Mediendienst 11 13. August 2013
Zur Ecopop-Initiative „Stopp der Überbevölkerung“
Bevölkerungspolitik auf Irrwegen Geert van Dok
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Zur Ecopop-Initiative „Stopp der Überbevölkerung“
Bevölkerungspolitik auf Irrwegen Die Vereinigung Ecopop will mit ihrer Initiative die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft sicherstellen und dafür die Überbevölkerung stoppen. In der Schweiz soll dies dank rigider Begrenzung der Einwanderung, in Entwicklungsländern dank freiwilliger Familienplanung erreicht werden. Aus Sicht der Caritas ist die Initiative schädlich, wie sie in ihrem Positionspapier „Bevölkerungspolitik auf Irrwegen“ zeigt. Die Initianten nehmen eine Belastungsgrenze der natürlichen Lebensgrundlagen an und leiten daraus eine Obergrenze der Bevölkerungszahl ab, die es einzuhalten gelte. Doch bewegen sie sich mit ihren Forderungen auf Irrwegen. Die Initiative trägt weder zur Lösung der demografischen und migrationspolitischen Herausforderungen der Schweiz bei, noch dient sie einer menschenwürdigen Armutsbekämpfung in den ärmsten Entwicklungsländern. Anstelle der unsinnigen Forderung nach isolierter Zuwanderungsbeschränkung und einseitiger Familienplanung braucht es Massnahmen, welche die Herausforderungen von Grund auf angehen und strukturellen Lösungen den Weg ebnen.
Bildung, Ressourceneffizienz und Raumplanung statt Zuwanderungsbegrenzung Innenpolitisch will Ecopop eine rigide Beschränkung der Zuwanderung: Diese soll künftig nicht mehr als 0,2 Prozent zum jährlichen Wachstum der ständigen Wohnbevölkerung beitragen. Für 2012 hätte das bedeutet, dass der Zuwanderungssaldo nur 16‘000 statt der tatsächlichen 65‘000 Personen hätte betragen dürfen. Völkerrechtliche Verträge, welche dagegen verstossen, dürften laut Initiative nicht mehr abgeschlossen werden, alle bestehenden Verträge wären anzupassen und allenfalls zu kündigen. Das wäre das Ende des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der Europäischen Union. Damit sich die Schweiz aber – unter Sicherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen – in eine wirklich nachhaltige Richtung weiterentwickeln kann, braucht es politische Anstrengungen verschiedenster Art: Die Ressourcen müssen effizienter genutzt und deren Verbrauch eingedämmt werden, in der Produktion und im Dienstleistungssektor, beim Wohnen, im Luxuskonsum und im Alltagsverhalten. Dann braucht es Massnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit und Stärkung der sozialen Sicherung. An der Personenfreizügigkeit gilt es festzuhalten. Um mittelfristig der Nachfrage nach Fachkräften vermehrt auch innerhalb der Schweiz begegnen zu können, muss gleichzeitig verstärkt in eine bedarfsgerechte berufliche Aus- und Weiterbildung investiert und vorhandenes Wissen durch Anerkennung der Ausbildungen von Migrantinnen und Migranten optimal genutzt werden.
Bildung, Gesundheit und Beschäftigung vor Familienplanung Entwicklungspolitisch untergräbt die Initiative die Anstrengungen der Entwicklungszusammenarbeit für Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung, indem sie in den ärmsten Ländern Afrikas zehn Prozent der Entwicklungsgelder auf freiwillige Familienplanung lenken will. Konkret würde dies bedeuten, dass die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) jährlich etwa 200 Millionen Franken dafür einsetzen müssten.
Caritas Schweiz, Mediendienst 11, 13. August 2013
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Hohe Fruchtbarkeitsraten tragen zu einem starken Bevölkerungswachstum bei, was für die nachhaltige Entwicklung zum Hemmschuh werden kann. Doch ist es völlig verfehlt anzunehmen, dass freiwillige Familienplanung diesem Wachstum tiefgreifend entgegenwirken kann. Sie kann bestenfalls ein ergänzender Baustein einer umfassenden Strategie zur Senkung des Bevölkerungswachstums in armen Ländern sein. Wie eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, welche 103 heutige und ehemalige Entwicklungsländer untersucht hat, belegt, hängen Entwicklungsstand und Bevölkerungsstruktur eines Landes eng zusammen und gehen Geburtenraten zurück, wenn in die sozioökonomische Entwicklung unter Einbezug der ganzen Bevölkerung investiert wird. Um dies zu erreichen, muss in erster Linie die gesellschaftliche Stellung der Frauen in Richtung Mitsprache und Eigeninitiative gestärkt werden. Dazu braucht es insbesondere Anstrengungen im Gesundheits- und Bildungssektor, bei der Beschäftigung und bei der sozialen Sicherheit. Sie sind die Hebel zur Überwindung von Armut und gesellschaftlicher Benachteiligung und schaffen die strukturellen Voraussetzungen für eine sozial gerechte und umweltverträgliche, nachhaltige Entwicklung. Dann gehen auch die Kinderzahlen dem Wunsch der Menschen entsprechend deutlich zurück.
Fehlender sachlicher Zusammenhang Eigentlich dürfte die Initiative gar nicht zu Abstimmung kommen. Denn die Bundesverfassung verlangt für deren Gültigkeit unter anderem eine „Einheit der Materie“. Nur weil Ecopop ein vages übergeordnetes Ziel formuliert (Sicherung der natürlichen Grundlagen), ist noch keine Einheit gegeben. Es gibt keinen „sachlichen Zusammenhang“ zwischen Familienplanung in Afrika und Zuwanderungsbegrenzung in die Schweiz. Die Migration aus den ärmsten Ländern Afrikas trägt mit einem Anteil von 3,7 Prozent am Zuwanderungssaldo (2011) nicht zum Bevölkerungswachstum der Schweiz bei. Dennoch hat der Bundesrat am 29. Mai 2013 erklärt, er lehne die Anliegen zwar ab, doch der Zusammenhang sei gegeben, die Initiative also gültig. Bis November 2013 wird er dem Parlament seine Botschaft zur Initiative vorlegen. Die Bundesversammlung wird dann auch über deren Gültigkeit zu entscheiden haben. Würde sie dem Wortlaut der Bundesverfassung Rechnung tragen, sie müsste die Initiative aufgrund der fehlenden „Einheit der Materie“ ungültig erklären. Geert van Dok, Leiter Fachstelle Entwicklungspolitik, Caritas Schweiz, E-Mail gvandok@caritas.ch, Tel. 041 419 23 95
Beilage Caritas-Positionspapier „Bevölkerungspolitik auf Irrwegen“ zur Ecopop-Initiative Link: www.caritas.ch/positionspapiere
Caritas Schweiz, Mediendienst 11, 13. August 2013