Heft Nr. 6/21 11. Jahrgang
AB
23.9.
IM KINO!
Leinwand
Musik
Literatur
Schräge Rettungsversuche
Die Glückssträhne der Band „von WElt“
Grafic Novel gegen Rechts
Kultur
Sinnliche Materialität Im Freiburger Institut für Sagenhaftes werden Bühnen, Figuren, Ausstellungen und auSSergewöhnliche Kulturprojekte erfunden
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von Erika Weisser Figurentheater auf Stelzen: In Vanessa Valks Stücken (oben) übernimmt sie Konzeption, Regie und Figurenbau. Ihr Partner Jens Burde gestaltet in seinem Institut für Sagenaftes Theaterbühnen und Ausstellungen (Fotos rechts). Fotos: © Vanessa Valk, Felix Groteloh, JensBurde, ewei
nstitut für Sagenhaftes nennt der freischaffende Designer und Szenograph Jens Burde sein Unternehmen für Gestaltung. Vor 14 Jahren kam er damit nach Freiburg; in den Instituts-Werkstätten in Zähringen entwirft und baut er Bühnenbilder und -ausstattungen, konzipiert Ausstellungen, erfindet und entwickelt kulturelle Projekte für den öffentlichen Raum, denkt sich wandelbare Funktionsmöbel aus und feilt an mobilen Innenraumkonzepten. Eine solche Konzeption wird derzeit bei der Neugestaltung von Foyer und Café im Haus der Jugend umgesetzt. Und eine bereits verwirklichte Idee ist im Literaturhaus zu bewundern. Nach Burdes Plänen entstand hier im Sommer 2017 aus vier Kubikmetern europäischem Kirschbaum ein Interieur, dessen variable Elemente sich im Handumdrehen
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von Bänken zu einer Bühne, zu einer Bar, zu einem Bücherschrank, zu einer ganzen Sitzgruppe umbauen lassen. Und zu vielem mehr. Mit dem Literaturhaus arbeitet der „Visionär und Raumakrobat“, wie der 47-Jährige sich selbst bezeichnet, oft zusammen. So inszenierte er im Juni 2020 das „Museum der Langsamkeit“ – und verwandelte den Saal für einen Monat in einen „kontaktfreien, aber begegnungsreichen Ort der
Ein visionärer Raumakrobat Kunst“: in eine begehbare Installation aus Papier und Lichtspiel, eine „theatrale Reise“ mit Texten, Tonspuren, Kurzfilmen und Zeichnungen, die einige vom Corona- Lockdown ausgebremste Autor·innen eingesandt hatten. Das nächste gemeinsame Projekt geht im Oktober über die Bühne. Und es geht
Nächtliches Schattenspiel seine Lebenspartnerin Vanessa Valk ins Spiel. Im Wortsinn: Die Figurenund Schauspielerin ist bei dieser atmosphärischen Installation für die spielerischen Elemente zuständig – wie so oft bei den gemeinsamen Unternehmungen von „Bühnenfrau und Kulissenmann“. Seit zehn Jahren arbeitet sie ebenfalls freiberuflich, kreiert eigene Stücke, führt Regie und baut die Figuren selbst – in den besagten InstitutsWerkstätten. Zuvor hatte sie eine Festanstellung am Theater Freiburg, wohin sie 2006 mit der damaligen Intendantin Barbara Mundel kam. Die beiden Gestaltungskünstler arbeiten immer öfter zusammen – in Projekten, bei denen es um den Menschen und seine Bedürfnisse nach einem guten Leben geht, das im Einklang mit Natur und Umwelt
Kulturnotizen
steht. Und bei denen Nachhaltigkeit und Ästhetik eine Einheit bilden. Ein solches Projekt war etwa die von ihnen initiierte Tierdemo gegen den Klimawandel im Oktober 2015, eine Performance, bei der 350 „Tiere“ (Freunde, Kinder, Nachbarn, Theaterleute) durch die Kajo tanzten – vom Hirsch auf Stelzen bis zur winzigen Maus. Mit von der Partie war auch das riesige hölzerne und pedalbetriebene mobile Spinnentier (Foto u. r.), das Burde im Jahr zuvor für die Barockoper „Hesch Affekte“ konstruiert hatte – in einer Kooperation mit dem Choreografen- und Tänzerpaar Graham Smith und Maria Pires, die das Stück für das Junge Theater Freiburg einstudiert hatten – mit mehr als 60 Viertklässlern der Vigeliusschule. Die beiden waren auch bei der sagenhaften Tierdemo dabei – und orchestrierten einen Pinguin-Flashmob. Mit diesem Künstlerpaar verbindet Vanessa Valk und Jens Burde nicht nur eine „fruchtbare Zusammenarbeit“. Sondern seit 2020 auch ein Preis: Im vergangenen Jahr wurde der Reinhold-Schneider-Preis der Stadt Freiburg erstmals auch in der Sparte „darstellende Kunst“ vergeben und ging prompt an diese vier Kulturschaffenden: Pires & Smith erhielten den Preis, Valk & Burde das mit 3000 Euro dotierte Stipendium. Die Begründung der Jury: Sie „machen mit ihren künstlerischen Arbeiten einen Kosmos erlebbar, der nicht zuletzt durch seine Materialität sehr nachhaltige, sinnliche und poetische Wirkung entfaltet.“ Die Verleihung ist für den 21. November im Theater Freiburg vorgesehen.
