ifa-Edition Kultur und AuĂ&#x;enpolitik
Kulturelle Faktoren der Geopolitik WIKA-Report (Band 2)
WIKA-Report (Band 2) Kulturelle Faktoren von Geopolitik Herausgegeben von Gerd Ulrich Bauer und Bernd Thum in Kooperation mit dem ifa (Institut f端r Auslandsbeziehungen), Stuttgart und Berlin
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Impressum
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Der WIKA-Report ist gefördert durch das
Wissenschaftlicher Initiativkreis Kultur und
ifa (Institut für Auslandsbeziehungen).
Außenpolitik (WIKA) http://www.ifa.de/wika
Herausgeber Gerd Ulrich Bauer und Bernd Thum
Vorsitzende:
in Kooperation mit dem
Prof. Dr. Caroline Robertson-von Trotha
ifa (Institut für Auslandsbeziehungen),
Karlsruher Institut für Technologie – KIT,
Stuttgart und Berlin
ZAK | Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale, Rüppurrer Str. 1a,
Redaktion und Lektorat
Haus B, D–76137 Karlsruhe
Gerd Ulrich Bauer
caroline.robertson@kit.edu
Gudrun Czekalla Dorothea Grassmann
Geschäftsführung: ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)
Satz und Gestaltung
Gudrun Czekalla
Gerd Ulrich Bauer
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D–70173 Stuttgart
Thum [BT] und Gerd Ulrich Bauer [GUB].
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INHALTSVERZEICHNIS Grußwort von Dr. Heinrich Kreft, Botschafter und Beauftragter für Außenwissenschaftspolitik, Bildung und den Dialog
zwischen den Kulturen im Auswärtigen Amt
7
Vorwort von Ronald Grätz, Generalsekretär
des ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) 10
A. Schwerpunktthema Kulturelle Faktoren von Geopolitik
– Dokumentation des WIKA-Workshops 2013, 18./19. Juli 2013, Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft (ZAK) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) Kulturelle Faktoren von Geopolitik:
WIKA-Workshop 2013 13 von Caroline Robertson-von Trotha (Karlsruhe) und Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg) Eine Geopolitik funktionaler Räume
Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel
17
Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte
36
von Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg)
von Sarhan Dhouib (Kassel)
Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und
Möglichkeiten einer deutschen Auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik aus historischer Sicht von Kurt Düwell (Düsseldorf)
Politische Handlungsräume durch Medienkommunikation?
Public Diplomacy unter der Obama-Administration von Henrike Viehrig (Bonn)
46
60
4
Chinas Geopolitik und ihre kulturelle Unterstützung von Falk Hartig (Frankfurt am Main)
64
Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit
und die Rolle der Luftfahrt 70 von Kurt Möser (Karlsruhe)
Gesellschaft und Politik im ‚fremden‘ Raum: Raumwahrnehmungen
deutscher Reisender in Sizilien im 18. und 19. Jahrhundert
81
Kultur-Weltpolitik – eine paradoxe Antwort auf die Große Krise
87
von Rubina Zern (Heidelberg)
von François de Bernard (Toulouse/Paris)
Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus.
Eine wissensgeschichtliche Perspektive 94 von Christine Isabel Schröder (Bochum)
Geopolitik und Kultur: Von der Dominanz westlicher Kultur zu einem kulturellen Multizentrismus und einem globalen Wettbewerb um Soft Power von Heinrich Kreft (Berlin)
100
B. Berichte aus dem WIKA Ein neuer Vorstand für den WIKA. Mitgliederversammlung
und Vorstandswahlen vom 29. November 2013
106
C. Forum – Eigenständige Beiträge Außenpolitik auf Graswurzelebene. Auswärtige Kultur- und Informationspolitik als Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft von Reinhild Kreis (Mannheim)
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in Staaten im Umbruch:
108
das Beispiel Myanmar 112 von Anna Kaitinnis (Hannover)
5
D. Dokumentation MORE EUROPE – Kultur in den europäischen Außenbeziehungen. Geschichte und Zukunft einer transnationalen Initiative von Gottfried Wagner (Wien)
120
Diskussion: „Vom Raum des Wissens zum Raum des Handelns“.
Anmerkungen zu Bernd Thum: „Ein Euro-Mediterraner Wissens-
und Handlungsraum als strategisches Ziel“ (WIKA-Report Band 1) von Armin Triebel (Berlin)
127
Karl Lamprechts Rede „Über auswärtige Kulturpolitik“ (1912). Eine Würdigung anlässlich der hundertsten Wiederkehr
ihres Jahrestags 131 von Gerd Ulrich Bauer (Bayreuth/Bad Vilbel)
Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)
137
Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union.
Bericht der Konferenz „Culture in EU External Relations“
in Brüssel, 7./8. April 2014, und kurzer Kommentar
146
Rezensionen
156
von Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg)
Auswahlbibliografie 168 zusammengestellt von Gudrun Czekalla
Der WIKA stellt sich vor
179
6
GRUSSWORT
7
GRUSSWORT Die Welt befindet sich im Umbruch. Die Globalisie-
Respekt vor der Kultur des Anderen, erreichen wir
rung lässt bisherige Gewissheiten rapide schwin-
Menschen unmittelbar und gewinnen sie für unser
den. Gewohnte Koordinatensysteme verlieren an
Land, unsere Werte und unsere Ideen. Dazu gehö-
Aussagekraft, die Suche nach Orientierung in der
ren auch Fragen der Religionsfreiheit und der Tole-
neuen Unübersichtlichkeit hat zugenommen. Wir
ranz.
sehen, wie sich neue Kraft- und Machtzentren etab-
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist ein
lieren. Wir erleben eine geradezu inflationäre Häu-
wesentliches Element der Außenpolitik und unter-
fung sogenannter Jahrhundertereignisse und eine
stützt deren zentrale Ziele:
ungekannte Beschleunigung vieler Entwicklun-
•
Europa stärken,
gen, angetrieben vor allem durch eine global ver-
•
Frieden sichern,
netzte Kommunikation, die Reaktionszeiten aller
•
t raditionelle Beziehungen pflegen und neue
Akteure herabsetzt. Globale Gewichte verschieben
aufbauen.
sich. Wirtschaftlich erstarkte Mächte beanspru-
Die AKBP leistet ihren Beitrag zur Umsetzung die-
chen mehr politische Mitsprache. In den großen
ser Ziele, indem sie:
Kraftzentren entstehen Mittelschichten, deren
•
Dialog, Austausch und die Zusammenarbeit
Verhalten das Geschehen der nächsten Jahrzehnte
zwischen Menschen und Kulturen fördert,
wesentlich prägen wird. Wir sind Zeugen revolu-
Partner und Freunde in anderen Ländern
tionärer Umbrüche und einer historischen Zäsur
gewinnt, Netzwerke von Menschen bildet und
in den arabischen Ländern. In der globalisierten
stärkt, die an Deutschland, seinen Ideen und
Welt von heute wird die weltweite kommunika-
Werten interessiert und in Politik, Wirtschaft,
tive Vernetzung immer dichter. Gleichzeitig ver-
Wissenschaft, Kunst oder in den Medien ihrer
ringert sich Deutschlands ‚natürliches‘ Gewicht in der Welt. Während wir noch 1950 nach der Bevöl-
Länder unsere langfristigen Partner sind, •
ein positives und wirklichkeitsgetreues
kerungszahl der weltweit siebtgrößte Staat waren,
Deutschlandbild im Ausland vermittelt,
liegt unser Land heute auf Platz 15 und wird bis
für den Wirtschafts-, Wissenschafts- und
zum Jahr 2050 auf Rang 26 zurückfallen. Die Ein-
Innovationsstandort Deutschland wirbt,
wohnerzahl Deutschlands wird sich in den nächs-
•
Beiträge zur Lösung regionaler und lokaler
ten Jahrzehnten um mindestens 10 Millionen Men-
Konflikte leistet, insbesondere dort, wo sie
schen verringern, der Anteil der über 65-Jährigen
auf kulturelle, religiöse oder weltanschau-
auf über 30 Prozent steigen. Seriösen Prognosen zufolge könnte Deutschland als Wirtschaftsmacht seinen angestammten führenden Platz bis 2050
liche Gegensätze zurückzuführen sind, •
Menschen nach Deutschland bringt, die temporär oder dauerhaft hier bleiben wollen.
verlieren und nicht nur von China, sondern auch
Mit den drei Pfeilern der AKBP, den 1.780 Schulen
von Indien, Brasilien, Russland und weiteren Staa-
im Partnerschulnetzwerk, den 159 Goethe-Institu-
ten überholt werden.
ten (GI) und den jährlich über 40.000 geförderten
Es geht für Deutschland darum, Einfluss in der
ausländischen Studierenden und Akademikern
Welt zu sichern und die Globalisierung verantwort-
des Deutschen Akademischen Austauschdienstes
lich mitzugestalten. Die Auswärtige Kultur- und
(DAAD) und der Alexander von Humboldt-Stiftung
Bildungspolitik (AKBP) kann als Cultural Diplomacy
(AvH) erreichen wir Hunderttausende überwiegend
mehr denn je einen substanziellen Beitrag dazu
junge Menschen in aller Welt.
leisten. Mit den Instrumenten der Bildung, des
In den Transformationspartnerschaften, die
Austauschs und des Dialogs sowie mit dem part-
Deutschland 2011 den Ländern des arabischen Auf-
nerschaftlichen Ansatz, geprägt vom gegenseitigen
bruchs angeboten hat, setzen wir vor allem auf die
8
Instrumente der AKBP. Die Förderung von Kultur, Medien und vor allem Bildung ist essenziell, um den Boden zu bereiten und Freiräume zu schaffen für die dauerhafte Verankerung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in dieser wichtigen Nachbarregion Europas. Will Deutschland seinen Einfluss in der Welt behaupten und die Globalisierung verantwortlich mitgestalten, müssen wir die Kräfte bündeln und noch stärker auf eine Außenpolitik setzen, die Kultur einbindet.
Dr. Heinrich Kreft
Botschafter und Beauftragter für Außenwissen
schaftspolitik, Bildung und den Dialog zwischen den Kulturen im Auswärtigen Amt, Berlin
9
VORWORT
10
VORWORT Seit es Menschen auf dieser Erde gibt, handeln sie
Wir leben nicht mehr im Zeitalter langfristige
geopolitisch, das heißt in überspitzter Deutlichkeit,
Veränderungen bringender Eroberungskriege. Die
der Stärkere verfolgt die Strategie, Territorien zu
Geschichte hat uns die Erkenntnis vermittelt, dass
erobern, und das Ziel, so die eigene Macht durch
wir gemeinsame Sicherheit nur durch gemeinsame
Herrschaft über materielle und menschliche Res-
Abhängigkeiten herstellen können (das beste Bei-
sourcen zu vermehren. Geopolitik im traditionellen
spiel hierfür ist die EU). Dies verschafft der Kultur
Sinne versucht die geografische Lage von Regionen
als Element und Faktor der Konfliktbearbeitung
und Kontinenten politisch zu deuten. Es geht um die
wie auch der konstruktiven Verbindung der politi-
Logik der Machtausdehnung, die naturgegeben eine
schen Akteure eine hervorragende Bedeutung.
Vereinheitlichung nach sich zieht und dazu neigt,
Das Verhältnis von Kultur und Geopolitik erfor-
die verschiedenen geografischen, historischen und
dert angesichts des Misserfolgs militärischer Ope-
kulturellen Räume auf wenige Orientierungslinien
rationen ein neues Denken geopolitischer Katego-
zu reduzieren. Geopolitik, so verstanden, ist oft der
rien. Sicherlich war die totale Überwachung durch
Kern internationaler Beziehungen.
die NSA (und anderer) eine neue Art der Geopolitik
Bei gewalttägigen Auseinandersetzungen fühlen
– die nächsten (hoffentlich nie eintretenden) Kriege
sich oft gerade geopolitische Strategen bestätigt, statt
werden eher mit Software und von Hackern als mit
zu sehen, dass sie mitunter die Hauptursache der
militärischen Waffen gewonnen. Information und
Konflikte sind. Die dadurch bewirkte Dynamik ist so
ihre Steuerung ist nach dem Alphabet die zweite
komplex geworden, dass wir nicht mehr nur von klas-
Welle, die bis in die kulturellen, ökonomischen
sischen strategischen Interessen ausgehen dürfen,
und politischen Fundamente der Gesellschaft
sondern nach der Bedeutung von Kultur als Macht-
reicht, und zwar durch Speicherung.
faktor (Soft Power) von Geopolitik fragen müssen.
Aus Kultursicht wird man Daten anders zusam-
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler
menfügen: zu einem Konflikten rechtzeitig entge-
Samuel P. Huntington – er muss in diesem Zusam
gensteuernden, ein Bewusstsein von Gemeinsam-
menhang erwähnt werden – thematisierte in sei-
keit fördernden Kulturwissen. Dabei sollte man,
nem Buch „The Clash of Civilizations and the Remaking
Bernd Thum folgend, von „funktionalen Räumen
of World Order“ (1998) die Bedeutung von Kulturen
verdichteter Kommunikation, Interrelation und
als geopolitische Akteure, wobei religiöse, geografi-
Interaktion ausgehen, von Fragen des gemeinsa-
sche, politische Kategorien, Identitäts- und Sprach-
men geschichtlichen Erbes, des aufeinander bezo-
kategorien auf sträfliche Art und Weise vermischt
genen Handelns, des gemeinsamen Wissens, der
und zu einem allzu simplen Schema reduziert wur-
gemeinsamen Geschichte“, um auf diese Weise
den. Aber wir sollten kritisch darüber nachdenken,
„zumindest zu anderen Motiven und Ursachen geo-
ob kulturelles Denken und eine Analyse von Geo-
politischen Handelns zu kommen, vielleicht sogar
politik aus kultureller Sicht der Diskussion nicht
zu Alternativen hierzu“.1
etwas Entscheidendes beisteuern kann und in Zei-
Nach diesen Alternativen fragt die vorliegende
ten der Globalisierung über die variable Geomet-
Publikation, und so wie wir uns in der Europä-
rie von Allianzen hinaus die herkömmliche, stets
ischen Union in der Diskussion um das Ende des
konfliktträchtige Geopolitik verändern könnte. In
Nationalstaats und um seine Alternativen befin-
einem so veränderten Konzept von Geopolitik käme
den und wir als Kulturmittler eine andere Land-
dem Kulturdialog eine wesentliche Rolle zu, weil er
karte, die eines Europas der Kulturen zeichnen,
verweisen könnte auf die friedensstiftende und ver-
so ist auch global insbesondere das gemeinsame
bindende Macht der Verständigung und des gegenseitigen Verständnisses.
1 Mündliche Stellungnahme von Bernd Thum auf dem WIKA-Workshop 2013 in Karlsruhe.
11
WIKA-Report (Band 2)
Kulturwissen von Regionen vielleicht die Basis
Kulturarbeit ist Friedensarbeit und der kultu-
und der Boden, auf dem ein neues Sozialkapital,
relle Dialog die beste Alternative zu herkömmli-
ein neuer Modus der Bearbeitung von Missver-
cher Geopolitik, denn er setzt auf Verständigung
ständnissen und der Erlangung von Verständnis,
und Verstehen, auf Akzeptanz von Unterschieden
eine gemeinsame Referenz und somit veränderte
und der Entdeckung des Gemeinsamen, er setzt auf
Wahrnehmung, Deutung und Gestaltung von Welt
Kooperation und Anerkennung.
erreicht werden kann. Wenn traditionelle kulturelle Zuweisungen bisher stets vor dem Raster des Staates und von seinen
Dies ist der Auftrag und das Ziel, das sich das ifa setzt, und deshalb ist dieses Thema eines der zentralen Handlungsfelder des ifa.
machtpolitischen und ökonomischen Interessen her
Dass der WIKA auf seinem Workshop 2013 die
gesehen wurden, mitunter auch im Zusammenhang
Relevanz der kulturellen Faktoren von Geopoli-
mit Hegemoniebestrebungen von Religionen, so
tik deutlich gemacht hat, freut mich daher beson-
kann das Bewusstsein eines gemeinsamen Kultur-
ders. Ich wünsche der vorliegenden Publikation
wissens vielleicht eine starke globale kulturelle Iden-
eine große Leserschaft und bin mir sicher, dass
tität herstellen, die sich vor allen Dingen als Kom-
das Thema Geopolitik auch weiterhin Forscher
munikation mit der Welt versteht und sich nicht
und Praktiker auf dem Feld der internationalen
ständig aufgefordert sieht, sich gegen andere durch-
Kulturbeziehungen beschäftigen wird. Prof. Dr.
zusetzen. Dies könnte dazu führen, dass Geopolitik
Bernd Thum und Dr. Gerd Ulrich Bauer danke ich
im herkömmlichen Sinn nicht mehr gewollt wird.
für die umsichtige Herausgabe und Redaktion des
Wenn Kultur die Basis von Geopolitik wird,
vorliegenden WIKA-Reports. Mein Dank gilt auch
dann muss auch Politik in ihrem Handeln, das sich
der WIKA-Vorsitzenden, Prof. Dr. Caroline Robert-
bisher auf die Herstellung von Macht konzent rierte,
son-von Trotha, die gemeinsam mit Prof. Dr. Bernd
auf Herstellung einer nachhaltigen Ordnung sozia-
Thum den Workshop konzipiert und ausgerichtet
len und menschlichen Zusammenlebens zielen. So
hat. Den Referenten und Teilnehmern danke ich
kann man zugleich auch Kultur verstehen.
für ihre klugen Beiträge und die anregenden Dis-
Kulturwissen als Grundlage politischen Han-
kussionen.
delns wäre eine radikale Neuorientierung. Das ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) als Kompetenzzentrum zu Fragen des Verhältnisses zwischen Kultur und Außenpolitik analysiert kulturelle Aspekte politischen Handelns ebenso wie politische Aspekte kulturellen Handelns und sieht die Wechselbeziehungen zwischen Politik und Kultur, und hier konkret zwischen Auswärtiger Kulturpolitik und Macht, als Schlüssel zur Möglichkeit eines friedlicheren Zusammenlebens und einer fruchtbareren Bearbeitung von Konflikten. Nicht erst der erweiterte Kulturbegriff führte uns dazu, Kultur als Summe aller Ausdrucksformen gesellschaftlichen Zusammenlebens zu verstehen, sondern auch die engen Beziehungen zwischen Kultur und Konflikt, Kultur und Entwicklung, Kultur und Menschenrechten, Kultur und Ökologie und nicht zuletzt zwischen Kultur und Geopolitik zu sehen.
Ronald Grätz
Generalsekretär des ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)
12
A. SCHWER足PUNKT足 THEMA Kulturelle Faktoren von Geopolitik Dokumentation des WIKA-Workshops 2013, Karlsruher Institut f端r Technologie (KIT)
13
Diese werden als Soft Power genutzt, um durch
Kulturelle Faktoren von Geopolitik: WIKA-Workshop 2013
kulturelle Attraktivität, möglichst überzeugende Diskurse und ein gutes Informationsmanagement Einfluss auszuüben. Das Militärische tritt im Ganzen eher in den Hintergrund oder wird verschleiert. Kulturelle Faktoren werden genau bedacht und mehr oder weniger machtvoll ins Spiel gebracht. Kooperative Kultur-, Bildungs-, Wissen-
von Caroline Robertson-von Trotha (Karlsruhe) und Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg)
schafts- und Austauschprogramme sind subtilere Instrumente von Soft Power. Einige Staaten setzen mit Medienbeeinflussung, Kommunikationsüber wachung und Kommunikationsanalyse im ‚Ziel-
Der Wissenschaftliche Initiativkreis Kultur und
land‘ auch gröbere Mittel ein. Wie kann man alle
Außenpolitik (WIKA) ist eine Einrichtung des ifa
diese Instrumente nutzen, wie werden sie genutzt,
(Institut für Auslandsbeziehungen), Stuttgart und
um politisch-gesellschaftliche Räume verstärkter
Berlin. Seine Aufgabe ist es, Auswärtige Kultur-
Einflussmacht zu schaffen und zu sichern? Die Bei-
und Bildungspolitik in Deutschland und Europa,
träge im Themenschwerpunkt dieses Bandes versu-
aber auch im größeren, globalen Maßstab wissen-
chen Antworten zu geben.
schaftlich zu begleiten: durch praxisrelevante For-
Geopolitik ist eine Form von Politik. Was ist
schung, aber auch durch Klärung der theoretischen
Politik? Das Wort ‚Politik‘ ist abgeleitet vom Begriff
Grundlagen von Außenkulturpolitik. Zum Selbst-
der ‚Polis‘, dem Bürgerverband des alten Griechen-
verständnis des WIKA gehört ebenso die Erarbei-
lands, der sich durch Freiheit und Gleichheit sei-
tung von Konzepten und, wie es in seiner Selbst-
ner Mitglieder auszeichnete und sich selbst eine
darstellung heißt, von „innovativen Modellen einer
Ordnung für deren Zusammenleben schuf. Dieser
künftigen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
Semantik entsprechend war für den WIKA-Work-
im internationalen Vergleich“.
shop 2013 grundlegend ein Verständnis von Politik
Jedes Jahr veranstaltet der WIKA einen Wissen-
als der Gesamtheit von Konzepten, Interaktionen,
schaftlichen Workshop, 2013 im Torbogengebäude
Prozessen und Institutionen, mit denen in einer
des Karlsruher Schlossgartens. Partner des WIKA
Gesellschaft beziehungsweise einem Land oder
war das Zentrum für Angewandte Kulturwissen-
zwischen Gesellschaften beziehungsweise Län-
schaft (ZAK) des Karlsruher Instituts für Technolo-
dern Ordnungen des Zusammenlebens gefunden,
gie. Thema des Workshops war die Rolle kultureller
begründet und gesichert werden können. Politik in
Faktoren im geopolitischen Denken und Handeln –
diesem Sinne zielt nicht auf kurzfristige, sondern
weltweit, in den USA, in China und in Europa. Geo-
auf dauerhafte Ordnungen. Sollen die Ordnungen
politik ist seit etwa 1990 auch in Deutschland, in
dauerhaft sein, müssen sie gerecht (‚fair‘) sein.
mehreren Phasen, wieder ins Zentrum politischer
Gilt dies auch für Geopolitik? Folgt man dem dar-
Diskurse gerückt. Heute ist Geopolitik durch die
gelegten Verständnis von Politik, käme es auch bei
Auseinandersetzungen im Mittelmeerraum und in
Geopolitik darauf an, für Räume, die das Territorium
Osteuropa Thema einer breiteren Öffentlichkeit,
eines Staates überschreiten, eine dauerhafte, gerechte
genug Anlass, um das Interesse des ifa am Thema
Ordnung des Zusammenlebens von Menschen, Grup-
Geopolitik tiefer greifend zu begründen, wie dies
pen, Gesellschaften, Ländern zu finden. Die Wirklich-
ifa-Generalsekretär Ronald Grätz in seinem Vor-
keit sieht meist anders aus. Ist ein anderes Verständ-
wort zu diesem Band unternimmt.
nis von Geopolitik möglich und vielleicht sogar in die
Geopolitik stützt sich heute neben wirtschaftlichen wesentlich auch auf kulturelle Faktoren.
politische Praxis umsetzbar? Darüber nachzudenken, war auch eines der Themen des Workshops.
