Heft Nr. 8/16 6. Jahrgang
TAPE TOUR 2016 29. November 2016 Zäpfle Club, Freiburg Tickets an allen bekannten VVK-Stellen oder unter www.reservix.de und www.eventim.de
Anreisser Theater eins
Anreisser Klassikzwei
Kino
Subtext, Wie Buron subtext, Wutbürgern Subtext, Höchste subtext, Konzentration DAS KALTE HERZ ODER sub, denSubtext, Spiegel vorhält sub sub,beim Subtext, Barockorchester sub DER PAKT MIT DEM BÖSEN
Kultur
Foto: © Ralf Buron
Wutbürgern den Spiegel vorhalten Theater Pro inszeniert umstrittenes Kriegsdrama „Zerbombt“
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von Tanja Bruckert
wei Vergewaltigungen, ein totes Baby, ausgesaugte und verspeiste Augen – es ist keine leichte Kost, die das Theater Pro mit Sarah Kanes Drama „Zerbombt“ im Oktober auf die Freiburger Südufer-Bühne bringt. Zumal Regisseur Ralf Buron seinem Publikum keinen sicheren Rückzugsort lässt: Mit seinen multimedialen Inszenierungen hebt er die Barriere zwischen Zuschauern und Bühne auf. „Stehst du auf Nigger? Hast du ein Herz für unsere schwarzen Mitbürger?“ Drohend steht Journalist Ian, verkörpert vom Basler Schauspieler Ives Pancera, auf einem riesigen Himmelbett und blickt auf Myriam Tancredi hinab. „Sie stören mich nicht“, erwidert sie in der Rolle der Ex-Geliebten Cate mit zitternder Stimme. „Werd erwachsen!“, zischt Ian. Ein Hotelzimmer, ein Bett, zwei Erwachsene, die sich einst geliebt haben: Eigentlich keine beängstigende Szene – und dennoch meint man, die unterschwellige Brutalität fast mit Händen greifen zu
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können. Es wird nicht bei dieser Unterschwelligkeit bleiben: Später wird Ian Cate vergewaltigen und kurz darauf selbst von einem Soldat missbraucht, der ihm zudem die Augen aussaugt und isst. Cate kehrt mit einem Baby zurück, das später stirbt und von Ian gegessen wird. Kein Wunder, dass das Erstlingswerk der britischen Dramatikerin bei der Uraufführung 1995 für einen handfesten Skandal sorgte. „Mich fasziniert dieses radikale, unverblümte Theater“, hält Buron dagegen, der mit seiner Inszenierung einen Bezug zu aktuellen Kriegschauplätzen wie Syrien, Afghanistan oder den Irak schaffen will. „Damals gab es noch nicht die Möglichkeit, sich über das Internet die brutale Kriegsrealität ins Wohnzimmer zu holen. Heute ist dieser Ansatz überholt.“ In seiner Inszenierung will er die Brutalität daher nicht in den Vordergrund stellen. So werden etwa die Vergewaltigungen nicht zu sehen, sondern nur zu hören sein. „Indem wir alle Sinne ansprechen,
theater wollen wir ein eindrückliches Bild von der Verrohung der Gesellschaft zeigen.“ Um besonders nahe an sein Publikum heranzukommen, setzt Buron nicht nur Schauspiel, sondern auch Videoprojektionen und Klangcollagen ein. Und auch die räumliche Trennung wird zum Teil aufgehoben. „Mir ist es wichtig, dass der Zuschauer das Stück hautnah erlebt. Schon wenn er den Raum betritt, muss er eine Entscheidung fällen und Position beziehen“, verrät der Theater-Pro-Gründer. In Berlin war Buron einst Vorreiter bei solch multimedialen Inszenierungen. Später hat er das Aktionstheater Pan.Optikum mit seinen Megainszenierungen im öffentlichen Raum nach Freiburg gebracht und zwanzig Jahre lang geleitet. Großinszenierungen sind immer noch ein Steckenpferd des freischaffenden Regisseurs, der zudem als Komponist, Musiker, Videokünstler und Fotograf arbeitet. Im kommenden Jahr wird er etwa vor dem Mannheimer Schloss ein Stück zum 200. Geburtstag des Fahrrads vor mehreren tausend Menschen aufführen.
„Ich will kein abgehobener Kunstspinner sein“ „Bei Inszenierungen im öffentlichen Raum muss man die Zuschauer ganz schnell packen – sonst laufen die einfach weiter“, weiß der 59-Jährige. Eine Herangehensweise, die er auch beim Kammertheater beherzigt. „Mir ist es wichtig, kein verkopftes, hochcodierte Theater zu machen“, so Buron. „Ich will kein abgehobener Kunstspinner sein, der den Kontakt zu normalen Menschen verloren hat. Die gibt es leider viel zu oft in der Szene.“ Die Stücke des Theater Pro sollen daher immer eine gesellschaftliche Relevanz haben. Auch mit Kanes Stück, in dem Rassismus eine zentrale Rolle spielt, will der bei Titisee lebende Regisseur aufrütteln: „Wir wollen dem sogenannten Wutbürger einen Spiegel vorhalten.“
Foto: © tbr
„Kein verkopftes, hochcodiertes Theater“: Theater-Pro-Regisseur Ralf Buron (Bild oben) will seine Inszenierungen durch Schauspiel, Musik und Video nahe an den Zuschauer heranführen. Dafür bringt er die Schauspieler Georg Blumreiter (unten links), Ives Pancera (gleiches Bild rechts) und Myriam Tancredi (Bild ganz unten) auch räumlich nahe ans Publikum.
TheaTer Pro Sarah Kane: Zerbombt 21. & 22. Oktober und 26.–29. Oktober, je 20 Uhr Südufer, Freiburg Eintritt: 13 Euro / 10 Euro ermäßigt Regie/Konzept: Ralf Buron Bühnenbild: Friedrich-Wilhelm Gärtner Regieassistenz: Katharina Rauenbusch Es spielen: Myriam Tancredi, Ives Pancera, Georg Blumreiter
Foto: © Ralf Buron
Gefördert vom Kulturamt der Stadt Freiburg, der Landesbank Baden-Württemberg, der Volksbank Freiburg eG und der Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau. Gewinnspiel: Das chilli verlost 2x2 Karten für die Aufführung am Mittwoch, 26. Oktober. Wer gewinnen möchte, schreibt eine E-Mail mit dem Betreff „Zerbombt“ an gewinnspiel@chilli-freiburg.de
Foto: © Ralf Buron
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Musik
Bescheidenheit und Wahnsinn Vom Studiprojekt zu Weltruhm – die Erfolgsgeschichte des Freiburger Barockorchesters
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von Till Neumann
ieben Echos, zwei Schallplattenpreise, einen Gramophone Award, eine Nominierung für den Grammy … Das Freiburger Barockorchester (FBO) hat quasi ein Dauerabo auf Auszeichnungen. Und für Einladungen auf internationales Parkett. Vom Studentenprojekt in den 80ern hat es sich zum weltweit gefragten Klangkörper entwickelt. Anfang Oktober spielte das FBO in Mexiko, jetzt geht’s nach Japan. Das chilli hat bei den Proben reingeschaut. Die 43 Musiker schauen gebannt auf den Lockenkopf im weißen Hemd. „In die 83 muss ein bisschen Wahnsinn rein“, ruft der groß gewachsene Dirigent. Gottfried von der Goltz. Musikalischer Leiter des FBO. Und Mitbegründer. Die Arme reißt er nach oben, die Blicke lodern. Plötzlich tuscheln Schüler auf den Zuschauerplätzen im Saal des Ensemblehauses. „Sccchhhht“, raunt ihnen eine Geigerin zu.
