Mediendienst 11 13. August 2013
Schattenseiten von Myanmars Öffnung
Land Grabbing in Myanmar auf Kosten armer Bauern Hans Staubli
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Schattenseiten von Myanmars Öffnung
Land Grabbing in Myanmar auf Kosten armer Bauern Myanmar ist im Aufbruch. Internationale Unternehmen aus Industrie- und Schwellenländern investieren, die Regierung schafft die notwendigen Rahmenbedingungen. Auch Einheimische profitieren von dieser Dynamik, doch die arme Bevölkerung gerät unter Druck. Insbesondere die Landbevölkerung bekommt die Kehrseiten der wirtschaftlichen Dynamik zu spüren. Der Bauer Kya Seng aus dem nordöstlichen Shan State nahe der Grenze zu China gehört zur Volksgruppe der Palaung. Seit Generationen betreibt seine Familie Brandrodungsfeldbau: Eine Parzelle wird landwirtschaftlich genutzt, solange sie fruchtbar ist, dann liegt sie für längere Zeit brach und die Familie brennt ein frisches Stück Land nieder, um dort bessere Erträge zu erzielen. Die Familie und die Nachbarn wissen, welches Land durch welche Familie genutzt werden darf und respektieren dieses traditionelle Gewohnheitsrecht. Eines Morgens, als Kya Seng eine frische Parzelle roden wollte, bemerkte er seltsame, rot gestrichene Pfähle, welche in einem Rechteck um sein unbebautes Land und das seiner Nachbarn eingeschlagen waren. Rückfragen bei der zuständigen Behörde ergaben, dass ein chinesisches Unternehmen sich dieses Land gesichert hatte, um darauf eine Kautschuk-Plantage anzulegen.
Landrecht und Land Grabbing Wie konnte es dazu kommen? In Myanmar existieren zwei Landrechtssysteme nebeneinander: das traditionelle Landrecht, welches eine extensive Nutzung im Brandrodungsfeldbau zulässt, sowie das „moderne“ Landrecht, welches die Registrierung in einem Grundbuch vorsieht und ausserdem eine Markierung im Feld verlangt, beispielsweise mit roten Pfählen. Ohne externe Unterstützung können die meisten Bauernfamilien das moderne Landrecht nicht für sich beanspruchen. Denn der damit verbundene „Papierkrieg“ ist aufwändig und für Analphabeten allein nicht zu bewältigen. Kya Seng ist wie die meisten anderen Bauernfamilien des Lesens und Schreibens nicht mächtig. Früher stellte das moderne Landrecht für die ländliche Bevölkerung in entlegenen Gebieten kaum eine Bedrohung dar. Seit der angelaufenen wirtschaftlichen Öffnung und Liberalisierung Myanmars aber verschärft sich die Situation zusehends: Am 18. März 2013 verabschiedete das Parlament ein neues Landgesetz, gemäss dem bis zu 80 Prozent Besitzanteile an ausländische Firmen veräussert werden dürfen. Damit nimmt „Land Grabbing“ (Landnahme) nicht nur in der südwestlichen Irrawaddy Division weiter zu, sondern auch in den peripheren Regionen Myanmars. Für geringe Pacht- oder Kaufsummen übernehmen internationale Unternehmen fruchtbares Land für die Exportproduktion von landwirtschaftlichen Produkten. Bereits zu Zeiten des Militärregimes war die Konfiszierung von Land eine gängige Praxis gewesen. Laut einem Bericht des Landwirtschaftsministeriums von Januar 2010 hatten 216 Unternehmen insbesondere aus China insgesamt 708 200 Hektar Ackerland (7 Prozent der Ackerfläche Myanmars) in Form von staatlichen Konzessionen erhalten. Mit der Liberalisierung geht dieser Trend ungebrochen und verstärkt weiter.
Caritas Schweiz, Mediendienst 11, 13. August 2013
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Monokultur und Mohnanbau Hält der neu ausgehandelte Waffenstillstand im nördlich angrenzenden Kachin State, wird sich die Situation auch im Shan State weiter verschärfen und der Druck der Investoren auf das Land erhöhen. Denn damit fällt das Risiko weg, die Investitionen aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen zu verlieren. Mit dem Eindringen internationaler Unternehmen wird fruchtbares Ackerland für die einheimische Bevölkerung knapp. Der Wechsel von Brandrodungs- auf Monokultur-Anbau verstärkt die Erosion in den hügeligen Gebieten und schädigt die Bodenfruchtbarkeit dauerhaft. Für Bauer Kya Seng und seine Familie ist die Situation äusserst schwierig geworden. Er erwog ernsthaft, zum verbotenen Mohnanbau im Gebiet nahe der chinesischen Grenze zurückzukehren, bei dem die finanziellen Erträge um ein Mehrfaches höher sind als beim Brandrodungsfeldbau. So hätte er mit viel weniger Land die Existenz seiner Familie sichern können, die angedrohten Strafen für den Mohnanbau hätten ihn unter diesen Umständen kaum davon abgehalten.
Organischer Anbau und Landsicherung Doch Kya Seng wandte sich an eine lokale Hilfsorganisation, die mit Unterstützung der Caritas in seinem Gebiet ein Projekt zur Ernährungssicherung durchführt. Dabei geht es einerseits um die Einführung organischer Anbaumethoden, andererseits unterstützt die Organisation Bauern dabei, ihre traditionellen Landrechte in das moderne Landregister eintragen zu lassen. Für Kya Seng und seine Familie bedeutet dies neue Hoffnung in einer schwierigen Zeit. Die allseits begrüsste Öffnung Myanmars darf nicht dazu führen, dass die Bevölkerung in armen und entlegenen Gebieten den Preis dafür bezahlen muss. Die Rechte der einheimischen Bevölkerung müssen gestärkt werden, auch im Interesse ihrer Ernährungssicherheit, beispielsweise durch die Überführung traditioneller Landtitel ins moderne Landrecht. Hans Staubli, Programmverantwortlicher Myanmar, Caritas Schweiz, E-Mail hstaubli@caritas.ch, Tel. 041 419 22 46
Caritas Schweiz, Mediendienst 11, 13. August 2013