14 Kulturelle Faktoren von Geopolitik: WIKA-Workshop 2013
Der Begriff (nicht das Wort) Geopolitik wird
klassischen Geopolitik schon angedeutet. Sie zielt
meist mit Friedrich Ratzels Werk „Politische Geo
auf staatlich organisierte Macht und deren Aus-
graphie“ (1897) in Verbindung gebracht. Der bedeu-
weitung auf andere Territorien, sie zielt auf geo-
tende Geograph Ratzel (1844–1904) wollte Politik
grafische Linien, auch Verbindungslinien, über die
auf vereinfachte oder gar fiktive Naturgesetze
diese Ausweitung, meist über wie immer geartete
zurückführen, wie zum Beispiel das „Gesetz der
Stützpunkte, erfolgen soll. Und sie zielt auf hege-
wachsenden Räume“ oder die Abhängigkeit auch
moniale Herrschaft, und in letzter Instanz auf den
des Menschen von möglichst ausgedehnten ‚Lebens-
Einsatz von Gewalt. Dies muss nicht militärische
räumen‘. In Deutschland ging das Konzept Geopoli-
Gewalt sein, es kann auch wirtschaftlich und/
tik schließlich am Scheitern der Politik des ‚Lebens-
oder technologisch begründete Gewalt sein. Zur
raums‘ zugrunde, für die neben anderen insbeson-
klassischen Geopolitik gehört auch Soft Power, die
dere Karl Haushofer und sein 1922 in München
kulturelle Kontroll- und Überzeugungsmacht mit
gegründetes Institut für Geopolitik stand.
ihren kommunikationstechnischen, medialen, bil-
Kein Wunder, dass zumindest in Deutschland nach den an verschiedenen Fronten geführten
dungspolitischen und im engeren Sinn kulturellen Instrumenten.
Vernichtungskriegen des 20. Jahrhunderts nicht
Die Gefahren, die vom Konzept der klassischen
nur ‚Geopolitik‘ zum Unwort wurde, sondern eine
Geopolitik ausgehen, haben eine andere Geopoli-
Weile lang sogar der Begriff des Raums, wenn die-
tik hervorgebracht, die kritische Geopolitik. Sie
ser politisch-gesellschaftlich verstanden werden
ist notwendig, weil sie geopolitisches Denken und
sollte. Das Raum-Tabu ist inzwischen insbeson-
Handeln mit scharfem Blick analysiert und zu ver-
dere durch die wissenschaftlichen Leistungen der
stehen versucht, welche wirtschaftlichen und poli-
Sozialgeographie gefallen, in Deutschland wurde
tischen, aber auch kulturellen und ideologischen
das Geopolitik-Paradigma kritisch aufgearbeitet,
Interessen ihre Grundlage bilden. Gegenstand kri-
heute werden Wort und Begriff vergleichsweise
tischer Analyse sind auch die Verfahren, mit denen
unbefangen wieder zur Deutung politischer Vor-
diese Interessen durchgesetzt werden sollen. Ver-
gänge herangezogen. So scheint es jetzt möglich,
bunden mit der kritischen Geopolitik ist oft ein
ja geboten, sich mit Geopolitik, trotz noch beste-
neues Verständnis vom Raum, das von einem geo-
hender Vorbehalte, nicht nur als Gegenstand von
grafischen Determinismus und von der Vorstel-
Analyse, sondern auch konzeptioneller Entwick-
lung eines abstrakten ‚absoluten Raums‘ absieht,
lung zu befassen.
Räume vielmehr als Konstrukte auffasst, die durch
Im Exposé des WIKA, das mit den Einladungen zum Workshop verschickt wurde, unterschieden
Diskurse, also durch kommunikativen Austausch entstehen.
die Organisatoren – weniger im Sinne einer Ana-
Damit gelangt man aber zur Vorstellung einer
lyse als mit der Absicht erkenntnisleitende Begriffe
‚anderen‘ Geopolitik. Öffnet sich damit der Weg zu
vorzuschlagen – zwischen jeweils klassischer, kri-
der multilateralen, „partnerschaftlichen und nicht-
tischer und einer ‚anderen‘ multilateralen Geopoli-
objektivistischen“ Geopolitik, von der im Exposé
tik, die sich als „partnerschaftlich und nicht-objek-
die Rede war? Kritische Geopolitik ist an Analyse
tivistisch“ versteht.1
interessiert, weniger am politischen Handeln. Bie-
Zur klassischen Geopolitik: Ratzels Buch
tet die ‚andere‘ Geopolitik der ‚großen‘ Politik, der
heißt mit vollem Titel „Politische Geographie:
Wirtschaftspolitik, der Kulturpolitik oder sogar
oder, die Geographie der Staaten, des Verkehres
der Sicherheitspolitik Orientierungen? Zum Bei-
und des Krieges“. Damit sind die Grundlinien der
spiel multilaterale Kooperation statt Hegemonie? Partnerschaft statt Gewalt? Kommunikation statt
1 Die Unterscheidung in eine klassische, kritische und eine ‚andere‘ Geopolitik folgt Artikeln von Jan Helmig (2007) und Rainer Rilling (2013).
Reduktion des Anderen zum Objekt eigener Interessen – mit welchem geopolitischen Modell, mit
15
WIKA-Report (Band 2)
welchem geopolitischen Handeln ließe sich dies
Energie sie dies unternimmt, um jetzt und in
am ehesten verwirklichen?
Zukunft Geopolitik zu betreiben, vermittelt der
In diesem Band des WIKA-Reports liegen nun
Aufsatz von Falk Hartig (Frankfurt am Main).
die Beiträge zum Workshop 2013 in Druckfassung
Der gegenwärtigen Rolle des Vereinigten
vor. Hinzu kommt ein Beitrag von Dr. Heinrich
Königreichs angemessen, macht Kurt Möser (Karls-
Kreft, dem Beauftragten für Außenwissenschafts-
ruhe) bei seiner Darstellung britischer Geopolitik
politik, Bildung und den Dialog zwischen den Kul-
einen Schritt zurück in die Geschichte. Er unter-
turen im Auswärtigen Amt. Dieser Beitrag war
sucht, wie für die Briten nach dem Ersten Welt-
schon vor dem Workshop zugesagt worden, wofür
krieg und mit dem allmählichen Niedergang impe-
die Organisatoren sehr danken. Weitere Autorin-
rialer Macht die Beherrschung des Luftraums geo-
nen und Autoren, die nicht am Workshop teilneh-
politische Bedeutung erlangte – ein geopolitisches
men konnten, sind von der Redaktion später zu Bei-
Instrument, das für die atlantischen (angelsächsi-
trägen eingeladen worden.
schen) Mächte bis heute eine wichtige Rolle spielt.
Das Schwerpunktthema des Bandes wird mit
Überhaupt sind Schritte zurück in die Geschichte
einem programmatischen Beitrag von Bernd Thum
für eine differenzierte Sicht auf geopolitisches
(Karlsruhe/Heidelberg) zur „Geopolitik funktiona-
Denken und Handeln wichtig, weil sie die Wahr-
ler Räume“ eröffnet. Dieser Beitrag versucht eine
nehmung von Möglichkeiten und lange wirkenden
Antwort auf die oben gestellte Frage nach einer
Dispositionen befördern, die sonst vielleicht ver-
‚anderen‘, multilateralen, partnerschaftlichen
borgen blieben. Dies gilt für den Beitrag von Kurt
und nicht-objektivistischen Geopolitik sowie die
Düwell (Düsseldorf), der für die Zeit vor und auch
Bedeutung kultureller Faktoren für eine solche
noch nach dem Ersten Weltkrieg ein Zurückblei-
Politik. Der Autor wählt als Beispiel den ‚erwei-
ben Deutschlands auf dem Feld globalen geostrate-
terten Mittelmeerraum‘, den Euro-Mediterranen
gischen Denkens feststellt. Dort hatten die atlanti-
Raum, einen dynamischen, funktionalen Raum
schen Mächte bereits weit reichende Konzepte ent-
‚verdichteter‘ Beziehungen. Zur Verdichtung wech-
wickelt. Diesem Manko gegenüber standen nach
selseitiger Beziehungen gehört allerdings auch die
Düwell bedeutende kulturelle Leistungen auf den
Kommunikation über strittige Fragen, zum Beispiel
Gebieten Bildung, Wissenschaft und Technik als
über die Frage nach Universalität oder kulturspe-
„Werkzeug(e) einer Entwicklungspolitik avant la
zifischer Unterschiedlichkeit der Menschenrechte.
lettre“. Der Beitrag von Rubina Zern (Heidelberg)
Diese Frage wird in dem Beitrag von Sahran Dhouib
vermittelt ebenfalls eine geschichtliche Sicht. Die
(Kassel) gestellt, einem aus Tunesien stammenden
Autorin untersucht politisch-räumliche Vorstel-
Autor. Auch eine solche Kommunikation, die von
lungen deutscher Sizilien-Reisender im 18. und 19.
schlimmen Kollektiverfahrungen ausgehen kann,
Jahrhundert. Sie beruhen auf Wahrnehmungen
ist raumbildend, überbrückt das Mittelmeer und
von Süditalien, die bis heute die mentale Land-
schafft einen transkulturellen Raum geteilter Kon-
karte sowie das Reden in der deutschen Öffentlich-
flikte und spannungsvoller Diskurse. Henrike Vieh-
keit beeinflussen und damit auch einen kulturellen
rig (Bonn) untersucht ebenfalls eine immaterielle
Faktor für eine Geopolitik des Mittelmeerraums
Raumbildung, allerdings im Kontext klassischer
darstellen. Dies trifft auch für das lexikalische
Geopolitik. Ihr Beitrag analysiert eine besondere
Wissen zu, das in Enzyklopädien vermittelt wird.
Form von Soft Power: die mit neuesten technolo-
Christine Isabel Schröder (Bochum) untersucht in
gischen Mitteln und psychologischem Know-how
ihrem Beitrag das zeitgebundene Wissen über den
betriebene strategische Medienkommunikation
Mittelmeerraum, wie es in der Ära des Nationalso-
der USA (Cyber Diplomacy, Celebrity Diplomacy). Wel-
zialismus von den großen Lexika wie dem Brock-
che kulturelle Faktoren China, die andere große
haus oder dem Meyer vermittelt wurde. Sie sieht
Macht, ins Spiel bringt, wie und mit welch hoher
die „Aufklärung von Nicht-Wissen, das Beseitigen
16 Kulturelle Faktoren von Geopolitik: WIKA-Workshop 2013
der Ignoranz“ zu Recht als „Basis für ein politisches
Literatur
und zivilgesellschaftliches Miteinander auf Augenhöhe, für eine versöhnte Zukunft des euromediterranen Projektes“. Die globale Sicht auf Geopolitik und ihre kul-
Helmig, Jan (2007): Geopolitik – Annäherung an ein schwieriges Konzept. In: Aus Politik und
turellen Faktoren wird in dem kritischen Beitrag
Zeitgeschichte (APuZ), 20/21, S. 31–37. Online:
von François de Bernard (Toulouse/Paris) wieder-
http://www.bpb.de/apuz/30477/geopolitik-
gewonnen. Er zeigt auf, wie die großen, weltweit
annaeherung-an-ein-schwieriges-konzept?p=all
gültigen Kulturabkommen der UNESCO, die so
(zuletzt aufgerufen am 30.09.2014)
etwas wie eine Kultur-Weltpolitik (cosmopolitique culturelle) ausmachten, seit 2007/2008, dem Beginn
Ratzel, Friedrich (1897): Politische Geographie.
der so genannten Finanz- und Staatsschuldenkrise
München/Leipzig: Oldenbourg. [2., umgearbeitete
an Wirkkraft und Bedeutung verloren haben. Der
Auflage 1903 u. d. T.: Politische Geographie oder
Aufsatz von Heinrich Kreft (Berlin) schließt den
Geographie der Staaten, des Verkehrs und des
thematischen Teil ab. Er zeichnet ein multizent-
Krieges. München/Berlin: Oldenbourg]
risches Bild der kulturell-politischen Weltkarte, geprägt durch den Aufstieg neuer Akteure, ins-
Rilling, Rainer (2013): Was ist Geopolitik? Ein
besondere der BRICS-Länder, durch eine weltweit
Streifzug. In: WuF. Wissenschaft und Frieden,
veränderte Medienlandschaft sowie durch neue
H. 1, Themenheft „Geopolitik“, S. 6–10. Online:
Felder politisch-kultureller Zusammenarbeit, zum
http://www.wissenschaft-und-frieden.de/
Beispiel das Feld kultureller Aktivitäten der Zivil
seite.php?artikelID=1835 (zuletzt aufgerufen
gesellschaften oder der Kreativwirtschaft.
am 30.09.2014)
Danksagungen Die Organisatoren des WIKA-Workshops 2013 danken dem Generalsekretär des ifa, Ronald Grätz, für die engagierte Unterstützung der Themenwahl, dem Beauftragten des Auswärtigen Amts für Außenwissenschafts- und Bildungspolitik und den Dialog zwischen den Kulturen, Botschafter Dr. Heinrich Kreft, für sein substanzielles Grußwort sowie der Geschäftsführerin des WIKA, Gudrun Czekalla, Leiterin der ifa-Bibliothek, für Rat und Unterstützung bei Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung wie bei der Drucklegung der Beiträge.
17
• k ritischer Geopolitik
Eine Geopolitik funktionaler Räume
•
und einer anderen, neuen, multilateralen, partnerschaftlichen Geopolitik.
Klassische Geopolitik ist ein politisches Konzept und ist politische Wirklichkeit: Sie ist unilateral, zielt auf die Durchsetzung ausschließlich eigener
Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel
Interessen, ist objektivistisch, begreift andere Länder, Gesellschaften und Kulturen als Objekte für das eigene interessengeleitete Handeln; und sie fördert das Streben nach Hegemonie. Kulturelle Sze-
von Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg)
narien und Verfahren wie Soft Power dienen den übergeordneten Zielen. Kritische Geopolitik ist zunächst nur eine wis-
„Die Mittelmeeridentität kann man nicht
senschaftliche Analyseform, eine wissenschaftli-
erben, man erwirbt sie.“ (Predag Matvejević)1
che Herangehensweise an die reale Geopolitik der Mächte. Ins politische Handeln übersetzt, ist kri-
Brauchen wir heute noch – im Zeitalter der Globa-
tische Geopolitik aber im Grunde die Ablehnung
lisierung – ein politisches Denken in Räumen, ein
aller geopolitischen Überlegungen und Aktionen.
‚geopolitisches‘ Denken? Dies ist eine rhetorische
Die andere, neue Geopolitik, um die es in die-
Frage, denn das muss so sein,
sem Beitrag geht, ist multilateral, partnerschaft-
•
weil wir ein geopolitisch gesteuertes Handeln
lich, nicht-objektivistisch und beachtet bestehende
der Mächte allenthalben beobachten können
funktionale Strukturen.
und wir seine Motive und Hintergründe ken•
•
Konzeptionelle Ansätze dazu findet man hier
nen sollten;
und da, auch in der aktuellen Politik, zum Beispiel
weil Globalisierung gerade nicht zu einem
bei Pascal Lamy, dem früheren Generaldirektor der
amorphen Universalismus geführt hat,
World Trade Organization (WTO). In einem Anfang
zu einer Welt ohne Relief, sondern ganz
2013 in Delhi gehaltenen Vortrag stellt er fest:
unterschiedliche machtvolle Akteure und
„Geopolitics is back“, fordert er ein „multi-lateral rule
vitale Räume erst recht sichtbar gemacht
making“ und die Berücksichtigung von Interessen
hat. Die Situation erfordert eine unter-
aller bei der Sicherung einer „functional international
schiedliche Intensität der Zuwendung,
order“ (Lamy 2013). Konzeptionell wichtiger freilich
nicht zuletzt bei begrenzten Ressourcen;
als einzelne Stellungnahmen ist die wissenschaftli-
weil geopolitisches Denken verlangt, neben
che Diskussion über Räume und Raumkonstrukte,
der Dimension Raum die Dimension Zeit zu
die im vorliegenden Beitrag in einigen wesentli-
bedenken. Geopolitik zwingt, das Handeln
chen Aspekten erschlossen und in Verbindung mit
auf eine Zeitachse zu setzen, erzwingt die
dem ‚Erweiterten Mittelmeerraum‘ gebracht wird.
Sorge um Nachhaltigkeit.
Die andere, neue Geopolitik erkennt und erfasst
In dem vorbereitenden Exposé zum WIKA-Work-
kulturelle Faktoren als integralen Teil der funk
shop 20132 wird unterschieden zwischen
tionalen Ordnung. Sie betrachtet sie aber nicht als
•
ausschließliche Grundlage der Raumbildung. Wie
k lassischer Geopolitik,
kulturelle Leistungen den Erweiterten Mittelmeer1 Dieses Zitat aus dem „Mediteranski Brevijar“ des kroatischen Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers Matvejević (1987 [1993]) ist dem umsichtigen Artikel von Thierry Fabre (1996) über geokulturelle Aspekte des Mittelmeerraums entnommen. 2 Siehe hierzu die Einleitung zu diesem Thementeil.
raum, der in diesem Beitrag Euro-Mediterraner Raum genannt wird, mit-konstituiert haben und weiterentwickeln können, habe ich an anderer Stelle bereits darzulegen versucht (Thum 2012b).
18 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel
Der Mittelmeerraum als Objekt klassischer und vielleicht ‚postklassischer‘ Geopolitik
hinausreicht, und zwar nach Norden, nach Skandinavien, nach Westen, zu den atlantischen Staaten Europas, nach Osten, in die Staaten der Levante, und nach Süden, in die saharischen Gebiete. Dies ist der Euro-Mediterrane Raum. Als Erweiterter
Dieser Raum ist Objekt, ein schwer leidendes
Mittelmeerraum ist er durch viele gesellschaftli-
Objekt, klassischer Geopolitik. Die auf den Mittel-
che, wirtschaftliche, kulturelle und Sicherheits-
meerraum politisch, militärisch, ökonomisch, kul-
fragen, durch Probleme, die gelöst werden müssen,
turell und ideologisch einwirkenden Mächte, ihre
sowie durch Chancen, die genutzt werden sollten,
Aktionen und Instrumente, teilweise auch ihre
mit dem klassischen Mittelmeerraum verbunden.
Ziele sind bekannt. Eine Aufzählung der potenten,
Darüber hinaus ist er in wesentlichen Elementen
ehrgeizigen Akteure beleuchtet die Dramatik der
historisch geprägt durch mittelmeerische Kul-
Situation: USA, Russland, Israel, China, Saudi Ara-
turimpulse. Zu denen gehören nicht nur das jüdi-
bien, Qatar, Türkei, England, Frankreich…3
sche, das griechische, das oströmische (byzantini-
Gibt es auch andere Formen als den unilate-
sche) und das klassische arabische Erbe, sondern
ralen objektivistischen Zugriff? Es gibt die Union
auch das kulturelle Erbe und die gegenwärtige
für den Mittelmeerraum (UfM), einen Zusammen-
Praxis der monotheistischen Religionen Juden-
schluss von 43 Staaten der Europäischen Union
tum, Christentum und Islam mit ihren jeweiligen
und der ‚Arabischen Welt‘ plus Türkei und Israel.
intellektuellen, emotionalen und zivilisatorischen
Dieser Zusammenschluss eröffnet zumindest die
Ausformungen. Einen wichtigen Teil seiner Dyna-
Chance multilateraler, partnerschaftlicher Politik,
mik empfängt der Erweiterte Mittelmeerraum
selbst wenn diese Chance, auch von Ländern südlich
damit nach wie vor aus dem ‚klassischen Mittel-
und östlich des Mittelmeers, kaum wahrgenom-
meerraum‘ der Anrainer. Der klassische Mittel-
men wird. Die UfM wurde 2008 in Paris gegrün-
meerraum ist eine kulturelle, politische, demo-
det. Sie ist das Resultat geopolitischer Orientierun-
grafische und wirtschaftliche Gemengezone mit
gen Frankreichs, eines Kompromisses mit anderen
hohem Konflikt-, aber auch Entwicklungspotenzial,
EU-Staaten, namentlich Deutschland, sowie den
mit der man sich im größeren Euro-Mediterranen
unterschiedlichen Interessen südlicher und östli-
Raum auseinandersetzen muss.5 In meinem Beitrag
cher Mittelmeer-Anrainer an einer Verbindung mit
möchte ich also nicht am „Mythos einer Einheit des
Europa (Hrbek/Marhold (Hg.) 2009).
Mittelmeerraums“ weiterschreiben, „der größer ist
Wie auch immer Status und Praxis der Union
als alle Entwicklungsgegensätze“ (Mohsen-Finan/
im Augenblick eingeschätzt werden mögen – es
Schäfer 2014: 16). Ich möchte vielmehr den Euro-
gibt mit Blick auf Potenziale und mögliche Funk-
Mediterranen Raum als einen differenzierten funk-
tionen auch freundliche Stimmen und konstruk-
tionalen Raum beschreiben, in dem und für den
tive Vorschläge4 –, ihre Gründung öffnet den Blick
eine multilaterale, partnerschaftliche und nicht-
für ein Raumgefüge, das über den Mittelmeer-
objektivistische Geopolitik zu entwickeln wäre.
raum im klassischen Sinne, den Raum des Mittel-
Es ist leider irreführend, die UfM, wie das manch
meers und seiner Küstenländer und -landschaften
mal geschieht, vereinfachend ‚Mittelmeerunion‘ zu
3 Vgl. Hadhri (2012) als ein Beitrag aus der ‚Arabischen Welt‘. 4 In erster Linie heute das Buch von Claus Leggewie (2012), aber auch weitere Stimmen wie Ratka (2011). Zu Leggewie s. meine Rezension in diesem Band auf S. 165ff. Anregend und motivierend sind die Gedanken von Fathallah Sijilmassi, dem UfM-Generalsekretär, zu einer neuen ‚Regionalisierung‘, die dieser im November 2013 auf einer Tagung der Stiftung Gens hagen vorgetragen hat (Thum 2014).
5 Es ist daher zu bedauern, dass sich David Abulafia in seinem Buch über das Mittelmeer (2013 [2011]) in Abgrenzung zu Fernand Braudels Raumstruktur der Grande Méditerranée auf den allerengsten Mittelmeerraum beschränkt: „Mein Mittelmeer beschränkt sich eindeutig auf das Meer selbst, samt seinen Küsten und Inseln und vor allem den Hafenstädten (…)“ (ebd.: 11). Nicht einmal die durch die großen Flüsse geschaffenen Verbindungen in den größeren Euro-Mediterranen Raum will er behandeln (ebd.: 12).
19
WIKA-Report (Band 2)
nennen. Denn die UfM ist noch ein geopolit ischer
UfM erschließt den Euro-Mediterranen Raum aber
Versuch. Zwar ist man versucht, diese Struktur
nur unvollkommen, weil Teile dieses Raums, von
bereits der Sphäre jener anderen multilateralen,
denen bedeutende Energien ausgehen, nicht dabei
nicht-objektivistischen Geopolitik funktionaler
sind. Ich denke dabei an das saharische und an
Räume zuzuordnen, um die es in diesem Beitrag
Sahel-Afrika, das dem klassischen Mittelmeerraum
geht. Es gibt jedoch Anlass zum Zweifel. Die UfM
und Europa durch Geschichte, Sprache, Kultur,
steht in der Tradition des Barcelona-Prozesses, der
Bildung, Energiepotenzial, Migration und Sicher-
Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) und
heitsfragen eng verbunden ist (s. Thum 2012b: 90;
der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EUROMED).