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Höchste Konzentration ist gefragt bei den Proben an diesem Donnerstagvormittag. In drei Tagen geht’s nach Mexiko. Dort spielt das Orchester alle neun Beethoven-Sinfonien in fünf Tagen. „Das ist nie Routine“, sagt der musikalische Leiter in einer kurzen Pause. Musiker huschen vorbei, die Konzentration steht von der Goltz ins Gesicht geschrieben, angespannte Vorfreude liegt in der Luft. Schon zwei Mal war er mit dem FBO in Mexiko. Aber: „Wir haben noch nie einen so groß angelegten Zyklus gespielt.“ Für den Konzertmarathon bleibt zwischen dem Start in eine neue Spielzeit und den Vorbereitungen einer Japantournee nur wenig Zeit zum Proben. „Wir haben einen Fahrplan aufgestellt, müssen uns schnell finden“, sagt von der Goltz. Acht Probetage hat der 53-jährige Barockgeiger, um 44 Musiker auf das Abenteuer in Mexiko City vorzubereiten. Nervös sei er nicht. Beethoven will er seinen eigenen Stempel
Barock aufdrücken: „Wir werden in Mexiko für Überraschungen sorgen.“ Um zu erklären, welche das sind, bleibt keine Zeit. Die Probe ruft. In der dritten Reihe sitzt Daniela Lieb. Die Flötistin spielt seit mehr als 15 Jahren im FBO. „Ich bin total stolz, Mitglied dieses tollen Ensembles zu sein“, schwärmt die 41-Jährige. Seit sie das Orchester zum ersten Mal gehört habe, sei es ihr Traum gewesen, dabei zu sein. In den ersten Jahren hat sie nur vereinzelt mitgewirkt. Seit Januar sind es nun 80 bis 100 Auftritte pro Jahr, Lieb ist neuerdings eine von 28 Gesellschaftern des FBO. Seit 1990 ist das Orchester eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Musiker werden somit auch Unternehmer und können die Entwicklung des Klangkörpers mitbestimmen. An der Spitze stehen zwei musikalische Leiter: Petra Müllejans und Gottfried von der Goltz. „Diese Basisdemokratie hat sich bewährt“, sagt er. Klar, gebe es auch mal Enttäuschungen. Aber das sei für alle ein Lernprozess und unheimlich gut für das Ensemble. Viel Mitsprache, viele Reibereien? „Es fliegen auch mal die Fetzen“, sagt von der Goltz. Es sei Utopie, immer in Harmonie und Glückseligkeit zu arbeiten. „Ein bisschen Streit gehört dazu!“ Den scheint es in der Doppelspitze Goltz-Müllejans kaum zu geben. „Da gab es bisher noch nie Probleme“, sagt Gregor Herzfeld, der beim FBO für Dramaturgie, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. „Irgendwie wissen die beiden immer, wer der Richtige dafür ist“, sagt Herzfeld. Beide sind seit Tag eins dabei. Als Freiburger Musikstudenten hatten sie 1985 die Idee, mit weiteren Mitstreitern auf historischen Instrumenten Barockmusik zu spielen. Den ersten Auftritt als Freiburger Barockorchester gab’s im November 87 in Lahr. Schon damals träumte von der Goltz von Welttourneen: „Wir hatten einen hohen Anspruch, man muss aber mit Demut an den Dingen arbeiten.“ Mittlerweile spielten sie auf den großen Bühnen der Welt. 2009 wurde es als erstes Barockorchester überhaupt eingeladen, die Salzburger Festspiele zu eröffnen. Das Repertoire ist in den fast 30 Jahren stetig gewachsen – und längst nicht nur barock. „Wir verstehen uns als Orchester historischer Praxis“, sagt von der Goltz. Auch Klassik, Romantik und Gegenwart sind im Programm. Doch allein das macht
keinen berühmt. „Wir sind eine große Familie, die unglaublich viel Stärke beweist“, sagt Daniela Lieb. Gregor Herzfeld lobt die Fähigkeit der Musiker, sich immer wieder neu zu erfinden. „So schaffen sie es, auch die bekanntesten Stücke so klingen zu lassen, dass man das Gefühl hat, man höre sie zum ersten Mal.“ Für das Erste-Mal-Gefühl ist insbesondere Gottfried von der Goltz verantwortlich. Nach der Pause steht er wieder vor seinen Musikern und dirigiert. Mit den Flöten ist er unzufrieden: „It’s too heavy, let’s keep it crescendo“, ruft er ihnen zu. Fotos: © Annelies van der Vegt
Weltklasse: Gottfried von der Goltz (rechts) ist einer der zwei musikalischen Leiter des Freiburger Barockorchesters. Der Geiger träumte schon in den 80er Jahren von Welttourneen.
Die Streicher sollen dafür emotionaler werden. Den Geigerinnen macht er Komplimente: „Ganz toll.“ In der dritten Reihe sitzt Daniela Lieb und ist begeistert vom Chef: „Er reißt durch seine Art alle mit und kann unheimlich toll musizieren.“ Von der Goltz, der als Professor an der Hochschule für Musik Freiburg arbeitet, sieht das FBO als Lebensaufgabe. Aufhören. Warum sollte er? Die vielen Preise empfindet er als große Ehre. Der größte Coup sei jedoch das Ensemblehaus gewesen. Seit 2012 hat das FBO damit an der Schützenallee einen festen Standort. Die Erfolgsfrage will er demütig beantworten: „Es ist ein stetiger Prozess, die Kreativität hochzuhalten. Die Kombination aus Bescheidenheit und Wahnsinn.“ Und eine ordentliche Portion Disziplin. Nach zwei Stunden Probe geht ein Lächeln über sein Gesicht. „Es ist fast gut“, sagt er, „nochmal“.
