chilli cultur.zeit

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Heft Nr. 9/18 8. Jahrgang

Ab

1 3 .1 2o. im K in

Leinwand

Musik

Literatur

Quälende Abgründe von Liebe und Leidenschaft

Orchestermusiker unter druck

Fluchtgeschichten im dreiländereck


Museen

Museumslandschaft als Standortfaktor Freiburg investiert kräftig ins Bewahren und Gedenken – und erntet Besucherrekorde

D

von Erika Weisser und Lars Bargmann

Die nächste Sonder­ausstellung im Augustinermuseum hat das Thema „Faszination Norwegen“. Dort wird Landschaftsmalerei (wie oben) gezeigt, zugleich sind im Haus der Graphischen Sammlung Werke von Edward Munch zu sehen. Sie eröffnet am 8. Dezember und dauert bis 17. März 2019 Foto: © Lukas Spörl/Museum Kunst der Westküste

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ie kleine Großstadt Freiburg lässt sich ihre Museumslandschaft einiges kosten: Zehn Millionen Euro jährlich fließen in Gebäude, in 30 Vollzeitstellen und Ausstellungen. Bald kommt noch eine gute halbe Million dazu: Der Gemeinderat will einmalig 900.000 Euro für die Ersteinrichtung und künftig 540.000 Euro jährlich für ein Dokumentations- und Informationszentrum zur Freiburger NS-Geschichte bereitstellen. „Eine attraktive Museums­ landschaft ist ein wichtiger Stand­ort­faktor“, sagt der Leitende Direktor der Städtischen Museen Freiburg, Tilman von Stockhausen. Ob das neue NS-Dokuzentrum seine Heimat im Rotteckhaus findet, wollte Oberbürgermeister Martin Horn der cultur.zeit nicht sagen. Nach Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach ist es „noch im Rennen“. Es war eine Sonderausstellung im Augustinermuseum, die den Weg dafür bereitet hatte: Die Freiburger NS-Vergangenheit hatte 80.000 Menschen interessiert. Danach gab es einen fraktionsübergreifenden Antrag des Gemeinderats an die Verwaltung, einen solchen Lern- und Erinnerungsort dauerhaft einzurichten. Spätestens in zwei Jahren, so von Kirchbach, soll der fertig sein.

Inzwischen wurde unter Mitwirkung eines aus den jüdischen Gemeinden und mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengesetzten Planungsbeirats ein Grundkonzept erarbeitet, das der Gemeinderat am 24. Juli einstimmig beschlossen hat. Auf 500 bis 600 Quadratmetern sollen eine Bibliothek, ein Dauerausstellungsraum, ein Bereich für Sonderausstellungen und Seminarräume untergebracht werden, außerdem eine Gedenkstätte für die Opfer der Shoa, in die die Fundamentsteine der Alten Synagoge integriert werden sollen. Das nächste Treffen von Verwaltung und Beirat ist Ende November, ab Januar ist von Kirchbachs stellvertretende Büroleiterin Kathrin Ellwart mit der Projektverantwortung betraut. Die Mittel sollen im Doppelhaushalt 2019/20 eingestellt werden. Welche Alternativen zum bereits an die Internationale Studien- und Berufsakademie (ISBA) vermieteten Rotteckhaus geprüft werden, wird erst Ende des Jahres mitgeteilt. Die ISBA würde von ihrem Vertrag, der der Sparkassen- und Stadttochter fwi als Gebäude-Eigentümerin rund 220.000 Euro Jahresmiete gebracht hätte, zurücktreten. Kommt das Dokuzentrum, wird es für die insgesamt 2000 Quadratmeter großen Gebäude auch noch andere Mitmieter geben.


Die fünf bisher schon in städtischer Regie betriebenen Museen sind alles andere als eintönige Aufbewahrungsanstalten für natur-, kunst-, kulturoder menschheitsgeschichtliche Fundstücke. Umfassende und mitunter sehr kostspielige Umgestaltungs- und Sanierungsarbeiten haben die allesamt in historischen Gebäuden untergebrachten Museen längst aus dem Dornrös­ chenschlaf erweckt und in zeitgemäße Häuser verwandelt. Gute mu­seums­pädagogische Konzepte und Veranstaltungen sowie regelmäßige, überregional stark beachtete Sonderausstellungen machen sie zudem zu Orten mit großer Anziehungskraft, die auch auf junge Menschen wirkt. So sind die Besucherzahlen im Augustinermuseum, im Museum für Neue Kunst, im Museum Natur und Mensch, im Archäologischen Museum und im Museum für Stadtgeschichte nach Auskunft von von Stockhausen in den vergangenen Jahren „stark gestiegen“: 2016 und 2017 seien Rekordzahlen von jeweils über 300.000 Besuchern erreicht worden. 2014 waren es knapp 250.000, vorher deutlich weniger. Dadurch sind auch mehr Einkünfte erzielt worden: 2017 nahmen die Freiburger Museen durch Eintritte, Verkäufe in den Shops und Drittmittel (Zuwendungen von Förderstiftungen und Sponsoren) immerhin 1,1 Millionen Euro ein. Diese Summe entspreche „ziemlich genau“ dem im städtischen Haushaltsplan unter dem Titel Sach- und Dienstleistungen eingestellten Ausstellungsbudget, das die „eigentliche kreative Masse in der Museumsarbeit darstellt“: Mit diesem Geld werden alle

Ausgaben finanziert, die über die Personalkosten und den Unterhalt der Gebäude sowie deren Dauerausstellungen hinausgehen. Auch die sehr aufwendigen Sonderausstellungen, die etwa dazu führten, dass die Süddeutsche Zeitung im Januar 2018 schrieb, dass sich das Augustinermuseum zu einer der „aufregendsten Ausstellungsstätten in Deutschland“ entwickle. Das Budget für Sonderausstellungen liegt in Freiburg bei jährlich 300.000 bis 400.000 Euro. Die Fondation Beyeler habe allein dafür etwa das Zehnfache zur Verfügung. Auch im Vergleich zu den Budgets in Karlsruhe oder Stuttgart bewegten sich die Freiburger Kosten „am unteren Rand“. Von Stockhausen, zugleich Sprecher der Fachgruppe Kunstmuseen und Kulturgeschichtliche Museen im Deutschen Museumsbund, verweist darauf, dass „nahezu alle Museen in Deutschland Zuschüsse für ihren Betrieb erhalten und nicht allein nach wirtschaftlichen Kriterien bemessen werden können“. Museen, sagt er, „haben den Auftrag, das kulturelle Erbe zu bewahren, zu vermitteln und auszustellen. Im Bereich Bewahren lässt sich kein Geld verdienen.“ Ebenso wenig wie „der Bildungsauftrag der Museen kostendeckend zu erfüllen ist“ – zumal Kinder und Jugendliche kostenlosen Eintritt haben. Die Sonderausstellungen im Augustinermuseum seien zudem ein wirtschaftlicher Faktor für Freiburg, da Besucher nicht nur Geld im Museum ausgeben. Und eine attraktive Museumslandschaft sei ein wichtiger Standortfaktor für die Stadt insgesamt.

