Hörräume öffnen – Spielräume gestalten: Konzerte für Kinder

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Neun Jahre nach Erscheinen von „Spielräume Musikvermittlung. Konzerte für Kinder entwickeln, gestalten, erleben“, aus dem einige Beiträge in teils überarbeiteter Form übernommen wurden, legen Ernst Klaus Schneider, Barbara Stiller und Constanze Wimmer erneut ein Referenzwerk auf der Höhe des aktuellen Diskussionsstandes vor. Aus dem Inhalt: Konzertpädagogik im deutschsprachigen Raum. Konzeptionelle Überlegungen zur aktuellen Situation · Von Barbara Stiller Konzertleben gestalten. Zwischen Kunst, Handwerk und Vermittlung · Von Markus Lüdke Überlegungen zur Legitimation und Qualität von Konzerten für Kinder · Von Michael Dartsch Das Visuelle als Erfahrungsfeld im Konzert · Von Ernst Klaus Schneider

ConBrio

Hörräume öffnen · Spielräume gestalten

Das Praxisfeld „Musikvermittlung in Konzerten“ hat sich in den vergangenen Jahren stark erweitert und umfasst längst auch den Bereich der Konzerte für Jugendliche und Erwachsene. Das vorliegende Buch konzentriert sich auf Konzerte für Kinder. Es thematisiert Grundfragen der Musikvermittlung, gibt Anregungen für die inhaltliche Gestaltung von Konzerten sowie für deren organisatorische Umsetzung.

Schneider/Stiller/Wimmer (Hg.)

Hörräume öffnen Spielräume gestalten Konzerte für Kinder

Die Bedeutung des Singens im Konzert für Kinder · Von Werner Rizzi Musikvermittlung im Internet · Von Stefanie Riemenschneider

ConBrio Verlagsgesellschaft CB 1229 · ISBN 978-3-940768-29-2

Schneider/Stiller/Wimmer

Kinderkonzerte moderieren. Tipps aus der Praxis · Von Christian Schruff

ConBrio


Hörräume öffnen – Spielräume gestalten Konzerte für Kinder

Herausgegeben von Ernst Klaus Schneider, Barbara Stiller und Constanze Wimmer

ConBrio 2011


Impressum © 2011 by ConBrio Verlagsgesellschaft Regensburg – www.conbrio.de Alle Rechte vorbehalten Nachdruck, auch auszugsweise, bedarf der Genehmigung des Verlages Printed in Germany Layout und Herstellung: Petra Pfaffenheuser Druck: Kartenhaus Kollektiv, Regensburg Titelbild: Kindermusikfest im Festspielhaus Baden-Baden. Ruven Ruppig spielt Xenakis für 300 Kinder. Foto: Andrea Kremper ISBN 978-3-940768-29-2 CB 1229


Inhalt

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Inhalt Vorwort . ......................................................................................................................................................................... 7 ••••

Grundfragen

Konzerte für Kinder gestern & heute. Perspektiven der historischen und aktuellen Praxis in der Musikvermittlung Constanze Wimmer.................................................................................................................................................. 9 Konzertpädagogik im deutschsprachigen Raum. Konzeptionelle Überlegungen zur aktuellen Situation Barbara Stiller ......................................................................................................................................................... 21 Wege und Formen der Musikvermittlung in Konzerten für Kinder Ernst Klaus Schneider.......................................................................................................................................... 35 Überlegungen zur Legitimation und Qualität von Konzerten für Kinder Michael Dartsch......................................................................................................................................................49 Konzertleben gestalten. Zwischen Kunst, Handwerk und Vermittlung Markus Lüdke........................................................................................................................................................... 57 In der Stille entsteht der Raum für Musik Constanze Wimmer im Gespräch mit der Komponistin Katharina Klement ............................ 83 Orchestral Concerts For Young Audiences. Wie man Orchesterkonzerte für ein junges Publikum gestaltet Richard McNichol .................................................................................................................................................. 87

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Anregungen

Kinderkonzerte moderieren. Tipps aus der Praxis Christian Schruff .................................................................................................................................................... 93 Musik, Szene und Literatur für Kinder. Erfahrungen mit einer verbindenden Präsentationsform Michael Dartsch......................................................................................................................................................99 Ein weites Feld. Neue Musik in Konzerten für Kinder: Vier Praxisberichte Ernst Klaus Schneider/Barbara Stiller/Constanze Wimmer...........................................................107 .


