Mocca&Jay - Erdbeersommer Leseprobe von Carsten Krause

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Carsten Krause, Jg. 1976, gründete nach seinem Studium die KinderKunstSchule-Sauerland (KiKuSS) und arbeitet als Musik-, Theater- und Schreibpädagoge. Seit 2006 verlegt er Kinder- und Jugendbücher im Casimir-Verlag und leitet unter anderem Casimirs-Geschichten­ erfinder-Werkstatt, ein Schreibkurs zum Kreati­ ven Schreiben für Kinder, Jugendliche und Er­ wachsene. „Mocca & Jay- Erdbeersommer“ ist sein erster Pferderoman und der Beginn einer neuen Pfer­ debuchserie für Kinder ab 8 Jahren.

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CARSTEN KRAUSE

Mocca & Jay ERDBEERSOMMER Ferien...!! „Ferien! Endlich Sommerferien!“ Jay schmiss ihren Schulrucksack aufs Bett und schaute zum Fenster hinaus auf den Erdbeerhof. Sechs Wochen keine Schule. Jeden Tag konnte sie mit ihrem Pferd Dunyana ausreiten, im See schwimmen, sich mit ihren Freundinnen Ricky und Wolke verabreden, Mama und Papa bei der Erdbeerernte helfen oder die Ferienkinder ärgern. Herrlich!! Die Mittagssonne war heiß und der Hof lag sti­ ckig und staubig unter ihr. Niemand war zu sehen, auch Morle die Hofkatze hatte sich einen schatti­ gen Platz in der Scheune gesucht. In weiter Ferne hörte Jay Lümmelchen, so nannte ihr dreijähriger Bruder Henri den kleinen Esel, sein „Iaaah“ laut rufen. Alles war wie immer, wenn sie von der 3


Schule nach Hause kam, aber wo steckte Dunyana?? Sie konnte ihr Pferd nirgends auf den Weiden neben dem Erdbeerhof entdecken. „Mama, Mama, wo ist Dunyana?“ Jay stürmte hinunter zu ihrer Mutter, die in der Küche gerade dabei war das Mittagessen für alle vorzubereiten. „Oh Jay, schön dass du kommst, du kannst mir helfen die Möhren zu schälen und ...“. „Nein, ich habe keine Zeit Mama, ich suche Dunyana!“ „Ok, aber um 13 Uhr ist das Essen fertig, bis da­ hin wirst du Duny wohl gefunden haben, oder?“ Jay lachte, sie lief mit wehendem Zopf hinaus in den Hof über das staubige Kopfsteinpflaster zum Brunnen. „Denk bitte daran, dass Papa und du auf der Pappelkoppel die Weidezäune neu vorstecken wolltet“, rief ihre Mutter aus dem Küchenfenster, „Und vergiss nicht, dass heute Nachmittag das neue Therapiepferd gebracht wird und die Ställe für die Wanderreiter bis heute Abend gemistet werden müssen ...“ Jay stellte sich auf den Brunnenrand und schau­ te auf die Pappelkoppel. Die Pappelkoppel war ihr Lieblingsort. Von dort hatte man einen wunder­ schönen Blick auf das gesamte Erdbeertal und den 4


Erdbeerhof. Die alten Pappeln raschelten leise im Wind und verströmten ihren betörenden Duft überall auf dem Hof. Aber sie konnte Duny nicht sehen, die meistens um diese Zeit unter den Pappeln im Schatten dös­ te. Holger der Stallbursche kam aus einer der Pfer­ deboxen und sah sie am Brunnen. „Hallo Jay, Schule aus? Dann kannst du mir ja helfen die Wanderreiterställe zu misten.“ Jay mochte Holger sehr, aber sie hatte beim bes­ ten Willen jetzt keine Zeit für Stallmisten während sie Dunyana suchte. „Hast du Dunyana gesehen?“ „Ich weiß nicht genau, ist sie nicht auf der Pap­ pelkoppel? Ich glaube sie stand heute morgen noch mit den anderen Ponys unter den Pappeln.“ Noch ehe Holger den Satz vollenden konnte, rannte sie bereits los in Richtung Koppel. Sie sprang über das Holzgatter und lief die Koppel bergauf. Unter den Pappeln standen die Ponys für die Ferienkinder im Schatten und ruhten. Peter und Paul, die schwarzen Dartmoorponys wieherten zu Begrüßung als Jay die Pappeln erreichte. „Hallo Peter, hallo Paul, wisst ihr wo Dunyana ist?“ Jay streichelte ihre staubige Mähne und in der 5


Hoffnung auf ein kleines Leckerchen steckte Peter sein Maul in ihre Hosentasche. Vergeblich, kein Apfel und keine Mohrrübe waren zu finden. „Dunyaaaana ... Duny wo bist du?“ Jay musste kurz verschnaufen und setzte sich auf den Ruheplatz der Ponys. Unter ihr lag der Erdbeerhof. Sie sah ihren Vater mit zwei Erntehel­ fern auf den Erdbeerfeldern, ihr kleiner Bruder Henri fuhr mit dem Trampeltrecker durch Omas Gemüsebeet und ihre Mutter hing die Wäsche zum Trocknen auf die Leine. Alles wie immer, dachte sie, aber so langsam be­ kam sie ein mulmiges Gefühl. So lange sie denken konnte kam Dunyana wiehernd auf sie zu galop­ piert, wenn sie nach ihr rief. Nur heute an ihrem ersten Ferientag totenstille. Jay stand auf und klopfte sich den Staub von ih­ rer blauen Jeanshose. Sie schaute in alle vier Him­ melrichtungen. Im Norden sah sie die Turmzinnen von Schloss Eulenstein. Dort wohnte die größte Zicke ihrer Klasse: Claudia von Eulenstein. Im Westen erhob sich der mächtige Hainbu­ chenwald, im Osten lag die Hochheide mit ihren Schafherden und im Süden erstreckte sich das Düster-Moor. Nirgends konnte sie Duny sehen. Jays Herz klopfte. Vielleicht war Duny am Bach­ 6


