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CARSTEN KRAUSE
Brilliante Tanten (1)
Der Tanz der schwarzen Witwe KRIMI-LESEPROBE
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Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.
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Für meine Krimi-Oma
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Niemand war ihr gefolgt. Niemand war zu hören. In ihrer Nase immer noch der Geruch seines Schweißes. Er durfte sie nicht finden. Wo sollte sie hingehen? Keine Antwort ihrer Gedanken abwartend taumelte sie weiter bis zum nächsten Baum, der sein Moos an ihrer Jacke abstreifte. War sie hier sicher? War sie jemals sicher? Es knackte im Unterholz und ihre Schritte beschleunigten sich. Ihr Unterarm blutete. Er wollte sie töten. Daran hatte sie keinen Zweifel, aber wo war er jetzt? Sie fiel über eine feuchte Baumwurzel und blieb benommen liegen. Ein Lichtstrahl traf ihr Gesicht. Ein Schatten beugte sich über sie. Sie wollte schreien. Dann wurde es schwarz. Eine Eule flog erschrocken auf, während ihre Füße über den feuchten Waldboden gezogen wurden.
~ „Mrs Smith ihre Orangenkekse sind einfach umwerfend.“ 5
Tante Danny steckte sich zwei Kekse gleichzeitig in den Mund und machte ein verzücktes Gesicht. „Mir fehlen die Worte Mati“, aber deine Kekse schmecken nur halb so gut, wie die von Mrs Smith. Ich hoffe sie verraten uns das Rezept?“ „Natürlich nicht meine Liebe, sonst besuchen sie mich ja nicht mehr in meiner kleinen Bücherei“, Mrs Smith lächelte und holte zwei abgepackte Tüten mit genau abgezählten Orangenkeksen unter dem Tresen hervor. „Bitte die Damen, ein bisschen Nervennahrung für den Heimweg und die spannende Bettlektüre für heute Abend: Ist ihr Fernseher immer noch defekt, vielleicht kann mein Mann gleich mal nach der Arbeit vorbeischauen?“ „Das ist sehr lieb von ihnen Mrs Smith und vielen Dank für das Angebot, aber wir haben uns schon an den schwarzen Bildschirm gewöhnt.“ „Haben wir das Danny Darling?“, Tante Mati schaute etwas zerknirscht. Sie hätte das An6
gebot sicher sehr gerne angenommen, nicht nur wegen dem Fernseher, sondern weil sie um das Vergnügen eines Herrenbesuchs in Strawberry Cottage gebracht werden sollte. Tante Danny und Tante Mati waren vor einigen Wochen in das kleine gemütliche Cottage in der Nähe von Ryeshire in der Grafschaft East Sussex gezogen. Ihr adliger Erbonkel William wollte es ihnen in einigen Monaten überschreiben, wenn sie seinen auferlegten Auflagen pflichtbewusst nachgekommen waren. Die Wohnprobezeit von sechs Monaten war also noch nicht vorbei und beide hatten gemeinsam alle Erbauflagen zu Williams Lebzeiten zu erfüllen. Er konnte sein Cottage nach dem Schlaganfall vom letzten Sommer nicht mehr alleine bewirtschaften und bat Danny und Mati ihm zu helfen. Dabei war die größte Aufgabe nicht die Pflege von William, sondern die Pflege von Bobby, der kleinen verwöhnten französischen Bulldogge. Sie hielt die beiden ganz schön auf Trab. Sehr zur Belustigung von William. 7
