chilli cultur.zeit

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Heft Nr. 2/19 10. Jahrgang

Ab

28.3.

im K in o

Kultur

Musik

Literatur

Filmemacher wollen Förderung

wie jazzhaus records Künstler pushen

Wortkünstler bringen ihre Poetry ins buch


Kultur

„Langweilig wird es hier nicht“ Freiburgs neue Kulturamtsleiterin Felicia Maier

S

von Stella Schewe

5000 Menschen kamen zum ersten interkulturellen Stattfest im Sommer 2018, veranstaltet vom Kulturamt Freiburg gemeinsam mit vielen Initiativen. Fotos: © Alexandra Heneka

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eit gerade mal zweieinhalb Monaten ist sie im Amt: die neue Freiburger Kulturamtsleiterin Felicia Maier, Nachfolgerin von Achim Könneke, der im vergangenen Sommer als Kulturreferent nach Würzburg ging. Auf die studierte Kulturwissenschaftlerin warten jede Menge Herausforderungen: der Doppelhaushalt, das Stadtjubiläum oder die anstehende Neuauflage des Freiburger Kulturkonzepts.

mals in die Verwaltung und schleppe Akten herum.“ Und so stand sie „immer auf der anderen Seite der öffentlichen Kulturförderung“, arbeitete in verschiedenen Kultureinrichtungen. Etwa bei einer Züricher Agentur, dem Festspielhaus Baden-Baden oder der Schola Cantorum Basiliensis, der Basler Musik-Akademie – womit ihre beruflichen Stationen ebenso vielfältig waren wie ihre

Der erste Eindruck: Maier „Ich mache alles, aber niemals sieht aus wie Audrey Tautou in schleppe ich Akten herum.“ dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Zierlich, schwarzer Pagenkopf, dunkle, lebendige Augen und Studienorte Hildesheim, Finnland und ein ansteckendes Lachen. Die 38-Jährige Zürich. In Basel wurde sie 2014 vom lacht oft und gerne. Zum Beispiel, wenn Leiter des Kulturdepartements, dem man sie danach fragt, wie und warum sie Schweizer Pendant des Kulturamts, geLeiterin des Freiburger Kulturamts wur- fragt, ob sie nicht Teil seines Teams werde. „Nach dem Studium war für mich den wolle. „Das war der Wechsel“, erinklar: Ich mache alles, aber ich gehe nie- nert sie sich. „Ich dachte mir, das ist eine


Chance, Einblick in diesen Bereich zu bekommen.“ Den sie anschließend, als Leiterin des Fachbereichs Bildende Kunst, Musik und Wissenschaft im Karlsruher Kulturamt, noch vertiefte: „Es war ganz schön spannend!“ Was es so spannend macht? Da muss Maier nicht lange überlegen: „Dass man die Möglichkeit hat, Konzepte aufzustellen, sich über Förderstrategien Gedanken zu machen. Kulturpolitik für die Bürger, aber auch für die Kulturschaffenden zu machen, beiden Seiten gerecht zu werden, das ist eine Herausforderung.“ Und bestimmt auch manchmal ein Spagat, räumt sie ein. Etwa wenn die finanziellen Mittel fehlen für Ideen, die man gerne verwirklichen würde. „Doch das ist in Freiburg momentan zum Glück nicht so. Wir können uns über einen kulturzugewandten Haushalt freuen.“

„Die Gemeinderatsentscheidung ist ein tolles Signal.“ Gemeint ist der Doppelhaushalt 2019/20, den der Gemeinderat im April verabschieden soll. Der Entwurf der Bürgermeister stand bereits fest, als sie kam, aktuell bringen die Fraktionen ihre Anträge ein. Als „tolles Signal“ wertet die neue Amtsleiterin die Entscheidung des Gemeinderates vom Februar, die Zuschüsse für freie Kultureinrichtungen zu „dynamisieren“, sprich jedes Jahr um zwei Prozent zu erhöhen. Auch in anderen Bereichen sehe es gut aus: Sie gehe davon aus, Zuschüsse für Einrichtungen etwa im Bereich Bildende Kunst erhöhen und das Personal im Kulturamt aufstocken zu können. Aktuell sind dort 80 Menschen beschäftigt. Noch ist sie dabei, sich einen Überblick über „die vielen engagierten Akteure“ der Freiburger Kulturszene zu verschaffen. Und sich in die aktuellen Themen des Kulturamts einzuarbeiten: in die Planungen für den Neubau des Stadtarchivs an der Messe oder die Vorbereitungen der 2020 anstehenden 900-Jahr-Feier Freiburgs. Die vielen Projektideen, die dafür eingereicht wurden, „müssen jetzt aufgegleist und betreut werden“. Auch das beschäftigt das Kulturamt, das in der Projektgruppe Stadtjubiläum unter Leitung von Holger Thiemann eingebunden ist. „Langweilig wird es uns nicht“, sagt Maier fröhlich.

Schließlich steht in nicht allzu ferner Zukunft auch eine Neuauflage des Freiburger Kulturkonzepts an, mit dem 2008 die kulturpolitischen Leitziele der Stadt festlegt wurden. „Aber das werden wir Stück für Stück angehen und angesichts des Stadtjubiläums nicht im nächsten halben Jahr schaffen.“ Und welche Bereiche liegen ihr besonders am Herzen? Auf jeden Fall die Populärkultur: „Die in Deutschland übliche Segmentierung zwischen Unter­haltungsund Hochkultur finde ich nicht mehr zeitgemäß.“ Und die Jugendkultur. Begeistert erzählt sie von einem großen Jugendkulturfestival in Basel. Den „Blick über den Tellerrand“ findet sie wichtig. Welche Eigenschaften sie mitgebracht hat? Da lacht sie wieder. „Gute Nerven“ habe ihr die Karlsruher Kulturamtsleiterin Susanne Asche zum Abschied gewünscht. Ausdauer und Beharrlichkeit seien sicher auch nicht schlecht. Aber die Freude überwiege. „Für Kunst und Kultur arbeiten zu können, ist eine tolle Sache. Weil man gestalten und positive Akzente für das Leben setzen kann.“ Ein Thema allerdings lässt ihr keine Ruhe: „Angesichts des Rechtsrucks und zunehmender nationaler Strömungen sind eine freie Kunst und Meinungsäußerung umso wichtiger.“ Es heiße immer, Kultur sei keine Pflicht-, sondern eine freiwillige Aufgabe. Das sieht Felicia Maier anders: „Aus meiner Sicht ist es eine freiwillige Pflichtaufgabe. Denn sie trägt dazu bei, Meinungsfreiheit und Demokratie zu leben und dafür die Fahne hochzuhalten.“

Foto: © Stella Schewe

Menschen

Sieht Kultur als „freiwillige Pflichtaufgabe“: die neue Kulturamtsleiterin Felicia Maier. Unten: Beim „Lirum Larum Lesefest“ im Oktober herrscht immer gute Stimmung.

