chilli – das Freiburger Stadtmagazin

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Was da wieder los ist: Ausstellungen, Events, Kino, Theater u.v.m 15.10.-14.11.21

A u s g abe 10-11/2021 2,8 0 Euro

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Ausgabe Oktober 18. Jahrgang / #170

»MÜSSEN VIEL MEHR TUN«

Freiburgs neue Umweltbürgermeisterin Christine Buchheit im Interview

AUFREGEND AUSSCHLIESSEND AUSGEBAUT Unruhige Nacht im Schlafflabor

Freiburger Clubs setzen vermehrt auf 2G

Vom ersten Kick in der neuen SC-Arena

mit T H EM EN H EF T Jobstarter



CHILLI EDITORIAL

THINK GLOBAL, ACT LOCAL Foto: © David Baldysiak

DIE DEZERNENTIN, DIE ARENA UND DIE KONTROVERSE

Anpfiff: Beim ersten Kick im neuen Europa-Park Stadion zeigten die Fans, auf welchen Namen sie die Arena getauft haben.

Liebe Leserin & lieber Leser, der Sommer, in diesem Jahr ein äußert scheuer Zeitgenosse, geht bald zu Ende, der Herbst steht vor der Tür und wie es aussieht, könnte es ein goldener werden. Ob die Parteien es schaffen, zumindest bis zum Winterauftakt eine regierungsfähige Koalition zu schmieden, steht in den Sternen. Klar aber ist, dass die Präsenz der Politik im Alltag der Menschen in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Einflussnahme der Politik auf eben diesen Alltag steht. Gefühlt alle drei Minuten redet einer mit einer anderen und unsere Branche kommt ohne stündliche Wasserstandsmeldungen offenbar nicht aus. So ermüdend, so erwartbar. Wir sind es bekanntlich nicht. Also haben wir wieder ein Magazin gemacht, das keineswegs ermüdend ist. Gut, unsere Volontärin Liliane Herzberg musste quasi beruflich müde sein, hat sie doch eine Nacht im Schlaflabor verbracht. Und ja, ganz ohne Politik ist das Blatt auch nicht, hat sich doch unser Redakteur Philip Thomas mit Freiburgs neuer Umwelt- und Bildungs­ bürgermeisterin Christine Buchheit zum Interview getroffen. Die Dezernentin, die zuvor im Auswärtigen Amt als Diplomatin gearbeitet hatte, gibt sich tatenlustig: „Think global, act local.“ Weiß aber auch, dass ein dickes Fell und viel Geduld zum lokalpolitischen Rüstzeug gehören.

Sehr viel Geduld musste der Sportclub Freiburg haben, bis die neue Arena, die nun auf den Namen Europa-Park Stadion hört, endlich fertig war. Bei einem Presserundgang zeigten die Chefs der Stadiongesellschaft, Jochen Tuschter und Marcel Boyé, ein paar Tage vor dem Freundschaftsspiel gegen den FC St. Pauli noble Businessbereiche, die beeindruckend steile Südtribüne (auf der – frei nach einer alten Formel – sitzen für den A**** ist), Mannschaftskabinen und Funktionsräume, Mixed Zone und Logen. Der SC Freiburg hat nun das modernste Rund der Republik. Unser Autor David Baldysiak war beim Spiel gegen die Kiez­ kicker, fing Stimmen ein und schreibt über ein neues Kapitel der Vereinskultur. Einen Beitrag zur Streitkultur leistet unsere Reihe „KONTROvers“, in der in dieser Ausgabe die Stadtbau-Geschäftsführer Ralf Klausmann und ­Magdalena Szablewska erklären, warum sie an der Sulzburger Straße 120 Miet- in Eigentumswohnungen umwandeln wollen. Günter Rausch vom Sprecherrat des Mietenbündnisses hält indes dagegen, warum sie gerade das nicht sollen. Beide Seiten mit guten Argumenten. Also weit weg vom simplen Gelärm in den sogenannten sozialen Netzwerken. In diesem Sinne wünschen wir anregende ­Lek­türe. Bleiben Sie, bleibt uns gewogen.

Herzlichst, Ihr Lars Bargmann, Chefredakteur & die chillisten OKTOBER 2021 CHILLI 3



CHILLI INHALT

Heft NR. 7/21 11. JaHRGaNG

Galerien-Rundgang Foto: © Patrick Seeger

Skulpturen der Freiburgerin Sundari arlt in der galerieAb bollhorSt

14.10

Foto: © pt

im Kino . !

> 10-12 „Werden Klimaziele anpassen“:

> 20-21 Voller Einsatz: Eine Nacht im

Umweltbürgermeisterin Christine Buchheit

Schlaflabor

IN EIGENER SACHE

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EDITORIAL

GASTKOLUMNE VOLKMAR STAUB MEHR KOLUMNEN

SCHLUMMERLAND

7 20, 55, 58

TITEL BILDUNG & UMWELT

10-12

UNGEIMPFTE BLEIBEN DRAUSSEN 22

Freiburger Clubs setzen zunehmend auf die 2G-Regel BITTE REINLASSEN

KONTROVERS

SPORT 14-15

Ralf Klausmann und Magdalena Szablewska von der FSB sowie Günter Rausch vom Mietenbündnis über die Umwandlung von 120 Miet- in Eigentumswohnungen

SZENE ERSTER KICK

So turbulent war der Auftakt im neuen Europa-Park Stadion

SCHLÜRFEN FÜR GUTEN ZWECK

Wein trinken und Gutes tun: Das ist beim Stiftungs­ weingut Freiburg möglich

IMPRESSUM chilli – Das Freiburger Stadtmagazin chilli Freiburg GmbH

Paul-Ehrlich-Straße 13, 79106 Freiburg fon / Redaktion 0761-76 99 83-0 fon / Anzeigen 0761-76 99 83-70 fon / Vertrieb 0761-76 99 83-83 www.chilli-freiburg.de

E-Mail für Online- / Printredaktion redaktion@chilli-freiburg.de

Geschäftsführerin (V.i.S.d.P.) Michaela Moser (mos): moser@chilli-freiburg.de

Chefredaktion

Lars Bargmann (bar): bargmann@chilli-freiburg.de

FREUND UND KOLLEGE

24-25

Was SC-Schiedsrichterbetreuer Michael Federer in 23 Jahren erlebt hat

Was geht wann und wo?

26-44

cultur.zeit KULTUR

46-47

WEGBEREITER DER MODERNE

Die Fondation Beyeler zeigt heraus­ ragende Werke des Francisco de Goya

Redaktion

Till Neumann (tln): neumann@chilli-freiburg.de Philip Thomas (pt): philip.thomas@chilli-freiburg.de Tanja Senn (tas): senn@chilli-freiburg.de Liliane Herzberg (herz): herzberg@chilli-freiburg.de Pascal Lienhard (pl): lienhard@chilli-freiburg.de

Kulturredaktion

Michaela Moser (mos): moser@chilli-freiburg.de Erika Weisser (ewei): weisser@chilli-freiburg.de Jennifer Patrias: jennifer.patrias@chilli-freiburg.de

Musik

Literatur

SiegFried held zeigt geSichter deS proteStS

daS debÜtalbum deS popchorS twäng!

ÜberSetzerpreiS FÜr eine Freiburgerin

> 46-57 cultur.zeit: News aus Freiburg zu Kultur, Musik, Literatur und Leinwand

KINO

48-51

GESICHTER DES PROTESTS

Doku von Franz Böhm präsentiert Zukunftsaktivistinnen aus drei Ländern / Kino-Tipps

MUSIK

52-55

Debütalbum des Pop-Chors Twäng! / Bassist Emanuel Teschke gestorben / 3 Fragen ans Soundmobil / CD-Tipps

LITERATUR

Cornelia Holfelder-von der Tann aus Freiburg erhält den RebekkaÜbersetzer-Preis / Buch-Tipps Druck & Belichtung

Titel © Photographic Archive. Museo

Jobstarter

Tatjana Kipf, Katharina Fischer, Sven Weis

Nacional del Prado. Madrid

cultur.zeit Titel © Camino Filmverleih Bildagenturen iStock, pixabay Anzeigenannahme per E-Mail anzeigen@chilli-freiburg.de

Anzeigenberatung

Christoph Winter (Leitung), Jennifer Patrias, Giuliano Siegel, Fredrik Frisch, Marion Jaeger-Butt

Vertrieb

Gastkolumnisten

Jeweils am 28. des Vormonats. Es gilt die Preisliste Nr. 11

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BEHARRLICH UND BEGEISTERT

Lektorat Beate Vogt Grafik Miriam Hinze (Leitung),

Autoren David Baldysiak (db), Christian Engel, Ralf Klausmann, Magdalena Szablewska, Günter Rausch Volkmar Staub, Ralf Welteroth

Leinwand

KNISTERNDE STIMMEN

TIPPS UND TERMINE

18

23

Kommentar: Dass die VAG Fahr­räder in Trams verbietet, ist unnötig

KALENDER

16-17

20-21

chilli-Volontärin Liliane Herzberg hat eine Nacht im Schlaflabor verbracht

Bürgermeisterin Christine Buchheit im chilli-Interview über Diplomatie, Umweltschutz und Schultoiletten

STREIT IN WEINGARTEN

19

ZOFF IN DER SZENE

Rave-Veranstalter wehren sich gegen Vorwürfe

dear Future children

Hofmann Druck, Emmendingen

Themenheft dieser Ausgabe

Nächster Erscheinungstermin 14. November 2021

Ein Unternehmen der Die im Magazin enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts­gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung und Einspeicherung in elektro­nische Systeme. Gleiches gilt für den Nachdruck von uns entworfener Bilder u. Anzeigen.

Fredrik Frisch, frisch@chilli-freiburg.de

Druckunterlagenschluss

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SCHWARZES BRETT

»ELEFANTEN IN DER WIEHRE« Seit 1896 steht das Wasserschlössle am nördlichen Abhang des Sternwalds über dem Stadtteil Wiehre. Das märchenhaft wirkende Bauwerk mit den drei zinnenbewehrten Türmen, das dem historischen Stadtsiegel Freiburgs nachempfunden wurde, ist indessen nur Fassade: In seinem Innern befindet sich ein mit modernster Technik betriebener Trinkwasserhochbehälter mit einem Fassungsvermögen von 3,8 Millionen Litern. Durch natürliches Gefälle werden von hier aus die Wiehre und die Altstadt mit bestem Wasser aus dem Dreisamtal versorgt. Fotos: © Badenova

„Nicht immer sehe ich so zauberhaft aus wie auf dem Foto. Normalerweise ist die Farbe meines Mauerkleids ein ziemlich langweiliges Beige. Doch bekanntlich zählen die inneren Werte. Und davon habe ich eine Menge. Denn was ist wertvoller als sauberes Trinkwasser? Noch dazu, wenn es so frisch und köstlich ist wie jenes, das vom Wasserwerk Ebnet unterirdisch zu mir fließt. Jeder einzelne Tropfen ist vier Stunden lang unterwegs, bis er hier ankommt. In meinen riesigen, in den Berg eingelassenen Kammern bleibt das Wasser dann ungefähr vier weitere Stunden, bis es in die Häuser weitergeleitet wird, die ich von hier oben sehen kann. In den bunten Schleier wurde ich nur gehüllt, weil ich unlängst 125. Geburtstag hatte und die städtische Wasserversorgerin Badenova mich deshalb an mehreren Abenden in einem farbchangierenden Feiertagsgewand präsentierte. Ich bin es ja gewöhnt, abends angestrahlt zu werden, doch das geschieht immer mit ganz normalem Licht. Da war dieses Spektakel dann schon etwas ganz Besonderes.