Sambe 2012; Austen 2010).
Hegemoniale Strukturen sind, obwohl kaum the-
Der Mangel der UfM, nämlich dass sie nicht,
matisiert, trotz nord-südlicher Co-Präsidentschaft
beziehungsweise nur teilweise dem realen funktio
erkennbar, ja auf Grund des wirtschaftlichen
nalen Raumgefüge des Euro-Mediterranen Raums
Ungleichgewichts auf längere Zeit unvermeidbar.
entspricht, hat Auswirkungen auf ihr Potenzial als
Das wirtschaftliche Ungleichgewicht verstärkt
Beispiel für eine andere, neue Geopolitik der funk-
andere Ungleichgewichte, bei der staatlichen Orga-
tionalen Räume. Der Fehler besteht darin, dass die
nisation, bei der Bildung, bei der sozialen Siche-
Union der Zeitdimension, die zu einem nachhalti-
rung. Nicht zuletzt deswegen, aber auch wegen
gen geopolitischen Denken und Handeln gehört,
bestimmter Strukturfehler der Union, fehlt es dazu
vorläufig nicht wirklich entsprechen kann. Die
noch an einem entschiedenen Mitmachen der Län-
Zeitdimension der Geopolitik betrifft den Zusam-
der des Südens, von denen erst allmählich eigene
menhang zwischen der geschichtlichen Disposition
Initiativen kommen.6
eines Raums, seiner auch die Gegenwart prägenden
Bewegen wir uns mit der UfM in einem geo-
historischen ‚Programmierung‘, den aktuellen, zu
grafisch-politischen Gebilde, das nur durch Staats-
einem Teil daraus entstehenden Dynamiken und
grenzen definiert ist? Der durch die UfM erweiterte
der Gestaltung seiner Zukunft. Weil sie die Bindun-
und in Teilen politisch gegliederte Mittelmeerraum
gen des Mittelmeerraums an das saharische (auch
von Dublin bis Damaskus, von der saharischen Süd-
subsaharische) Afrika und die daraus resultierende
grenze Algeriens bis zum Nordkap, ist nicht nur
Dynamik nicht berücksichtigt bzw. einbezieht,
das, was eine oberflächliche Sicht auf die Union
beherrscht die UfM, wie sie gegenwärtig besteht,
und ein flaches Verständnis von Politik suggerie-
die geopolitisch bedeutende Zeitdimension des
ren. Er ist nämlich nicht nur ein im engeren Wort-
Euro-Mediterranen Raums nicht und bleibt auch
sinn politischer Raum, sondern auch ein Raum, der
aus diesem Grunde labil. Aus dem saharischen und
geprägt ist durch hohe wechselseitige, wenn auch
subsaharischen Afrika kommen unter oft drama-
asymmetrische Abhängigkeit, hohe Mobilität und
tischen Bedingungen die meisten Migranten, und
Migration sowie dichte Kommunikation (auch über
auch darüber hinaus sind existenziell wichtige
kulturelle Orientierungen und Werte) und ein in
Fragen zu klären: Bildung und Ausbildung, Arbeit,
wesentlichen Aspekten gemeinsames, wenn auch
Sicherheit, Energie, Ressourcen.
kulturell spezifisch orientiertes Wissen. Dieser
Klassisch ist der geopolitische Status der UfM
Raum ist ein, wenn auch konfliktträchtiger, Raum
nicht mehr zu nennen. Es finden sich Elemente einer
gemeinsamer gesellschaftlicher, politischer, wirt-
multilateralen Struktur, eines partnerschaftlichen
schaftlicher und vor allem kultureller Themen. Die
Denkens und, zumindest in der Rhetorik der Gründungsakte, auch Ansätze zur Berücksichtigung funk-
6 Etwa im Rahmen des so genannten „5+5-Dialogs“ mit jährlichen Konferenzen von Staaten des westlichen Mittelmeerraums – Frankreich, Italien, Malta, Portugal, Spanien und Algerien, Libyen, Marokko, Mauretanien und Tunesien (vgl. zu den Strukturschwächen der UfM, die ein bloßes Weitermachen nicht zulassen, Mohsen-Finan/Schäfer 2014: 8).
tionaler Strukturen. Aber die neue Geopolitik funktionaler Räume ist in der UfM noch nicht verwirklicht. Vielleicht sollte man bei der Union von einem Beispiel für ‚post-klassische‘ Geopolitik sprechen.
20 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel
Europa ist in den Euro-Mediterranen Raum,
Sicherung und Weiterentwicklung einer dauer-
wenn man von vorwiegend wirtschaftlichen oder
haften, nachhaltigen Ordnung des menschlichen
macht- beziehungsweise sicherheitspolitischen
Zusammenlebens zielt.
Beziehungen absieht, deutlich intensiver einge-
Strategisch geht es also darum, im und für den
bunden als in Beziehungsgeflechte mit anderen
Erweiterten Mittelmeerraum, dem Euro-Mediter-
Großregionen wie Lateinamerika, Ostasien, wohl
ranen Raum, in seinem umrissenen Umfang, eine
auch mit der Atlantischen Welt. In der Verbindung
gerechte, dauerhafte und nachhaltige Ordnung des
zu diesen Regionen gibt es weder die hohe Mobi-
menschlichen und gesellschaftlichen Zusammen-
lität noch die kommunikative Verdichtung, noch
lebens zu finden und realisieren. Das ist oder wäre
den gemeinsamen Bedarf an Problemlösungen. Es
die zentrale Aufgabe einer europäischen Politik
ist auch falsch, großräumliche Gliederungen im
für diesen Raum, sie wird aber gegenwärtig leider
Zeitalter der Globalisierung und der neuen Infor-
eher konfliktbedingt, ad hoc und im Ganzen lust-
mations- und Kommunikationstechnologien über-
los wahrgenommen.8
haupt als obsolet zu betrachten:
Das hier angesprochene Vorhaben mag heute
„Neue Formen der Vernetzung und inten-
angesichts des nicht zuletzt vom ‚Westen‘ angerich-
sive Austauschbeziehungen (…) sind die
teten Chaos in Nordafrika und im Nahen Osten, der
ausschlaggebenden Momente, die sich in
blutigen Aggressivität, die dazu gehört, der kalten
Regionen unterschiedlichen Maßstabs arti-
Gewalt bestimmter Staaten, der aus dem zivilisa-
kulieren und sie umstrukturieren.“ (Oßen-
torischen Regelwerk ausgebrochenen urtümlichen
brügge 2004: 4)
Gewalttätigkeit kulturell regredierender Grup-
Europa und Deutschland müssen sich jetzt fragen,
pen vermessen scheinen. Es geht hier aber nicht
was, über die klassischen Unterstützungs-Aktivi-
um kurzatmig reaktive Politik mit den klassischen
täten hinaus, der gemeinsame Erweiterte Mittel-
Instrumenten Diplomatie, Waffenstillstand, Mili-
meerraum von Dublin bis Damaskus, vom Niger bis
tär, Hilfskonvois und Rettungsaktionen. Es geht
zum Nordkap7 strategisch, geopolitisch eigentlich
nicht um Taktik, sondern um strategische Über-
bedeutet. Strategisch heißt nicht (nur) militärisch,
legungen, es geht um Geopolitik und damit um
sondern kulturell, wirtschaftlich, demografisch…,
einen weiten Zeithorizont.
also in einem weiteren, höheren Sinn ‚politisch‘.
Mächtige Akteure, die über Instrumente klas-
Die Frage, die wir uns immer wieder stellen
sischer Geopolitik einschließlich der Überzeu-
sollten, lautet: Was heißt Politik? Politik soll hier
gungsmacht von Soft Power verfügen, sind dabei,
nicht als Tagespolitik verstanden werden, auch
Raumstrukturen zu schaffen, die mit dem Euro-
nicht als Verfahren zur Durchsetzung spezifischer
Mediterranen Raum kritisch interferieren. Es han-
Eigeninteressen und Machtstrukturen. So, wie das
delt sich dabei (1.) um die durch die ostarabischen
Wort Politik hier in diesem Text verwendet wird,
Golfstaaten geprägte islamistisch inspirierte Raum-
orientiert es sich an der Herkunft von Wort und
struktur. Am welthistorischen Horizont erscheint
Begriff, nämlich an der ‚Polis‘, dem Bürgerver-
inzwischen aber (2.) auch China: Einerseits mit sei-
band des alten Griechenlands. Aufgabe der Polis
ner bis an den Rhein reichenden Geopolitik der
war die Regelung des öffentlichen Lebens durch
Neuen Seidenstraße, einem Projekt, bei dem übri-
eine Gemeinde von Freien und Gleichen, mit eige-
gens die Annäherung an eine Geopolitik funktio-
nen Gesetzen und Institutionen. Politik soll in die-
naler Räume deutlich sichtbar wird:
sem Beitrag sinngemäß als ein Denken und Han-
„Das anvisierte Seidenstraßen-System
deln verstanden werden, das auf die Herstellung,
erinnert in wenigen Umrissen, die es zurzeit hat, weniger an die bisherigen
7 Diese Formel stammt von der Stiftung Wissensraum Europa–Mittelmeer (WEM) e. V., deren räumliches Arbeitsfeld sie umreißt (Thum 2012c).
8 Dazu Mohsen-Finan/Schäfer (2014: 7, 8, 10); vgl. auch die radikale Kritik von de Bernard (2012).
21
WIKA-Report (Band 2)
nationalstaatlichen Macht- und Wertgemeinschaftsblöcke als an das verzweigte Netz unterschiedlich dichter Beziehungen, das das alte China um sich herum gesponnen hatte“ (Siemons 2014; vgl. auch Ackeret
Das Konzept des funktionalen Raums und seine Bedeutung für eine andere multilaterale, partnerschaftliche und nicht-objektivistische Geopolitik
2014). Andererseits nutzt China geopolitisch auch den so
Ein geografisch definierter Raum ist nicht unbe-
genannten Globalen Süden, der sich um die BRICS-
dingt identisch mit einem funktionalen Raum.
Staaten herum bildet.9 Chinas Expansion erfolgt
Nicht physische Merkmale wie Meere und Gebirge,
nicht durchgehend im Sinne klassischer Geopo-
nicht biologische wie die Verbreitung des Oli-
litik mit offen hegemonialem Anspruch, sondern
venbaums, nicht klimatische Gemeinsamkeiten,
mit den Mitteln eines funktionalen ökonomischen
auch nicht politische Grenzziehungen bestimmen
Austauschs, der – Chinas Überlegenheit einmal
Umfang und Charakter des funktionalen Raums,
beiseitegelassen – im Prinzip multilateral organi-
sondern die Verdichtung von Kommunikation,
siert ist. In Afrika, insbesondere im subsaharischen
Interaktion und Interrelation durch Austausch
Afrika stößt diese Geopolitik für das geopolitisch
materieller und ideeller Güter, durch Kooperation
wenig organisierte Europa schmerzhaft auf eigene
und Kollaboration, durch eine zumindest partiell
europäische Interessen und zunehmend auch auf
gemeinsame Wahrnehmung des Raums und sei-
die Interessen der südlichen Mittelmeerländer. Kul-
ner Geschichte.11 Auch Konflikte können ein Hin-
turelle Faktoren spielen bei der Geopolitik funktio-
weis auf das Bestehen funktionaler Räume sein.
naler Räume eine wichtige Rolle. Das Ansehen der
Ein funktionaler Raum definiert sich durch Hand-
Akteure hängt davon ab und mit ihm ihre Attrak-
lungsqualität (Hannah Arendt) und daher durch
tivität, mit der sie Zentrum der dynamischen Vor-
denkende, handelnde und kommunizierende Men-
gänge bleiben oder werden können, ob sie sich
schen. Seine Grenzen sind nicht abstrakte Linien,
nun auf der Idee von der globalen Führungsrolle
sie entwickeln und verändern sich mit der Inten-
des Islam aufbaut wie bei den Golfstaaten oder auf
sität wechselseitiger Beziehungen der Akteure in
der Aura von guten Geschäften und Bildung wie bei
Kultur (auch im Kulturkonflikt) und Wirtschaft, in
China (Kolonko 2014).
persönlicher Begegnung (Migration, Mobilität) und
Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich auch
nachhaltigem wechselseitigen Interesse. Die Gren-
(3.) der nordatlantische Großraum, dessen Interfe-
zen sind offen, weil funktionale Räume mit ande-
renz mit dem Euro-Mediterranen Raum dazu füh-
ren Räumen dieser Art interferieren. Auch gibt es
ren kann, dass dieser über ein umfassendes Trans-
funktionale Teilstrukturen, die selbst Räume bil-
atlantisches Freihandelsabkommen10 in einen
den, wie Sahel-Afrika oder auch Europa selbst, und
nördlichen, mit den atlantischen Mächten direkt
doch Teil des Euro-Mediterranen Raums sind. Isabel
verbundenen, und einen südlichen Teil aufgespal-
Schäfer spricht direkt von einem „Mediterranean sys-
ten wird.
tem“, das aus verschiedenen ‚Subsystemen‘ besteht; „it is a group of different spheres that work together, a complex web of life“, wobei sie nicht nur Regionen im Sinn hat. Aber eben auch diese: Das „Arab regional
9 Zum Globalen Süden als postkolonialem, anti-‚westlichem‘ geopolitischen Entwurf, s. Comaroff/Comaroff (2012). Zu beachten wäre in diesem Zusammenhang auch die Weltsystem-Theorie Immanuel Wallersteins (1974–2011) mit ihrer Betonung des Gegensatzes von Zentrum und Peripherie als entscheidendem Faktor von Weltgeschichte und globaler Politik. 10 Die Bedeutung von Freihandelssystemen für Hegemo nialmächte hat Wallerstein (1974–2011) herausgearbeitet.
system“ versteht sie „as one Mediterranean sub-system next to others (a North African sub-system including Berber and 11 Eine solche Auffassung von Räumen entspricht den elementaren Orientierungen und Erkenntnissen des spatial turn, der Topologischen Wende.
22 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel
other identities, a Middle Eastern sub-system
gerichteten amerikanischen Monroe-Doktrin von
including Israel for instance), with a constant inter-
1823, formiert sich in Abwehr, ja Aggression gegen
connection and overlapping with other systems”
andere Mächte und gipfelt notwendigerweise in
(Schäfer 2014: 67 und 69).
hegemonialen, ja imperialen Zielsetzungen. Eine
Funktionale Räume sind nicht zuletzt Teil indi-
Geopolitik funktionaler Räume hat auch nichts mit
vidueller Überzeugungen, kollektiver Erfahrung
Samuel P. Huntingtons Mixtur von klassischer und
und öffentlicher Diskurse. Das Konzept des funk-
kulturalistischer Geopolitik zu tun. Funktionale
tionalen Raums enthält also durchaus auch sozi-
Räume sind etwas anderes als Kulturräume. Über-
alräumliche Aspekte, bei denen gesellschaftli-
dies: Kulturen sind nicht starr und per se aggres-
ches, wirtschaftliches, aber auch kulturelles und
siv, sind keine Kästen mit allerlei ‚Schätzen‘, Nip-
symbolisches ‚Kapital‘ im Sinne Bourdieus eine
pes und Gelumpe darin. Vielmehr handelt es sich
wesentliche Rolle spielt (Bourdieu 1982; Oßen-
bei Kulturen um dynamische Gebilde, um Prozesse
brügge 2004: Kap. 2.1). Aber, um speziell hier einem
zwischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft, die
Missverständnis vorzubeugen: Es geht um mehr als
von der intellektuellen, moralischen und emotio-
die „individuelle symbolische Aneignung von Räu-
nalen Kraft und von der Dialogfähigkeit der sich
men“ (Kremer 2012: 141) – auch wenn dies speziell
ihnen zuordnenden Menschen leben.12
für den Euro-Mediterranen Raum über soziale, öko-
Von Carl Schmitt und Huntington ist die Geo-
nomische, politische und historische Fakten hin-
politik funktionaler Räume also weit entfernt. In
aus wünschenswert wäre. Vielmehr geht es um die
Respekt verbunden bleiben sollte sie allerdings
Analyse realer Beziehungsgeflechte, die Analyse
dem großen Historiker des Erweiterten Mittelmeer-
der Felder, auf denen sie sich entwickeln, ihrer
raums Fernand Braudel, der Umriss und Charakter
Dichte, die von innen nach außen abnimmt.
der Grande Méditerranée aus seiner Untersuchung
Funktionale Räume sollten nicht mit Kulturare-
des dichten und auch geografisch weitreichenden
alen, Kulturerdteilen oder Kulturräumen verwech-
Netzwerks wirtschaftlicher, kultureller und politi-
selt werden. Nicht ‚Kulturen‘ definieren sie, auch
scher Beziehungen vom Atlantik bis zum Indischen
wenn sich natürlich auch im funktionalen Raum
Ozean, vom saharischen Afrika bis zu den Hanse-
im Lauf der Geschichte auf Grund der verdichteten
städten abgeleitet hat (Braudel 1949ff.). Näher als
Kommunikation und Interaktion bestimmte kul-
Schmitt und Huntington ist die Geopolitik funk-
turelle Muster und Wissensinhalte herausgebildet
tionaler Räume, zumindest in manchen Aspekten,
haben und weiter herausbilden. Der Euro-Mediter-
an dem politikwissenschaftlichen Konzept des so
rane Raum als funktionaler Raum überwölbt mit
genannten Interdependenztheoretischen Ansatzes,
seinem Beziehungsgefüge die einzelnen Kultur
insbesondere an den Lehren von Joseph Nye und
areale. Die Kulturareale Nordwesteuropa, Mitteleu-
Karl Deutsch. Bei Nye geht es nicht um die Kon-
ropa, Osteuropa, Südosteuropa, Südeuropa, Nord-
stitution großregionaler Räume, sondern um die
afrika, Sahara-Afrika sind Teile des funktionalen
Beziehungen von Staaten im Zeitalter der Globali-
Großraums Euro-Mediterraner Raum.
sierung. Diese Beziehungen sieht er aber ebenfalls
Diese Klarstellungen geben Gelegenheit, die
als komplexes Netzwerk von Interaktionen einer
Unterschiede des Modells ‚Funktionaler Raum‘
Vielfalt von (auch nichtstaatlichen) Akteuren. Die
gegenüber anderen geopolitischen Konzepten her-
so entstehenden Strukturen sind für ihn keine sta-
auszuarbeiten. Wenn in diesem Beitrag gelegent-
tischen Gebilde, sondern Prozesse (Keohane/Nye
lich von ‚Großräumen‘ die Rede ist, ist dies nicht
1977). Karl W. Deutsch hat das Konzept der supra-
im Sinne von Carl Schmitt (1941) gemeint. Im
nationalen „Sicherheitsgemeinschaften“ (security
Gegenteil, dessen Lehre von den Großräumen eignet sich gut als Kontrastfolie. Der ‚Großraum‘ im Sinne Schmitts, abgeleitet von der gegen Europa
12 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Beitrag von Christine Isabel Schröder über die Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus in diesem Band.
23
WIKA-Report (Band 2)
communities) entwickelt, zu der sich ‚postmoderne‘
Erasmus-Programm.14
Staaten mit unterschiedlicher Intensität vernetzen
Inzwischen hat Europa gelernt, dass die Ver-
können, wenn sie wesentliche Werte teilen, gut
dichtung von Beziehungen, Interaktionen, Kom-
miteinander kommunizieren, wechselseitig kalku-
munikation weit über die geografischen Grenzen
lierbar sind, Mobilität fördern, eine ausreichende
Europas hinausreicht, auch und insbesondere in
gemeinsame Verwaltungsstruktur aufbauen sowie
Richtung südliches Mittelmeer, Afrika und Naher
Verantwortung und Sensibilität für einander ent-
Osten. Diese Verdichtung begründet einen größeren
wickeln (Rittberger/Kruck/Romund 2010: 176–179).
funktionalen Raum, den Euro-Mediterranen Raum,
Sollen sich funktionale Räume politisch organisie-
auch wenn der Kern des Euro-Mediterranen Raums
ren, sollten sie dies nach diesen Kriterien tun. Als
immer noch im engeren klassischen Mittelmeer
solche sind funktionale Räume aber vor-staatlich,
gebiet liegt. Der engere Mittelmeerraum der Anrai-
ja vor-politisch, auch wenn ihr politisches Poten-
nerstaaten ist nicht unbedingt das Kraftzentrum,
zial bedeutend ist.
aber doch immer noch das hochgradig sensible
13
Europa als Teil des Euro-Mediterranen Raums
Nervenzentrum des gesamten Euro-Mediterranen
ist ein gutes Beispiel für einen funktionalen Raum.
Raums in Europa, Afrika und der Levante, in dem
Es hat keine klaren geografischen Grenzen, wird
Fragen von epochaler Bedeutung wie Migration, Bil-
aber trotzdem erkennbar: als Raum, wo Beziehun-
dung, demografische Entwicklung, Arbeit, Religion
gen, wo Interaktionen sich verdichten, wo sich
und Staat, wirtschaftliches Ungleichgewicht und
Kommunikation intensiviert, wo sich über den
anderes auf eine Antwort warten.
materiellen Austausch und den Abgleich von Interessen hinaus gemeinsame Themen bilden, über die auch immer wieder heftig gestritten wird. Solche Themen betreffen nicht nur die Gesellschaft,
Wie lässt sich der Euro-Mediterrane Raum als ein funktionaler Raum erkennen?
sondern oft auch die einzelnen Menschen: Normen und Strukturen, Wirtschaft und Arbeit, poli-
Der Euro-Mediterrane Raum als funktionaler Raum
tisches Denken und Handeln, kulturelle Dispositi-
entsteht und reproduziert sich durch die enge poli-
onen, Lebensformen. Bei Ausbildung, Stabilisierung
tische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kul-
und Weiterentwicklung Europas als funktionalem
turelle Interaktion von Europa, Nordafrika, Sahara-
Raum spielen politisch-rechtliche Institutionen wie
und Sahel-Afrika und dem westlichen Teil des
die Europäische Union eine bedeutende, aber kei-
Nahen Ostens, also der Levante. Er schafft sich sein
nesfalls ausschlaggebende Rolle. Sie brauchen auch
Territorium von innen, Grenzen werden nicht von
nicht in anderen funktionalen Räumen, die sich
außen gesetzt.
politisch organisieren wollen, kopiert zu werden.
Wir schauen zunächst auf die gesellschaftli-
Wirkungsvoll arbeiten diese Institutionen ohnehin
chen, wirtschaftlichen und im engeren Wortsinn
nur dort, wo sie die wechselseitigen Beziehungen
politischen Faktoren der euro-mediterranen Raum-
und die Kommunikation betreffen und fördern:
bildung, müssen aber dann auch – entsprechend
gegenwärtig in der Wirtschaft durch den Ausbau
dem Gefüge eines funktionalen Raums verdichte-
eines gemeinsamen Wirtschaftsraums, und in
ter Beziehungen – die kulturellen Faktoren in den
Wissenschaft und Bildung durch Projekte wie zum
Blick nehmen.
