Aria von Arenfels - Sommersonnenwende (Bd. 1) von Carsten Krause

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CARSTEN KRAUSE

Aria von Arenfels Sommersonnenwende LESEPROBE Historische Romanserie Band 1

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Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.

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Für Andrea & Arian

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„Habt ihr die Post schon geöffnet Prinzessin Aria?“ „Nein ich habe sie verbrannt Lianne.“ „Verbrannt? Aber, Baron Eskobar erwartet doch sicher eure Antwort!“ „Dann schreib du sie ihm!“ Aria lief zum Brunnen und setzte sich an den schattigen Rand. Sie blickte hinab in den Brunnen, den bereits seit Jahrhunderten ihre Vorfahren nutzten, um zu trinken, Bier zu brauen, zu waschen und zu baden. Aria liebte das Bad. Wenn ihre nackte Haut von Wasser umgeben war und sie zu schweben schien, dann war dies ein Zustand der Glückseligkeit für sie. „Schreib ihm: Lieber geliebter Eskobar, ich sitze gefangen in der Folterkammer des schwarzen Barons auf einer Insel im Rhein. Rette mich!“ „Sie machen sich über ihn lustig Prinzessin Aria!“ „Mitnichten teuerste Zofe, aber ich hasse seine Briefe. Kein Wort über mich. Keine 5


Frage wie es mir geht, oder was ich gemacht habe. Geschweige denn von dem, was ich denke und fühle. Im Gegenteil. Ich lese nur von einer Jagdtrophäe nach der anderen, die er für mich geschossen hat. Dabei liebe ich Tiere.“ „Passt auf. Eskobar beauftragt sicher sofort Söldner, um die Burg des schwarzen Barons anzugreifen, um Euch zu befreien.“ Lianne folgte der Prinzessin zum Brunnen. Sie beobachtete Aria, die sich an den Rand des Brunnens gesetzt hatte. Ihre langen braunen Haare wehten im Sommerwind. Lianne bewunderte Aria schon seit ihrer Kindheit. Sie war eine wunderschöne Prinzessin. Ihr lagen die Jungen und Männer zu Füßen, aber sie ließ niemanden mehr seit dem Tod ihres Vaters an ihren Gedanken teilhaben. Es war wie eine verschlossene Tür und Aria schien den Schlüssel zu ihrem Herzen für immer verloren zu haben. 6


Lianne spürte den vibrierenden Hufschlag und hörte das Schnauben der Pferde und schaute den Weinberg hinab, während sich eine Kutsche ihren Weg aus Hönningen hinauf zum Schloss kämpfte. Die vierspännige Kutsche war voll beladen mit Paketen und hielt genau vor dem Haupttor von Schloss Arenfels. „Bist du sicher, dass Eskobars Familie nicht doch bereits im Reich angekommen ist? Vielleicht haben sie ihre Reise bereits früher begonnen?“ „Dann hätten sie dem Postmeister sicherlich eine telegrafische Nachricht zukommen lassen. Ich weiß nicht wer uns besucht. Großvater hat keinen Besuch angekündigt.“ Prinzessin Aria und ihre Zofe liefen über den Schlosshof zum Hauptportal. Der Kutscher war bereits abgestiegen und begann die mitgebrachten Gepäckstücke abzuladen. Aria hoffte, dass es nicht Eskobar war, der sie bereits frühzeitig besuchte. Sie beob7


achtete, wie der Kutscher die unzähligen Gepäckstücke behend auf einen Karren lud und in ihre Richtung fuhr. Er war braun gebrannt und hatte schulterlanges Haar. Als sie ihn erblickte, kam es ihr vor, ihn schon ewig zu kennen. Ihr Herz pochte und ihr stieg das Blut in die Wangen während er sich den beiden Frauen näherte. Er stellte den Karren frech direkt vor Aria ab. Sie nahm seinen Körpergeruch/Duft wahr und ihr Gehirn versuchte diesen betörenden Sinneseindruck irgendwie zu verarbeiten und einzuordnen. Noch nie hatte sie einen so gut riechenden Menschen vor sich gehabt. Sie konnte gar nicht genug davon bekommen. In der Kutsche bewegte sich der Fenstervorhang. „Kutscher, würden sie mir bitte aus diesem abscheulichen Gefährt hinaushelfen?“ Aria war erleichtert. Sie erkannte die Stimme. Der Kutscher drehte sich um und öffnete die Tür. Erst sah man nur einen Fuß, 8


