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Caroline Opatz
Magisch geheimnisvoll wie Staub ROMAN LESEPROBE
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1. Es war ziemlich voll auf dem Weihnachtsmarkt. Überall standen Leute und redeten und lachten oder drängten sich durch die Menge und aus den zahl-reichen Buden tönten Weihnachtslieder. Es roch nach gebrannten Mandeln, Lebkuchen, Punsch und kalter Winterluft. Ich schlenderte zum Getränkestand und entdeckte hinter dieser noch eine weitere Reihe an Ständen. Nachdem ich mich erfolgreich durch das Gedränge bis zur Theke vorgeschoben hatte, wandte ich mich nun vorsichtig auf meinen Kakao achtgebend einem schmalen Gang zwischen zwei Läden zu und gelangte auf einen kleineren Weg. Meinen Kakao schlürfend schlenderte ich ein Stückchen weiter, da meine Mama möglicherweise doch auf mich wartete. Also kehrte ich durch den schmalen Gang zwischen den beiden Buden zurück, als ich plötzlich auf dem vereisten Boden ausrutschte. Zum Glück konnte ich mich noch auffangen, aber mein rechter Arm wurde dabei ruckartig nach hinten gezerrt, so als würde jemand an mir ziehen, was mich ganz aus dem Gleichgewicht brachte. Ohne mich umzudrehen hielt ich mich an einem Mülleimer fest, um nicht hinzufallen. Aber mit einem Mal lockerte sich mein Arm wieder und ich fiel unsanft auf den harten Boden. »Aua«, stöhnte ich und sah mich verdutzt um.
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Ich war auf meinem Ellbogen gelandet, der schrecklich schmerzte. »Was sollte das denn?«, rief ich wütend und wandte den Kopf, aber da war niemand. Ein junger Verkäufer vom Kuscheltierstand kam angelaufen und half mir hoch. »Alles klar bei dir?«, fragte er besorgt. »Es ist hier schon ziemlich glatt!« »Danke«, sagte ich und rieb mir den Ellenbogen. »Aber mich hat doch jemand festgehalten... Am Arm, um mich nach hinten zu ziehen!« »Nein hier war aber niemand.« Der Verkäufer blickte sich genauso verwundert um wie ich. »Du bist bloß ausgerutscht und hattest dich tatsächlich etwas eigenartig nach hinten gelehnt.« Er grinste, obwohl ich das gar nicht witzig fand. »Das sah aus, als habe jemand an dir gezogen, da hast du recht. Ich dachte schon du wirst bewusstlos. Ich habe mich echt erschrocken.« Der Mann blickte mich jetzt wieder besorgter an. »Hast du dir denn gar nicht wehgetan?« »Nein«, sagte ich etwas abwesend, obwohl das nicht stimmte, denn mein Ellenbogen tat immer noch ziemlich weh. Ich bedankte mich erneut bei dem Verkäufer und verabschiedete mich. Während ich mir den restlichen Schnee von meiner Hose klopfte, blickte ich mich ein letztes Mal zu allen Seiten um. Seltsam. »Linea!«, rief plötzlich eine bekannte Stimme und riss mich so aus meinen Gedanken. Ich wandte
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meinen Kopf zur Seite und entdeckte meine Mutter am Ende der schmalen Gasse zwischen den zwei Ständen. »Linea, jetzt komm doch bitte! Wir wollen langsam nach Hause.« Ich seufzte und dachte mir insgeheim, dass ich es nicht gewesen war, die mit meiner seltsamen Freundin ewig lange, unnötige Gespräche geführt hatte. Als ich bei ihr angekommen war, machten wir uns gemeinsam auf den Weg zum Ende des Weihnachtsmarktes. »Ich dachte, du wolltest dir noch was zu trinken kaufen«, merkte meine Mutter an und sah fragend auf meine leeren Hände. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich meinen Kakao nicht mehr in der Hand hielt. Ich musste ihn wohl bei dem Sturz verloren haben. Der Becher lag da sicher noch. »Ach so ja, ich habe mir auch was gekauft. Einen Kakao, den habe ich aber schon ausgetrunken«, sagte ich unsicher und war ehrlich verwundert. Irgendwie hatte ich nicht das Gefühl, den Becher verloren zu haben. Es war, als hätte ihn mir jemand weggenommen. Wind kam auf und der Schnee knirschte unter unseren Stiefeln. Meine Mutter zog den Reißverschluss ihrer Jacke noch etwas höher, doch mir wurde auf einmal ganz heiß. Wo war der Becher hin? Es war mir ein Rätsel, wie er verschwinden konnte. Er musste verschwunden sein und nicht verloren. Ich merkte wie mir ein Schauder über den Rücken lief und sich eine Gänsehaut ausbreitete.
