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Ausgabe 4/18

He l fen m it He rz u n d H a nd

Was ist ein Menschenleben wert? Thema Billig, teuer, wertvoll, unbezahlbar? Armenien Licht im dunklen Loch Israel Von Wundern und Engeln


>>Inhalt

04 Billig, teuer, wertvoll, unbezahlbar? Titelthema 08 Licht im dunklen Loch Armenien 11 Wer ein Leben rettet, verändert die Welt Chefsache 12 Von Wundern und Engeln Israel 14

GAiN aktiv So helfen Sie mit!

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Updates Aktuelles aus den Projektländern

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Was kostet die Frisur? Kinder in Uganda brauchen Paten

2019

KALENDER

Global Aid ­N e t w o r k Global Aid Network (GAiN) ist eine internationale Hilfs­­­organi­ sation, die seit 1990 in vielen Ländern der Welt humanitäre Hilfe leistet. GAiN möchte ein weltweites Logistiknetzwerk für humanitäre Hilfe aufbauen und arbeitet eng mit ­anderen humani­tären Organisationen, Produktions­firmen und Privat­ personen zusammen. Auf diese Weise ­können wir in ­akuten Not­ situationen schnell auf die Bedürf­ nisse von betroffenen ­Menschen ­reagieren, die benötigten Hilfsgüter organisieren und diese umgehend und kostengünstig in die Zielgebiete ­transportieren. Die zuverlässige Verteilung der ­Spenden in den betroffenen Re­ gionen stellen ­unsere meist ein­ heimischen ­Partner sicher. GAiN ist der Partner für humanitäre Hilfe von Campus für Christus.

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Impressum Herausgeber: Global Aid Network (GAiN) gGmbH Am Unteren Rain 2, D-35394 Gießen Tel. 0641-975 18-50 Fax 0641-975 18-41

Fr Sa Fr Di Mi Do 31 Sa So Mo 29 30 Beginn Mi Do Fr 26 27 28 Sommerzeit So Mo Di 23 24 25 Do Fr Sa 20 21 22 18 19 FrühlingsMo Di Mi 15 16 17 Fr Sa So anfang 12 13 14 Di Mi Do 9 10 11 Fr Sa So 6 7 8 4 5Fast- Ascher1 2 3 Rosen- nacht mittwoch

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Mit diesem ­Kalender ­setzen Sie ­Akzente und fördern ­gleichzeitig ­unsere ­humanitäre Arbeit. Der ­Kalender zum ­Thema „Glück“ enthält hochwertige Fotos aus unseren

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Projekt­ländern, u.a. ­Uganda, Haiti und Armenien. Ideal auch zum ­Verschenken! Bestellungen per E-Mail oder Telefon: Info@GAiN-Germany.org, Tel. 0641-975 18-50

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*zzgl. Versand­kosten: 1 Stück: 2,95 €, 2-5 Stück: 5,95 €, ab 6 Kalender ­versandkostenfrei.

Redaktion: Birgit Zeiss, Harald Weiss Gestaltung: Claudia Dewald Erscheinungsweise: vierteljährlich, der ­Bezugspreis ist im Mitgliederbeitrag ­enthalten. Vertrieb: GAiN Deutschland Fotos: Claudia Dewald oder privat Spendenkonto: GAiN gGmbH Volksbank Mittelhessen IBAN DE88 5139 0000 0051 5551 55 BIC VBMHDE5F Geschäftsführung: Klaus Dewald, Raphael Funck Amtsgericht Gießen HRB 8888


MEIN JOB BEI

Liebe Leserin, lieber Leser, Einmal in meinem Leben hatte ich die Gelegenheit, dabei mitzuwir­ ken, Leben zu retten. Und zwar gleich drei Leben auf einen Streich. Bei meiner ersten Reise nach Uganda vor 13 Jahren hielt ich mich gerade im Kinderheim Arche Noah auf, als ein Anruf kam. In einem Dorf im Norden des Landes war eine Mutter von Drillingen nach der Geburt gestorben. Der Vater könne sie nicht versorgen. Es bliebe nicht viel Zeit. Ich weiß nicht, nach welchen Kriterien der Leiter des Heimes seine Entscheidung traf. Er traf sie schnell. Zusammen mit seiner Frau und uns drei GAiN-Gästen fuhren wir einen Tag später los. Für 400 Kilo­ meter einfacher Wegstrecke brauchten wir zwei Tage auf unwegsamen ­Straßen. Wir kamen rechtzeitig. Auf der Rückfahrt hielt ich das kleinste und schwächste der drei Mädchen auf meinem Schoß. Es war ganz gelb im Gesicht. Atmet sie noch, schaffen wir es, war meine ständige Angst. Wir schafften es. War dieser Aufwand an Geld und Zeit wirklich nötig? Der Vater hatte schon acht Kinder, die er eher schlecht als recht ernähren konnte. Gibt es in Uganda nicht schon genug Kinder? In der afrikanischen Kultur scheint ein Kinderleben weniger Wert zu haben als bei uns. Ist es unsere Aufgabe, das zu ändern? Diese Fragen stellen sich nicht mehr, wenn man heute die drei gesunden, hübschen Teenagermädchen vor sich sieht. Durch ihre gute Schulbildung haben sie ganz andere Möglich­ keiten, ihr Leben zu gestalten, als ihre Eltern. Ich muss nicht entschei­ den, welches Leben es zu retten lohnt, ja, ich darf das gar nicht. Aber da, wo ich eine Gelegenheit dazu sehe, werde ich sie ergreifen, egal wann und wo. In unserer deutschen Geschichte gab es eine Zeit, in der nach wertem und unwertem Leben sortiert wurde. Das darf nie wieder passieren, auch heute nicht bei ungeborenen behinderten Kindern oder alten pflegebedürftigen Menschen in ihren letzten Tagen. Gehen wir mit offenen Augen und Ohren unseren Weg und lassen Sie uns dabei die Lebens-Rettungs-Gelegenheiten erkennen, die Gott uns vor die Hände und Füße legt. Eine lebendige Lektüre wünscht Ihnen