Neuer Podcast im Augustiner Happy Birthday, Martin Gerbert: Als Geburtstagsgeschenk für den Fürstabt von St. Blasien und zum Finale der Ausstellung „Der Schatz der Mönche – Leben und Forschen im Kloster St. Blasien“ hat das Freiburger Augustinermuseum einen Podcast produziert. In vier Folgen lässt Ausstellungskurator Guido Linke den großen Fürstabt Martin Gerbert lebendig werden. Dessen 300. Geburtstag war der Anlass zur Schau. Zum 301. Geburtstag am 11. August 2021 geht nun „Happy Birthday, Martin Gerbert“ online. Alle Folgen sind ab sofort auf der Ausstellungswebsite www.freiburg.de/schatz-der-moenche und überall dort zu finden, wo es Podcasts gibt, etwa auch auf Spotify. Die Ausstellung läuft noch bis 19. September.
Spektakuläre Fundstücke fürs Archäologische Museum Überraschung in Tiengen: Bei Bauarbeiten wurden unter anderem eine rund 6000 Jahre alte Muschelkette und eine keltische Keramikflasche aus der Zeit zwischen 250 und 50 v. Chr. entdeckt. Mit diesen Fundstücken wurde nun die trefflich dazu passende Ausstellung „freiburg.archäologie – Leben vor der Stadt“ im Archäologischen Museum Colombischlössle erweitert. „Das sind echte Highlights, für uns ein Glücksfall“, freut sich Ausstellungskurator Hans Oelze. Das Muschelperlencollier aus der
Collier aus Muschelschalenperlen: Landesamt für Denkmalpflege BW Esslingen
Foto: © Yvonne Mühleis
dabei wieder um eingesandte Texte, die dieses Mal von Kindern und Eltern, von Jugendlichen und jungen Erwachsenen stammen: ´ In Anlehnung an Saša Stanišics erstes Kinderbuch „Hey hey hey Taxi“ veranstaltet das Literaturhaus einen Schreibwettbewerb zu diesem Thema. Die Texte werden dann bei drei nächtlichen Schlafanzuglesungen als Gute - Nacht - Taxi - Geschichten zu Gehör gebracht – in einer begehbaren Lausch-und-Liege-Installation, die eine Woche lang besucht und ausprobiert werden kann. Und die stammt aus den Werkstätten des Instituts für Sagenhaftes. Bei der Szenographie für dieses Geschichtenerfinderprojekt denkt Jens Burde unter anderem an Schattenspiele. Und hier kommt denn auch
Jungsteinzeit stellt das Museumsteam vor Rätsel. Denn es ist völlig unklar, wie das wertvolle Stück in eine Abfallgrube auf dem heutigen Gelände des Neubaugebiets in Tiengen kam. Die filigranen Perlen der Kette haben Menschen vor über 6000 Jahren aus Muscheln hergestellt. Dazu haben sie die Schalen zu runden Scheiben verarbeitet, sie mit feinen Feuersteinbohrern durchlocht und anschließend poliert: „Ein unfassbarer Aufwand bei knapp 100 nur etwa 4 mm großen Perlen.“ Normalerweise seien Stücke von solch hoher Qualität nur als Grabbeigaben bekannt. Beide Objekte sind aber in Abfallgruben der jungsteinzeitlichen und späteren keltischen Siedlung entdeckt worden – eine absolute Rarität und sehr außergewöhnlich. Die Ausstellung läuft noch bis zum 9. Januar. bar
kino
Der Duft der Freiheit Traditionsbewusste Rosenzüchterin begibt sich auf unkonventionelle Wege