dann eine Hand mit weißen Handschuhen. Comtesse Arabelle von Arenfels entstieg der Kutsche. „Lass dich anschauen mein Kind. Du siehst umwerfend aus, wie eine Braut.“ „Maman verzeih, aber ich bin keine Braut!“ „Ach was du nicht sagst und warum spricht das halbe Dorf, ach was sage ich das halbe Land von nichts anderem mehr als über deine Vermählung mein Kind?“ „Nichts als Gerede und Geschwätz. Ich werde nie heiraten.“ „Aber Aria, wie kannst du so etwas sagen dein Vater und ich werden noch vor Gram sterben.“ „Stiefvater.“ „Ach jetzt werde aber nicht kleinlich mein Kind!“ Lianne trug die Besorgungen der Comtesse, vornehmlich neue Hüte in allen erdenklichen Farben und Formen. Dabei vergaß sie nicht sich noch einmal umzudrehen und dem jungen Kutscher Philip9


pe in die Augen zu schauen und ihn anzulächeln. Dieser lächelte verlegen zurück, während er die Pferde versorgte und in Richtung der Stallungen ging. Liannes Herz bebte. Hoffnungsvoll sah sie ihm hinterher, aber Philippe drehte sich nicht nach ihr um. „Lianne, wo bleiben sie denn? Hüte vertragen keine Sonne wissen sie dies denn nicht? Schnell bringen sie die neue Kollektion von Fabrizio aus Venedig in mein Gemach und dann bitte den Tee auf die Sonnenterrasse. Es ist heute so ein herrlicher Tag, den wir nicht in dem muffigen alten Kasten verbringen sollten.“ Lianne stolperte hinter den beiden Frauen her. Aria wagte nicht, sich in Gegenwart ihrer Mutter und Zofe umzudrehen, dies wäre nicht standesgemäß gewesen und schickte sich nicht. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die blauen Augen von Philippe genau vor sich. Sie waren kristallblau und geheimnisvoll wie das Meer. Eine Erinnerung für den Moment in dem sie sich 10


zu verlieren schien. „Wie findest du meinen neuen blauen Hut? Den alten hatte ich bereits ein Jahr und schon drei Mal getragen. Très chick, nicht wahr?“ Aria wurde aus ihren Gedanken gerissen und schaute sich die breite Krempe des Hutes genau an. Sie wippte bei jedem Schritt. Lianne ging schwer bepackt an den beiden Frauen vorüber und verschwand hinter der Tür zum zwölften Turm. „Sehr schön Maman, aber jetzt verzeiht. Ich bin müde und muss mich einen Augenblick zurückziehen. Wir sehen uns beim Abendessen im Großen Saal.“ Noch ehe ihre Mutter antworten konnte, lief sie ihrer Zofe Lianne in den zwölften Turm nach. In diesem Turm befanden sich seit den Renovierungsarbeiten am Schloss vor sechs Jahren alle Schlafgemächer der Familie von Arenfels. Das Gemach ihrer Mutter lag im Westflügel des Turms. Arias Zimmer befand sich ganz oben unter dem 11


Dach und besaß einen Panoramaausblick über das gesamte Rheintal. Sie konnte dort sowohl den Sonnenaufgang als auch Untergang bewundern und jede Jahreszeit warf ein anderes Licht durch die Fenster an die Wand. Aria stieg die 97 Stufen empor bis zu ihrem Schlafbereich in dem früher bereits ihre Urgroßmutter als junge Frau vor ihrer Hochzeit gelebt hatte. Ein Bild ihrer Urgroßmutter hing über ihrem Bett. Sie war eine schöne und stolze Frau gewesen. Ihr Großvater schwärmte heute noch von seiner Mutter. Sie war sehr liebevoll und fürsorglich. Aria hätte sie gerne einmal kennen gelernt. Lianne war nirgends zu entdecken. Weder in ihrem Zimmer noch in den Wirtschaftsräumen. Arias Herz pochte wie wild, nicht nur vom Treppensteigen. Ihr langes blaufarbenes Kleid blieb mehrmals in den Stäben der eisernen Treppe hängen. Aria spürte genau auf was sie sich da ein12