Birgit Zeiss, Redaktion

Wir suchen ­engagierte ­Mitarbeiter/­innen: Manager/in Recruitment Fundraiser/in Sachbearbeiter/in Patenschaften Assistent/in der Geschäftsführung

„Anderen Büro-Kollegen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und auf alle Fragen eine Antwort parat zu haben – das ist mein Spezialgebiet.“ Miriam, Assistentin der Geschäftsführung

Weitere Infos:

GAiN/Campus für ­Christus Personalabteilung Postfach 100 262, 35332 Gießen Tel. 0641-97518-33 Personal@campus-d.de Weitere Stellenangebote auf unserer Webseite: GAiN-germany.org/mitmachen/mitarbeiten Der Bewerbungsprozess wird von der Personalabteilung vo­n ­Campus für Christus e.V. durchgeführt.


>>Thema

Billig, teuer, wertvol Was ist ein Menschenleben wert?

er österreichische Kabarettist ­Georg ­Kreisler fragte 1956 beim ­Institut für ­Gerichtsmedizin der ­Universität Wien an, was ein Mensch wert sei. „40 ­Schilling“ war die Antwort des Instituts, das den Wert „nach verschiedenen Zerlegungsgraden“ ­berechnete. Zu einem vergleichbaren ­Ergebnis kam der US-­ Biochemiker Donald T. Forman und bezifferte den stofflichen Wert eines Menschen 1975 auf 5,60 Dollar.

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ll, unbezahlbar?

DER AUTOR Hauke Burgarth arbei­ tet in der Kommuni­ kationsabteilung von Campus für Christus. Er ist ehrenamtlicher Katastrophenhelfer bei GAiN und war beim Einsatz im Irak vor Ort mit dabei.

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Ein Straßenverkehrsopfer wird in Deutschland zum Beispiel ziemlich genau mit 1,2 Millionen Euro bewertet.

atürlich ist der stoffliche Wert nicht der wirkliche Wert eines Menschen. Ein Mensch ist einmalig. Wertvoll. Unbezahlbar. Das weiß doch jeder. Aber ist das so? Tatsächlich schreiben die meisten Bran­ chen dem Menschen durchaus einen bestimmten Wert zu.

Wir sind unterschiedlich viel wert So unbequem diese Zahlen auch sein mögen: Sie suggerieren, dass wir Men­ schen alle gleich viel wert sind. Doch das ist falsch. Versicherungen in den USA setzten den Lebenswert eines Tellerwä­ schers, der 2001 in den New Yorker Twin Towers umkam, auf 250.000 Dollar fest, den eines Investmentbankers auf 7,1 Mil­ lionen. Eine Spenderniere kostet bei uns über 100.000 Euro, in der Türkei gibt es sie schon ab 80.000 (wobei der Molda­ wier, dem sie abgepresst wurde, nur rund 2.000 Euro erhält), in Indien liegt der Straßenpreis bei 300 Dollar … In Afrika kann ich ein Adoptivkind für weniger als 20.000 Euro kaufen und in Albanien eine Frau für 800 Euro. Menschen sind unbe­ zahlbar? Alle Menschen sind gleich viel wert? Die Praxis zeigt das krasse Gegen­ teil.

Zwischen WSL und Humankapital Die Vorstellung, Menschenleben zu bewerten, löst bei mir zunächst einmal Befremden aus. Dasselbe Befremden emp­ fand wohl auch die sprachkritische Jury, die deshalb den Be­ griff „Humankapital“ zum Unwort des Jahres 2004 erklärte. Doch worum geht es dabei? In erster Linie darum, dass Fir­ men feststellen, wie viel ein Mensch mit seiner erwarteten Arbeitsleistung, seiner Ausbildung und Erfahrung für das Un­ ternehmen wert ist. Das mag nicht besonders schön sein, ist aber ein legitimes Anliegen. Der Journalist und Autor Jörn Klare griff diese Gedanken in seinem Buch „Was bin ich wert? Eine Preisermittlung“ auf und wandte sich branchenübergreifend an verschiedene Ansprechpartner. Sein Einstieg war immer die platte Frage: „Wie viel, glauben Sie, bin ich wert?“ Die erste Antwort war meist: „Das kann ich Ihnen nicht sagen …“. Aber sobald er nachhakte, kam die Sprache auf Humankapital, Ressourcen­ ausfallkosten oder WSL – den sogenannten „Wert eines sta­ tistischen Lebens“. Und plötzlich lagen Zahlen auf dem Tisch. Das Überraschende und gleichzeitig Perfide daran ist, dass diese Zahlen tatsächlich für Entscheidungen herangezogen werden. Für Entscheidungen über Leben und Tod. Ein Stra­ ßenverkehrsopfer wird in Deutschland zum Beispiel ziemlich genau mit 1,2 Millionen Euro bewertet. Mit diesem Betrag wird gerechnet, wenn es darum geht, wo an einer Straße Leitplanken montiert und wo Ampeln aufgestellt werden. Es geht primär nicht mehr um Menschenleben, sondern um eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Krankenversicherungen stel­ len ähnliche Rechnungen auf: Lohnt sich die Hüft-OP eines Patienten noch, wenn er bereits über 75 ist? All das fühlt sich nicht gut an, trotzdem sind solche Auf­ stellungen wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad nötig. Aber – und das ist ein großes Aber – hierbei geht es um Ge­ winnerwartungen und ökonomische Entscheidungen, nicht um ethische Überlegungen. Der gesellschaftliche Trend geht zwar stark in Richtung „Was sich rechnen lässt, ist hinter­ her auch richtig“, doch Jörn Klare entlarvt diesen Ansatz in seinem Buch als das, was er ist: die Angst, Verantwortung zu übernehmen. Lieber verlasse ich mich auf eine anonyme, fragwürdige Formel (und kann nichts für das Ergebnis!), als dass ich mich wirklich mit den schwierigen Fragen rund um den menschlichen Wert auseinandersetze.