Inhalt

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Das Visuelle als Erfahrungsfeld im Konzert Ernst Klaus Schneider........................................................................................................................................ 117 Stockhausen für Kinder? Szenisches Agieren im Konzert für junges Publikum Theresita Colloredo ............................................................................................................................................ 133 . Die Bedeutung des Singens im Konzert für Kinder Werner Rizzi ............................................................................................................................................................ 141 . Mit dem Körper hören. Aspekte der Bewegung in der Musikvermittlung Renate Reitinger ...................................................................................................................................................159 Bodypercussion in Familien- und Kinderkonzerten Christiane Jasper ................................................................................................................................................. 167

gfgfgfgfr • • • • Organisation Kunst oder Handwerk. Organisation konzertpädagogischer Projekte Christian Zech ...................................................................................................................................................... 175 Virtuos improvisieren: Öffentlichkeitsarbeit für (Kinder)-Konzerte Joachim Thalmann.............................................................................................................................................. 189 Musikvermittlung im Internet Stefanie Riemenschneider.............................................................................................................................. 199 . Audience Development im Konzerthaus am Beispiel der Philharmonie Luxemburg Johanna Möslinger/Pascal Sticklies........................................................................................................... 211 . netzwerk junge ohren. Von den ersten Impulsen über die Vereinsgründung bis heute – eine kurze Geschichte mit langer Perspektive Ingrid Allwardt.......................................................................................................................................................221 Literatur......................................................................................................................................................................227 Autorinnen und Autoren.................................................................................................................................... 235 Glossar....................................................................................................................................................................... 241


