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Mit den offiziellen Mitteilungen der Jeunesses Musicales, des Verbandes deutscher Musikschulen, des Deutschen Tonkünstlerverbandes, der GMP und des vbs
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Nr. 2/13 · 62. Jahrgang
Magazin
Themen, Rezensionen
Kritik
Verbände, Pädagogik
DTKV
Seite 3 Magazin Zur Wiederentdeckung des Komponisten Aldo Finzi (1897–1945)
Kulturpolitik Seite 12 Denkfabrik Graz: Wer verändert die Gesellschaft – Finanzen oder Kultur?
Seite 21 Berichte „What‘s Next?“ und „Jetzt“ – ein Doppelabend in Montpellier
Seite 31 Forum Musikpädagogik Inklusion als Herausforderung für musikalische Bildungsinstitutionen
Bundesverband Seite 46 Musikwerkstatt Jugend: Detailliert arbeiten und ein Wir-Gefühl schaffen
Magazin Seite 6 Musikanten: Zum Tod von Theo Brandmüller und Peter Kiesewetter
Seite 18 Schallplatten Die nmz-Kritiker haben gewählt: die wichtigsten Tonträger 2012
Seite 23 Berichte Zum Festival „sportstücke“ der Berliner Gesellschaft für Neue Musik
VdM Seite 34 10.000 Besucher beim Stuttgarter Musikfest für Kinder und Jugendliche
DTKV Nordrhein-Westfalen Seite 49 Klavierunterricht für Blinde am Duisburger Institut für Pianistik
Keil-Teil Kommt Ihnen das Bild auf dieser Titelseite auch bekannt vor? Zwangsrekrutierte Mitglieder der Gesellschaft, die als entrechtetes Hörvieh ihr Dasein in einem fensterlosen, offenbar der Musikdarbietung dienlichen Saal fris ten? Nur ein Modell, sagen Sie? Umso schlimmer – da werden die Experimente am lebenden Objekt offenbar akribisch vorbereitet! Am effizientesten lässt sich das Publikum nach neuesten Erkenntnissen anscheinend durch eine Anordnung akustisch knechten, die einem Weinberg nachempfunden ist. Die Metapher sitzt: Wenn man auf allen Plätzen gleich gut hört, kann man die Brieftaschen des zahlenden Publikums auch gleichmäßig entsaften … Wie dem auch sei, dass Konzertsaalbauten sich innen immer stärker einander annähern, daran hat man sich mittlerweile gewöhnt. Dass sie sich nun aber auch in ihrer äußeren Erscheinungsform zu ähneln beginnen, gibt doch zu denken. Schlagen Sie mal die Seiten 10/11 auf: Fesch, wie sich der Typus „Zerborstener Keil“ mühelos jeder Umgebung anpasst! Ob in den Tiroler Voralpen oder am Rande der Pariser Stadtautobahn – das Ding macht einfach was her. Und da in beiden Fällen auch finanziell alles in Butter zu sein scheint, drängt sich die Frage auf, warum es woanders um neue Säle immer so ein unsägliches Gedöns gibt. Wo bleibt die Firma, die das Geschäftsmodell „Konzerthaus von der Stange“ endlich konsequent anpackt? Die den Münchnern, den Bochumern, den Saarbrückern (siehe Seite 10 unten) und all den anderen Zauderern und Jammerlappen das Keil-Teil mit Weinberg-Funktionalität einfach zum Fixpreis hinstellt? Auch neue Märkte ließen sich ganz schnell erschließen. Flugs ist undercover ein Förderverein gegründet, der in einer Stadt oder Gemeinde so lange auf die Pauke haut, bis man dort das günstige Pauschal angebot mit Kusshand nimmt. Und für den Fall dass dann niemand so recht weiß, was man mit dem neuen Dingsda eigentlich anstellen soll, gibt’s noch das optional buchbare Programmpaket mit Lang-Lang-Garantie obendrauf. Wie meinen? Publikum zum Beschallen und Entsaften gibt’s da möglicherweise gar nicht? In diesem betrüblichen Fall hilft nur noch eins: Der steinige Weg der Nichthörer-Forschung muss beschritten werden (siehe Seite 17). Sollte sich beim Schließen dieser wissenschaftlichen Lücke herausstellen, dass diese bedauernswerte Bevölkerungsschicht den Besuch keilförmiger Gebäude grundsätzlich ablehnt, müsste das Firmenportfolio eben ausnahmsweise um eine architektonische Variante erweitert werden. Falls Sie sich wundern, warum diese Gebrauchsanweisung für das Start-up eines künftigen Erfolgsunternehmens auf Seiten der nmz-Ausgabe verweist, die Sie gerade in der Hand halten, so hat das vor allem einen Grund: um Ihnen die Orientierung in unserer Zeitung zu erleichtern, die wir gemäß den Ergebnissen unserer langjährigen Leserund Nichtleserforschungen ein wenig umgestaltet haben. Diese haben nämlich ergeben, dass sich ein Musikfachblatt idealerweise in vier Bücher in der Rhythmisierung lang-kurz-lang-kurz gliedert und im 70er-Raster gedruckt ist. Wir hoffen, sie liest sich von allen Plätzen aus gleich gut. Juan Martin Koch