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Selbst wenn mir ein Mensch nicht wert­ voller ist als ein anderer, muss ich mich beim Helfen oft für einen von beiden entschei­ den.

Humanitäre Helfer treffen ­ungerechte ­Entscheidungen Nun lesen Sie gerade die „bewegt“, in der es darum geht, Menschen in Not zu helfen, und nicht das Wall Street Journal. Deshalb sollte jetzt wohl die Erklärung folgen, dass „bei GAiN alles ganz anders“ ist. Dabei gibt es nur ein Problem. Bei uns ist vieles anders, aber wir kämpfen mit den gleichen Fragen. Die Theorie ist klar: GAiN hilft ohne Ansehen der Person, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, religiöser, se­ xueller oder sonstiger Orientierung. Aber dann wird es praktisch. Ich war selbst schon mit einem großen Lkw voll Hilfs­ güter in einem irakischen Flüchtlingsla­ ger. 1.000 Matratzen hatten wir dabei, 10.0000 wurden gebraucht. Ich habe Lebensmittel­pakete an Geflüchtete abge­ geben, während genauso bedürftige und notleidende Menschen durch einen Ab­ sperrzaum zuschauen mussten. Ich habe ihr Jammern noch im Ohr und sehe ihre Verzweiflung immer noch vor mir: „Wa­


>>Thema

rum der andere? Warum nicht ich?“ Ich sehe noch die großen Augen der Frau, die ihren Säugling an den Zaun hält. Und ich verstehe ihre Frage, auch ohne dass sie sie ausspricht: „Und was ist mit meinem Kind? Ist es weniger wert?“ Natürlich nicht! Aber auch im humanitären Bereich und ohne Finanzin­ teressen treffen wir Entscheidungen. Wir haben immer mehr Hilfsbedürftige vor uns als Hilfsgüter auf dem Lkw. Ich persönlich sehe immer mehr Not um mich herum, als ich mit dem lindern kann, was ich im Portmonee habe. Und das ist ungerecht! Dass ich nur einem Hilfsbedürftigen helfen kann und zehn andere leer ausgehen, ist ungerecht. Genauso ungerecht wie die Tatsache, dass es mir gut geht und ich darüber nachdenken kann, etwas von meinem Wohlstand abzugeben, während andere hungern. Nur, was wäre die Alter­ native? Soll ich erst dann anfangen zu helfen, wenn ich „gerecht“ helfen kann? Also allen? Dann kann ich in diesem Leben niemandem mehr helfen. GAiN hat als Grundsatz, dass bei der Hilfe der Einzelne zählt. Das hört sich persönlich und positiv an – und das ist es auch! Aber gleichzeitig zeigt es die Grenzen jeder Hilfeleistung. Selbst wenn mir ein Mensch nicht wertvoller ist als ein anderer, muss ich mich beim Helfen oft für einen von beiden entscheiden. Das lässt viele Fragen offen. Das fühlt sich für mich als Helfer nicht gut an. Aber es ist realistisch: Humanitäre Hilfe darf sich nicht daran orientieren, was sich für den Helfenden gut anfühlt. Und humanitäre Hilfe muss ungerecht sein – eben weil jeder Mensch gleich wertvoll ist.

Wer braucht am dringendsten Hilfe? Kinder oder alte Menschen? Reicht es für alle? Wie verteile ich so, dass es gerecht ist? Solche Fragen müssen sich Katastrophenhelfer in Flüchtlingslagern immer wieder stellen.

Wer ist mein Nächster? Helfen lässt sich immer hinterfragen. Und Helfer zweifeln immer an sich selbst. Klassisch geworden ist die Szene im Film „Schindlers Liste“, wo Oskar Schindler als Dank seiner jüdischen Mitarbeiter, die er vor dem Holocaust gerettet hat, einen goldenen Ring mit der Talmud-Inschrift erhält: „Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt“. Doch der zwiespältige Held freut sich nicht. Er realisiert: „Ich hätte mehr Menschen rausbekom­ men müssen … ich habe so viel Geld zum Fenster rausgeworfen.“ Stimmt. Aber anders als viele andere handelte Oskar Schindler und half. Jesus fasste solche Gedanken zu einem der bekanntesten Texte der Bibel zusammen, zum Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner (Lukas 10). Da ist ein Mensch in Not. Und andere realisieren das. Sie sehen den überfal­ lenen, verletzten und hilfsbedürftigen Kaufmann. Alle werden konfrontiert mit der Frage: Was ist mir dieser Mensch und sein Leben wert? Alle müssen eine Antwort darauf finden. Gerade die Frommen bekleckern sich nicht mit Ruhm. Sie haben wahrscheinlich nachvollziehbare Vorbehalte, aber sie tun nichts. Außer vorbeizugehen. Der Samaritaner hat wahrscheinlich dieselben Fragen wie seine Vorgänger. Doch er handelt und hilft. Weil ihm ein Men­ schenleben alles wert ist. Er fragt sich nicht, ob irgendwo anders auch noch jemand auf der Straße liegt und Hilfe braucht – er hilft. Und ­Jesus sagt dazu: „Nun geh und mach es genauso!“ Ich weiß, dies ist keine Antwort auf die Ausgangsfrage, aber es ist alles, was ich tun kann. Hauke Burgarth

MEDIENTIPPS:

Jörn Klare (2011): Was bin ich wert? Eine Preisermittlung. Berlin: Suhrkamp (ISBN 978-3-51846262-1, Euro 8,95). Peter Scharf (2014): Was bin ich wert? Ein Road-Movie durch die faszinierend-bizarre Welt der Menschenwert-Berechner. Dokumentarfilm, 98 Min. (Infos: www.peterscharftv.de/ was-bin-ich-wert)

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>>Armenien

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Licht im dunklen Loch Über Armut und Reichtum und worauf es wirklich ankommt

ach den vielen Familienbesuchen der letzten Tage ­unserer Armenienreise hatte ich eigentlich ­keine Lust auf ­einen weiteren. Für mein Empfinden ­hatte ­unsere ­kleine Reisegruppe bereits genug ­Armut und Hoff­ nungslosigkeit gesehen. Zeitlich ­waren wir ohnehin schon im Verzug, und so kam mir die Autopanne gerade recht. Gestran­ det in e ­ iner kleinen Bar am Straßenrand überlegten wir, was zu tun sei. Hamlet, unserer armenischen Mitarbeiter, sagte, dass die ­Familie schon auf uns warte und es wichtig wäre, sie ­heute zu besuchen. Ersatzfahrzeuge seien unterwegs, dafür gebe es schließlich Freunde, die man um Hilfe bitten kann.