Wird das Rotteckhaus der Standort für das NS-Dokuzentrum?

Foto: © ewei

Kulturnotizen Städtische Episoden

Die bei der FWTM GmbH angesiedelte Film Commission Freiburg Schwarzwald, die den Medienstandort Freiburg stärken will, hat zusammen mit zehn Freiburger Filmemachern ein Projekt realisiert, dessen Ergebnis demnächst im Harmonie-Kino zu sehen sein wird. Am 3. Dezember ab 20.30 Uhr ist die Premiere von „Freiburger Skizzen“, einem Episodenfilm, der die Stadt und deren Umgebung aus ungewohnten und auch persönlichen Blickwinkeln beleuchtet. Mitgemacht haben Sarah Moll, Sigrid Faltin, Nadine Zacharias, Dennis Siebold, Moritz Schulz, Jochen Isensee, Jakob Reinhart, Simon Schneckenburger sowie Heiner und Ingo Behring; sie haben sich in dokumentarischen und szenischen Kurzfilmen mit ganz unterschiedlichen Themen auseinandergesetzt. Um Fahrräder geht es da, um No-go-Areas, um eine städtische Weinkneipe, um die autodidaktische Kunstszene und vieles mehr. Jana Bürgelin hat die einzelnen Episoden über kurze Filmessays zusammengefügt. ewei

1.Screendance Festival Freiburg Noch bis Ende Dezember können für das 1. International Screendance Festival Freiburg im Juni 2019 Kurzfilme und Videos zum Thema Tanz eingereicht werden. „Screendance“, wörtlich übersetzt Bildschirmtanz, ist bislang in Deutschland weitgehend unbekannt; Ziel des Festivals ist, ihn im Dreiländereck und in Deutschland zu etablieren. Ausgerichtet wird es von der Tanzsparte des Theater Freiburg und den Screendance-Experten Marisa C. Hayes und Franck Boulègue in Partnerschaft mit dem Kommunalen Kino. Durch die weltweite Ausschreibung und das Workshop-Angebot vor Ort soll das Festival vom 5. bis 9. Juni ein Aufruf zum Mitmachen an international wie lokal Interessierte sein. Eingereicht werden können Filme in einer Länge von 30 Sekunden, zwei oder fünf Minuten. ste Mehr Infos: www.theater.freiburg.de/de_DE/ screendance-festival


Musik

„Du brauchst die Form deines Lebens“

Fotos: © Britt Schilling, Till Neumann

Zwei Durchstarter des Philharmonischen Orchesters über den Weg zum Berufsmusiker

R

von Till Neumann

und 70 Vollblutmusiker spielen im Philharmonischen Orchester Freiburg. Dort festangestellt zu sein, ist für viele ein Traum. Zwei junge Virtuosen haben den Schritt vor nicht allzu langer Zeit geschafft. Sie berichten von Nervosität, Sahnetagen und abgefahrenen Stücken. Vollgepackt mit Trommeln in allen Größen ist der Arbeitsplatz von Thomas Varga. Im „Schlagzeuglager“ am Theater Freiburg ist der 27-Jährige in seinem Element. Als Erster Schlagzeuger des Orchesters kennt er die rund 200 Instrumente dort in- und auswendig. Auch das Größte: ein dunkelbraunes Marimbaphon. „Das ist das Soloinstrument schlechthin, da kann man zeigen, was man kann“, schwärmt Varga. Seit sechs Jahren ist der gebürtige Tettnanger im Orchester. Mit einem unbefristeten Teilzeitvertrag ausgestattet, kümmert er sich bei Konzerten um den Rhythmus – ganz hinten, ganz oben ist sein Arbeitsplatz. „Mein Lehrer hat immer gesagt: Das Becken muss auch die Dame in der letzten

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Reihe sehen“, erzählt Varga. Man spiele schließlich auch fürs Auge. Ausufernde Bewegungen sind daher Teil des Berufs. Ein Durchstarter ist Varga zweifelsohne: Schon im zweiten Semester seines Bachelor-Studiums in München bekam er die begehrte Stelle in Freiburg. Ein Jackpot: „In dem Jahr gab es in ganz Deutschland nur eine ausgeschriebene Stelle für Schlagzeuger“, erinnert er sich. Gegen 13 andere Musiker ging er ins Rennen, die erste Runde wurde hinter einem Vorhang gespielt. „An so einem Tag brauchst du die Form deines Lebens“, sagt Varga. Die hatte er, setzte sich durch und „gewann“ die Stelle, wie Musiker sagen. „Ich habe maximales Risiko gespielt, mit der Warmduscherstrategie kommst du nicht weit“, betont Varga. Der Plan ging auf: An der kleinen Trommel klappte einfach alles, er bekam den Zuschlag. Und bedankte sich mit Freudenschreien. Trotz der halben Stelle machte er sein Studium fertig, pendelte zwischen Freiburg und München. „Kaffee und Red Bull waren meine besten Freunde“, erinnert er sich.


Orchester Ein Jahr auf Probe war Varga angestellt. Dabei stehe man unter besonderer Beobachtung. „Wenn man mit Druck nicht klarkommt, ist man raus.“ Stressig sei das gewesen, aber auch schön. Schließlich ist Schlagzeugspielen seine Leidenschaft. „Vor schwierigen Stücken ist man schon nervös“, sagt Varga. Fehler könnten da auch mal passieren. „Wenn bei Tschaikowksi das Becken zu spät kommt, ist man auf dem Präsentierteller.“ Doch er zeigte sich zuverlässig und überstand das erste Jahr mit Bravour. Auch weil er akribisch zu Werke ging. „Ich bin sehr ehrgeizig bei der Vorbereitung.“ Probenmarathons sind da keine Seltenheit, beispielsweise als vergangenes Jahr „Angels in America“ von Peter Eötvös anstand. „Wir haben geprobt wie Sau“, sagt Varga und lacht. Ein 360-Grad-Set habe er um sich herum aufgebaut, um alle Instrumente spielen zu können. Taktwechsel bis zum Gehtnichtmehr habe es gegeben, „total abgefahren“. Entscheidend ist für ihn, dass sich im Leben nicht alles um Musik dreht. Als Ausgleich fährt er BMX – auch auf Downhillstrecken. „Gerade vor schwierigen Konzerten ist es wichtig, den Kopf freizukriegen.“ Die gleiche Strategie verfolgt Adrienne Hochman. Die 28-Jährige ist seit September 2017 Solobratschistin im Philharmonischen Orchester. Zum Ausgleich läuft sie Marathon. Im Orchester zu spielen, ist für sie auch ein wenig wie Hochleistungssport. Stundenlanges Musizieren erfordere viel Konzentration und Übung. Schulter und Rücken würden stark beansprucht. Die Probezeit hat Hochman seit einigen Wochen hinter