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Wenn die Projektitis chronisch wird Projekte können das Fördersystem vitalisieren, sie ersetzen es nicht · Von Bojan Budisavljevic „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, so lautet einer der berühmtesten Sätze des rechten Staatsrechtlers Carl Schmitt, oft auch als „Kronjurist des Nationalsozialismus“ bezeichnet (was seine tatsächliche Wirkung allerdings mehr als übertreibt). Gemeint ist damit, dass nur derjenige, der die Regeln, die ihm selbst zur Macht verholfen haben, zu übertreten und abzuschaffen vermag, die wahre und uneingeschränkte Macht besitzt. Wird diese in Frage gestellt, so wird abermals die Verfassung ausgesetzt, wird ein neuer Staatsstreich fällig, und so weiter. Was nun soll dieser Ausnahmezustand zu tun haben mit der Kunst und Kultur, wo es in der Regel weniger um Fragen der Macht geht und der Begriff der Souveränität weniger gebunden ist an deren Ausübung als an, sagen wir mal: die „bella figura“?
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ielleicht verhilft er zu erkennen, in was für einer immer weiter um sich greifenden Kultur des Ausnahmezustands wir leben, wenn neben alternativen Wohnprojekten, Arbeitslosenprojekten, dem Projektunterricht und vielem anderem mehr, auch in unserem zwar kleinen, aber nicht unbedeutenden Bereich staatlichen Handelns, der Kultur, immer mehr zugunsten von Projekt- und zulasten von Strukturförderungen entschieden wird; wenn aufgrund einer immer mehr projektweisenden Organisation von Leben und Handeln, natürlich auch Bildung, Kunst und Musik aus dem Bereich einer beinahe alltäglichen Praxis verschwinden und zu einer zufälligen Abfolge einmaliger Ereignisse werden, deren Bindungsqualitäten lose und die Erlebnisqualitäten wenig nachhaltig sind. Denn das Projekt ist der Ausnahmefall; es ist ein Plan oder Entwurf, der, weil beschränkt hinsichtlich des Ziels und der Zeit, naturgemäß un-
abgeschlossen bleibt. Das Projekt ist die Ausnahme von der Regel, und so bevorzugt es den Augenblick und vernachlässigt die Dauer, und daher verliert es eines leicht aus dem Blick: die Perspektive – oder auch das Ganze. Als solches ist das Projekt natürlich und notgedrungenermaßen auch institutionenfeindlich, denn Institutionen organisieren die Erledigung von Aufgaben sowie den Einsatz entsprechender Mittel auf Dauer, ihr Zeithorizont ist unabgeschlossen, der Augenblick ist für sie ein Glied in einer prinzipiell endlosen Kette von Ereignissen – und das seit ihrer Begriffsbestimmung im Römischen Recht, als in den Digesten die öffentlichen Einrichtungen auf den Begriff des „vitam instituere“ gebracht wurden, auf die Einrichtung des Lebens nach Maßgaben einer ebenso materiellen wie ideellen allgemeinen Wohlfahrt. Aufgabe von Institutionen wäre demnach die ununterbrochene Pflege (lat. cultus) von Dingen zugunsten der Allgemeinheit, und die von solcher der Musik gewidmeten ließe sich auf den sicher etwas altertümlichen Begriff der „Musikpflege“ bringen. Gewiss, das Wechselspiel von Routine und Innovation ist hierbei nicht auszublenden, auch nicht die Notwendigkeit von ausnahmeartiger Intervention zwecks Erneuerung zuweilen dann doch „verkrusteter“ institutioneller Strukturen. Aber dieser Grundzug der institutionellen Musikpflege, der Pflege des Grundes und der Grundlagen, kann und darf nicht verloren gehen. Hier sind, wenn auch mehr oder weniger innovationsbedürftig, Schulen, Musikschulen, Hochschulen, Theater und Orchester sowie der Rundfunk gleichermaßen „systemrelevant“. Bloßer und wenn auch gut gemeinter Interventionismus in dem einen oder anderen Bereich kann das System nur aus dem Lot bringen und letztlich zerstören, weil er wie die Ausrufung