DER AUTOR Harald Weiß leitet die Kommunikations­ abteilung bei GAiN. Als er vor drei Jahren das erste Mal nach Armenien reiste, hat er sein Herz dort verloren. Im Oktober 2018 begleitete er eine Gruppe deutscher Geschäftleute bei Besuchen armenischer Familien.

Also warteten wir ab. Die Freunde kamen, die einstündige Weiterfahrt nach Aparan konnte fort­ gesetzt werden. Auf der Fahrt erzählt uns Monika, eine weitere armenische Mitarbeiterin, dass die Fa­ milie erst vor zwei Tagen umziehen musste, da sie sich die Miete für die kleine Wohnung nicht mehr leisten konnte. In Aparan angekommen, fiel mir ein körperlich stark behinderter Mann mit einer aus­ geprägten Spastik und einem blutunterlaufenen hervorstehenden Auge auf. Als er Hamlet erkannte, begann er uns wild zuzuwinken. Wie sich heraus­ stellte, war es Sargis, der Vater der Familie, die wir besuchen wollten. Wie lange er schon dort stand und auf uns wartete, weiß ich nicht. Sargis ging uns – obwohl er aufgrund seiner Spastik kaum laufen konnte – voraus, unser Bus fuhr im Schritttempo hinterher, bis wir an einer Einmündung parkten. Den letzten Wegabschnitt legten wir zu Fuß zurück, es gab keinen wirklichen Weg, eher einen Trampelpfad zur neuen Unterkunft der Familie. Wir konnten kaum glau­ ben, was wir dann zu sehen bekamen. Die Familie, zu der neben Sargis und sei­ ner Frau Alina noch sechs Kinder im Alter von zwei bis 14 Jahren gehören, sind in eine ­Ruine eingezogen. Ein notdürftig gedecktes Dach, das auch den Regen und den Schnee der nächsten Wochen hereinlassen wird, deckt die wenigen Quadratmeter, in denen acht Personen leben, ab.

GAiN-Mitarbeiter besuchen zusammen mit einer Gruppe von Geschäftsleuten eine armenische Familie in ihrem „neuen“ Haus.

Zum Heulen Die Familie und vor allem die Kinder wirkten dennoch fröhlich und zufrieden. Mir ka­ men die Tränen und auch den anderen Besuchern stand das Wasser in den Augen oder lief sichtbar die Wangen herunter. Sargis findet aufgrund seiner Behinderung keine Arbeit. Die kleine Behindertenrente und die staatliche Unterstützung für die Kinder ergeben ein monatliches Einkommen von umgerechnet etwa 180 Euro. Auskommen

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>>Armenien

kann die Familie mit diesem Geld nicht. 600 Euro Schulden haben sich angehäuft, im Lebensmittel­ laden gibt es keinen Kredit mehr, die wenigen Möbel haben ihre guten Tage lange hinter sich. Hilfe tut not. Ein Unterstützer, der zu unserer Rei­ segruppe gehörte, entschloss sich spontan, dieser Familie dauerhaft zu helfen. Davon wusste Sargis noch nichts, als er uns sagte, was ihm wichtig war: „Man kann in einem großen Schloss und mit vie­ len Bediensteten leben und sich jeden denkbaren Luxus leisten können und trotzdem arm sein, weil es in einem dunkel ist. Und man kann im letzten Loch wohnen und reich sein, weil es in einem leuchtet und das Licht nach außen strahlt.“ Ich muss schlucken und das Übersetzen dieses Satzes für meine kanadischen Mitreisenden macht mir Schwierigkeiten. Ich bin beschämt, wie Sargis mir mitten in einer für mich unvorstellbar schwierigen Situation zeigt, worauf es wirklich ankommt. Als wir uns verabschieden, entlässt er uns augenzwin­ kernd mit den Worten: „Meine Frau kann jetzt viel Wasser beim Wäschewaschen sparen. Ihr habt uns reich gesegnet durch euer Mitgefühl und die Tränen, die ihr für uns in unserem Haus gelassen habt.“

Uns kommen die Tränen, als wir die Lebensbedingungen dieser Familie mit sechs Kindern kennen­ lernen. Die Kinder wirken dennoch fröhlich und zufrieden.

Das Haus, in dem die Familie lebt, würden wir als ein finsteres Loch oder eine Ruine bezeichnen. Für eine Wohnung hat die Familie nicht genug Geld.

Not in Armenien In Armenien lebt über ein Drittel aller Einwohner unter der Armutsgrenze. Manche Familien wis­ sen heute noch nicht, wie sie morgen ihre Kinder satt bekommen. Wir von GAiN können die Armut nicht verhindern, aber wir können sehr viel für einzelne Familien tun. Sargis Familie gehört jetzt zu den 30 Familien, die Teil des Familien-Patenschaftsprogramms sind und regelmäßig Hilfe bekommen. Die Patengelder gelangen nicht in einen großen Topf, sondern wer­ den für jede Familie gesammelt und von unseren armenischen Mitarbeitern genau da eingesetzt, wo die Familie sie am nötigsten braucht. Mit der entsprechenden Starthilfe bekommen Menschen wieder Mut, ihr Leben zu verändern. Eine Wasch­ maschine gibt Frauen Kraft und Zeit für ihre Kin­ der zurück. Ein gefüllter Schulranzen bereitet Spaß beim Lernen. Es kann so einfach sein, Familien auf ihrem Weg aus der Armut heraus beizustehen. Bit­ te helfen Sie mit Ihrer Spende! Noch viele Men­ schen in Armenien brauchen Hoffnung. Harald Weiss

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IHRE SPENDE HILFT! • Mit 25 € pro Monat unterstützen Sie eine Familie als Pate. • Mit 150 € können wir einer Familie Brennholz für einen Winter kaufen. • Mit 200 € können wir zwei Kindern ein Stockbett bieten.