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Kultur

Silent Disco und Hochzeitsrikscha

Foto: © Sigrid Faltin

Freiburger Filmemacher fordern mehr kommunale Förderung

D

von Erika Weisser

ass die Freiburger gerne ins Kino gehen, men, auch wenn ihre Filme im Komweiß fast jeder. Dass sich hier in den ver- munalen Kino in der Reihe „Freiburger gangenen Jahren eine große freie Filme- Fenster“ und bei besonderen Veranstaltunmacherszene etabliert hat, wissen hin- gen zu sehen sind. Bis vor ein paar Jahren kannten sie sich gegen nur wenige: Deren Produktionen schaffen es in der Regel nicht in die kom- teilweise nicht einmal untereinander, ermerziellen Kinos und finden deshalb kein innert sich die Diplomregisseurin Sarah breites Publikum. Dass die Filmemacher Moll. Das habe sich im Frühjahr 2016 gedennoch zunehmend in Erscheinung tre- ändert, als sich die Filmemacher nach ten, ist dem sehr aktiven Netzwerk „Initia- einem vom damaligen Kulturamtsleiter tive Freiburger Film“ (IFF) zu verdanken, Achim Könneke initiierten Gespräch über die nun für eine Verdopplung der kommunalen Förderung auf Diplomregisseurin ist 40.000 Euro jährlich wirbt.

„eine treibende Kraft“

Skizzen einer Stadt: Freiburg hat eine lebendige Filmszene. Wie lebendig sie ist, zeigt der Film „Skizzen einer Stadt“. Zehn Freiburger Filmemacher werfen einen Blick auf die Stadt und ihre Umgebung. Ein Film auch über ungewöhnliche Fahrräder und Fahrradgeschichten. 54 chilli Cultur.zeit März 2019

Es gibt zwar Geschichten wie die der beiden Globetrotter Gwendolyn Weisser und Patrick Allgaier, die mit ihrem Reisefilm „Weit“ wochenlang die Friedrichsbau-Säle füllten und für die Freiburger Kinosensation des Jahres 2017 sorgten. Doch das sind seltene Ausnahmen. Die Mehrheit ihrer Kollegen wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenom-

die Möglichkeiten kommunaler Filmförderung untereinander vernetzten, immer mehr wurden und schließlich die IFF gründeten. Dort ist Moll, wie ihr ein Kollege bescheinigt, „eine treibende Kraft“. Sie ist es auch in beruflicher Hinsicht: Ihre mit Bewohnern der LindenwäldleSiedlung gedrehte Dokumentation über


ckenburger und Dennis Siebold mitwirkten, wurde über die kommunale Filmförderung bezuschusst. Ebenso wie Sarah Molls Fahrradkurier-Projekt. Er ist einer von sieben Filmen, die im vergangenen Jahr mit insgesamt 20.000 Euro gefördert wurden – beantragt waren 73.000 Euro für 18 Filme. Aber nur 20.000 stehen den Filmschaffenden jährlich zur Verfügung, seit im Doppelhaushalt 2017/18 erstmals ein eigener Filmförderetat eingestellt wurde. Für den Doppelhaushalt 2019/20, der vom Gemeinderat am 9. April verabschiedet wird, hätte die IFF gerne eine Erhöhung des Etats um weitere 20.000 Euro pro Jahr, damit mehr Projekte in den Genuss einer kommuSkurrile Gefährte und eine Weinprobe nalen Anschub-Finanzierung kämen, träge, die einzelne Aspekte des loka- die „wie ein Qualitätssiegel“ wirke len Lebens aus ganz persönlichen und es anderen Sponsoren erfahBlickwinkeln zeigen. Da gibt es etwa rungsgemäß leichter mache, sich für Sigrid Faltins „Freiburger Radfahrer“, die Unterstützung eines Films zu die, während sie auf ihren mitunter entscheiden. Unter den 458 Haushaltsanträgen skurrilen Gefährten dahinflitzen, genau darüber philosophieren. Heiner der Fraktionen finden sich dazu geund Ingo Behring steuern eine ver- nau drei. Die Grünen wollen 20.000 gnügliche Rotweinprobe mit vier Euro für die Stärkung des FilmproExperten zum Thema „Badener oder duktionsstandorts ausgeben, die FrakBurgunder“ bei, Jakob Reinhart hat tionsgemeinschaft Für Freiburg/Freieinen Tag im Leben des Theater-Cho- burg Lebenswert 40.000 Euro und reografen Graham Smith gefilmt und die Unabhängigen Listen 20.000. Moritz Schulz ein autodidaktisches Für den Kulturliste-Stadtrat Atai Kunstprojekt – mit dem Titel „Oma Keller ist die Forderung nach mehr Förderung „in vollem Umfang nachist überwiegend blau“. Das 90-minütige Werk, an dem vollziehbar“ und er ist „guten Mutes, auch Jana Bürgelin, Nadine Zacha- dass sich der Wind in Richtung Kulrias, Jochen Isensee, Simon Schne- turstadt Freiburg dreht“. deren Nöte und Träume hatte im Herbst 2018 Premiere, gerade ist sie dabei, ihr lange gehegtes Projekt „Von Dienstboten und heimlichen Champions“ über Fahrradkuriere umzusetzen. Und zwischendurch stellte sie noch einen Kurzfilm her, der Teil der „Freiburger Skizzen“ ist, dem ersten Gemeinschaftsprojekt der IFF. Darin zeigt sie, dass der von den lautlosen Tänzern der Silent Disco belebte Stühlinger Kirchplatz keine „No-go-Area“ ist, sondern „wie eine Erdscheibe, in der sich die Realität und Vielfalt der Welt widerspiegelt“. An den „Skizzen“ waren elf Filmemacher beteiligt. Entsprechend weit gefasst sind Inhalt und Form der Bei-

Schwindelerrgend: Eine Szene aus dem Werk von Filmemacherin Sarah Moll. Foto: © Sarah Moll

Kulturnotizen Work in Progress Das Kommunale Kino wartet demnächst gleich mit zwei Film-Festivals auf, für die gerade emsig die Vorbereitungen laufen. Vom 10. bis zum 17. April findet das alljährliche CineLatino statt, dessen Länderschwerpunkt heuer auf Costa Rica liegt. Fünf Produktionen aus dem zentralamerikanischen Land sind zu sehen; eröffnet wird das Festival am 10. April mit „Santa y Andrés“ aus Kuba. Ende Mai (28.5. bis 2.6.) startet dann die 17. Ausgabe des „Freiburger Film Forums“, die das KoKi mit seinen Partnern alle zwei Jahre organisiert. Hier ist immer eine große Auswahl an internationalen Filmen zu sehen, die sich auf künstlerisch vielfältige Weise den Realitäten von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Lebensverhältnisse nähern und die oft von den Filmemachern selbst präsentiert werden. Im Mittelpunkt steht dieses Mal die „Gleichzeitigkeit von Ungleichheiten“. Hier gibt es auch eine „Student’s Platform“ für NachwuchsDokumentarfilmer.

