Mediendienst 9 3. Juli 2014
Neues Handbuch Armut in der Schweiz
Ein aktuelles Standardwerk zur Armutsdiskussion Marianne Hochuli
Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung. F端r R端ckfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verf端gung.
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Neues Handbuch Armut in der Schweiz
Ein aktuelles Standardwerk zur Armutsdiskussion „Ich darf hoffen, dass ich keinen Bekannten oder Nachbarn treffe, um auf die immer gleiche Frage die gleiche Antwort geben zu müssen: Nein, ich habe noch immer keine Arbeit gefunden.“ Diese Aussage einer Frau zeigt, wie Armut Menschen in die Isolation führt. Der Bundesrat anerkennt heute, dass Armut in der Schweiz ein ernstzunehmendes gesellschaftspolitisches Problem ist. In „Neuen Handbuch Armut in der Schweiz“ hat Caritas das Wissen über dieses Thema zusammengetragen. Noch vor zehn Jahren war Armut in der reichen Schweiz ein Tabuthema. Als Caritas im Jahr 2006 das von Christin Kehrli und Carlo Knöpfel verfasste „Handbuch Armut in der Schweiz“ herausgab, wurde dieses schnell zu einem Standardwerk, das die Armutsdiskussion entscheidend mitprägte. Daten zum Ausmass der Armut gab es jedoch kaum. Caritas musste sich auf Schätzungen berufen. Inzwischen hat sich einiges getan. 2010 veröffentlichte das Bundesamt für Statistik BFS erstmals Daten, welche die Schätzungen von Caritas bestätigten. Im selben Jahr verabschiedete der Bundesrat eine gesamtschweizerische Strategie zur Armutsbekämpfung, und im letzten Jahr lancierte er ein nationales Programm zur Prävention und Bekämpfung zur Armut. Damit anerkennt der Bundesrat ausdrücklich, dass Armut in der Schweiz ein ernstzunehmendes gesellschaftspolitisches Problem darstellt, das wirksam und auf ganz unterschiedlichen Ebenen angegangen werden muss.
Vom Handbuch zum Neuen Handbuch Armut in der Schweiz Um den neuen Entwicklungen in umfassender Weise gerecht zu werden, gibt Caritas das „Neue Handbuch Armut in der Schweiz“ heraus. Es handelt sich jedoch nicht nur um eine Aktualisierung des bisherigen Handbuchs. Die Sozialwissenschaftlerin Claudia Schuwey und Carlo Knöpfel, langjähriger Bereichsleiter der Grundlagen von Caritas und heute Dozent an der Hochschule für Soziale Arbeit in Basel, haben gründlich recherchiert und das Buch komplett neu geschrieben. Herausgekommen ist ein kompaktes Nachschlagewerk mit klaren Begriffsdefinitionen, gut verständlichen Texten zur Vertiefung, anschaulich aufbereitetem Datenmaterial und nützlichen Verweisen auf weiterführende Informationen und aktuelle Daten. Das Buch vermittelt ein vielfältiges Bild der Armutsproblematik, denn die Beschäftigung mit Armut wirft zahlreiche Fragen auf: Wie wird Armut definiert? Mit welchen Instrumenten kann sie festgestellt oder gar gemessen werden? Welche Faktoren führen dazu, dass jemand in Armut gerät? Mit welchen Problemen haben Armutsbetroffene zu kämpfen? Wie kann Armut verhindert oder nachhaltig überwunden werden?
Armutspolitik betrifft unterschiedliche Politikfelder Auf solche Fragen gibt das „Neue Handbuch Armut in der Schweiz“ Antworten. Es zeigt unterschiedliche Möglichkeiten auf, Armut zu definieren, zu messen und zu erklären. Es gibt eine Übersicht über aktuelle Zahlen und Fakten zur Einkommens- und Vermögensverteilung sowie zum Ausmass der Armut in der Schweiz. Und es verdeutlicht, wie stark neuere Entwicklungen wie veränderte Lebensformen, ein neues Geschlechterrollenverständnis und eine gewandelte Arbeitswelt zu neuen Formen der
Caritas Schweiz, Mediendienst 9, 3. Juli 2014
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Armut führen können. Sie sind durch die bestehenden Sozialversicherungen nicht oder nur ungenügend abgesichert. Das letzte Kapitel befasst sich mit der Armutspolitik der Schweiz. Es zeigt, dass Armutspolitik eine Querschnittsaufgabe ist, die verschiedene staatliche und nichtstaatliche Akteurinnen in unterschiedlichen Politikfeldern in die Pflicht nimmt. Aktuelle Brennpunkte sind die (fehlende) Bildung, um an einem sich stark veränderten Arbeitsmarkt mithalten zu können, die Familienpolitik – insbesondere die Vereinbarung von Berufstätigkeit und Familienarbeit - und Diskussionen um den sozialstaatlichen Abbau. Dabei wird deutlich, wie stark individuelle Armutssituationen mit gesellschaftlichen Veränderungen verknüpft sind und inwieweit es Politik und Gesellschaft bisher versäumt haben, die sozialstaatlichen Instrumente diesen Entwicklungen anzupassen.
„Ich gehe seit längerem in der Nacht spazieren …“ Im Kapitel „Die Folgen von Armut“ sind auch Texte von Armutsbetroffenen eingeflochten. Sie erzählen vom täglichen Einteilen des knappen Budgets, vom Gefühl, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein, von Stress und grossen Ängsten bei der oft vergeblichen Arbeitssuche: „Ich darf hoffen, dass ich keinen Bekannten oder Nachbarn treffe, um auf die immer gleiche Frage die gleiche Antwort geben zu müssen: Nein, ich habe noch immer keine Arbeit gefunden. Ich gehe seit längerem in der Nacht spazieren oder tagsüber mit Brille und Helm Velo fahren, damit mich niemand erkennt. Und so schaffe ich es, mich noch mehr zu isolieren“ (Anonym, weiblich). In diesem Zitat kommt zum Ausdruck, dass Armut weit mehr bedeutet, als ein Mangel an finanziellen Mitteln. Armutsbetroffene leben oft in einer prekären Situation: sie haben keinen angemessenen Wohnraum zur Verfügung, leiden oft unter gesundheitliche Beeinträchtigen, haben keine entsprechende berufliche Ausbildung, keinen gesicherten Arbeitsplatz. Insgesamt mangelt es ihnen an konkreten Handlungsperspektiven und Lebenschancen. Damit Armutsbetroffene solche Handlungsperspektiven entwickeln können, müssen nicht nur bestehende Unterstützungsstrukturen gestärkt werden. Es müssen je nach individuellem Bedarf auch neue Formen der Unterstützung gefunden werden. Marianne Hochuli, Leiterin Bereich Grundlagen, Caritas Schweiz E-Mail mhochuli@caritas.ch, Tel. 041 419 23 20
Claudia Schuwey, Carlo Knöpfel Neues Handbuch Armut in der Schweiz 288 Seiten, 42 Franken Bestellung unter: E-Mail: info@caritas.ch, online: www.caritas.ch/handbuch-armut
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