Info Das FBO ist im November zweimal in Freiburg zu hören: 4. November, 20 Uhr Sonderkonzert im Konzerthaus mit Philippe Jaroussky 24. November, 20 Uhr Abokonzert im Konzerthaus: Mozart Requiem
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Foto: © David Königsmann
Musik
„Die Welt ist Streich und wir sind groß“ Mark Forster über geliehene Fahrräder, Christian Streich und Justin Timberlake
cultur.zeit: Du hast mal gesagt, der Erfolg sei wie ein Wirbelsturm. Wie stürmisch ist es gerade bei dir? Forster: Ja, es war auf jeden Fall ein extrem stürmisches Jahr. Ich glaube, so viel unterwegs wie in diesem Jahr, war ich noch nie. Der Höhepunkt für mich als Fußballfan war die EM im Sommer, wo ich auch wirklich mittendrin dabei sein durfte. Als Spieler hab’ ich’s leider nicht geschafft, aber als Sänger mich da irgendwie reingemogelt. cultur.zeit: Welche Verbindung hast du zu Freiburg? Forster: Na ja, Freiburg ist natürlich eine wunderschöne Stadt, und wir haben auch schon öfters in der Gegend gespielt. Da sind immer coole Konzerte, und ich hab’ auch ein paar
Freunde bei euch um die Ecke. Natürlich auch den Kollegen Max Mutzke, der im Schwarzwald wohnt. cultur.zeit: Du hast mit dem Song „Wir sind groß“ den Puls der Zeit getroffen. Wieso hat der Song so eingeschlagen? Forster: Das kann ich selber nie so richtig sagen. Ich habe das Glück gehabt, dass jetzt schon ein paar Lieder von mir ein paar Leuten gefallen. Ich hab’ da nie drüber nachgedacht, sondern versucht, immer so ehrlich wie möglich das aufzuschreiben, was gerade so bei mir los ist und was ich gerade fühle. Bei „Wir sind groß“ war es so, da habe ich ein Lied über mich und meine Kumpels geschrieben. Damit hab ich meine Band gemeint, mit der ich jetzt seit drei Jahren nonstop unterwegs bin. Vielleicht fühlt man das auch. cultur.zeit: Wie würde dein Song für den SC Freiburg heißen? Forster: Der SC Freiburg ist ja ein total sympathischer Club, schon seit Volker Finke. Und ich mag ja euren Trainer Christian Streich total gerne. Vielleicht könnte das dann irgendwie so gehen: Die Welt ist Streich und wir sind groß. cultur.zeit: Du als Fußballexperte: Wo steht der SC am Ende der Saison? Forster: Ich glaube nicht, dass Freiburg dieses Jahr die Foto: © Robert Winter
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pätestens nach der Fußball-EM in Frankreich sollte ihn jeder kennen: Mark Forster. Der gebürtige Pfälzer spielte sich mit seinem Hit „Wir sind groß“ in die Herzen der Fußballfans – am 29. November im Zäpfle Club an der Messe auch in Freiburg. Im Gespräch mit cultur.zeitRedakteur Till Neumann und Volontärin Valérie Baumanns erzählt der 32-Jährige von einem stürmischen Jahr, warum der SC Freiburg nicht absteigt und er gerade tanzen übt.
Überraschungsmannschaft ist, aber ich kann mir eigentlich auch nicht vorstellen, dass sie absteigen. Da gibt’s zu viele gute Spieler, und die Mannschaft war in der zweiten Liga letztes Jahr – da kenn ich mich ja aus, als Kaiserslautern-Fan – sehr, sehr stark. Also, ich schätze mal, ein unterer Mittelfeldplatz. cultur.zeit: Gerade warst du Synchron sprecher für den Film „Trolls“, der jetzt ins Kino kommt. Ein zweites Standbein? Forster: Das könnte ich mir schon vorstellen. Ich darf ja die Rolle sprechen, die im amerikanischen Original Justin Timberlake spricht und singt. Die spreche und singe ich dann auf Deutsch. Da hat sich Hollywood überlegt: Wer ist denn der deutsche Justin Timberlake? Und dann kamen sie halt auf Mark Forster. (lacht) cultur.zeit: An den Tanzskills musst du aber noch arbeiten ... Forster: Sind in Arbeit, aber die sind als Synchronsprecher auch nicht so wichtig. cultur.zeit: In „Wir sind groß“ outest du dich als Fahrraddieb. Du singst: „Fahrrad aus’m Park erst morgen früh zurückbringen.“ Wie viele Fahrräder hast du denn schon ausgeliehen? Forster: (lacht) Da muss ich die Aussage verweigern, da das sonst natürlich rechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Aber so viel kann ich sagen: Das Problem haben wir in Berlin auch und mir wurden selber eklatant mehr Fahrräder entliehen, als ich selber geliehen habe.
Teddy Smith
HandinHand
Eigenvertrieb
Timezone
Rise
Gedankenstrom
Der Sounddreck ... ... zum Gewässermissbrauch
Headline Titel: Badner Lied – Anti-Schwaben-Version Urheber: Gino Wild Jahr: 2011
Teddy hat den Blues
Ungeschliffenes Debüt
(tln). Blues, Soul, Black. Der Freiburger Teddy Smith veröffentlicht am 20. Oktober sein Debütalbum. Und das hört sich absolut nicht nach Debüt an: Mit „Rise“ zeigt sich der Sänger und Gitarrist gereift: Auf 19 Songs präsentiert das ehemalige Acoustic-Instinct-Mitglied Rhythm ’n‘Blues mit viel Seele. Smith war Frontmann mehrerer Bands und arbeitet nun erstmals solo. Vocalflächen und ein Tupac-Sample öffnen die Tür zu „Foreign Roots“. Brachiale Trommeln, ein staubiger Riff, Smith’ eindringliche Stimme. Der folgt man bis in die Zeit der Sklaverei, von der der Mann mit karibischen Wurzeln singt. Ruhige Töne bestimmen große Teile der Platte, die Smith komponiert und größtenteils auch selbst eingespielt hat. Er singt von einem gottverlassenen Haus (Riverside), der Zerstörung des Planeten (Broken World) und großen Gefühlen (Naturally). Stimmlich erinnert das manchmal an John Legend – bloß dunkler. „Rise“ hat auch beschwingtere Seiten: Eingängige Keys tragen den Titeltrack, mit dem poppigen „It Must Be You“ gibt’s Tanzbares. 19 Songs sind viel. Weniger wäre mehr gewesen. Doch die Lieder fesseln – gerade in den ruhigen Momenten. Das wird sich rumsprechen, weit über Freiburg hinaus ...