William hatte sich entschieden das alte Cottage seiner Vorfahren noch vor seinem Ableben an seine beiden Nichten zu überschreiben, mit der Forderung sich auf Lebenszeit um Bobby zu kümmern und die Stockrosen im Vorgarten zu pflegen. Insofern schienen die Erbauflagen ein leichtes für die beiden Schwestern. Aber Tante Danny und Tante Mati würden nicht nur das alte Cottage erben, sondern auch das Personal, welches aus einem knorrigen Butler, einer vergesslichen Haushälterin und einem allergiegeplagten Gärtner bestand. „Könnte ihr Mann nicht doch auf einen Sprung bei uns vorbei kommen?“, bettelte Mati aufgeregt. Mati hatte seit ihrer Kindheit Probleme, sich gegen die Wünsche ihrer Schwester zu behaupten, aber diesmal wollte sie nicht auf den Besuch von Mr. Smith verzichten. Mr. Smith war braun gebrannt und hatte drahtige Arme wie ein Fischer. Aber er war kein Fischer, sondern Bürgermeister von Ryeshi8
re. Seinen alten Beruf des Fernsehtechnikers hatte er bereits vor 13 Jahren an den Nagel gehängt. „Von mir aus gerne Mati, ich habe heute Abend sowieso meinen Bingoabend im Kirchenkreis. Wann wäre es ihnen denn Recht?“ „Gar nicht!“ erwiderte Tante Danny barsch und kühl. Sie drehte sich um und ging zum Ausgang der Bücherei. „Warte auf mich Danny.“ Tante Mati lächelte verlegen achselzuckend zu Mrs Smith. „Entschuldigen sie bitte, wir sehen uns Freitag auf dem Friedhof zur Beerdigung von Lord Plumbum. Schrecklich und noch so jung.“ Mati beendete das Gespräch abrupt, denn neben Danny stand Pfarrer McAlroy in der Tür zur Bücherei. „Ich hätte niemals gedacht die Damen, dass das Grauen so schnell in unseren kleinen beschaulichen Ort zurückkehrt“, sagte McAlroy in gedämpfter Sprache. Schweiß stand auf seiner zerfurchten Stirn. Schon 9
kleine Spaziergänge vom Pfarrhaus bis in die Bücherei brachten ihn bei seinem hohen Blutdruck und Asthma schnell aus der Puste. „Zurückkehrt?“, fragte Tante Danny ungläubig. „Wieso zurückkehrt? Sterben hier die Menschen etwa so selten, dass eine Beerdigung gleich ein Jahresfest für die Einwohner ist?“ „Das nicht, aber sie wissen ja die Umstände… wie soll ich sagen, er und seine Frau lebten in Scheidung. Der Scheidungstermin war wie der Zufall es will sein Beerdigungstag am Freitag. Aber nicht nur das, angeblich ist auch sein Testament verschwunden. Bei Notar John Bill ist letzte Nacht eingebrochen worden!“, sagte Pfarrer McAlroy sichtlich nach Luft schnappend. „Aber ich will sie nicht beunruhigen meine Damen, es ist sicherlich ihre erste Beerdigung in Ryeshire, oder? Normalerweise verlaufen unsere Beerdigungen immer sehr friedlich, gesittet und...“ „Feuchtfröhlich?“, Mati lächelte. „Wann gab es denn den letzten grauenhaf10
ten Vorfall; ähnlich wie diesen?“, fragte Danny den Pfarrer. „Lassen sie mich überlegen...“ McAlroy blickte zum Himmel als erwartete von dort eine Antwort oder ein Zeichen. „Vor genau vier Jahren Pfarrer.“ Mrs Smith mischte sich von der Ladentheke mit in das Gespräch ein und verließ ihren Tresen. „Vor genau vier Jahren als meine Nichte bei einem Autounfall ums Leben kam! Sie war gerade 19 Jahre alt und wollte studieren, weg von hier nach London oder Cambridge. Alle hier wissen, dass es kein Unfall war, aber die meisten schweigen. Nicht wahr Pfarrer?“ Pfarrer McAlroy wurde rot und noch mehr Schweiß rann ihm aus den Poren der Stirn. „Ich muss jetzt leider weiter. Bis Freitag sind noch einige Vorbereitungen zu treffen. Immerhin war der Verstorbene im Kirchenchor und in der Vereinigung der jungen Briefmarkenfreunde.“ „Wollen sie gar nichts mitnehmen Pfarrer?“, fragte Mrs Smith. „Ähm, nein vielleicht später, sie können mir 11