Banditenjagd: der Film „Zama“

Foto: © Cine Latino

Weniger Kinogänger Sieben Monate Sommer sorgten im vergangenen Jahr dafür, dass die deutschen Kinos die schlechtesten Besucherzahlen seit 1992 registrierten. Laut einer dpa-Meldung sind 2018 die Zahlen gegenüber dem Vorjahr um knapp 14 Prozent zurückgegangen. Ludwig Ammann, einer der Geschäftsführer der Kinos Friedrichsbau, Harmonie und Kandelhof, differenziert: In den Arthaus-Kinos betrage der Rückgang 8,5 Prozent, im Bereich der MainstreamKinos um die 15 Prozent. Während das Freiburger CinemaxX keine Auskunft gibt, räumt Ammann ein, dass die stets über dem Trend liegende Kinostadt Freiburg dieses Mal leider keine Ausnahme mache; die rückläufigen Zahlen seiner Kinos entsprächen dem Bundesdurchschnitt „ziemlich genau“. Wobei er die Ursache dafür nicht nur im Sonnensommer von April bis Oktober sieht, sondern auch in „einem spürbaren Rückgang an wirklich tollen Filmen“.


kino

Fetzen fliegen immer noch Monsieur Claude und seine kunterbunte Familie sorgen wieder für heitere Spannung

Monsieur Claude 2

Frankreich 2019 Regie: Philippe de Chauveron Mit: Christian Clavier, Chantal Lauby, Émilie Caen, Noom Diawara u.a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 99 Minuten Kinostart: 4. April 2019

E

s ist fünf Jahre her, dass der stockkonservative Mon­sieur Claude Verneuil, seine brave Frau Marie, ihre vier eigenwilligen Töchter und deren multikulturelle Ehemänner die Herzen der Kinobesucher eroberten, die im Sommer 2014 zu Millionen in die Kinos strömten. Und jetzt, da man sich allmählich fragen könnte, was wohl aus den munteren jungen Frauen samt ihren seinerzeit gegen alle elterlichen Widerstände gegründeten Familien geworden ist, kommt die Fortsetzung dieser grandiosen Culture-­ClashKomödie in die Filmtheater. Regisseur Philippe de Chauveron schafft es mühelos, an den Fäden der ersten Geschichte anzuknüpfen und sie mit frischen Zutaten überzeugend zu einem neuen Stoff zu verweben. Das gelingt natürlich auch, weil wieder alle Schauspieler, die schon im ersten Film die Hauptrollen spielten, dabei sind und mit unveränderter Spielfreude agieren. Zwar sind sie alle älter und um viele Erfahrungen reicher geworden, wirken gelegentlich gar ein wenig abgeklärt und weise, doch bei den gelegentlichen Großfamilienessen fliegen immer noch die Fetzen. „Monsieur Claude 2“ setzt bei dem Versprechen an, das die Verneuils ihren Töchtern zu deren Hochzeiten gaben, nämlich, ihren jeweiligen Gegenschwiegereltern einen Besuch abzustatten. Algerien, China, Elfenbeinküste und Israel stehen auf dem Reiseplan – eine Tour de Force für das patriotische Rentnerpaar, das sowohl kulinarischen als auch kulturellen Experimenten lieber aus dem Weg geht. Und so sind sie froh, als sie endlich wieder zu Hause sind und sich in aller Ruhe in einem gemütlichen Großelterndasein mit diversen Ruhestandsaktivitäten einrichten können.

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Fotos: © Neue Visionen

von Erika Weisser

Doch sie haben die Rechnung abermals ohne ihre Töchter gemacht. Denn diese eröffnen ihnen eines Tages, dass sie planen, mit ihren Ehemännern in deren Heimatländer auszuwandern. Und natürlich wollen sie auch ihre Kinder mitnehmen und den Großeltern somit einen Teil ihres Daseinszwecks nehmen. In der zunehmend gespaltenen Gesellschaft Frankreichs, so die Begründung, würden Claudes und Maries Schwiegersöhnen nicht nur in beruflicher Hinsicht immer mehr Steine in den Weg gelegt, außerdem seien sie zunehmend mit immer übleren Diskriminierungen konfrontiert, die nicht länger zu ertragen seien. Die Verneuils sind sehr zerknirscht. Doch sie sind es nicht lange: Mit fast schon krimineller Energie fassen sie einen tollkühnen Plan, mit dem sie ihre Schwiegersöhne zum Bleiben bewegen wollen. Und damit die Töchter. Und vor allem die Enkel – für die sie sowieso Himmel und Hölle in Bewegung setzen würden. Mehr sei nicht verraten. Außer dass Monsieur Claude auch dieses Mal wieder viel Anlass zum Lachen bietet. Premiere: Am 5. April, 20.30 Uhr, kommen die Darsteller Noom Diawara und Émilie Caen zum Filmgespräch ins Kino Harmonie.


KINO Das Haus am Meer

Frau Mutter Tier

This Mountain Life

Foto: © Film Kino Text

Foto: © Alpenrepublik

Foto: © Camino Filmverleih

Frankreich 2017 Regie: Robert Guédiguian Mit: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussain u.a. Verleih: Film Kino Text Laufzeit: 107 Minuten Start: 21. März 2019

Deutschland 2018 Regie: Felicitas Darschin Mit: Julia Jentsch, Alexandra Helmig u.a. Verleih: Alpenrepublik Laufzeit: 96 Minuten Start: 21. März 2019

Kanada 2018 Regie: Grant Baldwin Dokumentarfilm Verleih: Camino Filmverleih Laufzeit: 77 Minuten Start: 28. März 2019

Zaghafte Annäherung

Schlachtfeld der Mütter

Die Magie der Berge

(ewei). Ein alter, mürrisch wirkender Mann sitzt auf der Terrasse seines Hauses am Meer und raucht. Als er gerade seine Zigarette über den Aschenbecher hält, ist plötzlich nichts mehr, wie es war: Schlaganfall. Diesen können wir freilich nur anhand der Großaufnahme der Hand erahnen, die sich verkrampft, an der Tischkante Halt sucht, erschlafft. Kurz darauf treffen seine Kinder am malerischen südfranzösischen Ort des Geschehens zusammen – und es wird bald spürbar, dass sie sich nicht nur räumlich sehr weit voneinander entfernt haben. Zwischen der berühmten Pariser Theaterschauspielerin Angèle und ihrem Bruder Joseph, einem idealistischen und deshalb umso frustrierteren Gewerkschafter, gibt es zwar noch schwache Familienbande, doch zu Armand, der das Fischrestaurant des Vaters führt, finden beide keinen Weg. Nach und nach erfahren wir die Gründe und erleben schließlich eine zaghafte Annäherung. Ein sehr atmosphärischer Film mit einer unerwarteten Wendung ins Zeitpolitische.

(ewei). Drei Frauen, vier Kinder und drei Varianten des täglichen Wahnsinns: Vollzeitmama Marie hat alles im Griff und macht alles zu 100 Prozent: Kindererziehung, Haushalt, Terminplanung ihres Ehemanns. Eigentlich hat sie kein Problem – wenn da nicht die übertriebenen Ansprüche an sich selbst wären. Werberin Nela bemüht sich, die Bedürfnisse von Söhnchen Leo mit der Rückkehr ins Berufsleben unter einen Hut zu bringen, während ihr Ehemann sich ein zweites Kind wünscht. Und Singlefrau Tine versucht trotz kleiner Tochter, das Leben einer unabhängigen Zwanzigjährigen zu führen. Der Spielplatz, auf dem sie zusammentreffen und sich mit selbst gebackenen Dinkelkeksen und perfekten Kindern zu übertreffen versuchen, wird bald zum Schlachtfeld der Mütter. Regisseurin Felicitas Darschin zeichnet mit amüsiertem Blick die Alltagsdramen verschiedener Frauentypen und lädt die Zuschauer ein, über ihre Zwickmühlen zu lachen und über die gefundenen Auswege zu staunen.