lauf, der am unteren Ende die Koppel durchzog. Sie rannte die Koppel hinab und wäre beinahe über einen Stein gestolpert. Peter und Paul schau­ ten ihr interessiert hinterher. Sie trudelte und ver­ lor das Gleichgewicht, konnte sich im letzten Au­ genblick jedoch abfangen ohne zu stürzen. „Mist!“, schimpfte sie und lief den Elektrozaun entlang bis zu einer kleinen Biegung. Dort sah sie bereits den plätschernden Bachlauf und keine 100 Meter von ihr entfernt lag Dunyana. „Duny“, rief Jay erleichtert, „da bist du ja end­ lich ... Duny?“ Dunyana reagierte nicht auf ihren Namen. Jay rannte zu ihr. Das hellbraune Pony atmete nur noch flach und hielt die Augen geschlossen. Fliegen hatten sich rund um ihr Auge platziert. Der Bauch schien aufgebläht zu sein. „Oh nein ... Dunny, was ist los mit dir?“ Jay nahm den Kopf ihres Pferdes in die Hand und strich über ihre Nüstern. Dunyana öffnete für einen Moment ihre glanz­ losen Augen. Sie versuchte sich aufzurichten, aber sie war zu schwach. „Bleib ruhig Duny, ich hol schnell Hilfe, ganz ruhig, ich bin gleich wieder bei dir.“ Jay lief los. Sie hatte Tränen in den Augen, aber 7


sie durfte jetzt nicht daran denken, wie hilflos Duny sie angeschaut hatte aus ihren großen brau­ nen Pferdeaugen, mit fast leblosem Blick. Sie rannte vorbei an den Pappeln und sprang über den Weidenzaun direkt auf das Erdbeerfeld, wo Papa und die Arbeiter eine kleine Mittagspause machten. „Papaaa, komm schnell, Dunyana liegt am Bachlauf hinter der Pappelkoppel. Sie atmet kaum noch und ihr Bauch ist aufgebläht. Schnell, sie braucht dringend unsere Hilfe.“ Jays Vater sprang auf und rannte zum Traktor in dem sein Handy lag. „Verdammt ich habe keinen Empfang. Jay schnapp dir das Fahrrad von Holger und radel zum Tierarzt Dr. Schimmelpfennig. Ich gehe mit Walter und Anton zu Dunyana. Beeil dich bitte!“ Jay rannte zurück zum Stall. Holger stand mit einem Jungen am Brunnen. Er sah sportlich aus. Wahrscheinlich ein neuer Sommerferiengast. „Du scheinst deinen ersten Ferientag wohl sportlich anzugehen, was Jay?“ Holger und der unbekannte Junge grinsten sie an. „Deine Sprüche kannst du dir sparen Holger, es geht um Leben und Tod. Ich brauche dein Fahrrad. Duny liegt todkrank auf der Weide am Bach und Papa kann den Tierarzt Dr. Schimmelpfennig nicht erreichen.“ 8


Der fremde Junge sprang vom Brunnenrand. „Du kannst mein Trecking-Rad haben, das hat 21 Gänge, mit dem bist du sicher schneller als mit Holgers altem Drahtesel.“ Er spurtete zur Scheune. „Warte ich begleite dich zum Tierarzt!“ Jay nahm ihm jedoch sein Fahrrad aus der Hand, fuhr durch die Hofeinfahrt und bog nach rechts auf den Feldweg ins Dorf. Der Junge stieg auf Holgers rostiges Rad und nahm die Verfolgung auf, aber Jay war bereits hin­ ter einer kleinen Staubwolke verschwunden, als er auf dem klapprigen Drahtesel den Feldweg er­ reichte. „Warte auf mich!“ Zu spät. Er beschloss nicht hinter ihr herzufahren, da er den Weg zum Tier­ arzt nicht genau kannte und auf dem Hof auf sie zu warten. Jay strampelte unterdessen so schnell sie konn­ te. Das Fahrrad des Jungen war zwar etwas zu groß für sie, aber durch die breiteren Reifen und die vielen Gänge konnte sie schneller über den steinigen Feldweg zum Tierarzt kommen. Nach bereits fünf Minuten stand sie vor Dr. Schimmelpfennigs Haus. Das Auto des Tierarztes stand nicht in der Einfahrt, dafür aber ein Kut­ schen-Einspänner mit einer schwarz-weißen Tin­ kerstute. Sie zog an der Türglocke. Der Schweiß tropfte über ihr Gesicht, sie war außer Atem und 9


ihr Herz klopfte wie wild. Frau Schimmelpfennig öffnete ihr die Tür. „Hallo Jay, was kann ich für dich tun, hast du ein neues Fahrrad?“ „Hallo Frau Schimmelpfennig, ist ihr Mann zu Hause? Duny liegt mit aufgeblähtem Bauch auf der Pappel-Weide. Sie benötigt dringend Hilfe, mein Vater ist schon bei ihr ...“ „Es tut mir leid Jay“, unterbrach sie Frau Schim­ melpfennig, „aber mein Mann ist nicht da. Aller­ dings bin ich nicht alleine, Frau Lindholm ist bei mir, sie hatte sich auf die Anzeige meines Mannes beworben. Einen Moment, ich frag sie mal ob sie dir helfen kann. Komm doch herein.“ Frau Schimmelpfennig ging zurück ins Haus auf die Terrasse. Jay schloss die Tür. Im Flur des Tierarztes hingen überall Bilder von großen wilden Tieren, die der Arzt auf seinen Afrikasafaris ge­ macht hatte. Sie war völlig erschöpft und setzte sich auf eine Bank neben der Tür. Nach kurzer Zeit kam eine Frau mit einem rotblonden Zopf lächelnd auf sie zu. „Hallo Jay, ich bin Saskia Lindholm, Frau Schimmelpfennig hat mir bereits alles erzählt. Komm, setz dich zu mir auf den Kutschbock, wir fahren gemeinsam zu deinem Pferd. Dr. Schimmel­ pfennig ist bei einer trächtigen Kuh, die ihr Kalb 10


