Mediendienst 12/2013 - Worauf es bei einer gemeinnützigen Organisation ankommt

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Mediendienst 12 5. September 2013

Nachlese zur Diskussion um die Hilfswerk-Löhne

Worauf es bei einer gemeinnützigen Organisation ankommt Odilo Noti

Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung. Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.


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Nachlese zur Diskussion um die Hilfswerk-Löhne

Worauf es bei einer gemeinnützigen Organisation ankommt Die Saure-Gurken-Zeit während des Sommers hat der Schweiz mehrwöchige Enthüllungen über die Rettungsflugwacht (Rega) beschert. Angeschoben wurde die Debatte von der „Weltwoche“. In ihrem Mittelpunkt stand schliesslich das Salär von Rega-Chef Ernst Kohler. Darüber hinaus ging es auch um die Löhne der Leiterinnen und Leiter von Hilfswerken. Kritik und Selbstkritik im Nachgang zu einer öffentlichen Diskussion. Für sein Salär gab Rega-Chef Ernst Kohler in der TV-Sendung „zehn vor zehn“ eine so genannte Lohnbandbreite von 250 000 bis 450 000 Franken an. Berücksichtigt man die Boni, so errechneten die Medien, dürfte sein Einkommen eine halbe Million Franken pro Jahr betragen. Die Rega hat diese Zahl nie dementiert. Aus der Sicht der gemeinnützigen Organisationen, die in dieser Angelegenheit befragt wurden, ist ein derartiger Lohn diskussionslos überrissen. Unschön waren auch die Argumente der Rega-Exponenten, um das Salär von Kohler zu rechtfertigen. Für die Rega sei eine hohe Professionalität vonnöten. Mit freiwilligen Helfern, Ehrenamtlichen und mit blossem guten Willen sei da nichts zu machen. Vizepräsident Franz Steinegger im Originalton: „Man kann doch nicht verlangen, dass die Rega-Mitarbeiter einen caritativen Lohnabschlag akzeptieren sollten“.

Hohe Qualifikationen verlangt Stossend sind diese Rechtfertigungsversuche deswegen, weil sie auf Kosten einer ganzen Branche gehen. Es wird unterstellt, was bei der Rega als topseriöser Organisation nicht in Frage kommt, sei bei den gemeinnützigen Institutionen gang und gäbe: Da werkeln Freiwillige, Ehrenamtliche und andere Unprofessionelle vor sich hin. Sie sammeln bloss Spenden und – so Kohler – „geben diese für Projekte weiter“. Das heisst: Die Gutmenschen der Hilfswerke dilettieren, die Arbeit tun ohnehin die anderen. Auf diese Weise aber trägt die Rega willentlich zu einem Hilfswerk-Image bei, das insbesondere im Blick auf die grossen Hilfswerke fern ab von jeder Realität ist. Die Stiftung ZEWO führte 2011 gemeinsam mit dem Institut für Verbandsmanagement der Universität Freiburg (VMI) eine Studie zur Vergütung bei Hilfswerken durch, an der sich 320 Hilfswerke mit Zewo-Gütesiegel beteiligt hatten. In ihrem Fazit hält die Zewo fest: „Die Saläre widerspiegeln auch die Grösse des Betriebs und die damit verbundene Verantwortung wider. Typischerweise werden bei grösseren Hilfswerken auch etwas höhere Saläre bezahlt als bei kleinen Organisationen. Nur so lässt sich das benötigte, qualifizierte Personal finden.“ Die Anforderungen für das Führen einer gemeinnützigen Organisation, so die Zewo weiter, sei durchaus vergleichbar mit den Anforderungen an eine Unternehmensführung: „Es werden ähnlich hohe Qualifikationen verlangt.“

Caritas Schweiz, Mediendienst 12, 5. September 2013


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Angemessene Löhne an der Spitze der Hilfswerke Das Salär des Rega-Chefs lieferte mehreren Zeitungen den Anlass, Umfragen über die Löhne der Chefs von Hilfswerken zu erheben und zu veröffentlichen. Nach den Zahlen der „Aargauer Zeitung“ reicht die Lohnbreite von 40 667 (Heilsarmee; Wohnung, Dienstwagen und Sozialleistungen nicht eingerechnet) bis zu 249 000 Franken (Paraplegiker-Stiftung). Das Fazit der Zeitung: Die Leiter beziehen keine überrissenen Löhne. Sie rangieren im Vergleich zu den Chefs von mittleren und kleineren Unternehmen am unteren Rand. Das geht nach dem Selbstverständnis gemeinnütziger Organisationen auch in Ordnung. Wie es scheint, hält die öffentliche Meinung die Löhne der Hilfswerk-Leiter für angemessen. Jedenfalls blieb der Sturm der Entrüstung aus, den sich der eine oder andere Journalist vermutlich erhofft hatte. Es verhält sich damit wie bei den Salären der KMU-Chefs. Sie sind in der Schweiz kein Gegenstand von Polemiken.

Kritik und Selbstkritik Dennoch hinterlässt die Sommerloch-Debatte in den Zeitungsspalten gemischte Gefühle. Zum einen gibt es auf der Agenda der öffentlichen Diskussion entscheidendere Themen als die Hilfswerk-Löhne. Da wäre durchaus auch eine selbstkritische Haltung der Medien gefragt: Nicht-Themen zu einem Medienhype hochzuschreiben, dies zeugt von wenig Sachverstand. Wer gesellschaftliche Diskurse mitgestalten will, sollte sich wesentlicheren Dingen widmen. Zum anderen sind die Löhne der Geschäftsführer bei weitem nicht das einzige Kriterium, um die Seriosität und Effizienz eines Hilfswerkes zu bewerten. Beispielsweise wären in der Beurteilung die Grösse einer Organisation, also etwa die Anzahl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder der Umfang der Projekte und Dienstleistungen, zu berücksichtigen. Wichtig ist auch das Verhältnis von eigentlichem Projektaufwand einerseits und den Kosten für Administration und Werbung andererseits. Mit anderen Worten: Es geht darum, wie kostenbewusst und wirkungsorientiert eine Organisation insgesamt arbeitet. Anlass zur Selbstkritik ist aber die Tatsache, dass Spenderinnen und Spender die Herausforderungen, mit denen sich ein Hilfswerk konfrontiert sieht, systematisch unterschätzen. Nach den Untersuchungen der Zewo gehen sie davon aus, dass Anforderungen an Führungskräfte und Mitarbeitende in einer gemeinnützigen Organisation deutlich geringer sind als in Unternehmen. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Die Arbeit in einer Hilfsorganisation ist heute kein Schokoladenjob, der von Gutmenschen und Dilettanten wahrgenommen werden kann. Dieser Widerspruch zwischen Branchen-Image und Branchen-Realität muss den Hilfswerken zu denken geben. Er hängt mit ihrem Auftritt in der Öffentlichkeit zusammen. Odilo Noti ist Leiter Kommunikation und Mitglied der Geschäftsleitung von Caritas Schweiz; E-Mail: onoti@caritas.ch; Tel. 041 419 22 70.

Caritas Schweiz, Mediendienst 12, 5. September 2013


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