Spendenkonto:

GAiN gGmbH, Volksbank Mittelhessen IBAN DE88 5139 0000 0051 5551 55 BIC VBMHDE5F, Verwendungszweck: Armenien


>>Thema

Chefsache Was GAiN-Leiter Klaus Dewald bewegt

Wer ein Leben rettet, verändert die Welt ls Leiter eines Hilfs­ werkes, dem Res­ sourcen anver­ traut werden, bin ich ­dafür ver­ antwortlich, wie diese Mittel ­eingesetzt werden. Mit w ­ enig Geld kann ich mit Baby­ nahrung viele Menschen in einem Flüchtlingslager ­retten. Mit sehr viel Geld kann ich durch eine aufwändige ­Operation ein Menschen­ leben retten.

Aber so will ich gar nicht rechnen und damit über Leben und Tod entscheiden. Dieses Recht habe ich nicht. Ich rette das Menschenleben, das Gott mir aufs Herz legt. Und mag es eine Million Euro kosten. Ich werde und will nicht verglei­ chen, was ich mit einer Summe Geld tun kann. Wer ein Menschenleben rettet, verändert die Welt. Jedes Menschenle­ ben ist unendlich viel wert.

helfen, aber dazu fehlen die Mittel. Also muss ich eine Entscheidung treffen, wer es am Nötigsten hat. Dabei lasse ich mich von der Frage leiten, wer am wenigsten Hoffnung hat – nicht, wer am ärmsten ist. Das zählt für mich nicht. Wenn eine Mut­ ter keine Hoffnung hat, haben ihre Kinder keine Zukunft. Auf eine Art ist das auch Leben retten.

Hoffnung zählt

In der Katastrophenhilfe haben wir nicht immer viel Zeit, Entscheidungen zu tref­ fen. Wenn es nicht für alle reicht, wird es schwierig. Wir schauen schon darauf, wer am nötigsten Hilfe braucht. Das geht nur, wenn man vorher die Fakten kennt. In großen Flüchtlingslagern gibt es Sek­ tionen. Da achten wir darauf, dass wir eine Sektion auswählen, in der unsere Güter für alle reichen. Manchmal kaufen wir vor Ort Güter nach, damit es wirklich für alle reicht. Wenn wir Schulranzen in einer Klasse mit 20 Kindern verteilen, sollten alle Schulranzen mit den gleichen Inhalten gefüllt sein, sonst gibt es T ­ ränen. Jedes Kind in unserem Heim „­ Arche Noah“ in Afrika war es wert, gerettet zu werden. In meinem Büro hängt ein Bild von einem solchen Kind. Veronika war ein unterernährtes Baby, das HIV-positiv getestet wurde. Als die Polizei sie zu den Heimleitern brachte, meinten die Beam­ ten: „Werft sie weg. Aus der wird nichts mehr.“ Die Leiter haben die Entscheidung getroffen, dieses Baby zu retten. Heute ist sie eine junge Frau, gut ausgebildet. Wie durch ein Wunder ist sie heute sogar HIVnegativ. Da mag ich nicht rechnen, was es gekostet hat, sie zu retten. Es wird immer Not geben. Es ist nicht mein Auftrag, allen gleich zu helfen. Und es müssen keine großen Taten sein. Nicht jeder kann Menschenleben retten. Wenn freiwillige Helfer in unserem Lager eine Stunde lang Kleidung sortieren, ist das eine Menge. Da, wo ich helfen kann, möchte ich helfen. Jeder kann das.

Ich komme gerade von einem Einsatz in Lettland. Wir haben 7.000 Euro eingesetzt, um die Lebensverhältnisse einer Familie zu verbessern. Wir haben Hoffnungslo­ sigkeit in Hoffnung verwandelt. Das wäre mir auch 10.000 Euro wert gewesen. Die Finanzen sind nicht der Punkt, von dem ich Hilfe abhängig mache. Bei diesem Ein­ satz haben wir jetzt schon darüber nach­ gedacht, welcher Familie wir im nächsten Jahr helfen. Am liebsten möchte ich allen Kinder haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Bei ­Verteilungen ist es wichtig, keinen zu benachteiligen.

Jedes Kind ist es wert

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>>Israel

Von Wundern und Engeln Wie Wolf G. den Holocaust überlebte und dabei noch andere rettete

Im Wohnzimmer erwartet uns ein 91-jähriger Mann mit wachen Augen und einem ­freundlichen Lächeln. Wolf spricht sehr gut Deutsch und hat gerne Besuch. Er weiß, dass wir gekommen sind, um seine Lebensgeschichte zu hören. Langsam, fast feierlich, hebt er einen Aktenkoffer aus Krokodil­leder hoch, legt ihn auf seine Knie und klappt ihn auf. „Keine Angst!“, sagt er lachend, „das ist nur die Haut, die Zähne sind dort geblieben!“. In diesem Koffer befindet sich Wolfs ganzes ­Leben – Bilder, Zeichnungen, Urkunden, Dokumente, Briefe. Er greift in den Koffer, zieht ein Bild heraus und beginnt, zu erzählen. Auf diese Weise lässt er uns an den einzelnen Stationen s­ eines Lebens teilhaben. olf G. wurde in der litauischen Stadt Kaunas ge­ boren. Er hatte eine Schwester und zwei Brüder. Seine Mutter war deutschstämmig. Überhaupt, so erzählt er, gab es viele Mischehen zwischen Deut­ schen und Litauern, Christen und Juden. Man lebte in guter Nachbarschaft miteinander, und so kam es, dass Wolf schon als Kind sehr gut Deutsch sprach. Als die Deutschen das Gebiet einnahmen, wurden viele Juden getötet und die übrigen in das Ghetto Kaunas getrieben. „Wir kamen ins Ghetto nur mit den Kleidern, die wir trugen. Alles andere wurde uns von Litauern gestohlen. Im Ghetto haben wir uns mit verschiedenen Arbei­ ten über Wasser gehalten. Da ich gut Deutsch sprach und mein Vater Jiddisch, konnten wir für die Deutschen arbeiten. Das hat uns geholfen.