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Vorwort

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eun Jahre sind vergangen, seitdem wir „Spielräume Musikvermittlung – Konzerte für Kinder entwickeln, gestalten, erleben“ herausgaben. Zum damaligen Zeitpunkt markierte das Buch eine erste reflektierende Perspektive auf das wachsende Praxisfeld Musikvermittlung. Viele Entwicklungen im Konzertwesen und im Kulturleben zeichneten für dieses Wachsen verantwortlich – nicht zuletzt das kräftige Engagement von Einrichtungen wie der Jeunesses Musicales Deutschland, die mit ihrer „Initiative Konzerte für Kinder“ den Startschuss für das damalige Buch gab. In den letzten neun Jahren ist viel geschehen: Kaum ein Orchester käme inzwischen ohne Konzerte für Kinder und Jugendliche aus und beinahe jedes Konzerthaus sucht im Rahmen des Audience Development nach Partnerschaften zwischen Bildungseinrichtungen und Musik-Ensembles. Während man damals noch Musik vermittelnde Projekte für Kleinkinder, Kinder und Jugendliche unterschied, zeigt sich heute eine beeindruckende Ausdifferenzierung der Zielgruppen ab dem Babyalter bis zu jungen Erwachsenen, die Interessen, Kompetenzen und Bedürfnisse der einzelnen Altersgruppen genauer in den Blick nehmen und ästhetische Horizonte unterschiedlich aufspannen. Konzertveranstalter, Orchestermusiker und Musikvermittler sind heute auf Tagungen miteinander im Gespräch und Plattformen wie das „netzwerk junge ohren“ sorgen für einen kommunikativen Austausch der Szene im deutschsprachigen Raum. Wettbewerbe wie der „junge ohren preis“ oder „Kinder zum Olymp!“ verschaffen herausragenden Projekten eine breite Öffentlichkeit und Studiengänge, Fortbildungen und MasterClasses in Deutschland, der Schweiz und Österreich sorgen für die kontinuierliche Weiterbildung der Akteure. Insgesamt konstatieren die Herausgeber eine Ausweitung der Musik vermittelnden Projekte um partizipative Angebote, wie sie die Berliner Philharmoniker paradigmatisch vorleben, die das eigene Erforschen von Klängen und formalen musikalischen Bezügen in den Mittelpunkt rückt. Ohne Zweifel bleibt jedoch das „Konzert für Kinder“ das Herz jedes Orchesters und Konzerthauses, in dem sich ästhetische Zugänge und Haltungen gegenüber dem jungen Publikum verdichten. Folgerichtig hat sich in der Zwischenzeit der Auftrag an die Herausgeber dieses Buches geändert: wollten wir 2002 noch einen ersten Überblick über Zugänge zum Feld von der Kirchenmusik über die Musikschule zum Orchester geben und anhand von Beispielen verschiedene Arbeitsweisen der Musikvermittlung zu eigenen Projekten ermutigen, liegt der Fokus heute auf grundsätzlichen Fragen, die sich Musikvermittler und Konzertpädagogen in ihrer täglichen Arbeit stellen. Vor allem Aspekte der Qualität und des geeigneten Rahmens für gelingende Musikvermittlung rücken nun in den Vordergrund. Die Auswahl der Beiträge spiegelt eine Wechselbeziehung von überarbeiteten Artikeln des inzwischen vergriffenen Bandes „Spielräume Musikvermittlung“ und völlig neu dazu gekommenen Themen wie bspw. Musikvermittlung im Internet oder die Bedeutung der Visualisierung von musikalischen Inhalten im Konzert wieder. Auf die Aufnahme von konkreten Praxisbeispielen haben wir diesmal fast ganz verzichtet, da die Einsicht in


vorwort

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solch motivierende Anregungen inzwischen über das „netzwerk junge ohren“ bestmöglich gewährleistet ist. Die Herausgeber möchten mit dem vorliegenden Buch die deutschsprachige Szene der Musikvermittlung und Konzertpädagogik mittels Grundfragen, Anregungen und organisatorischen Aspekten unterstützten – dabei verweisen die einzelnen Artikel in erster Linie auf Zugänge, die klassische und zeitgenössische Musik des westlichen Kulturkreises in den Mittelpunkt stellen. Aufgrund zahlreicher positiver Rückmeldungen haben wir das Glossar zum „ABC eines gelungenen Konzertes für Kinder“ wieder in den vorliegenden Band aufgenommen und freuen uns, wenn es wiederum als schnelle Orientierung in einem ausdifferenzierten Praxisfeld genutzt werden kann. Ernst Klaus Schneider, Barbara Stiller, Constanze Wimmer – im September 2011


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Constanze Wimmer

Konzerte für Kinder gestern & heute Perspektiven der historischen und aktuellen Praxis in der Musikvermittlung

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hildren cannot be admitted“ hieß es lapidar 1789 in einer Londoner Konzertankündigung (Salmen 1988, S. 189). Erst 70 Jahre später, am 4. Juli 1858, fand in Cincinnati innerhalb der „Philharmonic Society“ das erste dokumentierte Jugendkonzert statt, das dem nachlassenden Interesse von jugendlichen Erwachsenen am Konzertrepertoire klassischer Orchester entgegenwirken sollte (Salmen 1988, S. 190). Erste Versuche, ein junges Publikum mittels junger Musik auf dem Podium für Klassik zu begeistern, gehen in Boston im Rahmen sogenannter „Juvenive Concerts“ sogar schon auf die 30er-Jahre des 19. Jahrhunderts zurück (Schwab 1971, S. 178). In der Folge nahmen Konzerte für Kinder in Kontinentaleuropa, England und Amerika einen unterschiedlichen Verlauf. Einige Schlaglichter auf Entwicklungen im deutschsprachigen und im angloamerikanischen Raum zeichnen eine Skizze der Geschichte des Konzerts für Kinder.