ließ. Jeder Schlag ihres Herzens verriet ihr den Weg. Sie wollte ihn gehen und am Ende fest in seinen Armen gehalten werden. Für immer. Nach dem Augenblick ihrer flüchtigen Begegnung hatte er sich bereits nach wenigen Minuten einen festen Platz in ihrem Herzen ausgesucht. Mit jedem Herzschlag wurde dieser Platz fester verankert. Aria wusste nicht was mit ihr geschah, aber sie spürte, dass es etwas war, was sie ihr Leben lang gesucht hatte. Durch die kleinen Fenster des mächtigen Turmes zogen rötliche Lichtstrahlen. Die Sonne schien bereits unterzugehen. In ein paar Wochen ist die Sommersonnenwende, dachte Aria. Der Tag an dem sie Volljährig würde. Der Tag an dem die Familie von Eskobar auf Arenfels auf dem Schloss ihrer Familie erwartet wird. Sie musste sich beeilen. Ihr Leben schien bereits heute seit der flüchtigen Begegnung mit Philippe eine andere Wendung genommen zu haben.

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Aria legte sich mit ihrem Kleid auf das große weiß bestickte Himmelbett. Ihr Großvater hatte ihr nach dem Tod ihres Vaters unter der Zimmerdecke hölzerne Sterne aufhängen lassen, welche mit bunten venezianischen Glaskristallen verziert wurden. Immer, wenn die Abendsonne durch die Turmfenster schien, funkelten die Sterne in allen Farben des Regenbogens. Aria liebte diesen Moment des Tages und wollte ihn gerne mit jemand gemeinsam teilen, aber außer ihrer Zofe Lianne durfte niemand das Schlafgemach der Prinzessin betreten. Nicht einmal ihre Eltern. Nach dem Wunsch ihrer Mutter würde sie nach der Sommersonnenwende diesen Ort mit Eskobar teilen müssen. Es war der Wunsch ihrer Mutter, aber nicht der Wunsch ihres Herzens. Würde sie sich dem Wunsch der Familie fügen können, aber ihn später bitterlich bereuen? Die leuchtenden Regenbogenstrahlen tauchten das Zimmer der Prinzessin in ein 14


Meer aus Millionen Farben. Auch wenn sie bald erwachsen sein würde, dieses Farbenspiel wollte sie nicht missen und falls sie einmal fortziehen müsste von Schloss Arenfels, dann kamen die Sterne ihres Großvaters auf jeden Fall mit. Aria wurde traurig. Niemals wollte sie fort von Schloss Arenfels, dem Schloss ihrer Kindheit und Vorfahren. Sie kannte auf dem Weinberg jede Rebe. Jeden Stein auf der Mauer. Jeden Ausblick aus den 365 Fenstern. Das Schloss besaß so viele Fenster, wie das Jahr Tage hatte. Seit dem Tod ihres Vaters, der bei den Aufständen 1849 sein Leben verlor, war ihr Großvater zum Vormund bestellt worden. Ihre Mutter liebte das Reisen so sehr, dass sie nur wenige Tage im Jahr auf Arenfels verbrachte. Sie zog es gen Süden in die großen Städte des Mittelmeers und an den Hof des Habsburger Kaisers Franz Joseph. Ein Leben auf Arenfels war ihr zu eintönig, sie liebte den mondänen Glanz des Hofes. Ihre Mutter zog bereits eine 15


Woche nach dem Tod ihres Mannes nach Rom. Aria hatte sie danach erst drei Jahre später wieder gesehen Am Sterbebett ihrer Großmutter. Sie kannte es nicht anders ohne Eltern aufzuwachsen, aber ihr Großvater tat alles dafür, dass sie nichts zu vermissen brauchte. Am wichtigsten war ihm die Erziehung und Bildung des Geistes und des Körpers und so engagierte er mehrere Hauslehrer, die Aria nicht nur Mathematik und Sprachen beibringen sollten, sondern auch Fechten, Töpfern und Angeln. Aria liebte Tiere und die Natur über alles. Sie zog im Sommer stundenlang alleine durch die Wiesen und Felder neben dem Schloss. Schaute sich alles genau an und machte von jedem neuen Tier und jeder neuen Pflanze eine Zeichnung. Sie hatte von ihrem Großvater ein Herbarium geschenkt bekommen und sie presste und trocknete die gefundenen Pflanzen und Blüten darin, um sie Abends mit ihrem Großvater in der großen Schlossbibliothek 16