eine Rosinenschnecke und einen Krimi für den 5-Uhr-Tee zurücklegen, ich lasse sie später abholen.“ Merkwürdig dachte Tante Danny. Sie und Tante Mati waren jetzt seit drei Wochen fest in Strawberry Cottage eingezogen. Sie kannten die Bewohner der Stadt schon seit ihrer Kindheit als ihr Onkel William sie immer in der Sommerferien zwei Wochen zu sich nahm. Pfarrer McAlroys Verhalten verriet, dass er etwas zu verheimlichen hatte, aber nur was? „Mati komm lass uns nach Hause gehen, ich mache uns einen Kaffee und wir können unsere neu ausgeliehenen Bücher sichten.“ „Du hast recht Danny, auf Wiedersehen Mrs Smith...“, ich freue mich auf ihren Mann wollte sie noch hinzufügen, verkniff sich es aber und ging neben Danny das Kopfsteinpflaster entlang, am Pfarrhaus vorbei zum Cottage. „Wir werden uns morgen einmal genau über den angeblichen Unfall informieren. Ist Inspector Spencer zurück aus seinem Urlaub?“ 12
„Du hast mir versprochen Danny in unserem neuen Altersruhesitz endlich zur Ruhe zu kommen und die Finger von der Polizei zu lassen.“ „Habe ich das Mati?“, Danny lächelte schelmisch und blieb vor einem bunten Feld aus Quadraten und Zahlen stehen. „Wann hast du zum letzten Mal Hüpfekästchen gespielt Mati?“ Mati lachte und die beiden nahmen sich an die Hand und sprangen die Hüpffelder waagerecht und senkrecht gemeinsam ab. Sie blieben eingehakt bis sie endlich zu Hause ankamen. „Ich muss noch meine Briefmarken sortieren für unser Treffen morgen Abend.“ sagte Mati beim Öffnen der Tür. „Nicht wichtig Mati, wir brauchen einen Plan. Irgendetwas stimmt hier nicht und das weißt du ganz genau. Ich kann das Verbrechen förmlich riechen. Lass uns erst einmal einen Porridge essen, dann kann ich besser nachdenken. „Na gut Danny, aber dann musst du mir 13
später bei den Marken helfen!“ Mati steuerte in die Küche. Die Dielenböden knarrten. Sie holte einen Kochtopf aus dem Schrank. „Bist du sehr hungrig?“ Doch anstatt einer Antwort saß Danny an ihrem Laptop und tippte aufgeregt in die Tasten. „Kannst du nicht später deine KennenlernPortale besuchen und mir lieber in der Küche helfen?“ „Bitte Mati, störe mich jetzt nicht. Ich muss dringend herausbekommen was damals passiert ist und durchstöbere gerade die alten Zeitungsarchive der Region.“ „Wenn du etwas herausgefunden hast, lass es mich bitte nicht wissen.“ Mati seufzte leise. Ihre Schwester würde sich nie ändern. „Du bist gemein Mati. Interessiert es dich denn gar nicht? Du kanntest die Nichte von Mrs Smith doch auch ganz gut. Hast du nicht sogar mal auf sie aufgepasst als sie klein war?“ „Kann sein, aber ich habe kein Bild mehr von ihr im Kopf. Ich weiß nur noch, dass sie 14