Der Rosengarten von Madame Vernet Frankreich 2021 Regie: Pierre Pinaud Mit: Catherine Frot, Melan Omerta, Olivia Côte, Fatsah Bouyahmed , Marie Petoit u. a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 94 Minuten Start: 9. September 2021
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n letzter Minute treffen Eve Vernet und ihre Assistentin Véra auf der „Bagatelle“ ein, der berühmten internationalen Rosenmesse in Paris. Hastig pflanzen sie ein paar Rosenstöcke mit perlmuttweiß schimmernden Blüten in die schon längst gut bestückten Präsentationsbeete und verteilen Werbebroschüren für ihre Neuzüchtung an die anderen Gäste. Einen Stand können sich die beiden aus Burgund angereisten Rosenzüchterinnen nicht leisten, Eves einzige Hoffnung ist der Gewinn des Wettbewerbs um die „Goldene Rose“ – und vor allem die damit verbundene Prämie. Denn mit Eves von ihrem Vater ererbten und in sehr sorgfältiger und liebevoller Handarbeit betriebenen Gärtnerei steht es nicht zum Besten: Auf dem schnellen, von den massenhaften Neuschöpfungen internationaler Großgärtnereien überschwemmten Markt kann sich die traditionsbewusste Einzelkämpferin nicht behaupten. Ihr Unternehmen, das pro Jahr höchstens eine neue Rosensorte kreiert, schreibt längst rote Zahlen. Da hätten das Preisgeld und die damit verbundene gewinnbringende Nachfrage nach der Gewinnerrose die Rettung bedeutet. Doch Madame Vernet geht leer aus, die begehrte Prämie sackt zum achten Mal in Folge der Großzüchter Constantin Lamarzelle ein. Und der ist nicht nur der Hauptsponsor der „Bagatelle“, sondern vor Ort auch ihr größter und äußerst skrupelloser Konkurrent: Er setzt alles daran, Eves Betrieb in den Ruin zu treiben, um die gepflegten Rosenfelder und Gebäude dann selbst zu übernehmen. Bei der Rückkehr überrascht Véra ihre Chefin mit drei neuen Angestellten, die
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Fotos: © Neue Visionen
von Erika Weisser
sie heimlich engagiert hat. Und die als Protagonisten eines Resozialisierungsprogramms für Arbeitslose keine Kosten verursachen. Doch Eve ist nicht begeistert – Fred, Nadège und Samir haben keinen Plan und wenig Ahnung von der Gärtnerarbeit. Dass sie überdies schwer von Begriff oder zumindest komplett uninteressiert sind, macht die Zusammenarbeit auch nicht leichter. Indessen entdeckt die gestrenge Patronin bei ihren Schützlingen bald doch noch verborgene Qualitäten – und nutzt etwa Brunos kriminelle Energie, um aus Lamarzelles Gewächshaus eine seltene Rose mit außergewöhnlichem Duft zu beschaffen. Diese will sie mit einer eigenen Züchtung kreuzen, um die perfekte Kreation zu schaffen, die mit ihrem Aussehen und ihren einmaligen Duftnoten den Bagatelle-Preis erringen kann und damit den Erhalt ihrer Gärtnerei und ihrer Unabhängigkeit garantiert. Eve, Véra und die drei Neuen wachsen zu einem starken und verlässlichen Team zusammen, das allen Rückschlägen und Unterwanderungsversuchen trotzt. Und das die Kinobesucher mitnimmt auf eine heitere Reise in eine Welt voller kleiner Wunder.