(mo s). Nach Monaten der Vorbereitung brechen Martina und ihre 60 Jahre alte Mutter Tania zu einer sechsmonatigen Reise auf. Von Squamish in British Columbia bis nach Alaska geht es über 2300 Kilometer durch die heimtückische Wildnis der Berge. Es gibt weitere Menschen, die ihre Leidenschaft für das Leben in den Bergen teilen: Eine Gruppe von Nonnen, die ein Kloster in den Bergen bewohnen, um Gott näher zu sein. Ein Fotograf, der unter einer Schneelawine begraben ist. Ein leidenschaftlicher Alpinist, ein hochkonzentriert arbeitender Schneekünstler und ein Paar, das seit 50 Jahren vom Versorgungsnetz abgekoppelt in den Weiten der Berge lebt. Regisseur Grant Baldwin geht der Frage nach, was diese Leute dazu bewegt, ihren Komfort, die Familie und die eigene Sicherheit für ein Leben in den Bergen zu opfern? Fesselnd und mitreißend porträtiert der Dokumentarfilm die menschliche Leidenschaft, die in der Wildnis der Berge von Kanada zu finden ist. Absolut atemberaubend.


kino

Deutschland 2019 Regie: Cordula Kablitz-Post, Paul Dugdale Dokumentarfilm Verleih: NFP Laufzeit: 107 Minuten 28., 29. & 31.3., Kino Harmonie

Schweiz 2018 Regie: Nini Jacusso Dokumentarfilm Verleih: Real Fiction Laufzeit: 89 Minuten Start: 28. März 2019

Christo – Walking on Water

Foto: © Alamode

Fairtraders

Foto: © Real Fiction

Foto: © NFP

Weil du nur ­ einmal lebst

Italien/USA 2018 Regie: Andray M. Paounov Dokumentarfilm Verleih: Alamode Laufzeit: 96 Minuten Start: 11. April 2019

Fanale gegen Rassismus

Keine Parallelwelten

Auf schwimmenden Stegen

(ewei). Kaum zu glauben: Auch die Toten Hosen sind älter geworden. Das ist angesichts ihrer 30-jährigen Bandgeschichte ja nicht weiter verwunderlich. Es überrascht aber dennoch, die Mitt-Fünfziger völlig erschöpft in irgendwelchen Backstage-Sesseln hängen zu sehen – sie, die mit scheinbar ungebrochener Energie schweißtreibende Konzerte auf internationalen Bühnen bestreiten. Cordula Kablitz-Post hat die Musiker 2017/18 bei ihrer „Laune der Natour“-Tournee durch Deutschland, Österreich und die Schweiz begleitet, bei der Leadsänger Campino praktisch jeden Auftritt zu einem Fanal gegen Nazis, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus machte. Und sie hat dabei Bilder eingefangen, die etwa die ironische Selbstbetrachtung der gealterten Punk-­ Legenden andeuten oder die sehr einfühlsam die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen den Toten Hosen und ihren Fans zeigen: Menschen, die miteinander älter geworden sind, vielleicht auch ein bisschen weiser – aber kein bisschen leiser.

(ewei). Sina Trinkwalder, einst Leiterin einer Marketing-Agentur, stellt mit Mitarbeitern, die auf dem Arbeitsmarkt keine reale Chance hätten, Zero-­Waste-­ Kleidung her. Textilingenieur Patrick Hohmann leitet in Indien und Tansania zwei Großprojekte zur Herstellung von Bio-Baumwolle – und er betreut sie selbst vor Ort. Die ehemalige Pädagogin Claudia Zimmermann betreibt in der Schweiz einen Biohof mit angeschlossenem Dorfladen und engagiert sich gegen Food Waste. Diese drei völlig unterschiedlichen unternehmerischen Akteure verbindet eines: Sie übernehmen Verantwortung, engagieren sich für faire Arbeitsbedingungen und nachhaltige Produktion, bilden aber keine Parallelwelten, sondern behaupten sich in der freien Marktwirtschaft und deren Kostendruck. Sie zeigen, dass es durchaus möglich ist, ökonomischen Erfolg auch ethisch zu gestalten. Inspirierende Dokumentation. Freiburger Premiere mit Filme­macher Nino Jacusso am 25. März, 18.30 Uhr im Kino Friedrichsbau.

(ewei). Erinnern Sie sich noch? Im Sommer 2016 konnte man für ein paar Wochen auf Floating Piers über den malerisch gelegenen norditalienischen Iseo-See spazieren und um die kleine Insel wandern. Vielleicht waren Sie gar unter den insgesamt eineinhalb Millionen Menschen aus aller Welt, die auf den vom bulgarisch-­amerika­nischen Verpackungskünstler Christo angefertigten, gelb schimmernden Stoffbahnen über das Wasser wandelten. Und die dafür sorgten, dass diese mehr als drei Kilometer langen schwimmenden Stege wegen des Andrangs zeitweise geschlossen werden mussten. Damals war die begehbare Installation in aller Munde. Und jetzt kommt sie in aller Augen – in einem Kinofilm, mit dem Christos Landsmann Andray M. Paounov die Entstehungsgeschichte dieses spektakulären Wegs auf dem Wasser dokumentiert. Er blickt hinter die Kulissen, zeigt den Schöpfer des gigantischen Projekts bei der Arbeit – und entwirft nebenbei ein einfühlsames Porträt des 81-jährigen Ausnahmekünstlers.


DVD Grüner wird’s nicht

Styx Deutschland/ Österreich 2018 Regie: Wolfgang Fischer Mit: Susanne Wolff u.a. Vertrieb: Euro Video Laufzeit: 95 Minuten Preis: ca. 13 Euro

Deutschland 2018 Regie: Florian Gallenberger Mit: Elmar Wepper, Sunnyi Melles u.a. Vertrieb: Majestic Home Entertainment Laufzeit: 112 Minuten Preis: ca. 13 Euro

Rosa Luxemburg Deutschland 1986 Regie: Margarethe von Trotta Mit: Barbara Sukowa, Otto Sander u.a. Vertrieb: Studiokanal Laufzeit: 122 Minuten Preis: ca. 10 Euro

Verweigerte Hilfeleistung

Im roten Doppeldecker

Eine couragierte Frau

(ewei). Rike arbeitet als Notärztin, ist an Zupacken und schnelles Handeln gewöhnt. Und an Abenteuer-Urlaube, in denen sie auf sich allein gestellt ist. Doch dieses Mal nützt ihr alle Routine nichts: Auf ihrer Segelbootreise zu einer Atlantikinsel findet sie sich nach einem Sturm auf hoher See in unmittelbarer Nähe eines havarierten, mit Menschen überladenen Fischerbootes wieder. Dutzende Menschen drohen zu ertrinken. Als die angeforderte Hilfe ausbleibt, muss Rike handeln.

(ewei). Schorsch ist Gärtner in einer bayerischen Kleinstadt. Täglich schuftet er in seinem Betrieb, der kurz vor der Pleite steht. Das Ende naht, als der lokale Golfplatzbesitzer die Rechnung für den Rasen nicht bezahlt, weil ihm der Grünton missfällt. Als der Gerichtsvollzieher kurz darauf sein geliebtes Flugzeug pfänden will, fliegt Schorsch mit dem roten Doppeldecker einfach davon. Ohne zu wissen, wohin. Es wird eine Reise mit besonderen Begegnungen an ungekannten Orten.