Wolf und „seine“ Kinder Immer wieder gab es Wunder auf meinem Weg, immer wieder gab es Engel, die mich beschützt haben“, meint Wolf. Es kam der Tag, an dem das Ghetto aufgelöst und alle überlebenden Bewohner getötet oder in Konzentrationslager gebracht wurden. Man trennte die Erwach­ senen von den Kindern. Wolf und sein Vater standen auf der Seite der Erwachsenen, hinter einem Stacheldraht standen die letzten überle­ benden 131 jüdischen Kinder, darunter Wolfs zwölfjähriger Bruder. Sie wussten, was mit den Kindern geschehen würde. Der Vater sagte zu DIE AUTORIN Wolf: „Geh’ zu den Kindern, bleib bei Deinem Almut Marburger ist Bruder!“ und Wolf sagte zu ihm: „Ja, und wenn für die Patenschaften wir sterben, werde ich seine Hand halten.“ Wolf bei GAiN verantwort­ quetschte sich durch den Zaun und es gelang lich. Sie ist bei ihren Reisen nach Israel ihm, bei der Gruppe von Kindern zu bleiben, jedesmal aufs Neue obwohl er schon 17 Jahre alt war. Sein Bruder berührt, wenn sie die weinte, als er ihn sah, und wollte, dass er ginge. Lebensgeschichten der Holocaustüberleben­ „Es reicht doch, wenn ich sterbe, Du sollst le­ den hört. ben!“ Aber Wolf blieb bei den Kindern und ab

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Aus seinem grünen Koffer holt Wolf Erinnerungsstücke, z.B. eine Zeichnung, die er gemacht hat. Auf seinem linken Unterarm ist die Häftlingsnummer zu sehen, die man ihm im KZ eintätowiert hat.


dem Zeitpunkt setzte er alles daran, die ganze Gruppe so gut es ging zu schützen. Auf zwei Lkws wurden die Kinder zuerst nach Landsberg am Lech gebracht. Auf dem Weg machten die Fahrer Rast in ei­ ner Kneipe und Wolf hörte, wie eine Frau fragte: „Wo bringen Sie die Kinder hin?“ Die Antwort war: „Dachau“. Wolf wuss­ te, dass dies das Ende für sie alle wäre. Er brachte den Kindern bei, in zwei Reihen Appell zu stehen, wie kleine Soldaten. In all dem Chaos und der Panik, die bei den Sammelplätzen und Transportstationen für Juden herrschten, fielen diese diszi­ plinierten Kinder positiv auf. Wenn sie Essensrationen bekamen, dann verteilte Wolf sie auf jedes Kind. Keines der Kinder beschwerte sich, keines machte Ärger. In Landsberg und auch in Dachau wurde die Gruppe weder getrennt noch angerührt. Die Soldaten waren fasziniert von ihnen, weil sie mit ihnen keine Last hatten. Sie wurden bald weitertransportiert, mit Gü­ terwaggons nach Auschwitz-Birkenau.

Alle wurden gerettet Auf der Fahrt sprangen zwei der Kinder in Panik aus dem Oberlicht des Waggons. Eines überlebte den Sturz nicht, das zwei­ te brach sich ein Bein und wurde weiter mitgenommen. „Ich hatte die ganze Zeit nur Angst, dass am Ende auch alle noch da sind“, erzählt Wolf. Als sie ankamen, stellte Wolf seine Gruppe exakt in zwei Reihen auf. Wieder war man fasziniert und ließ die Gruppe zusammen, sie ka­ men ins Quarantänelager A. „Dort habe ich Ordnung gemacht, habe dafür ge­ sorgt, dass jeder die gleiche Ration Brot bekommt, dass alle sich ruhig verhalten und kein Streit ausbricht. Die Kinder be­ kamen nach und nach Scharlach. Einer der anderen Häftlinge war Arzt. Jeden Morgen haben er und ich die Temperatur geprüft. Ich habe die kranken Kinder auf die eine Seite und die gesunden auf die andere Seite der Baracke gebettet, damit sie sich nicht gegenseitig anstecken.“

Wolf als Jugendlicher und als junger Mann. Trotz allen Leids hat er seinen Glauben an Wunder und das Gute im Menschen nicht verloren.