Für Orchester-Musiker ist Deutschland „das beste Land der Welt“

In ihrem Element: Thomas Varga und Adrienne Hochman leben von und für die Musik. Den Platz im Orchester zu bekommen, ist eine Meisterleistung.

sich – und ist damit ebenfalls unbefristet eingestellt. „Ich bin sehr glücklich hier, das ist ein nettes Orchester, alle sind freundlich und offen“, erzählt die gebürtige Texanerin in fließendem Deutsch. Im Rahmen ihres Musikstudiums kam sie für ein Jahresstipendium nach Lübeck. Von da aus landete sie 2017 nach einem Probespiel in Freiburg. „Man braucht dafür auch Glück“, sagt Hochman. Manchmal spiele man super, werde aber trotzdem nicht genommen. Entscheidend sei, wer noch alles antritt und wer in der Jury sitzt. Mit ihrer Bratsche überzeugte sie und rief vor Freude ihre Familie und alle ihre Freunde an. Deutschland ist für Hochman ein wahres Mekka: „Wenn man Orchester spielen will, ist es das beste Land der Welt.“ In den USA gebe es 16 oder 17 Vollzeitorchester, in Deutschland etwa 130.

Info Das Philharmonische Orchester Freiburg wurde 1887 gegründet und etablierte sich rasch als offizielles Theater der Stadt am Theater der Konzerttätigkeit an rund 100 Abenden pro Jahr als Opernorchester in Erscheinung. Die Musiker gestalten zudem eine eigene Kammermusikreihe und engagieren sich mit Musikvermittelungsprojekten an Schulen. Seit 2008 leitet Fabrice Bollon als Generalmusikdirektor das Ensemble. November 2018 chilli Cultur.zeit 57


e n g a a n r F ... 3 ... Hartmut Stiller

Assaf Kacholi

Masta Ace und Marco Polo

Klassik

Rap

Amore

A Breukelen Story

Foto: © tln

„Wollen uns einmischen“

Nichts für Allergiker

Cooles Comeback

Seit 30 Jahren gibt es die Sendung „Schwule Welle“ bei Radio Dreyeckland. Hinter der „ältesten schwulen Radiosendung Deutschlands“ stehen drei Hobbyjournalisten. Einer davon ist Hartmut Stiller. Im Interview erzählt der 51-Jährige von hitzigen Sendungen und Recherchen zur queeren Weimarer Republik.

(tas). Hugels Version von „Bella Ciao“ war der Sommerhit des Jahres. Dass der mehr als 100 Jahre alte Song keine elektronische Unterstützung braucht, zeigt Assaf Kacholi mit seinem Opener. Der Tenor singt zunächst fast flüsternd, nur mit leiser Streicherbegleitung – alles andere als Spotify-tauglich, aber umso eindringlicher. Erst eine Minute später läutet die Pauke ein kurzes Crescendo ein, das gleich wieder von leisen Pianotönen abgelöst wird. Die emotionalen Töne setzen sich fort. Ob „Se tu fossi“ aus dem 80erJahre-Film „Cinema Paradiso“ oder das Liebesthema von Romeo und Julia: Kacholi greift ganz tief in die Romantikschublade. Dass der in Berlin lebende Israeli mit der samtigen Stimme fast ausschließlich auf Italienisch singt, tut sein Übriges. Menschen mit Romantik-Allergie sollten einen großen Bogen um die Scheibe machen. Doch wer einen Soundtrack für seinen ganz persönlichen Liebesfilm sucht, hat mit Kacholis zweitem Soloalbum „Amore“ den perfekten Begleiter zu Sonnenuntergang, Candle-Light-Dinner oder Schaumbad. Kurz vor dem Romantik-Overkill ertönt zum Ende der Platte ein zweites Mal „Bella Ciao“ – in einer Radioversion mit Schlagzeug-Beat. Ein Versuch, doch noch die Spotify-Hörer zu ködern? Leider ein ziemlicher Rausschmeißer.

(tln ). Masta Ace war in den 90ern einer der Großen im Rapgeschäft – nicht so bekannt wie die Eminems oder JayZs, aber hochgeschätzt in allen Kreisen. Ein Flower und Texter der Extraklasse. Jetzt meldet sich der Mann aus New York mit „A Breukelen Story“ zurück. An der Stimme hat sich nichts geändert, an den Beats auch nicht. Die Snare peitscht, filigran geflippte Piano- und Vocalsamples sind der Samtteppich, auf dem Duval Clear die Wörter tanzen lässt. In Endlosschleife reiht er die Silben aneinander, schon spürt man den Spirit der Goldenen Zeiten des HipHop, als CDs noch gekauft wurden und nicht jeder Dude drei Terabyte Musik auf dem Rechner hatte. Mit dem Hit „Beautiful“ wurde der Masta einst bekannt. Jetzt bastelt ihm der Kanadier Marco Polo die Beats. Auf 14 Tracks erinnern die beiden mit Gästen wie Pharoahe Monch an die alten Zeiten. Zu hören außerdem: Die Eltern von Marco Polo, die seinen Schritt, nach New York zu gehen, rührend kommentieren. Natürlich geht’s um die Hood: Brooklyn. Der Albumtitel „Breukelen Story“ steht für den ur­sprünglichen niederländischen Namen des Viertels. Manche Dinge ändern sich, die Musik von Masta Ace nicht. Gut so. Live: Masta Ace spielt am 14. Dezember in Stuttgart.