Beispiel die großen Rahmenprogramme und das
Als gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren sind zu nennen, nur als Beispiele und stich-
13 Mit dem „ ‚Rätsel‘ der Entstehung von Institutionen und damit verbunden die Verstetigung von Kooperation zwischen Staaten“, allerdings auch mit „transnationalen Arrangements zwischen Gesellschaften“ befasst sich die so genannte Regimeforschung (Morisse-Schilbach/Halfmann 2012: 33).
wortartig: 14 Zum Erfolg dieses und anderer EU-Programme vgl. den im Übrigen äußerst kritischen Beitrag von François de Bernard in diesem Band.
24 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel
1. die Präsenz einer großen Diaspora von Men
keit, Migration, die seit Jahren leider immer
schen aus dem Süden in den nördlichen Län
dramatischere Formen angenommen hat, oft
dern des Raums. Sie hat über das Mittelmeer
mit tödlichem Ausgang. Angesichts der sin
hinweg Familienstrukturen und damit die
kenden Zahl der arbeitsfähigen Bevölkerung
Netzwerke entstehen lassen, die in beide Rich
im Norden ergeben sich Chancen für eine
tungen zu einem intensiven Transfer von
Lösung. Diese kann durch eine Intensivierung
Personen, Wissen, materiellen Gütern und
des kulturellen Faktors Bildung und Ausbildung
Geld geführt haben;
wesentlich leichter werden. Für französische
2. die Energieversorgung, das heißt, die Abhän gigkeit des Nordens vom Süden im Bereich der fossilen Energien sowie der Energiebedarf des Südens in der Zukunft. Durch die politischen
Unternehmen arbeiteten 2010 tatsächlich 110.000 Afrikaner, die in Frankreich studiert hatten (Schubert 2013); 5. Fragen der Sicherheit aufgrund gesellschaft
Spannungen in Osteuropa erhöht sich das
licher Instabilität. Sie zwingen Nord und
Interesse an Öl und Gas aus dem Süden. Mit
Süd nicht nur zu kollaborativen, besser:
den Gasleitungen von Algerien nach Spanien
gemeinsam gestalteten Sicherheitsstrukturen
und mit den Aufbereitungsanlagen für alge
klassischer Art, sondern auch zur gemein
risches Flüssiggas an der spanischen Küste
samen Arbeit an Fragen der Arbeitslosigkeit,
(Wieland 2014) wird dieses Interesse konkret
der Korruptionsbekämpfung, des Staats
wahrnehmbar, leider derzeit deutlicher als
verständnisses und der sozio-kult urellen
in dem großen, aber labilen Projekt Desertec.
Bedeutung von Religion einschließlich des
Hier verbindet sich der Faktor Energie mit den Faktoren Umwelt und Klima; 3. die wechselseitigen wirtschaftlichen Interessen.
kämpferischen Säkularismus im Norden. Nun komme ich zu einigen kulturellen Faktoren, die den funktionalen Euro-Mediterranen Raum
Sie haben sich in Europa aufgrund der Wachs-
beg ründen:
tumsraten im Süden verstärkt.15 Umgekehrt
1. Die Regionen des Euro-Mediterranen Raums
profitiert der Süden vom Mittelmeertourismus,
haben eine in weiten Bereichen gemeinsame
der sich trotz aller Krisen immer wieder erholt.
Geschichte. Man muss dabei nicht gleich welt-
Probleme des Südens durch europäische Land-
historisch denken wie Ian Morris, der auch die
wirtschafts- und Industriepolitik (verstärkt
arabisch-islamische Welt zum ‚Westen‘ zählt
durch asiatische Billiglöhne und -produktion)
und die Reiche der Araber mit denen der Römer
warten auf eine Lösung. Algerien, wo eine
und Briten in eine Reihe stellt (Morris 2010).
junge Generation gut ausgebildeter Kräfte
2. Der Euro-Mediterrane Raum war im 19. und
auch in wirtschaftliche Führungspositionen
20. Jahrhundert ein von europäischen Mächten
einrückt, könnte beim Aufbau einer euro-
geprägter Kolonialraum. Die Länder des Raums
mediterranen Wirtschaftszone eine Schlüsselrolle
haben dadurch ein partiell gemeinsames Erbe
übernehmen;
an Kulturwissen der Moderne. Im Maghreb,
4. die Bevölkerungsentwicklung, die vielen Jungen im Süden und die Folgen: Jugendarbeitslosig15 Folgende Wachstumszahlen beziehen sich auf das Jahr 2013: Deutschland 0,4 %, Marokko 4,4 % , Tunesien 2,8 %, Senegal 4,0 % , Tschad 3,6 %. Das Wachstum, insbesondere im subsaharischen Afrika (Nigeria 7,3 %), ist also weit höher als im Norden (Fact fish 2014). Noch ist es freilich so, dass die USA 20 % ihrer Direkti nvestitionen in ihrem Süden, das heißt, in Mexiko und Lateinamerika tätigen, Europa in ‚seinem‘ Süden aber nur zwei Prozent (Mohsen-Finan/Schäfer 2014: 12).
im saharischen und Teilen des subsaharischen Afrika nimmt Französisch eine zentrale Rolle als Zweitsprache ein. Die wirtschaftlichen und intellektuellen Eliten kommunizieren meist auf Französisch. 85 % der französischsprachigen Weltbevölkerung werden im Jahr 2050 Afrikaner sein (Schubert 2013). 3. Der dynamische Euro-Mediterrane Raum hat sein Epizentrum im engeren Mittelmeergebiet,
25
WIKA-Report (Band 2)
mit seinen historischen Hochkulturen,
ständig bekämpft werden, um Herrschaftsdiskurse
seinen monotheistischen Religionen
im Sinne Foucaults und die damit verbundene Aus-
und seinen kult urellen Begegnungen
schließung von Menschen und Ideen zu vermeiden.
zwischen Nord und Süd, West und Ost. Die
Institutionen braucht allerdings auch der funkti-
davon ausgehenden Energien strahlen als
onale Raum. Auch eine Geopolitik funktionaler
kulturelle Wirkfaktoren immer noch aus
Räume sollte sie anstreben, sie dürfen aber nicht
auf alle Gebiete des euro-mediterranen
Teil starrer Dispositive der Macht werden. Eine
Großraums, die in engerem kulturellen
Verselbständigung solcher Institutionen wäre im
Austausch mit der Kernzone des klassischen
funktionalen Raum besonders gefährlich, weil die-
Mittelmeerraums standen und stehen.
ser sich durch die Dynamik vielfach verknüpfter
4. Auch kulturelle Konflikte konstituieren einen funktionalen Raum. Der Islam ist
Institutionen konstituiert. Ein Blick auf die bisherige europäische Politik
tatsächlich ein ‚Teil‘ Europas. Umgekehrt
für den Mittelmeerraum sowie die deutsche Mittel-
sind Aufklärung und andere Diskurse des
meerpolitik vor 2012 zeigt auch in der Vielfalt ihrer
Nordens (wie Säkularismus, Identitarismus,
Instrumente wie der Europäischen Nachbarschafts-
Rationalismus, Technizismus, Hedonismus…)
politik (ENP) oder der Union für den Mittelmeer-
‚Teil‘ der arabischen und afrikanischen
raum (UfM) folgende drei Merkmale auf,16 die freilich
Welt. Dort begegnen sie dem Europäer
nicht als unwandelbar betrachtet werden sollten:17
oft sogar mit überscharfen Konturen.
(1.) Das zugrundeliegende Raumkonzept stützt
5. Es gibt dazu eine starke, emotional geprägte
sich auf eine Akkumulation von Vertrags-Staaten
wechselseitige Anziehungskraft. Im Norden
und entspricht (noch) nicht dem tatsächlichen
gibt es den Traum vom Süden, der auch die Welt
Umfang des Euro-Mediterranen Raums, verstan-
südlich und östlich des Mittelmeers umfasst
den als funktionaler Raum. Hier scheint sich aller-
(Richter 2009; Schäfer 2014: 72f.) sowie eine
dings etwas zu ändern. Afrika wird auf der geopoli-
ziemlich unverwüstl iche orientalistische
tischen Landkarte sichtbar, gelegentlich auch unter
Romant ik, wie sie sich, um nur ein Beispiel zu
funktionalen Aspekten.18
nennen, im Hausbesitz Tausender von Europäern in der Medina von Marrakesch zeigt (Escher/ Petermann 2009). Im Süden gibt es, trotz aller Kritik, eine Faszination, die sich vor allem auf die freieren europäischen Lebensformen und die Offenheit der Räume bezieht. Welche (Geo-)Politik für den Euro-Mediterranen Raum von Dublin bis Damaskus, vom Niger bis zum Nordkap wäre nun vorzuschlagen? Eine Geopolitik funktionaler Räume erfordert die beständige Anstrengung, das funktionale Zusammen- und Ineinanderwirken von Aktionen und Akteuren zu identifizieren und zur Grundlage politischen Denkens und Handelns zu machen, und zwar im Sinne der ‚Polis‘, ihres Bürgerverbands der Freien und Gleichen sowie ihrer nachhaltigen, also gerechten Ordnung des Zusammenlebens. Tendenzen zur Verdinglichung, Normierung des Raumbildes Euro-Mediterraner Raum sollten erkannt und
16 Vgl. Hrbek/Marhold (2009), Mohsen-Finan/Schäfer (2014: 7, 8, 10). Eine eingehende Untersuchung der deutschen Politik und ihrer Diskurse gegenüber den Maghrebländern von 2001 bis 2011 im Kontext der europäische Maghreb-Politik bietet eine vom Verf. betreute Karlsruher Dissertation von Marcel Ernst, die in Kürze im Transcript-Verlag erscheinen wird. 17 Eine Forschungsmatrix für Mittelmeerstudien hat Isabel Schäfer entwickelt (Schäfer 2014: 72–81). Zugleich bietet ihre Darstellung zahlreiche Informationen über Entwicklungen auf den wesentlichen Feldern europäischer Politik. 18 Die Autoren des Projekt-Papers „European Global Strategy (EGS)“ (2013) schlagen vor, „den Mittelmeerraum als ein Gebiet zu betrachten, das die Golfstaaten und insbesondere [sic!, Anm. d. Verf.] das südlich der Sahara gelegene Afrika mit einbezieht“ (Mohsen-Finan/Schäfer 2014: 11). Bei den Genshagener Gesprächen 2013 sprach sich auch der UfMGeneralsekretär, Fathallah Sijilmassi, für eine Intensivierung der Beziehungen mit Ost- und Südosteuropa, v. a. aber mit Afrika aus (Thum 2014). Auf dem EU-Afrika-Gipfel in Brüssel (2014), an dem über 60 Regierungschefs beider Kontinente teilnahmen, wurde eine „Erklärung über Migration und Mobilität“ unterzeichnet, die eine gemeinsame Politik zur Förderung legaler Migration und solider Ausbildung in Afrika vorsieht.
26 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel
(2.) Die europäische Politik hat sich trotz der
beteiligt (Mohsen-Finan/Schäfer 2014: 17). Das hat
wohl beabsichtigten und formal bestätigten Bereit-
es noch nie gegeben. Diese Aktivitäten sollte man
schaft zu Dialog, Partnerschaft und Zusammen
zur Kenntnis nehmen. Man sieht, auf welchen
arbeit in Wirklichkeit noch nicht ganz von einem
Wegen die Geopolitik des funktionalen Raums im
objektivistischen Zugang gelöst. Dies mag zum Teil
Euro-Mediterranen Raum in Gang kommt. Sie sollte
auch am Mangel an Initiativen bei den Partnern
auch andere Länder in Europa und im Süden ins-
liegen.19 Die europäische Mittelmeerpolitik ist aus
pirieren. Ein vollständiges Bild ergibt sich, wenn
dem so genannten Barcelona-Prozess hervorgegan-
man berücksichtigt, dass viele Maßnahmen des
gen und enthält – ohne besondere Rücksicht auf
Konzepts Transformationspartnerschaften auf die
regionale Tradition – nach wie vor normative Ele-
Stärkung der Bürgergesellschaft, auf Bildung und
mente (Demokratie, Menschenrechte, Zivilgesell-
Wissenschaft, Ausbildung und Kultur zielen, also
schaft, Freihandel), die tendenziell im Sinne west-
nicht nur staatliche Institutionen betreffen. Der
licher Muster umgesetzt werden sollen. Dies ist die
Eindruck von Ratlosigkeit, Vergeblichkeit, Desin-
so genannte Konditionalität zum Beispiel der Euro-
teresse, Lustlosigkeit, die Khadija Mohsen-Finan
päischen Nachbarschaftspolitik (ENP). Inwieweit die
und Isabel Schäfer beklagen (2014: 7, 9 und öfter),
derzeitigen Dialoge zum Beispiel mit den so genann-
ist also vermutlich gar nicht der Politik anzulasten,
ten gemäßigten Islamisten tragen, wird sich zeigen.
zumindest nicht der deutschen Diplomatie, sondern
(3.) Die bisherige europäische Politik ist trotz
ist vielleicht eher Resultat bestimmter Dispositive
einer anders orientierten Rhetorik vor allem durch
und entsprechender Diskurse bei den Medien.
Technik und wirtschaftliche Erwägungen geprägt.
Können wir sagen, dass sich die europäische
Dies zeigt besonders der Vertrag über die UfM. Die-
Politik, mehr aber noch die deutsche Politik in
ser enthält viel kulturpolitische Rhetorik, die kul-
einer Zwischenzone zwischen klassischer Geopo-
turelle Dimension ist im Euro-Mediterranen Raum
litik und einer neuen multilateralen, effektiv part-
ja auch nicht zu vernachlässigen. Aber er besteht
nerschaftlich orientierten Politik bewegt? Wel-
im Wesentlichen aus technischen Großprojekten.
cher Schritt muss getan werden, damit daraus die
Bei der deutschen Mittelmeerpolitik haben sich
andere, neue Geopolitik Europas wird, die zugleich
seit 2012 demgegenüber wesentliche Veränderun-
eine Geopolitik der nicht-europäischen Partner im
gen ergeben. Diese Veränderungen betreffen eine
Euro-Mediterranen Raum vis-à-vis Europa sein
bilateral organisierte neue Politik gegenüber und
muss? Ich mache es mir erst einmal einfach, indem
in Kooperation mit Tunesien. Neben die ‚Transfor-
ich hier ein Konzept vortrage, das bereits 2005 von
mationspartnerschaften‘ mit Ägypten und Tune-
der Euro-Mediterranean Study Commission (Euro-
sien, unter Einbeziehung von Marokko und Jorda-
MeSCo), einem Netzwerk euro-mediterraner Think-
nien, Libyen und dem Jemen sind zwei besondere
tanks, vorgeschlagen worden ist. Andreu Bassols,
Partnerschaften getreten: eine ‚Sicherheitspartner-
der Generalsekretär des IEMed (Institut Europeu
schaft‘ und eine ‚Energiepartnerschaft‘. Im Sep-
de la Mediterrània), des katalanischen Mittelmeer-
tember 2012 fanden die ersten deutsch-tunesischen
Instituts in Barcelona, hat es in dem vom Verfasser
Regierungskonsultationen auf der Ebene der Staats-
im Auftrag des ifa (Institut für Auslandsbeziehun-
sekretäre statt, weitere sollen in halbjährlichen
gen) herausgegebenen Band „An der Zeitenwende:
Rhythmus folgen. Neun Ministerien waren daran
Europa, das Mittelmeer und die arabische Welt“
19 Diese müssten dann die Rolle von „Ko-Financiers, Ideen produzenten oder Entwickler[n] von Gegen-Projekten“ übernehmen (Mohsen-Finan/Schäfer 2014: 11). Erst jetzt, im Rahmen des „5+5-Dialogs“ wird ein solches Engagement in Konturen erkennbar (a.a.O.: 19). Siehe z. B. das marokkanische Projekt der neuen Euro-Mediterranen Universität in Fes (Université Euro-Méditerranéenne de Fès/UEMF) unter dem Signum der UfM (Anm. d. Verf.).
erläutert (Bassols 2012). Angst ist nicht am Platz, das Konzept beinhaltet nicht die Aufnahme aller Staaten des mittelmeerisch-afrikanischen Südens und der Levante in die EU. Vielmehr geht es von einer variablen Geometrie des Euro-Mediterranen Raums aus und zielt
27
WIKA-Report (Band 2)
auf die Schaffung eines „gemeinsamen Rahmen[s],
Netzwerk funktionaler Beziehungen geht Bassols
eine[r] gemeinsamen Arbeits- und Kooperations-
nicht ein. Dies ist aber für eine neue Geopolitik im
plattform“, die allen Ländern der Region, auch
und für den Euro-Mediterranen Raum von hoher
Europa, einen „politischen Horizont“ gibt. Bassols
Bedeutung. Geopolitik der funktionalen Räume
spricht darüber hinausgehend von einer „Gemein-
beruht auf der Erkenntnis bestehender Strukturen
schaft demokratischer Saaten“ (ebd.: 18). Wichtig
verdichteter Interaktion und Kommunikation. Sie
ist ihm der „multilaterale Charakter“ des Gebildes.
zielt darauf ab, diese Strukturen so zu modellieren,
Als „Schlüsselkonzepte“ nennt er „Zugang, Teil-
dass sie eine gerechte, dauerhafte und nachhaltige
habe und Solidarität“:
Ordnung des Zusammenlebens der Menschen in
„Die dreifache Dimension des Zugangs zum
einem bestimmten Raum, hier dem Euro-Mediter-
europäischen Raum, der Teilnahme an
ranen Raum ermöglichen. Um dies zu erreichen,
bestimmten politischen Handlungsfeldern
schlage ich, wie auch Isabel Schäfer (2014: 67 und
und Institutionen, aber auch die Dimension
69), vor, diese Strukturen als ‚System‘ zu begreifen
der Solidarität, zusammen mit konkretem
und zur Grundlage von Aktionen, Deutungs- und
und substanziellem politischen Handeln
Kommunikationsmustern sowie Institutionen zu
sollte das elementare Gefüge einer engen
machen. Als System verstehe ich ein funktionales
Beziehung mit denjenigen Ländern im süd-
Gebilde aus Teilen, die so miteinander verbunden
lichen Mittelmeerraum bilden, die die Prin-
sind und interagieren, dass Veränderungen eines
zipien der Demokratie und der Marktwirt-
Teils auch zu Veränderungen anderer Teile sowie
schaft respektieren“ (ebd.: 18 f.).
des ganzen Gebildes führen. Ein System kann als
Keine Frage, indem er auf Demokratie und Markt-
eine Funktionseinheit verstanden werden, die sich
wirtschaft beharrt, bleibt das Konzept auf der
von anderen Einheiten abgrenzen und ihr Weiter-
Linie von Barcelona-Prozess und UfM. Aber es ist
funktionieren prinzipiell selbst organisieren kann.
richtig, darauf zu beharren, vorausgesetzt, die Kri-
Begreift man den Euro-Mediterranen Raum, einen
terien werden zum Gegenstrand eines interpre-
funktionalen Raum, als System, mag man sich heu-
tierenden Dialogs, der die Substanz festhält, aber
ristisch, um Erkenntnisse zu gewinnen, auf ein
regionalen Unterschieden Raum lässt. Daher sollte
Schema einlassen, das in den Sozialwissenschaften
man die „Gemeinschaft demokratischer Staaten“
entwickelt wurde und trotz der heftigen wissen-
etwas genauer formulieren, zunächst vielleicht als
schaftstheoretischen Debatten, die darüber geführt
‚Gemeinschaft von Staaten, die unter Berücksich-
worden sind, sehr wirkkräftig war und in seiner
tigung ihrer kulturellen Traditionen bestimmte
direkten und indirekten Rezeption wohl auch noch
Standards an Demokratie, Gewaltenteilung und
ist. Entwickelt wurde dieses Schema von einem der
Rechtsstaatlichkeit erfüllen und sich den Men-
großen Persönlichkeiten der Sozialwissenschaf-
schenrechten, auch in ihrer transkulturellen
ten, Talcott Parsons. Nach diesem Schema muss ein
Auslegung,20 verpflichtet fühlen‘.
erfolgreiches System folgende Funktionen erbringen: Es muss sich ständig an veränderte Bedingun-
Kulturelle Faktoren einer Geopolitik funktionaler Räume: Der Euro-Mediterrane Raum und seine Organisation
gen anpassen können (Anpassungsfähigkeit), es muss fähig sein, Ziele zu bestimmen, daran arbeiten und diese zu erreichen versuchen (Zielverfolgung), es muss imstande sein, neue Elemente aufzunehmen, zu integrieren und das System dennoch
Auf eine gemeinsame Kulturpolitik im und für
zusammenzuhalten (Zusammenhalt und Integra-
den Euro-Mediterranen Raum und sein dichtes
tion) und es muss schließlich eine belastbare Legitimationsbasis durch geteilte Werte schaffen können
20 Vgl. den in seinen Aussagen dazu sehr entschiedenen Beitrag von Sarhan Dhouib im vorliegenden Band.
28 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel
(Strukturerhaltung).21 Diese Funktionen des gesell-
der islamisch geprägten Mittelmeerwelt, im saha-
schaftlichen, auch politischen, kulturellen und
rischen und subsaharischen Afrika, ja und auch in
wirtschaftlichen Systems überschneiden sich. Sie
Europa. Kern aller Entwicklung, so der britische
werden verbunden durch die zentrale Systemfunk-
Soziologe Morris Ginsberg, ist die „Überprüfung
tion der Kommunikation, und zwar, wie im Euro-
und Neuordnung“ des Wissens aufgrund neuer
Mediterranen Raum, einer verdichteten, aber nach
Erfahrungen. Dies bedarf und führt auch zu einer
außen prinzipiell offenen Kommunikation durch
neuen Sprache, einem neuen Denken und einem
Sprache, Medien und Symbole.22
neuen Handeln (Thum 2012b: 91). Wesentlich sind
Bleibt man bei diesem hier erkenntnisleitend
bei diesem Vorgang ein wechselseitiges Vertrauen,
(heuristisch) verwendeten Gerüst, müsste eine
das eine Verständigung jenseits des Mainstreams
multilaterale, partnerschaftliche, nicht-objektivis-
zulässt, sowie geteilte Erkenntnis.23 Informelle freund
tische Geopolitik für den Erweiterten Mittelmeer-
schaftliche Beziehungen, in den Wissenschaften, in
raum als funktionalen Raum, den Euro-Mediterra-
Kultur und Kunst, aber, soweit möglich, auch in den
nen Raum, für folgende Leistungen sorgen:
Medien und in der Politik, sind dabei sehr wichtig.
1. Adaptationsfähigkeit
hohe Adaptationsleistung erbracht werden kann,
Freilich bedarf es, damit die ständige und einer institutionellen Sicherung, die gleichzeitig
Eine solche Geopolitik müsste dafür sorgen, dass
fördert und inspiriert. Dies könnten institutiona-
Gesellschaften und Individuen im Euro-Mediterra-
lisierte und auf Dauer gestellte euro-mediterrane
nen Raum in der Lage sind oder in die Lage versetzt
Netzwerke der Zivilgesellschaft sein, in denen
werden, sich in kreativer Weise mit neuen Bedin-
über wechselseitiges Lernen schöpferische Anpas-
gungen auseinanderzusetzen und sich diesen anzu-
sungsleistungen erfolgen, insbesondere in den
passen.