Volksbildung als Keimzelle für Konzerte für Kinder im deutschsprachigen Raum • • • •

Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert läuteten die Bestrebungen der Reformpädagogik „Das Jahrhundert des Kindes“1 ein. Neue Orientierungen an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kinder führten ebenso zu einem neuen Rollenverständnis zwischen Kindern und Erwachsenen. An der Schnittstelle zwischen Schule und Kulturleben gestalteten Musiker und Musikpädagogen eigene Konzertreihen, die für Kinder und Jugendliche konzipiert wurden und die die Institution Schule als Multiplikator nutzten. Besonders gut dokumentiert sind diese Initiativen in Hamburg: Am 3. April 1898 fand im Hamburger Konzerthaus in St. Pauli ein Konzert statt, das sich ausschließlich an Hamburger Volksschüler und ihre Lehrer richtete und von Mitgliedern des Hamburger LehrerGesangvereins organisiert wurde. Als „Lehrervereinigung zur Pflege der künstlerischen Bildung“ wollten sie sich ebenso um das Kulturleben der Kinder, als auch um das ihrer Eltern kümmern: „Die Kunst ist für alle da. Die ästhetischen Anlagen sind genausoviel wert wie die intellektuellen und moralischen und fordern eine gleich sorgfältige Ausbildung … wir Lehrer haben es in erster Linie in der Hand, jene Schatzhäuser zu öffnen, die man Bibliotheken, Museen, Konzerthäuser und Theater nennt, den Einlass Begehrenden 1 Die Schrift „Das Jahrhundert des Kindes“ der schwedischen Reformpädagogin und Schriftstellerin Ellen Key erschien erstmals auf deutsch und prägte als Schlagwort die neue Perspektive auf die Bedürfnisse des Kindes.


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den Hauptschlüssel zu geben: die künstlerische Empfänglichkeit, das ästhetische Bedürfnis.“ (Otto Ernst 1901, zit. bei Seippel 2003, S. 181) Unter der Leitung von Richard Barth2, der bereits seit 1894 als Direktor der Philharmonischen Konzerte in Hamburg wirkte, erlangte die Initiative überregionale künstlerische und pädagogische Bedeutung. Von 1898 bis 1921 fanden, mit Ausnahme der Kriegsjahre, regelmäßig Konzerte für die „Ober-Classen“ der Volksschulen statt. Die Programme wurden den Lehrern vorher zur Verfügung gestellt, so dass viele der insgesamt 270.000 Volksschüler, die die Konzerte in diesem Zeitraum besuchten, bereits vorbereitet ins Konzert kamen. Für alle gab es Kurzvorträge durch Richard Barth im Rahmen des Konzerts, eine Innovation, die von seinen Kollegen auch kritisch aufgenommen wurde. Barth wollte mit seinen Einführungen den Gefühlsgehalt der Musik für die Kinder erschließen und damit „eine Brücke zu dem Fassungsvermögen der einer neuen Welt gegenüberstehenden Kinder … schlagen.“ (Barth 1906, zit. bei Seippel 2003, S. 203) Mit seinem leidenschaftlichen Appell, dass das Erlebnis von Musik als Kunst nur im Konzertsaal und nicht in der Schule möglich sei und Konzerte für Kinder keine Schulstunde kopieren dürften, sondern als „Geschenke aus einem reichen Füllhorn und mit wahrer Liebe und Freudigkeit dargeboten“ werden sollten (Barth, zit. bei Seippel 2003, S. 200), prägte er in Folge die Entwicklung von Konzerten für Kinder im deutschen Sprachraum wesentlich. ••••