(tln). Fünf Jungs aus dem Raum Lörrach setzen zum Triple an. Gleich drei Mal sind HandinHand im Oktober in Freiburg zu sehen. Die Indie-Pop-Band hat ihr erstes Album im Gepäck: Gedankenstrom. Elf Lieder aus der Feder der Frontmänner Niklas Dunke und Ronny Lindmeier. Ein Mix aus tanzbaren Grooves und verträumten Balladen. Die Themen: Liebe und Freundschaft. „Du bist der Schmetterling, der in meinem Bauch schwebt“, heißt es in „Perspektive Ewigkeiten“. Man soll sich nicht unterkriegen lassen, ist die Message von „Hör nicht hin“, glaub an dich, um glücklich zu werden, appelliert der Song „HandinHand“. Immer wieder schrammen die Jungs an der Kitschgrenze entlang. Doch die gitarrenlastigen Stücke gehen in die Beine, die Drums treiben. Live ist das sicher stimmungsvoll. Und Balladen wie „Geradeaus“ bleiben durchaus im Ohr. Das Debüt der Band, die Philipp Poisel als musikalischen Einfluss nennt, zeigt Potenzial. Mehr Pop als Indie. Noch etwas ungeschliffen kommt das Ganze daher – auch in der Produktion. Die Band gibt’s erst seit Juli. Da hätte man mit einem Album auch noch ein wenig warten können. Wie gut sie live sind, zeigen HandinHand nach ihrem Gig im Stadtgarten noch am 17. Oktober im Räng Teng Teng und am 31. in der Wodanhalle.
Mal wieder Schwaben-Bashing, werden Sie denken, langweilig. Stimmt. Die kulturellen Auswüchse der Schwabenverhöhnung verstopfen seit Jahrzehnten unseren Schreibtisch. Die Lieder, die sich abfällig mit unseren Nachbarn im Osten beschäftigen, sind selten witzig und nie gut. Vor allem sind sie so zahlreich, dass eine Strafverfolgung ungefähr so erfolgreich ist wie bei Wohnungseinbrüchen in Freiburg. Bei schlimmeren Delikten müssen wir dann trotzdem alle Hebel in Bewegung setzten. Wenn Gewässer kulturell verunreinigt werden, natürlich sofort. Dass harm- und wehrlose Gewässer politisch oder kulturell missbraucht werden, ist ein alter Straftatbestand. Denken wir nur an die Etsch und den Belt. Und wenn wir die unzähligen Lieder über den Rhein betrachten, ist klar, warum er versucht, nach Norden zu flüchten. Und nun dieses. „In Maxau ist der Rhein noch blau, In Mannheim wird er grau, Da fließt der Neckar in den Rhein, Die alte Schwabensau.“ Urheber ist der Malle-DJ Gino Wild (bekanntester Titel vermutlich: „Blasen 5 Euro“). Weiter geht’s: „Bei Sipplingen isch die Pumpstation, Da bumbet’s Wasser naus, Doch vorher brunzet de Badner nei, Und Schwabe saufets aus.“
Zum Wohl, für Ihre Geschmackspolizei, Benno Burgey
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Poesie des Lebens Fantastische Anti-Gier-Fabel in archaischer Schwarzwald-Welt von Erika Weisser
Das kalte Herz Deutschland 2016 Regie: Johannes Naber Mit: Frederick Lau, Henriette Confurius, Moritz Bleibtreu, Sebastian Blomberg u.a. Verleih: Weltkino Laufzeit: 119 Minuten Start: 20.10.2016
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er Stoff ist möglicherweise so alt wie die Menschheit. Zumindest aber so alt wie die Aufteilung der Menschen in Reiche und Arme, in Mächtige und Ohnmächtige: Einer, der von Geburt zu den Habenichtsen gehört und es wegen eines unüberwindbaren Kastenwesens nie zu Selbstbestimmung und gesellschaftlichem Ansehen bringen wird, geht einen Pakt mit dem Bösen ein, um unerreichbare Ziele zu erreichen. Aus Gier, aus Gerechtigkeitssinn, aus Liebe – die Motive der moralischen Grenzüberschreitung als Mittel zur Überwindung sozialer, angeblich gott gewollter Grenzen sind vielfältig. Das Ergebnis immer gleich: Verrohung, Grenzenlosigkeit, Untergang. Peter Munk, der Sohn eines Nordschwarzwälder Köhlers, ist da keine Ausnahme – weder in Wilhelm Hauffs romantischem, 1827 veröffentlichten Märchen „Das kalte Herz“ noch in Johannes Nabers gleichnamiger fantastischer Verfilmung, die nun in die Kinos kommt. Zwar ist es die Liebe zu der schönen Glasmachertochter Lisbeth Löbl, die den auf der untersten gesellschaftlichen Stufe stehenden Köhler Peter antreibt, sich in die Hände des berüchtigten Holländer Michel zu begeben, der in einer Höhle im Wald haust und Menschen durch die Entnahme ihrer Herzen zu gefühllosen Marionetten macht. Doch kaum hat Peter anstelle seines Herzens einen Stein in seiner Brust, kann er gar keine Liebe mehr empfinden. Und auch keine anderen Gefühle, wie etwa Empathie, Solidarität, Nachsicht. Oder einfach nur Güte.
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Fotos: © Weltkino
Durch seinen Pakt mit dem diabolischen Holländer Michel wird der ehemals so gutmütige Peter zum skrupellosen Geschäftsmann, der keine andere Leitlinie mehr kennt als die Vermehrung von Reichtum und Macht – um jeden Preis. Um den Preis des Verlustes seiner selbst: Verblendet von hemmungsloser Gier wird er am Ende zum Ebenbild jener mächtigen Männer, unter deren herzloser Verachtung und gnadenlosem Spott er einst litt. Und auch um den Preis des Verlusts der Frau, für die er eigentlich alles tun wollte – und tat. Denn Lisbeth, die ihn ohne Bedingungen, ohne Geld und Ansehen liebte, erkennt ihn nicht wieder und will nichts mehr von ihm wissen. Johannes Nabers Film führt zwar in eine archaische, von fantastischen Fabelwesen und Naturgeistern bevölkerte Wald-Welt. Doch ist seine grundsätzliche Kapitalismuskritik auch in dieser, teilweise in der Umgebung des Schluchsees gedrehten Anti-Gier-Fabel nicht zu übersehen. Obwohl sie nicht so deutlich daherkommt wie in „Zeit der Kannibalen“. Ein packender, bildgewaltiger und gruselig-schöner, kraftvoller Film mit ausgezeichnet agierenden Schauspielern.