Bereichen Wissenschaft und Bildung (Universitä-
Dafür bietet die Struktur gerade dieses Raums
ten mit spezieller Orientierung in Forschung und
als Begegnungs-, Kommunikations- und Konflikt
Lehre, konkrete kollaborative Projekte im Rah-
raum eine gute Grundlage. Die ständig erforder-
men von Studierendenaustausch, Partnerschulen,
liche Auseinandersetzung mit materiellen und
Wissenschaftsstiftungen), Wirtschaft (Organisa-
gesellschaftlichen Problemen auf den Feldern
tion dezentralisierter Produktion, Förderung von
Mobilität, Migration, Wirtschaft, Energie, Staat-
Mobilität 24 und Innovation, Umweltschutz, regu-
lichkeit, Sicherheit sowie mit anderen kulturellen,
lierter Freihandel, eine auf Ausgleich und Förde-
zum Teil religiös verstärkten Mustern erzwingt
rung bedachte Finanzpolitik), Kultur (interkultu-
Veränderung, Wandel, ja auch Entwicklung – in
reller und interreligiöser Dialog, Kulturstiftungen als Plattform euro-mediterraner Diskurse, Einrich-
21 Talcott Parsons nennt diese Funktionen im Rahmen seiner Theorie des Struktur- bzw. Systemfunktionalismus. Er fasst sie in dem so genannten AGIL-Schema zusammen: Adaption, Goal-Attainment, Integration und Latency (Parsons 1951). Parsons bezieht dieses Vier-Funktionen-Schema auf alle Arten von gesellschaftlichen Systemen, auch von politischen, unabhängig vom geografischen und historischen Ort. Leider streift man mit einem Rückgriff auf die Systemtheorie Parsons‘ das Feld methodologischer und wissenschaftstheoretischer Diskussionen in den Sozialwissenschaften. Im vorliegenden Beitrag geht es aber um etwas Anderes: um ein (geo-) politisches Konzept im und für den Euro-Mediterranen Raum, das erkenntnisleitende Begriffe, eine Heuristik braucht. 22 Die Bedeutung von Kommunikation für die Entstehung und Beständigkeit von Systemen ist Kern des systemtheoretischen Konzepts von Niklas Luhmann (1987).
tung eines euro-mediterranen Kulturrats), Kulturwirtschaft (Öffnung der Märkte, gemeinsame Ausbildungen und Produktionen) sowie Medien (länderübergreifender Vertrieb von Medienprodukten wie Filmen, Büchern, IT-Produktionen und 23 In der Wissenschaftssoziologie spricht man von Epistemischen Gemeinschaften, transnationalen Netzwerken von Experten mit hohem Einfluss auf politische Entscheidungen. Der Begriff wurde von Peter M. Haas (1989) am Beispiel einer ökologischen Politik für das Mittelmeer entwickelt. 24 Mohsen-Finan/Schäfer schlagen ein euro-mediterranes „Unterstützungsprogramm zur Gründung (privater) Arbeitsvermittlungen“ vor (2014: 23).
29
WIKA-Report (Band 2)
anderem). Im Bereich der politischen Organisation
Großraums muss aber auch das Gewebe der ver-
im engeren Sinn wäre eine Institution, die Anpas-
schiedenen Funktionen politisch sichtbar bleiben.
sungen koordiniert, die oben von Euro-MeSCo vor-
Das heißt, dass Pfade gefunden werden müssen,
geschlagene Plattform von Staaten.
die oben unter (1.) genannten institutionalisier-
2. Zielverfolgung Eine neue multilaterale, partnerschaftliche und
ten Netzwerke der Zivilgesellschaft an der Bestimmung und Umsetzung von Zielen zu beteiligen.
3. Zusammenhalt und Integration
nicht-objektivistische Geopolitik im und für das System Euro-Mediterraner Raum erfordert auch,
Eine neue multilaterale, partnerschaftliche und
gemeinsam Ziele zu definieren und zu verfolgen.
nicht-objektivistische Geopolitik im und für den
Dazu bedarf es wiederum geeigneter Insti-
Euro-Mediterranen Raum müsste auch dafür sorgen,
tutionen. Beginnen könnte man mit einer Ein-
dass Gesellschaften und Individuen dieses Raums in
richtung in der Art der oben genannten Arbeits-
der Lage bleiben oder in die Lage versetzt werden,
und Kooperationsplattform von Ländern, die
am Zusammenhalt des großräumlichen Gefüges
gemäß der vorgeschlagenen Formulierung ‚unter
‚Euro-Mediterraner Raum‘ Anteil zu nehmen und
Berücksichtigung ihrer kulturellen Traditionen
mitzuwirken. Zugleich sollen Gesellschaften und
bestimmte Standards an Demokratie, Gewalten-
Individuen dazu beitragen, dass in das Gefüge auch
teilung und Rechtsstaatlichkeit erfüllen und sich
neue Elemente eingefügt werden können.
den Menschenrechten, auch in ihrer transkultu-
Wichtig wäre hier, dass die funktionalen
rellen Auslegung, verpflichtet fühlen‘. Aus dieser
Gebilde des Euro-Mediterranen Raums, das heißt
Gruppe von Ländern könnten wesentliche Impulse
seine Akteure und seine Institutionen, Vertrauen
für die UfM, oder später auch eine neu und bes-
schaffen: durch Verlässlichkeit, Voraussagbarkeit
ser gegründete Union hervorgehen, die man dann
der nächsten Handlungen, nachhaltig realisierte
auch zu Recht Mittelmeerunion nennen könnte.
Verabredungen, zuverlässige Zu- und Absagen, Ver-
Anfangs darf sie keinesfalls alle Staaten des Raums
tragstreue, Rechtssicherheit, wechselseitigen Res-
umfassen. Der „ 5+5-Dialog “ im westlichen Mit-
pekt, und nicht zuletzt durch konsequente Verfol-
telmeerraum zeigt, auch wenn er die genannten
gung von Unterschleif und Vetternwirtschaft.27
Kriterien nur unvollkommen erfüllt, dass man
Voraussetzung dafür ist langfristig, dass die
im Euro-Mediterranen Raum mit einer variablen
vorhandenen Ressourcen (Wissen, Energie, Land,
Geometrie vorankommt. Allerdings müsste dieser
Bodenschätze, Arbeit, Know-how, Mobilität) ver-
Dialog unbedingt auch zu einer Plattform für Län-
nünftig eingesetzt werden, um eine wenigstens
der werden, die wie Deutschland keine Küstenlän-
im Prinzip vergleichbare soziale Sicherung zu
der sind.25 Eine Einrichtung in der Art der derzeit
erreichen. Auch dies ist ein kultureller Faktor, der
bestehenden Parlamentarischen Versammlung der
von einer Geopolitik funktionaler Räume berück-
Union für den Mittelmeerraum (UfM-PV) könnte
sichtigt werden muss. Gerade in einem funktio-
mutatis mutandis, mit weitergehenden Rechten
nalen Raum erwarten die Menschen wirtschaftli-
ausgestattet, neu konstituiert werden. 26 Wegen
chen Gewinn. Wenn es keinen gibt oder wenn er
des besonderen Charakters eines funktionalen
sich auch nur mindert, machen sie die Institutionen solcher Räume verantwortlich. Die EU bietet
25 Dies fordert auch Sijilmassi (Thum 2014). Zum „5+5-Dialog“ s. Anm. 6.
dafür ein Beispiel. Von den scheinbar dramatischen
26 Eine Darstellung dieser Versammlung findet sich auf einer Website des Deutschen Bundestags: https://www.bundestag.de/bundestag/europa_internationales/international/ PV-UfM/aufgaben_und_arbeit/246168 (zuletzt aufgerufen am 23.08.2014).
27 Tunesien, Marokko und Algerien rangieren im weltweiten Ranking des Korruptionswahrnehmungsindexes von Transparency International Deutschland (2013) auf mittleren Plätzen, Tunesien, das seit dem Ranking von 2010 deutlich abgestürzt ist, hinter Italien, aber noch vor Griechenland.
30 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel
Unterschieden beim Bruttoinlandsprodukt (BIP)zwi-
eine afrikanische Wissenschaftlerin auf einer Kon-
schen Nord und Süd sollte man sich nicht von vorn-
ferenz in Bamako vorträgt, muss genauso ernst
herein entmutigen lassen. Das erlaubt man sich ja
genommen und bedacht werden wie die Stimmen
auch nicht im Verhältnis zu Osteuropa. Kaufkraft-
im jeweils eigenen kulturellen Milieu.
bereinigt liegt das BIP pro Kopf von Tunesien unge-
Zur Forderung nach Integrativität des Systems
fähr auf einer Ebene mit dem Mazedoniens, Alba-
Euro-Mediterraner Raum, seiner erwünschten
niens und Bosnien-Herzegowinas, also Ländern,
Fähigkeit zur Kohäsion gehört auch, wie bereits
die aussichtsreich in die EU streben. Algerien steht
dargelegt, dieses Gebilde offen zu halten und neue
besser da als die Ukraine, und Marokko sowie Jor-
Elemente (Menschen, Gruppen, Gesellschaften,
danien lassen sich immerhin mit Georgien ver-
Volkswirtschaften, Staaten, Ideen) zu integrieren.
gleichen.28 Im Human Development Index (HDI 2013)
Dies ist allerdings nicht unbegrenzt möglich. Ein
schaffen es Tunesien und Algerien noch knapp in
wichtiges Kriterium für eine ‚Grenz‘-Ziehung, bes-
die Kategorie „Hohe menschliche Entwicklung“,
ser: den Verzicht auf Inklusion und Integration, ist
Marokko und Jordanien in die Kategorie „Mittlere
die abnehmende Dichte der Interrelation, der Inter-
menschliche Entwicklung“. Der Zugang zu den
aktionen, der Kommunikation, des ideellen und
europäischen Märkten bleibt freilich entscheidend
materiellen Austauschs, also der Faktoren, die den
für die ökonomische Seite der Integration.
funktionalen Raum begründen. Auch ist davon aus-
Zuletzt, aber nicht weniger dringlich, sei noch
zugehen, dass potenzielle Partner selbst eine Inte-
auf die integrative Kraft der Sprache hingewie-
gration in das ‚System‘ Euro-Mediterraner Raum
sen und die damit verbundene Integration durch
ablehnen. Dies ist möglich und wahrscheinlich,
gemeinsame Themen und Diskurse. Der bereits
wenn diese potenziellen Partner sich einem ande-
zitierte britische Soziologe Ginsberg hat darauf
ren funktionalen System zuordnen wie gegenwär-
hingewiesen, dass jede Entwicklung auch eine
tig die arabischen Golf-Staaten, die selbst zu trei-
Neuformulierung von Begriffen mit sich bringt, ja
benden Akteuren einer anderen großräumlichen
voraussetzt. Dies muss in den Hochschulen, in den
Struktur geworden sind.
Medien und im literarischen Schaffen des Euro-
An dieser Stelle, im Kontext von Zusammen-
Mediterranen Raums kollaborativ und praktisch
halt und Integration, ist auch an das mehrfach
erfolgen. Vielleicht könnte der von Mohsen-Finan
genannte Thema Sicherheit zu erinnern. Eine
und Schäfer (2014: 23) vorgeschlagene euro-medi-
Sicherheitspolitik für den Euro-Mediterranen
terrane Fernsehsender in der Art der deutsch-fran-
Raum muss gemeinsam gestaltet und verwirklicht
zösischen Gründung ARTE dazu beitragen.
werden. Sie muss auch Fragen der Rechtssicherheit,
Was diese neue Sprache auszeichnen muss,
der Arbeit, der wirtschaftlichen Fairness, der Bil-
ist freilich nicht nur eine andere Beschreibung
dung und Ausbildung, auch des Verhältnisses von
der Welt. Auch die Haltung der Sprecher und ein
Staat und Religion, überhaupt eines menschenwür-
respektvoller Umgang der Sprecher miteinander
digen Lebens betreffen. Es gilt, was man im Januar
muss diese Sprache auszeichnen. Dies schließt
2014 vor dem EU-Außenministertreffen zum Enga-
Konflikte nicht aus, steuert sie aber im Sinne zivi-
gement in Afrika, im Kontext des ‚Bürgerkriegs‘ in
lisatorischer Regeln, die gerade in einem funkti-
der Zentralafrikanischen Republik, in der Presse
onal bestimmten, also in ständiger prozesshafter
lesen konnte: „Es muss ein politisches Konzept
Bewegung befindlichen Raum von hoher Bedeu-
für die Region für die Zeit nach dem Militärein-
tung sind. Was ein Arbeitskollege am Polarkreis
satz geben. Auch das gehört zur Verantwortung.“
in einen projektorientierten Dialog einbringt, was
(Sturm 2014)
28 Quelle: Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für 2013, 23.08.2014 (http://de.wikipedia.org/wiki/ Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Bruttoinlandsprodukt_pro_ Kopf)
Die Konkurrenz mit anderen raumpolitischen Konzepten bietet allerdings eine Chance. Die Funktionen Zielverfolgung und Zusammenhalt können
31
WIKA-Report (Band 2)
auch durch Konflikte gefördert werden. Diese sind
Wissensinhalten zu einem bewusst und profiliert
da, man braucht sie nicht zu provozieren. Funktio-
euro-mediterranen Wissensgefüge gewagt? Dies
nale Räume überlappen sich an den Rändern, dort
hat sich inzwischen die in Gründung befindliche
wo die Intensität von Relation und Kommunikation
(zweite) Euro-Mediterrane Universität im marok-
und damit die Anziehungskraft der Zentren weni-
kanischen Fes (Université Euro-Méditerranéenne
ger stark ist. Durch Konflikte mit anderen Raum-
de Fès/UEMF) zum Ziel gesetzt. Sie wird ebenfalls
konstrukten werden die Ränder aufgewertet und
von der UfM unterstützt, ihre Diplome werden ein
erhalten mehr Energie. Diese kann sich in Abgren-
Gütesiegel der Union erhalten. Tausende von Stu-
zung, besser aber in eine Vertiefung von inner-
dierenden aus dem ganzen Euro-Mediterranen
räumlichen Beziehungen umwandeln lassen.
Raum sollen davon profitieren. Ein interdiszipli-
4. Strukturerhaltung
näres Forschungszentrum soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ebenfalls aus dem ganzen Euro-Mediterranen Raum und darüber hinaus,
Eine neue multilaterale, partnerschaftliche und
zusammenführen. Ergänzt werden sollte diese Lei
nicht-objektivistische Geopolitik im und für den
stung, so ein Vorschlag, den der Verfasser an die-
Euro-Mediterranen Raum müsste auch darauf abzie-
ser Stelle einbringen möchte, durch die Gründung
len, dem dynamischen Gebilde Dauer zu geben.
eines Netzwerks von Abteilungen für Euro-Medi-
Von hoher Bedeutung ist hier eine gemeinsame
terrane Studien an ausgewählten Hochschulen des
euro-mediterrane Bildung. In die bestehenden natio
gesamten erweiterten Mittelmeerraums. Die För-
nalen Bildungssysteme müssen Elemente einer sol-
derung dieses Netzwerks durch die UfM, die EU
chen Bildung eingeführt werden. Dazu gehören
sowie interessierte Staaten und Stiftungen sollte
zum Beispiel Fragen zur Modernisierung in Europa,
über eine Ausschreibung erfolgen.
der arabischen Welt und dem saharischen sowie
Wichtig für den Zusammenhalt des Systems
subsaharischen Afrika, Innovation im interkultu-
Euro-Mediterraner Raum sind auch Symbole oder
rellen Vergleich, Ordnungen des Zusammenlebens,
nach Pierre Bourdieu: das symbolische Kapital. Die
euro-mediterrane Geschichtsbilder und Geschichts-
semantischen Potenziale des Euro-Mediterranen
politik, IT in den Kulturen des Euro-Mediterranen
Raums sollten erkannt und verbreitet werden. Dazu
Raums, der Euro-Mediterrane Raum als funktiona-
gehört nicht nur das klassische Kulturerbe Europas
ler Raum, Fragen kulturspezifischer Sozialisation
(Antike, Aufklärung, säkulare, christliche und jüdi-
und Bildung29 und anderes.
sche Denker des Humanismus bis ins 20. Jahrhun-
Von der UfM kann man mehr erwarten als
dert), sondern auch das der arabisch-afrikanisch-
die Gründung der kleinen Euro-Mediterranean
islamischen Welt (das philosophisch-wissenschaft-
University im slowenischen Portorož. Mit ihren
liche Erbe der Umayyaden- und Abbasidenzeit, das
Symposien, mit ihrer Vermittlung von Koopera-
maurische Spanien Al-Andalus, die arabischen und
tionen, ihren Master- und Doktorandenprogram-
saharischen Denker der islamischen Erneuerung
men im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich
im 19. und 20. Jahrhundert). Dieses Erbe, das traditi-
leistet sie bestimmt gute Arbeit. Es fehlt ihr aber
onell unterschiedlichen Kulturen zugeordnet wird,
eine der Bedeutung angemessene Strahlkraft, die
ist in dem sich entwickelnden Euro-Mediterranen
‚Leuchtturm‘-Qualität. Hat sie den entschiedenen
Wissensraum bereits verankert. Darüber hinaus
Schritt von globalen oder kumulierten nationalen
könnte und müsste man es in einer gemeinsamen
29 Die Stiftung Wissensraum Europa–Mittelmeer (WEM) hat im Juni 2012 in Stuttgart, in Kooperation mit der Abteilung Allgemeine Pädagogik des KIT, eine internationale Konferenz zum Thema „Sozialisation und Bildung im Euro-Mediterranen Raum“ durchgeführt. Die Teilnehmer kamen aus Europa, dem Maghreb sowie Sahel-Afrika.
32 Eine Geopolitik funktionaler Räume – Der Erweiterte Mittelmeerraum als Beispiel
‚Erzählung‘ zusammenführen. 30 Der so geschaf-
Wichtig ist, dass diese Leistungen ‚geteilt‘ werden,
fene Mythos müsste und könnte differenziert und
dass ihre Ergebnisse öffentliche Güter, kulturelle
erweitert werden durch Geschichten, in denen von
Gemeinschaftsgüter (commons) werden.
Austausch und Konflikten erzählt wird: von den
Die neue Geopolitik der funktionalen Räume
Kreuzzügen, von Seehandel und Seekrieg, von den
verlangt fähige Akteure. Man findet sie in der Poli-
saharischen Reichen und ihrer Verbindung zum
tik und in den Hochschulen, bei den Kulturschaf-
Mittelmeer, vom Osmanischen Reich, von Napo-
fenden und in den staatlichen Verwaltungen, bei
leons Zug nach Ägypten, vom Kolonialismus und
Organisationen der Zivilgesellschaft und in der
seiner Abwehr, von Reform und Erneuerung in der
Wirtschaft, in Schulen und bei den Medien. Auch
‚Arabischen Welt‘. Man kann dieses Ineinander des
Europa, wie es sich in der Europäischen Union ent-
unterschiedlichen Kulturerbes auch für alle sicht-
wickelt hat, wurde zunächst von solchen Akteuren
bar machen am Beispiel von euro-mediterranen
und ihren Netzwerken aufgebaut. Mag man das geo-
Erinnerungsorten. Diese muss man erkennen und
politische Projekt Euro-Mediterraner Raum ruhig
im Sinne des kulturellen Amalgams deuten. Dazu
elitär nennen. Der zugrunde liegende ‚Text‘ von
gehören nicht nur Córdoba, Palermo und Amalfi,
Erfahrungen, Vorstellungen, Konzepten wird lang-
sondern auch Weimar (Goethe/Hafis), Coburg und
sam auch andere gesellschaftliche Gruppen oder
Schweinfurt (Rückert/Koranübersetzung).31
Schichten erreichen und in einem geeigneten histo-
Die Erörterung der vier Funktionen, die ein
rischen Moment die für bedeutende politische Ent-
Raumgebilde wie der Euro-Mediterrane Raum erfül-
scheidungen nötige Dynamik gewinnen. Den Euro-
len muss, hat immer wieder die Bedeutung kultu-
Mediterranen Raum als funktionales Gebilde gibt
reller Faktoren für eine Geopolitik funktionaler
es bereits, seine Umsetzung in eine multilaterale
Räume ins Licht gerückt. Es geht dabei ja um eine
geopolitische Struktur ist anzustreben und in klei-
Politik, die Anpassung und damit Wandel ermög-
neren oder größeren Schritten zu verwirklichen.
licht. Dies geht nicht ohne inter- und transkulturel-
„Derzeit wird Geschichte geschrieben, auch
len Dialog, nicht ohne die „Überprüfung und Neu-
für die folgenden Generationen.“ Mit einem Appell
ordnung des Wissens“ (Ginsberg), nicht ohne die
von Fathallah Sijilmassi, dem UfM-Generalsekretär,
Herausbildung einer neuen gemeinsamen ‚Sprache‘,
gerichtet an eine deutsch-französische Hörerschaft
neuer Begriffe, nicht ohne wesentliche gemeinsame
im November 2013 (Thum 2014), sei dieser Beitrag
Werte. Nicht weniger wichtig ist die Entwicklung
beschlossen: Zehn Jahre gibt Sijilmassi den Län-
von Freundschaft und Vertrauen. Auch dies ist eine
dern des Euro-Mediterranen Raums als gute Frist
kulturelle Leistung. Sie allein ist aber nicht aus-
für die Konsolidierung und Neupositionierung
reichend. Der Euro-Mediterrane Raum muss sich
einer Mittelmeerunion.
auch als symbolischer Raum konstituieren. Alle diese Leistungen können im Norden wie im Süden von Wissenschaft, Bildung und Kultur, am besten
Literatur
in Verbindung mit den Medien, erbracht werden. 30 Die Hochschulen nördlich und südlich des Mittelmeers müssen damit anfangen: Eine von Professoren und Studie renden der Universitäten Karlsruhe (heute KIT) und La Manouba (Tunis) veranstaltete Seminarreihe versuchte, über Porträts ‚großer Denker‘ (grands penseurs) eine ‚europäisch-arabische Ideengeschichte‘ in nuce zu entwerfen (Thum 2009: 89f.). 31 Die Stiftung Wissensraum Europa-Mittelmeer (WEM) e. V. arbeitet, gefördert von der Allianz-Kulturstiftung, an einer virtuellen Landkarte euro-mediterraner Erinnerungsorte. Die Internet-Veröffentlichung des Prototypen ist unter dem Titel „EuroMed MemoriaCarte“ für Ende 2014 vorgesehen.
