Auflage: 15.000
36. Jahrgang Nr. 5-11 November/Dezember 2011–Januar 2012 B 07567, PVSt/DPAG Entgelt bezahlt ISSN 1618-9140
http://blogs.nmz.de/jazz
3,80
www.jazzzeitung.de
MUSIK AM RAND? Zum 12. Darmstädter Jazzforum
Nils Wülker in der Bessunger Knabenschule in Darmstadt. Foto: Wilfried Heckmann
inhalt berichte Leipziger Jazztage 2011
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Internationale Jazz Festival Viersen
4
portrait Jazzszene Nürnberg
7
dossier The Best Die Young
10–11
Wann war Jazz relevant in den Medien – von den Fachmagazinen einmal abgesehen? Beispiele aus jüngerer Zeit kann man an einer Hand abzählen. Im Sommer 2009 zum Beispiel schlugen die Wogen hoch bei den Mitgliedern der Bundeskonferenz Jazz. Thomas Steinfeld, Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, hatte in einer Glosse die „Wahlprüfsteine Jazz“ der Bundeskonferenz aufs Korn genommen. Sinngemäß konstatiert Steinfeld, dass die Deutschen auch im Bereich des modernen Jazz Weltmeister im Vereine gründen und Gartenzwerge aufstellen seien.
nier geschrieben hatte. Fragen übrigens, die man
sich lieber nicht vorstellen! Umgekehrt spielt die
jederzeit auch über eine vergleichbare Veranstal-
Jazzkritik – egal ob in Tageszeitung oder Fachblatt
tung aus dem Bereich der E-Musik hätte stellen
– für Musiker und Konzertveranstalter noch immer
können. Wolfram Knauer und Arndt Weidler hatten
eine wichtige Rolle: und zwar allem Gesumse in den
wieder einmal eine illustre Schar an Fachleuten ein-
sozialen Netzwerken zum Trotz am liebsten noch im-
geladen: Walter Turkenburg etwa stellte schulisches
mer in der gedruckten Form. Reinhard Köchl verwies
und außerschulisches Lernen in Kontrast zueinan-
in seinem Vortrag auf die Zusammenhänge zwischen
der und betonte die Wichtigkeit der „Straße“ für
Anzeigen und Artikeln und verwies zu Recht auf die
die Lebendigkeit eines Musikstils. Sigi Busch ging
prekäre Situation freiberuflicher Autoren, die ihren
mit dem Jazz-Unterricht ins World Wide Web. Bert
Lebensunterhalt ohne die Arbeit für die Plattenfir-
Gerhardt und Jürgen Terhag stellten die ernüch-
men und Festivals nicht bestreiten könnten. Chri-
ternde Realität des Lerninhaltes Jazz im Schulleben
stian Broecking benannte im Roundtablegespräch
dar. Was die Gefahren der Didaktisierung des Jazz
ein großes Defizit des Jazzjournalismus: Während es
der jetzt kürzlich in der ZEIT Online: Ausge-
betrifft, waren sich Terhag und Turkenburg einig –
von Vorberichten, Porträts, Interviews und Life-Style
löst durch einen Artikel über die Serie Young
Terhag ging weiter und empfahl den Jazzern mehr
nur so wimmelt, geht der Jazzjournalist kulturpoli-
German Jazz des Labels ACT, wehrten sich
selbstbewusste Verortung im gattungsübergreifen-
tischen Fragestellungen am liebsten aus dem Weg.
Berliner Musiker dagegen, von einem Leitmedium
den Populären. Es sei zudem höchste Zeit für die
Julia Hülsmann, Angelika Niescier, Beat Keller und
wie der ZEIT einfach komplett übersehen zu werden.
