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Benjamin Lang (Hg.)
Dabei beleuchten die Autoren, allesamt Dozenten an der Zürcher Hochschule der Künste mit jahrelanger Unterrichtserfahrung im Hochschulbereich, durchaus verschiedene Aspekte des für Musiker so zentralen Phänomens Hören und stellen auch jeweils den Bezug zu ihrer ganz eigenen Unterrichtspraxis her. Dadurch wird dieses Buch nicht nur wertvoll für die, die allgemein über das Hören zeitgenössischer Musik nachdenken möchten, sondern auch für all jene, die auf der Suche nach Inspirationen und neuen Wegen für ihr Unterrichten des Faches Gehörbildung sind.
ConBrio Verlagsgesellschaft CB 1239 • ISBN 978-3-940768-39-1 ���������������������������
CB 1239
Im Mittelpunkt des vorliegenden Buches steht die auditive Auseinandersetzung mit der Musik des 20./21. Jahrhunderts. Aus fünf divergierenden Perspektiven werden mögliche Denkweisen im Umgang mit zeitgenössischer Kunstmusik innerhalb des Hörtrainingsunterrichts dargestellt – von der Reflexion über die Wahrnehmung des Klingenden, zu praktischen Übungen zur Tonvorstellung, der Höranalyse instrumentaler und elektronischer Musik bis hin zu außermusikalischen Einflüssen auf die Hörwahrnehmung.
Ganz Ohr? Neue Musik in der Gehörbildung
ehörbildung ist seit geraumer Zeit als eigenständiges Fach Bestandteil in der Musikausbildung an Hochschulen. Es dient im Wesentlichen der Sensibilisierung und Bewusstmachung der auditiven Wahrnehmung und bietet daher eine Vielfalt methodisch-didaktischer Lehransätze.
Ganz Ohr ? Neue Musik in der Gehörbildung
ConBrio
Philippe Kocher
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Versuch einer Anleitung zum reduzierten Hören
Benjamin Lang (Hg.)
Ganz Ohr ? Neue Musik in der Gehörbildung
ConBrio 3
Philippe Kocher
Impressum © 2013 by ConBrio Verlagsgesellschaft, Regensburg Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, bedarf der Genehmigung des Verlages. Herausgeber
Benjamin Lang
Satz & Layout Birgit A. Rother, Bielefeld Druck
druckhaus köthen
CB 1239 ISBN 978-3-940768-39-1 www. conbrio.de
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort ................................................................................................................................... 7 Felix Baumann Hören als kulturelle Leistung ....................................................................................... 11 André Fischer Neue Übungen für das Treffen der zwölf temperierten Tonstufen – Die Methode mit den sechs „chromatisiert tonalen Lesarten“ ........................ 31 Benjamin Lang Höranalyse zeitgenössischer Musik – Wege zum kreativen Hören? ......................................................................................... 91 Philippe Kocher Versuch einer Anleitung zum reduzierten Hören ................................................. 157 Till Löffler Das Auge hört mit .......................................................................................................... 207 Die Autoren ...................................................................................................................... 249
Philippe Kocher
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Vorwort