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>>GAiN aktiv Alle „seine“ Kinder überlebten den Krieg. Wolf wurde für die Rettung der Kinder geehrt, sie alle stehen bis heute in Kontakt, mitsamt Wolf G. gehört zu den Holoihren Familien. An der Wand in seinem Wohn­ caustüberlebenden, für die zimmer in Sderot hängt eine Urkunde, die „sei­ GAiN Patenschaften eingerichtet hat. Sein monatliches Renne“ Kinder ihm geschenkt haben. teneinkommen ist so klein, dass In einem anderen Lager war gerade die Ent­ es nicht alle Aus­gaben deckt. scheidung gefallen, dass Wolf und alle Juden Wolf hat viele gesundheitliche in die Gaskammern abtransportiert werden Probleme. Er erlitt vier Herzinsollten. Da fielen plötzlich Bomben vom Him­ farkte und wurde am offenen Herzen operiert. Ihm wurde ein mel – ein Angriff der Amerikaner. Panisch ver­ Herzschrittmacher eingesetzt. suchten sich alle in Sicherheit zu bringen. Wolf Medikamente sind in ­Israel legte sich unter Gleisschwellen, in seiner Angst selbst zu zahlen. Mit ­Hilfe der betete er das „Schma Israel“ („Höre ­ Israel“). Patengelder kann er sich das Vier deutsche Männer quetschen sich auch gönnen, was sonst nicht möglich wäre. noch in den Spalt, legten sich auf Wolf. Der letzte wurde durch eine Brandbombe am Fuß verletzt, alle anderen blieben unversehrt. Nach dem Zwischenfall brachte man Wolf in das Hauptlager Sachsenhausen. Kurz vor Kriegsende löste man das Lager auf und trieb alle Insassen zu Fuß in Rich­ tung Schwerin. Jeder bekam ein Stück Speck, das war alles. Täglich mussten sie 15 km marschieren, bei Eiseskälte, ohne Essen oder Trinken. Nahe Schwe­ rin übernachtete die Gruppe in einem Wald, es war bitterkalt. Neben Wolf stand ein Fuhrwerk mit Brot für die deutschen Wachsoldaten. „Mit einem Stock habe ich leise und vorsichtig ein Brot aus dem Wagen geklaut,“ sagt er mit einem Schmunzeln. „Immer gab es Wunder, wo immer ich auch war.“ Wolf überlebte den Gewaltmarsch und befand sich bei Kriegsende in Schwerin. Auch dort bekam er wieder unerwartete Hilfe – eine Frau ließ ihn in ihrer Wohnung übernachten, weil sie ihn für einen deutschen Soldaten hielt. Wolf ging danach erst einmal zurück nach Berlin, wo er als Überset­ zer für die Russen arbeitete. Dann schrieb er nach Litauen, versuchte, seine Familie ausfindig zu machen, und bekam tatsächlich Antwort. Seine ganze Familie hatte überlebt, sie waren in Vilnius und dort traf er wieder mit ihnen zusammen. „Als ich die Nachricht von meinem Vater erhielt, bin ich auf dem Dach eines Zuges nach Litauen gefahren! An der Memel, der Grenze nach Litauen, fragte mich ein russischer Soldat: Warum bist Du noch am Leben?“

Paten gesucht

Danke für die Wunder „In Vilnius habe ich dann mit meinem Vater zusammengearbeitet,“ erzählt Wolf. „Mein Vater war Bauleiter, ich war sein Meister – Junior und S ­ enior,“ lächelt er. „Wir arbeiteten für das Auslandsministerium und das Wirtschafts­ ministerium. Es gab dort auch 60 deutsche Kriegsgefangene, die uns un­ terstellt waren. Ich habe immer dafür gesorgt, dass sie genug zu essen bekamen und gute Lebensbedingungen hatten. Zum Dank dafür haben sie mir etwas geschenkt.“ Wolf steht auf und holt aus einer Schublade ein aufklappbares Schachspiel hervor, die Figuren dazu detailgetreu und wunderschön von Hand geschnitzt. „Sie haben es selbst gemacht, und auch eine kleine Wiege für mich gebaut.“ Zum Schluss fragen wir auch Wolf nach einem Wort für sein Leben, und nach kurzem Nachdenken schreibt er: „Gesundheit“. Wolf ist dankbar, dass er mit seinen 91 J­ahren trotz gesundheitlicher Tiefschläge immer noch am Leben teilhaben kann. Er ist dankbar, dass er in den Kriegs­ jahren immer gesund genug zum Arbeiten war, so dass er selber überlebte und an­ deren das Überleben ermöglichen konnte. Und er ist dankbar für die vielen Wunder auf seinem Weg. Almut Marburger

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So helfen Sie mit!

Helfen mit gebrauchten ­Gütern Packen Sie gut erhaltene, saubere Kleidung, Schuhe oder Haushaltsgegenstände in ­stabile Kartons (am besten Bananenkisten), ­kleben Sie sie gut zu, heften Sie einen Zettel mit dem Inhalt daran und geben Sie sie bei einer GAiN-Sammelstelle in Ihrer Nähe ab. Adressen von Sammelstellen: gain-germany.org/logistik/­ sammelstellenkarte oder ­ Thomas Steffen: Tel. 0641-97518-66 Thomas.Steffen@GAiN-Germany.org

Helfen mit Schulranzen Packen Sie ein Päckchen mit Schul­material. Wenn Sie ­ sogar noch einen ­ gebrauchten Schulranzen besitzen, füllen Sie ­ diesen mit den Schulmaterialien und geben ihn bei ­einer der v­ ielen Schulranzen-Sammel­stellen ab. In­ fos über den Inhalt, die Sammel­stellen und die Projektumsetzung ­erfragen Sie bitte bei der Schul­ranzenaktion. Kontakt: Silvia Huth Tel. 0641-97518-57 Schulranzenaktion@ GAiN-­Germany.org

Firmen spenden Waren Statt einwandfreie, aber nicht mehr im Wirt­ schaftsverkehr umsetzbare Ware zu ent­ sorgen, können Firmen diese Güter einfach spenden. GAiN ist regelmäßig auf der Suche nach Baby- und Kindernahrung, Trockenpro­ dukten, Hygiene­ artikeln, Waschpulver oder auch Schulmaterial. Sachspenden­beschei­ni­ gungen sind selbstverständlich. Kontakt: Harald Weiss Tel. 0641-97518-54 Harald.Weiss@GAiN-Germany.org

Pate werden Es sind die Schwachen an vielen Orten der Erde, die sich nicht selber helfen können: Kinder, Frauen und alte Menschen. Paten­ schaften sind eine ideale Form, p ­ersönlich und wirkungsvoll zu helfen. Wir von GAiN vermitteln Paten­ schaften für Kinder in ­Uganda, Haiti und Indien, Frauen in Indien und Holocaustüber­lebende in I­srael. Kontakt: Almut Marburger Tel. 0641-97518-82 Patenschaften@ GAiN-­Germany.org


>>GAiN-Projekte

updates IN DI E N

In einem Dorf am Fuße des Himalayas leben ehemalige Schlangenbeschwörer jetzt davon, dass sie Müll sammeln und ihn an Zwischenhändler verkaufen, die Recycling­ firmen beliefern. Die Menschen sind arm, die Lebensbedingungen in diesem Dorf sind schlecht, ungesund, oder sogar gefährlich. Damit wenigstens die Kinder eine Chance bekommen, einmal ein anderes Leben zu führen, bietet unser Partnerwerk ihnen den Besuch einer Tagesstätte mit Schule an. Neben Bildung, Nahrung und medizinischer Versorgung lernen sie dort auch ein hoffnungsvolles Lebenskonzept kennen. Für die „Müllkinder“ vermittelt GAiN Patenschaften.