KINO Unter den Sternen von Paris
Martin Eden
Toubab
Foto: © Arsenal
Foto: © Piffl
Foto: © Camino
Frankreich 2020 Regie: Claus Drexel Mit: Catherine Frot, Mahamdou Yaffa u. a. Verleih: Arsenal Laufzeit: 84 Minuten Start: 19. August 2021
Italien 2019 Regie: Pietro Marcello Mit: Luca Marinelli, Jessica Cressy u. a. Verleih: Piffl Medien Laufzeit: 129 Minuten Start: 26. August 2021
Deutschland, Senegal 2021 Regie: Florian Dietrich Mit: Fabra Dieng, Julius Nitschkoff u. a. Verleih: Camino Laufzeit: 96 Minuten Start: 23. September 2021
Ein Funken Hoffnung
Kein Zugang zur Bourgeoisie
Schräge Rettungsversuche
(ewei). Tag für Tag und auf immer gleichen Wegen schleppt sich Christine durch Paris. Und sie schleppt etwas mit sich herum. Davon zeugt ihre gebeugte, in weite Mäntel und Schals gehüllte Gestalt. Davon zeugt auch ihr Gesicht, in das sich außer den Spuren ihres Lebens auf der Straße auch Verbitterung eingegraben hat. Und eine tiefe Traurigkeit. In immer gleichen Routinen bewegt sie sich zwischen ihrem Unterschlupf am Seineufer und dem Essenstreff, der Aufwärmstube, der Sozialstelle. Sie meidet den Kontakt zu anderen Obdachlosen, ist stets allein unterwegs. Auch ihr Versteck in einem Abstellraum der Stadtreinigung bewohnt sie allein. Dort wird sie von einem Straßenkehrer geduldet. Aber nur nachts. Und eines Nachts steht der schluchzende Suli vor ihr. Ein Flüchtlingskind aus Eritrea, das von seiner Mutter getrennt wurde. Als all ihre Vertreibungsversuche scheitern, nimmt sie sich des Jungen an und findet in ihre Menschlichkeit zurück. Großartig gespielt von Catherine Frot.
(ewei). Martin Eden ist Matrose auf einem Frachtschiff. Und er hat außer einer enormen Anziehungskraft auf Frauen auch einen Drang zur Poesie. Trotz rudimentärer Bildung – er war nur ein Jahr in der Schule – verfasst er Gedichte und andere lyrische Texte. Als er den reichen Familienspross Nino Orsini vor einem gewaltsamen Übergriff rettet, wird er von dessen Eltern eingeladen – und verliebt sich in Ninos Schwester Elena. Von nun an liest er alles, was er kriegen kann. Und beginnt, wie ein Besessener zu schreiben: Er will Schriftsteller werden – in der Hoffnung, die Anerkennung der klassenbewussten Orsinis zu erringen. Doch die begegnen Martins leidenschaftlichem Bildungs- und Erfolgstreben mit Verachtung; selbst die verliebte Elena ist eher herablassend als solidarisch. Über die Freundschaft mit dem Sozialisten Russ Brissenden erkennt er, dass in der Bourgeoisie kein Platz für ihn ist. Eine ausgezeichnete, zeitlos gehaltene und nach Neapel verlegte Verfilmung von Jack Londons autobiografisch geprägtem Roman.
(ewei). Babtou ist 26, in Frankfurt geboren und aufgewachsen. Und er saß zwei Jahre lang im Knast. Weil er seinen besten Kumpel Dennis nach einem gemeinsamen Einbruch entlastet und die ganze Schuld auf sich genommen hatte. Nach der Entlassung währt die Freude über die wiedererlangte Freiheit indessen nicht lange: Eine Party mit alten Freunden und erheblichen Mengen an Alkohol und anderem Stoff gerät derart aus der Bahn, dass er erneut verhaftet wird. Dieses Mal mit dramatischen Aussichten: Wegen wiederholter Straffälligkeit soll er abgeschoben werden. Nach Senegal, seinem angeblichen Heimatland, dessen Staatsangehöriger er zwar ist, das er jedoch nur aus den Erzählungen seines Vaters kennt. Um die drohende Ausweisung aus seiner faktischen Heimat Deutschland zu verhindern, schlagen Babtou und Dennis krumme Wege ein – und geraten immer tiefer in die Bredouille. Ziemlich verrücktes Spiel um ein ernstes Thema – starkes Kinodebüt von Florian Dietrich.