erwartet. Er kommt sobald die Geburt des Kalbes beendet ist.“ Etwas unschlüssig stand Jay vor der freundlich lächelnden Frau. Sie hatte keine Wahl und nickte. Frau Schimmelpfennig legte die zweite NotfallArzttasche ihres Mannes auf den Kutschbock. „Sobald mein Mann wieder zurück ist, schick ich ihn zur Verstärkung zu euch auf die Pappel­ koppel!“ Frau Lindholm nahm die Zügel und sie fuhren los auf den Weg zurück zum Erdbeerhof. „Halt das Fahrrad!“ „Das können wir später noch holen, dein Pferd ist in Lebensgefahr wir müssen uns beeilen.“ Von nun an schwiegen sich die beiden auf dem Kutsch­ bock an. Jay beobachtete die junge Frau, die die Zügel fest in der Hand hielt. Sie hatte rot-blonde lange Haare und ein sonnengebräuntes Gesicht.Ob Duny überleben würde? Sie wusste es nicht. „Müssen wir an der Feldwegkreuzung nach links oder rechts abbiegen?“, fragte Frau Lind­ holm. „Nach links bitte!“, antwortete Jay gedanken­ verloren. Nach kurzer Fahrt im Trab waren sie in der gut gefederten Kutsche im Erdbeerhof ange­ kommen. Sie sprangen von der Kutsche und Frau Lindholm lief hinter Jay her hinauf zur Koppel. Holger war aus den Ställen herbeigeeilt und 11


nahm die Zügel des Kutschpferdes in seine Hände. „Ole wartet auf dich an der Koppel, beeilt euch es ist sehr ernst, dein Vater und Walter sind bereits bei Duny!“ Ole? Was für ein komischer Name. Jay ärgerte sich, dass gerade ein Junge ihr geholfen hatte schneller zum Tierarzt zu fahren. Immerhin hatte sie ihn abgehängt und ihm gezeigt wie schnell sie fahren konnte. Wenn doch nur ihre Freundinnen Ricky oder Wolke jetzt bei ihr sein könnten. In diesem Augenblick klingelte das Han­ dy von Frau Lindholm. Sie nahm das Gespräch an. „Hallo? Ach sie sind es Herr Schimmelpfennig, ja wir sind auf dem Weg zur Koppel. OK, dann bis gleich!“ „Der Tierarzt ist in 15 Minuten auch bei uns, keine Angst Jay wir schaffen das!“ Ole stand tatsächlich auf der Koppel und warte­ te im Schatten der Pappeln neben Peter und Paul. „Hallo Mama!“ „Hallo Ole!“ Jay schaute etwas verwirrt: „Sie ist deine Mut­ ter?“ „Ja, hast du etwas dagegen?“ „Ihr kennt euch bereits?“, fragte Frau Lindholm interessiert, „kommt streitet euch nicht, mir kam das blaue Treckingrad gleich so bekannt vor.“ Oles grinste: „Du warst ganz schön schnell, nicht wahr?“ 12


Jay ging ohne ein Wort zu sagen vorbei an Ole hinab zum Bachlauf. Ihr Papa stand neben Duny und hielt ihren Kopf. Das Pferd war angespannt und unruhig. „Guten Tag, ich bin Saskia Lindholm. Der Tier­ arzt ist gleich bei uns. Ihre Tochter hat mir bereits erzählt was passiert ist“ „Wo ist Dr. Schimmelpfennig?“, fragte Jays Papa. „Sind sie auch Tierärztin?“ „Nein, ich bin Tierheilpraktikerin und verstärke ab nächster Woche die Tierarztpraxis.“ Jay streichelte Dunys Hals. „Du darfst nicht sterben Duny, hörst du, jetzt ist jemand bei dir, der dir helfen kann. Sie können ihr doch helfen, oder?“ „Das bezweifle ich“, sagte ihr Vater mürrisch und machte keinen Hehl daraus was er von den tiermedizinischen Kenntnissen von Frau .Lind­ holm hielt. Oles Mutter tastete Dunys Bauch ab und holte ein Stethoskop aus der Tierarzttasche. Das Pferd bewegte sich jetzt nicht mehr und war ganz ruhig, die Augen fest geschlossen. Erst als sie mit dem Stethoskop das Fell berührte, merkte Frau Lindholm wie hart der Bauch des Pferdes gespannt war. Plötzlich versuchte Duny schreckhaft mit den Hufen zu schlagen und hätte beinahe Ole am Kopf getroffen. 13


„Keine Darmgeräusche!“, stellte Oles Mutter fest. Sie legte ihre Stirn in Falten. In Jays Ohren schrillten die Alarmglocken. Sie schluchzte. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie schaute traurig zu ihrem Vater, doch dieser schau­ te verlegen zur Seite. Er konnte seine Tochter nicht weinen sehen. Da nahm Ole die Hand von Jay und drückte sie leicht. Seine warme Hand fühlte sich schön an. Zum ersten Mal schaute sie ihm in die Augen. Er hatte moosgrüne Augen mit kleinen braunen Sprenkeln. Sie dankte ihm mit einem Kopfnicken. Seine Mutter suchte etwas hektisch die Arztta­ sche ab. Sie zog eine Spritze auf, die sie unter Du­ nys Haut spritzte. Danach gab sie ihr naturheil­ kundliche Medikamente in Kügelchenform ins Maul. „Wir können im Moment nicht mehr für sie tun, wir müssen warten bis die Globulis wirken.“ „Globulis, was für ein Unsinn!“, schimpfte Herr Bender. „Helfen sie dem Pferd meiner Tochter mit richti­ ger Medizin, dass es nicht stirbt!“ Jay hasste es zu warten und nichts tun zu kön­ nen. Sie setzte sich neben Duny ins Gras. Ole wusste nicht was er tun sollte und setzte sich ne­ ben sie. 14


