Mediendienst 8 12. Juni 2014
Die Bevölkerung Nicaraguas ist grossen Risiken ausgesetzt
Wann schlägt die nächste Naturkatastrophe zu? Nadja Buser
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Die Bevölkerung Nicaraguas ist grossen Risiken ausgesetzt
Wann schlägt die nächste Naturkatastrophe zu? Ein starkes Erdbeben erschütterte Nicaragua am Abend des 10. April 2014. Wie sehr ist das drittärmste Land Lateinamerikas von Naturkatastrophen betroffen? Was sind die Auswirkungen und welche Rolle spielt dabei der Klimawandel? Ein Schock fährt in die Glieder von Ligia Moreno, der Caritas-Schweiz-Koordinatorin in Nicaragua, als sie am Morgen des 11. Aprils die News erfährt: Ein Erdbeben der Stärke 6,2 auf der Richterskala erschütterte letzte Nacht Nicaragua, und das an ihrem Wohnsitz, der Hauptstadt Managua mit ihren 1,4 Millionen Einwohnern. Ausgerechnet jetzt befindet sie sich in Luzern bei der Caritas Schweiz! Wie geht es wohl ihrer Tochter? Ist sie wohlbehalten? Wie geht es dem Rest ihrer Familie und ihren Freunden? Hat jemand Leben, Hab und Gut verloren? Schnell greift sie zum Telefon, um die nächsten Verwandten mitten in der Nacht aus dem Bett zu reissen. Nach einigen Minuten atmet sie erlöst auf: Niemand, der ihr sehr nahe steht, ist zu Schaden gekommen. Dies kann sich schnell ändern, wenn das nächste Erdbeben zuschlägt. In der Serie von Erdbeben und Nachbeben zwischen dem 10. und Ende April in der Region von Managua und nordwestlich davon gab es zwei Tote, Hunderte von Verletzten, circa 2300 beschädigte Häuser (davon 101 Schulen) und einen 20 Kilometer langen Riss in der Erde. Erdbeben verzeichnete Nicaragua allein letztes Jahr 257 – zwei davon mit einer Stärke über 6,0 (stark) auf der Richterskala. In Erinnerung bleibt Ligia Moreno wie allen Gleichaltrigen und Älteren Nicaraguas das Beben von 1972, das Managua dem Erdboden gleich machte.
Stürme, Dürren, Flutwellen, Vulkanausbrüche Das zentralamerikanische Land, das flächenmässig nur dreimal so gross ist wie die Schweiz, wird aber nicht nur von Erdbeben bedroht: Auch Stürme, Dürren, Flutwellen und Vulkanausbrüche stehen auf dem Programm. Gemäss dem von Germanwatch jährlich publizierten Global Climate Risk Index ist Nicaragua neben Myanmar und Honduras das Land, das in den letzten zwanzig Jahren am meisten von sogenannten „Schlechtwetter-Katastrophen“ betroffen war. Der geschätzte durchschnittliche jährliche Schaden beläuft sich auf 233 Millionen US-Dollar – nicht ganz ohne für das drittärmste Land Lateinamerikas, das stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig ist und mit 82,6 Prozent des Bruttoinlandproduktes die weltweit sechsthöchste Staatsverschuldung aufweist.
Folgen des Klimawandels In den letzten 25 Jahren haben Anzahl und Intensität der Naturkatastrophen in Nicaragua zugenommen und dessen soziale und umweltbezogene Vulnerabilität erhöht. Ein Zusammenhang mit dem Klimawandel ist laut den Experten von Germanwatch unbestritten. Man schätzt, dass im Jahr 2025 in Nicaragua als Resultat des Klimawandels und veränderter Wasserkonsumationsgewohnheiten 70 Prozent der Bevölkerung einen ungenügenden Zugang zu Wasser haben werden. Die Nachfrage wird in den nächsten 50 Jahren um 300 Prozent ansteigen. Armut und Klimawandel-Folgen gehen nicht Hand in Hand, sind doch Reiche wie Arme von den Folgen von Naturkatastrophen betroffen. Studien bele-
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gen jedoch, dass der Zugang zu sozialen und wirtschaftlichen Ressourcen und die gesellschaftliche Reaktionskapazität auf eine Naturkatastrophe das Ausmass der Auswirkung des Unglücks bestimmen und somit die Vulnerabilität eines Dorfes oder einer Region. In diesem Sinne sind beide – Reiche und Arme – betroffen, aber nicht gleich. Gerade im sogenannten Trockengürtel Nicaraguas im ländlichen Westen und Norden des Landes ist als Folge der Phänomene El Niño und La Niña das Hintereinander von Dürren und Überschwemmungen für die meist als Kleinbauern arbeitende Bevölkerung verheerend. Das Saatgut gedeiht aufgrund des fehlenden Regens nicht oder wird in den Wassermassen ertränkt. Die Folgen sind fehlende Ernährungssicherheit und steigende Armut. Zentral in diesem Zusammenhang sind der Aufbau von Katastrophenpräventions- und Reaktionssystemen und die Anpassung der Landwirtschaft an die sich verändernden Einflüsse. Bewässerungs-, Entwässerungs- und Wasserauffangsysteme, Schutzwälle, Aufforstungen, eine Diversifikation der Anbauprodukte, das Bereitstellen von resistenterem, verbessertem und dem Klimawandel angepasstem Saatgut sind bewährte Möglichkeiten.
Unterernährung deutlich gesenkt Die nicaraguanische Katastrophenhilfsbehörde SINAPRED (Sistema Nacional para la Prevención, Mitigación y Atención de Desastres) ist aktiv und steht im zentralamerikanischen Vergleich gut da. Im allgemeinen ist aber der zentralistisch organisierte Staat schwach und verfügt - nicht zuletzt wegen Korruption - über zu wenig Ressourcen, um seinen Aufgaben zufriedenstellend nachgehen zu können. Wichtige Unterstützung bieten hier NGO wie das Centro Humboldt, das erstklassige Studien zu den Folgen des Klimawandels publiziert. Bemerkenswert ist, dass Nicaragua in den letzten 20 Jahren die Unterernährung von 50 Prozent (1990) auf 20 Prozent (2013, FAO) senken konnte. Neben tatsächlichen und anderen Erschütterungen gibt es also durchaus auch Aufbauendes in Nicaragua. Die Caritas setzt sich mit ihrem Programm in Nicaragua nachhaltig für bessere Ernährungssicherheit, für eine Reduktion des Naturkatastrophenrisikos und für eine dem Klimawandel angepasste Landwirtschaft ein. Damit die Nächte von Ligia Moreno und ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern etwas ruhiger werden. Nadja Buser, Projektverantwortliche Nicaragua und Kolumbien, Caritas Schweiz, E-Mail nbuser@caritas.ch, Tel. 041 419 23 17
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