Musik
„Diverser geworden“
Düster in die Charts Die Rocker der Band „Von Welt“ sind leidenschaftliche Strategen
Foto: © Nachweis
3 Fragen an Robert Ribeiro Multitracks-Produzent
Eine Compilation mit Freiburger Songs zum Thema „Muse & Motivation“, das bietet der neue „Multitracks-Sampler“. Künstler·innen haben dafür Songs eingereicht. Ausgewählte Stücke sind in Zusammenarbeit mit Freiburger Produzenten verfeinert worden. Im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann erzählt Projektleiter Robert Ribeiro (36), wie die zweite Multitracks-Reihe läuft. Herr Ribeiro, was ist auf dem neuen Multitracks-Sampler zu hören? Wir haben 37 Einsendungen erhalten. Überrascht hat mich, dass sich 29 neue Künstler·innen gemeldet haben. Damit haben wir in zwei Jahren 73 Künstler·innen veröffentlicht. Es macht mich sehr glücklich, die Musiklandschaft von Freiburg zu dokumentieren. Das Überthema lautet „Muse & Motivation“. Wie kreativ wurde das umgesetzt? Bei der Premiere haben wir viele Songs aus dem Rock-Pop-Bereich bekommen. Jetzt ist es diverser geworden – mit viel Hip Hop, Electronic und Folk. Ich habe den Eindruck, dass die Teilnehmer·innen das Konzept besser verstanden haben. Es sollte ein Impuls sein, es kann implizit oder explizit umgesetzt werden. Wie geht es jetzt fürs Projekt weiter? Als Nächstes werden wir die Sessions mischen und mastern. Parallel fangen unsere Videoproduzenten an, die Dokus zu schneiden. Geplant ist, die Sessions im Oktober zu veröffentlichen. Die Dokus kommen im November und Dezember. Dann planen wir die Multitracks 2022. 46 chilli Cultur.zeit September 2021
M
it ihrem Debütalbum „Schwarz“ haben es die vier Musiker „Von Welt“ vergangenes Jahr auf Platz 35 der Charts geschafft. Vor der Fußball-EM gelang ihnen ein weiterer Coup. Jetzt hat sich die Band aus dem Freiburger Umland eine Show mit Udo Lindenberg erspielt. Einst sahen sie sich als Pechvögel, das Glück ist aber zurückgekommen. Bandcontests sind eigentlich nicht ihr Ding. Für den „Panikpreis“ von Udo Lindenberg haben Von Welt kürzlich aber eine Ausnahme gemacht. „Normalerweise ist da toxi sche Stimmung, jeder ist aufs eigene Weiterkommen fokussiert“, sagt Bassist Nicolai Hoch. Udos Event sahen sie dennoch als Riesenchance und haben es nicht bereut. Familiär sei die Stimmung gewesen. Von Welt schaffte es von 270 Einsendungen unter die Top 6. Beim Finale an der Popakademie Mannheim belegten sie den 2. Platz. 5000 Euro Preisgeld gab’s dafür. Und ein Konzert 2022 beim Hermann-Hesse-Festival in Calw, bei dem auch Lindenberg auftritt. Der Erfolg ist sinnbildlich für ihren Weg. Hart erarbeitetes Glück könnte man sagen. Sänger Nicolas Kuri las kürzlich die Biografie von Lindenberg. Dabei entdeckte er den Panikpreis, suchte im Netz und reichte die Bewerbung ein. Drei Wochen vor dem Auftritt bekamen sie Bescheid. Bassist Hoch cancelte kurzerhand einen New-York-Trip. „Alles gut“, sagt er und lacht. Musik geht vor.
Für ihr Debütalbum „Schwarz“ entwickelten die Jungs aus Lahr, Oberschopfheim, Kenzingen und Endingen einen Plan, der auf Streams und eine Chartplatzierung ausgerichtet war: Statt ein ganzes Album auf einen Schlag rauszuhauen, veröffentlichten sie häppchenweise Singles. Dazu gab es aufwendige Videos und eine Silent- Concert-Tournee mit Spontan-Shows in Europa. Für das finale Albumrelease boten sie eine Limited-Fanbox an, die ein Dankeschön an Fans sein sollte
Foto: © Moritz Schreder
Fotos: © Paul Ambrusch
von Till Neumann
Kolumne – und ein Booster für die Marktposition. Jede verkaufte Box zählt mehrfach für den Charteinstieg. Der Plan ging auf: Auf Rang 35 landete ihre Platte im Juli 2020. Dass so etwas klappt, kann keiner garantieren. Die Weichen dafür haben Von Welt aber mit Hingabe gestellt. Wie sie das schaffen? „Als Team“, sagt Hoch. Die Aufgaben würden unter allen verteilt. „Nico ist der Kreativste“, sagt Gitarrist Steffen Engler über den Frontmann. Sein Kollege arbeite sich ins Musikbusiness rein und verschlinge Hörbücher in dreifacher Geschwindigkeit für maximalen Input. Von Welt ackern in Eigenregie ohne Label oder Promoter. Mit „Schwarz“ ist ihnen ein großer Wurf gelungen. Brachial, düster und sphärisch sind die Songs, lassen aber auch Luft zum Atmen. Die Platte bietet Pathos, Einfühlsamkeit, Frust, Aufbruch und Mitsing refrains. Alles aus einem Guss.