Kino
Norwegen 2016 Regie: Rune Denstad Langlo Mit: Anders Baasmo Christiansen u.a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 91 Minuten Start: 13.10.2016
Frankreich 2015 Regie: Yann Arthus-Bertrand Dokumentarfilm Verleih: Polyband Medien Laufzeit: 143 Minuten Start: 20.10.2016
Haymatloz – Exil in der Türkei
Foto: © Mindjazz Pictures
Human – die Menschheit
Foto: © Polyband Medien
Foto: © Neue Visionen
Welcome to Norway
Deutschland 2016 Regie: Eren Önsöz Dokumentarfilm Verleih: Mindjazz Pictures Laufzeit: 92 Minuten Start: 27.10.2016
In der Patsche
Miteinander leben
No Land’s People
(ewei). Primus ist zwar eher allgemeiner Misanthrop als spezieller Rassist, doch für Ausländer hat er noch weniger übrig als für Einheimische. Dennoch sollen gerade die ihn aus der misslichen Lage befreien, in die er sich selbst gebracht hat: Wegen seiner permanenten Übellaunigkeit sind auch die hartnäckigsten Urlauber seinem heruntergekommenen Berghotel in Nordnorwegen fern geblieben; den drohenden Ruin will er mit den hohen staatlichen Subventionen für die Unterbringung von Flüchtlingen verhindern. Doch als sie mitten im Winter in dem Haus ohne Türen, Heizung und Strom eintreffen, lassen die Konflikte nicht lange auf sich warten – nicht nur unter den Bewohnern, die ihre neue Heimat bald „Guantanamo“ nennen, sondern auch mit der Migrationsbehörde, die nur bei Einhaltung der Mindeststandards zahlen will. Und ausgerechnet der Afrikaner Abedi hilft ihm aus der Patsche. Eine skurrile und schwarze Komödie über altbekannte Vorurteile.
(ewei). Wir wissen nicht erst seit heute, dass kein Mensch gleich ist wie ein anderer. Und es ist auch keine brandneue Neuigkeit, dass trotzdem alle Menschen gleich sind, gleich sein sollten in ihren Rechten, in ihren Chancen, in ihren Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten, ihre Träume zu verwirklichen. Dass es möglicherweise doch etwas gibt, das uns alle im tiefen Inneren verbindet, unabhängig von geografischer und sozialer Herkunft oder der Hautfarbe. Dieser Frage nach der Essenz der Menschlichkeit ist Fotojournalist Yann Arthus-Bertrand mit seinem Team nachgegangen; über drei Jahre lang führten sie Interviews mit etwa 2000 Menschen in 60 Ländern und noch mehr Sprachen der Erde. Entstanden ist ein fesselndes Kaleidoskop an Lebensmut, Sehnsüchten, Träumen, Glücksgefühlen, Trauer, Hoffnung, Schatten – festgehalten in bewegenden Geschichten und faszinierenden Naturaufnahmen. Die eindrücklich mahnen, sich für ihren Erhalt einzusetzen.
(ewei). „Wir sind No Land’s People geblieben. Das ist unser Kismet“, sagt Susan Ferenz-Schwartz gleich zu Beginn des Films. Sie ist die Tochter des Pathologen Philipp Schwartz, der einst an der Frankfurter Universität forschte und lehrte – bis er 1933 zur Flucht ins Ausland gezwungen war: Er war Jude, deshalb drohten ihm Entlassung und Verhaftung. Und Schlimmeres. Er ging zunächst nach Zürich – und von dort in die Türkei, wo Kemal Atatürk fähige Wissenschaftler für den Aufbau moderner Universitäten in Istanbul und Ankara suchte. Und sie unter den ausgebürgerten Deutschen in großer Zahl fand – über die „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“, die Schwartz gleich nach seiner Flucht gegründet hatte. Mit den Nachkommen fünf solchermaßen Geretteter folgt Regisseurin Eren Önsöz nun deren Spuren – und eröffnet bereichernde Einblicke in eine fast unbekannte Vergangenheit. Ohne den Blick auf die Gegenwart zu vergessen.
kino Die Ökonomie der Liebe
Foto: © Ran Mendelson / Koch Media
Foto: © Camino Filmverleih
Israel 2015 Regie: Natalie Portman Mit: Natalie Portman, Amir Tessler u.a. Verleih: Koch Media Laufzeit: 98 Minuten Start: 3.11.2016
Belgien /Frankreich 2016 Regie: Joachim Lafosse Mit: Bérénice Bejo, Cédric Kahn u.a. Verleih: Camino Laufzeit: 95 Minuten Start: 3.11.2016
Foto: © Koch Film / Pretty Pictures
voll von der Rolle
Eine Geschichte von Liebe UND Finsternis
Sie durchbricht Mauern des Schweigens: Filmemacherin Haifaa Al Mansour
Weltbürgerin mit Hoffnung (ewei). Alle zwei Jahre vergibt die Freiburger Kant-Stiftung den mit insgesamt 30.000 Euro dotierten Immanuel-Kant-Weltbürgerpreis an „Persönlichkeiten, die sich mutig und unbestechlich für Frieden, Völkerverständigung und Rechtsstaatlichkeit einsetzen“, wie es in den Richtlinien des Kuratoriums heißt. Die diesjährige Entscheidung passt gut zu Freiburgs Ruf als Deutschlands Kinostadt Nr. 1. Denn der Preis geht heuer zu gleichen Teilen an zwei Filmemacher, die hier auch noch besonders verehrt werden: Jafar Panahi aus dem Iran, dessen „Taxi Teheran“ beim Freiburger Filmfest 2015 für einen komplett ausverkauften Mensagarten sorgte. Und Haifaa Al Mansour aus Saudi-Arabien, deren Film „Das Mädchen Wadjda“ beim Filmfest 2013 gar den Freiburger Publikumspreis gewann. Da Jafar Pahani in seiner Heimat unter Hausarrest steht und mit einem Berufs- und Reiseverbot belegt ist, konnte er diese angesehene Auszeichnung nicht persönlich entgegennehmen; seine Tochter wird sie überbringen. Ebenso wie die Grüße von Haifaa Al Mansour, die den Regisseur und Berlinale-Gewinner von 2015 als einen wichtigen Lehrer bezeichnete. Der Weltbürgerpreis, sagte sie in ihrer Dankesrede, bedeute ihr viel, zumal sie während ihres Studiums in Kairo mit dem Werk und aufklärerischen Geist Immanuel Kants in Berührung gekommen sei. Ihr Film, sagte sie tags darauf bei dessen Sondervorführung in einem voll besetzen Kinosaal des Friedrichsbaus, sei „kein anklagender Film“, sondern einer, der Hoffnung machen solle. Hoffnung auf ein Leben ohne Religionspolizei und ohne anachronistische Gesellschaftsstrukturen. Mit gleichen Rechten für Frauen und Männer. Und irgendwann auch mit Kinos. Die sind in Saudi-Arabien nämlich verboten.
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Verlorener Traum
Haus als Seelengefängnis
(ewei). „Es gibt nur einen Weg, einen verheißungsvollen Traum in seiner Gänze zu bewahren: Man darf niemals versuchen, ihn zu verwirklichen. Ein verwirklichter Traum ist ein enttäuschender Traum. Diese Enttäuschung liegt im Wesen der Träume.“ Dieses Zitat aus Amos Oz’ autobiographischem Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ ist gleichsam das Leitmotiv der Verfilmung des Buchs, an die sich die US-Schauspielerin Natalie Portman in ihrem Regiedebüt gewagt hat. Ein Leitmotiv, das sich bewahrheitet: Amos’ Mutter Fania, die als Kind mit ihrer Familie aus Osteuropa vor den Nazis nach Palästina flüchtete und ihr bisheriges Leben lang vom Traum eines eigenen Staates Israel beseelt wurde, fällt angesichts der ernüchternden Realität nach dessen Proklamation zusehends in Depressionen, aus denen sie nicht mehr zurückfindet. Ein sehr persönliches kleines Meisterwerk, in dem Natalie Portman zutiefst einfühlsam die Rolle der Fania spielt.