Konzerte für junges Publikum erhalten Strukturen

Zwanzig Jahre später rückten ältere Schüler ab 14 Jahren ins Zentrum der Aufmerksamkeit von Orchestern, weil man sie für entsprechend aufnahmefähig hielt, um konzentriert Werke der Orchesterliteratur zu hören. Felix Oberborbeck, Musikpädagoge und Dirigent, war in den 1920er- und 1930er-Jahren Musikdirektor in Remscheid und gleichzeitig Professor an der Hochschule für Musik in Köln und entwickelte aus diesen zwei Schwerpunkten ein reges Interesse für Jugendkonzerte. Vehement wendete er sich gegen den bis dahin oft gebräuchlichen Generalprobenbesuch, der als Jugendkonzert ausgegeben wurde. Aus seiner Sicht fehlte diesen Angeboten das, was für ihn den Kern eines gelungenen Jugendkonzert ausmachte: „1. sie müssen alle jugendpsychologischen Voraussetzungen erfüllen, 2. sie müssen systematisch aufgebaut sein, 3. sie müssen zeitlich und örtlich den Prinzipien künstlerischer Darbietungen genügen“ (Oberborbeck 1928, S. 933). Musik gehört für ihn wie Dichtung und Malerei zum „Besitztum jedes gebildeten Deutschen“, könne aber nur bewahrt werden, wenn sie den Jugendlichen nicht durch langweilige Aufführungen und Vorträge verleidet würde. Nicht nur das Alter war seines Erachtens entscheidend für eine prägende Aufnahme des klassischen Orchesterrepertoires, sondern ebenso eine Regelmäßigkeit von drei bis vier Besuchen pro Jahr. Auffallend ist, dass er bei der Zielgruppe dieser Konzerte ebenso an Lehrlinge, die an sogenannten Gewerbe- und Fortbildungsschulen unterrichtet wurden, dachte wie an Schüler 2 Richard Barth (1850–1923) galt neben Joseph Joachim als einer der herausragendsten ersten Interpreten des Violinkonzerts von Johannes Brahms. Als Leiter der Philharmonischen Gesellschaft in Hamburg gründete er ein fixes Orchester, das als Vorläufer des heutigen Philharmonischen Staatsorchesters gelten kann. Seine volksbildnerischen Ambitionen umfassten musikhistorische und musikästhetische Themen, die Konzeption und Durchführung der Konzerte für Volksschulkinder und seine Mitwirkung an der „Kunsterziehungsbewegung“, die in der Reformpädagogik praktische Umsetzung erfuhr (vgl. Seippel 2003, S. 187–192).


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der höheren Lehranstalten. In seinen Jugendkonzert-Reihen programmierte er in erster Linie Ouvertüren, Suiten, Walzer und einzelne Sätze von Sinfonien und lud als Solisten besonders jugendliche Interpreten ein, die als Identifikationsfiguren für das Publikum dienen konnten. Für die begleitenden Lehrer bereitete er umfangreiche Materialien vor, die bei unbekannteren Werken sogar einen Klavierauszug oder der Partitur miteinschlossen. Zu Beginn der Konzerte gab er eine kurze Einführung, die einen Vorgeschmack auf das Folgende liefern sollte, ließ charakteristische Stellen bereits vorab anspielen und stellte einzelne Instrumente vor. Richard Barth sprach von Konzerten als Geschenken aus einem Füllhorn – auch Oberborbeck sah es als wesentliche Facette des Konzertbesuchs an, dass es den Charakter eines Geschenks ohne Gegenleistung bewahre: „Das alles schenkt man dir, ohne etwas zu fordern.“ (Oberborbeck 1928, S. 934) Ebenso warnte er davor, Jugendkonzerte als „Massenbekehrungen zur Musik“ misszuverstehen: Auch wenn nur wenige durch das Geschehen auf der Bühne erreicht würden und die anderen „nur“ um eine ästhetische Erfahrung reicher wären, lohne es sich, den Aufwand zu betreiben. ••••