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Prof. Dr. Bernd Thum, Studium der Germanistik,
Romanistik und Geschichte. Promotion 1968 an der Universität Heidelberg. Universitätsprofessor am
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Literaturwissenschaft (Mediävistik). Arbeitsgebiete:
Germanistische Mediävistik, Interkulturelle Germa nistik, Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im
Euro-Mediterranen Raum, Auswärtige Kulturpoli
tik. Bernd Thum ist Gründungspräsident der 2010 ins Leben gerufenen Stiftung Wissensraum Europa–Mit telmeer (WEM) e. V. – Kontakt: bernd.thum@kit.edu
36
zukommen sollen: Dabei handelt es sich nicht um
Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte
eine Sachverhalts-Definition, sondern um eine normative Forderung (vgl. Sandkühler 2010: 1531). Mit Blick auf die Entstehung der Menschenrechte und mit Blick auf die Entwicklungen ihrer Umsetzung innerhalb der einzelnen Kulturkreise sind jedoch erhebliche Differenzen zu verzeichnen, wovon der für die Menschenrechtsdebatte fundamen-
von Sarhan Dhouib (Kassel)
tale Begriff des Menschen nicht ausgenommen ist. Diese Differenzen sind zunächst einmal zu konstatieren und dürfen nicht außer Acht gelassen wer-
„Die Erklärung von 1789 passt mir [als Kolo-
den (vgl. Mohr 2009). Sie verlangen ebenso nach
nialisierte] vollkommen; sie verschärft
einer Differenzierung des Begriffs des Menschen
meine Revolte mit ihrer glänzenden Rhe-
im normativen Diskurs, wie nach Universalisie-
torik. […] Die Französische Revolution
rungsstrategien innerhalb der historischen Ent-
gehört uns durch einen Übertragungsakt,
würfe.
der zwar noch nicht klar war, aber das
Normen und Fakten einander gegenüberstel-
Herz des Antikolonialisten bewegte. Wir
lend stellt sich die Frage, welcher Begriff des Men-
waren die späten Schüler unserer Feinde.
schen einer normativen Forderung zu Grunde
Denn von welchem Menschen ist bei den
gelegt werden kann. Welche Rechte sollen welchen
Menschenrechten die Rede, wenn nicht
Menschen in welchem Umfang zukommen? Und
von uns? Denn der Mensch in uns darf auf
auf welcher Ebene soll das Menschsein verhandelt
keinen Fall wegen seiner Zugehörigkeit zu
werden: Geht es um den einzelnen Menschen als
einer Rasse, einer Nation, einer Religion
Individuum oder um den Menschen als Rechtssub-
missachtet werden. Die Erklärung war
jekt?
unsere Geburtsurkunde.“ (Béji 2008: 28f.)1
In meinem Beitrag geht es nicht darum, die Universalität der Menschenrechte in Frage zu
„‚Der Weg zur Würde‘ wurde uns von
stellen, sondern das Problem ihrer Universalität
Frauen und Männern, die Opfer von Aus-
im interkulturellen Diskurs zu untersuchen und
grenzung, von Folter und polizeilich diffa-
unter dem Aspekt der Transkulturalität neu zu
mierender Propaganda waren, aufgezeigt,
stellen. Dabei spielt die kritische Reflexion über
von marginalisierten, aber immer aufrecht
die Erfahrung von Unrecht zum Beispiel innerhalb
gebliebenen Parteien, von unabhängigen
despotischer Machtstrukturen in arabischen Staa-
Persönlichkeiten, die der Tyrannei wider-
ten in meiner Argumentation eine zentrale Rolle.
standen“ (Ben Achour 2011: 1).
Sie rückt die kritische Funktion des normativen Anspruchs der Menschenrechte wieder in den Vor-
Einführung
dergrund, zugleich befreit sie uns meines Erachtens von der unfruchtbaren Gegenüberstellung Islam/Westen. 2 Dabei wird sich zeigen, dass der
Menschenrechte sind Rechte, die einem jeden
Fokus weniger auf der normativen Setzung als auf
Menschen ungeachtet aller seiner sonstigen Eigen-
dem Prozess liegt, und dies bedeutet: weniger auf
schaften und allein Kraft seines Menschseins 1 Anm. der Herausgeber: Dieses Zitat wie auch weitere Auszüge aus französischen Texten wurden vom Verfasser ins Deutsche übersetzt.
2 Der Verfasser legt Wert auf die Feststellung, dass es sich hierbei um problematische Kategorisierungen handelt. Im Sinne einer besseren Lesbarkeit wird in diesem Beitrag dennoch auf die in gewissen Diskursen üblichen, Distanz anzeigenden Anführungszeichen verzichtet (Anm. der Hrsg.).
37
WIKA-Report (Band 2)
dem Begriff der Universalität als auf dem der Uni-
der Geschichte eines linearen Fortschritts der Men-
versalisierung.
schenrechtsideen eine Absage. Über Menschen-
Im ersten Teil meines Beitrags wende ich mich
rechte zu reflektieren heißt vor allem, die Zer-
der Unrechtserfahrung zu, wie sie in der „ Allge-
brechlichkeit der menschlichen Existenz ernst zu
meinen Erklärung der Menschenrechte“ (1948)
nehmen.3 Denn die Erfahrung der Ohnmacht prägt
und im „Tunis-Pakt für Freiheiten und Rechte“
uns – Menschen – zutiefst und führt uns an unsere
(2012) argumentativ eingebunden ist. Dabei geht
Grenzen. Können Unrechtserfahrungen eine „epi
es mir nicht um eine historische Beweisführung
stemische Grundlage“ (epistemic foundation)4 für das
etwa der Art: Die Forderung nach Menschenrech-
Verstehen der Menschenrechte bilden (vgl. Morsink
ten ist immer mit Unrechtserfahrung verbunden.
1999: 36ff. und Morsink 1993)? Inwiefern können
Und schon gar nicht um den irrwitzigen Umkehr-
die Unrechtserfahrungen in normative Bindungen,
schluss, dass die Erfahrung von Unrecht notwendi-
und zwar solche universalistischer Art, transfor-
gerweise zur Entstehung oder Verwirklichung der
miert werden (vgl. Joas 2011: Kap. 3, 108–146)?
Menschenrechte führte. Der Blick auf die beiden
Den Hintergrund dieser Fragen bildet nicht
Deklarationen der Menschenrechte dient zunächst
nur die Debatte um eine „affirmative Genealogie“
einmal als Indikator und macht deutlich, dass die
(vgl. ebd.: Kap. 4, 147–203 und Kap. 6, 251–281) der
Entstehung und Formulierung von Menschenrech-
„Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“,
ten häufig in einem Zusammenhang mit Unrechts-
wie sie zum Beispiel in den USA bei Johannes Mor-
erfahrungen stehen.
sink (2009) oder in Deutschland bei Hans Joas (2011)
Im zweiten Teil meines Beitrags widme ich
vorkommt, sondern auch die aktuelle Menschen-
mich einer Differenzierung des Universalitätsbe-
rechtsdebatte im Kontext des demokratischen Pro-
griffs. Es geht mir dabei vor allem um die transkul-
zesses in einigen arabischen Ländern wie Tunesien
turelle Universalität, in der der aus Unrechtserfah-
und Ägypten. Dabei spielt die Diskussion über die
rung erwachsenen Kritik eine entscheidende Rolle
Erfahrung des Unrechts in autoritären Staaten eine
zukommt. Es geht um die Frage, ob und wie sich aus den Unrechtserfahrungen eine kritische Funktion der Menschenrechte gewinnen lässt, die uns zur Transkulturalität der Menschenrechte führt.
Sind Unrechtserfahrungen paradigma tisch für die normative Begründung der Menschenrechte? Menschenrechte sind berechtigte Ansprüche der Menschen (bloß als solche oder als Rechtssubjekte innerhalb einer demokratischen Staatsordnung) an die öffentliche, politische Ordnung (Menke/ Pollmann 2008: 42). Sie sind ebenfalls Rechte, die erkämpft werden müssen. Sie bieten eine Möglichkeit, gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen sowie über Erfahrungen mit Staatsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu reflektieren. Die ständigen, täglichen Menschenrechtsverletzungen in der Welt erteilen dem Optimismus
3 In diesem Zusammenhang hebt Heiner Bielefeldt hervor, wie konstitutiv die Unrechtserfahrung für die Entstehung und Entwicklung der Menschenrechte ist: „Menschenrechte sind eine Antwort auf erfahrenes Unrecht. In jeder Unrechtserfahrung steckt ein Leiden und die Interpretation, dass Menschen dieses Leiden erzeugen und zulassen. Menschenrechte haben somit eine Dimension von Erfahrung, aber auch von Aufklärung. Es muss einen Artikulationsraum geben, in dem Unrechtserfahrungen bearbeitet werden können, dieser ist aber nicht an eine bestimmte Kultur gebunden. Zwar haben sich Menschenrechte zunächst weitgehend in Europa entwickelt, deshalb dürfen sie dennoch nicht eurozentrisch interpretiert werden. Vielmehr handelt es sich um Prozesse der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Traditionen und Denkstrukturen. Die Unrechtserfahrung ist für mich die elementare Form menschenrechtlicher Aufklärung.“ (Bielefeldt 2009: 4) 4 Die Barbarei des Zweiten Weltkrieges bildet für Morsink einen wichtigen Grund für die Entstehung der „Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte“: „The motif running through out [the delegations'] adoptions and rejections is that the war and the ideology of National Socialism as practiced by Hitler were in them selves enough to convince them of the truth of the rights of the Declaration. They did not need a philosophical argument in addition to the experience of the Holocaust. […] For each of the rights proclaimed, they went back to the experience of the war as the epistemic foundation of the particular right in question.“ (Morsink 1993: 358)
38 Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte
zunehmend wichtige Rolle, wie beispielsweise die
Im Folgenden möchte ich den Blick auf ein
aktuelle Debatte um den „Tunis-Pakt für Rechte
aktuelles Beispiel werfen. Der „Tunis-Pakt für
und Freiheiten“ zeigt.
Rechte und Freiheiten“ wurde auf Initiative des
Der Blick auf unterschiedliche Deklarationen
Arabischen Instituts für Menschenrechte und
der Menschenrechte dient zunächst einmal als
anderer tunesischer zivilgesellschaftlicher Orga-
Indikator und macht deutlich, dass die Entstehung
nisationen konzipiert und gilt unter anderem als
und Formulierung von Menschenrechten häufig in
Vorschlag für einen Baustein für die tunesische
einem Zusammenhang mit Unrechtserfahrungen
Verfassung. Er wurde am 25. Juli 2012 in Tunis
stehen. In einem weiteren Schritt wird es um die
deklariert.5 Er besteht aus einer Präambel und 9
Frage gehen, ob und wie sich aus den Unrechtser-
Artikeln, die in unterschiedliche Punkte unter-
fahrungen eine kritische Funktion der Menschen-
teilt sind, wobei es im neunten und letzten Arti-
rechte gewinnen lässt. Diese enge Verbindung von
kel nicht um Rechte geht, sondern um sogenannte
Menschenrechtsverletzungen und Menschenrechts-
Schutzmaßnahmen für die Menschenrechte. Die
erklärungen ist allen hinsichtlich der „Allgemei-
ersten acht Artikel umfassen die folgenden Rechte:
nen Erklärung für Menschenrechte“ der Vereinten
Artikel 1: Recht auf würdiges Leben; Artikel 2:
Nationen von 1948 gegenwärtig. Die Notwendigkeit
Recht auf Schutz und Sicherheit; Artikel 3: Recht
der Menschenrechte wird geradezu aus der Barba-
auf freie Wahl; Artikel 4: Recht auf Gleichberechti-
rei des Nationalsozialismus begründet.
gung/Gleichheit und Diskriminierungsverbot; Arti-
In der „Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte“ wird in der Präambel betont, wie
kel 5: Recht auf Bürgerschaft (citoyenneté) und Partizipation; Artikel 6: Recht auf Entwicklung; Artikel
„[die] Verkennung und Missachtung der
7: Geistige, kulturelle und schöpferische Rechte;
Menschenrechte zu Akten der Barbarei
Artikel 8: Recht auf nachhaltig gesunde Umwelt.
führten, die das Gewissen der Menschheit
In diesem Pakt nimmt die Unrechtserfahrung
tief verletzt haben […]“ (Vereinte Nationen
ebenfalls eine zentrale Rolle ein. Dabei ist wichtig
1948 [1983]: 8).
zu bemerken, dass ein Hauptmotiv für die Normie-
Die massiven Menschenrechtsverletzungen im
rung der Rechte darin liegt, dass
Zweiten Weltkrieg und unter totalitären Regimen
„[die] Revolution des tunesischen Volkes
bilden den Hintergrund für diese Erklärung.
[eine Revolution] gegen ein despotisches
Die Menschenrechte besitzen durch die „Herrschaft des Rechtes“ eine Schutzfunktion, „damit
System ist, das die Würde, die dem Menschen inhärent ist, verletzt hat.“6
der Mensch nicht zum Aufstand gegen Tyrannei
Neben dem despotischen Machtmissbrauch kom-
und Unterdrückung als letztem Mittel gezwungen
men zwei andere Formen der Unrechtserfahrung
wird“. Die historische Erfahrung „der Tyrannei
kurz zur Sprache: die Sklaverei und der Kolonia-
und Unterdrückung“ (ebd.) bildet das Hauptmotiv
lismus. Weiterhin wird betont, wie wichtig es sei,
für die Entstehung und Wahrnehmung der Men-
einen Bruch mit den schmerzhaften Menschen-
schenrechte.
rechtsverletzungen unter dem diktatorischen
Die aus geschichtlicher Unrechtserfahrung ent-
Regime zu vollziehen:
standenen, in Aufständen und Revolutionen einge-
„Die Würde, die Gleichberechtigung, die
klagten und im 20. Jahrhundert vor allem unter
Freiheit und die Gerechtigkeit, die ja die
dem Eindruck der Verbrechen des Nationalsozia-
Basis der Revolution bilden, sollten diesel-
lismus, Faschismus, Militarismus und Stalinismus
ben Prinzipien sein, auf denen die demo-
formulierten Menschenrechtsansprüche beziehen
kratischen Prozesse gründen, Prozesse, die
sich auf die Menschenwürde, Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit aller Menschen (vgl. Sandkühler 2010: 1531).
5 Vgl. http://www.calameo.com/read/ 00158535200d7b99bad30 (letzter Abruf: 15.01.2014) 6 Wie Anm. 5 (Übersetzung des Autors)
39
WIKA-Report (Band 2)
in der Lage sein sollten, die Bürgerschaft,
„Universalisierung“ meint, laut Bielefeldt,
die Freiheiten, den Pluralismus und die
„ein hypothetisches Verfahren zur Prü-
demokratische Partizipation zu fördern
fung moralischer bzw. rechtlicher Norm-
und einen Bruch mit der vergangenen Despotie
vorschläge daraufhin, ob sie sich sinnvoll
zu vollziehen.“7
als universal geltende Normen vorstellen
Es scheint mir jedoch, dass die Erfahrung des
– d. h., entweder überhaupt denken oder
Unrechts nicht nur zentral ist, sondern paradoxer-
jedenfalls ernsthaft intendieren – lassen.“
weise geradezu eine konstitutive und paradigma-
(Bielefeldt 2010: 2831)
tische Rolle für die Debatte über die Universalität
Was bedeutet dies nun vor dem Hintergrund der
bzw. Universalisierung der Menschenrechte ein-
Debatte um die Transkulturalität der Menschen-
nimmt. Die aus einer schmerzhaften Erfahrung
rechte?
der Negation des Menschen und Verletzung seiner Rechte entstehende Forderung nach Menschenrechten weist einen starken normativen Impuls auf. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese ver-
Universalität und Transkulturalität der Menschenrechte
letzten Rechte bereits formuliert oder ratifiziert waren; die Rechte melden sich vielmehr, dies ist
Um dies zu erläutern, möchte ich im Folgenden die
meine These, in ihrer schmerzhaften Verletzung
Idee der Universalität der Menschenrechte fokus-
an. In diesem Sich-Melden der Rechte in ihrer Ver-
sieren und dabei vier Ebenen dieser Universalität
letzung besteht die konstitutive und paradigma-
unterscheiden, die oft miteinander vermengt wer-
tische Funktion der Unrechtserfahrung. Die nor-
den.8 Dabei kommt es mir insbesondere auf die
mative Kraft der Menschenrechte geht aus der
letzte Ebene an, die ich als transkulturelle Univer-
Unrechtserfahrung hervor. Weil dem Menschen
salität der Menschenrechte bezeichne und in der
seine Rechte abgesprochen wurden, wird er seines
die kritische Funktion des normativen Anspruchs
Menschseins gewahr.
eine wichtige Rolle einnimmt.
Interessant ist ferner, dass im Tunis-Pakt die Forderung nach einem „Bruch mit der vergangenen Despotie“ deutlich zum Ausdruck kommt.
Die Idee des menschenrechtlichen Universalismus
Was bedeutet diese Forderung in Bezug auf die Menschenrechtsdebatte? Bedeutet Bruch mit dem
Der normative Anspruch, dass die Menschenrechte
despotischen System bzw. Unrechtssystem, dass
universelle Geltung haben, ist der Idee der Men-
wir quasi alle Parameter noch einmal auf Null set-
schenrechte selbst inhärent. Mit dieser Idee ist
zen und von vorne anfangen sollen? Würden wir
vor allem gemeint, dass die Universalität der Men-
tatsächlich von Null anfangen wollen (was kultur-
schenrechte jene grundlegenden Rechte repräsen-
historisch nicht möglich ist)? Wären wir dann wie-
tiert, die dem Menschen allein aufgrund seines
der an jenem Punkt einer abstrakten normativen
Menschseins zukommen. Es handelt sich dabei um
Forderung angelangt? Und ginge auch jene kons-
den normativen Anspruch der in der Menschen-
titutive Schmerzerfahrung verloren, die als Weg-
würde begründeten Geltung gleicher grundlegen-
weiser im Prozess einer Universalisierung der Men-
der Rechte für jeden Menschen. In diesem Zusam-
schenrechte auftreten kann? Ich plädiere daher
menhang hebt Heiner Bielefeldt hervor:
nicht für einen Bruch, sondern – im Gegenteil – für eine Hervorhebung der kritischen Auseinandersetzung mit den Machtstrukturen einer Despotie als Motor im Prozess der Universalisierung der Rechte. 7 Wie Anm. 5 (Hervorh. des Autors)
8 In einem Aufsatz unterscheidet Bielefeldt (2008) vier Aspekte der Universalität der Menschenrechte. Jüngst hat Bielefeldt nur noch drei Aspekte der Universalität der Menschenrechte unterschieden und den letzten Aspekt weggelassen (vgl. Bielefeldt 2012).
40 Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte
„Die Universalität der Menschenrechte
Ein weiteres Beispiel sind die verschiedenen
bezeichnet in diesem Sprachgebrauch die
islamischen und arabischen regionalen Erklärun-
innere Qualität einer Kategorie grundlegender
gen über Menschenrechte. Die „Kairoer Erklärung
Rechte, die mit dem Menschsein des Menschen
über Menschenrechte im Islam“ von 1990 und die
gegeben sind und deshalb jedem Menschen
„Arabische Charta der Menschenrechte“ von 1994
gleichermaßen zustehen.“ (Bielefeldt 2008:
sowie deren Aktualisierung von 2004 betonen
99; Hervorh. des Autors)
in unterschiedlicher Weise das Primat der Scha-
Der Gegenbegriff zur ‚Universalität‘ wäre in diesem
ria und ordnen die unterschiedlichen menschen-
Zusammenhang ‚Partikularität‘. Die Menschen-
rechtlichen Gehalte dem Primat der islamischen
rechte unterscheiden sich von bestimmten Rechts-
Rechtstradition unter, ohne dies einer kritischen
positionen, die an partikulare Merkmale, zum Bei-
Prüfung zu unterziehen.
spiel erworbene Statuspositionen, gesellschaftliche Rollen und Funktionen, Mitgliedschaften in
Der faktische Stand der Ratifizierung
Verbänden und Berufsgruppen, eine bestimmte Staatsangehörigkeit usw. anknüpfen. Daher sind
Der Universalismus der Menschenrechte wird gele-
die Menschenrechte nicht als Ergebnis einer Leis-
gentlich am Ratifizierungsverhalten der Staaten
tung oder als Verdienst anzusehen; sie stehen
der internationalen Menschenrechtskonventio-
jedem Menschen zu, allein schon deshalb, weil er
nen und der Anerkennung ihrer transnationalen
ein Mensch ist.
Geltung bemessen. Heiner Bielefeldt bemerkt zu
Die globale Institutionalisierung der Menschenrechte
Recht: „Von einem solchen ausschließlich positivistischen Verständnis menschenrechtlicher Universalität her müsste man dann zum
Universalität steht in diesem Zusammenhang für
Ergebnis kommen, dass derzeit streng
das Projekt der globalen Normierung und Imple-
genommen keine einzige Menschenrechts-
mentierung grundlegender Rechte auf der Ebene
konvention wirklich universal gilt.“ (Biele-
der Vereinten Nationen. Diese zweite Bedeutung
feldt 2008: 102; Hervorh. im Original)
von Universalität der Menschenrechte ist vor allem
Diejenigen, die eine solche Vorstellung von der Uni-
in der völkerrechtlichen Literatur über Menschen-
versalität der Menschenrechte vertreten, machen
rechte anzutreffen. Somit werden häufig die uni-
die Universalität von einem faktischen Verfahren
versalen Menschenrechte von den regionalen Men-
der Ratifikation abhängig. Sie verfehlen somit die
schenrechten abgegrenzt.
normative Bedeutung der Universalität, da diese
Der Gegenbegriff zur ‚Universalität‘ wäre hier
von der Zustimmung autoritärer Staaten und dem
‚Regionalität‘. Ein Beispiel für regionale Vorstellun-
wirtschaftlichen und politischen Interesse ver-
gen über die Menschenrechte bildet in den 1990er
schiedener (auch demokratischer) Staaten abhän-
Jahren die Debatte um die ‚asiatischen Werte‘. Dar-
gig gemacht wird.
unter werden Tugendkonzepte oder moralische Normen verstanden, die von ‚westlichen Werten‘ so abgegrenzt werden, dass sie die Idee der Uni-
Transkulturelle Universalität der Menschenrechte
versalität der Menschenrechte infrage stellen. Sie bieten ein Gegenprogramm bzw. eine „Erklärung
Vor dem Hintergrund der großen Spannung zwi-
der Menschenpflichten“ gegen den Anspruch uni-
schen den universellen Ansprüchen der Menschen-
versaler Menschenrechte, die mit einem Western
rechte und dem Kulturpluralismus wird in der
Way of Life in Zusammenhang gebracht wurden
interkulturellen Philosophie erneut die Frage aufge-
(vgl. Paul 2012).
worfen, wie die Universalität der Menschenrechte
41
WIKA-Report (Band 2)
zu verstehen sei (Morsink 1999). Angesichts der globalen Debatte um die Universalität der Men-
Kulturen und Religionen sich treffen können.“ (Kuschel 1993: 211f.)
schenrechte und den Pluralismus der Kulturen
Es bleibt jedoch fragwürdig, ob die deskriptiv fest-
lassen sich in der interkulturellen Diskussion zu
stellbaren Gemeinsamkeiten für die Begründung
den Menschenrechten mindestens drei methodi-
des Universalismus der Menschenrechte genügen
sche Ansätze zu Begründungsansprüchen skizzie-
und ob der interreligiöse Dialog in der Lage ist,
ren (vgl. z. B. Triki 2011: 194 und Lohmann 2012).
eine nicht-religiöse Begründung zu akzeptieren
Das Hauptanliegen dieser methodischen Ansätze
(vgl. Lohmann 2012: 211f.).
ist, dem Pluralismus der Kulturen gerecht zu wer-
Ein weiterer Versuch stellt das Unternehmen
den, ohne jedoch die Universalität der Menschen-
von Otfried Höffe dar, die Menschenrechte kultur-
rechte in Frage zu stellen. Im Folgenden möchte ich
neutral, das heißt, anthropologisch-transzendental
ausgehend von Lohmanns Unterscheidungsmodell
zu begründen. Höffe verfolgt in seinem Buch „Ver-
jeweils die neutralen, interkulturellen und trans-
nunft und Recht. Bausteine zu einem interkulturel-
kulturellen Ansätze kurz thematisieren, wobei ich
len Rechtsdiskurs“ das folgende Ziel:
auf die kritische Funktion der Menschenrechte in
„Weil es auf Bedingungen der Möglich-
den jeweiligen Ansätzen eingehen werde.
keit ankommt, kann man einen seit Kant
Neutrale Begründungsansätze
einschlägigen Ausdruck verwenden und von – relativ – transzendentalen Interessen sprechen. Mit ihrer Hilfe, also durch
Die neutrale Begründung „hebt auf in allen Kultu-
die Verbindung von Anthropologie mit
ren auffindbare Gemeinsamkeiten ab und begrün-
Transzendentalphilosophie, sollte sich das
det von dieser gemeinsamen neutralen Basis aus die
Misstrauen gegen das Moment des Immer-
Menschenrechte“ (Lohmann 2012: 211, Hervorh. im
gleichen in der Anthropologie zerstreuen
Original). Hans Küngs Projekt „Weltethos“ verfolgt
lassen. Außerdem erhält die Legitimation
ein ähnliches Ziel und versucht die Gemeinsamkei-
der Menschenrechte ein weiteres Mal eine
ten zwischen den Kulturen deskriptiv herauszuar-
praktische Bedeutung. Zur Aufgabe des
beiten (Küng 2008 und Küng 2006: 663–667). Eine
interkulturellen Rechtsdiskurses tritt ein
Zwischenbilanz seines umfangreichen Projekts
Votum zur Debatte um das Projekt der
„Weltethos“ fasst Karl-Josef Kuschel folgendermaßen zusammen:
Moderne hinzu.“ (Höffe 1996: 67) Höffe erfasst die kulturellen Gemeinsamkeiten als
„Es wird auch in Zukunft keine konflikt-
kulturneutrale und anthropologisch allgemeine
freie Ethik geben; Spannungen unter-
Voraussetzungen. Sie liegen für ihn als transzen-
schiedlicher Ethik werden auch in Zukunft
dentale Interessen allen konkreten kulturellen
die Menschheit bestimmen. Darin drückt
Ausgestaltungen zugrunde und sollen vertrags-
sich nicht zuletzt die Achtung vor der
theoretisch in der Form eines transzendentalen
kulturellen Pluralität und religiösen Viel-
Tausches die Universalität der Menschenrechte
falt in der Geschichte der Menschheit aus.
begründen können.