zu bestimmen. Dort befand sich der wahre Schatz von Schloss Arenfels. Die unzähligen wertvollen Bücher, welche die Familie bereits seit Jahrhunderten sammelte. Darunter waren auch naturwissenschaftliche Werke von Carl von Linné, den ihr Großvater sehr verehrte. Ihre verstorbene Großmutter liebte jegliche Art von Literatur. Sei es Unterhaltungsliteratur, Reisebeschreibungen und Romane. Sie hegte und pflegte sie in einer gemütlichen Bibliothek. Einmal im Monat mussten alle Bediensteten von Schloss Arenfels die 6500 Bücher von Staub und Spinnweben befreien. Es gab regelmäßige Lesesalons in denen die eingeladenen Gäste, der umliegenden Burgen und Schlösser, sich über die neuesten Anschaffungen gegenseitig austauschten. Das alles war nach dem Tod der Großmutter lange vorbei und Aria vermisste es sich mit Gleichgesinnten über Literatur zu unterhalten. 17


Arias Liebslingsbücher waren Romane. Ihre Lieblingsschriftstellerin Agnes Bennet und Mary Braddon. Aria erschrak. Ein lauter Knall riss sie aus ihren Gedanken und Träumen. Die Sonne stand bereits so tief, dass die Sterne an der Zimmerdecke ihre Leuchtkraft verloren hatten. Was war das? Sie hörte draußen vor ihrem Zimmer schwere Schritte die eisernen Turmtreppe heraufkommen. „Aria, kommen Sie bitte schnell!“ Aria sprang von ihrem Himmelbett. Es war die Stimme von Edward, dem letzten Torwächter von Schloss Arenfels. Sie riss die Tür auf. Edward stand ganz außer Atem vor ihr. „Bitte beeilen Sie sich, ihr Großvater hatte einen Unfall.“ „Was ist denn passiert? Er war doch vor der Ankunft von Maman noch im Weinberg.“ „Ja, das war er, aber wie es der alte Mann 18


gerne mal macht mit seiner rostigen Flinte aus Urgroßvaters Waffenkammer. Er hatte zu viel Schießpulver geladen, welches sich gerade eben an seiner Pfeife entzündet hatte. Es ist nicht so schlimm wie es aussieht, aber wir haben vorsorglich nach Dr. von Bringkh schicken lassen. Er hat leichte Verbrennungen an den Händen und im Gesicht. Es ist besser wenn sie bei ihm sind. Sie wissen ja, das alte Rauhbein wird schnell ungemütlich, wenn er Schmerzen hat.“ Aria wusste was Edward meinte. Großvaters Wutausbrüche waren legendär und an manchen Tagen schallten sie über die Schlossmauern bis hinunter ins Hönninger Dorf, so dass sogar die alten Frauen unterhalb des Weinberges in ihren Betten zusammenzuckten und die Hunde zu Winseln begannen. Nur Aria gegenüber war ihr Großvater noch nie zornig gewesen und so holten die Bediensteten des Schlosses sie sehr gerne dazu, wenn wieder mal etwas passiert war. 19


Aria folgte Edward die Turmtreppen hinunter. Im Erdgeschoss kam ihr Lianne entgegen. Auf ihren Haaren befanden sich zwei Strohhalme. Sie lächelte Aria an. Diese verstand sofort und schwieg. „Komm mit, dein Großvater befindet sich im Weinkeller. Die Kälte und natürlich der Wein helfen ihm gegen die Schmerzen bis der Arzt aus dem Dorf kommt. Er hat bereits drei Kristallgläser an die Wand geworfen, wenn er so weiter macht ist die Aussteuer deiner Großmutter in tausend Stücke zersprungen.“ Aria lief über den Schlosshof und ging die dunkle Treppe zum Weinkeller hinunter. Eigentlich ging sie diesen Weg niemals alleine, denn sie gruselte sich vor Spinnen und Geistern. Aber der einzige Geist, der in diesen Gemäuern hauste war der Geist des Weines. Ihr Großvater liebte es, ihr abends vor dem zu Bett gehen Spukgeschichten zu erzählen. Die hatten sie ihre gesamte Kindheit geprägt. Während sie den modrigen 20