Schade nur, dass kaum jemand davon wusste. Um die nächtliche ­Flora und Fauna nicht zu stören, wurde die farbspielerische Feier nicht öffentlich angekündigt. Dennoch wurden viele Leute aufmerksam: Die Anwohner des neuen Wohnviertels zu meinen Füßen, die Sportsfreunde, die abends regelmäßig hier vorbeijoggen, das Partyvolk, das sich in warmen Nächten hier zum Feiern trifft. Ich kann das gut verstehen. Schließlich hat man von hier aus eine der schönsten Aussichten auf die Stadt. Auch ich habe in all den Jahren schon viel gesehen. 1934 wurde ich etwa Zeuge der Verlegung der Streckenführung der Höllentalbahn, die bis dahin an der Urachstraße verlief. Damals konnte ich die Züge noch sehen, jetzt, da sie direkt unterhalb meines Hügels fahren, höre ich sie nur noch. Es sind ziemlich viele geworden in den letzten Jahren. Leider sind es jetzt nur noch Personenzüge. Früher war das anders: Da kamen Holz- und andere Warentransportzüge aus dem Schwarzwald an die längst geschlossene Güterverladestelle beim Wiehrebahnhof und fuhren mit anderen Lieferungen wieder hinauf. Besonders gern erinnere ich mich an die Zeiten, da auf dem ehemaligen Messplatz beim heutigen ZO noch Zirkusse gastierten. Dann marschierten nämlich die Elefanten durch die schmalen Straßen der Wiehre und wurden direkt unter mir in spezielle Waggons geladen. Das war ein noch tolleres Spektakel als meine Geburtstags-Lichtspiele neulich.“ Aufgezeichnet von Erika Weisser

ALBUM DES MONATS Seit drei Jahren verleihen wir bei unseren CD-Tipps chilli-Schoten. Fünf davon heißt: Die Platte ist so feurig, das muss man gehört haben. Nur eine Schote will sagen: Finger weg, fade Kost. Ab dieser Ausgabe legen 6 CHILLI OKTOBER 2021

Foto: © pixabay

wir noch einen drauf: Jetzt gibt’s die Rubrik „Album des Monats“. Den Anfang machen die Indie-Rocker von Trümmer mit der LP „Früher war gestern“. Warum die so gut ist? Das lest ihr auf Seite 54. tln


SCHWARZES BRETT

FREIBURG IST SPITZE

NACHGEWÜRZT! KONFERENZ DER TIERE

Während der Pandemie hat man ja oft das Gefühl gehabt, dass das Coronathema das Umweltthema verdrängt hätte. Fridays for future und die „Schutzheilige der Schulschwänzer“ Greta Thunberg waren weg aus den Schlagzeilen. Aber in Wahrheit hängen die Themen ja zusammen. Wir roden immer mehr Wälder, drängen die Tierwelt zurück. Ihre Lebensräume werden immer kleiner und wir rücken ihnen immer näher auf den Pelz. Da wäre es doch nicht verwunderlich, wenn die auf einer Konferenz der Tiere beschließen würden, gegen uns Krieg zu führen. Die ersten Nadelstiche haben sie schon gesetzt. Nach Südbaden haben sie die asiatische Tigermücke geschickt, haben Wölfe als Warnung nach Brandenburg, Bayern und Hessen entsandt. Vor einigen Wochen hat ein Wolf auch im Nordschwarzwald sieben Lämmer gerissen! Wer weiß, ob sich durch das versteppte Spanien nicht bald hungrige Löwen anschleichen? In der Schweiz leben gut getarnt als Lokomotiven kleine und große Krokodile längst in der Mitte Europas. Die warten nur auf einen Pfiff, dann marschieren die los. Orkas greifen Luxusyachten an und Bienen weigern sich zu bestäuben, sodass unsere Ernten vertrocknen. Außerdem hat im September ein Bienenschwarm in Kapstadt 64 Pinguine getötet, vermutlich weil sie diese für Ordensschwestern gehalten haben. In Griechenland, Italien und der Türkei wurden im Sommer Wälder abgefackelt. Da steckte vermutlich eine ganze Armee von Feuersalamandern dahinter, und Milliarden von Glühwürmchen haben jetzt den Vulkan auf La Palma zum Spucken gebracht. Und so haben uns eben auch Corona-Viren den Krieg erklärt und nutzen die Fledermäuse als Zwischenwirte, springen uns an und versuchen, sich in unser Erbmaterial einzuschleichen. Bei manchen sind sie schon tief ins Gehirn eingedrungen, und weil diese armen befallenen Menschen dann nicht mehr geradeaus denken können, nennen sie sich „Querdenker“. Vielleicht sollten wir zur Abwehr der gefährlichen tierischen Plagegeister neben die Knoblauchknolle gegen Vampire auch einige Chilli-Schoten hängen.

Foto: © pixabay

Dass Freiburg ökologisch tickt, wissen wir. Jetzt gibt’s ein Ranking, das der Breisgau-Metropole mal wieder schmeichelt: „Freiburg ist die beste Stadt für nachhaltige Mode“ hat eine Studie von Reebok herausgefunden. Wie das geht? Die Macher·innen haben analysiert, wie viel Textilabfall Großstädte in Europa produzieren, wie viel davon recycelt wird und wie viel jährlich für neue Kleidung ausgegeben wird. Relevant war außerdem, wie oft nach Begriffen rund um nachhaltige Mode im Netz gesucht wird. Freiburg landet ganz oben, gefolgt von Mainz und Münster. 872 Tonnen Textilabfall fallen hier pro Jahr an. 636 Tonnen werden recycelt. Wie aussagekräftig die Statistik ist, darüber lässt sich streiten. Ein Anstoß, weniger Wegwerfmode zu shoppen, ist es allemal. tln

TEURES FUSSBALLVERGNÜGEN

Foto: © David Baldysiak

Volkmar Staub, geboren in Lörrach, lebendig in Berlin, vergibt im chilli die Rote Schote am goldenen Band.

Foto: © privat

Der SC ist in dieser Saison ungeschlagen. Und hat ein neues Stadion. Viel Grund zum Jubeln also. Doch das Portal casinoonline. de streut Salz in die Suppe: Freiburg ist die teuerste Stadt für Fußballfans, heißt es in einer Untersuchung. Für die Analyse hat das Team Ausgaben für Fans zusammengerechnet. Die durchschnittlichen Kosten für eine Dauerkarte (530 Euro), für Essen und Getränke (394,40 Euro), für ein SportTV-Abo (300 Euro) und für ein SC-Trikot (72,95 Euro) führen zum Negativ-Rekord von 997,35 Euro pro Jahr und Fan. Auf den weiteren Plätzen folgen Eintracht Frankfurt und der 1. FSV Mainz 05. Am günstigsten kommen die Fans in Wolfsburg weg. Sie brauchen jährlich nur 742,85 Taler. tln

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KONTOVERS MIETE VS. EIGENTUM

KONTROVERS

D

ie Freiburger Stadtbau GmbH (FSB) will an der Sulzburger Straße im Stadtteil Weingarten 120 Miet- in Eigentumswohnungen umwandeln. Wie sie es im Hochhaus Bugginger Straße 34 schon einmal erfolgreich getan hat. Nicht alle sind über das neue Vorhaben erfreut: Bei einer Bürgerbefragung in Weingarten stimmten rund 87 Prozent der 372 Teilnehmenden gegen den Verkauf. In der chilli-Rubrik KONTROvers argumentieren jeweils Protagonisten für und wider.

ATTRAKTIVE ALTERSVORSORGE WARUM DIE STADTBAU-CHEFS FÜR MEHR GEFÖRDERTES EIGENTUM SIND

Foto: © FSB

Über das Programm „Sozialer Zusammenhalt“ können in der Sulzburger Straße 15-19 geförderte Eigentumsmaßnahmen zu günstigen Konditionen realisiert werden. Damit wird insbesondere Familien mit einem mittleren Einkommen die Möglichkeit geboten, Wohneigentum zur Eigennutzung und damit langfristig für ihre Altersvorsorge zu kaufen. Für den Erwerb der Wohnungen müssen die Einkommensgrenzen nach dem Landeswohnraumförderungsprogramm eingehalten werden. Gleichzeitig sind die Erwerbenden zur Sicherstel-

Doppelspitze: Ralf Klausmann und Magdalena Szablewska leiten die Geschäfte der Stadtbau.

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lung einer sozialen Durchmischung im Quartier verpflichtet, die gekaufte Wohnung langfristig selbst zu nutzen. Bevorzugt erhalten die aktuellen Mieterinnen und Mieter in der Sulzburger Straße die Möglichkeit, Wohneigentum in ihrem bisherigen Wohnumfeld zu bilden. Als wesentlichen Aspekt des Programms „Sozialer Zusammenhalt“ haben die Mieterinnen und Mieter der Sulzburger Straße zudem nach wie vor das Recht, in das Wohngebäude und damit in ihr gewohntes Umfeld zurückzukehren. Für den Zeitraum der Sanierung werden ihnen im Rahmen unseres Umzugsmanagements Ersatzwohnungen, vorzugsweise im benachbart gelegenen und sanierten Gebäude Hügelheimer Weg 2-6, angeboten. Das Projekt Sulzburger Straße ist Teil einer langjährigen, gesamtstädtischen Stadtentwicklungsstrategie, die für mehr soziale Vielfalt in den Quartieren sorgen will. Dabei ist die Schaffung vielfältiger Nutzungsstrukturen ein wichtiger Aspekt, weshalb die Erhöhung des geförderten Wohneigentums in Weingarten genauso dazugehört wie die Erhöhung von geförderten Mietwohnun-

gen in Quartieren in Ebnet, Munzingen oder Herdern. Das Projekt Sulzburger Straße, mit dem sich die Eigentumsquote in Wein­ garten auf rund zehn Prozent erhöhen wird, knüpft an das im Jahr 2018 erfolgreich abgeschlossene Projekt Binzengrün 34 an. Auch hier wurden nach einer Sanierung Eigentumswohnungen geschaffen, die zu einem Viertel von ehemaligen Mieterinnen und Mietern der Freiburger Stadtbau erworben wurden. Im Rahmen der Wohnungsbauoffensive „FSB 2030“ errichtet die Freiburger Stadtbau in den kommenden zehn Jahren 2500 Wohnungen, davon die Hälfte als geförderte Mietwohnungen. Rund ein Drittel entsteht im Freiburger Osten. Diese sollen in allen Stadtteilen soziale Vielfalt und eine lebendige Nachbarschaft fördern. So wird in der Gesamtheit dieser Maßnahmen die Anzahl der geförderten Mietwohnungen um rund 920 Mietwohnungen im FSB-Bestand erheblich erhöht. Ralf Klausmann,

Magdalena Szablewska


KONTOVERS MIETE VS. EIGENTUM In die Jahre gekommen: Der Gebäuderiegel an der Sulzburger Straße 15 bis 19 müsste so oder so saniert werden.