unglücklich verliebt gewesen sein soll.“ „Woher weißt du denn das?“ Danny schaute ungläubig über ihren Laptop hervor. „Sie hat es mir selbst gesagt. Etwa drei Wochen vor ihrem Unfall, als wir zu Besuch bei Onkel William waren. Du weißt doch noch, dass er uns immer seinen verknorksten Butler zur Fähre nach Dover geschickt hat? Ich kann Daniel, seinen Butler, bis heute nicht ausstehen.“ „Jetzt komm bitte zur Sache Mati!“, forderte Danny ihre Schwester auf und äugte bereits wieder auf ihren erleuchteten Bildschirm, der sie mehr zu interessieren schien als die langen abschweifenden Ausführungen ihrer Schwester. „Moment, so viel Zeit muss sein Danny Darling. Der gute Daniel hatte nämlich versucht einen Nylon-Strumpf im Handschuhfach zu verstecken, der aber noch etwas herausbaumelte. Ich sprach ihn daraufhin an und er wurde puderrot.“ „Was hat das mit der verschwundenen Nichte von Mrs Smith zu tun? Wie hieß sie noch gleich? Tracy?“ 15
„Du kannst dir aber auch gar nichts merken Schwesterlein. Ich hingegen merke mir Details, denn die Nichte von Mrs Smith, die übrigens Deborah hieß, trug genau diese Art von Nylonstrümpfen unter ihrem Rock.“ „Woher willst du das so genau gewusst haben?“ Danny wurde merklich unruhiger. Nicht nur, weil sie Hunger bekam, sondern weil sie merkte, dass Matis Ausschweifungen ohne Ziel waren. „Ich habe sie im Mieder-Geschäft an der Kasse getroffen.“ „In einem Mieder Geschäft. Mati jetzt geht aber die Phantasie mit dir durch. Was soll bitte eine 19-jährige in einem Mieder-Geschäft? Und jetzt sag nicht: Mieder kaufen.“ „Doch genau, das hat sie getan. Sie sagte für ihre Oma und gleichzeitig noch zehn Paare Nylon-Strümpfe.“ „Auch für ihre Oma? Die Kombi möchte ich gerne sehen.“ Danny lächelte. Mati fühlte sich etwas provoziert. „Nein, die hat sie für sich selbst gekauft und sie hat mir im vorbeigehen zugeflüstert, 16
dass man im Internet damit eine Menge Geld verdienen könnte.“ „Mit Miedern?“ „Nein mit getragenen Nylonstrümpfen. Irgendein Strumpf-Fetisch-Fanatiker würde dafür immer Unsummen bezahlen.“ „Warum haben wir das noch nicht gemacht Mati, wenn man damit so gutes Geld verdienen kann?“ „Weil wir vielleicht für solche Spielereien zu alt sind Danny Darling. Hast du schon mal auf den Tacho geschaut. Wir gehen auf die 70 zu.“ „Also du gehst auf die 70 zu. Ich bin noch Ü60!“ „Genau Ü68!“ „Du glaubst also der Butler unseres Onkels hat etwas mit dem Tod von Deborah zu tun, weil er ihre Nylonstrümpfe im Handschuhfach liegen hatte?“ „Ich glaube erst einmal gar nichts. Ich sammele Fakten.“ Die beiden Schwestern schauten sich an. Sie hielten immer zusammen, wie Pech und Schwefel, auch wenn sie oft anderer Mei17
nung waren. „Ich sammele erst einmal Zeitungsausschnitte und wenn ich etwas brauchbares gefunden habe, melde ich mich bei dir.“ „Was soll ich sagen Danny? Danke?!“
~ Inspector Spencer legte seine Füße auf den Schreibtisch. Es war bereits 1 Stunde und 53 Minuten nach Dienstschluss. Niemand außer dem alten Harry war noch im Polizeigebäude. Die Reinigungsfrauen waren bereits in seinem Dienstzimmer gewesen und hatten den Mülleimer geleert und grob durchgesaugt. Er war mit sich und seinen Gedanken allein. Niemand wartete zu Hause auf ihn. Niemand außer sein Goldfisch Sam. Er war mittlerweile lange genug allein. Zu lange traf es eher. Nicht, dass er sich einsam fühlte. Er hatte in der Dienststelle genug Papierkram zu erledigen, nette Kollegen. Er ging regelmäßig zum Tischtennis, Bowlen und Golf mit ehemaligen Klassenkameraden. Ihm fehlte gesundheitlich nichts. Ihm 18