Hartmut, braucht es die Schwule Welle nach 30 Jahren überhaupt noch? Auf jeden Fall. Wir wollen die Community zusammenhalten, ein Sprachrohr sein für Schwule. Das ist weniger politisch als früher, aber Politik ist immer noch ein Eckpfeiler unserer Sendung. Wir erreichen geschätzt 1000 Leute im Monat. Es gab sogar schon Rückmeldungen aus den USA. Was war deine denkwürdigste Sendung? Als es letztes Jahr Streit um den Christopher Street Day in Freiburg gab, hatten wir eine große Diskussionsrunde. Da ging es heiß her. Immer wieder haben wir auch prominente Interviewpartner – zum Beispiel den Filmemacher Rosa von Praunheim oder Lilo Wanders. Manche Themen sind schwuler als andere, wir sind auf jeden Fall unterhaltsamer geworden. Im November ging’s um die queere Weimarer Republik. Genau, für die Recherche war ich extra in Berlin, habe mit Experten gesprochen für eine 90-minütige Sendung zum Thema. Ich bin selbst Historiker, mich hat die Zeit sehr interessiert. Berlin war damals ein Mekka der queeren Szene. Die Sendung gibt’s wie alle anderen auch im Podcast zum Nachhören auf schwulewelle.de. 58 chilli Cultur.zeit November 2018


Tim Beam

The Prodigy

Rock

Electronic, Rock

Nie wieder wir

No Tourists

Der Sounddreck ... ... Sport und Musik

Titel: Skifahrer Song Urheber: Möller Jahr: 2016 Sport muss sein. Leider wird Sport oft mit Musik garniert. Die Ergebnisse sind oft recht „unterschiedlich“ – um es vorsichtig auszudrücken. Insbesondere Fußball ist immer wieder ein Thema geschmackspolizeilicher Ermittlungen.

Spätes Debüt

Schlechter Zuckerflash

(tln). Irgendwie ist Tim Beam schon immer da. Der Freiburger Hardrocker und Singer/Songwriter mit dem Halstuch steht seit rund 30 Jahren auf der Bühne. Im November ist sein fünftes Album rausgekommen – das erste mit deutschen Texten. Gewohnt gitarrenlastig geht’s auf den elf Tracks zu. Oft laut und hart, manchmal weich und zerbrechlich. Dazu erzählt der Mann, der regelmäßig China-Tourneen spielt, aus seinem Leben. Roter Faden ist die Liebe. Es geht um gebrochene Gefühle („der Todeskuss fürs wir“) oder um eine knisternde Begegnung in einer Bar. Nach zwei Ramazotti geht’s nach Hause – doch da schläft ein Kind („Tresen“). Viel erfährt man über das Auf und Ab eines gereiften Rockmusikers zwischen Party und Melancholie, Abschied und Neuanfang. Das Album ist so einer, er selbst bezeichnet es wegen der deutschen Texte als Debüt. Die Musik geht an eingefleischte Rockfans: Laut und klar sind die Botschaften, mitsingen sicher erwünscht. Immer mal wieder gelingt der Ausbruch aus dem Standard: Mal besorgt eine Mundharmonika sanfte Töne, dann eine Akustikgitarre. Überraschungsmomente sind dennoch selten. Solide, ehrlich und frei heraus klingt das Ergebnis. Seine chinesischen Fans sollten dringend Deutsch lernen.

(pt). 20 Jahre nach „Firestarter“ wetzen die britischen Breakbeat-Pioniere The Prodigy auf ihrem siebten Album „No Tourists“ wieder die Feuersteine und machen sich in altbekannter Manier ans Zündeln. Leider ist bereits die Single „Light up the Sky“ ein aufgewärmter Zusammenwurf aus Versatzstücken ihrer Hits „Breath“, „Their Law“ und „Voodoo People“. Auch Songs wie „Fight Fire with Fire“ brennen maximal lauwarm, bieten aber immerhin Wiedererkennungswert. So stammen die schrillen Sirenen auf „Timebomb Zone“ direkt aus dem Maschinenraum der USS Enterprise. Statt aber unter melodischem Krawall in andere Galaxien vorzudringen, dümpelt „No Tourists“ im dunkeln Raum auf der Stelle: Die Band verlässt diese Komfortzone aus Rock, Elektronik und Punk zu keinem Zeitpunkt, erinnert in „Resonate“ lieber an den Video­spielklassiker Mortal Combat und damit gleich an das nächste Stück Popkultur. Als ein solches hat die Band schließlich ganze Stadien beschallt. Heute haben die Drops keinen Druck mehr und treten in die Luft. Insgesamt fehlt es der Scheibe an Giftigkeit und Geschwindigkeit, B ­ eats sind nicht treibend, kaum tanzbar und können letztendlich kein Feuer entfachen. Daran kann auch die gute Produktion nichts ändern.

Aufgrund der Vielzahl von sportmusikalischen Ermittlungen im Gesamten, musste das Dezernat in Sommer- und Wintersport aufgeteilt werden, was die ohnehin dünne Personaldecke fast zum Zerreißen bringt. Jahreszeitlich bedingt zunächst zum Wintersport: Insbesondere das Skifahren ist hier Hauptverursacher. Wir erinnern an unzählige „Après-Ski-Hits“, „Der Hans der kann’s“ oder „Louis Trinker“, die wir als Ermittlung abschließen konnten. Leider ist in der jüngsten Ski-Saison wieder ein besonders schwerer Fall aktenkundig geworden. „Heit isch Party, heit lemmers krache Geile Weiber und mir als Quereinsteiger“ So weit Herr Möller zu Beginn des „Skifahrer Songs“. „Cola-Woize und Schnaps brachial, Jo druff gschisse heut zieh mer ab de Aal“ Und das zur Musik von John Denvers Country Roads. Dialekt macht’s nicht besser. „Vollgas weiter, wer bremst verliert ... Sex kann warde, es goht grad nur oral, Weil alle wisset heut zieh mer ab de Aal, So’n Rausch isch mega schee, so’n Suff kriegsch net vom Tee.“ Auch fürs Skifahren gilt der geschmackspolizeiliche Tipp: Don’t sing and drive. Ski Heil! Für die Freiburger Geschmackspolizei, Benno Burgey


kino

Flammende Leidenschaft Paweł Pawlikowskis neuer Film projiziert menschliche auf politische Abgründe von Erika Weisser

Cold War – der Breitengrad der Liebe Polen/Großbritannien/ Frankreich 2018 Regie: Paweł Pawlikowski Mit: Joanna Kulig, Tomasz Kot, Borys Szyc u.a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 89 Minuten Start: 22. November 2018