Nicht unrealistisch dagegen ist die Suche
Diese neutrale Begründungsstrategie sucht
nach einem ethischen Minimalkonsens
jedoch meines Erachtens nur nach dem kleinsten
zwischen den verschiedenen Religionen,
gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen Kul-
einem Kernbestand verschiedener ethi-
turen und bietet nur ein minimalistisches Ver-
scher Überzeugungen. Durchaus wün-
ständnis oder einen ethischen Minimalkonsens
schenswert ist die Suche nach Überschnei-
der Menschenrechte. Sie fragt vor allem nach den
dungsbereichen und Überlappungen, wo
Bedingungen der Möglichkeit der Universalität
ethische Überzeugungen unterschiedlicher
der Menschenrechte vor dem Hintergrund ihrer
42
Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte
kulturrelativistischen Kritik. Dabei wird die kri-
ist allerdings nur partiell kritisch und nur ansatz-
tische Funktion der Menschenrechte gegen die
weise zutreffend (vgl. Lohmann 2012: 212).
eigene und die anderen Kulturen entweder ignoriert oder stark reduziert.
Transkulturelle Begründungsansätze
Interkulturelle Begründungsansätze
Die transkulturelle Begründung „will die Unterschiedlichkeit der Kulturen
Der interkulturelle Begründungsansatz will, so
hinsichtlich der Begründung belassen und
Lohmann,
erreicht so plurale Begründungen des uni-
„ausgehend von den unterschiedlichen Eigenheiten der verschiedenen Kulturen
versellen Anspruchs der Menschenrechte“ (ebd.: 211).
etwas Gemeinsames zwischen den Kultu-
Dadurch wird eine plurale Begründung der Men-
ren konstruieren [und] löst seinen Begrün-
schenrechte ermöglicht, die vom Pluralismus der
dungsanspruch erst durch Dialog, Vergleich
Kulturen ausgeht. Die transkulturelle Begründung
oder wechselseitige Vereinbarung ein und
geht meines Erachtens über die neutrale und inter-
verfährt in diesem Sinne interkulturell“ (Loh-
kulturelle Begründung hinaus.9 Transkulturalität
mann 2012: 211, Hervorh. im Original).
bietet Individuen oder Gruppen die Möglichkeit,
Interkulturelle Ansätze suchen,
kritisch miteinander umzugehen. Sie besteht aus
„ausgehend von jeweils unterschiedlichen
einer horizontalen Bewegung, die dazu führen
kulturellen Prämissen, nach einem norma-
sollte, gemeinsame Werte und Normen zwischen
tiv zu verstehenden overlapping consensus
den Kulturen zu suchen, und einer vertikalen
zwischen den Kulturen. Dafür wird gegen
Bewegung, die darauf zielt, Begriffe auszubilden,
eine westliche, kulturimperialistische Ver-
die über die empirische Vielfalt der Kulturen hin-
einnahmung und Bevormundung ebenso
ausgehen. Daher nimmt
gekämpft wie für einen gleichberechtigten
„ ‚Transkulturalität‘ nun […] den kritischen
Dialog der unterschiedlichen Kulturen.“
Aspekt aller Kulturen wieder auf, um das,
(Ebd.: 212, Hervorh. im Original)
was universell sein kann, auf transversale
Exemplarisch für diese Position steht der Ansatz
und transzendente Weise zu bestimmen
von Heiner Bielefeldt in seinem Buch „Philosophie
und hierdurch einen kritischen und stets
der Menschenrechte. Grundlagen eines weltwei-
erneuerbaren Korpus von Werten zu kon-
ten Freiheitsethos“ (1998). Ausgehend von einem
struieren, die der ganzen Menschheit ge-
bei Kant abgesicherten „politisch-rechtlichen Frei-
mein sind“ (Triki 2011: 194).
heitsethos“ der westlichen Moderne, versucht Bie-
An dieser Stelle kommt der kritischen Funktion
lefeldt die Menschenrechte „als Kern eines inter-
der Menschenrechte eine zentrale Rolle zu, denn
kulturellen ‚overlapping consensus‘ “ mit anderen
die transkulturelle Begründung der Menschen-
Kulturen nachzuweisen. Er macht klar, dass es bei
rechte basiert auf einer ‚doppelten Kritik‘. Der
diesem auf die Menschenrechte beschränkten Dis-
Ausdruck doppelte Kritik wurde zunächst von
kurs nicht um die interkulturelle Gewinnung einer
dem marokkanischen Intellektuellen Abdelkebir
gemeinsamen und umfassenden Heilslehre, son-
Khatibi im literarischen und soziologischen Kon-
dern um die Begründbarkeit einer eigenständigen,
text entwickelt. Damit ist vor allem jene Kritik
säkularen Rechtsordnung geht. Er knüpft zum Bei-
gemeint, die in der Lage sei, eine Transformation in
spiel an kritische rationale theologische Stimmen
unseren Wahrnehmungs- und Wissensstrukturen
innerhalb der arabisch-islamischen Kultur an und versucht somit einen interkulturellen Konsens zu gewinnen. Der interkulturelle Begründungsansatz
9 Zu einer möglichen Bedeutung des Begriffs der Transkulturalität vgl. Welsch (2010).
43
WIKA-Report (Band 2)
zu leisten.10 Sie setzt sich kritisch mit der eigenen
Menschenrechte zu begründen und zu
kulturellen Tradition sowie mit der Tradition der
überprüfen.“ (Lohmann 2012: 213)
Anderen – hier die Kolonialgeschichte der Europäer – auseinander. Im Folgenden möchte ich diesen Begriff
Ausblick
in einem philosophischen Kontext verwenden und für die kritische Konzeption der Menschen-
Worin liegt der Unterschied des transkulturellen
rechte fruchtbar machen. Die doppelte Kritik
Ansatzes insbesondere im Vergleich zu den inter-
ist im transkulturellen Diskurs über Menschen-
kulturellen Begründungsansätzen? Die Verbindung
rechte zuerst im Sinne einer Selbstkritik zu ver-
– das ‚trans‘ – besteht nicht in einem gemeinsamen
stehen, die sich mit den eigenen autoritären
Nenner – einem ‚inter‘ – sondern in einem gemein-
gesellschaftlichen, politischen und kulturellen
samen Diskurs. Hier wird nicht mehr über die
Strukturen auseinandersetzt und hierdurch die
Anderen gesprochen, sondern mit den Anderen an
„Universalisierbarkeit“11 der Menschenrechte
einer universalen Begründung der Menschenrechte
ermöglichen kann. Daher ist sie im allgemeinen
gearbeitet. Dabei impliziert das ‚Recht auf Recht-
Sinne als Kultur- und Rechtskritik zu verorten;
fertigung‘ – um einen Ausdruck von Rainer Forst
sie ist des Weiteren als eine Kritik der Anderen
(2007) zu verwenden – auch einen Pluralismus der
zu erfassen, da ihre Kritik sich gegen die Missach-
Begründung der Menschenrechte selbst. Dies ist als
tung und Instrumentalisierung der Menschen-
ein offener Prozess zu verstehen, der sich immer
rechte unterschiedlicher (auch westlicher) Staa-
wieder von neuem der Kritik zu unterziehen hat
ten und Organisationen richtet. Hier findet die
und keine Patentlösungen anbieten kann. In die-
aus Unrechtserfahrung erwachsene Kritik ihren
ser immer neu zu formulierenden Kritik spielt die
wichtigen Platz. Lohmann fasst diese Idee wie folgt
Unrechtserfahrung eine konstitutive Rolle. Norma-
zusammen:
tiv betrachtet ist die Unrechtserfahrung ein Auslö-
„Ziel des ‚transkulturellen‘ Ansatzes ist es
ser für die Debatte über die transkulturelle Begrün-
somit, aus der kritischen Vergewisserung
dung der Menschenrechte.
der eigenen kulturell verankerten philo-
Kann die transkulturelle Universalität der Men-
sophischen Tradition durch interkultu-
schenrechte vor dem Hintergrund der Erfahrung
relle Vermittlung den Universalismus der
des Unrechts begründet werden? Meine Antwort lautet: Ja. Die beiden Aspekte, die der paradigmatischen (bzw. epistemischen) Rolle der Erfahrung des
10 In seinem Sammelband „Maghreb pluriel“ schreibt Khatibi: „Engagieren wir uns auf der Stelle für das, was bereits vor uns realisiert wurde, und versuchen wir es in der Logik einer doppelten Kritik zu transformieren, einer Kritik des abendländischen Erbes einerseits und einer Kritik unseres eigenen Erbes andererseits – ein Erbe, das so theologisch, charismatisch und patriarchalisch ist. Doppelte Kritik: Wir glauben nur an die Offenbarung des Sichtbaren – Ende der himmlischen Theologie und jeglicher kränkenden Nostalgie.“ (Khatibi 1983: 12, Hervorh. des Autors). „Jedes Lesen oder Wiederlesen unseres kulturellen Erbes (tourath) und jeder Blick auf diesen Ruhm der Vergangenheit sind für uns nur von entscheidendem Gewicht, insofern sie als Hebel einer doppelten Kritik dienen.“ (Ebd.: 20, Hervorh. des Autors) 11 „Unter ‚Universalisierbarkeit‘ wird die Annahme verstanden, dass Normen mit universeller Geltung aufgrund von (rechtlicher) Aushandlung unter unterschiedlichen sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Bedingungen implementiert werden können.“ (Bielefeldt 2010: 2832)
Unrechts sowie die der Universalisierung der Menschenrechte hängen meines Erachtens zusammen. Die historische Erfahrung der Menschenrechtsverletzungen trägt zur Verstärkung der normativen Seite der Menschenrechte bei. Während kulturrelativistische Ansätze die Differenzen als unüberwindbar deklarieren, geht es in transkultureller Perspektive darum, die kulturellen Differenzen immer wieder von neuem fruchtbar zu machen.
44 Unrechtserfahrung und Transkulturalität der Menschenrechte
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Dr. Sarhan Dhouib, Studium der Philosophie an den
Universitäten Sfax (Tunesien) und Paris 1 – Sorbonne.
Promotion im Jahre 2008 an der Universität Bremen. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philo sophie der Universität Kassel. Arbeitsgebiete: Kant und der Deutsche Idealismus (insbesondere Schellings
Philosophie), Menschenrechts- und Gerechtigkeitsdis kurse, Arabisch-islamische Philosophie, Interkulturelle
Philosophie, Ideengeschichte des arabisch-islamischeuropäischen Kulturtransfers. – Kontakt: dhouib@unikassel.de
46
geführt (Brechtken 2006: 361ff.). Das gelte selbst
Raumpolitik und ‚Area Studies‘ in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik aus historischer Sicht
für die Landstrategien. Als besonders einflussreiches Beispiel nannte Brechtken den britischen Geografen Sir Halford Mackinder (1861–1947), dessen neue Heartland-Theorie von 1904 über die eurasische Kernzone als ‚Drehpunkt‘ (pivot) der europäischen und der Weltgeschichte 25 Jahre später auch den deutschen Geopolitiker Karl Haushofer (1869– 1946) und den Nationalsozialismus erreicht und beeinflusst habe. Die Heartland-These Mackinders lautet etwas verkürzt: Wer die Kernzone um den Osten der Mittelrussischen Schwelle beherrsche, kommandiere auch Europa und die Welt (Mackinder 1904: passim; vgl. Dodds (Hg.) 2004). Den Nazis kam diese These Mackinders später gerade recht, denn sie wollten besonders die Räume Osteuropas
von Kurt Düwell (Düsseldorf)
erobern und beherrschen. Dieser Ansatz der Geografie als Geopolitik, wie sie dann der schwedische Geograf Rudolf Kjellén nannte (vgl. Agnew/Corbridge 1995: 1), die aber
In seiner geschichtswissenschaftlichen Münchener
weniger, wie es zuweilen geschieht, auf die „Poli-
Habilitationsschrift „Scharnierzeit 1895–1907“ hat
tische Geografie“ Friedrich Ratzels (1897) zurück-
vor einigen Jahren Magnus Brechtken (2006) für
geführt werden sollte, orientierte sich primär an
das Dreieck der deutsch-britisch-amerikanischen
Faktoren der so genannten Hard Power, das heißt
Beziehungen vor und nach 1900 bis etwa 1907 eine
an militärischer und wirtschaftlicher Macht (vgl.
interessante These aufgestellt. Die These nämlich,
Nye 2004: 8ff.1). Wie steht es aber im Rahmen und
dass sich nach 1895 in Deutschland eine deutlich
außerhalb dieser geografischen und raumpoliti-
weniger raumbezogene politische Perspektive,
schen Machtfaktoren um die so genannten wei-
eine „weniger planetarische Orientierung“ in der
chen politischen Elemente und Instrumente aus-
Außenpolitik entwickelt habe als bei den beiden
wärtiger Beziehungen? Wie kann Kulturpolitik als
angelsächsischen Flottenmächten. Diese seien
Soft Power mit „leisen und stillen Allüren“ (Riezler
schon durch die seestrategischen Untersuchungen
1914: 84f.) auch auf harte Machtfaktoren wirken?
in Seeleys Buch „The Expansion of England“ (1883) und
Welche Chancen haben kulturelle Module als Fak-
Mahans Arbeit „The Influence of Sea Power upon His-
tor X – das heißt, als „unbekannte Bekannte“ im
tory“ (1890) zu einer ausgreifenden maritim-geo-
ironischen Sinne von Interkulturalität nach Csaba
grafischen Strategieauffassung gelangt, die große
Földes (2009) – im Rahmen eines gegebenen geopo-
Beachtung gefunden habe. Und die mental maps,
litischen Machtgefüges und vielleicht sogar darü-
die als Folge dieses angelsächsischen spatial turn,
ber hinaus?
einer Hinwendung zu stärkerer geografisch-stra-
Ich möchte diese Fragen, die auch durch
tegischer Betrachtung, in den Diplomatenschulen
die Arbeiten von Joseph Nye in den letzten Jah-
Britanniens und der Vereinigten Staaten einerseits
ren wieder aktuell geworden sind, im Folgenden
und Deutschlands andererseits entstanden waren,
kurz an Hand einiger historischer Konstellatio-
hätten – so Brechtken – zu sehr unterschiedlichen,
nen im Verhältnis von geografischen Kenntnissen,
in Deutschland sozusagen zu weniger geografischweltkundigen außenpolitischen Vorstellungen
1 An anderer Stelle spricht Joseph Nye auch von smart power, vgl. Nye (2011).
47
WIKA-Report (Band 2)
geopolitischen und kulturellen Faktoren zwischen
Form am Ende des 19. Jahrhunderts vom Staat
Völkern und Staaten skizzieren und darf hier als
auch als Kulturpropaganda betrieben, aber
Impuls aus historischer Sicht einige funktionale
unter dem Nationalsozialismus auch mit
Module aus dem Baukasten und aus den Zielprojektionen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspoli-
neuen Propagemen überstrapaziert wurde; •
das Exempel des säkularen Realienschul-
tik (AKBP) nennen, die sich im Rahmen eines gege-
und Hochschulwesens um die Wende zum
benen politischen Systems oder auch am Rande
20. Jahrhundert als ‚Exportartikel‘ unter
dieses Systems und seiner geopolitischen Faktoren
dem vermeintlichen Schutz deutscher
als brauchbar oder auch weniger brauchbar gezeigt
Flottenpolitik im Zeitalter des Imperia-
haben. Es geht um den Einfluss auf politische Bezie-
lismus der europäischen Mächte vor dem
hungen zwischen Gesellschaften und zwischen Regierungen. Als solche Bausteine oder Module
Ersten Weltkrieg, vor allem in China; •
im Kontext technologischer und kulturel-
haben sich zum Beispiel seit der Frühen Neuzeit
ler Beziehungen Deutschlands, wie sie sich
schon die christlichen Missionen, ihre Missions-
seit 1888 und 1898 zur Türkei im Gefolge
schulen, Waisen- und Krankenhäuser in Übersee
des Baues der Anatolischen und der Bagdad
erwiesen, später auch deutsche allgemeinbildende
bahn, zum Teil auch der Hedschasbahn
Primar-, Sekundar- und Hochschulen der verschiedensten Art im Ausland, auch Auslandsinstitute,
nach Mekka und Medina, entwickelten; •
am Beispiel des deutschen allgemeinbilden-
Auslandsvereine, ebenso internationaler Wissen-
den Auslandsschulwesens, wie es im Zusam-
schaftsaustausch und Zusammenarbeit, Mittleror-
menhang mit auswärtigen Handelsnieder-
ganisationen sowie in der neueren Zeit vor allem
lassungen etwa seit der Mitte des 17. Jahr-
die Medien. Diese Module, die zum Teil auch schon
hunderts in Nord- und Osteuropa und durch
früh als Werkzeug einer Entwicklungspolitik avant
die verstärkte Auswanderung aus Deutsch-
la lettre gesehen werden können, sind nicht zuletzt
land seit 1849 besonders in Lateinamerika in
auch als Instrumente von Bemühungen zu verste-
wachsender Zahl entstand; zum Beispiel gab
hen, die auf eine Bewahrung und Wiederherstel-
es allein in Brasilien bis 1912 schon 585, oft
lung großer Werte wie Gerechtigkeit, Frieden, Kriegsverhütung und Erhaltung der natürlichen
auch kleinere deutschsprachige Schulen; •
an Hand der so genannten Mittlerorganisati-
Lebensräume gerichtet sind. Als historische Bei-
onen gegen Ende des Ersten Weltkriegs und
spiele solcher Module können hier in Verbindung
danach, wie zum Beispiel das Deutsche Aus-
mit funktionalen Räumen und Regionen einige
land-Institut (DAI) (1917) beziehungsweise das
wichtigere aufgezeigt werden, und zwar
daraus hervorgegangene Institut für Auslands-
•
a m Beispiel der christlichen Missionen von
beziehungen (ifa) und die Deutsche Akade-
Deutschland nach Übersee vom Ende des 16.
mie in München beziehungsweise das daraus
bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, zum
entstandene Goethe-Institut (1932). Andere
Beispiel in China, zeitweise auch in Japan,
Mittlerorganisationen, zum Teil autonom und
vor allem aber in Indien und in der Levante,
detachiert vom Staat, kamen bald hinzu. Das
also den östlich von Italien gelegenen Mit-
DAI übrigens, wie noch zu zeigen ist, auch
telmeerländern. Diese missionarischen Aktivitäten vollzogen sich unter anderem im
als Pionier des neuen Mediums Rundfunk; •
schließlich als letztes hier hervorzuheben-
Schutzraum von Herrschaftsgefügen wie
des Modul das besonders nach dem Ersten
dem chinesischen Kaisertum, der britischen
Weltkrieg entwickelte Instrument bilate-
Herrschaft in Indien und dem Osmanischen
raler staatlicher Kulturabkommen, das auf
Reich. Sie waren nicht zuletzt auf Glaubens-
dem modernen Prinzip der Gegenseitig-
propaganda gerichtet, deren säkularisiertere
keit beruhte und im Laufe der Jahrzehnte,
48
Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen AKBP
eingeschränkt nur durch die einseitige expan-
oder holländische Kaufleute nach Nagasaki einge-
sive nationalsozialistische Politik, zu einer
lassen werden, und die Mission fand für lange Zeit
immer wichtigeren Grundlage für den Kul-
ein Ende, weil das Christentum als das schlechthin
turaustausch und zu einem Werkzeug geo-
Fremde in Japan politisch sehr verdächtigt wurde.
strategischer Überlegungen wurde. In deren
Also eine Abwehr gegen das Fremde oder Xenopho-
Gefolge kam es auch zur Einführung von
bie. Folge einer vielleicht zu expansiven Glaubens
Kulturattachés, die zu einer wesentlichen
propaganda der Christen? Dies war aber nur die
Vertiefung der Kulturpolitik beitrugen.
eine Seite der Sache, sofern sie die Offenheit oder die Ablehnung auf Seiten der Rezipienten betraf. Es
Missionen in Indien, China, Orient: Glaubenslehre und Naturwissen als ‚Export‘
gab auch – und das ist der andere Aspekt – zuweilen selbst auf Seiten der den christlichen Glauben exportierenden Missionskräfte und ihrer Leiter eine Grenze der Offenheit und ein Ende der gelassenen Begegnung mit dem Fernen und Fremden.