L E T T L A ND Unsere Partnerorganisation TUVU bietet die gebrauchte Kleidung, die sie von uns erhält, auch in ihren Seconhand-Läden zum Verkauf an. Der Erlös muss nach GAiNRegeln sozialen Projekten zugute kommen. In den aktuellen Berichten über den Ein­ satz dieser Gelder lesen wir von manchen ermutigenden Ergebnissen. Ein Kinderheim erhielt Fußballschuhe, eine private Einrichtung für Ex-Sträflinge finanzielle Unterstüt­ zung. TUVU-Leiterin Lāsma C. liegen Mädchen aus armen Familien besonders am Herzen. Für sie organisiert sie Treffen, die Prinzessinnen-Schule genannt werden. Die Mädchen dürfen sich mit echten Mädchenthemen beschäftigen, erhalten ein tolles Essen, basteln und lernen, dass jede von ihnen wertvoll ist.

IRAK Weil immer mehr geflüchtete Menschen aus den Lagern wieder in ihre zerstörten Städte zurückkehren, ist nun eine andere Art von Hilfe nötig als bisher. In der Stadt Ka­ rakosch hilft GAiN bei der Wasserversorgung für 1.400 Menschen, bis die städtischen Leitungen wiederhergestellt sein werden. Die dritte Wasseraufbereitungsanlage konn­ te in Betrieb genommen werden. Die Photovoltaikanlage, die wir unserem Partner für die Stromversorgung der Hilfsgüter-Lagerhalle zur Verfügung stellen konnten, funkti­ oniert. Immer noch heiß begehrt sind gefüllte Schulranzen. Der letzte Hilfstransport enthielt 1.100 solche Schätze für Kinder. Kein anderes GAiN-Projektland hat bisher so viele Schulranzen erhalten. Die Lieferungen enthielten auch 24 Materialboxen für Lehrer und 300 Schultische und Stühle.

KATA S T R O P HE NHI L F E Auch wenn die Folgen des Erdbebens und Tsunamis auf der indonesischen Insel Sula­ wesi im Oktober schon lange nicht mehr in den Medien auftauchen: GAiN versorgt die Opfer bis heute (Stand 1.11.) mit Nothilfepaketen. Katastrophenhilfe Nummer zwei: Der vergessene Krieg in der Ostukraine hat GAiN zu einem vierwöchigen Sonderein­ satz im Oktober herausgefordert. Jetzt gibt es ein neues Lager für Hilfsgüter, mit de­ nen die Menschen an der Frontlinie, die alles verloren haben, besser versorgt werden können. Außerdem steht jetzt ein Container mit großzügigem medizinischen Zubehör als Arztpraxis zur Verfügung.

G l ob a l A id N e t w or k │ B e w e g t 4-2018

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Postfach 100 262 35332 Gießen Tel.: (0641) 97518-50 Fax: (0641) 97518-41

70786 Postvertriebsstück Deutsche Post AG Entgelt bezahlt

Info@GAiN-Germany.org GAiN-Germany.org

Was kostet die Frisur? Es war ein Freitagabend. Die Friseurin wollte bald Feierabend machen. Da kam eine junge Frau in den Laden. In der Hand hielt sie eine Plastiktüte. „Was kostet das Haareschneiden?“, fragte sie. Die Friseurin nannte ihren Preis. „Das ist zu teuer“, meinte die Besucherin. Und schon war sie wieder draußen. Ihre Plastiktüte lag noch auf einem Stuhl. Den un­ gewöhnlichen Inhalt bemerkte die Friseurin erst, als der sich rührte. Ein Miniaturbaby machte sich be­ merkbar. Sie meldete ihren Fund sofort der Polizei. Die Beamten riefen gleich in der Arche Noah an und die Hauseltern machten sich auf den Weg, um das kleine Mäd­ chen abzuholen und in die Klinik zu bringen. Sie wog nur zwei Kilo und war 48 cm groß. Der Arzt schätzte, dass sie erst vier Wochen alt war, aber schwer unterernährt und dehydriert. Die Hauseltern legten ein Geburtsdatum fest und gaben ihr einen Namen. Jedidja ist heute ein gesundes achtjähriges Mädchen, das bald die zweite Grundschulklasse be­ sucht. Sobald das nächste Famili­ engruppenhaus fertiggestellt ist, wird sie mit neun gleich­altrigen Mädchen und einer Erzieherin dort einziehen. Sie freut sich riesig darauf.

Aus dem „vergessenen“ kleinen Bündel ist ein fröhliches, gesundes Mädchen geworden. Paten ermöglichen ihr Leben im Kinderdorf „Arche Noah“ in Uganda.

Werden Sie Pate eines Kindes in Uganda Das Kinderheim Arche Noah in Uganda kann die Kosten für Mahlzeiten, Kleidung, Lehrer und Klinik nur dann b ­ estreiten, wenn genügend Paten regelmäßig spenden. Die Kinder erhalten nicht nur alles, was sie brauchen, sondern bekommen auch eine Zukunftsperspektive.

Eine Patenschaft ist ab 25 € pro Monat möglich. Anfragen bitte an: Patenschaften@GAiN-Germany.org, Tel. 0641-97518-53


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