„Möchtest du ein Kaugummi, das beruhigt die Nerven, sagt Mama!“ Ole schob Jay einen Kau­ streifen rüber. Normalerweise mochte sie keine Kaugummis, aber war froh jemanden an ihrer Seite zu haben, der sie versuchte etwas aufzumuntern. „Danke! Dein Fahrrad ist noch beim Tierarzt.“ „Kein Problem, das hole ich ab, wenn es deinem Pferd wieder besser geht.“ „Glaubst du wirklich, dass Duny wieder gesund wird?“ „Na klar, meine Mutter ist die beste Kräuterhexe die es gibt.“ Er lächelte Jay an und Jay lächelte kaugummikauend zurück! Sie dachte an die vielen schönen Ausritte mit Duny, zusammen mit ihren beiden Freundinnen. Das Handy von Herrn Bender klingelte. „Ja hier ...., ach du bist es Harald, deine Heil­ praktikerin versucht unser Pferd zu retten, aber ich würde mich wohler fühlen, wenn du es dir an­ schauen könntest ... ja warte ich gebe sie dir!“ Er reichte das Handy. „Dr. Schimmelpfennig, hallo, Dr. Schimmelpfen­ nig?? Mist, der Empfang ist unterbrochen.“ „Verdampftes Handy!“ Jays Papa nahm sein Handy zurück. „Im Erdbeertal lässt es sich ja sehr gut leben, aber die mobile Kommunikationstech­ nik hier ist wie in der Steinzeit!“ Jay und Oles mussten lachen. 15


„Du hast schon wieder »verdampft« gesagt Papa. Immer wenn du dich aufregst verdrehst du die Stuchbaben.“ „Sehr komisch Jay. Konnten sie verstehen wann der Tierarzt endlich kommt?“, fragte Papa. In die­ sem Moment kam eine Gestalt den Bachlauf ent­ lang. „Hier seid ihr also alle. Ich habe euch schon auf dem ganzen Hof gesucht, bis Holger mir sagte was passiert ist. Schrecklich? Wie geht es Duny?“ Jays Mama stand vor Frau Lindholm und stell­ tesich vor: „Ich bin Sandra Bender und wer sind sie?“ „Sie ist die neue Kräuterhexe von Dr. Schimmel­ pfennig!“, sagte ihr Mann herablassend. „Mein Name ist Saskia Lindholm ich erweitere ab der nächsten Woche das Team der Tierarztpra­ xis Schimmelpfennig. Ich bin Tierheilpraktikerin. Ich kann ihnen leider nichts versprechen Frau Ben­ der, die Chancen bei dieser schweren Kolik stehen 50 zu 50. Ich habe ihr entkrampfende homöopathi­ sche Mittel gegeben und etwas gegen die Schmer­ zen. Jetzt müssen wir erst einmal abwarten. Sie muss wieder auf die Beine und in den Schatten, besser noch sie bewegt sich etwas im Schritt.“ Ole hielt noch immer Jays Hand, er hatte gar nicht bemerkt, dass sie seine Hand nicht mehr los­ gelassen hatte, aber jetzt als ihre Mutter neben ih­ 16


nen stand zuckte seine Hand unweigerlich zurück. Sein Gesicht rötete sich. Jay schaute ihn erstaunt an, auch sie schien nicht bemerkt zu haben, dass sie sich immer noch festhielten. Sie errötete ebenfalls leicht als sie ihre Mutter anschaute. Sie war froh, dass Ole bei ihr in der Nähe war, obwohl sie ihn gar nicht kannte und schämte sich gleichzeitig vor ihrer Mutter die Hand eines frem­ den Jungen zu halten. „Ich habe für euch alle auf dem Erdbeerhof eine kleine Brotzeit bereitet. Ich denke es ist besser, wenn wir alle etwas essen. Sie und ihr Sohn sind natürlich auch herzlich eingeladen Frau Lind­ holm.“ „Vielen dank sehr gerne, ich habe seit heute morgen nichts mehr gegessen. Die Kutschfahrt ins Erdbeertal war sehr anstrengend.“ „Sie sind mit einer Kutsche zu uns gefahren? Haben sie kein Auto?“, fragte Herr Bender er­ staunt. „Nein, haben wir nicht. Seit dem Autounfall meines Mannes bin ich nie wieder in ein Auto ein­ gestiegen.“ „Entschuldigen sie, dass konnte ich nicht wis­ sen.“, antwortete Herr Bender verlegen. „Ich bringe auch noch einen Korb mit Geträn­ ken auf die Koppel zu den Pappeln. Zwei Möhren und zwei Äpfel für Peter und Paul sind sicher auch 17


darin.“ „Mama, Duny stirbt vielleicht und du denkst nur ans Essen.“ Jay schaute ihre Mama vorwurfs­ voll an. „Das ist herzlos.“ „Eine Kolik liebe Jayne kann manchmal mehrere Stunden dauern, du musst doch etwas essen, wenn du bei ihr bleiben willst! Ich habe auch noch ein paar frische Erdbeeren eingepackt“ Ihre Mama hatte wie immer recht. Sie machten sich alle gemeinsam auf den Weg zur Pappelkoppel. Nur Walter der Erntehelfer sollte bei Duny wachen und sie informieren falls sich ihr Zustand verändern sollte. Außerdem hatte Oles Mama noch eine Infusion zur Stabilisierung des Kreislaufs gesetzt, die Walter eine halbe Stun­ de hochhalten sollte. „Sie sind also keine Tierärztin und wie wollen sie da Dr. Schimmelpfennig unterstützen?“, fragte Jays Papa Frau Lindholm. „Nun ja, ich habe eine andere Sicht auf Krank­ heiten und Methoden, die die Arbeit des Tierarztes ergänzen können. Ich soll die Praxis mit naturheil­ kundlichen Therapien unterstützen, so stand es je­ denfalls in der Anzeige.“ „Was der Tierarzt hat eine Kräuterhexe wie sie gesucht?“ „Ja hat er, wenn sie unter Kräuterhexe eine jun­ ge Frau verstehen, die sich mit den Heilwirkungen 18