Fotos: © Lars Bargmann

„WOHNEN IST MENSCHENRECHT“ WARUM GÜNTER RAUSCH VOM MIETENBÜNDNIS GEGEN PRIVATISIERUNG IST geldern finanziert und mit den Mieten der Bewohner:innen abbezahlt. Sie jetzt für einen vermeintlichen Schnäppchenpreis an Besserverdienende verkaufen zu wollen, widerspricht dem Sozialstaatsgebot unserer Verfassung. Der Schutz und die Unterstützung derjenigen, die eine öffentliche Förderung und Unterstützung benötigen, muss im Vordergrund stehen. Es ist nicht Auftrag der Stadtverwaltung, dafür Sorge zu tragen, dass möglichst viele Menschen Eigentum erwerben können, wenn gleichzeitig tausende Menschen in Freiburg an der Wohnungsnot leiden. Dass das die Menschen in Weingarten auch so sehen, wurde kürzlich deutlich, als in einer spektakulären Aktion von Bürgerverein und Forum Weingarten sowie dem Mietenbündnis ein Meinungsbild erstellt wurde. Innerhalb von vier Stunden haben auf dem Marktplatz 372 Menschen mit dem Stimmzettel ihre Auffassung bekundet. Rund 87 Prozent stimmten gegen den Verkauf dieser Wohnungen. Ein klares Votum. Auch im Sanierungsbeirat, der vom Gemeinderat zur Begleitung dieses städtebaulichen Entwicklungsprojektes eingesetzt worden ist, gab es kürzlich

eine klare Mehrheit gegen den Verkauf: Neun Stimmberechtigte votierten gegen den Verkauf, vier dafür und eine Person enthielt sich der Stimme. Es spricht alles dafür, diese noch bezahlbaren Mietwohnungen langfristig im städtischen Besitz zu erhalten. Wenn nun trotzdem verkauft werden würde, wäre dies Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten, die gerade von der Politikverdrossenheit und den Ängsten der Menschen profitieren, die eher im Schatten der Gesellschaft leben und sich niemals Wohnungseigentum leisten können. Günter Rausch Foto: © Britt Schilling

Jeder Mensch braucht ein Dach über dem Kopf, ein Zuhause, in dem er sich wohl und geborgen fühlen kann. Und doch leben auch in Freiburg viele hundert Menschen ohne eine eigene Wohnung. Viele, viele Kids und Jugendliche leben mehr oder weniger auf der Straße, und rund 2000 Wohnungsnotfälle sind amtlich bekannt. Selbst unter denen, die in einer guten Wohnung leben, gibt es viele mit Sorgen und Ängsten, weil sie zum Beispiel ihre Miete nicht mehr bezahlen können. In Freiburg herrscht Wohnungsnot und die Mietpreise explodieren, weil es zu wenige bezahlbare Mietwohnungen gibt. Nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung fehlen in Freiburg rund 20.000 Mietwohnungen im unteren Preissegment. Es ist eine elementare Grundaufgabe der Daseinssorge der Kommunen, gerade für Menschen mit geringen und durchschnittlichen Einkommen bezahlbare Mietwohnungen zu schaffen und zu sichern. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich eigentlich die Fragestellung nach der Zweckentfremdung der 120 ehemaligen städtischen Sozialwohnungen an der Sulzburger Straße. Diese wurden einst mit Steuer-

Günter Rausch: Mitglied des Sprecherrats vom Freiburger Mietenbündnis.

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SZENE REPORTAGE

EINE NACHT ALS CYBORG WIE CHILLI-VOLONTÄRIN LILIANE HERZBERG IM SCHLAFLABOR DURCHGECHECKT WURDE

19 Uhr: Ich erreiche die Schlafmedizinische Station der Klinik für Psychia­ trie und Psychotherapie des Freiburger Uniklinikums. Kaum gemütlicher als ein Standard-Krankenhauszimmer ist der Raum, in dem ich übernachten soll: Tisch und Stühle, ein alter Kassettenrekorder, Blumenbilder an den Wänden sowie ein simples Singlebett schmücken den Raum. Und dann wäre da noch die Kamera, die bedrohlich an der Wand hängt. 19.15 Uhr: Nach einer kurzen Einführung beginnt die Verkabelung, nach der ich aussehe wie ein Cyborg. Zuerst werden Elektroden an meinem Kopf befestigt. Damit sie die Nacht über in den Haaren halten, verwendet der Pfleger, der ano-

Foto: © Philip Thomas

Friedlich: Noch weiß Liliane Herzberg nicht, was sie in der Nacht erwartet.

nym bleiben möchte, eine Gips-­Paste. Ich beginne mich unwohl zu fühlen. Während er Elektroden hinter die Ohren und ins Gesicht sowie ein „Schnarchmikrofon“ an den Kehlkopf klebt, erzählt er mir von den außerordentlichsten Schichten: „REM-Verhaltensstörungen zum Beispiel sind verrückt. Normalerweise fährt der Körper die Muskelfunktion in der Traumphase so weit wie möglich runter.“ Hin und wieder gebe es jedoch Ausnahmen. Die Patient·innen kommen ins Labor, weil sie ihre Träume ausleben: „Ein älterer Herr kämpfte etwa im Schüt-

zengraben: Er ist aufgestanden, hat sich hinter dem Bett versteckt und mit imaginären Handgranaten geworfen.“ 19.30 Uhr: Während ich mir das Szenario vorstelle, wird mir schon ein Gurt mit Dehnungssensor für die Messung des Atems am Bauch und einer an der Brust angelegt. An den Finger kommt ein Oximeter für die Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz, ein Elektrokardiogramm (EKG) wird an Schlüsselbein und Rippen befestigt sowie Elektroden an den Beinen. Zuletzt bekomme ich eine Nasensonde, mit der ich mich endgültig würdelos fühle. 19.55 Uhr: Mit all den Kabeln heißt es nun, probeweise zu „schlafen“ und alle Funktionen zu testen. Dafür lege ich mich ins Bett und kommuniziere mit der Pflegekraft über die im Zimmer installierte Freisprechanlage. „Wir müssen nachts alle zehn Minuten die Patient·innen auf den Monitoren überprüfen“, erklärt der Pfleger. „Alles tipptopp“, ertönt es schließlich von oben. 21 Uhr: Ein paar letzte Details werden geklärt, dann bin ich alleine und es wird ruhig. Die Kamera läuft, wenn auch nur „nebenbei“. Ich fühle mich unange-

MEINE SORGEN KINDER AN DIE MACHT

Vor einigen Tagen habe ich mich nach langer Abstinenz wieder mal in die Boulderhalle getraut. Zunächst lief es unerwartet gut, doch nach mehreren unsanften Abstürzen musste ich mich gegenüber einer besonders fiesen Route geschlagen geben. Kaum hatte ich das Feld geräumt, übernahm auch schon ein Kind, vielleicht zehn Jahre alt, meinen Platz. Todesmutig kletterte es an der Wand hinauf, als sei es, nun ja, ein Kinderspiel. Für mein Selbstbewusstsein nicht gerade förderlich. 20 CHILLI OKTOBER 2021

Kinder, die Erwachsene bloßstellen, liegen im Trend. Und damit meine ich nicht nur Greta & Co., die Politiker·innen Untätigkeit vorwerfen. Manchmal schaffen es Kinder wie niemand sonst, politische Würdenträger·innen vorzuführen. Das kann Armin Laschet bei Late Night Berlin ebenso treffen wie Tino Chrupalla im Gespräch mit einem ZDF-Kinderreporter. Darum: Mehr Kinder in den politischen Journalismus! Sie werden ihren Beitrag dazu leisten, das politische Berlin or-

dentlich auf Vordermann zu bringen. Die Anwesenheit wissbegieriger und gewitzter Quälgeister wird die Damen und Herren von AfD bis Linke dazu motivieren, öfter mal nachzudenken, bevor sie den Mund aufmachen. Im besten Falle bringen die Jungreporter·innen sie dazu, wieder etwas Utopie und Aufbruch zu wagen. Und wenn die Kinder abends noch Zeit haben: Kommt in die Boulderhalle und motiviert mich zu sportlichen Höchstleistungen. Pascal Lienhard

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chlaf ist die beste Medizin – sagt nicht nur ein altes Sprichwort, sondern auch die Forschung. Während des Schlummerns erleben Körper und Geist überlebenswichtige Regenerationsprozesse. Bei Problemen lohnt sich deshalb der Gang in ein Schlaflabor. chilli-Volontärin Liliane Herzberg hat in einem übernachtet und erfahren, was ihr in unruhigen Nächten helfen kann.