(ewei). Nach 15 Ehejahren beschließen Marie und Boris einvernehmlich, sich scheiden zu lassen. Doch Boris’ Einkommen reicht nicht für die Miete einer eigenen Wohnung, er muss vorerst in dem gemeinsamen Haus bleiben und zieht erst einmal auf die Couch im Wohnzimmer. Für die Zwillingstöchter Jade und Mar gaux ist das in Ordnung. Für die Eltern indessen nicht: Bald beginnt der Streit um das Haus, das Marie zwar bezahlt, Boris aber in jahrelanger Arbeit aufs Feinste renoviert hat. Beide beanspruchen das Besitzrecht – und keiner von ihnen kann nachgeben. Im Laufe der unentwegten Streitereien kommt ihnen auch noch der letzte Rest Zuneigung abhanden, entladen sich zunehmend Gefühle wie Zorn, Bitterkeit, Enttäuschung. Gefühle, die sich in all den Jahren unmerklich in beiden angestaut haben – und nun gar in Richtung Hass gehen. Das Haus wird zusehends zum Seelengefängnis; die Situation spitzt sich zu. Temporeiche Variation des Themas „Scherbenhaufen“.
DVD GrüSSe aus Fokushima Deutschland 2015 Regie: Doris Dörrie Mit: Rosalie Thomass, Kaori Momoi u.a. Studio: Majestic Laufzeit: 104 Minuten Preis: ca. 15 Euro
Monsieur Chocolat Frankreich 2015 Regie: Roschdy Zem Mit: Omar Sy, James Thierée u.a. Studio: DCM Laufzeit: 115 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Ein Atem Deutschland 2015 Regie: Christian Zübert Mit: Chara Mata Giannatou, Jördis Triebel, u.a. Studio: Wild Bunch Laufzeit: 97 Minuten Preis: ca. 14 Euro
Geister der Vergangenheit
Spiel mit Ressentiments
Schiere Verzweiflung
(ewei). Als Marie den größten Fehler ihres bisherigen Lebens begeht, flieht sie in eine Notunterkunft nahe des atomar kontaminierten Orts Fukushima, um dort „etwas Sinnvolles“ zu tun. Was vielleicht auch „Buße“ genannt werden könnte. Doch sie wird die Geister der Vergangenheit nicht los, ebenso wenig wie die störrische Geisha Satomi, mit der sie karthartische Tage in deren Haus in der verlassenen Stadt verbringt. Einer der schönsten Filme dieses Kinojahrs.
(ewei). 1897. In einem kleinen Provinz-Zirkus arbeitet der ehemalige Sklave Raphael, der als Urwaldwesen mit den Ängsten der einheimischen Bevölkerung vor dem Fremden spielt. Der weiße Clown Footit jedoch sieht die Chance, seiner Karriere neuen Schwung zu verleihen: Ein schwarz-weißes ClownsDuo – das hatte es bisher noch nicht gegeben, das fasziniert auch bald das Publikum in Paris. Ein etwas fahriger Film mit sehr aktuellen Bezügen.
(ewei). Als die junge Griechin Elena ihre lausig bezahlte Arbeit in einem Athener Hotel gekündigt bekommt, beschließt sie, ihr Glück in Deutschland zu suchen – ohne ihren Freund, der die krisengeschüttelte Heimat nicht verlassen will. Beim Gesundheits check für ihren Job in einer Frankfurter Szenekneipe erfährt sie, dass sie schwanger – und der Job somit passé ist. Notgedrungen übernimmt sie bei der Karrierefrau Tessa die Rolle der Tagesmutter für deren Kind. Mit traumatisierenden Folgen.
Peggy Guggenheim: Ein Leben für die Kunst
Colonia Dignidad – Es Gibt kein Zurück
USA, Italien, Großbritannien 2014 Regie: Lisa Immordino Vreeland Dokumentarfilm Studio: EuroVideo Medien Laufzeit: 96 Minuten Preis: ca. 18 Euro
Deutschland 2015 Regie: Florian Gallenberger Mit: Emma Watson, Daniel Brühl u.a. Studio: Majestic Laufzeit: 110 Minuten Preis: ca. 16 Euro
Der Kuaför aus der KeupstraSSe Deutschland 2015 Regie: Andreas Maus Dokumentarfilm Studio: good!movies Laufzeit: 92 Minuten Preis: ca. 14 Euro
Hand in Hand
Hinter Mauern
Folgenschwere Verdächtigung
(ewei). Die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim leistete einen großen Beitrag zur Kanonisierung moderner Kunstrichtungen wie Surrealismus, Kubismus oder Dadaismus. Anhand ihres bisher verschollenen letzten Interviews gibt Lisa Immordino Vreeland ungeahnte Einblicke sowohl in das kuratorische Schaffen als auch in das private Leben der 1979 verstorbenen Kunstmäzenin. Das Porträt einer selbstbewussten Frau, bei der das Leben und die Kunst Hand in Hand gingen.
(ewei). Die jungen Deutschen Lena und Daniel geraten nach Augusto Pinochets Putsch gegen den chilenischen Präsidenten Salvador Allende in die Hände der Polizei – und von dort in die abgeschottete „Colonia Dignidad“, in der der faschistoide Sektenführer Paul Schäfer sein Unwesen treibt und – von der Deutschen Botschaft unangetastet – enge Verbin dungen zu den neuen Machthabern unterhält. In einer dramatischen Aktion gelingt ihnen die Flucht. Ein augenöffnender Politthriller.