Fotos: © Neue Visionen

60 chilli Cultur.zeit November 2018

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rei Jahre nach seinem grandiosen Film „Ida“, für den er den Auslands-Oscar und mehr als 60 internationale Auszeichnungen erhielt, bringt Paweł Pawlikowski ein weiteres Meisterwerk in die Kinos: „Cold War – der Breitengrad der Liebe“. Erzählt wird die Geschichte der zutiefst komplizierten und höchst beflügelnden poetischen Liebe zwischen zwei Menschen, die offenbar füreinander geschaffen sind, aber nicht wirklich miteinander leben können. Die Geschichte einer flammenden Leidenschaft, die letztlich an äußeren Grenzen und innerer Zerrissenheit scheitert und doch niemals ganz erlischt. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs ist der junge Pianist und Komponist Wiktor mit seiner ­Partnerin Irena in der polnischen Provinz unterwegs, um nach jungen Talenten für den Aufbau eines volkstümlichen M ­ usik- und Tanzensembles zu ­suchen. Bei einem Vorsingtermin treffen sie auf die talentierte Zula – und Irena bemerkt noch vor Wiktor, dass er sich in diese geheimnisvolle junge Frau verliebt. Unter Hinweis auf deren kriminelle Vergangenheit versucht sie noch, seine Gefühle aufzuhalten, doch es ist bereits um ihn geschehen: Zula wird nicht nur der Star der Folkloregruppe Mazurek, sondern auch Wiktors neue Geliebte. Bald feiert Mazurek große Erfolge. Diese sind allerdings nicht allein der hohen musikalischen Qualität zu verdanken: Mit heldenhaften Hymnen zu Ehren Stalins erarbeitet sich das Ensemble nicht nur die wohlwollende staatliche Förderung, sondern auch die Teilnahme an den „Weltfestspielen der Jugend und Studenten“ in Ost-Berlin. Wiktor will diesen Auftritt für eine gemeinsame Flucht mit Zula

Immer ein wenig rätselhaft: Zula

nutzen. Doch als sie nicht am verabredeten Ort erscheint, geht er ohne sie über die offene Grenze nach West-Berlin. In den folgenden Jahren kommt es zwar zu wenigen kurzen und heimlichen Begegnungen – Wiktor lebt als Jazz-Pianist in Paris, Zula ist hin und wieder mit Mazurek auf Konzertreisen in Europa –, doch hindern die politischen Verhältnisse die beiden stets daran, sich auf ihre nach wie vor alles verzehrende Liebe zueinander einzulassen. Und als der unerfüllbare Traum von einem Zusammenleben durch Zulas Scheinheirat mit einem italienischen Staatsbürger schließlich doch noch wahr wird, sind ihnen ihre eigenen Grenzen im Wege. Ihre Erwartungen an sich und ihre Gefühle sind so hoch, dass die Enttäuschung vorprogrammiert ist. Von Misstrauen, Eifersucht und Zweifeln, aber auch von Zulas übermäßigem Alkoholkonsum und Wiktors Unbeherrschtheit zerrüttet, gelingt es ihnen nicht, eine tragfähige Basis für ihre Liebe zu finden. Was für ein überwältigender Film! Er packt uns, nimmt uns mit zu den berauschenden Gipfeln und quälenden Abgründen von Liebe und Leidenschaft, lässt uns mit Zula und Wiktor hoffen, leiden, bangen. Und wirkt unglaublich lange nach. Ein feinfühliges Kunstwerk.


KINO

Deutschland 2018 Regie: Lucia Chiarla Mit: Eva Löbau, Beniamino Brogi u.a. Verleih: Filmperlen Laufzeit: 118 Minuten Start: 15. November 2018

Deutschland 2018 Regie: Sandra Nettelbeck Mit: August Zirner, Christian Berkel u.a. Verleih: Alamode Laufzeit: 126 Minuten Start: 15. November 2018

Die Schneiderin der Träume

Foto: © Neue Visionen

Was uns nicht umbringt

Foto: © Alamode

Foto: © Filmperlen

Reise nach Jerusalem

Frankreich/Indien 2018 Regie: Rohena Gera Mit: Tillotama Shome, Vivek Gomber u.a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 96 Minuten Start: 6. Dezember 2018

Der trügerische Schein

Alle Wege führen zu Max

Gegen alle Widerstände

(ewei). Wenn Alice bei ihren Eltern zum Essen ist – und das ist sie immer öfter – erzählt sie ihnen begeistert von ihren erfolgreichen oder zumindest Erfolg versprechenden „Weiterbildungskursen“, die ihr zu einem perfekten Start als selbstständige Texterin verhelfen sollen. Doch die Eltern sehen, wie gierig die fast 40-Jährige das Essen hinunterschlingt und spüren die Lüge, das verzweifelte Bemühen, den trügerischen Schein eines spannenden Berufslebens zu wahren. Sie spielen Alices Spiel aber gerne mit – gerade auch dann, als sie sie um einen Geldbetrag bittet, der ihr zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin zustehen würde, den sie aber schon für einen anderen Zweck verwendet haben. Alle tun so, als wäre alles kein Problem, auch die ehemaligen Kollegen. Bis sie aus einem der immer gleich aussichtslosen Bewerbungstrainings des Jobcenters fliegt und der Bankautomat kein Geld mehr ausspuckt. Filmgespräch mit der Hauptdarstellerin Eva Löbau: am Sonntag, 18.11., 16.45 Uhr im Friedrichsbau, Freiburg

(ewei). Eine Autorin, die abgrundtief um ihren Freund trauert und ihre eigene Beerdigung vorbereitet. Ein für ungewöhnliche Wünsche offener Bestatter, der von seiner gleichermaßen hypochondrischen wie symbiotischen Schwester gegängelt wird. Ein Pilot, dessen Sorge um seinen unheilbar kranken Freund in Flugangst mündet. Eine spielsüchtigen Schauspielerin, die von ihrem verheirateten Freund immer wieder vergessen wird. Eine leicht autistische Tierpflegerin, die ihren Kollegen zwar liebt, ihn aber auf Abstand hält. Eine alleinerziehende Mutter zweier pubertierender Töchtern, die ein Nachfamilienphasenstudium sowie eine Affäre mit ihrem deutlich jüngeren Dozenten beginnt. Zunächst haben diese Menschen und ihre verloren gegangenen Seelen nichts miteinander zu tun. Da ihre Wege jedoch auch in die Praxis des Psychotherapeuten Max führen, entstehen zwischen ihnen und ihren Geschichten wundersame Querverbindungen. Ein schwermütig-heiterer Episodenfilm mit viel Dialogwitz.