Haben einen Lauf: Die Musiker der Rockband Von Welt aus dem Freiburger Umland.
„Bis zum Albumrelease hatten wir Pech“, sagt Hoch. Viel sei ihnen versprochen worden, aber wenig wurde gehalten. Zudem hätte ihr Album anders heißen sollen. Doch eine große Band nutzte den Titel. Schließlich crashte die Pandemie Konzerte und den Promoplan. Unterkriegen ließen sie sich nicht – und können heute sagen: Seit dem Release von Schwarz ist das Glück zurück. Das zeigt auch ihr Video zum Album-Opener „Unendlichkeit“. Die Hauptrolle übernimmt SC-Freiburg-Kapitän Christian Günter. „Wir haben noch beim Dreh gewitzelt, dass er bei der Veröffentlichung für die Nationalelf berufen wird“, erzählt Engler. Und so kam es: Löw nominierte den Linksver-
„Wir wollen immer das Beste geben und wenig erwarten“ teidiger für die Euro, Von Welt landeten einen medialen Volltreffer. Den SC-Kapitän nehmen sich die vier zum Vorbild: „Er ist ultrapro fessionell, aber auf dem Boden geblieben – so wie wir es lieben“, sagt Hoch. Auf ihre jüngsten Erfolge können sie stolz sein. Allein ihre Spotify-Zahlen sind mit mehr als einer Million Zugriffen enorm. Doch sie geben sich betont bescheiden. „Wir wollen immer das Beste geben und dabei wenig erwarten“, erzählt Hoch. Acht Jahre sind sie seit den Anfängen im Lahrer Schlachthof nun gemeinsam unterwegs. Mehr als 300 Shows haben sie gespielt. Finanziell sei die Band aber noch immer auf 450-Euro-Basis unterwegs, erzählen sie. „Ein unbezahltes Praktikum in der Medienbranche“, scherzt Hoch. Abheben könnten sie bei den jüngsten Erfolgen dennoch. Aber Hoch und Engler betonen: „Das Schlimmste sind Künstler·innen, die überheblich werden.“ Das würde auch nicht passen zum Image. Ihre Trademark ist der Schwarzwald – mystisch, finster, bodenständig.
... zu Armin Lass et äh Laschet Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit fast 20 Jahren gegen Geschmacks verbrechen – nicht nur, aber vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth in jeder Ausgabe geschmacklose Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.
Wäre Armin Laschet ein Lied, welches müsste es dann sein? „Ein Bild kann nicht lachen so wie du“ von Peter Maffay oder doch eher „Der lachende Vagabund“ von Fred Bertelmann. Das Ende vom Lied Armin Laschet kann aus geschmackspolizeilicher Sicht nur eines sein, nämlich Das ENDE. Olaf Scholz ist übrigens auch ein Lied: BABABABBanküberfall von EAV feat.Warburg Bank & die Wirecard Boys – das Böse ist immer und überall. Und was machen wir mit der kleinen ACAB Annalena? Wie wäre es damit: „Schön ist es auf der Welt zu sein, sagte die Biene zum Stachelschwein ...“ von Roy Black. Dort heißt es auch: „Ich liebe den dunklen Wald, Berge und Seen, und ich schwärme für ein Eis am Stiel, ich möcht mit den Wolken zieh'n in ferne Länder, ich säß mal gern auf einem Krokodil, die Welt wird immer kleiner und die Wünsche die sind groß, warum, oh schau wie schön ist auch ein Frosch im Moos.“ Folgendes gilt aber grundsätzlich immer noch und auch weiterhin: Wer die Wahl hat, muss sich quälen – das wusste schon Felix „Quälix“ Magath.