(ewei). Anfang des 20. Jahrhunderts wird Rosa Luxemburg zur populärsten Verfechterin des revolutionären Sozialismus und der Arbeiterbewegung. Nach dem Zerwürfnis mit der SPD bleiben ihr nur Clara Zetkin und Karl Liebknecht als Mitstreiter. Prozesse, Gefängnisaufenthalte und politische Unruhen prägen ihre letzten Lebensjahre. Am 15. Januar 1919 wird sie zusammen mit Liebknecht ermordet. Ein starkes Porträt einer ebenso couragierten wie kompromisslosen Frau, erstmals als Blu-ray.

The Cakemaker Israel 2018 Regie: Ofir Raul Graizer Mit: Tim Kalkof, Sarah Adler, Roy Miller u.a. Vertrieb: 375 Media Laufzeit: 104 Minuten Preis: ca. 18 Euro

UtØya: 22. Juli

M – eine Stadt sucht einen Mörder

Norwegen 2018 Regie: Erik Poppe Mit: Andrea Berntzen, Aleksander Holmen u.a. Vertrieb: Weltkino Laufzeit: 94 Minuten Preis: ca. 12 Euro

Österreich 2018 Regie: David Schalko Mit: Lars Eidinger u.a. Vertrieb: Universumfilm Laufzeit: 292 Minuten Preis: ca. 20 Euro (2 DVDs)

In Lügennetz verstrickt

Die Grenze des Erträglichen

Aufgeheizte Pogromstimmung

(ewei). Thomas, ein Konditor aus Berlin, hat eine Affäre mit dem verheirateten Israeli Oren. Als der in seine Heimat zurückkehrt und sich nicht mehr meldet, reist Thomas nach Israel, um nach ihm zu suchen. Zwar kommt er dort Orens Familie zunehmend näher, doch er verstrickt sich in einem Netz aus Lügen, je tiefer er in das Leben seines Geliebten eintaucht. Israels Beitrag für den Auslands-Oscar 2019 ist ein sensibler Film über eine Liebe jenseits der Geschlechtergrenzen.

(ewei). Am 22. Juli 2011 werden 500 Jugendliche in einem Ferienlager auf der Insel Utøya von einem schwer bewaffneten Nazi-Attentäter überfallen – ein Trauma, das Norwegen bis heute tief erschüttert. In seinem Spielfilm stellt Regisseur Erik Poppe die Opfer in den Mittelpunkt des furchtbaren Geschehens. Konsequent aus ihrer Sicht und in einer einzigen Einstellung gedreht, gelingt ihm eine atemlose Rekonstruktion der Ereignisse, die bis an die Grenze des Erträglichen geht.

(ewei). Wien im Winter. Eine Mutter schickt ihre kleine Tochter zurück zum Spielplatz, um die vergessene Jacke zu holen. Doch sie verschwindet ohne die geringste Spur: Ein Kindermörder treibt sein Unwesen. Die Polizei ist ratlos, die Boulevardpresse heizt die Gemüter auf. Fake News und Hetze im Netz kommen dazu; in der Bevölkerung beginnt es zu rumoren – Pogromstimmung entsteht. Das zeitgenössische Remake von Fritz Langs „M“, einem der wichtigsten Klassiker der Filmgeschichte. März 2019 chilli Cultur.zeit 59


Musik

Von Freiburg in die Welt Werkstattbesuch bei Jazzhaus Records

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von Till Neumann

Drei in einem: Die Jazzhaus GmbH vereint Bühne, Booking und Plattenfirma unter einem Dach. Thorsten Ilg (links) und Michael Musiol (rechts) bieten Künstlern Knowhow und Kontakte aus 15 Jahren Labelerfahrung. Fotos: © Till Neumann

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hre CD „Süden 2“ steht seit Wochen in den Charts. Stars wie Fools Garden und Lokalmatadoren à la Otto Normal arbeiten mit ihnen zusammen. „Am wenigsten bekommen davon vielleicht die Freiburger mit“, sagen die Macher von Jazzhaus Records – Michael Musiol und Thorsten Ilg. Dem chilli erzählen sie von guten Kontakten, einer sich wandelnden Branche und hochkarätigen Künstlern.

Offenheit, so macht es mehr Spaß“, sagt Musiol. Auch wenn der Name Jazzhaus Records anderes assoziiert: Ihre Künstler decken von Blues über Folk, Chanson, Hip-Hop oder Chöre viele Genres ab. Nicht einfach sei es, mit so vielen Bällen zu jonglieren. „Aber gut für die Motivation“, sagt Thorsten Ilg und lacht. „Das ist die Politik im Jazzhaus, ein komplizierter Weg“, ergänzt Musiol. Der 55-Jährige hat aus dem Verein Jazzhaus e. V. im Jahr 2001 die Jazzhaus GmbH gemacht. Freiburgs vielleicht schönste Bühne stand vor dem Aus, er hat sie gerettet. Seit 2005 betreibt er das Label Jazzhaus Records – mit einer seltenen Ausgangslage: Die Firma vereint Bühne, Booking und Plattenfirma unter einem Dach – und schöpft so Kraft aus Synergien. „Eine eigene Spielstätte zu haben, ist für

In einem Wiehre-Hinterhof geht’s durch ein Treppenhaus in den ersten Stock. Im Großraumbüro werkeln etwa zehn Angestellte an ihren Schreibtischen zwischen CD-Regalen und Rechnern. Im Besprechungszimmer von Jazzhaus Records sitzen die beiden Chefs, Thorsten Ilg (42) und Michael Musiol (55). Dass sie am Vorabend bis in die Nacht hinein beim hauseigenen Nachwuchswettbewerb „Rampe“ waren, sieht Grund zum Jubeln gibt‘s man ihnen nicht an. Die Grenzen zwischen Privatem und Be- aktuell ausreichend ruflichem sind fließend. „Wir zählen hier nicht die Stunden“, sagt Musiol. eine Plattenfirma eine Ausnahme“, sagt Labelarbeit und Showgeschäft heißt Lei- Musiol. In Zeiten, in denen viele Labels dichtmachen, könne das Jazzhaus sogar denschaft, Leiden mit inbegriffen. Würden sie nicht dafür brennen, wären wachsen. Geld verdiene man vor allem mit sie nicht hier. Die Motivation holen sie sich dem Livebereich. Über das Booking werüber musikalische Vielfalt: „Wir haben den Kontakte gepflegt und Künstler auch eine große Spannbreite und wollen diese für weitreichendere Zusammenarbeiten


Plattenfirma

Info Thorsten Ilg Funktion: Labelmanager Hört am liebsten: Jamiroquai Hört weg bei: Wham! – Last Christmas Seine erste CD: Rage against the machine Mag außer Musik: gutes Essen

an Land gezogen. 13 Mitarbeiter hat die Jazzhaus GmbH mittlerweile. Grund zum Jubeln gibt’s ausreichend: Das italienisch-bayerische Album „Süden 2“ steht seit vier Wochen in den deutschen Charts. Die Kollaboration ihres italienischen Liedermachers Pippo Pollina mit den bayerischen Musikern Werner Schmidbauer und Martin Kälberer kletterte bis auf Platz 18 – einer der bisher größten Erfolge für Jazzhaus Records. Der Sizilianer Pollina ist die Erfolgsstory schlechthin der Independent-Plattenfirma aus Freiburg: Über ein Konzert im Jazzhaus vor vielen Jahren lernte man sich kennen. Die Freiburger übernahmen das Konzertbooking für ihn. Erst viele Jahre später entschied er sich für eine umfassende Zusammenarbeit mit Ilg und Musiol. Mittlerweile ist er international gefeiert und landete mit der Platte „Il sole che verrà“ 2017 einen Chart-Erfolg. Mit der Pforzheimer Britpop-Band Fools Garden stehen Weltstars unter Vertrag. Ihre Mission sehen Ilg und Musiol aber im Lokalen: „Wir wollen Freiburg fördern, das ist ein Auftrag.“ Die Indie-Formation „Bro-

thers of Santa Claus“ ist im Programm, genau wie die Urban-­PopGruppe „Otto Normal“. Kurze Wege und eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe schätzt deren Frontmann Peter „Pete“ Stöcklin. Vergangenes Jahr stieg seine Band aus einem großen Deal mit Sony aus – und ent-