Um mündige, reflektierende Interpreten im Rahmen eines klassischen Musikstudiums auszubilden, gilt es, neben den Fähigkeiten im künstlerischen Hauptfach insbesondere umfangreiche musiktheoretische Kompetenzen auszuprägen. Innerhalb der sich gegenseitig ergänzenden Ausbildungsfächer Tonsatz, Gehörbildung und Analyse eröffnen die umfangreichen Lehrinhalte ein weites Feld für vielseitiges, kreatives und phantasievolles pädagogisches Handeln. Allein schon im musiktheoretischen Pflichtfach Gehörbildung gibt es eine Vielzahl von Themengebieten wie zum Beispiel Intonationsübungen, Übungen zur Linearität und Melodik, Rhythmik, Harmonielehre und Kon trapunktik, historisch und systematisch orientierte Höranalyse, Übungen zur Musik des 20./21. Jahrhunderts usw. Letztendlich können aus Zeitgründen in der Lehre gar nicht alle diese Gebiete (ausgiebig genug) behandelt werden. So obliegt es dem jeweiligen Dozierenden, eine Selektion zu treffen, mit Hilfe dieser die Studierenden adäquat ihre allgemeinmusikalischen Kompetenzen entwickeln und ausbauen können. Gleichermaßen hat der Lehrende die Wahl des methodisch-didaktischen Vorgehens und wird diese aufgrund der Gesamtsituation (Gruppenzusammensetzung, Unterrichtszeit, Prüfungsmodalitäten etc.) bewusst treffen. Hinzukommt die gewünschte „Authentizität“ der Lehrperson, die wiederum einen individuellen Lehrstil ausprägt. Daher stellen sich bei der Konzeption eines Lehrbuches folgende Probleme:
Benjamin Lang 1) Ein einziges Gehörbildungslehrbuch mit Arbeitsmaterialien für den Unterricht kann keine fachliche Vollständigkeit bieten. 2) Basiert das Buch auf dem Lehrstil einer einzelnen Lehrerpersönlich keit, so wird das Buch nur aus einer Selektion von methodisch-didak ti schen Vorgehensweisen bestehen können. 3) Unter anderem resultiert daraus, dass die Arbeitsmaterialien jeweils für die eigene Unterrichtssituation des Lehrbuch-Rezipienten überarbeitet oder gar neu hergestellt werden müssen. Was sollte also dann ein modernes Lehrbuch dem Dozierenden bieten? Meines Erachtens sollten vielseitige methodisch-didaktische Denkansätze dargestellt werden, die sich einerseits zu Unterrichtsmaterialien „verarbeiten“ lassen oder andererseits Lehrmethoden reflektieren. Eine zentrale Qualität der deutschsprachigen Musiktheorie liegt in der Pluralität der Lehrmethoden. So müssen widersprüchliche didaktische Lehrpositionen in einem Lehrbuch Platz haben dürfen. Offene Denkweisen und Vielfältigkeit der Vermittlungsansätze lassen sich am besten durch das Mitwirken mehrerer Autoren erreichen. Dieses Buch behandelt unterschiedliche Teilaspekte des Bereiches Hörtraining Neue Musik. So beschäftigt sich Felix Baumann mit dem „Hören als kulturelle Leistung“. André Fischer stellt dem ein praktisches Lehrkonzept für den Unterricht im Blattsingen gegenüber. Ich stelle aus meiner Unterrichtspraxis eine Methode zur Höranalyse zeitgenössischer Musik vor. Philippe Kocher wiederum beschreibt ein Lehrkonzept für den Umgang mit elektronischer Musik in der Gehörbildung. Abgerundet wird das Buch mit dem Aufsatz von Till Löffler, der die visuellen Komponenten einer Aufführung in die Hörwahrnehmung mit einbezieht. Der Rezipient erhält so die Möglichkeit, die für ihn adäquaten Ansätze für seinen individuellen Lehrstil herauszukristallisieren, oder auch über Vergleiche und kritische Reflektion seinen eigenen methodischen Standpunkt zu schärfen. In dem vorliegenden Buch werden also ausgewählte methodische und didaktische Fragestellungen zur Vermittlung zeitgenössischer Kunstmusik im Gehörbildungs- bzw. Hörtrainingsunterricht diskutiert bzw. Ansätze für die Hochschullehre dargestellt mit dem Ziel, nicht nur Anregungen für die Un-
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Vorwort terrichtspraxis zu geben, sondern auch einen erweiterten Zugang zum zeitgenössischen Musikschaffen zu eröffnen. Ich möchte mich für die finanzielle Unterstützung aus dem Lehrmittelfonds des Departements Musik der Zürcher Hochschule der Künste bedanken. Erst durch diese wurde die Realisierung dieses Buches ermöglicht. Möge dieses Buch Anregungen für den hörenden Umgang mit Neuer Musik in der Hochschulausbildung bieten und mögen weitere Bücher zur Fachdidaktik musiktheoretischer Teildisziplinen aus unterschiedlichen Perspektiven folgen. Benjamin Lang, 26. November 2012