Konzerte für Kinder in Österreich

In Österreich gestaltet sich die Recherche historischer Bezüge im Bereich der Konzerte für Kinder und Jugendliche schwierig, da nur wenige Aufzeichnungen bzw. Forschungsergebnisse dazu vorhanden sind. Einer Hausarbeit aus den 1970er-Jahren ist es zu verdanken, dass zumindest Gespräche mit Vertretern des Wiener Kulturamts und der Kulturvermittlungseinrichtung „Theater der Jugend“, die sich auf die Praxis der 1950er- und 1960er-Jahre beziehen, Eingang in die Aufarbeitung finden können. Konzerte für Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 15 Jahren fanden in Wien ab 1952 regelmäßig unter der Leitung von Hans Swarowsky und den Wiener Symphonikern statt. Swarowsky selbst wurde dabei durch Konzerte für junges Publikum in England angeregt. Die Konzertreihe entwickelte sich zu einem großen Erfolg, der auch in Zahlen belegt werden konnte: Hörten in der Spielzeit 1958/59 22.500 Schüler diese Konzerte, wurden in der Saison 1974/75 bereits 67.000 Schüler angesprochen. Auch in Wien erhielten die Lehrer einige Wochen vorher Materialen und Tonbänder zu den Werken, trotzdem kamen die meisten Schüler unvorbereitet ins Konzert. Sie wurden aber durch Erklärungen der Dirigenten, Lichtbilder an einer Projektionswand und Instrumentenvorstellungen während der Konzerte ins Geschehen gezogen (vgl. Günzl 1974). Drei Jahre später, 1978, leitete Herbert Prikopa in Wien eine neue Ära von Konzerten für Kinder ein: „Für Kinder und Kenner“ wurde nun von einem Dirigenten moderiert, der gleichzeitig Schauspieler und Kabarettist war. Prikopa verband performative Elemente mit Wissenswertem zu den Stücken und Instrumenten und gab diesem Format über 20 Jahre lang seinen besonderen Charakter: „Diese … Konzertreihe dient nicht nur dazu, Kinder zusammen mit Familienangehörigen in die Konzertmusik einzuführen, sondern versucht auch, die pädagogische Arbeit dieser Konzerte mit einem Maximum an Unterhaltung zu verbinden, damit die Schwellenangst vor einem Konzertbesuch bei Kindern erst gar nicht aufkommt.“3 Musikpädagogischen Anspruch und unterhaltsame performative Umsetzung in Einklang zu bringen, prägte in der Folge die Gestaltung von über3 http://www.prikopa.com/index.php?getpage=biography [1.3.2011]


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wiegend kammermusikalisch konzipierten Konzerten für Kinder der Jeunesse Österreich, des Wiener Musikvereins und des Wiener Konzerthauses.

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Orchester spielen für Kinder – von Anfang an Im angloamerikanischen Raum prägen Konzerte für Kinder die Gründungsgeschichte von Orchestern

Leonard Bernstein und Sir Simon Rattle gelten heute als die beiden Pioniere der ang­ loamerikanischen Musikvermittlung. Sie sind Vertreter unterschiedlicher Generationen, verknüpften und verknüpfen jedoch beide ihre Dirigententätigkeit von Beginn an mit konzertpädagogischer Ambition. Leonard Bernstein in New York, Sir Simon Rattle zunächst in Birmingham und aktuell in Berlin. Nicht zufällig finden sich sowohl beim New York Philharmonic als auch beim City of Birmingham Symphony Orchestra charismatische Vorgänger, die bereits in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts für eine Neupositionierung der Vermittlung von Musik an Kinder und Jugendliche sorgten. ••••