Der könne eine Überweisung an die „Schlafsprechstunde“ veranlassen. „Da wird geprüft, ob eine Untersuchung im Schlaflabor sinnvoll ist.“ Jede·r ist willkommen, für viele sei aber die Überwindung groß, sich an die Sprechstunde an einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie zu wenden. „In der Regel wird immer erst mal ein diagnostisches Gespräch geführt, und wir versuchen, die Ursache herauszufinden“, erklärt Riemann. „Bei schweren chronischen Fällen übernachten die Patient·innen im Labor und wir untersuchen, ob organische Erkrankungen vorliegen.“ Ausgehend von der Diagnostik erfolgt dann, abhängig von der Erkrankung, eine spezifische Behandlung. Im Bereich der Insomnien werde hierbei im ambulanten Rahmen die sogenannte Kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt. Von 100 Betroffenen könne dabei einem Drittel exzellent

Foto: © Philip Thomas

nehm beobachtet und versuche, mich auf mein Notizbuch zu konzentrieren. 21.30 Uhr: Schichtwechsel. Die Nachtwache tritt ihren Dienst an. Acht Stunden darf ich schlafen – um 22.15 Uhr muss das Licht aus sein. Ab da heißt es: Buch weglegen, Handy ausschalten und schlafen. Komme, was wolle. 22.30 Uhr: Wie entspannt kann eine verkabelte Nacht sein? Gar nicht, sagt mein Schlaf, ich bin hellwach. Meine Gedanken fahren Karussell, ich wälze mich hin und her. Der sogenannte „First-Night-Effect“, wie mir Laborleiter Dieter Riemann später erklärt. „Für gesunde Schläfer ist es sehr gewöhnungsbedürftig, sowohl verkabelt als auch videoüberwacht zu schlummern.“ Deshalb sind die Patient·innen in der Regel zwei Nächte da. 6.15 Uhr: Irgendwann muss ich doch eingeschlafen sein. Denn als ich am Morgen

Aufgezeichnet: Wild sieht es aus, wenn die chilli-Volontärin sich vom Arbeitstag erholt.

geweckt werde, verstehe ich nicht, wie mir geschieht. Gleich geht’s weiter: Fragebogen ausfüllen, entkabeln, duschen und frühstücken – dann bin ich entlassen. Vier Tage später: „Sie haben den Schlaf eines jungen, gesunden Menschen, der die erste Nacht im Schlaflabor verbringt“, fasst der Experte Riemann beim Nachgespräch zusammen. 81,3 Prozent beträgt meine Schlafeffizienz, mehr als 85 Prozent sind normal. Lediglich die Arousal-Phasen sind auffällig:„Das sind kleine Aufwacher, meist nur Sekunden, in denen das Gehirn checkt, ob Gefahr in Verzug ist.“ Sich selbst in einer unruhigen Nacht nicht verrückt zu machen, ist die Message des kognitiven Verhaltenstherapeuten Riemann. „Erst bei chronischen Schlafstörungen, also ab circa drei Monaten, ist es sinnvoll, professionelle Hilfe wie den Hausarzt aufzusuchen.“

geholfen werden, für ein Drittel ergibt sich eine relevante Besserung, und beim letzten Drittel müssen weitere therapeutische Optionen geprüft werden. „Das ist auch bei anderen Erkrankungen im Bereich von Psychiatrie und Psychotherapie so“, erklärt Riemann. Die Krankenkasse übernimmt in der Regel die Kosten für die Diagnostik im Schlaflabor und für die weiterführende Therapie. Das ist für mich aber erst mal nicht wichtig. Zwar schlafe ich seit der Nacht im Labor nicht besser – um dem Problem auf den Grund zu gehen, hätte ich wohl auch zwei Nächte bleiben müssen. Aber immerhin weiß ich jetzt: Wenn ich nachts kurz aufwache, sorgt mein Hirn nur für meine Sicherheit. Und wenn ich hin und wieder nicht einschlafen kann, ist das auch okay. Liliane Herzberg

Foto: © Universitätsklinikum Freiburg

SZENE REPORTAGE

Expertenwissen: Dieter Riemann erklärt die Hintergründe.

INFO Hintergrund • Rund ein Drittel des Lebens verbringt der Mensch schlafend • Sechs bis acht Stunden Schlaf pro Nacht sind ausreichend für Erwachsene • Es gibt vier Schlaflabore in Freiburg • 2000 Patient·innen jährlich Was ist eine Schlafstörung? Es gibt verschiedene Formen der nächtlichen Unruhe. Die häufigste und bekannteste ist die Insomnie – chronische Ein- und Durchschlafstörungen, frühmorgendliches Erwachen oder das Gefühl, dass der Schlaf nicht erholsam war. Rund zehn Prozent der Deutschen sind davon betroffen. Folgen können etwa Beeinträchtigungen im Alltag sein, Gereiztheit oder Depression. Der größte Anteil der klinischen Fälle hingegen sind Atemstörungen wie Schlafapnoe, also nächtliche Atemstillstände, wodurch der Schlafende häufig aufwacht. Was kann ich tun? Für Schlafhygiene sorgen, vor allem bei Insomnie. Etwa Zubettgeh-Routinen einführen oder das Handy früh weglegen. Auf koffeinhaltige Getränke nach dem Mittagessen verzichten, Alkohol vermeiden, keine schweren Mahlzeiten am Abend essen. Körperliche Aktivität ist wichtig, ebenso die Schlafroutine. Die Schlafapnoe wird in der Regel mit einer „Maskentherapie“ behandelt.

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SZENE NACHTLEBEN

PARTY FÜR »99 PROZENT« FREIBURGS DISKOTHEKEN LEHNEN MASKEN AUF TANZFLÄCHEN AB – ZUM LEIDWESEN EINIGER WENIGER

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eit August kann in Freiburgs Clubs wieder getanzt und gefeiert werden. Geknutscht werden darf allerdings nur in Discos, in denen Geimpfte und Genesene schwofen. Der überwiegende Teil der Nachtschwärmer erfüllt ohnehin die 2G-Regel, berichten Freiburger Tanzhäuser. Einige Partygänger werden trotzdem ausgeschlossen. Party like it’s 2019? „Tanzen ohne Maske ermöglicht eine wirkliche Rückkehr zu dem vermissten Clubfeeling“, freute sich Simon Waldenspuhl, Freiburger Altstadtrat und Sprecher der IG Clubkultur Baden-Württemberg, über die lang ersehnte Einigung mit dem Gesundheitsministerium am 17. August. Seitdem stehen die Tanzflächen des Landes unter Beobachtung. Eine durch Baden-Württembergs Gesundheitsministerium veranlasste Kontrolle von 15 Freiburger Discos am ersten Oktoberwochenende ergab neun Verstöße in sieben Betrieben. Laut Rathaussprecherin Martina Schickle wurde die Maskenpflicht in zwei Diskotheken nicht vollständig durchgesetzt. In drei Betrieben sei bei der Daten­ erfassung geschlampt worden. Verstöße gegen die 3G-Regel habe es keine gegeben. „Bei uns waren acht Polizisten und eine Sachbearbeiterin“, bestätigt Michael Musiol, Geschäftsführer im Freiburger Jazzhaus. Nach zehn Minuten seien die Ordnungshüter ohne Beanstandung weitergezogen. Bei Konzerten setzt der alte Weinkeller an der Schnewlinstraße auf 3G, kann damit für bis zu 350 maskierte Gäste öffnen. „Das funktioniert gut“, sagt der 57-Jährige. Auf Aftershowpartys gilt dann allerdings 2G: Licht an, alle raus, neuer Einlass, verringerte Kapazitäten. Laut Musiol wird dadurch kaum jemand ausgeschlossen: „Fast alle sind geimpft oder genesen. Mit Test kommen nur ganz wenige.“ In den Diskotheken von Pino Raia ist 3G angesagt. „Bei uns ist jeder willkommen“, sagt der Inhaber von Neko und

Karma. Auch er sagt: „99 Prozent unserer Gäste sind genesen oder geimpft.“ Dank potenter Belüftung dürfen Nachtschwärmer die Maske auf seinen Tanzflächen fallen lassen. Derweil haben im Autonomen Zentrum KTS Freiburg seit dem 20. September nur noch Geimpfte oder Genesene Zutritt. Auch das Crash hat auf 2G umgestellt. „Wir sind runtergegangen, das ist viel besser. An eine Maskenpflicht auf der Tanzfläche hält sich doch keiner“, sagt Mario Held, Betreiber des Musikkellers. An der Tür habe er deswegen aufgerüstet: Ein zusätzlicher Security-Mitarbeiter kontrolliert die Gast-Zertifikate. „Wir sind streng“, betont der 61-Jährige. Zwischenfälle habe es bisher nicht gegeben. Nicht überall sorgt die 2G-Regelung für Partylaune. Fabian Käufer (Name von der Redaktion geändert) lehnt eine Corona-Impfung ab, ist in Freiburg sogar mit manipulierten Schnelltestergebnissen unterwegs: Statt sich immunisieren zu lassen, griff der 33-Jährige zum Laptop. Von Bildbearbeitung habe er eigentlich keine Ahnung, um das Datum eines alten Antigentests zu manipulieren, reichen Käufers Kenntnisse aber. „Kein Kavaliersdelikt“, kommentiert Polizeisprecher Michael Schorr. Der sogenannte Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse ist eine Straftat und gefährdet nicht nur die Gesundheit des Fälschers. Viele scheinen sich in Freiburg allerdings nicht herumzutreiben: „Im Stadtgebiet sind uns dazu keine Vorgänge bekannt.“ 2G-Zertifikate zu fälschen, ist Käufer zu heikel. Er will dem Nachtleben auf unbestimmte Zeit fernbleiben: „Ich werde mich nicht impfen lassen, nur um Party zu machen.“ Und wahrscheinlich nicht nur dafür – zum Redaktionsschluss prüft das Land 2G-Regeln auch für Gastronomen und Veranstalter.

Foto: © iStock.com/ sicko_2003

»RÜCKKEHR ZUM CLUBFEELING«

22 CHILLI OKTOBER 2021

Philip Thomas


SZENE KOMMENTAR

BITTE REINLASSEN

Foto: © Nachweis

FREIBURG VERBIETET RÄDER IN DER TRAM – DAS IST UNNÖTIG

Nicht erlaubt: chilli-Redakteur Till Neumann darf mit dem Rad nicht in die Straßenbahn – auch wenn Platz ist. Andere Städte sind da offener.