„Wir sind hyperaktiv in vielen Bereichen“ schied sich für Jazzhaus Records: „Wir fühlen uns ziemlich wohl“, sagt Stöcklin. Jazzhaus Records wolle ihnen ein musikalisches Zuhause geben, das funktioniere. „Sie bringen Ideen ein, geben uns aber relativ viel Freiheit“, sagt Stöcklin. Die kurzen Wege schätzt er: „Ich laufe fünf Minuten rüber, trinke ein Käffchen im Büro, bequatsche ein paar Sachen.“ Auch die Freiburger Sängerin Cecile Verny ist angetan. Sie mag, dass die Verantwortlichen „nah und erreichbar sind“. Man gehe anders miteinander um, wenn man sich samstags auf dem Markt treffe. Jazzhaus Records sei ein „Go local“ mit einer internationalen Struktur hintendran.

Michael Musiol Funktion: Geschäftsführer Hört am liebsten: viele neue Veröffentlichungen Hört weg bei: Schlager Seine erste CD: Beatles Mag außer Musik: Reisen, Radfahren & Fußball

„Vieles wird mit drei Mails und einem Telefonat besprochen. Ein direkter und effektiver Weg“, lobt Verny. Rund 20 Künstler stehen derzeit unter Vertrag. Ihnen möchten Ilg und Musiol eine faire und kollegiale Zusammenarbeit bieten. „Man muss sich riechen können“, sagt Ilg, der hauptverantwortlich für die Bands ist. Musiol leitet dafür das Liveprogramm. 160 Platten haben sie bisher rausgebracht. Und sich ein großes Netzwerk aufgebaut. „Wir sind oft auf Messen, hyperaktiv in vielen Bereichen“, erzählt Musiol. Jeder ihrer Musiker profitiere davon. Auch wenn viele Freiburger vom Label nichts wüssten, in Künstlerkreisen ist die Adresse bekannt: „Rund fünf Bandanfragen erreichen uns wöchentlich“, erzählt Ilg. Der Anspruch sei, alles zu hören und Feedback zu geben. Das klappe zwar nicht immer, man freue sich aber über jede Einsendung. Für spannende Bands wollen sie eine spannende Plattform sein. Bieten können sie Knowhow und Kontakte aus fast 15 Jahren Labelarbeit. Klappen soll so, wovon viele träumen: Eine Karriere von Freiburg, raus auf die Bretter der Welt. März 2019 chilli Cultur.zeit 61


Musik Voyou

Ariana Grande

Pop

Pop

Les bruits de la ville

Foto: © Privat

DIY und neue Socken

thank u, next

4 Fragen an

Rampe-Gewinnerin Svéa

Französisches Feelgood

Liebeskummer und Verlust

Musik macht Svéa seit 18 Jahren. Jetzt hat die 24-Jährige den Jazzhaus-Musikcontest „Rampe“ gewonnen. Ihren Namen verrät sie nicht. Dafür aber, was mit dem Preisgeld geschehen soll.

(lug). „Voyou“ bedeutet Gauner auf Französisch. Mit seinem schlecht rasierten Schnurrbart und den zu langen Haaren sieht Voyou aber eher aus wie ein netter Hippie. Die Melodien des französischen Sängers klingen viel mehr nach Gute-Laune-Musik als nach Gangster-Rap: Die elf Lieder seines Debütalbums „Les bruits de la ville“ sind kleine Alltagsgeschichten, verpackt in fröhliche elektronische Arrangements. Das Ergebnis ist tänzerisch und unbeschwert. Thibaud Vanhooland alias Voyou kommt aus Lille, ist als Jugendlicher aber nach Nantes gezogen. Das Stadtleben ist zentrales Thema der Platte: Über das Verlassen der nordfranzösischen Stadt hat er „Lille“ geschrieben. In „Il neige“ beschreibt er poetisch, wie die Stadt durch den Schnee zum Leben erwacht. In „Les bruits de la ville“ – auf Deutsch „die Geräusche der Stadt“ – erzählt er die ersten Eindrücke einer jungen Frau, die frisch in einer Großstadt gelandet ist. Seine Texte sind voller Zärtlichkeit, mit null Prozent Zynismus, aber nicht ohne Humor. Voyou ist der naive, lustige Kumpel, der immer etwas zu erzählen hat. Und auch wenn man kein Wort Französisch versteht, fühlt man sich beim Zuhören ein bisschen besser.

(iba). Sie ist schön, sexy und erfolgreich: Ariana Grande hat mit ihren zarten 25 Jahren schon mehr erreicht und erlebt als manch anderer. In den vergangenen Monaten musste sie allerdings einige Schicksalsschläge hinnehmen: 2017 gab es bei ihrem Konzert in Manchester einen Terroranschlag. 2018 verstarb ihr ExFreund und Rapper Mac Miller, ehe sie sich vor Kurzem von ihrem Verlobten Pete Davidson trennte. Den Schmerz verarbeitet die „My Everything“-Interpretin in ihrer Kunst. Sechs Monate nach ihrer letzten CD „Sweetener“ erschien Anfang Februar ihre neueste Platte „thank u, next“. Das fünfte Studioalbum der USSängerin bietet Fans einen kleinen Einblick in ihre Gedankenwelt. Mit den Songs „Needy“, „Fake Smile“, oder „Break up with your girlfriend, I’m bored“ spielt sie offenbar auf ihre gescheiterte Beziehung mit Davidson an. Arianas Herzschmerz scheint gut anzukommen: Der Hit „7 Rings“ wurde am ersten Tag knapp 15 Millionen Mal auf Spotify gestreamt. Die zwölf Lieder auf ihrem Album sind eher melancholischer Art, ruhig und traurig. Zum Tanzen wird man nicht animiert, aber das ist auch okay. Schließlich hat die Sängerin und Schauspielerin in letzter Zeit viel erlebt – „thank u, next“ ist ein Grenzgang zwischen Pop und Privatem.

Svéa, Glückwunsch zum Rampe-Sieg. Wie ist der Abend für dich gelaufen? Prima war das. Das Team vom Jazzhaus und die anderen Bands waren super nett. Da ich ja ziemlich am Anfang gespielt habe, war der Abend dann eigentlich sehr entspannt für mich. Auf der Bühne arbeitest du mit jeder Menge Maschinen. Wie beschreibst du deine Musik? Ich ordne mich da keinem bestimmten Genre zu. Der Sound entsteht hauptsächlich durch Synthesizer, E-Gitarre, Beatbox und mehrstimmige Vocals, die ich live mit Loopstation einspiele. Das Live-Setup ist über die letzten zwei Jahre gewachsen und tendenziell wächst der Maschinenpark auch weiter. Das Ganze hat eher DIY-Charakter, ich mache aber bisher alles selbst – nähe sogar die Klamotten selber und bin mein eigener Roadie. Für die Rampe gab’s 600 Euro Preisgeld. Was machst du damit? Vermutlich investiere ich in neues Equipment oder es vergrößert mein Aufnahmebudget, ein paar Euro sind schon für neue Socken draufgegangen. Wie kamst du zur Musik? Angefangen mit Klavierunterricht hab’ ich mir Gitarre, Gesang und Beatboxen beigebracht und begonnen, zu produzieren. Momentan pendle ich zwischen Freiburg und Leipzig, mache nur Musik und schaue, wie weit ich damit komme. 62 chilli Cultur.zeit März 2019


Curtis Mayfield

Foals

Soul

Indie & Pop

Keep on Keeping On

Part 1 Everything Not Saved ...