Die Anfänge in den USA und Großbritannien

Als deutscher Emigrant prägte Walter Damrosch (1862–1950) die ersten Jugendkonzerte der New York Society, aus der in der Folge die New Yorker Philharmoniker hervorgingen. Neben seinen Konzerten für Kinder und Jugendliche interessierte er sich ebenso für die Neuen Medien seiner Zeit und initiierte die „Music Appreciation Hour“ für Schüler bei NBC (National Broadcasting Company), die sowohl in den USA als auch in Kanada ausgestrahlt wurde. Seinem Beispiel folgten viele große Orchester in Amerika und entwickelten einen eigenen Stil von moderierten Gesprächskonzerten, um die klassische Orchestermusik einem jugendlichen Publikum zugänglich zu machen. In Einzelfällen ging die Gründung eines Orchesters sogar auf einen pädagogischen Impuls zurück: So wurde beispielsweise das Cleveland Orchestra zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet, weil die wohlhabende Konzertagentin Adella Prentiss bei einem Kinderkonzert in Cincinnati den Dirigenten Nikolai Sokoloff kennengelernt hatte und von seiner pädagogischen Arbeit tief beeindruckt war. Sie wollte den Musikunterricht in Cleveland neu gestalten – er benötigte dafür ein Orchester: 1918 spielte das Cleveland Orchestra sein erstes Konzert und Musikvermittlung war von Anfang an wesentlicher Bestandteil der Orchesterarbeit. Nur eine Anekdote? Mehr als das – das Ineinandergreifen von schulischem Musikunterricht und künstlerischer Arbeit der Orchester spielt bis heute in den USA eine völlig andere Rolle als in Europa und zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Orchester langjährige Partnerschaften mit Schulen eingehen und dabei zu einem wesentlichen Faktor des Musikunterrichts werden. In der Folge ließen sich von dieser publikumsnahen Zugangsweise auch britische Orchester inspirieren, allen voran das Orchester der City of Birmingham, das in den 1920er-Jahren von Sir Adrian Boult4 geleitet wurde. Finanzielle Unterstützung erhielten die Konzerte durch Sir Robert Mayer (1879–1985), einem deutschen Industriellen, der nach England ausgewandert war und über seine Frau Dorothy Moulton Kontakte zu Wal4 Sir Adrian Boult erlangte internationale Bekanntheit als Leiter des BBC Orchestra von 1930 bis 1950.


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GLOSSAR ABC eines gelungenen Konzertes für Kinder

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Ablauf

Der Ablauf eines Konzertes für Kinder betrifft Aspekte, die bezüglich der Durchführung im Vorfeld der Veranstaltung plan- und organisierbar sind. Sie beinhalten folgende Fragen: xx Welche Musikstücke sollen erklingen, wie sind sie nach Ausdruck und Struktur beschaffen? xx Welche musikalischen Beziehungen eröffnen sich zwischen den einzelnen Stücken und legen eine nachvollziehbar sinnvolle Programmfolge nahe? xx Wer sind die Musiker? xx Wem soll die Musik vermittelt werden? xx Wie sind die personellen Zuständigkeiten (konzeptionelle Gesamtverantwortung, Spielleitung, Techniker, Einlass etc.)? xx Wie sind die räumlichen Gestaltungsparameter (Sitzgelegenheiten, Requisiten, Kulissen, Sichtmöglichkeiten auf die Bühne, Haupt- und Nebenbühnen, Erreichbarkeit der Toiletten, Durchführung des Einlasses etc.), xx Wie ist die technische Ausrüstung (Mikrofonierung und Lichtgestaltung)? xx Wie sollen die digitalen und bildgebenden Medien eingesetzt werden? xx Wie soll der zeitliche Ablauf sein? xx Klärung bzgl. des Einsatzes und ggf. der Bereitstellung von Materialien und/oder Instrumenten für das Publikum. ••••