(ewei). Der Film erzählt die Geschichte des Nagelbombenanschlags vor einem türkischen Frisörsalon in der Kölner Keupstraße im Juni 2004. Er konzentriert sich auf die Folgen für die Opfer und ihre Angehörigen, gegen die als Hauptverdächtige jahrelang ermittelt wurde. Anhand der rekonstruierten Verhörprotokolle wird deutlich, dass ein ausländerfeindliches Motiv weitestgehend ausgeblendet wurde. Erst Jahre später wurde der Anschlag dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugeordnet. Oktober 2016 chilli Cultur.zeit 71
Literatur
Nächtliches Hirnen Der Freiburger Ulrich Pröfrock übersetzt einen Comic über den Anschlag auf Charlie-Hebdo
D
von Erika Weisser
er Tag ist vielen Menschen in entsetzlicher Erinnerung geblieben: Am 7. Januar 2015 stürmten zwei wildgewordene Religionsfanatiker die Redaktion des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo und erschossen elf Menschen. Draußen stand Catherine Meurisse. Sie hatte sich auf dem Weg zur Redaktionskonferenz verspätet. Und entkam dem Massaker. Schwer chaotisiert. In ihrem in Frankreich bereits erschienenen Comic „La Légèreté“ (Die Leichtigkeit) zeichnet und schreibt Meurisse sich diese unfassbare, traumatische Erfahrung von der Seele, zeigt in bedrückenden Bildern und Texten ihre anfangs vergeblichen Bemühungen, zurückzufinden zu der Leichtigkeit, die ihr mit dem Mord an ihren Kollegen genommen wurde. Der Freiburger Comic-Spezialist Ulrich Pröfrock ist derzeit dabei, das Buch ins Deutsche zu übertragen, Ende Dezember soll es erscheinen. Der 61-jährige Buchhändler handelt nämlich nicht nur mit Graphic Novels, er übersetzt sie auch, seit etwa 30 Jahren und in großer Zahl: Bei den jährlichen Herbst-Ausstellungen der Stadtbibliothek zum Thema „In Freiburg übersetzt“ ist immer
ein gutes Dutzend Bücher zu finden, das durch seine Hand ging. „Vorwiegend abends und nachts“ hat er „immer fünf, sechs Titel gleichzeitig in Arbeit“, hat dabei viel Routine gewonnen. Und den renommierten Christoph-Martin-WielandÜbersetzerpreis, der 2015 zum ersten Mal für das Comic-Genre vergeben wurde. Wie bei jeder literarischen Übertragung, erzählt Pröfrock, gehe es auch bei einer Comic-Übersetzung neben Originaltreue um sorgfältige Quellenrecherche und um die Bereitschaft, Werk und Autor an sich herankommen zu lassen. Selten jedoch sei ihm ein Werk persönlich so nahe gekommen wie „La Légèreté“. Er kannte, wenn auch flüchtig, zwei Mitarbeiter des Magazins, mit dem er „praktisch groß geworden“ ist: Pröfrock lebte von 1965 bis 1974 in Paris und suchte, nachdem ihm freundliche Nachbarn gleich nach der Ankunft zur Unterstützung des Spracherwerbs ein Comic-Jahresabo geschenkt hatten, „systematisch nach allem, was mit Comic zu tun hatte“. Und stieß irgendwann auf das 1970 gegründete Magazin. Während der Übersetzung von Meurisses Buch sei die Trauer zurückgekehrt, die er nach dem Anschlag empfunden hatte. Und auch die Betroffenheit, die das Massaker im Bataclan im November des vergangenen Jahres in ihm ausgelöst hatte. Dieser Ort „war jahrelang mein zweites Wohnzimmer, war für mein Aufwachsen ganz wesentlich“. Deshalb wird ihm diese Übersetzung in besonderer Erinnerung bleiben – nicht nur wegen der vielen Stellen, an denen er „wirklich hirnen“ musste. Ulrich Pröfrock im Comicstyle: Kaum ein Werk ist ihm so nahe gegangen wie „La Légèreté“. Illustration: © Reinhard Kleist
72 chilli Cultur.zeit Oktober 2016
FRezi
Königin der Nacht
von Bille Haag Verlag: Klöpfer & Meyer 302 Seiten, gebunden Preis: 22 Euro
Keine Ahnung, wo wir hier gerade sind
von Sina Pousset Verlag: Goldmann 256 Seiten, Broschur Preis: 12,99 Euro
Raubritterblut
von Roland Weis Verlag: Rombach 2016 285 Seiten, Taschenbuch Preis: 12 Euro
Mit intrigantem Charme
Mobiler Mikrokosmos
Das höllische Tal
(ewei). Lili ist von Anfang an unerwünscht. Und bekommt das schon beim ersten selbstständigen Atemzug zu spüren. Weder die zerstrittenen Eltern noch die drei älteren Schwestern geben dem schwächlichen Kind einer ehelichen Vergewaltigung den Halt, den es für seinen aussichtslos scheinenden Überlebenskampf in den ersten Lebenstagen braucht. Doch das Mädchen überlebt. Und entwickelt bald ein nahezu unfehlbares Gespür für Menschen und Situationen, die ihm zum Vorteil dienen. Und einen intriganten Charme, mit dem es diese Menschen für sich und seine Ziele gewinnt. Dieser intrigante Opportunismus wird sich auch durch das Erwachsenenleben der späteren Gesangslehrerein Lili Kordewan ziehen, die sich, seit Kindertagen von Mozarts Zauberflöte beseelt, zu Höherem berufen fühlt: Zur Opernsängerin, für die der Part der Königin der Nacht gerade gut genug ist. Überzeugt, dass ihre große Stunde kommen wird, verbündet sie sich schon früh mit jenen, die mehr Wert auf Völkisches als auf wirkliches Talent und Können legen. Ein spannendes Stück Zeitgeschichte – samt Psychogramm einer Mitläuferin.
(ewei). Es gibt Situationen, die geradezu danach schreien, festgehalten zu werden. Und Lebensumstände, in denen derartige Situationen besonders häufig auftreten. Auf Reisen, beispielsweise. Insbesondere dann, wenn die Reise in einem bis auf den letzten Platz besetzten Fernbus stattfindet. Wenn die zurückzulegende Strecke sehr lang ist, kann der Bus die Dimension einer Raum- oder Zeitkapsel annehmen, in deren hermetischem Mikrokosmos die Passagiere einander auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Und so ziemlich alles voneinander mitkriegen. Und sich näher kommen. Manchmal auch zu nahe. Stundenlang. Mit wenigen kleinen Atempausen – falls der Fahrer sich an die Vorschriften hält. „Das muss mal jemand aufschreiben“, mag sich die eine oder der andere häufig Fernbusreisende unterwegs schon einmal gedacht haben; Sina Pousset, Autorin bei der Süddeutschen Zeitung, hat es nun getan. Schon vor langer Zeit hat sie ihre Liebe zu diesem „Maulesel der Straße“ entdeckt, obwohl er außer störrisch auch „langsam, eng, stickig oder kalt, stauanfällig und voll von definitiv nicht geliebten Fremden“ ist. Mit viel Menschenliebe, situationskomischem Humor und köstlicher Selbstironie gibt sie heitere Ratschläge für unsere nächste Tour im mobilen Mikrokosmos.