Der Sounddreck ... ... zum Fietz-Fasten

„Fasten heißt, sich selbst etwas Gutes tun. Fasten heißt, sich selbst etwas Gutes tun. Fasten heißt, sich selbst etwas Gutes tun “ Ist ja gut. Nein, eben nicht, denn diese Zeilen werden mantraartig an die hundert Mal wiederholt, unterlegt von einer seichten esoterischen Kakophonie.

Auflebende Legende

Fidele Fohlen

(tln). Nur wenige haben den Soul geprägt wie Curtis Mayfield. 1999 starb der US-Musiker und Bürgerrechtler mit 57 Jahren an Diabetes. Doch seine Musik lebt weiter – auch dank der HipHop-Kultur, die ihn immer wieder sampelt. Zum 50. Geburtstag seiner Solokarriere gibt’s gleich vier Studioalben in einer Box: „Keep on Keeping On“ vereint vier Curtis-Platten von 1970 bis 1974. Kanye West, Drake, Kendrick Lamar, Travis Scott – sie und viele weitere haben sich bei Curtis Mayfield bedient, um eigene Hits zu schrauben. Mit Schnipseln seiner Musik lassen sich noch heute Meilensteine setzen. Kein Wunder: Der Soulsound des legendären Sängers, Komponisten und Gitarristen geht durch Mark und Bein. „Gentle Genius“, also sanftmütiges Genie, nennt man den Mann aus Chicago. Die hohe Stimme, die unwiderstehlichen Grooves, die sozialkritischen Texte – seine Musik ist für die Ewigkeit. Gleich zweimal wurde er in die Rock & Roll Hall Of Fame aufgenommen. Die Platten-Sammlung umfasst neu gemasterte Versionen seiner ersten vier Studioalben: „Curtis“, „Roots“, „Back To The World“, „Sweet Exorcist“. Anspieltipps kann man sich hier getrost sparen. Einfach durchhören und genießen. Wer entdeckt dabei die meisten Samples aus Raphits der vergangenen Jahre?

(pt). Nach zwölf Jahren Bandgeschichte ist der Bassist von Bord gegangen. Statt aber Walter Gervers samt seinem Sound zu ersetzen, haben die übrigen Pferdchen der britischen Indiepop-Band Foals beschlossen, als Quartett weiterzutraben. Das Ergebnis heißt passenderweise „Part 1 Everything Not Saved will Be Lost“ und kann sich durchaus hören lassen. Darin führen die verbliebenen Mitglieder den Trend zu kurzen Alben mit zehn gut produzierten Songs fort. Unbestrittenes Highlight ist „On the Luna“. „Agitator, extricator, won’t you come evacuator? Infiltrator, hesitater, won’t you come emancipator?“, wendet sich Frontmann Yannis Philippakis darin verzweifelt an höhere Mächte. Ob sein Zagen und Schreien unter krachenden Gitarren und feinen Synthesizern erhört wird, dürfte seinen Hörern zwischen Kopfnicken und Fußtrippeln herzlich egal sein. Davor geht bereits „White Onions“ unter lautem Gedröhne direkt ins Ohr. Es markiert aber leider auch den anderen echten akustischen Höhepunkt – auch weil die dritte Single „Sunday” mit Outro-Qualitäten deutlich abfällt. Auch davor wandert der Finger leider zu oft auf die SkipTaste, das Album an den richtigen Stellen abzukürzen. Am Ende steht trotzdem die Erkenntnis: Es geht auch zu viert.

Verantwortlich dafür zeichnet einer der Säulenunheiligen des christlich übermotivierten Lieds, Siegfried Fietz. In den 60er- und 70er-Jahren schon mit seinem Fietz-Team berühmt-berüchtigt für solch epochale Verbrechen wie „Countdown zur neuen Welt“ (Gott ist nicht tot, auch wenn kein Astronaut ihn sah ...). Unter einem gruselig-groovigen Beat-Deckmäntelchen verbarg sich damals schon Anti-Evolutions-Mucke in Rein- und Reimform. Mit dem Label Abakus-Musik bringt Familie Fietz (Mutter Barbara im Vertrieb, Sohn Oliver als williger Musikant beziehungsweise Handlanger der Eltern und der „Pate“ Siegfried Fietz himself) weiterhin ihre Ware unters Volk und scheut sich dabei nicht, die Kleinsten, unschuldige Kinder, mit gefährlichem Stoff anzulocken, wie zum Beispiel mit dem Kindermusical „Fünf Brote und zwei Fische” (J-E-S-U-S, oh ja, Gott ist immer für uns da). Kriminelle Familienclans beherrschen anscheinend bestimmte Teile Deutschlands, dieser gehört dann definitiv dazu und sollte nicht länger unbeobachtet bleiben. Tun Sie sich deshalb etwas Gutes, und machen Sie mit beim Fietz-Fasten! Hungrig grüßt, für Ihre Freiburger Geschmackspolizei, Ralf Welteroth


Literatur

Auf den Reim gegangen Zwei Wortkünstler bringen ihre Poetry von der Bühne ins Buch

D

von Erika Weisser

von Cäcilia Bosch & Ansgar Hufnagel Einfach so auf Sichtreisen Tinx Verlag, 2019 128 Seiten, Broschur Preis: 14,90 Euro

ie Freiburger Poetry Slammer Cäcilia Bosch und Ansgar Hufnagel bringen ihre zu Reimen verdichteten Gedanken nicht nur auf der Bühne, sondern erstmals auch in einem Buch unter die Leute. In „Einfach so … auf Sichtreisen“ präsentieren die beiden Wortkünstler Texte aus ihrem abendfüllenden und ständig aktualisierten Programm, mit dem sie seit einem Jahr als Bühnenduo „Einfach so“ in Kneipen, Cafés und auf Kleinkunstbühnen unterwegs sind. Ihre Sichtreisen führen zunächst in „Das Land der wilden Worte“, in das man „über das Letternmeer“ gelangt, an dessen Ufer Fragezeichen stehen und wo „Kommata am Wegrand wuchern“. Und wo an höchst dramatisch zur Nacht verwandelten Gewittertagen so heftige „Geistesblitze“ einschlagen, dass seufzend gesungene „sanfte Silben der Sehnsucht“ zu „wilden Worten mit wüstem Klang“ werden. In ihrem Repertoire haben Bosch und Hufnagel jedoch mehr als wortwilde Oden, die in ihrem stürmischen Drang an Schillers taghell gelichtete Nacht und so manchen anderen Klassiker deutscher Dichtkunst denken lassen. Sehr lyrisch und zugleich witzig thematisieren sie ganz alltägliche Phänomene wie die Flugbahn der Regentropfen, die „in helles Blau getaucht“ sind. Oder Schokolade. Oder Schluckauf. Oder Liebe: „Wenn wir uns treffen, küssen sich Welten, sodass ganze Planeten schmelzen und die Milchstraße sauer wird.“