In diesem Sinne, machen Sie es gut, besser wird es nicht mehr. Ihr GeschPo-Qual-o-mat
Literatur
Dünger für den Widerstand Fünf Freiburger schreiben und zeichnen eine „Graphic Novel gegen Rechts“
G
von Erika Weisser
von Frauke Bahle (Text) & Julian Waldvogel (Grafik) Verlag: Guano Project, 2021 120 Seiten, gebunden Preis: 24 Euro Bilder: © Guano Project
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uano: ein wirksamer Dünger, der aus Exkrementen von Seevögeln gewonnen wird. Guano-Project: fünf Freiburger·innen, die freiberuflich in den Bereichen Text, Grafik und Marketing arbeiten. Im Herbst 2020 haben sie sich zusammengetan und im vergangenen Juli mit „Vogelschiss“ eine „Graphic Novel gegen Rechts“ herausgebracht – gleichsam als „Dünger für den Widerstand“. „Schon lange“, erzählen die Projektinitiatoren Frauke Bahle und Joe Schneidmadl, hatten sie „eigentlich genug“ von den brandgefährlichen und menschenverachtenden Äußerungen von Politikern der AfD. Und auch davon, dass allenthalben behauptet wird, dass diese Partei „doch nicht so schlimm“ und schon allein deshalb demokratisch sei, weil sie über demokratische Wahlen in die Parlamente gelangte. Irgendwann waren sie aber an dem Punkt, da sie dem „taktischen Spiel von gezielter Provokation, anschließender Entschuldigung und erneuter Provokation in Light-Version“ nicht länger nur mit Sorge zusehen wollten. Dabei brachten insbesondere die „unfassbar sexistischen“ Tiraden des Freiburger (Ex-AfD-)Stadtrats Dubravko Mandic insbesondere Frauke
Bahle „auf die Palme“. Und sein Hetz-Auftritt gegen die Pressefreiheit vor dem SWR-Studio Baden-Baden im Januar 2020. Aus dem Entschluss, etwas zu unternehmen, entstand die Idee zu einem Buch mit „einem einfachen Einstieg in das Thema“, einem entlarvenden Comic, der „Spaß macht“. Und Mut: Er soll zeigen, „dass man eben doch etwas machen kann“. Dabei kamen sie auf eine Geschichte, die mit ihrer eigenen zu tun hat: die Geschichte vom „Nicht-mehr-länger- nur-wütend-sein-sondern-endlichaktiv-werden“. Zusammen mit dem Grafiker Julian Waldvogel entwickelten sie die Story um Eleni und Rudi, die sich erst nach dem tödlichen rassistischen Anschlag eines ihrer Nachbarn zur Wehr setzen gegen Nazis. Mit Spaß-Guerilla-Aktionen, aber auch mit Mobilisierung anderer – mit entsprechenden Gegenangriffen. Herausgekommen ist ein weit über Freiburg hinauswirkendes Buch, in dessen Dialoge zahlreiche und am Ende sauber belegte Originaltöne von Gauland, Höcke & Co. klug eingearbeitet sind. Und die in der Zusammenschau zeigen, dass die AfD „eine durch und durch rechtsextreme Partei“ ist. Ein Nachschlagewerk des Grauens.