(ewei). In einem der gläsernen Hochhäuser des modernen Mumbai arbeitet die junge Witwe Ratna als Dienstmädchen für Ashwin, einen jungen reichen Mann, der alles hat, was es für ein komfortables Leben braucht. Ratna wiederum hat fast nichts – außer dem Willen, ihren Traum zu verwirklichen und Mode-Designerin zu werden. Als Ashwins sorgfältig arrangierte Hochzeit platzt, ist es Ratna, die seine tiefe Melancholie versteht. Er verliebt sich in die zurückhaltende Frau, entdeckt in ihr eine willensstarke und sinnliche Persönlichkeit. Ratna erwidert seine Gefühle, erkennt, dass er viel mehr ist als ein reicher Sohn reicher Eltern. Für die bleibt sie allerdings nur das Dienstmädchen und wird entsprechend behandelt. In ihrer tiefen Verbundenheit wird ihnen klar, wie unvereinbar die Welten sind, denen sie angehören. Und dass sich ihre Liebe gegen unzählige politische, gesellschaftliche und kulturelle Widerstände behaupten müsste und möglicherweise ihre Familien zerstören würde.


Die Poesie der Liebe

Gegen den Strom

Foto: © Pandora Film

Island 2018 Regie: Benedikt Erlingsson Mit: Halldóra Geirharðsdóttir, Jóhann Sigurðarson u.a.

Foto: © temperclayfilm

Verleih: Pandora Film Laufzeit: 100 Minuten Start: 13. Dezember 2018

Schlagkräftige Wahlverwandtschaften (ewei). Halla liebt es, die isländischen Berge zu durchstreifen. Mit Pfeil und Bogen, einem geräumigen Rucksack und wetterfester erdfarbener Kleidung unternimmt sie regelmäßig einsame Touren in die kaum besiedelte Gegend. Doch sie tut dies nicht etwa als Ausgleich zu einem öden und bewegungsarmen Job. Sie ist auch nicht auf der Jagd nach ­erlegbaren Wildtieren, sondern auf dem Kriegspfad: Gleich einer Amazone bewegt sie sich durch die W ­ ildnis, kämpft sie unerbittlich gegen die ausbeuterischen und umweltzerstörerischen Machenschaften von Politik und Wirtschaft. Und um ihnen ihre Kommunikations- und Produktionswege abzuschneiden, kappt sie mithilfe ihrer Armbrust eine Stromleitung nach der anderen, bringt sie selbst die mächtigsten Masten dazu, umzukippen wie angetippte Dominosteine. Mit ihren Sabotage-Aktionen will Halla, die im ganz normalen Alltag als stets freundliche, sehr charmante und den Menschen zugewandte Chorleiterin arbeitet, „den Krieg gegen die Mutter Natur stoppen“. Das erklärt sie zumindest in einem Mani-

fest, das sie mit „die Bergfrau“ unterzeichnet irgendwann an einem Tatort hinterlässt. Das bringt die ­ entschlossene Guerrilla-Kämpferin, die immer mehr riskiert und deren Anschläge immer gefährlicher werden, jedoch bald in die Bredouille: Anhand des Schreibens, auf das sich auch noch ein Tropfen Blut verirrt hatte, nehmen auf Menschenjagd spezialisierte Hunde ihre Fährte auf. Bald wird sie von Hubschraubern und Drohnen verfolgt, doch sie kann bis zuletzt entkommen. Ihre genaue Ortskenntnis und ihre auf extreme Outdoor-Bedingungen trainierte Körperverfassung helfen ihr dabei. Und ein schrulliger Schafzüchter, dem sie zufällig über den Weg läuft, der sich ihr aber sofort verwandt fühlt und sie immer wieder rettet. Und der schließlich, mitsamt seinem Hund namens „Frau“, zu einem schlagkräftigen Unterstützer all ihrer Unternehmungen wird. Selbst dann noch, als sie längst im Knast sitzt. Aberwitziger Ökothriller mit viel schrägem, staubtrockenem Humor.

Frankreich/Belgien 2017 Regie: Nicolas Bedos Mit: Doria Tillier, Nicolas Bedos Verleih: temperclayfilm Laufzeit: 120 Minuten Start: 20. Dezember 2018

Szenen einer Lebensbindung (ewei). Bei der Beerdigung des Literaturstars Victor Adelman sorgen dessen seltsame Todesumstände für Gesprächsstoff. Zur Klärung kann seine Witwe Sarah beitragen, die dem Verstorbenen über dreißig Jahre lang in Liebe verbunden war. In einem Gespräch mit dem Nachwuchsautor Antoine, der eine Adelman-Biografie verfassen will, rekapituliert Sarah die Stationen des gemeinsamen Lebens mit Victor. Antoines Interview mit Sarah dient der Liebeschronik als erzählerische Klammer. Dazwischen resümieren insgesamt zwölf mit Titeln wie „Strategie des Zufalls“ oder „Ekstase“ überschriebene Kapitel die große Liebe zwischen den Adelmans. Die Dialoge und Sarahs Erzählerinnenstimme, die in die jeweiligen rückgeblendeten Lebensabschnitte einleitet, erzeugen einen literarisch wirkenden Erzählfluss, bei dem musikalische Montagen, jeweils an die Zeit angepasste Kostüme und Dekors die vergehende Zeit der stets lebendigen und bewegten, jedoch nicht immer einfachen Beziehung illustrieren.


DVD Sympathisanten

Transit Deutschland 2017 Regie: Christian Petzold Mit: Franz Rogowski, Paula Beer u.a. Studio: EuroVideo Laufzeit: 100 Minuten Preis: ca. 13 Euro

Was werden die Leute sagen Norwegen 2017 Regie: Iram Haq Mit: Maria Mozhdah, Adil Hussain u.a. Studio: PandoraFilm Home Laufzeit: 106 Minuten Preis: ca. 14 Euro

Deutschland 2017 Regie: Felix Moeller Dokumentarfilm Studio: EuroVideo Laufzeit: 100 Minuten Preis: ca. 15 Euro

Hafen der Hoffnung

Die Grenzen der Unterstützung

Emotionale Kollisionen

(ewei). Für die Menschen, die zu Beginn der 1940er-Jahre auf der Flucht vor den Nazis sind, ist Marseille ein Hafen der Hoffnung: Hier kreuzen sich die Wege Tausender, die, getrieben von der Illusion, in ein sicheres Land entkommen zu können, von einem Konsulat zum nächsten, von einer Behörde zur anderen ziehen – und doch nichts erreichen. Nach seiner abenteuerlichen Flucht aus Paris gerät auch Georg in diesen Strudel. Ausgezeichnete Verfilmung von Anna Seghers’ gleichnamigem Roman.