von Pflanzen auskennt und nicht mit Zauberei.“ Frau Bender schmunzelte. Jay schaute ihren Vater missbilligend an. Sie mochte es nicht, wie er mit Oles Mutter sprach, im­ merhin hatte sie alles versucht Duny zu helfen. „Ich hoffe jedenfalls für sie, dass Duny überlebt und ihre komischen Kügelchen helfen.“ Er wusste selber wie die Chancen bei einer Pferdekolik stan­ den, aber er konnte nicht begreifen wie so winzige Milchzuckerkügelchen einem so großen Pferd hel­ fen sollten. „Ich habe mein bestes getan Herr Bender, aber wenn sie mir nicht vertrauen, dann sollte Dr. Schimmelpfennig die Behandlung fortsetzen. Komm Ole wir gehen!“ „Nein, nein, schon gut, bleiben sie bitte, es tut mir leid.“ Jays Papa lächelte verhalten. „Sie sind unsere Gäste und wir warten gemein­ sam auf den Tierarzt. Ihm war zwar nicht ganz Wohl bei dem Gedan­ ken das Leben von Jays Stute, die er zu ihrer Ge­ burt gekauft hatte, in die Hand einer ihm wild­ fremden Frau zu legen, die noch nicht einmal Ärz­ tin war, aber sonst sehr nett zu sein schien. Unten am Hof angekommen lief Dr. Schimmel­ pfennig gehetzt und schweißnass auf sie zu. „Wo ist Dunyana, wie geht es ihr?“ fragte er sichtlich außer Atem. 19


„Diese Tierheilpraktikerin hat ihr bereits ver­ sucht zu helfen Harald, aber vielleicht schaust du mal selber nach dem rechten?“ Dr. Schimmelpfennig ging zusammen mit Frau Lindholm zurück zu Dunyana. Jay wollte ihnen folgen, doch ihr Papa hielt sie fest. „Es ist besser, wenn du erst einmal etwas isst Schatz und hier mit uns im Schatten auf dem Hof wartest.“ Jays Mutter hatte die selbstgebackenen Brote in einen Korb auf die Veranda vor dem kleinen Ho­ fladen gestellt. „Hier Kinder, esst so viel ihr mögt. In der Karaf­ fe ist auch frischer Erdbeer-Holundersaft.“ Jay hatte einfach keinen Hunger. Sie nahm sich missmutig ein Brot und ging zum Brunnen. Hier im kühlen Schatten wollte sie auf die Rückkehr des Arztes und Oles Mutter warten. Ole der bis jetzt geschwiegen hatte stellte sich verlegen neben Jay. „Hier trink, ich habe dir ein Glas ein geschüttet.“ Schweigend saßen die beiden am Brunnenrand und warteten. Die Minuten vergingen wie Stunden. Endlich nach einer halben Stunde sahen sie Oles Mutter und den Tierarzt. Ihre Mienen sahen be­ sorgt aus. 20


„Was ist los mit Duny, geht es ihr besser, oder ist sie ...?“ Jay stockte der Atem. „Nein Jay“, sagte Dr. Schimmelpfennig, „im Ge­ genteil, ihr Zustand hat sich verschlechtert. Sie scheint Fieber bekommen zu haben. Walter macht ihr gerade kalte Umschläge. Gut, dass der kühle Bach in der Nähe ist. „Es sieht nicht gut aus Klaus, die Chancen ste­ hen 20 zu 80, dass sie die Nacht übersteht. Sie hat wahrscheinlich schon ein paar Stunden auf der Koppel gelegen, bevor Jay sie gefunden hat. Ich habe getan was ich kann und Frau Lindholm hat erstklassige Hilfe geleistet. Jetzt muss Dunyana sel­ ber kämpfen. Jay wurde rot im Gesicht: „Das ist allein ihre Schuld mit ihren blöden Globulis ...“ „Jay warte, sei nicht so wütend, niemand kann etwas für die Verschlimmerung. Eine Kolik ist eine ernsthafte Erkrankung. Es ist einfach viel Zeit ver­ gangen bevor du sie entdeckt hast. Kind beruhige dich wieder.“ Doch Jay dachte gar nicht daran sich zu beruhi­ gen, sie schmiss ihr Glas Holunder-Erdbeersaft vom Brunnenrand und hätte beinahe Ole umgesto­ ßen. Sie lief weinend die Koppel hinauf zu Dunyana. „Klaus, wir müssen versuchen das Pferd von der Koppel in den Schatten zu legen bei ihrem Fie­ 21


ber. Sie kann nicht aufstehen, hast du eine Idee, wie wir dies schaffen können?“ Jays Papa überlegte kurz: „Wir könnten die Marktschirme vom Erdbeermobil zu Duny fahren. Kommt, fast alle mit an wir laden sie auf den Frontlader.“ Alle fassten mit an und sie fuhren den Traktor mit den drei großen Schirmen zum Bach­ lauf. Unten am Bach saß Jay und holte sich neues Wasser für die kalten Kompressen, damit Walter die kalten Wickel um Dunyanas Füße binden konnte. Selbst Duny hob für einen Moment ihren Kopf. Ole, der mitgefahren war sprang vom Traktor. Er nahm zusammen mit Walter einen Schirm und rannte Richtung Dunyana. „Jay, wir haben drei Marktschirme für Dunyana gegen die heiße Sonne. So lange wir sie nicht in den Stall bekommen muss sie sich kühl in den Schatten legen, dann wird ihr Fieber sicherlich wieder sinken.“ „Sagt das deine Mutter, oder Dr. Schimmelpfen­ nig?“ „Der Tierarzt, wenn du es genau wissen willst, aber die Idee mit den Schirmen hatte dein Vater.“ Jay gab Walter eine neue kühle Wickel. Ihre Wimperntusche war verschmiert und lief ihr wie eine Kriegsbemalung die Wangen hinab. 22