Ausklang

Zum Ausklang eines Konzertes xx sollte der letzte Programmpunkt als gemeinsam erlebtes Finale vorgesehen und als solches gestaltet werden (ein wirksames Schlussstück, das die Gesamtdramaturgie zu Ende führt; ein gemeinsames Abschiedslied, eine gemeinsame Bühnenaktion mit den Publikumskindern); xx könnte dem jungen Publikum ggf. ein kleines Accessoire als ein auf die erklungene Musik bezogenes Andenken mitgegeben werden; xx sollte den Kindern die Möglichkeit eingeräumt werden, Instrumente auf der Bühne oder im Foyer noch einmal „hautnah“ zu betrachten, zu berühren und ggf. selber auszuprobieren; xx könnte das Publikum von den Musikerinnen und Künstlern mit einer großen Polonaise musikalisch aus dem Saal heraus geleitet werden.


glossar

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Atmosphäre

Für das Gelingen eines Konzertes sind Beachtung und Gestaltung des Atmosphärischen wichtig. Einzelne Gestaltungselemente können von Beginn an zur gewünschten Stimmung beitragen: xx Bilder (auch von Kindern zur Musik und im Bezug zur Thematik gemalte Bilder) im Eingangsbereich; xx in den Vorräumen führen Musiker Instrumente vor, sie wecken Erwartungen; xx ein Bühnenbild, das einstimmt und bereits im Vorfeld neugierig auf das eigentliche Geschehen macht; xx eine Lichtregie, die den Raum in ein „besonderes Licht“ taucht oder den Focus auf besondere Dinge des Geschehens richtet; xx ein Spiel mit Duft und Geräuschen aus dem Off, das in das eigentliche Konzertgeschehen einführt und die Dramaturgie sinnlich verstärkt; xx pantomimisch agierende Protagonisten (stumme Wegweiser), die bereits im Vorfeld der Veranstaltung nonverbal im Foyer, im Saal und/oder auf der Bühne zu bewundern sind. ••••

Beginn

Die Gestaltung des Beginns eines Konzertes muss so durchdacht sein, dass die hörende Zuwendung der Kinder von Anfang an angeregt wird. Hier gilt es auch für die Musiker in Haltung, Bewegung und Ausstrahlung – auch ohne Worte – Kontakt mit den Kindern aufzunehmen. Immer gilt es, die Kinder und die Musik gleichermaßen im Blick zu haben. Formal können die Anfangssituationen je nach Intention unterschiedlich konzipiert sein: xx Es wird die traditionelle Konzertsituation gewählt. Das Ensemble kommt auf die Bühne und stimmt; der Dirigent tritt auf. In die Stille hinein erklingt die Musik. Begrüßung und Hinführungen durch einen Musiker oder eine Moderatorin erfolgen später. xx Verbale Begrüßungen stehen am Anfang. Das Stimmen der Instrumente kann bereits zum Thema werden. Nach einer Hinführung erklingt die Musik. xx Der Saal ist abgedunkelt. Die Musiker werden erwartet, beginnen ihr Spiel aber bereits außerhalb des Bühnenraumes und ziehen dann spielend auf die Bühne. xx Ein Einstieg kann auch durch spontane musikalisch-bewegungsmäßige, szenische und pantomimische Aktionen geschehen. Inhaltlich gilt es eine Konzerteröffnung zu finden, welche die Aufmerksamkeit der Kinder weckt und zugleich dramaturgisch schlüssig in die Thematik einführt. Deswegen ist die Wahl der Eröffnungsmusik – sie soll die Kinder „ansprechen“ – und die Form ihrer Präsentation so wichtig. ••••

Beleuchtung

Mit den Mitteln des Lichts können Atmosphären erzeugt werden. Zudem kann das Licht dramaturgisch eingesetzt werden, um verschiedene „Stationen“ oder Szenen des Geschehens hervorzuheben: xx Es unterstützt besondere Stimmungen und Stimmungswechsel. xx Es ist hilfreich, um inszenierte Spannungsbögen transparent zu machen.


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