(ewei). Wie weit kann und darf die Unterstützung einer Bewegung gehen, deren Ziele man grundsätzlich gutheißt, deren Methoden man aber zunehmend ablehnt? Vor dieser Frage standen im Lauf der 70er-Jahre viele Linke, die überlegen mussten, ob und wie sie sich von der RAF zu distanzieren hatten. Eine Frage, die Regisseur Felix Moeller in seiner nachdenklichen Dokumentation seinen Eltern Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff stellvertretend für eine ganze Generation stellt.

(ewei). Nisha lebt mit ihrer pakistanischen Familie in Norwegen. Und führt ein Doppelleben: Zu Hause gehorcht die 15-Jährige den strengen traditionellen Regeln, draußen verhält sie sich wie eine gewöhnliche norwegische Teenagerin – und hat einen Freund. Als Nishas Vater sie mit diesem erwischt, prallen die beiden Welten in aller Schonungslosigkeit aufeinander und Nisha wird von ihren Eltern nach Pakistan entführt. Emotionaler Film über den Konflikt von Tradition und Moderne.

Drei Zinnen Deutschland 2017 Regie: Jan Zabeil Mit: Andreas Fehling, Berenice Bejo u.a. Studio: EuroVideo Laufzeit: 86 Minuten Preis: ca. 12 Euro

System Error Deutschland 2018 Regie: Florian Opitz Dokumentarfilm Studio: EuroVideo Laufzeit: 95 Minuten Preis: ca. 13 Euro

Kruso Deutschland 2018 Regie: Thomas Stuber Mit: Albrecht Schuch, Jonathan Berlin u.a. Studio: Universumfilm Laufzeit: 100 Minuten Preis: ca. 14 Euro

Eine folgenreiche Bergtour

Die Grenzen des Wachstums

Auf dem sinkenden Schiff

(ewei). Léa und Aaron sind seit zwei Jahren ein Paar, bilden mit Léas Sohn Tristan eine Patchworkfamilie. Zwar lebt Tristan in Teilzeit auch bei seinem leiblichen Vater, doch scheint er mit den Verhältnissen zurechtzukommen. Das ändert sich, als die drei vor ihrem bevorstehenden Umzug nach Paris ein paar Tage in den Dolomiten verbringen und der Junge sich zunehmend gegen Aaron auflehnt. Als die beiden bei einer Bergtour in ein Unwetter geraten, spitzt sich der Konflikt unerträglich zu.

(ewei). Wir erleben, wie Regenwälder und Gletscher verschwinden, wir sehen zu, wie die Natur und damit die Lebensgrundlage der Menschheit zerstört wird. Und sind dennoch wie besessen von Wachstum, treiben es immer weiter. Obwohl wir wissen, dass man auf einem endlichen Planeten nicht unendlich wachsen kann. Florian Opitz sucht in seiner Doku Antworten auf diesen Widerspruch – und beleuchtet die verborgenen Zwänge und legt die selbstzerstörerischen Kräfte des kapitalistischen Systems offen.

(ewei). Die kleine Insel Hiddensee ist zu DDR-Zeiten nicht nur ein beliebter Ferienort, sondern auch ein angesagter Zufluchtsort für Künstler, Aussteiger und Alternative. Und für Republikflüchtige: Die Nähe zu Dänemark verlockt so manchen, die Flucht über die Ostsee zu wagen. Kruso, der in der Ausflugsgaststätte „Klausner“ arbeitet, gefällt das nicht – er will ihnen seine Idee von Freiheit nahe bringen. Verfilmung des mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Romans von Lutz Seiler. November 2018 chilli Cultur.zeit 63


Literatur

Tief berührende Schicksale

V

von Erika Weisser

Nie geht es nur um ­Vergangenheit Schicksale und Begegnungen im Dreiland 1933–1945 von Wolfgang Benz, Johannes Czwalina, Dan Shambicco Dittrich, 2018 504 Seiten, Broschur Preis: 19,90 Euro

Info Lesung & Gespräch: 13. Dezember 2018, 18.30 Uhr Universitätsbibliothek Freiburg www.gedenkstaetteriehen.ch

or 80 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, wurden in Deutschland überall die Synagogen zerstört und die Läden jüdischer Geschäftsleute geplündert – auch in Freiburg. Die Eskalation antisemitischer Hetzjagden führte zu einem Anstieg der Emigrations- und Fluchtversuche, von denen längst nicht alle glückten. Denn auch in der nahen Schweiz fanden Juden keine legale Zuflucht mehr. Wolfgang Benz, Johannes Czwalina und Dan Shambicco haben jetzt ein Buch veröffentlicht, in dem sie einige Schicksale dokumentieren. Darunter auch welche von Freiburgern. Drei Jahre, sagt Dan Shambicco, hätten sie an der umfassenden Dokumentation gearbeitet. Sie konnten dabei außer auf ihr eigenes Archivmaterial aus der von ihnen im Grenzort Riehen betriebenen „Gedenkstätte für Flüchtlinge zur Zeit des 2. Weltkriegs“ auch auf viele Gespräche mit Zeitzeugen zurückgreifen, die bis heute im Dreiländer­ eck leben. Er selbst hat den Großteil dieser Gespräche geführt, sie waren ein Schwerpunkt seiner Mitarbeit am Buch. Der 27-Jährige hatte dabei Begegnungen, die ihn „tief berührten“. Eine beim Gespräch 83-jährige Frau vertraute ihm etwa an, dass sie „nie zuvor mit einem Fremden über diese Vergangenheit gesprochen“ habe, die sie bis heute belaste. Als Tochter eines der 4000 NSDAP-Mitglieder, die damals in Basel lebten, habe sie nämlich „bei der Basler Hitlerjugend mitgemacht“, die engen Kontakt zur Freiburger HJ hatte und mit der sie an großen Aufmärschen teilnahm, die „mit Musikbegleitung und euphorischem Jubel der Bewohner durch die Stadt“ zogen. Shambicco traf aber auch eine heute 90-jährige Baslerin, deren Mutter aus Freiburg stammte und deren jüdische Familie nicht nur den Freiburger Großeltern zur Emigration verhalf, sondern auch immer wieder Flüchtlinge aufnahm und versorgte,

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Foto: © Marcel Zehnder

Neues Buch über regionale Fluchtgeschichten in der NS-Zeit

Dan Shambicco hat viele Gespräche geführt.