„Jeder tut alles was er kann für Duny. Du soll­ test dich bei Frau .Lindholm entschuldigen.“, rief ihr Vater, der mit dem zweiten Marktschirm an­ kam. „Das musst du gerade sagen Papa, der sie eine Kräuterhexe genannt hat.“ Sie stellten alle gemeinsam die Schirme über Duny. Das Pferd atmete flach, aber als sie im Schatten lag, spürte Jay, dass sie sich ein wenig zu beruhi­ gen schien. Plötzlich kam ihre Mutter wieder die Koppel herabgelaufen. „Klaus, wir haben das neue Therapiepferd ganz vergessen. Herr Kugelblitz steht mit dem Hänger auf dem Hof und Holger weiß nicht in welchen Stall wir das Tier unterbringen sollen, wegen den Wanderreitern.“ „Therapiepferd? Was für ein Therapiepferd?“ „Mensch Klaus, darüber haben wir doch schon gesprochen, dass ich die Ferienreitschule erweitern möchte mit einem Reittherapieangebot für behin­ derte Kinder. Jay sah ihren Papa vorwurfsvoll an. Der lächelte verlegen. „Ähm, ja ... ok ich komme, habe ich irgendwie vergessen, entschuldige bitte Schatz.“ Sie gingen zum Traktor, Ole und Jay auf den 23


seitlichen Sitzen und ihre Mutter neben ihren Va­ ter. Am Erdbeerhof angekommen sahen sie Holger, wie er mit einem Besen über den Hof rannte. Wahrscheinlich waren Moppel und Egon, die bei­ den zahmen Zwergkaninchen ausgebüxt. Jay konnte sich ein Grinsen nicht verbeißen. Es sah einfach zu komisch aus, wie Holger vergeblich versuchte die Kaninchen mit dem Besen zurück in ihre Ställe zu jagen. Auf der Mitte des Hofes stand ein großer Wagen mit Pferdeanhänger. Ein älterer bärtiger Mann stand neben dem Auto und rauchte ein Zigarette und schaute dabei immer wieder nervös auf sein Handy. Sie hörten wie im Hänger ein Pferd aufge­ regt und ungeduldig darauf wartete endlich wie­ der ins Freie zu gelangen. Jay sprang vom Traktor. „Liebe Frau Bender, ich habe jetzt lange genug gewartet, meine Zeit ist kostbar. Haben sie das Geld für ihr neues Therapiepferd? Ich muss näm­ lich gleich weiter.“ Jay, Ole und Herr Bender schauten sich verdutzt an. „Es tut uns leid, aber die Ponystute meiner Tochter ist sehr krank und liegt auf der Weide, wir hätten sie fast vergessen.“ „Schon gut, aber wo ist mein Geld?“ 24


„Sicher“, Frau Bender wirkte ein wenig verunsi­ chert, „5000 Euro in bar wie vereinbart?!“ „5500 um genau zu sein: inklusive Fahrtkosten und Spesen!“ Der bärtige Mann grinste unver­ schämt. Herr Bender wurde rot, diese Farbe kannte Jay bereits, wenn er ärgerlich wurde, dann färbte sich sein Gesicht wie eine überreife Erdbeere. „Jetzt passen sie mal auf sie aufgeblasener Go­ ckel, wenn meine Frau 5000 mit ihnen vereinbart hat, dann bleibt es auch bei 5000, oder sie können ihren Kläpper gleich wieder mitnehmen!“ „Beruhig dich bitte Klaus, ich habe allerdings nur 5000 von der Bank geholt, dann müssen sie noch einen Augenblick warten Herr Kugelblitz. Ich schicke unseren Stallburschen sofort mit dem Fahr­ rad ins Dorf zum Bankautomaten.“ In diesem Augenblick hörten sie Pferdegetrap­ pel auf dem alten Kopfsteinpflaster. „Die Wanderreitergruppe kommt Mama.“ Jay lief aufgeregt zum Hoftor. Eine große Gruppe mit fast 20 Pferden trabten an Jay vorbei. Sie hatten Westernpferde in allen Farbschattierungen und sahen sehr ausgedörrt von der Sonne aus. „Ich habe wirklich keine Zeit mehr auf mein Geld zu warten, dann nehme ich den Gaul wieder mit.“ „Warten sie bitte, ich habe noch mein Spar­ 25


schwein auf meinem Zimmer vielleicht reicht es?“ Jay ging ins Haus und rannte die Treppe hinauf noch bevor ihre Eltern etwas sagen konnten. „Klaus kümmere dich bitte um die Wanderrei­ tergruppe! Ich regele das hier alleine!“ Ihr Mann hörte ihren bestimmenden Unterton und ging murrend an Herrn Kugelblitz vorbei zu den Ställen, allerdings schaute er ihn dabei direkt in seine Augen. Herr Kugelblitz gab dem Blick nach und wich ihm aus. Unsicher ging er zum Hänger und öffnete die Riegel. „Schon gut, ich verzichte auf die Ersparnisse ih­ rer Tochter.“ Der Araberwallach schnaubte in der Vorfreude endlich aus seinem Gefängnis befreit zu werden. Die Verriegelung war gelöst und langsam öffnete sich die Anhängertür? Schritt für Schritt ging es abwärts. Ole und Jays Mama warteten gespannt. Das braune Hinterteil war bereits unten. Das Fell glänzte in der Sonne. Die Haustür sprang auf und Jay schoss mit ih­ rem Sparschwein in der Hand wie ein Wirbelwind die Eingangtreppe hinab. Da kam der Kopf des Pferdes aus dem Hänger. Jay stoppte. Ihr Herz schlug bei seinem Anblick höher. Seine Mähne war wild und zerzaust. Nur noch ein Schritt und er war aus dem Hän­ 26


ger befreit. Jay vergaß alles um sich herum und hatte nur noch Augen für dieses schöne Pferd. So ein schönes Tier hatte sie noch nie gesehen. Ihr blieb vor Freude fast das Herz stehen. Jetzt drehte es seinen Kopf und blickte Jay in die Augen. Es wurde von der Sonne geblendet und kniff die Augen zusammen. Es sah Jay und wieherte. Sie nahm den Klang seiner Stimme in sich auf und ging langsam auf ihn zu. Sie blickte ihm tief in die Augen und der Araber senkte seinen Kopf und blähte die Nüstern um ih­ ren fremden Geruch aufzunehmen. Sie streckte die Hand und sein Maul berührte zum ersten Mal ihre warme Hand. Es kribbelte an­ genehm, denn seine Lippen waren weich und sanft und tasteten sich mit den den Tasthaaren bis zu ih­ rem Unterarm. Jay schaute in zwei große sanftmütige Augen. Ihre Silhouette spiegelte sich im Augapfel. Es war ein tiefes Verstehen ohne Worte. Ein Ge­ fühl der Verbundenheit. Zwei Wesen die sich noch nie zuvor begegnet waren und sich doch zu ken­ nen schienen. Jay streichelte seinen Kopf und richtete seine Mähne. „Darf ich vorstellen: das ist Mocca, ihr neues 27