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Foto: © pt

enau 80 Großstädte hat Deutschland. In fast allen können Räder unter gewissen Bedingungen in Straßen­bahnen oder Bussen mitgenommen werden. Nur Freiburg und München verbieten das kategorisch. Die Freiburger Verkehrs AG (VAG) verweist auf Platzkonflikte, Schmutz und Verletzungsgefahr. Andere Städte zeigen jedoch: Spannungen gibt es nicht. Ein Testlauf ist daher überfällig. Es regnet, die Nacht ist kalt, Pauline muss von Zähringen mit dem Rad nach Littenweiler. Plötzlich macht es pfffft, der Reifen ist platt. Die Straßenbahnhaltestelle ist vor der Nase, der menschenleere Urbos 100 kommt angerollt. Pauline will einsteigen, wird aber zurückgepfiffen. „Räder sind nicht erlaubt “, ruft der Fahrer durch die Lautsprecher. Eine zwar fiktive, aber auch realistische Szene. Zugegeben: Solche Fälle sind selten, aber der Redaktion bekannt. Sie sorgen für Unverständnis. Wen stört’s, wenn ein Rad ausnahmsweise mal in der Tram mitfährt? Natürlich nur solange Platz ist. Rollstühle, Kinderwagen und Fahrgäste haben in jedem Fall Vorfahrt. Kritik dafür gibt's auch vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club ADFC:

Beim Fahrradklima-Test 2020 landete Freiburg auf Rang drei hinter Karlsruhe und Münster. Für das Verbot gab’s die Note 5. Frank Borsch vom ADFC Freiburg versteht die Ablehnung nicht: „Klar ist, dass Rollstühlen und Kinderwagen der Vorrang in der Straßenbahn gehört. Klar ist aber auch: Praktisch überall sonst in Deutschland funktioniert das Miteinander mit dem Rad im ÖPNV.“ Der Radexperte plädiert für einen sechsbis zwölfmonatigen Test. Die VAG verweist auf einen Versuch in den 90ern, der Konflikte gezeigt hätte, und lehnt ab. „Wer soll entscheiden, ob genug Platz ist?“, fragt VAG-Sprecher Andreas Hildebrandt. Er warnt auch vor Verletzungen: „Da das Fahrrad im Fahrzeug nicht fixiert werden kann, stellt es für andere Fahrgäste ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar.“ Man könne sich zudem an einer öligen Kette verschmutzen. Die jahrelange Praxis in deutschen Großstädten widerlegt Hildebrandts Einwände. Die chilli-Redaktion hat sich die Regelungen in allen 80 Großstädten angeschaut, das Ergebnis: In 78 ist die Radmitnahme im ÖPNV in gewissen Fällen möglich. Nur die Schickimicki-Stadt München und das fahrradverrückte Frei-

burg tanzen aus der Reihe. Das chilli hat exemplarisch drei Verkehrsverbünde um eine Einschätzung gebeten: Aus Berlin, Münster und Karlsruhe heißt es unisono: Das klappt seit Jahren gut. „Wir haben hier keine Konflikte“, betont Petra Nelken. Die Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe BVG sagt: „Da wird Platz gemacht oder zusammengerückt.“ Seit mindestens zehn Jahren sei das in Berlin so. „Und wenn der Fahrer mal 30 Sekunden warten muss, fällt ihm auch kein Zacken aus der Krone.“ Die Berliner prügelten sich gerne mal – aber nicht deswegen. Auffällig ist: Die Verkehrsbetriebe betonen, dass Radelnde das Angebot selten nutzen. Das überrascht nicht. Wer Fahrrad fahren will, braucht normalerweise keine Tram. In meinen rund 15 Jahren in Freiburg radle ich täglich. In dem Zeitraum hätte ich höchstens zweimal bei Radpannen einsteigen wollen. So dürfte es auch vielen anderen gehen. Ob das stimmt? Ein Test kann das zeigen. Pauline wäre geholfen – und Freiburg wäre einen Ticken fahrradfreundlicher. Die neuen Urbos-Trams sind mit ihrer Breite und Zugänglichkeit prädestiniert dafür. Till Neumann OKTOBER 2021 CHILLI 23


VERANSTALTUNGSKALENDER

Neal Black & The Healers Mittwoch, 10. November, 20.30 Uhr

WAS GEHT WO?

ChaBah, Kandern

15. 10.–14.11.

Foto: © Promo

Ausstellungen, Kino, Theater u.v.m.

VERANSTALTUNGSKALENDER Freitag

15.10.2021 Ausstellungen ‌Freundschaftsspiel

‌ orst und Gabriele Siedle Stiftung, bis 6.3.22 H Museum für Neue Kunst, Freiburg Info: www.freiburg.de/museen

‌„Dalonc“

‌ kulpturen & Bronzen von Walter Moroder, S bis 20.11. Galerie Albert Baumgarten, Freiburg Info: www.galerie-baumgarten.de

‌Die wilden 70er

F‌ reiheit in Form & Farbe, bis 27.10.22 Keramikmuseum, Staufen Info: www.landesmuseum.de

‌Goya

‌ egbereiter der Moderne, bis 2.1.22 W Fondation Beyeler, Basel Info: www.fondationbeyeler.ch

‌Mel Ramos & Erró

‌ op Art, bis 28.11 P Kunsthalle Messmer, Riegel Info: www.kunsthallemessmer.de

‌Urban Ecologies

‌ atrick Goddard & Vikenti Komitski P E-Werk, Freiburg Info: www.ewerk-freiburg.de

26 CHILLI Oktober 2021

Bühne ‌Andreas Rebers

„‌ Ich helfe gern“ Burghof Lörrach ★ 20 Uhr Info: www.burghof.com

‌Oropax

T‌ estsieger am Scheitel E-Werk, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.ewerk-freiburg.de

‌Der Geizige

F‌ rei nach Molière E-Werk, Freiburg ★ 20.30 Uhr Info: www.ewerk-freiburg.de

‌Jess Jochimsen

„‌ Meine Gedanken möchte ich manchmal nicht haben“ Vorderhaus, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.vorderhaus.de

‌4½ Jahreszeiten

‌ infonie-Überschreibung mit S Zwischentönen Große Bühne, Theater Basel ★ 19.30 Uhr Info: www.theater-basel.ch

‌Gianni Schicchi

‌ per in einem Akt von G. Puccini O Großes Haus, Staatstheater Karlsruhe ★ 20 Uhr Info: www.staatstheater.karlsruhe.de

‌SOUVENIR

‌ as Leben der Florence Foster Jenkins D Musiktheater im E-Werk, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.dieschoenen.com

‌Räumen

E‌ in Spiel von Haben & Sein Theater im Marienbad, Freiburg ★ 19 Uhr Info: www.marienbad.org

‌Das kalte Herz

‌ chwarzwaldmärchen von Wilhelm Hauff S Großes Haus, Theater Freiburg ★ 19.30 Uhr Info: www.theater.freiburg.de

‌Premiere: Harold & Maude

‌ chwarze Komödie von Colin Higgins S Theater Baden-Baden ★ 20 Uhr Info: www.theater-baden-baden.de

‌Novecento

‌ ie Legende vom Ozeanpianisten D Theater am Kastelberg, Waldkirch ★ 20 Uhr Info: www.theater-am-kastelberg.de

‌Furor

Events ‌Freiburger Herbstmess‘

‌ piel & Spaß für die ganze Familie, S 15.-25.10. Messe Freiburg Info: www.freiburgermess.freiburg.de

‌Dance into my World

L‌ esung mit Tanzsequenzen Lokhalle, Freiburg ★ 19 Uhr Info: www.carl-schurz-haus.de

‌Freiburg Art Fair

‌ roduzenten-Kunstmesse, 15. & 16.10. P Messe Freiburg Info: www.faf-freiburg.de

I‌ nternationale Mineralien- & Fossilientage ‌ it Sonderausstellung, 16. & 17.10. M Messe Freiburg ★ 10 Uhr Info: www.vfmg-freiburg.de

‌Jenseits der Milchstraße

‌ oher diese Wut? Warum so viel Hass? W Wallgraben Theater, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.wallgraben-theater.com

E‌ in Blick in die unbekannten Regionen des Alls Planetarium, Freiburg ★ 19.30 Uhr Info: www.planetarium-freiburg.de

‌De dressierte Ma

‌Horror Nights

‌ omödie nach dem gleichnamigen Bestseller K Alemannische Bühne, Freiburg ★ 20.15 Uhr Info: www.alemannische-buehne.de

‌Traumatica EuropaPark, Rust ★ 19.30 Uhr Info: www.traumatica.com

› Alle Angaben ohne Gewähr


VERANSTALTUNGSKALENDER

‌Weltmusik Jazzhaus, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.jazzhaus.de

‌Local Love Festival

J‌ unge, handgemachte Musik aus der Region Reithalle im Kulturforum, Offenburg ★ 20 Uhr Info: www.kulturbuero.offenburg.de

‌Rare Tulpe // Robins

J‌ azz-Pop // Rock-Folk-Pop Wodanhalle, Freiburg ★ 20.30 Uhr Info: www.wodan-halle-freiburg.de

‌Q4

‌Jazzquartett Junghof, Freiburg-Kappel ★ 18 Uhr Info: www.junghof-kappel.de

‌Räumen

‌Moby Dick – Das Solo

‌ chauspiel nach Herman Melville S Große Bühne, Theater Basel ★ 19.30 Uhr Info: www.theater-basel.ch

‌Un sentiment de vie

Z‌ wiegespräch der Generationen Schauspielhaus, Theater Basel ★ 19.30 Uhr Info: www.theater-basel.ch

‌Das kalte Herz

‌ chwarzwaldmärchen von Wilhelm S Hauff, ab 12 Jahren Großes Haus, Theater Freiburg ★ 19.30 Uhr Info: www.theater.freiburg.de

Party ‌Badisches Oktoberfest

‌Hedda Gabler

Samstag

16.10.2021 Ausstellungen ‌Die Nachkriegsjahre 1945-52

‌ üllheim unter der Tricolore, bis 27.2.22 M Markgräfler Museum, Müllheim Info: www.markgraefler-museum.de

‌Caresser la peau du ciel

‌ unstwelten der Familie Leu, bis 31.10. K Museum Tinguely, Basel Info: www.tinguely.ch

‌Kunst, Politik, Krieg

‌ as Kupferstichkabinett & das D Kunstmuseum Basel 1939-45, bis 9.1.22 Kunstmuseum Basel Info: www.kunstmuseumbasel.ch

‌Paul Uwe Dreyer

‌ rama von Henrik Ibsen D Kleines Haus, Theater Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.theater.freiburg.de

‌Novecento

‌ ie Legende vom Ozeanpianisten D Theater am Kastelberg, Waldkirch ★ 20 Uhr Info: www.theater-am-kastelberg.de

‌Die Schokoladenwaffenfabrik

‌ oetisch-politisches Theater zwischen P Heidiland und Horrorshow Reithalle, Kaserne Basel ★ 20 Uhr Info: www.kaserne-basel.ch

‌Furor

‌ oher diese Wut? Warum so viel Hass? W Wallgraben Theater, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.wallgraben-theater.com

‌De dressierte Ma

‌ omödie nach dem gleichnamigen Bestseller K Alemannische Bühne, Freiburg ★ 20.15 Uhr Info: www.alemannische-buehne.de

‌Von Harmonie & Ekstase

‌The Irish Folk Festival

‌ atrick Goddard & Vikenti Komitski P E-Werk, Freiburg Info: www.ewerk-freiburg.de

‌Internationale Mineralien-& Fossilientage

Bühne ‌Jess Jochimsen

‌Tag der offenen Tür

„‌ Meine Gedanken möchte ich manchmal nicht haben“ Vorderhaus, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.vorderhaus.de

E‌ rlebnisparcours für Groß & Klein, Foodtrucks, Live-Musik Volksbank-Areal, Freiburg ★ 10 Uhr Info: www.volksbank-freiburg.de/volksbank-areal

‌Der Geizige

‌Eine Reise durch die Nacht

‌Tommy Tailors Traumfabrik

E‌ in Abend voller Fabelwesen Gloria Theater, Bad Säckingen ★ 20 Uhr Info: www.gloria-theater.de

‌Stiffelio

‌ per in drei Akten von Giuseppe Verdi O Opéra National du Rhin, Straßburg ★ 20 Uhr Info: www.operanationaldurhin.eu