Integration von „Jugend jazzt“ in den Wettbewerb
Nils Wülker gestalteten mit ihren Formationen so-
Ein Garant dafür, dass Jazz in den Medien wahrge-
„Jugend musiziert“.
wohl Konzertprogramm als auch die Workshops des
O
Darmstädter Jazzforums und diskutierten das The-
nommen wird, bleibt nach wie vor ein Konzert von
cds, bücher 3x Jazzland Belgien
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jazz heute Das Bayerische Jazzinstitut
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jazz-geschichte Eddie „Lockjaw“ Davis
Vive le Jazz 2011: ein Interview
durch Musikentzug abstraft. Kein Leitmedium titelte
Der Tag zwei gehörte den Jazzkritikern und war von
50 oder 500 Leute zuhören, ist mir nicht egal. Ich
jemals über einen Jazz-Konzerhausskandal: Es gab
Wehmut geprägt. Wie schön schwingte der Jazz in
sehe es deshalb als meine Pflicht an, ‚meine‘ Ge-
nie einen, denn es gibt kein Jazz-Konzerthaus.
den vergangenen Jahrzehnten und wie schön schrie-
neration zu erreichen.“ Den Musikern bleibt die Auf-
Den genannten Beispielen ist gemeinsam, dass in ih-
ben Großkritiker wie Wilhelm E. Liefland, Joachim-
gabe, die Musik zu spielen, für die sie brennen. Um
nen das Thema Jazz nur durch Zufall oder Verkettung
Ernst Berendt, Peter Niklas Wilson und Baldur Bock-
diesen Job kann man sie eigentlich nur beneiden.
unglücklicher Umstände zur Sprache kommt. Was ist
hoff über die große Kunst der improvisierten Musik.
Gleichzeitig ist die beste Methode, neue Hörer zu
los? Ist Jazz tot? Ist Jazz eine Minderheitenmusik? Ist
War mit diesen auch die Jazzkritik gestorben? Gibt
erreichen und auf ernsthafte – oder auch nicht statt-
Jazz zu intellektuell, zu komplex? Oder wird Jazz ein-
es heute nur noch Feuilletonchefs, die mit Rock und
findende – Kritik zu antworten, authentischer Jazz
fach nur missverstanden?
Pop sozialisiert sind und Jazz gar nicht mehr wahr-
von Künstlern, die für ihre Musik brennen.
nehmen? Womit wir wieder bei Thomas Steinfeld
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aktuelles Zur jazzahead 2012
VON WEHMUT GEPRÄGT
ma Jazzkritik aus ihrer Sicht. Nils Wülker brachte es
wie erwartet den Huster und das gesamte Publikum
Keith Jarrett, bei dem jemand hustet und der Meister
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WER KENNT JAZZ?
von der Süddeutschen Zeitung wären, der allerdings
Branford Marsalis hat alle diese Fragen in eine ge-
räumt, als er Baldur Bockhoff in den goldenen 80ern
packt: „Kann eine Musik wichtig sein, die die meis-
jemals zur Verfügung stand.
ten Menschen nicht kennen?“ Wie man Jazzmusik
Hans-Jürgen Linke, ehemals Musikredakteur bei der
wieder bekannter machen könnte, wie man sie heu-
Frankfurter Rundschau, verwies darauf, dass nur
te vermitteln soll (und ob!) waren die Leitfragen des
fünf Prozent der Zeitungsleser das Feuilleton ihrer
12. Darmstädter Jazzforums, das sich das Thema
Zeitung in die Hand nehmen. Wieviel Prozent davon
Vermittlung in Schule und durch Medien auf’s Pa-
sich für den Gegenstand Jazz interessieren, will man
in seinen Seiten dem Jazz durchaus mehr Raum ein-
auf den Punkt: „Ich will meine Musik teilen. Ob mir
Andreas Kolb Mehr zum Thema Auf Seite 4 dieser Ausgabe rezensiert Markus Klohr von der Stuttgarter Zeitung einen VideoClip der Nils Wülker Group. Klohr ist Preisträger des 1. Online-Wettbewerbs jazz:kritik, der am 1. Oktober in Darmstadt vergeben wurde. www.jazzkritik.de