Geruch von altem Holz und vergorenen Wein wahr nahm, hörte sie bereits die Stimme ihrer Maman, die auf ihren Vater einredete. „Gisbert, jetzt stell dich nicht so an wie ein Ochse. Setz dich auf den Schemel und warte auf den Doktor. Es nützt nichts Gläser an die Wand zu werfen, auch wenn Scherben bei einer Verlobung Glück bringen. Soll deine Enkelin und meine Tochter denn gar keine Aussteuer mit in die Ehe bringen?“ „Jetzt pass mal gut auf: so lange ich Schmerzen habe, werfe ich ich hier mit so vielen Gläsern wie ich will. Deine Mutter, Gott hab sie selig, hat sie mit in unsere Ehe gebracht. Aria ist weit entfernt von einer Verlobung, geschweige denn von einem Bräutigam und dich interessiert ja nur, dass du eine gute Partie für sie findest. Lass das Mädchen ihren eigenen Weg gehen. Sie wird einmal das Schloss erben. Wofür benötigt sie einen Mann? Das Weingut und die verpachteten Höfe 21


und Ländereien bringen so viel Profit, damit kann sie gut allein und unabhängig durchs Leben kommen.“ „Das ist ja unerhört. Du willst mir vorschreiben, was mein Kind zu tun hat? Du magst ein mächtiger Baron sein für deine Untertanen und Ländereien, aber du entscheidest niemals über mein Kind.“ Prinzessin Aria versuchte den Atem anzuhalten, noch drei Treppenabsätze fehlten bis zur Gewölbehalle, die in ein Meer aus Kerzen getaucht war. Sie sah die Schatten ihrer Maman und ihres Großvaters an der feuchten Wand des Kellers. Etwas ließ sie zögern, tiefer nach unten zu gehen. Sie wollte dem Gespräch der beiden weiter lauschen, als plötzlich jemand in ihre Seite zwickte. Lianne stand direkt hinter ihr. Sie hielt ihr den Finger vor den Mund und schaute ihr in die Augen. Sie setzten sich auf die kalten feuchten Stufen. Das Holz knarrte unter ihrem Gewicht, aber die beiden Streithähne schienen sie nicht zu bemerken. 22


„Das Schloss alleine als Frau zu halten, wie soll sie das ohne Mann schaffen? So viele Goldmünzen hast du auch nicht mehr in deiner Schatzkammer.“ „Dann plündern wir halt noch eine Burg an der Mosel. Vielleicht die von Kunibert meinem Vetter dritten Grade, den konnte ich noch nie ausstehen. Jedes Jahr zu Weihnachten schickt er mir ein Fässchen eingelegter Gurken, der alte Geizhals. Er weiß ganz genau, dass ich saure Gurken hasse. An seinen Fässchen Rotwein von der Mosel hätte ich allerdings nichts auszusetzen.“ „Seit wann trinkst Du Moselwein? Ich dachte Du verträgst nur die Reben, die rund um Arenfels wachsen und die dicken roten Trauben aus Unkel? Die Zeiten in denen unsere Vorfahren plündernd und brandschatzend durch die Lande zogen sind lange vorbei mein Lieber! Unser Einfluss im Heiligen Römischen Reich ist durch die politischen Umbrüche der letzten Jahre geringer geworden, wenn nicht 23


sogar gänzlich zum Erliegen gekommen. Gewöhn dich an die neue Zeit und an den Gedanken für Geld auch zu arbeiten!“ „So wie du mein liebes Kind? Wie viele Stunden hast du noch mal den Stall gemistet für die neuen Hüte aus Paris?“ Der alte Baron lachte. Sein grollendes Lachen schallte durch den Weinkeller. Sein anfänglicher Zorn schien verflogen. „Wie lange soll ich hier unten bei Kerzenschein noch auf meinen Tod warten?“ „So schnell stirbt es sich nicht mein lieber Baron von Arenfels.“ Dr. von Bringkh kam langsam die glitschigen Stufen des Weinkellers herunter. Er ging vorbei an Aria und ihrer Zofe und deutete ihnen an zu schweigen. „Bevor du stirbst, vergiss bitte nicht meine Rechnung zu bezahlen. Du kannst mir aber auch gerne ein Glas Wein anbieten, während ich mir deine Verbrennungen anschaue. Würden sie uns bitte für einen Moment alleine lassen ehrenwerte Comtesse von Arenfels!“ 24