Therapiepferd.“, sagte Herr Kugelblitz und übergab Jays Mama die Halfter. Auch Frau Bender war sprachlos von dem wun­ derschönen Araberwallach. Mocca schnaubte zufrieden. Endlich wieder Sonnenlicht. „Hier sind ihre 5000 Euro!“ „Und hier ist mein Sparschwein!“ „Nein, danke! Dein Sparschwein kannst du be­ halten. Dann viel Spaß mit ihrem neuen Therapiepferd.“ Er schloss den Hänger und setzte sich in seinen Geländewagen. Der Motor heulte auf und Mocca erschrak. Er wieherte und bäumte sich auf. „Ich komme nächste Woche noch einmal vorbei, wenn ich auf Schloss Eulenstein das neue Renn­ pferd verkauft habe. Ciao Mocca!“, und Herr Ku­ gelblitz brauste in einer großen Staubwolke davon. Sie schauten der Staubwolke hinterher. Frau Bender, die das Halfter festhielt schrie kurz auf, Mocca begann an ihren blonden Haaren zu zupfen. „Mocca, lass das!“, sie musste lachen. Mocca wieherte ihr kurz zurück, um dann erneut anzu­ fangen ihre Haare zu durchwühlen. „Kommt, wir bringen Mocca in seinen neuen Stall. Holger hast du es geschafft ihn zu misten?“ „Klar Sandra, aber im Moment habe ich Moppel 28


und Egon dort eingesperrt.“ Jays Mama seufzte: „Gibt es eigentlich keinen Tag auf dem Erdbeerhof, ohne dass etwas nicht funktioniert?“ Mocca folgte ihr in die Scheune dort war noch ein Quarantänestall für kranke Pferde, die nicht bei den anderen sein durften. „Herzlich willkommen Mocca auf dem Erdbeer­ hof.“ Mocca schnaubte kurz auf. Er schien mit seiner provisorischen Unterkunft mehr als zufrieden zu sein. Die Wassertränke war gut gefüllt und die Heuraufe auch. Holger hatte ihm frische Stroh, ein paar Mohrrüben und Äpfel dazugelegt zur Begrüßung. „Kommt Kinder wir lassen Mocca ein bisschen allein, damit er sich von seiner langen Fahrt erho­ len kann. Jay sah ihre Mutter an, diese nickte stumm. Seit ihrer Geburt konnte Jays Mama die Wün­ sche von den Lippen ihrer Tochter ablesen. Sie ver­ standen sich wortlos und sie wusste, dass ihre Tochter noch gerne ein paar Minuten bei Mocca bleiben wollte. „Komme Ole, lass Jay einen Moment bei Mocca allein. Wir gehen zu Holger und helfen ihm mit den Kaninchen.“ Ole folgte Jays Mutter widerwil­ lig und wartete auf ein Zeichen von Jay zu bleiben, 29


aber die hatte nur noch Augen für Mocca. Sie saß auf einem Strohballen und beobachtete Mocca ganz genau. Auch Mocca schien sie zu beobachten während er seine Begrüßungsgeschenke verspeiste. Man sagt Pferden nach, dass sie telepathische Fähigkeiten besitzen und den Charakter eines Menschen einschätzen können. Aber Mocca schien zudem noch hypnotische Fä­ higkeiten zu besitzen. Wie gebannt schauten sich Pferd und Mensch an. Auch als die Stalltür aufge­ rissen wurde und Dr. Schimmelpfennig in der Tür stand nahm Jays dies erst gar nicht wahr. „Jay, komm schnell ... wir müssen Duny leider einschläfern.“ Wie in Trance sprang Jay vom Strohballen. Mocca schaute ihr hinterher. Noch bevor Jay den Stall verließ schaute sie tief in Moccas Augen, die ihre ganze Traurigkeit wi­ derspiegelten und ihr gleichzeitig Mut, Hoffnung und Zuversicht versprachen. Dr. Schimmelpfennig nahm Jays Hand und sie gingen gemeinsam zum Geländewagen des Tier­ arztes. „Jay, hör zu, ich weiß was du jetzt denkst, aber Duny kann nicht aufstehen. Das Fieber ist gestie­ gen, sie hat starke Schmerzen. Ich habe bereist mit deinem Vater gesprochen. Wir sind beide zu der 30


Meinung gekommen sie einzuschläfern.“ Jays Hände formten sich zu Fäusten. Sie wollte ihre Traurigkeit in Wut umwandeln, aber sie brachte keinen Ton heraus. Duny ihr beste Freundin sollte sterben? Nein, das durfte nicht sein, nicht an diesem Tag, ihrem ersten Ferientag, den sie sich ganz anders vorgestellt hatte. „Warten sie Dr. Schimmelpfennig, geben sie Duny noch eine letzte Chance und lassen sie mich bitte versuchen ihr auf zu helfen und in den Stall zu bringen.“ Dr. Schimmelpfennig zögerte. Er wusste wie sehr Jay an ihrem Pferd hing, aber er hatte bereits eine Entscheidung getroffen. „OK, du hast einen Versuch, aber wir müssen uns beeilen.“ Er startetet den Motor und brauste Richtung Pferdekoppel. Neben Duny standen bereits alle versammelt: Mama, Papa, die Erntehelfer, Holger, Frau. Lind­ holm mit ihrem Sohn Ole. Duny lag wie tot auf dem Gras und atmete ganz flach. Als das Auto sich näherte, richteten sich kurz ihre Ohren auf. Das war auch das einzige Lebensz­ eichen. „Duny“, schrie Jay, verzweifelt, „Du musst auf­ stehen. Ich bring dich in deinen Stall. Komm Duny, 31