‌SOUVENIR

‌ as Leben der Florence Foster Jenkins D Musiktheater im E-Werk, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.dieschoenen.com

‌Tino Bomelino

„‌ Mit der Kraft der Power“ Tollhaus, Karlsruhe ★ 20 Uhr Info: www.tollhaus.de

www.carl-schurz-haus.de Produzenten-Kunstmesse

‌ ier hochkarätige Acts V Konzerthaus Karlsruhe ★ 20 Uhr Info: www.foerderkreis-kultur.de

‌ pannende Themen rund um Mineralogie S & Geologie, bis 17.10. Messe Freiburg ★ 10 Uhr Info: www.messe.freiburg.de

F‌ rei nach Molière E-Werk, Freiburg ★ 20.30 Uhr Info: www.ewerk-freiburg.de

Tanz trifft Poesie Maren Vivien Haase ist in Freiburg geboren und studierte an der Albert-Ludwigs-Universität Germanistik. Schon als Kind steht für sie fest, dass sie all die Geschichten, die ihr im Kopf herumspuken, zu Papier bringen muss. Auch das Hip-Hop-Tanzen mit ihrer Crew „Dope Skit“ gehört seit über zwölf Jahren zu ihr, ebenso wie YouTube und Instagram. Dort spricht sie regelmäßig über Serien, Bücher und Filme. Nun hat Haase ihren Debütroman „Dance into my world“ veröffentlicht. Am 15. Oktober liest sie in der Lokhalle Freiburg daraus vor, begleitet von Tanzeinlagen ihrer Crew „Dope Skit“. Tickets gibts im Vorverkauf bei der Buchhandlung Rombach Freiburg. Der Eintritt kostet fünf Euro.

‌Ihringer Herbstausklang

‌ ffener Winzerkeller, bis 17.10. O Kaiserstühler Winzergenossenschaft Ihringen ★ 11.30 Uhr Info: www.ihringen-touristik.de

‌Urban Ecologies

Lokhalle, Freiburg

Freitag, 15. Oktober, 19 Uhr

Events

‌ alerei der konkreten Kunst, bis 30.1.22 M Kunstmuseum Stuttgart Info: www.kunstmuseum-stuttgart.de ‌ usik in den frühen Kulturen, bis 24.10. M Antikenmuseum Basel Info: www.antikenmuseumbasel.ch

Maren Vivien Haase / Dance into my world

‌Harold & Maude

‌ chwarze Komödie von Colin Higgins S Theater Baden-Baden ★ 20 Uhr Info: www.theater-baden-baden.de

‌ as wohl einzige Oktoberfest in Südbaden D Badische Staatsbrauerei Rothaus, Grafenhausen ★ 18 Uhr Info: www.badisches-oktoberfest.de

Lesung

E‌ in Spiel von Haben & Sein Theater im Marienbad, Freiburg ★ 18 Uhr Info: www.marienbad.org

Foto: © Mariah Müller

‌Les Yeux d‘la Tête

‌ as sieht man am Sternenhimmel? W Planetarium, Freiburg ★ 16.30 Uhr Info: www.planetarium-freiburg.de

‌Auroras

‌ eheimnisvolle Lichter des Nordens G Planetarium, Freiburg ★ 19.30 Uhr Info: www.planetarium-freiburg.de

‌Horror Nights

‌Traumatica EuropaPark, Rust ★ 19.30 Uhr Info: www.traumatica.com

Music ‌JuJu Rogers & Neromun

‌ ischung aus Jazz & Soul M Reithalle im Kulturforum , Offenburg ★ 20 Uhr Info: www.kulturbuero.offenburg.de

‌Les Saxofous

‌Südafrikanische Rhythmen Schlosskeller, Emmendingen ★ 20.30 Uhr Info: www.schlosskeller-emmendingen.de

› Noch mehr Termine auf chilli-freiburg.de

Foto: © FWTM

Music

Freiburg Art Fair Messe Freiburg

Freitag, 15. & Samstag, 16. Oktober, 10–18.30 Uhr

Solidarische Kunst Die Freiburger Art Fair (FAF) ist eine reine Künstlermesse und findet dieses Jahr zum zweiten Mal statt. Für die Besuchenden wird dabei unmittelbar erlebbar, dass ein künstlerisches Werk nicht nur Handelsware ist, sondern wie es Ideen und Geschichten transportiert, die Emotionen auslösen. In einer lockeren, offenen und kommunikativen Atmosphäre steht die Kunst im Mittelpunkt. Die Messe versteht sich bewusst als Kunstmarkt jenseits der klassischen Galerien und möchte Interessierten die Chance bieten, viel Neues und (noch) Bezahlbares zu entdecken. Der gemeinschaftlich-soziale Charakter der FAF steht auch in diesem Jahr im Mittelpunkt: Die beteiligten Künstlerinnen und Künstler teilen 30 Prozent des Gesamtumsatzes zu gleichen Teilen auf.

www.faf-freiburg.de Oktober 2021 CHILLI 27


KULTUR

Wegbereiter der Moderne DIE FONDATION BEYELER PRÄSENTIERT DIE IM DEUTSCHEN SPRACHRAUM BISHER BEDEUTENDSTE AUSSTELLUNG DER WERKE VON FRANCISCO DE GOYA

D

von Erika Weisser

Francisco de Goya (1746–1828) hat dieses sich heute in einer Privatsammlung befindliche Bild im Jahr 1785 gemalt, kurz nach seiner Übersiedlung aus seiner Geburtsstadt Saragossa nach Madrid. Als Auf-

(v.l.n.r.) Francisco de Goya: Hexensabbat (El Aqelarre), 1797/98, Öl auf Leinwand, 43 × 30 cm, Fundación Lázaro Galdiano, Madrid. • Doña María Del Pilar Teresa Cayetana De Silva Álvarez De Toledo, XIII Duquesa De Alba, 1795, Öl auf Leinwand, 192 x 128 cm, Fundación Casa de Alba, Palacio de Liria, Madrid. • Portrait of Doña Antonia Zárate (Antonia Zárate y Aguirre), ca. 1805, Öl auf Leinwand, 103,5 x 82 cm, © National Gallery of Ireland, Dublin, Schenkung, Sir Alfred und Lady Beit, 1987 (Beit Collection)

Francisco de Goya: Die Ausstellung in der Fondation Beyeler zeigt den Künstler nicht nur als Hof- und Kirchenmaler, sondern auch sein Schaffen als unkonventioneller Porträtmaler, als „Andy Warhol des 18. Jahrhunderts“, wie Kurator Martin Schwander sagt.

as Gemälde springt einen gleich beim Betreten des Raumes förmlich an. Weniger wegen seiner Dimension, die mit 280 auf 177 Zentimeter durchaus beachtlich ist. Auch nicht wegen des Sujets – die Darstellung der Verkündigung Marias durch den Erzengel Gabriel gehört in der christlich-religiösen Malerei schließlich zu den Basics. Es liegt auch nicht nur daran, dass kein weiteres Bild an der Wand am anderen Ende des Saals hängt: Es ist das Licht, das sofort fasziniert. Diese Lichtstrahlen, die den dämmrigen Raum durchfluten und auf die beiden Figuren herabschweben. Auf Figuren, die nicht vergeistigt-durchsichtig wirken, sondern wie ganz gewöhnliche Menschen – mit kräftigem Körperbau, geröteten Wangen, vollem, dunklem Haar und ohne Heiligenschein.

46 CHILLI CULTUR.ZEIT OKTOBER 2021

tragsarbeit für den Altar der Kapelle des dortigen Kapuzinerklosters San Antonio. Bis dahin, sagt Martin Schwander, habe es „kaum eine Verkündigungs-Darstellung mit einer derart unmittelbaren und realistischen Wirkung gegeben“. Schwander ist Kurator der Ausstellung, die bis zum 23. Januar in der Fondation Beyeler in Riehen etwa 75 Gemälde und mehr als 100 Zeichnungen und Druckgrafiken dieses bildenden Künstlers präsentiert, der als Wegbereiter der Moderne gilt. Zehn Jahre, so Schwander, seien über der sorgfältigen Vorbereitung dieser außergewöhnlichen, in enger Zusammenarbeit mit dem Museo del Prado in M ­ adrid entstandenen Präsentation ins Land gegangen: für die Konzeption, für die Sondierung nicht öffentlich zugänglicher Werke und für Verhandlungen mit den Leihgebern – Museen und Privatsammlungen in Europa und Amerika. Ziel war es, diese chronologisch konzipierte Werkschau so vollständig wie möglich zu gestalten.


KULTURNOTIZEN Raubkunst in Freiburg Die Städtischen Museen Freiburg wollen ihre Arbeit an der Provenienzforschung über Raubkunst intensivieren. Auch in Freiburg gibt es Artefakte mit finsterer Vergangenheit. In der Ethnologischen Sammlung des Museums Natur und Mensch gibt es knapp 2000 Kunstwerke aus Afrika, Asien, Amerika, Ozeanien und Altägypten. 1200 stammen aus der Hochzeit des deutschen Kolonialismus zwischen 1895 und 1914. Der Gemeinderat beauftragte die Verwaltung, Fördergelder von Land und Bund zu beantragen, um mit der Aufarbeitung schneller voranzukommen.

Finale für Pop-up-Store

Oben: Francisco de Goya, Bekleidete Maya (La Maja Vestida), 1800-1807, Öl auf Leinwand, 95 x 190 cm, Museo Nacional del Prado, Madrid, © Photographic Archive. Museo Nacional del Prado. Madrid.

Ein unbestechlicher Chronist seiner Zeit den den weltbekannten, geradezu ikonischen Werken wie der bekleideten Maja (o.), dem Hexensabbat (u.l.) oder den „Schrecken des Krieges“ gegenübergestellt. So wird beim Rundgang durch die Ausstellungsräume – und damit durch sechs Jahrzehnte seines künstlerischen Schaffens – der allmähliche Wandel in Stil, Malweise und den Themen des Hofmalers, Kirchenkünstlers und unbestechlich dokumentarischen Chronisten ­Francisco de Goya nachvollziehbar. Nicht nur an drei Selbstporträts aus ganz verschiedenen biografischen Phasen wird deutlich, wie sein Lebensweg, seine Erfahrung von Krankheit und dem Verlust des Hörvermögens, von Elend, Krieg oder Exil sein Werk beeinflussten. Das von Martin Schwander „göttlich“ genannte Licht der erwähnten Verkündigungsdarstellung ist im Lauf der Zeit immer seltener zu finden – auf Schiffbrüchi-

ge, Verstümmelte, Verhungernde und Ermordete, auf die Insassen von Gefängnissen, Irrenhäusern oder Pestspitälern fällt es ohnehin nicht. Goyas Farben werden zusehends dunkler, die Gemälde düster, oft geradezu bedrohlich. Zu diesen Werken zählen auch die 14 Bilder, die Goya zwischen 1819 und 1823 an die Wände seiner letzten Madrider Wohnung in einer Gehörlosenresidenz malte – vor seiner Emigration nach Bordeaux. „Pinturas Negras“ werden diese nahezu monochromen, teils komischen, teils sehr verstörenden Spätwerke genannt, „schwarze Bilder“. 50 Jahre nach ihrer Entstehung und lange nach Goyas Tod wurden sie von den Wänden genommen, auf Leinwand aufgezogen und in den Prado gebracht. Wegen ihrer Fragilität dürfen sie dieses Museum nie wieder verlassen. In Riehen sind sie dennoch präsent: Der französische Künstler ­Phillippe Parreno hat sie im Prado gefilmt, die Bilder auf die ursprünglichen Wände des immer noch existierenden Hauses projiziert und daraus einen Film gemacht, der im letzten Ausstellungsraum zu sehen ist – mit einer imaginären Klanglandschaft. Es ist eine rundum geglückte Ausstellung, für die sich Prado-Direktor ­Miguel Falomir Faus „keinen besseren Ort vorstellen“ kann.