fehlte es abends auf der Couch zu liegen und gemeinsam eine DVD zu schauen. Sonntags gemeinsam durch die Altstadt von Ryeshire zu spazieren und abends an den Strand nach Camber Sands zu fahren und Händchenhaltend den Sonnenuntergang zu beobachten. Wo war dieser jemand? Das Telefon klingelte. „Inspector, sind sie noch wach?“ „Dann wäre ich nicht sofort am Telefon Wilobby, was wollen sie so spät noch von mir?“ „Ähm, ja, wie soll ich es ausdrücken. Hier vor meiner Tür wartet eine Frau auf sie. Sie sagt, dass sie nicht zu Hause wären und schon mehrmals geklingelt hat.“ „Wilobby, wie sieht diese Frau aus oder noch besser haben sie sie gefragt wie sie heißt?“ „Aber Inspector, bin ich Polizist? Das müssen sie schon selber herausbekommen. Sie ist übrigens ausgesprochen attraktiv und sagt, dass sie auf ihr Inserat geantwortet hätte und sie heute Abend einen Termin zur Zimmerbesichtigung mit ihnen vereinbart hätte.“ 19
Inspector Spencer wäre fast von seinem Drehstuhl gefallen. Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Verdammt, das habe ich total vergessen. Sagen sie ihr, ich komme in 15 Minuten. Vielleicht können sie ihr ja einen Tee kochen? Marge wird sicherlich nichts dagegen haben. Willoby… hallo sind sie noch dran? Aufgelegt… einfach aufgelegt.“ Inspector Spencer legte seine Füße vom Tisch und den Hörer auf die Gabel. Heute morgen wurde extra das Haus aufgeräumt, nachdem er vorgestern das Inserat aufgegeben hatte. Er wollte zum Sommersemester sein Gästezimmer an Studenten vermieten. Entweder monatsweise, oder auch gerne ein ganzes Semester, um so seiner Einsamkeit vorzubeugen, dies empfahl ihm jedenfalls sein Therapeut. Er hatte den Termin total vergessen. Das Telefon klingelte wieder. „Willoby ich bin bereits unterwegs.“ „Das ist gut Inspector Spencer, ein Mädchen ist verschwunden. Ich bitte sie gleich zum Haus ihrer Eltern zu fahren.“ 20
Der Inspector erstarrte. Am anderen Ende der Leitung war nicht die Stimme von Willoby, sondern die rauchige Stimme der Polizeipräsidentin zu hören. „Aber natürlich sofort, entschuldigen sie bitte Madame. Ich dachte...“ „Sie sollen nicht denken, sondern arbeiten und ich hoffe, dass dies für sie kein Widerspruch ist.“ Inspector Spencer zerbrach den Bleistift in seiner freien Hand. Seit dem letzten Weihnachtsfest in der Polizeikantine verspannte er, sobald er die Stimme von Polizeipräsidentin Patricia Crumbell vernahm oder auch nur ihren Schatten an der Wand vorbeihuschen sah. Alle Nackenhaare stellten sich auf und die Ohren wurden angelegt. Mit anderen Worten: er konnte sie nicht ausstehen! „Das Mädchen wohnt etwas außerhalb von Ryeshire in der Nähe von Strawberry Cottage, wenn ihnen das etwas sagt?“ „Nein, das sagt mir gar nichts, aber danke, ich werde es schon finden.“ „Davon gehe ich aus Spencer, sie sind 21
schließlich Polizist, wenn auch kein guter.“ Inspector Spencer biss sich auf die Unterlippe bis es blutete. Er wollte ihr antworten, aber ließ es dann und tupfte sich mit einem Taschentuch das Blut ab. „Tillingham Avenue Nr. 75, Mr. und Mrs Harbour. Bitte seien sie diskret. Mr. Harbour leitet die Privatbank Green & Harbour. Eine von Englands größten Privatbanken und die größte hier in East Sussex. Die Familie hat mich privat kontaktiert und erwartet, dass die Polizei ihre Arbeit leise und diskret durchführt. Sie sollen herausfinden Spencer, ob das Mädchen nur untergetaucht ist bei Freunden oder vielleicht doch entführt wurde, wie es Mrs Harbour vermutet.“ „Und was ist, wenn sie…?“ „Schweigen sie Spencer, diesen Gedanken dürfen sie in der Gegenwart der Harbours niemals laut äußern. Haben sie verstanden?“ Jawohl Mrs Crumbell dachte Spencer und verfluchte ihre arrogante Art mit ihm zu reden, als wäre er ihr Leibeigener. 22