FRezi
Spitzenreiterinnen
von Jovana Reisinger Verlag: Verbrecher, 2021 264 Seiten, Hardcover Preis: 22 Euro
Der Rhein Biographie eines Flusses
von Hans Jürgen Balmes Verlag: S. Fischer, 2021 560 Seiten, gebunden Preis: 28 Euro
Horvath und die verschwundenen Schüler
von Marc Hofmann Verlag: Knaur, 2021 300 Seiten, Taschenbuch Preis: 10,99 Euro
Die Stunde der Frauen
Den Quellen entgegen
Schwarzwälder Wildnis
(ewei). Am Valentinstag kriegt Laura endlich den lang ersehnten Heiratsantrag. Überglücklich ist sie, als sie ihrer besten Freundin Verena den Verlobungsring vorführt. Und schadenfreudig: denn die wartet schließlich immer noch auf den Richtigen. Sie betrinken sich mit Prosecco. Lise betrinkt sich in einem Meeresfrüchterestaurant mit Champag ner. Weil sie Geburtstag hat. Und weil sie wieder einmal nicht schwanger wurde. Und weil der Typ, der unbedingt Vater werden wollte, sie deswegen verlassen hat. Sie verliert die Kontrolle, schreit ihren Schmerz in den Nobelschuppen. Tina, die mit ihrer Familie am Nachbartisch sitzt und zum ersten Mal Austern isst, will Kontakt zu ihr aufnehmen. Doch ihr aufmerksamer Ehemann überwacht jeden ihrer Schritte. Sie bedankt sich bei ihm für den schönen Tag und denkt mit Schrecken an die kommende Nacht. Es treten noch weitere „Spitzenreiterinnen“ mit den Namen bekannter Frauenzeitschriften auf: Petra, Brigitte, Jolie, Barbara und Emma. In ihrer gnadenlosen Realsatire über die diversen patriarchalen weiblichen Rollenmuster bringt Jovana Reisinger neun Frauen in unterschiedlichen Lebenssituationen zusammen, die nur wenig zu lachen haben. Und die sich nicht unterkriegen lassen. Bis die Stunde der Frauen schlägt.
(ewei). Beim Binger Loch stehen mitten im Rhein zwei Steindämme. Auf einem sitzt Hans Jürgen Balmes und sinniert über die „erstaunliche Biographie“ dieses Stroms, der zu den ältesten in Europa zählt, dessen Flussbett aber eines der jüngsten ist. Nach ausgiebigen Studien weiß der Koblenzer Autor, dass der sagenumwobene, stark wirtschaftlich genutzte Fluss hier, in der Mitte seines heutigen Wegs, seinen Ursprung hatte. Dass das jetzige Bild vom Rhein „nur die letzte Version von Tausenden ist“. Und dass dieser Fluss nicht der „einfachen Logik von Quelle und Mündung“ folgt, sondern bergauf wuchs – „seinen Quellen entgegen“. Östlich von Bingen, schreibt er, öffne die Grube Messel „ein einzigartiges Fenster“ in jene Zeit, da sich die Landschaft durch einen Bruch in der Erdkruste zu senken begann und der Oberrheingraben entstand. 50 Millionen Jahre ist das her. Und es dauerte weitere 35 Millionen Jahre bis zur Bildung des UrRheins, der erst nach der jüngsten Eiszeit vor 8000 Jahren, mit der Entstehung des Bodensees, zu seinem heutigen Lauf fand. Diesem Lauf ist Balmes oft gefolgt: wandernd, rudernd, schwimmend. Und er hat eine wunderbar poetische Natur- und Kulturgeschichte des Rheins geschrieben – und all dessen, was seine Seele ausmacht.
(ewei). Für den Lehrer Gregor Horvath ist eine Klassenfahrt „schlimmer als eine Wurzelbehandlung“. Dass er sich dennoch mit der 11c eines Freiburger Gymnasiums in eine abgelegene Hütte im Schwarzwald begibt, liegt nur daran, dass ihm nicht schnell genug eine Ausrede einfiel, als für den plötzlich erkrankten Klassenlehrer nach Ersatz gesucht wurde. Schon am ersten Abend des dreitägigen Ausflugs gerät er denn auch in eine Zwickmühle: Angesichts der geballten Manifestation diverser hormoneller und zerebraler Verwirrungen seiner Schüler, ficht er innerlich den „ewigen pädagogischen Kampf zwischen Prinzipientreue und Bequemlichkeit“ aus – und entscheidet sich für Letztere. So verzichtet er darauf, den selbstgefälligen Schüler Korbinian Herrwagen zu maßregeln, obwohl der sich offensichtlich absichtlich nicht an vereinbarte Regeln hält. Und es ist auch Bequemlichkeit im Spiel, als er einem dubiosen Pärchen in Bikerkluft für eine Nacht Unterkunft gewährt. Doch am anderen Morgen ist außer dem Pärchen auch ein Schüler verschwunden, bald darauf noch eine Schülerin. Und Herrwagen scheint ein Geheimnis zu haben. Als Horvath die Polizei einschaltet, kommt es zu einem in der Schwarzwälder Wildnis ungewohnten Showdown. Ziemlich amüsante Krimikomödie. September 2021 chilli Cultur.zeit 49