INFO www.fondationbeyeler.ch

Noch bis einschließlich 31. Oktober hat der von der FWTM initiierte Pop-up-Store in der Schusterstraße 25 in der Freiburger Altstadt geöffnet. Bis dahin bieten die „Freiburger Asmonauten“ eine Kombination aus Kunstausstellung und Lesungen. Öffnungszeiten der Ausstellung (nur mit 3G-Nachweis): Dienstag bis Freitag von 12 bis 18 Uhr und Samstag von 12 bis 20 Uhr. Mehr Infos: www.visionfreiburg.de

5,8 Millionen Euro für NS-Dokuzentrum Foto: © bar

Das ist gelungen: Zu sehen sind einige Werke, die Spanien noch nie verlassen haben, darunter acht von elf Kabinettbildern aus der Sammlung des Marqués de la Romana: Kleinformatige Gemälde mit unter die Haut gehenden Darstellungen der Wirkung von Hass und Gewalt. Diese und andere nur selten gezeigten Bilder wer-

Zentrale Lage für NS-Dokuzentrum: das ehemalige Verkehrsamt am Rotteckring.

Der Freiburger Gemeinderat hat in seiner Sitzung am 5. Oktober mit großer Mehrheit den Bau eines Dokumentationszentrums Nationalsozialismus bewilligt. 4,9 Millionen Euro kostet allein der Umbau der Räumlichkeiten im Rotteckhaus – doppelt so viel wie ursprünglich veranschlagt. 900.000 Euro soll die Einrichtung kosten. Zudem wird das NS-Dokuzentrum jährlich 300.000 Euro Unterhalt verursachen. Geplant sind vier Dauerausstellungen über mehr als 27 Jahre Regionalgeschichte. Im überdachten Innenraum wird es einen öffentlich zugänglichen Gedenkraum geben. bar


KINO

Gesichter des Protests FRANZ BÖHMS DOKUMENTATION PRÄSENTIERT ZUKUNFTS-­AKTIVISTINNEN AUS DREI LÄNDERN von Erika Weisser

Dear Future Children Deutschland 2021 Regie: Franz Böhm Dokumentarfilm Verleih: Camino Laufzeit: 88 Minuten Kinostart: 14. Oktober 2021

D

ie Bilder sind bedrückend: Über den Straßen von Santiago de Chile schwebt der Rauch von brennenden Barrikaden, junge Leute mit Gasmasken laufen vor Tränengas und den Gummigeschossen der Polizisten davon – und vor anrückenden Wasserwerfern. Denn diese sind nicht gekommen, um die Brände zu löschen, sondern vielmehr, um die Protestierenden von der Straße zu fegen. „El pueblo unido jamás será vencido“ singen die Protestierenden in einer weiteren Filmsequenz aus der Hauptstadt des lateinamerikanischen Landes – wie vor 50 Jahren, als während der Regierungszeit des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende die unbesiegbare Einigkeit des Volkes beschworen wurde. Doch ein Militärputsch beendete den Versuch, eine gerechte Gesellschaft aufzubauen. „Ein sehr brutaler Diktator“, sagt die Aktivistin Rayen, gelangte an die Macht: Augusto Pinochet. Während seiner Diktatur, erklärt die 24-Jährige weiter, sei die Verfassung erlassen worden, die immer noch gültig und „die Hauptursache für die große Kluft zwischen Reichen und Armen im Land“ sei. Eine Preiserhöhung für die Metro brachte das Fass zum Überlaufen, erinnert sich Rayen „noch ganz genau“ an den 18. Oktober 2019. Viele junge Menschen gingen damals auf die Straße. Sie war dabei – und spürte, dass dies „der Anfang einer Veränderung war“. Auch für Hilda lief irgendwann ein Fass über. Da war die inzwischen international bekannte ugandische Klima- und Bürgerrechts-Aktivistin noch ein Kind: Sie war elf Jah-

re alt, als der Klimawandel die Bauernfamilie zwang, ihre Felder in der einst fruchtbaren Region Kyengera zu verlassen und in der Hauptstadt Kampala nach Überlebenschancen zu suchen. Zuerst, erzählt die 23-jährige Studentin, seien wegen fehlenden Regens die Pflanzen verdorrt. Dann wieder hätten Regengüsse „alles weggespült“. Als wegen der steigenden Temperaturen die Trinkwasserquellen und Bäche versiegten, blieb nur die Flucht. Später, als sie die Zusammenhänge verstand, gründete sie „Fridays for Change“; eine Einstellung zeigt sie an einer Straße – alleine, mit einem Plakat, auf dem zu lesen ist: „Keep Mama Africa Green“. Alleine steht auch die 22-jährige Pepper am Rande einer Manifestation in Honkong. Dort sind im Sommer 2019 viele Menschen zusammengekommen, um gegen die drohende Vereinnahmung der Stadt durch die VR China zu demonstrieren. Anlass war ein geplantes Rechtshilfegesetz, das vorsah, Inhaftierte an China auszuliefern. Damit wuchs die Befürchtung, dass das liberale Rechtssystem Honkongs ausgehöhlt werde – und demokratische Rechte wie Rede- und Pressefreiheit. „Wir wollen keine Diktatur“, spricht Pepper gegen den Lärm von Hubschraubern und Polizeisirenen an, „wir sind nicht das Eigentum Pekings. Wir wollen, dass der Status quo erhalten bleibt: Ein Land, zwei Systeme.“ Einen sehr eingehenden Film über Erfolge und Rückschläge beim Kampf für bessere Lebensbedingungen hat Franz Böhm gedreht – mit drei Aktivistinnen seiner Generation: Er ist selbst gerade 22 Jahre alt. Am 17. Oktober ist er zu Gast im Kino Friedrichsbau.

48 CHILLI CULTUR.ZEIT OKTOBER 2021 Fotos: © Camino Filmverleih


KINO AUF ALLES, WAS UNS GLÜCKLICH MACHT

SUPERNOVA

THE FRENCH DISPATCH

Foto: © Prokino

Foto: © Weltkino

Foto: © Disney

Italien 2020 Regie: Gabriele Muccino Mit: Pierfrancesco Favino u. a. Verleih: Prokino Laufzeit: 129 Minuten Kinostart: 14. Oktober 2021

Großbritannien 2020 Regie: Harry Macqueen Mit: Colin Firth, Stanley Tucci u. a. Verleih: Weltkino Laufzeit: 95 Minuten Kinostart: 14. Oktober 2021

USA 2020 Regie: Wes Anderson Mit: Owen Wilson, Tilda Swinton u. a. Verleih: Disney Laufzeit: 103 Minuten Kinostart: 21. Oktober 2021

Ein Film zum Träumen

Eine lange letzte Reise

Wortwitziges Vergnügen

(ewei). Giulio, Riccardo und Paolo tanzen in einer römischen Disco, während draußen eine Demo stattfindet, bei der sich schwer bewaffnete Polizisten und Demonstranten gegenüberstehen. Neugierig rennen die drei Jungs hinaus und geraten zwischen die Fronten. Dabei wird Riccardo angeschossen und schwer verletzt. Giulio und Paolo retten ihn und bringen ihn ins Krankenhaus. Dabei werden die drei, die sich bisher gar nicht kannten, zu unzertrennlichen Freunden. Gemeinsam kaufen sie einen alten 450er Mercedes, den sie selbst wieder in Gang bringen, und mit dem sie bald durch die Straßen Roms und an die Strände Ostias fahren. Dabei ist irgendwann auch Gemma, die alle drei Freunde gleichermaßen bezaubert. Das Leben treibt die vier auseinander – und bringt sie doch immer wieder zusammen. Ehen werden geschlossen und geschieden, Freundschaften gekündigt und wieder aktiviert; man liebt und trennt sich. Gabriele Muccino zeigt das Leben in all seinen Facetten – ein Film zum Träumen.

(ewei). Seit 20 Jahren sind der Konzertpianist Sam und der Schriftsteller Tusker ein Paar – mit allen Höhen und Tiefen einer Beziehung auf Augenhöhe. Doch als bei Tusker eine Demenzerkrankung diagnostiziert wird, übernimmt Sam zunehmend die Rolle des Sorgenden. Da die Krankheit rapide fortschreitet, gibt er seine Pianisten-Karriere auf: Er will die ihnen verbleibende bewusste gemeinsame Zeit ausschließlich mit seinem Lebenspartner verbringen und ihm die letzten Monate so schön wie möglich gestalten. Auf Tuskers Wunsch hin brechen sie in ihrem alten Wohnmobil zu einer Reise auf – zu Menschen und Orten aus ihrer Vergangenheit. Ziel ist der gleichermaßen naturgewaltige wie idyllische Lake District im Norden Englands, wo sich die beiden einst kennenlernten. Hier gibt es ein großes Fest mit Verwandten und Freunden. Doch nach der Feier erkennt Sam, dass Tuskers Gründe für die Reise nicht nur rein nostalgisch waren. Ein kluges, emotionales Drama um das Leben und Sterben in Würde.

(ewei). Es ist das Jahr 1975. Vor 50 Jahren hat der Verleger Arthur Howitzer Jr. in einem französischen Dorf den French Dispatch gegründet, einen Ableger der Zeitung Liberty, Kansas Evening Star. Nun ist er verstorben und seine Mitarbeiter erinnern sich an ihn zurück – und vier im Laufe der Zeit im Magazin veröffentlichte Geschichten werden zum Leben erweckt. Da ist der in einem Gefängnis einsitzende Maler Moses Rosenthaler, der in seiner Wärterin Simone Muse und Modell findet. Da ist die Redakteurin Lucinda Kremetz, die sich in den Revoluzzer Zeffirelli verliebt und deren journalistische Integrität wegen dieser Affäre in Zweifel gezogen wird. Da ist ein Fahrrad-Reporter, der halsbrecherische Reiseberichte aus den schlimmsten Ecken der Gegend schreibt – und der Sohn eines Kommissars, der entführt und ausgerechnet von einem Koch gerettet wird. Ein ideenreicher Episodenfilm, voller origineller Bilder und skurriler Momente – ein köstliches, nicht nur wortwitziges Vergnügen.