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Trotzdem... Abrupt blieb ich stehen und blickte zurück zum Weihnachtsmarkt. Ich musste noch einmal zurück und den Verkäufer vom Kuscheltierstand fragen, ob er wirklich nichts gesehen hatte. Möglicherweise hatte er beobachtet, wo der Becher gelandet war. Ich drehte mich um und rannte ohne ein Wort auf der asphaltierten Straße, die nach dem Kehren wieder zugeschneit war, Richtung Weihnachtsmarkt. »Linea! Was machst du? Jetzt komm!«, rief meine Mutter hinter mir her. »Bin gleich wieder da, habe nur was vergessen!«, antwortete ich bereits jetzt schon außer Atem und hastete so schnell, wie der rutschige Untergrund und die letzten Menschengruppen es ermöglichten, davon. »Du bist in zehn Minuten wieder zuhause! Hast Du mich verstanden?«, rief mir meine Mutter nach, was ich jedoch nur mit einem Nicken beantwortete und ich bezweifelte, dass sie das gesehen hatte. Ich schlängelte mich zwischen den nun fast menschenleeren Buden hindurch immer weiter Richtung Getränkestand, wobei ich mich ganz dicht am Rand hielt, an dem kein Eis lag, um nicht wieder auszurutschen. Der Verkäufer vom Kuscheltierstand war gerade dabei seinen Stand zu schließen und wollte schon gehen, als ich auf ihn zukam und ihn aufhielt. »Entschuldigung, ich muss Sie noch einmal etwas fragen.« Ich war völlig aus der Puste und stützte mich am Tresen seiner Bude ab.
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»Erst einmal musst du durchatmen, ganz ruhig«, sagte der Verkäufer mit einem freundlichen Lächeln. Bis mein Atem sich allerdings wieder beruhigt hatte, wollte ich aber nicht warten. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. »Irgendetwas stimmt hier nicht«, keuchte ich also. »Ich hatte doch vorhin einen Kakao in der Hand, oder?« »Ja, ich glaube schon. Wieso ist das so wichtig?«, fragte er mich. »Als ich zurückgegangen bin, bin ich doch hingefallen und davor wurde mein Arm nach hinten gezogen! In der Hand hatte ich aber noch den Kakao und als ich dann auf den Boden gefallen bin, hatte ich keinen Becher mehr in der Hand -« »Okay ganz ruhig.« Hätte der Mann mich nicht unterbrochen, hätte ich wohl noch ewig weiter geredet. »Du bist dir also sicher, dass du ihn auf dem Rückweg in der Hand hattest?« Er schaute mich nachdenklich an. »Ich meine, das ist doch nicht so schlimm -«, fing er an, aber da unterbrach ich ihn. »Mein Problem ist nicht der Kakao. Der ist mir völlig egal. Ich frag mich nur, wo er hingekommen ist«, erwiderte ich aufgebracht und war noch längst nicht in der Lage zu verstehen, dass der Verkäufer mich möglicherweise nicht so ernst nahm wie es zunächst den Anschein hatte. »Also als ich zu dir kam, war da kein Becher und auch kein ausgelaufener Kakao. Tut mir leid, da
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kann ich dir leider nicht weiterhelfen.« Ich seufzte, verabschiedete mich wieder von dem freundlichen Verkäufer und ging zwischen den beiden Buden hindurch, durch die ich gekommen war. Extra langsam, um nicht wieder auszurutschen. Und da passierte es wieder. Als würde jemand wie wild an mir zerren, wurde mein Arm nach hinten gezogen und kurz darauf wieder losgelassen. Ich stolperte und stützte mich an einem Stehtisch, der am nächsten stand, ab. Mein Herz raste. Was zur Hölle war das? Ich sah mich nach hinten um, kam mir dabei aber endgültig dumm vor. »Du gehst jetzt besser nach Hause. Es ist schon fast ganz dunkel. Und geh langsam, wenn du dir nicht noch alle Knochen brechen willst.« Der Verkäufer wirkte ebenfalls etwas verwirrt, war jedoch besser darin, seine Verwunderung zu überspielen als ich. Er zwinkerte mir zu, als wäre das alles nur ein Spaß, und ging.
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Seit Dezember 2018 im Casimir-Verlag ISBN 978-3-940877-32-1 www.casimir-verlag.com
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