(Stefan Pawellek). Alfred, Hallodri und Ex-Journalist beim Hochschwarzwald-Kurier, hat sein Studium an der Uni Freiburg wieder aufgenommen. Bei Professor Hugott quält er sich durch die Verkehrs- und Wirtschaftsgeschichte des Höllentals. Und dieses Tal scheint tatsächlich etwas Höllisches zu haben: Da residierten einst die Raubritter von Falkenstein, da wird in einem Tunnel der Kommilitone „Gonni“ ermordet aufgefunden, und schließlich stößt Alfred bei den Vorbereitungen zu einem Referat auf den „Goldenen Marti“ einer sagenumwobenen Goldmine – im Höllental. Roland Weis hat mit seinem jüngsten Krimi eine Geschichte entworfen, die sich ebenso locker-leicht wie spannend liest – und für Einheimische immer wieder Vergnügliches bereithält: Sei es der Professor, der ein reales Ebenbild hat, seien es die realitätsnahen Charaktere der Freiburger Journaille oder die Eigenheiten der Freiburger Jeunesse dorée. Dass die historischen Implikationen den Tatsachen entsprechen, versteht sich von selbst, ist Weis doch selbst promovierter Historiker und absoluter Kenner des Schwarzwaldes. „Raubritterblut“ ist bestens geeignet, einem verregneten Herbsttag aufregende Aspekte abzugewinnen. Die leichte, ironische Sprache, das augenzwinkernde Ausbreiten menschlichallzumenschlicher Verhaltensweisen und der Spaß am Lokalkolorit bilden eine lohnende Lektüre.
In der Reihe „Freiburger Andruck“ stellt die Freiburger Autorin Bille Haag ihre „Königin der Nacht“ persönlich vor: Dienstag, 25. Oktober, 20 Uhr, Stadtbibliothek Freiburg.
Oktober 2016 chilli Cultur.zeit 73
chilli astrologie
Das »bierernste«
chilli-Horoskop
Die Nachbarschaftsedition von Tanja Bruckert
Widder 21.03. – 20.04.
Waage 24.09. – 23.10.
Es ist ja schön, dass du deine Wohnung so minimalistisch eingerichtet hast. Nur das nötigste an Einrichtungsgegenständen, Farben und Formen – ja, das sieht schon schick aus. Aber so manch zusätzliches Accessoire wäre doch ganz nett. Zum Beispiel Vorhänge. Glaub mir: Nicht jeder möchte sehen, wie du nackt am Fenster stehst und dir den Hintern kratzt.
Okay, du willst deine Ruhe vor den Nachbarn haben. Verstanden. Aber sind der meterhohe Zaun, der Stacheldraht und die aggressiven Wachhunde nicht etwas übertrieben? Wenn sogar schon Israel und Palästina bei dir anrufen, um sich Tipps über den richtigen Umgang mit dem Nachbarn zu holen, sollte dir das zu denken geben …
Stier 21.04. – 21.05.
Skorpion 24.10. – 22.11.
Manchmal merkt man erst, was man an seinen Nachbarn hatte, wenn sie ausziehen: Jahrelang ist die Musik deiner Nachbarn durch die dünnen Wände geschallt – zu jeder Tages- und Nachtzeit. Doch jetzt sind neue Nachbarn eingezogen und es ist Ruhe. Stille. Kein Laut zu hören. Verdammt. Jetzt musst du dir doch tatsächlich eine Musikanlage kaufen.
Du willst ruhig schlafen? Da gibt es eine ganz einfache Regel: Zieh nicht über, unter oder neben eine Disko. Dann kannst du dir auch das Baurechtsamt auf der Kurzwahltaste sparen. Hinterzarten ist schön. Köndringen auch. Oder wie wär’s mit Amoltern? Da schenkst du dir auch gleich noch den Durchgangsverkehr.
Zwilling 22.05. – 21.06.
schütze 23.11. – 21.12.
Wie du diese neugierigen Nachbarn hasst! Sollen die sich mal lieber um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern: Der Müller hat seit drei Tagen das gleiche Sakko an, die Pfefferle hat ihre Geranien seit einer Woche nicht mehr gegossen und der Hund von diesen komischen Hippies von Gegenüber hat heute Morgen um fünf schon wieder an die Hausecke gepinkelt …
Dich nervt es, dass du in der ganzen Nachbarschaft als erstes aufstehen musst. Wenn du zur Arbeit fährst, sind die Rollos deiner Nachbarn noch unten. Kein Problem, das lässt sich ganz schnell ändern. Schnapp dir an einem kalten Morgen eine Schneeschaufel und kratz damit auf dem Asphalt rum. Du wirst dich wundern, wie schnell die Rollläden nach oben schnellen.
Krebs 22.06. – 22.07.
steinbock 22.12. – 20.01.
Gute Nachbarschaft geht dir über alles: Wie schön, ein soziales Netzwerk zu haben, in dem sich einer um den anderen kümmert. Deswegen hupst du morgens ausgiebig, bevor du zur Arbeit fährst. Nicht, dass sich noch jemand Sorgen macht. Noch netter wär’s natürlich, wenn du zudem schnell bei den Nachbarn klingelst – es könnte ja einer dein Gehupe verschlafen haben.
Für Familien ist die Wohnungssuche nicht leicht: Paare mit Einzelkind gelten als Snobs, Alleinerziehende haben ihre Kinder eh nicht im Griff und Familien mit mehr als drei Kindern … mein Gott, wie asozial! Vielleicht solltest du mal an den gesellschaftlich anerkannten 1,47 DurchschnittsKindern arbeiten – damit dürfte die Suche kein Problem mehr sein!
23.07. – 23.08.
wassermann 21.01. – 20.02.
Jetzt reg’ dich nicht ständig über deine Nachbarn auf. Klar, durch die dünnen Wände hörst nicht nur ihren rasselnden Raucherhusten, sondern auch ihre ständigen Streitereien und das Gequängel ihres Babys, das bei all dem Husten und Streiten nicht einschlafen kann. Aber wenigstens hören deine Nachbarn gute Musik – ob sie wollen oder nicht.
Bio-Standards erfüllt deine WG ja nicht gerade – die Mindestquadratmeterzahl pro Bewohner wird nicht eingehalten, ebenso wenig wie die erforderlichen Hygienestandards. Und der verantwortungsvolle Umgang mit Medikamenten? Bei dem, was ihr so wegraucht, dürfte dieser Zug längst abgefahren sein. Zeit, mit der Massenstudentenhaltung Schluss zu machen!
LÖWE
24.08. – 23.09.
fische 21.02. – 20.03.
Deine Nachbarn wollen, dass du das Treppenhaus putzt – eine ganze Woche lang. Und weil die keinen neuen Besen kaufen wollen, sollst du das auch noch mit einem zwanzig Jahre alten Kehrer machen, dem die Borsten ausfallen. So kann das nicht weitergehen, also hör auf zu jammern und zieh endlich aus dem Schwabenländle wieder zurück nach Baden.
Fische gelten ja nicht als die besten Nachbarn. Puh, allein der Fischgeruch! Die Wasserschäden sind ja auch schon vorprogrammiert. Und dann noch hunderte von Kindern auf einen Schlag – wer will schon neben einer lärmenden XXXXL-Familie wohnen? Wobei: Wenn die alle stumm wie die Fische sind … Na gut, weitermachen!
JUNGFRAU
74 CHILLI Oktober 2016