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Benjamin Lang
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Felix Baumann
Hören als kulturelle Leistung Hinführung: Zuhören Zuhören als Grundlage des Lebens Als ich ganz jung war, habe ich nur zugehört und wenig gesprochen. Ich habe einfach systematisch alles in mich aufgesogen und dabei langsam gelernt. Zuhören ist die Grundlage des Lebens, man lernt davon und wird reicher. 1 Diese Aussage von Claudio Abbado im Interview mit Kai Luehrs Kaiser birgt Potenzial. Der das sagt, war nichts weniger als Musikdirektor an der Mailänder Scala, Generalmusikdirektor in Wien, wo er auch das Festival Wien Modern gründete, und Nachfolger Herbert von Karajans bei den Berliner Philharmonikern. Dabei kam die Nachfolge für die Berliner Philharmoniker im Oktober 1989 durchaus überraschend für die Musikwelt. Überraschend deshalb, weil auch die Zeit in Berlin wie andernorts nicht frei von Spannungen war. Dass ein Ausnahmedirigent wie Claudio Abbado immer auch auf heftigen Widerstand stieß, hat wohl weniger damit zu tun, dass er wesentliche künstlerische Impulse von seinen Landsleuten und Studienkollegen Maurizio Pollini und Luigi Nono erhielt, sondern vielmehr mit seiner Fähigkeit, zuerst und im vollen Wortsinn, einfach schlicht und existentiell zuzuhören. Zwar scheint man unter Musikern und Musikliebhabern davon ausgehen zu können, dass die 1)
Neue Zürcher Zeitung Sonntag vom 17. Juni 2012.
Felix Baumann Fähigkeit, wenig zu sprechen und gut zuzuhören, weit verbreitet ist. Und es ist auch davon auszugehen, dass dem Musikmarkt, der die Musizierenden umgibt – angefangen bei künstlerischen Leitern der großen Institutionen über die Agenturen und Musikverantwortlichen breitester Couleur bis hin zum Publikum – das Interesse und das tiefe Wissen um das eigentliche Zuhören durchaus bekannt ist. Dennoch betont Abbado auf eindringliche Weise den Aspekt des ungeteilten Hörens und der Fähigkeit, sich daraus einen Reim zu bilden. Von welcher Diskrepanz spricht er? Was meint er damit? Hören kann bilden, indem das rezipierende Subjekt sich Schritt für Schritt einen eigenen Reim über das Gehörte macht. Dabei ist nichts Vorschnelles angesagt. Im Erwägen des unvoreingenommen Wahrgenommenen destilliert sich allmählich eine Essenz, zu der vorzustoßen vor allem deshalb lohnt, weil das rezipierende Subjekt dadurch nach Abbado lernt und reicher wird.
Zu-Hören als aktiver Prozess Es ist wissenschaftlich erforscht und erwiesen, dass die normale Zuhörleistung lediglich etwa 25 Prozent des gesamten Informationspotenzials beträgt.2 Mit der normalen Zuhörleistung ist die Behaltensquote angesprochen. Das bedeutet, dass von einer Information, die über das Ohr wahrgenommen worden ist, durchschnittlich nur etwa ein Viertel erinnert werden kann. Dabei können diese 25 Prozent allein durch vermehrtes Zuhören nicht signifikant verbessert werden, wenn nicht gleichzeitig die dahinter stehenden Kommunikationsgewohnheiten und -prinzipien grundsätzlich bewusst gemacht, geändert oder zumindest in Frage gestellt werden. Dies erfordert eine Bereitschaft, die über ein bloß passives Zuhören hinaus geht. Es setzt Persönlichkeiten voraus, die wissen oder zumindest ahnen, dass wirkliches Zuhören neben sachlicher Kenntnis ein offenes Zu-Hören verlangt. Neurowissenschaftler definieren dieses Zu-Hören als intensive Aufmerksamkeit.3 Die Charakteristik dieser intensiven Aufmerksamkeit besteht darin, dass sie auf die Gegenwart 2) http://de.wikipedia.org/wiki/Aktives_Zuhören (9. Juli 2012). 3) Rock, David: Brain at Work, Frankfurt am Main 2011, S. 125f.