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des Ausnahmezustands mit starken Maßnahmen und (Macht-)Mitteln die jeweils vorhandene Struktur oder „Verfassung“ aussetzt. Als Souverän gilt heutzutage in Deutschland das Volk über dessen gewählte Vertreter. Einige von ihnen versammelten sich Anfang November letzten Jahres zur 73. Sitzung des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien bei einer öffentlichen Expertenanhörung zum Thema „Struktur öffentlicher Kulturförderung inklusive der Musikförderung“ (siehe http://www.bundestag.de/bundestag/ ausschuesse17/a22/oeffentliche_Sit zungen/73_sitzung/index.html). Natürlich, bekannte und notwendige Partikularinteressen von Parteien und Verbänden ließen sich ebenso ausmachen, wie das verfassungsrechtliche Problem des Kooperationsverbots zwischen dem Bund und den Städten und Ländern in Sachen öffentlicher Kultur und der daraus resultierenden Aufgabenteilung: Ersterer ist zuständig für die nationale Bedeutung, letztere für die so genannte Grundversorgung. Doch während Städte und Länder für die Förderung der Kultur und somit für diejenige der Musik beinahe 90 Prozent bereitstellen, Mittel, die wiederum zum allergrößten Teil für Fixkosten und Unterhalt verbraucht werden, sind die übrigen 10 bis 12 Prozent des Bundes in der Regel freie Projektmittel, oder, siehe oben, Mittel für Ausnahmehandlungen. Was über alle unterschiedlichen Ansichten hinaus erfreulicherweise zu vernehmen war, war so etwas wie ein breites Bekenntnis zum System der Kultur hierzulande, zu seiner institutionellen Verfassung in den Städten und Ländern. Wichtiger aber war, dass allgemein die Notwendigkeit spürbar wurde, dieses auch mit Mitteln und Möglichkeiten des Bundes zu neuem Leben zu erwecken, sprich: die Aus-
nahme und die Regel neu und langfris tig ins rechte Verhältnis zu setzen. Das eindringlichste Votum für eine neue Balance zwischen Projekten und Institutionen zur Verbesserung gerade der Lage Letzterer formulierte allerdings der größte Projektförderer, die Kulturstiftung des Bundes. Ihr Vorschlag speiste sich aus der Erfahrung von zehn Jahren Projektförderung anhand von Programmen wie Tanzplan, Netzwerk Neue Musik, Doppelpass oder Kulturagenten. Diese Projekte, die nationale Bedeutung und internationale Wahrnehmbarkeit erlangt haben, wären ohne Institutionen überhaupt nicht zu realisieren gewesen. So sprach Hortensia Völckers von neuen „Verantwortungsgemeinschaften“, die diese Projekte gestiftet haben, um das jeweilige Genre zukunftsfähig zu machen. Und um in dieser Art umfassend zu wirken, stellte sie die Idee einer kulturellen Exzellenzinitiative in den Raum, die – vergleichbar mit den großen Programmen des Bundes zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen – „im Kulturbereich über fünf oder zehn Jahre Strukturen stimulieren und auf den Weg bringen könnte“. Oder anders gesagt: Projekte vitalisieren das System, sie ersetzen es nicht. Wer das verwechselt, der verlängert den permanenten Ausnahmezustand. Wirklich souverän ist, wer ihn jedoch beendet. Der Autor war künstlerischer Leiter des Netzwerk Neue Musik
Titelbild Im Weinberg des Klangs: Modell des Zuschauerraums der geplanten Pariser Philharmonie. Lesen Sie hierzu unser Feature auf Seite 11. Foto: Nicolas Borel