Gespür für Wortspiele Eingehend beschäftigen sie sich aber auch mit der Zerstörung von Lebensräumen. Etwa durch Kriege. Oder durch grenzenlose Profitgier, die aus lieblichen Flüssen tote Gewässer und Trinkwasser zu heftig umkämpftem „blauem Gold“ macht. Und wenn sie darstellen, wie Ausgrenzung oder Rassismus funktioniert, dann geht das schon unter die Haut. 64 chilli Cultur.zeit März 2019

Ansgar Hufnagel, der auch als Erlebnispädagoge arbeitet, legt in seiner Dichtung Wert auf politische Inhalte. So wie in den USA, wo die ersten Poetry Slams in den 1980er-Jahren über die Bühne gingen und die Texte viel politischer seien als hier. Für die Leichtigkeit im Vortrag sorgt Cäcilia Bosch, die ausgebildete Schauspielerin ist, derzeit Erziehungswissenschaften studiert und Lyrik schreibt, seit sie „schreiben kann“. In ihrer „Liebe zur Sprache“ und ihrem Gespür für Wortspiele und Steg-

Ansgar Hufnagel und Cäcilia Bosch freuen sich Foto: © Erika Weisser über ihr erstes Poetry-Buch.

reifdichtung ergänzen sie sich gegenseitig und haben „meistens großen Spaß“ beim zeitintensiven Feilen an den Reimen. Trotz Duo-Solo-Karriere nehmen die beiden weiterhin an Poetry Slams teil. Am liebsten im Café Atlantik, das seit etwa 25 Jahren regelmäßig extrem gut besuchte Slams organisiert und wo sich die beiden bei Cäcilias Slam-Premiere im Dezember 2017 kennenlernten. Sie mögen die Atmosphäre, die spürbare Lebendigkeit der Literatur – und die „Slamily“, in der „trotz Konkurrenz viel Offenheit herrscht“. Besonders aber mögen sie die Kuscheltiere, die es beim Slam im Räng Teng Teng immer für die Zweitplatzierten gibt und von denen sie auch schon ein paar ergattert haben.


FRezi

Alte weiSSe Männer

von Sophie Passmann Verlag: Kiepenheuer & Witsch, 2019 303 Seiten, Broschur Preis: 12 Euro

To keep you safe

von Judit Müller Verlag: A Tree & a Valley, 2018 320 Seiten, Softcover Preis: 10,50 Euro

Olympia in Love

von Catherine Meurisse Übersetzung: Ulrich Pröfrock Verlag: Reprodukt, 2018 72 Seiten, gebunden Preis: 18 Euro

Frühstück bei Kevin

Straße ins Nirgendwo

Nackt im Museum

(ewei). Nach Sophie Passmanns Definition ist ein alter weißer Mann jemand, der den Feminismus und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Wandel, „für etwas Lächerliches hält“. Einer, der sich weigert, diesen Wandel als „logische Konsequenz der aktuellen Ungerechtigkeit zwischen Mann und Frau“ zu akzeptieren – genauso wenig wie die Tatsache, dass seine „privilegierte Stellung in gesellschaftlichen Eliten“ nicht etwa seinem „Tollsein“ zu verdanken sei, sondern seinem Geschlecht und seiner Hautfarbe. Um herauszufinden, welche Zeitgenossen in dieses Feindbild passen, traf sich die einstige Freiburger Poetry-Slammerin Sophie Passmann mit einer Reihe mehr oder minder bekannter Männer, die „kulturellen, politischen und finanziellen Einfluss ausüben“. Sie frühstückte mit dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, aß Suppe mit dem früheren Bild-Chefredakteur Kai Dieckmann, trank „sehr viele Schorle“ mit Modeblogger Carl Jacob Haupt. Mit ihnen und vielen anderen – nicht nur alten – Männern unterhielt sie sich über Feminismus, Stillgruppen, durchsichtige Strumpfhosen, böse Witze und das Ende des Geschlechterkampfs. Das Resultat dieser Plaudereien ist verblüffend und – typisch Passmann – ziemlich wortwitzig.

(ewei). Es ist noch nicht lange her, da lebte die 17-jährige Judy noch glücklich und zufrieden mit ihrer Familie in einem Haus mit vielen Blumen irgendwo im Norden Amerikas. Sie war glücklich verliebt in einen Mitschüler, hatte allerhand Schmetterlinge im Bauch und romantische Gedanken im Kopf. Doch jetzt ist der Freund tot. Und die Eltern auch. Von den geliebten Menschen sind Judy nur der zehnjährige Bruder Luke und die fünfjährige Schwester Hope geblieben. Mit denen und ein paar Habseligkeiten ist sie jetzt auf einer ziellosen Flucht – von einem Unterschlupf zum nächsten. Durch geborstene Landschaften führt sie ihr Weg, vorbei an zerstörten und geplünderten Geisterstädten, die sie wegen der dort lauernden Gefahren meiden. Denn wie Judy und ihre Geschwister sind viele Menschen unterwegs, seit plötzliche Meteoriteneinschläge und die darauffolgenden Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis ihre Heimat verwüstet und ihre Angehörigen getötet haben. Alle versuchen, zu überleben – mit allen Mitteln. Unter großen Entbehrungen und Lebensbedrohungen schlagen sie sich durch den Ascheregen, finden eine vertrauenswürdige Gruppe und ziehen gemeinsam weiter ins Ungewisse. Die Freiburger Studentin Judit Müller legt mit ihrem Dystopie-Roman ein beachtliches Debüt vor.

(ewei). „Moderne Olympia“ lautet Catherine Meurisses großartige Graphic Novel zum Pariser Musée d’Orsay im Original. In der gelungenen Übersetzung des Freiburger Comic-­ Spezialisten Ulrich Pröfrock wurde „Olympia in Love“ daraus – und ein Untertitel zugefügt: „Eine Komödie in 50 Gemälden“. Der Begriff „Komödie“ ist indes ein wenig harmlos für die Tour, auf die Meurisse die junge Frau schickt, die dem Maler Édouard Manet vor gut 150 Jahren für seine „Olympia“ auf einem Divan Modell lag. Sie begibt sich vielmehr auf einen aberwitzigen Bildersturm-Ritt durch die Gemälde des Pariser Musée d’Orsay, deren Figuren plötzlich so lebendig werden wie die im Kinofilm „Nachts im Museum“. Mit nichts am Körper als einer schwarzen Samtschleife um den Hals und einer roten Blume im Haar verlässt sie das Bild, in dem sie sonst ruht – auf der Suche nach einem Filmproduzenten, der sie Romeos Julia spielen lässt. Sie rast durch Bildlandschaften, verliebt sich in Romain, gerät in abs­ truse Konkurrenz- und Eifersuchtsgemetzel mit den anderen Bildschönheiten und fetzt sich mit Venus, dem Star der Orsay-Studios. Um eben diesen Romain. Welch treffliche Idee, das Musée d’Orsay und seine Bilder in einer derart verrückten und überbordenden Love-Story zu präsentieren. Das macht sogar Lust auf einen Besuch.

Live zu erleben am Dienstag, 2. April, 20 Uhr, im Vorderhaus.

März 2019 chilli Cultur.zeit 65


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