„Selbstverständlich Dr. von Bringkh.“ Arias Mutter errötete. Sie hoffte in der Dunkelheit des Weinkellers, dass niemand dies bemerken würde. Aria und Lianne beschlossen ihr Versteck auf den Treppenstufen aufzugeben und zurück ins Sonnenlicht zu gehen. Aria war erleichtert, dass ihr alter Großvater den Unfall gut überstanden zu haben schien. Sie schlichen die Treppen hinauf und gingen zur Mauer, die den Blick auf das Rheintal freigab. „Sei mir nicht böse Lianne, aber ich wollte dich schon im Turm fragen, was machten die beiden Stohhalme in deinem Haar?“ Lianne erschrak. „Oh, liebe Prinzessin Aria bitte sprecht mich nicht darauf an. Ich wollte vorhin die Pferde tränken, die nach der langen Fahrt mit eurer Mutter sicherlich sehr durstig waren. Nachdem ich einen Eimer in den Trog geschüttet hatte, ist doch der Unhold Philippe von hinten gekommen und hat mich in den Strohhaufen ge25


schmissen.“ „Aha, natürlich ganz plötzlich und unvorbereitet. Hast du ihn nicht gehört? Die Pferde müssen doch reagiert haben?“ „Nein, haben sie nicht. Glaubt Ihr mir etwa nicht?“ Aria schaute ihrer Zofe tief in die Augen. Sie kannte sie seit ihrer Kindheit. Sie waren wie zwei Schwestern aufgewachsen und hatten eigentlich keine Geheimnisse voreinander. Eigentlich. Bis heute. „Ich glaube Dir“, log Aria. Ihre Augen blitzten. Sie wusste nicht, warum sie Lianne anlog, aber sie beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. „Komm lass uns einen kleinen Spaziergang durch die Weinberge machen.“ „Sehr gerne Prinzessin, aber ich habe Durst, lasst uns vorab noch in die Küche gehen, da hat Gertrud unsere Küchenfee sicherlich noch ein kühles Getränk für uns. Vielleicht noch frisches Limonenwasser, oder noch besser Blaubeersaft.“ 26


Aria sprang von der Mauer und rief: „Wer zuerst bei Gertrud ist...“ Sie lief los, aber sie kam nicht weit, denn sie lief geradewegs in die Arme von Philippe, der mit einer Karre voller Hafer auf dem Weg in den Stall war. „Nicht so stürmisch Euer Hoheit.“ Aria strauchelte und fiel in den Haferhaufen. „Kannst du nicht aufpassen, Du… Du Stallbursche. Ich lasse dich in das tiefste Verlies meines Großvaters sperren bei Wasser und Brot...!“ „Aria es reicht.“ Arias Großvater kam zusammen mit Dr. von Bringkh aus dem Weinkeller. Beide hielten ein gut gefülltes Roteinglas in der Hand. Sie richtete ihr Kleid und schaute Philippe verächtlich an. „Ist dies Dein heutiges Tagesziel, so viele Mädchen wie du kannst in Stroh und Hafer zu werfen?“ Ihre Augen funkelten und Philippe konnte 27


sich ein Lachen nicht verkneifen. „Verzeiht Prinzessin, aber Ihr seid ohne zu schauen in mich hineingerannt...!“ „Philippe steh nicht herum und mach Deine Arbeit und Du Aria kommst bitte mit mir und dem Doktor in die Bibliothek. Ich habe Dir etwas wichtiges mitzuteilen.“ „Ich Dir auch Großvater Du sollst nicht so viel Rotwein trinken, das hat Dir doch dein Hausarzt verboten.“ Dr. von Bringkh lächelte Aria an. „Gewiss das hat er teuerste Aria, aber im beisein eines so erfahrenen Mediziners wie mir passe ich darauf auf, dass der Wein nur in winzigen Schlucken verköstigt wird, nicht wahr Baron?“ Arias Großvater nickte stumm und trank sein Glas in einem Zuge leer. „In etwa so werter Herr Dokotor?“ „Äh, ja fast.“ Dr. von Bringkh goss sein Glas in den Brunnen und schaute über das vor ihm liegende Rheintal. 28


„Herrlich dieser Ausblick von hier oben. Sie sind wirklich zu beneiden.“ „Über den Ausblick oder über meine hübsche Enkelin?“ Arias Großvater lächelte sie an. „Wir müssen vor deinem Geburtstag dringend über deine Zukunft reden Aria. Deine und die Zukunft von Schloss Arenfels!“ Aria nickte und hoffte insgeheim, dass ihre Zukunft nicht bedeutete mit Dr. von Bringkh verheiratet zu werden.

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Autor:

Carsten Krause (Jg. 1976), Papa, Sauerländer, Verleger, Geschichtenerfinder, Schriftsteller, Schreib-, Musik- und Theaterpädagoge, Leiter der KinderKunstSchule – Unkel.

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