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Hören als kulturelle Leistung gerichtet ist, und zwar auf ebenso offene wie akzeptierende Art und Weise. Dieses ungeteilte und offene Zu-Hören und insbesondere die damit einhergehende Erwartungslosigkeit wollen erworben werden. Im Maße dieser Aktivität können vertraute und liebgewordene Kriterien, zum Beispiel die Vorstellung darüber, was Musik ist oder wie sie beschaffen sein mag, zumindest kurzfristig verlassen werden und einem offeneren Wahrnehmen Platz machen. Dabei wächst Schritt für Schritt die Fähigkeit, das Wahrgenommene auch begrifflich mit eigenen Worten zu erfassen. Im Maße des begrifflichen Erfassens von Musik wiederum verbinden sich im Gehirn die gleichbenannten Erfahrungen, womit die Hörerfahrung Schritt für Schritt mit dem eigenen Lebenshorizont in Verbindung tritt. Als Resultat erfrischen sich die Hörgewohnheiten und die Werkzeuge des auditiven Wahrnehmens, was sich nicht nur bereichernd für das hörende Subjekt auswirkt, sondern für die ganze es umgebende Sozietät. Neue neurowissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen, dass sich viele Hirnregionen einschalten und zu größeren Schaltkreisen verbinden, wenn wir einem Thema intensive Aufmerksamkeit schenken. 4 Kein Wunder also, dass allein die Zuwendung solch ungeteilter Aufmerksamkeit, die einer Idee, einer Aktivität oder einer Erfahrung geschenkt wird, im Gehirn zur Bildung von Netzwerken beiträgt, welche eng miteinander verknüpft sind und manchmal für lange erhalten bleiben. Das Gelingen einer Kommunikation hängt nach Lyman Steil zu 51 Prozent vom Zuhörer ab.5 Insofern entscheiden die Zuhörenden zu einem überwiegenden Teil, ob eine Information bei ihnen ankommt oder nicht. Wenn unter Zu-Hören nicht allein die rein akustische Aufnahme der Informationszeichen verstanden wird, sondern auch das inhaltliche Erfassen, dann wird deutlich, dass Zuhören ein ebenso aktiver Prozess wie der des Sprechens ist. Zu-Hören,verstanden als aktive Tätigkeit, ist eine Leistung, die bildet, die
4) Ebd., S. 287ff. 5) http://de.wikipedia.org/wiki/Aktives_Zuhören (9. Juli 2012). Siehe auch: Goldstein, E. Bruce: Wahrnehmungspsychologie, 7. Aufl., Heidelberg 2008, S. 113ff.
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Benjamin Lang (Hg.)
Dabei beleuchten die Autoren, allesamt Dozenten an der Zürcher Hochschule der Künste mit jahrelanger Unterrichtserfahrung im Hochschulbereich, durchaus verschiedene Aspekte des für Musiker so zentralen Phänomens Hören und stellen auch jeweils den Bezug zu ihrer ganz eigenen Unterrichtspraxis her. Dadurch wird dieses Buch nicht nur wertvoll für die, die allgemein über das Hören zeitgenössischer Musik nachdenken möchten, sondern auch für all jene, die auf der Suche nach Inspirationen und neuen Wegen für ihr Unterrichten des Faches Gehörbildung sind.
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Im Mittelpunkt des vorliegenden Buches steht die auditive Auseinandersetzung mit der Musik des 20./21. Jahrhunderts. Aus fünf divergierenden Perspektiven werden mögliche Denkweisen im Umgang mit zeitgenössischer Kunstmusik innerhalb des Hörtrainingsunterrichts dargestellt – von der Reflexion über die Wahrnehmung des Klingenden, zu praktischen Übungen zur Tonvorstellung, der Höranalyse instrumentaler und elektronischer Musik bis hin zu außermusikalischen Einflüssen auf die Hörwahrnehmung.
Ganz Ohr? Neue Musik in der Gehörbildung
ehörbildung ist seit geraumer Zeit als eigenständiges Fach Bestandteil in der Musikausbildung an Hochschulen. Es dient im Wesentlichen der Sensibilisierung und Bewusstmachung der auditiven Wahrnehmung und bietet daher eine Vielfalt methodisch-didaktischer Lehransätze.
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