du darfst nicht aufgeben!“ Dunyana erkannte Jays Stimme und sie begann zaghaft mit ihren Vorderläufen über das Gras zu streichen, aber sie war so schwach, dass sie diese Bewegung sofort wieder einstellte. „Komm Duny, steh auf! Ich werde dir die gan­ zen Ferien jeden Tag einen Korb voll Mohrrüben aus Omas Garten bringen.“ Dunyana spitzte wieder die Ohren, blieb aber liegen. Dr. Schimmelpfennig sah Jays Vater an und dieser nickte stumm. Er holte seinen Arztkoffer aus dem Auto und zog die Spritze mit der Betäub­ ung auf. Jay begann zu zittern und auch Duny spürte in­ stinktiv die nahende tödlich Bedrohung und wur­ de unruhig. „Nein, das dürfen sie nicht, Duny ist mein Pferd.“ „Jay jetzt sei doch vernünftig. Es ist für Duny besser, wenn wir sie von ihren Qualen erlösen.“ Aber Jay wollte nicht vernünftig sein. Sie schlug dem Tierarzt die Spritze aus der Hand. „Als ich letzten Winter mit hohem Fieber im Bett lag und meine Knochen schmerzten hat mich auch niemand eingeschläfert.“ Ihre Mutter erschrak und begann zu weinen. „Jay wie kannst du nur so etwas sagen Liebes? Du bist doch auch kein Tier, sondern ein Mensch!“ 32


Ihr Vater nahm seine Frau beiseite. Da rief Ole plötzlich: „Vorsicht!“ Sie schauten sich um. In einer Staubwolke ver­ hüllt kam etwas sehr schnell auf sie zu galoppiert. Da niemand erkannte ob es die jungen Stierbullen von der Nachbarweide waren, wichen sie in alle Himmelsrichtungen aus. Nur Jay blieb wie ange­ wurzelt stehen. Die Staubwolke kam immer näher und stoppte einen Meter vor Jay. Als der Staub sich verzog er­ kannte Jay wem sie die Stirn geboten hatte. Mocca stand vor ihr und senkte zur Begrüßung den Kopf. Dunyana, die bemerkte, dass etwas um sie her­ um geschah hob leicht ihren Kopf, um besser se­ hen zu können. Mocca schnaubte. Auch Duny versuchte einen zaghaften Schnauber. Mocca drückte sanft seinen Kopf an Jays Stirn. Von weitem sahen sich die anderen, die vorab weggelaufen waren sahen sich dieses Schauspiel gebannt von weitem an. Mocca schaute in Jays Augen. Jay erkannte sein sanftes Wesen und verstand was er von ihr wollte. Sie gingen gemeinsam zu Duny, die nur ein paar Schritte entfernt lag. Jay nickte stumm. Mocca stellte sich vor Dunyana und berührte 33


sanft ihren Kopf und knabberte an ihrer Stirn. Duny hob ihren Kopf und versuchte sich aufzu­ richten. Mocca stupste sie wieder zur Aufmunte­ rung an. Sie mobilisierte ihre letzten Kraftreserven und stemmte erst ihre Vorderläufe ins Gras, um dann die wackeligen Hinterläufe nachfolgen zu lassen. Der Tierarzt und alle anderen schauten ge­ spannt zu und drückten ihr die Daumen. „Kommt, wir helfen Duny, gemeinsam schaffen wir es vielleicht.“, sagte Herr Bender. Mocca jedoch umkreiste Duny, wie zum Schutz und ließ niemanden in ihre Nähe. Jay strahlte über das gesamte Gesicht. „Bravo Duny, du schaffst es.“ Dunyana hatte sich bereits fast aufgerichtet, aber durch das stundenlange Liegen war ihr Kreis­ lauf sehr geschwächt. Sie zitterte am ganzen Kör­ per. „Du hast es gleich geschafft. Sieh Mocca hilft dir.“ Duny sah Mocca an. Ihre Knie wackelten, aber sie stand. Jays Herz klopfte vor Freude. Sie strei­ chelte Duny sanft über die Blässe und gab ihr einen Kuss. „Komm lass uns in deinen Stall gehen. Dort ist es kühl und frisches Wasser wartet auf dich.“ Duny schnaubte kurz auf und stakste wie ein 34


Fohlen in Richtung Erdbeerhof. Mocca und Jay nahmen sie in ihre Mitte. Ohne sich umzudrehen gingen die drei bergauf zur Pappelkoppel. In ihrem Schatten blieben sie eine Weile stehen. Jay wusste nun, dass ihre Ferien nicht traurig beginnen würden. Sie hatte einen neuen Freund gefunden. Einen Freund, der ihre Gedanken lesen konnte und der ihr vertraute. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, als sie zu dritt Richtung Stall weitergingen und die Abendsonne lange Schatten über die Koppel warf. Es würde wie jedes Jahr ein wunderschöner Erd­ beersommer werden und sie hielt glücklich ihre Hände auf beide Pferderücken.

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Auszüge aus:

CARSTEN KRAUSE

Mocca & Jay ERDBEERSOMMER Band 1 der neuen Pferdebuchserie ab 8 Jahre. Weitere Bände in Vorbereitung. 1. Auflage: November 2013 © by Casimir-Verlag, Carsten Krause, Trendelburg 2013 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen und fotome­ chanischen Nachdrucks, vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Einwilli­ gung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mi­ krofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlagabbildung: © Carsten Krause Illustration: © Daniel Almagor Lektorat, Satz & Layout: Carsten Krause Printed in Germany 2013 ISBN 978-3-940877-00-0

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