Sound für unterwegs

MONKEY BUSINESS Rock ’n’ Roll

TRÜMMER

FRÜHER WAR GESTERN Indie-Rock

te des M

Foto: © Benedikt Grundberger

3 FRAGEN AN Seraphim Grundberger Einen Wagen voller Musik: Den hat sich Multiinstrumentalist Seraphim Grundberger gebaut. Mit „Seraphim’s Soundmobil“ spielt er als improvisierender Alleinunterhalter. Im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann erzählt der 34-jährige Freiburger von Geklimper, Flexibilität und seinem Namen. Was verbirgt sich hinter Seraphim’s Soundmobil? Ein experimentierfreudiger Musiker mit Liebe zur Improvisation, allerlei kreative Instrumente, gutes technisches Equipment und das nötige „Knowhow“, um einen tollen Sound zu kreieren. Das Soundmobil ist ein individuell gebauter Holzwagen mit Loopstation, Mischpult und Verstärker. Das alles stromautark mit Akku, das schafft maximale Flexibilität für jedes Event. Was für Instrumente nutzen Sie? Touri-Souvenirs aus Lateinamerika, hochwertige Flöten aus Asien, Shrutibox, Handpan, Gitarre, Klangschale. Dazu allerlei Gerassel und Geklimper – eigentlich alles, was mir in die Hände kommt. Natürlich auch die Stimme und meinen Körper als Klangraum. Auch eine gechillte Beatbox ist im Programm. Sie nennen sich Pacha Gingo, warum? Pacha bedeutet Erde in Quechua. Auf einer kleinen Insel diesen Sommer in Costa Rica schrieb ich meinen alten Künstlernamen „Pacha Gringo“ auf eine Kokosnuss und legte sie an einen besonderen Ort. Ein paar Tage später las ich Pacha Gingo ohne „r“. Entweder ich habe das „r“ vergessen oder es ist auf magische Weise entschwunden. www.pachagingo.com 54 CHILLI CULTUR.ZEIT OKTOBER 2021

Musikalische Zeitreise

Indie-Rock mit Verstand

(tln). Nina & the Hot Spots – der Bandname klingt aus der Zeit gefallen. Das hat einen einfachen Grund: Das Freiburger Quintett lässt sich von der Musik früherer Dekaden inspirieren: Rock ’n’ Roll, Swing und Rockabilly gehören zu den Zutaten, die Nina und ihre vier Mitmusiker für ihre Songs anrühren. Die Nummern auf dem Debütalbum beflügeln Beine und Vorstellungskraft. Der Vorhang des Kopfkinos geht auf, und der geneigte Hörer steigt mit Doc Brown und Marty McFly aus dem zeitreisenden DeLorean. Haltestelle: Irgendwo in den USA der 1950er-Jahre. Sicher, weltbewegend ist das nicht. Aber zeugt es angesichts einer ganz anders gearteten zeitgenössischen Musik nicht von Kreativität, sich an der Kunst früherer Epochen abzuarbeiten? Sängerin Nina Salhab erweckt die dreizehn Songs mit ihrer ausdrucksstarken Stimme zum Leben, musikalisch setzt vor allem Uwe Pickardt mit seinen Saxophoneinlagen Akzente. Bei Nummern wie dem Titelsong oder der bereits 2020 erschienenen Single „Barber Bop“ wächst die Lust, die Gruppe in einem möglichst vollen Club live zu erleben. Man braucht ja schließlich keinen DeLorean für ein Musikerlebnis im Stile vergangener Tage.

(tln). Fünf Jahre sind seit dem zweiten Album von „Trümmer“ ins Land gezogen. Doch keine Sorge: Die Jungs aus Hamburg haben ihr Handwerk nicht verlernt. Wer auf deutschsprachigen Indie mit unkonventionellen und durchdachten Texten steht, kann getrost zugreifen. Inhaltlich arbeiten sich „Trümmer“ in ihren elf Songs an verschiedenen Themen ab. „Ich wär so gern ein Optimist“, gesteht Frontmann Paul Pötsch im Opener „Wann wenn nicht“ über verzerrte Gitarren und ruft dazu auf, etwas zu einer besseren Realität beizutragen. Deutliche Worte findet das Quartett in der Nummer „Draußen vor der Tür“: Pötsch und Co. positionieren sich dezidiert gegen Populismus und Nationalismus. Und wie nebenbei hat es mit „Tauben an der Ihme“ ein herrlich unkitschiges und ironisches Stück über den großen lyrischen Dauerbrenner, die Liebe, auf den Longplayer geschafft. Musikalisch packt die Band ihre Texte in ein gitarrenbasiertes Indie-Gewand, mal getragen, mal im Midtempo, dann wieder nach vorne. Fazit: Das neue Werk von „Trümmer“ überzeugt. Und motiviert, ganz im Sinne des Titels des Highlights der Platte, mal über den Tellerrand rauszublicken und ein bisschen mehr Utopie zu wagen: „Aus Prinzip gegen das Prinzip“ – eine perfekte Selbstbeschreibung der Band.

on ats

NINA & THE HOT SPOTS

Pl a t

MUSIK


KOLUMNE DIE ÄRZTE

MEEK MILL

Rock

US-Rap

DUNKEL

EXPENSIVE PAIN

... heute extraterrestrisch Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen – nicht nur, aber vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth fragwürdige Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.

Gute, alte Punks

Schmerz und Glamour

(db). Knapp ein Jahr nach ihrem bisher letzten Album „Hell“ legen Die Ärzte mit „Dunkel“ nach. Die neue Scheibe bietet ein buntes Potpourri an musikalischen Einflüssen: Zwischen Barbershop, EDM und Sergio-Leone-Gedächtnismundharmonika blitzen die obligatorischen treibenden Gitarrenläufe auf, die Fans lieben und erwarten. Das klingt mal ungewohnt, mal virtuos. Die Texte bewegen sich leider in Abstufungen alberner Dümmlichkeit und gratismutiger Belanglosigkeit. Aller Ironie zum Trotz zünden Zeilen wie „Ob wir wohl bald zusammenwohnen? Und hoffentlich hat sie Brüste wie Melonen“ von fast Sechzigjährigen einfach nicht mehr. Anfang der 90er mag es irgendwie subversiv gewesen sein, Nazis als „Arschloch!“ zu bezeichnen. Heute lockt das Statement, Rechtsradikale seien doof, keinen müden Hund mehr hinterm Ofen vor. Apropos: Neue Tricks lernen Hunde im Alter auch nicht mehr. Es fällt also schwer, den Ärzten das vorzuwerfen, was sie kompromisslos seit fast vierzig Jahren am besten machen: verdammt spaßige Rockmusik, die zum Feiern und Mitsingen einlädt und im Zweifel politisch nichts falsch macht. Die treue Fangemeinde der deutschen Rock-Institution wird das Album wieder zu Recht bejubeln. Alle anderen verpassen nichts, wenn sie weghören.

(tln). Erfolg ist der für den Grammy nominierte Rapper Meek Mill gewöhnt. Aber auch den Schmerz. Mit seinem neuen Album „Expensive Pain“ gibt der Mann aus Philadelphia dem Auf und Ab einen Namen. 18 Songs sind auf seiner fünften Soloplatte. Das Intro „Hate on Me“ erinnert flowtechnisch an Kendrick Lamar. Wütend klingt der Rapper, wenn er gegen die anderen austeilt. So geht das auch in „Outside“ weiter. Energie hat das, auf viel Tiefgang darf man nicht hoffen. Für das inflationär verwendete „Bitch“ gäbe es auch Alternativen. Thematisch geht’s bei dem 34-Jährigen auch um psychische Probleme und das US-Strafrecht. Am liebsten erzählt er aber von Ruhm und Reichtum, dem Glamour im Kontrast zu seiner schwierigen Vergangenheit: Als 13-Jähriger habe er kaum etwas zu essen gehabt. Sein Vater wurde erschossen, als er ein Kind war. Ein Highlight ist der Titeltrack „Expensive Pain“. Meek Mill erzählt auf einem souligen Beat seine Geschichte: Es geht um Gefängnisstrafen, Konflikte mit der Polizei und seine heutige Walt-Disney-Traumwelt. Solchen Sound hätte das Album mehr vertragen können. Der Mix aus Trap, R’n’B und Pop-Elementen wirkt willkürlich. Auch wenn das an den Rapskills des erfolgsverwöhnten Künstlers nichts ändert.

Warum sich nicht mal in den Weiten des Weltalls umhören? Wir haben auf der Erde genug zu tun, aber auch im Orbit sollte es gewisse Mindestgeschmacksstandards geben, zumal wir ja irgendwann die verbrannte Erde eh zurücklassen müssen, um uns in der Milchstraße ein neues Zuhause zu suchen. Also zurück in die Zukunft. Der Sänger Andy Andres war diesbezüglich sehr vorausschauend und beschäftigte sich 1978 schon mit fremden Welten. In dem Song „Wenn ein Wega-Junge Liebeskummer hat“ thematisiert er den Liebeskummer eines jungen Mannes vom Planeten Wega. Das ist naheliegend. Ein grüner Junge namens XP² setzt sich aufgrund von Liebeskummer in sein Raumschiff, kurvt durch die Galaxis und landet schließlich auf der Erde, wo er dann auf den Sänger trifft. Dem schüttet er sein Herz aus und bittet ihn um Rat. Er ist sozusagen der Vorläufer von Fred vom Jupiter und Codo von DÖF, nur eben in schlecht. Es fiept und pluckert, ein Synthi wird exzessiv bemüht, die 70er halt – ziemlich crazy und ganz heiß auf die sexy Future. Irgendwann werden die Außerirdischen selber zum Mikro greifen, das Gute daran: Wir verstehen es dann nicht: Sfsdäärüghjzjzzzz nhtääölkkukzklkkzkk äääzkzzkulkjeeöökkkzhjt ? In etwa so – nur dass dies bloß Kaiserstühler Dialekt ist. Die Vulkanier sind ja irgendwie auch nicht von dieser Welt. Von hinterm Mond grüßt Ralf Welteroth für die Geschmackspolizei


Dies war eine Leseprobe der Oktober 2021-Ausgabe.

SIE HABEN LUST AUF MEHR? Das komplette Heft ist unter abo@chilli-online.de oder im Handel erhältlich.


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