auch illegale. Legale seien seit Oktober 1938 kaum mehr über die Grenze gekommen: Für die nach einer Vereinbarung der Schweiz mit Nazideutschland mit einem roten „J“ gekennzeichneten Reisedokumente jüdischer Menschen war ein Visum erforderlich – das üblicherweise nicht erteilt wurde. Er interviewte zudem eine jetzt 96 Jahre alte gebürtige Freiburgerin, die nach der Nazi-Rassenterminologie als „Halbjüdin“ galt. Sie erinnerte sich zwar an eine ungetrübte Kindheit mit Ausflügen auf den Schauinsland, aber auch daran, dass sie immer versucht habe, „das Jüdische zu verstecken“. 1942 war sie 20, als sie allein auf gut Glück über die grüne Grenze bei Bettingen in die Schweiz ging. Wo sie aber erst einmal interniert wurde, weil sie nicht nachweisen konnte, „dass ich verfolgt wurde“. Immerhin aber wurde sie nicht zurückgewiesen. Die Brüder Siegfried und Walter Weil aus Eichstetten und Freiburg hatten dieses Glück nicht. Zwar gelang ihnen im Januar 1939 über die Untergründe des Badischen Bahnhofs noch die illegale Einreise, doch kurz darauf wurden sie in Riehen aufgegriffen und zurück nach Deutschland geschickt. Wo sie später ermordet wurden. Das Buch ist ein ausgezeichneter, ein erhellender Beitrag zur Regionalgeschichte in finsterer Zeit.


FRezi

Rosa

Flugfedern

von Kate Evans Verlag: Dietz Berlin, 2018 228 Seiten, Broschur Preis: 20 Euro

DIE ERSTEN HUNDERT TAGE

von Wolfgang Brenner Verlag: Herder, 2018 288 Seiten, gebunden Preis: 24 Euro

von Simone Regina Adams Verlag: Klöpfer & Meyer, 2018 160 Seiten, gebunden Preis: 20 Euro

Mit allen Sinnen

Kein Sinn für Nestwärme

Starkes Stück

(ewei). „Ich war, ich bin, ich werde sein“ sind die letzten Worte, die Rosa Luxemburg vor ihrem gewaltsamen Tod am 15. Januar 1919 niederschrieb. Damit meinte die Revolutionärin, die schon vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs – auch in Freiburg – ihre Stimme gegen den Imperialismus und für den Frieden erhoben hatte, nicht sich selbst: Sie sprach von der Revolution, die vor genau 100 Jahren zwar jenen Krieg beendete, die danach jedoch niedergeschlagen wurde. Und die sich dennoch „morgen schon rasselnd wieder in die Höh richten“ ­würde. Diese Worte, die am Ende eines später in der „Roten Fahne“ veröffentlichten Artikels stehen, schließen auch die Graphic Novel ab, mit der die kanadische Künstlerin Katie Evans das Leben und den Tod dieser wissbegierigen, mutigen und wohl auch sehr mitreißenden Frau dokumentiert. Und ihre Lieben: Evans zeichnet Luxemburg nämlich nicht als unfehlbare Säulenheilige, sondern vielmehr als einen suchenden, empfindsamen Menschen. Als eine emotionale und sinnliche Frau mit wechselnden sexuellen Beziehungen, die nicht immer glücklich verliefen. Die vielen bestens recherchierten Originalzitate und das ausführlich erläuterte Quellenverzeichnis ermöglichen überdies ein gutes Verständnis von Rosa Luxemburgs politischem Denken und Handeln.

(ewei). Eigentlich hätte Thibaut gleich spüren müssen, dass die junge Frau, die er eben vor einer Vergewaltigung gerettet und mit zu sich genommen hat, nicht bei ihm bleiben würde: Zu sehr erinnert sie ihn in ihrer Zerbrechlichkeit an die kleine verwilderte Katze, die er vor Jahren verletzt auf der Straße fand und die, nachdem er sie gesund gepflegt hatte, eines Morgens einfach nicht mehr da war. Doch er verliebt sich im Lauf der Nacht in diese Sophie, deren Namen er erst am nächsten Morgen erfährt. Und hofft, dass ihre Flugfedern erst dann wieder nachwachsen, wenn sie sich schon an die Wärme und Geborgenheit seines Nests gewöhnt hat. So wie beim Weibchen des Nashornvogels. Sophie ist indessen nicht fähig, sich auf eine Bindung einzulassen, auch dann nicht, als sie sich in Thibaut verliebt hat. Und das liegt nicht allein an den unterschiedlichen Gewalterfahrungen, die sie hinter sich hat. Sondern auch an der symbiotischen Beziehung Thibauts zu seiner überbehütenden Großmutter, mit der er auf einem Bauernhof lebt. Die Freiburger Autorin Simone Regina Adams hat eine tiefgehende und bezaubernde Novelle über Liebe, Zurückweisung, Verlust und Wiederfinden geschrieben. Lesung und Gespräch: Mittwoch, 28. November, 20 Uhr in der Stadtbibliothek.

(bar). Der Jounalist Wolfgang Brenner hat in „Die ersten hundert Tage – Reportagen vom deutsch-deutschen Neuanfang 1949“ gleichsam ein Kal­e­i­ doskop gebaut, in dem sich die Anfänge der jungen Bundesrepublik und DDR in Geschichten spiegeln, die sich abseits der politischen Großereignisse abspielten. Nicht alles, was Brenner an Kuriosem, Hintergründigem, ja auch Bizarrem zusammentrug, verdient das Etikett Reportage. Ein verdienstvolles Konvolut ist es aber allemal: über Besatzer und Trümmerträume, über kleine Revoluzzer und große Halunken, über vergiftete Tiere im bizarrem Frankfurter Zookrieg, über chinesische Drogenbanden in Hamburg, ringende Schauspielerinnen in Düsseldorf oder auch einen sein Dienstmädchen entsorgenden Berliner Polizeipräsidenten. Das alles ist kenntnisreich verpackt – und meistens erhellend. Wer kennt schon die „Hölle vom Prüm“? In der Hintergrundgeschichte „Der Stoff, aus dem die Träume sind“ schildert Brenner, wie sich die Sowjets mangels eigener Vorkommen im Erzgebirge bei der SGAG Wismut ihre Atombombenträume erfüllen wollten. Und wie ein kleiner, von Kindern in der Loisach gefundener Uran-Klotz durch die Hände ging, bis er einem amerikanischen Geheimdienstler für zehn Millionen Mark angeboten wurde – und die Zwischenhändler dann wegen Kriegsverbrechen vorm Kadi landeten. Ein starkes Stück deutscher Geschichte. November 2018 chilli Cultur.zeit 65


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