„Jawohl,… Mrs Crumbell… Mrs Crumbell?? Aufgelegt. Einfach aufgelegt...“ Spencer legte den Hörer beiseite auf den Tisch. Sein Griff ging automatisch in seine Lederjackentasche. Er war seit sieben Jahren Nichtraucher, aber in Stresssituationen verspürte er den inneren Drang eine Zigarette zu rauchen. Bei der nächsten Weihnachtsfeier fülle ich die freundliche Dame ab und saufe sie mit Punsch und Eierlikör unter den Tisch. Spencers Gedanken kreisten um die Anweisungen von seiner Chefin. Die Harbours verfügten also über gute Kontakte in den Polizeiapparat und wünschten verständlicherweise kein Aufsehen. Aber ein Gedanke ließ Spencer nicht los, was wäre wenn das Mädchen tot wäre? Er war seit zehn Jahren Leiter des Dezernates für vermisste und verschwundene Personen. Seine Kollegen vom Morddezernat sah er meistens nur in der Kantine drei Reihen neben ihm und verfolgte ihre lautstarken Gespräche von ihrem aufregendem Leben. Seine Aufregung beschränkte sich oft darauf tagelang 23
nach seinem verschwunden Kugelschreiber zu suchen. In den letzten zehn Jahren musste er nicht einmal Kontakt zu ihnen aufnehmen. Zugegeben seine Aufklärungsquote lag bei 38,3 %. Er wusste also nicht wie viele seiner Vermissten wirklich verschwunden oder vielleicht doch tot waren. Spencer schaute aus dem Fenster. Die Cinque Port Street lag verlassen vor ihm. Nur wenige Autos fuhren um diese Uhrzeit vorbei. Die meisten Bewohner Ryeshires saßen jetzt gemütlich zu Hause auf der Couch. Das Telefon klingelte erneut. Spencer überlegte sich, ob er wieder abnehmen sollte, wenn es die Polizeipräsidentin wäre, würde sie wissen, dass er noch nicht losgefahren war. Und Willoby? Verdammt das Mädchen auf Willobys Couch. Er würde zuerst einen Abstecher nach Hause machen und dann zu den Harbours fahren. Die Tochter der Harbours konnte ruhig noch etwas warten, sie war ja eh verschwunden. Inspector Spencer klappte sein Notebook zu und schaltete das Licht seines Dienstzimmers 24
aus. Das Telefon klingelte noch immer. Er trat durch die Tür und hörte wie der AB anging. Er hatte ja bereits lange Feierabend und seine Sekretärin Miss Port hatte sicher viel Freude beim Abhören des Anrufbeantworters morgen früh. Der AB piepte zur Sprachaufnahme, während Spencer die Treppen zur Parkgarage hinunterging. Nach dem dritten Piepton nahm das Band die Sprachnachricht auf. Eine leise flüsternde und brüchige Stimme ertönte und räusperte sich: „Bitte helfen sie mir Mr. Spencer… ich...“ Die Aufnahme brach ab. Der Speicher des AB war voll. Der Anrufbeantworter leuchtete blutrot im dunklen Dienstzimmer und blinkte hilfesuchend in die Nacht.
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Autor:
Carsten Krause (Jg. 1976), Papa, Sauerländer, Verleger, Geschichtenerfinder, Schriftsteller, Schreib-, Musik- und Theaterpädagoge, Leiter der KinderKunstSchule – Unkel.
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