohn beziehen. Obwohl sie arbeiten und Arbeitslosenversicherungsbeiträge bezahlen, wird diese Beschäftigungszeit von der Arbeitslosenkasse nicht als Beitragszeit anerkannt. Ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung entsteht dadurch also nicht.
Und wie ist das mit den Sozialfirmen? Im Bereich der Wiedereingliederung gibt es seit einigen Jahren eine neue Unternehmensform: die Sozialfirmen. Eine einheitliche Definition für die vielen Unternehmen, die unter dieser Bezeichnung arbeiten, gibt es nicht. Aber drei Bedingungen erfüllen sie alle: sie produzieren Waren oder Dienstleistungen, sie sind nicht gewinnorientiert und sie spielen eine aktive Rolle auf dem ergänzenden Arbeitsmarkt. Der Bund behandelt Arbeitsverhältnisse in Sozialfirmen nicht automatisch wie Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. Eigentlich fallen auch sie unter Art. 23, Abs. 3bis AVIG. Inhaber solcher Stellen erwerben sich also üblicherweise keinen neuen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Bei Anfragen prüft das SECO sämtliche Details bevor es entscheidet, ob für die jeweilige Tätigkeit in der Sozialfirma der genannte Artikel gilt oder nicht. Bisher wurden Beschäftigungen in Sozialfirmen noch nie vom Geltungsbereich dieser Bestimmung ausgenommen.
Die Sozialfirma Espace des Solidarités Espace des Solidarités wurde im Jahr 2000 von Caritas Neuenburg und der Association pour la défense des chômeurs (Verband für die Verteidigung der Rechte von Arbeitslosen) in Neuenburg als Integrationsprogramm im Gastgewerbe gegründet. Kürzlich wurde das Programm in eine Sozialfirma umgewandelt, nach einem Konzept, das vom Kanton Neuenburg für Sozialfirmen neu entwickelt wurde: Espace des Solidarités ist nun eine produktive Sozialfirma, deren Zweck die unbefristete Beschäfti-
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gung von Sozialhilfeempfängern ist. Damit ermöglicht sie die Erwerbstätigkeit von Personen mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit, die auf dem ersten Arbeitsmarkt praktisch chancenlos sind. Espace des Solidarités hat im Jahr 2013 über 50'000 Mahlzeiten zubereitet und serviert. Dank der wachsenden Nachfrage können hier, vor allem für die Tätigkeiten in der Küche, vorrangig Sozialhilfeempfänger beschäftigt werden. Sie erhalten unbefristete Arbeitsverträge, die den Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags (GAV) für das Gastgewerbe entsprechen. Ihre Arbeit wird von qualifiziertem Betreuungspersonal überwacht. Für 2014 ist die Schaffung sechs neuer Arbeitsstellen geplant.
Erste Ankerkennung durch das SECO Bei der Gründung der Sozialfirma hatten die Verantwortlichen von Espace des Solidarités ein grosses Anliegen: Die hier geschaffenen Arbeitsplätze sollten nicht unter den Geltungsbereich von Art. 23, Abs. 3bis AVIG fallen, obwohl sämtliche Löhne, mit Ausnahme derjenigen für das Betreuungspersonal, zur Hälfte von der öffentlichen Hand subventioniert werden. Schliesslich zeigte das SECO grosses Interesse für dieses Sozialfirmenmodell. Es entschied, dass Espace des Solidarités trotz der öffentlichen Subventionen in jeder Hinsicht der Logik eines Unternehmens des ersten Arbeitsmarkts entspricht und dass die hier entstehenden Arbeitsverhältnisse als vollwertige Arbeitsverträge angesehen werden können. In seiner Beurteilung stützte sich das SECO auf verschiedene Kriterien, wie zum Beispiel das Vorhandensein einer realen, produktiven Wirtschaftstätigkeit, die Verwendung unbefristeter Arbeitsverträge und die Einhaltung des GAV für das Gastgewerbe. Mit seinem Entscheid hat das SECO das anerkannt, was die Verantwortlichen von Espace des Solidarités schon seit mehreren Jahren schaffen wollten: ein ganz normales Unternehmen für Menschen, die aus dem ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Hubert Péquignot, Direktor Caritas Neuenburg, E-Mail: hubert.pequignot@ne.ch, Tel. 032 886 80 70
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