Zum ersten dieser Module, zur christlichen Mis-
Als zum Beispiel im Jahre 1706 die erste protestan-
sion seit dem Ende des 16. Jahrhunderts: Blickt
tische Mission, die Dänisch-Hallesche im indischen
man auf die Beispiele deutscher christlicher Mis-
Tranquebar (dem heutigen Tharangambadi im Bun-
sion im Fernen Osten, die seit der Mitte des 16.
desstaat Tamil Nadu an der Südostküste Indiens),
Jahrhunderts deutlicher hervortreten, so ist diese
südlich von Chennai (dem ebenfalls an der Koro-
Mission überwiegend ein geistiger und geistlicher
mandelküste gelegenen ehemaligen Madras), mit
Export gewesen, sei es eine Ausfuhr von christli-
ihrer Arbeit begann und der Stiftungs- und Mis-
chen Glaubenslehren in die Ferne oder auch von
sionsdirektor August Hermann Francke in Halle
Naturwissen oder von beidem, wie das Auftreten
nach einigen Jahren erfuhr, dass sein Missionar
der Jesuiten Johann Adam Schall von Bell aus Köln
Barthold Ziegenbalg nicht nur die Tamil-Sprachen
(1592–1666) und das Beispiel des aus Flandern stam-
zu erforschen begann, sondern auch – außeror-
menden Ferdinand Verbiest (1623–1688) zeigen: Sie
dentlich modern und seiner Zeit voraus – ganz
arbeiteten gewissermaßen als Pionier-Missionare
unbefangen daran ging, das alte „malabarische
und zugleich als besondere Experten, nämlich als
Heidentum“ im Tamilenland und dessen Eigenart
leitende Astronomen und feinmechanische Instru-
zu beschreiben (Thierfelder 2003), hielt Francke
mentenbauer am kaiserlichen Hof in Beijing (vgl.
diese Manuskripte zurück und legte sie der europä-
Bernard 1942 und van den Maele 1955). Dabei war
ischen Öffentlichkeit nicht vor. Er zog eine Art Zen-
vor allem Ferdinand Verbiest schließlich bereit und
surbremse, was bedeutete, dass dieser alte und zu
in der Lage, seine astronomischen Werke auch auf
überwindende heidnische Glaube nicht erforscht
Chinesisch zu schreiben. Diese deutschen Astrono-
und erst recht nichts über ihn publiziert werden
men und ihre Nachfolger wurden sogar als Zeichen
sollte, da das nicht Bartholomäus Ziegenbalgs Auf-
ihrer Anerkennung einige Male in den Rang von
gabe als Missionar sein könne (Jürgens 2006: 126).
kaiserlichen Mandarinen erhoben. Es herrschte
Die Scheu vor dem fernen Fremden und Heidni-
also damals am Pekinger Hof eine relativ offene
schen wurde hier an einer sensiblen Stelle der Mis-
Haltung gegenüber dem Fremden.
sionsleitung sichtbar: Zwar ging die Hallesche Mis-
Dagegen kam es in Japan gegen die Jesuiten
sion sehr rational vor und exportierte ebenso wich-
und andere katholische Missionare schon seit der
tige Arzneimittel ihres berühmten Pharmazeuten
Tokugawa-Zeit nach 1600 zu einer entschiedenen
Johann Ernst Gründler (1677–1720) aus der Stif-
Abwehr und seit 1638 schließlich zu einer strik-
tungsapotheke zu Halle in alle Welt, sie versorgte
ten Abschließung des Landes nach außen. Damals
ihre Missionare auch mit eigener missionswissen-
durften überhaupt nur noch wenige chinesische
schaftlicher Literatur, die sie in ihrer Offizin an
49
WIKA-Report (Band 2)
der Saale oder auch in einer Druckerei im fernen
den militärischen Niederlagen des türkischen Staa-
Tranquebar selbst druckte (Liebau 2006: 106f.). Sie
tes durch den Sultan konzediert werden mussten.
stattete die Sendboten sogar zur besseren geografi-
Durch das Reformedikt des Sultans Abdul-Med-
schen Kenntnis und als Vorbereitung auf das Ferne
schids I. von 1856 (Hatt-Humayun) wurde im türki-
und Fremde mit informativen Erdgloben und geo-
schen Reich erstmals Religionsfreiheit gewährt,
grafischen Karten und Lehrmitteln aus, die sie in
so dass Christen, allerdings zunächst nur die grie-
einer eigenen Werkstatt in Halle in größerer Zahl
chisch-orthodoxen, gleichberechtigt wurden. Das
herstellte und ständig verbesserte (Sames 2006: 34
Osmanische Reich öffnete sich damit stärker den
u.a.). Sie lieferte also auch geografisches Orientie-
westlichen Einflüssen, die dann auf dem Berliner
rungswissen gleich mit. Aber den indigenen Paga-
Kongress von 1878 von Sultan Abdul-Hamid II. auch
nismus des alten Tamilenlandes mochte Francke
international anerkannt wurden. Deutsche, Eng-
nicht auch noch erforschen und Arbeiten über ihn
länder und Franzosen nutzten das für den Beginn
veröffentlichen lassen. Das heißt, die Erforschung
beziehungsweise für den Ausbau ihrer Kulturbezie-
der Tamilsprache wurde zwar genehmigt, aber
hungen nach Konstantinopel (Istanbul).
damit sollte dann die Zweibahnstraße des kulturellen Austauschs auch ihr Bewenden haben: Keine weitere Beschreibung des alten ‚malabarischen Heidentums‘, bitte! So könnte man die entschiedene
Südosteuropa – Levante – China: Schulen, Bahnen, Rivalitäten
Meinung Franckes vielleicht zusammenfassen. Durch die neue protestantische Missionsarbeit
Alle diese Einrichtungen, hervorgegangen aus dem
in Übersee entwickelte sich dann wie in Tranque-
christlichen Missions- und Bildungsgedanken, ent-
bar auch ein typisches Waisenhaus- und Mädchen-
wickelten im Laufe der Jahrzehnte Bildungs- und
schulwesen, wie es später im 19. Jahrhundert auch
Ausbildungsangebote weltweit, die mit gesell-
am Beginn des Auslandsschulwesens der missiona-
schaftlicher und staatlicher deutscher Förderung
rischen Diakonie-Einrichtungen Theodor Fliedners
bis zum säkularen Hochschultyp Technion für die
von Kaiserswerth und seinem Rheinisch-Westfäli-
jüdische Siedlung in Haifa zu einer Art Ausfuhr
schen Diakonissenverein im Nahen Osten entstan-
artikel des Deutschen Reiches wurden. Es handelte
den ist, beginnend 1851 in Jerusalem (Waisenhaus,
sich um Bildungsofferten, die durch ein verbesser-
Höhere Mädchenschule, später die heutige Talitha
tes Verhältnis zum Osmanischen Reich, das diese
Kumi bei Bethlehem), dann in Smyrna 1853, und
Räume kontrollierte, möglich geworden waren
auch in Beirut (1860 das Waisenhaus, 1862 Höhere
beziehungsweise die zum Teil auch selbst als Soft
Mädchenschule). Danach folgten die katholischen
Power erst dazu beigetragen haben, dass die Bezie-
Borromäerinnen mit ähnlichen Einrichtungen
hungen zum Sultan und später zur jungtürkischen
in Haifa (1896) und Jerusalem (1906). So wurden
Regierung in Istanbul verbessert werden konnten.
zugleich auch diese neu zur Bedeutung gelang-
Dort gab es schon seit 1867 eine deutsche säkulare
ten Regionen im Nahen Osten teilweise sogar mit
Schule mit staatlicher deutscher Genehmigung, die
staatlicher Unterstützung erschlossen,2 wobei dann
1911 zur Oberschule ausgebaut werden konnte, und
außerdem auch noch Krankenhäuser gegründet
in Yedikule bei Konstantinopel seit 1875 eine deut-
wurden.
sche Schule, die von einem Schulverein getragen
Die Bedingung dafür, dass diese neuen christ-
wurde, der der protestantischen Kirche nahestand.
lichen Einrichtungen im Nahen Osten geschaffen
Nur so viel hier zur Bedeutung der christlichen
werden konnten, waren wichtige Reformen des
Mission, die zum Teil als Vorläufer und Wegbereiter
Osmanischen Reichs in den 1850er Jahren, die nach
der späteren staatlichen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gesehen werden kann.
2 Auf das Mädchenschulwesen in den Kolonien kann hier leider nicht eingegangen werden; vgl. hierzu Kleinau (2000).
50
Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen AKBP
Das oben genannte zweite Beispiel eines Funk-
Lehrbetrieb gerade 1912 begonnen, als kurz dar-
tionsmoduls waren die im Zuge des deutschen Flot-
auf der Erste Weltkrieg die erfolgversprechenden
tenbaues um 1900 in China, der zweiten Interes-
Arbeiten unterbrach und zu einer Besetzung durch
senregion Deutschlands3, errichteten deutschen
japanische Truppen führte. Das deutsche Flotten-
Hochschulen (vor allem in Schanghai und Tsing-
geschwader in Tsingtau musste sich zurückziehen.
tau: Medizin- und Ingenieurschulen), verbunden
Damit entfiel auch die machtpolitische Grundlage
mit einer Reihe von neu gegründeten deutschen
für eine deutsche kulturelle Präsenz. Was blieb,
Elementar- und Mittelschulen (sechsklassige Real-
war allenfalls als kulturelles Zeugnis die in Tsing-
schulen) als Zulieferern für diese Fachhochschul-
tau hinterlassene neue deutsche koloniale Jugend-
institute. Sie dienten einerseits der Rekrutierung
stilarchitektur und die Schandongbahn, die von
von chinesischen Führungskräften zur Unterstüt-
deutschen Ingenieuren zu den Kohlenvorkommen
zung der deutschen Hafen- und Handelsorgani-
im Hinterland (Kiautschou) gebaut worden war, um
sation in Tsingtau, boten andererseits aber auch
den wichtigen Flottenstützpunkt mit Kohle zu ver-
chinesischen Medizin- und Ingenieursaspiranten
sorgen.
Examens- und professionelle Möglichkeiten, die
Ähnlich wie mit China, das heißt, sehr stark
der schwache chinesische Staat um 1900 für eine
auf den Export eines deutschen technischen Schul-,
verbesserte Entwicklung dringend brauchte. Die
Fachschul- und Hochschulwesens bezogen, verhielt
Tung-Chi-Hochschule in Schanghai (heute Tongji-
es sich auch mit dem dritten Modul in unserem
Universität) wurde 1907 mit einer Medizinabtei-
Überblick, der Schaffung eines deutschen techni-
lung gegründet und 1912 durch eine Ingenieur-
schen Schulwesens in der Türkei, wo nach 1880
fachschule ergänzt. Die Medizinschule stand in
unter deutscher Führung mit dem Bau der Anato-
Verbindung zu dem 1900 in Hamburg gegründe-
lischen und dann zehn Jahre später auch mit dem
ten Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten,
der Bagdadbahn begonnen wurde (Pohl 1999; vgl.
dessen Hygiene- und Tropenmediziner Peter Müh-
Fuhrmann 2011). Diese Projekte erhöhten den stra-
lens einige Jahre nach dem Ende des Kriegs 1932
tegischen Wert dieser Weltregion enorm, freilich
mit dem chinesischen Gesundheitsminister Heng-
angesichts der Rivalitäten der europäischen Indus-
Liu ein Programm über Zusammenarbeit und Aus-
triestaaten auch das Risiko. Zu den Eisenbahnschu-
tausch vereinbarte (vgl. Wulf 1994: 79f.). Wieweit
len, die zunächst für die Ausbildung der einfachen
dabei deutscherseits auch die traditionelle chine-
Eisenbahnbeamten in drei Einrichtungen in Kara
sische Medizin der Tropenkrankheiten erforscht
agatsch im Vilayet Edirne (Adrianopel), in Hai-
wurde, kann leider zur Zeit noch nicht beantwortet
darpascha und in Eskischehir (asiatische Türkei)
werden. Ein Teil dieser Aktivitäten war nach dem
gegründet wurden, zu denen aber noch 17 weitere
Ersten Weltkrieg auch in die multilateralen Koope-
Schulen dieser Art geplant waren (vgl. Schult 2014),
rationen des Völkerbunds eingebunden, die damit
sollte als krönender Abschluss noch eine akademi-
für Deutschland wie für viele andere Staaten eine
sche deutsche TH für die Ingenieurausbildung in
neue Dimension der internationalen Zusammen
Adana in der Südtürkei geschaffen werden. Doch
arbeit darstellten.
kam es in Folge des Weltkriegs nicht mehr dazu.
Zu den erwähnten medizinischen Institutio-
Andere geografische Räume, die seit den 1880er
nen kam noch als weitere Ebene der technologi-
Jahren für Deutschland interessant wurden, waren
sche Kontakt zu China in Form der Technischen
Südosteuropa, auch der Raum der Donauschifffahrt
Hochschule (TH) in Tsingtau, die insbesondere für
und das dadurch erreichbare östliche Mittelmeer.
Schiffstechnik errichtet wurde. Sie hatte mit ihrem
Sie waren durch den 1869 eröffneten Suezkanal und den Bau der kleinasiatischen Eisenbahnen
3 Im Folgenden werden die zeitgenössischen, heute jedoch nicht mehr gebräuchlichen deutschen Schreibweisen verwendet (Anm. d. Hrsg.).
zu einem dynamischen Spannungsfeld geworden, mit dem Bismarck noch in den 1880er Jahren, was
51
WIKA-Report (Band 2)
die Türkei, Bulgarien und Griechenland betraf,
sowohl über das allgemeinbildende als auch über
kaum gerechnet hatte.4 Der fast schon abgelegte
das schon erwähnte Spezialschulwesen. Mit dieser
geografische Begriff ‚Levante‘ hatte wieder aktu-
Denkschrift – sie betrifft vor allem unser viertes
elle Bedeutung bekommen, woran übrigens auch
Modul: das allgemeinbildende Auslandsschulwe-
Österreich-Ungarn durch seinen Hafen Triest und
sen – waren u. a. die kulturpolitischen Ausbau
den Österreichischen Lloyd als größte Schifffahrts-
pläne für die Levante und für Südosteuropa deut-
gesellschaft des Mittelmeers mit entsprechenden
lich artikuliert und vom AA beim Reichstag zusätz-
nautischen Ausbildungseinrichtungen auch für
liche Mittel für diese Zwecke gefordert worden.
Deutschland als Kooperationspartner einen bedeu-
Dieses Memorandum wurde aber schließlich nach
tenden Anteil hatte.
der Sitzung des Hauptausschusses des Reichstags
Die Orientreise Wilhelms II. 1898 unterstrich
1914, aus nicht ganz ersichtlichen Gründen, für
das deutsche Interesse an der nahöstlichen Region
geheim erklärt und wieder eingezogen.5 Warum?
oder am ‚Morgenland‘, wie es auch hieß, sehr deut-
Man kann darüber nur Vermutungen anstellen. In
lich, aber es war auch klar geworden, dass das
dieser geheimen Denkschrift wurde zum Beispiel
Reich damit zum Teil in Interessensphären Groß-
deutlich, und das waren vielleicht Gründe für die
britanniens und Frankreichs eingetreten war, die
Wiedereinziehung des umfangreichen Papiers,
beide für den Fall einer schwächelnden Türkei
dass man im Amt schon 1912/13 erstens mit Plä-
ebenfalls als Anwärter bereit standen. Denn nach
nen befasst war, die Kulturpolitik erheblich stär-
der Eröffnung des Suezkanals 1869 und mit dem
ker zu fördern als bisher, wobei aber beim Ausbau
Baubeginn der großen Eisenbahnen im Osmani-
des Auslandsschulwesens auf die ‚einheimischen‘
schen Reich hatte die strategische und wirtschaft-
Regierungen in den verschiedenen Ländern vor-
liche Bedeutung des östlichen Mittelmeers, aber
sichtig Rücksicht zu nehmen war. Das führte zwei-
auch die des südosteuropäischen Raums durch die
tens zu Vorstellungen, im AA die Regionen der Erde
Anbindung der Donauschifffahrt an den neuen
in diesem Sinne später nach ersten Länderrefera-
Seeverkehr durch den Suezkanal über die Donau-
ten zu differenzieren und ihnen drittens besondere
Umschlaghäfen Braila und Galatz (Galaţi) erheb-
Zwecke, je nach Region, zuzuweisen. Die Denk-
lich zugenommen. Galatz wurde 1856 zum Sitz der
schrift enthielt auch viertens eine vorzügliche
internationalen Europäischen Donaukommission.
Statistik des deutschen Auslandsschulwesens mit
Viele deutsche Kaufleute hatten in diesen Räumen
insgesamt 878 schon bestehenden deutschsprachi-
bis ins südliche Russland hinein ihre Kontore eröff-
gen Auslandschulen der verschiedensten Art in fast
net, sich mit ihren Familien angesiedelt und die
allen Teilen der Welt, vielfach von privaten deut-
Gründung deutscher Schuleinrichtungen unter-
schen Schulvereinen getragen.
stützt. Auch hier boten sich Möglichkeiten für eine deutsche Auswärtige Kulturpolitik.
Aber angesichts des noch bestehenden großen Übergewichts der französischen Schulen in
Angesichts des wachsenden politischen
der Türkei und der wirtschaftlichen Interessen
Gewichts dieser Regionen hatte das Auswärtige
Frankreichs und Großbritanniens in dieser Region
Amt (AA) zuletzt noch seit 1912 für den Hauptaus-
(besonders wegen der neu entdeckten Ölressourcen
schuss des Reichstags eine fast 400 Seiten lange
um Mossul) war man sich im Auswärtigen Amt der
Denkschrift über das gesamte deutsche Auslands-
Brisanz der deutschen Pläne bewusst und rechnete
schulwesen zu erstellen begonnen, und zwar
mit noch nicht ganz überschaubaren Schwierigkeiten. Das spätere geheime britisch-französische
4 Noch 1880 und 1885 scheint Bismarck gegenüber französischen Diplomaten sehr deutlich und lebhaft sein Desinteresse an türkischen, bulgarischen und griechischen Angelegenheiten zum Ausdruck gebracht zu haben. Vgl. „Documents Diplomatiques Français (1871–1914)“, 1. Serie, Bd. III, S. 164 und Bd. VI, S. 103.
Sykes-Picot-Abkommen von 1916 über eine Aufteilung der Interessensphären beider westlichen 5 Abgedruckt bei Düwell (1976: 316–370). Hier zum Nahen Osten S. 323 und S. 326–329.
52 Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen AKBP
Mächte hat diese Bedenken des Auswärtigen Amts,
passim). Das erforderte jedoch im AA eine Auftei-
die zur Rücknahme der Denkschrift führten, dann
lung nach mindestens sechs regionalen Abteilun-
nachträglich noch bestätigt.
gen, die aber schon nach anderthalb Jahren finan-
Die Kulturpolitik war in dieser Region und zu
ziell nicht aufrecht erhalten werden konnte. Die
diesem Zeitpunkt – anders als heute oft angenom-
neue Kulturabteilung als Sachgebiet blieb jedoch
men wird – nicht unbedingt ein Instrument des
bestehen. Sie war, so könnte man sagen, wenn
Friedens, sondern auch ein Feld nationaler Riva-
nicht das Modell, so doch ein Vorläufer der späte-
litäten, das den Frieden nicht wirksam sichern
ren Abteilung 600 im Bonner Auswärtigen Amt, die
konnte. Dennoch blieb die neue Schulpolitik
viel stärker mit ihren Länderreferaten dem regio-
bestimmend. Für alle Auslandsschulen war 1906
nal-kulturgeografischen Gliederungsprinzip ent-
im AA ein Schulreferat gebildet worden. Die neuen
sprach.
Pläne bauten darauf auf. Vielleicht sollte die Denkschrift, die seit 1912 angelegt worden war, aus all diesen Gründen geheim blieben. Das Memorandum war ein interessanter Beleg für die Intentionen
Mitteleuropa: Das Deutsche AuslandInstitut und andere Mittlerorganisationen
der deutschen „friedlichen Imperialisten“ (Ernst Jäckh, Paul Rohrbach, Friedrich Naumann, Hans
Was fünftens den in der Weimarer Republik oder
Delbrück), deren Ziel es war, dass Deutschland in
kurz zuvor noch begründeten neuen Typ der Mitt-
der Welt „moralische Eroberungen“ machen sollte.
lerorganisationen angeht, so sei davon hier nur
Hieraus hat sich dann erst nach dem Ersten Welt-
noch stichwortartig ein kurzer Abriss gegeben: Die
krieg 1919/20 der Schritt zur Schaffung einer eige-
Gründung des Deutschen Ausland-Instituts (DAI) in
nen Kulturabteilung im Auswärtigen Amt und der
Stuttgart am 10. Januar 1917, mitten im Krieg und
Plan für eine Regionalisierung des Außenministe-
noch unter der Kanzlerschaft Bethmann Hollwegs,
riums nach geografisch gegliederten Länderabtei-
war in mancher Hinsicht ebenfalls neu und bemer-
lungen mit je spezifischen Aufgaben ergeben, wie
kenswert; denn es handelte sich um eine teils pri-
sie dann vor allem Ministerialdirektor Edmund
vate Gründung des wohlhabenden Stuttgarter
Schüler vorschlagen und im Amt schließlich auch
Kaufmanns, Generalkonsuls und Ersten Vorsitzen-
durchsetzen konnte (Schülersche Reform; vgl.
den Theodor Wanner, war aber zum anderen Teil
Doß 1977: 10f.). Diese Pläne gingen zum Teil noch
vom Reichsamt des Innern durch den deutschnati-
zurück auf die 1916/17 von dem Orientalisten C. H.
onalen Staatssekretär Karl Helfferich bezuschusst.
Becker verfasste „Denkschrift über den künftigen
Eine Besonderheit war auch, dass neben dem feder-
Ausbau der Auslandsstudien an den preußischen
führenden Reichsamt des Innern selbst das Aus-
Universitäten“. Auslandsstudien sollten in der
wärtige Amt, das Land Württemberg und die Stadt
Zukunft die Defizite an Welt- und Länderkenntnis
Stuttgart zunächst nur in geringem Maße finan-
der Universitätsabsolventen und jungen Bewerber
ziell am DAI beteiligt waren. Eine weitere Eigen-
für den diplomatischen und konsularischen Dienst
art des DAI lag anfangs auch darin, dass dieses
ausgleichen, um durch ein besseres Wissen über
Institut zugleich auch Museum beziehungsweise
das Ausland künftig Konflikte und Kriege eher zu
Sammlung sein sollte und zuerst die etwas baro-
vermeiden (Trommler 2013: 96f.). Das wirkte auf
cke Bezeichnung „Museum und Institut zur Kunde
Schüler weiter.
des Auslandsdeutschtums und zur Förderung deut-
Schüler scheint dabei eine Gliederung nach
scher Interessen im Ausland“ trug.
Kulturkreisen angestrebt zu haben, zum Teil ähn-
Dass dieses DAI sich dann bald nach der Grün-
lich wie Oswald Spengler sie zwei Jahre zuvor in
dung besonders mit dem Auslandsdeutschtum
seiner „Morphologie der Weltgeschichte“ vom
in Ost- und Südosteuropa befasste, war auch auf
Dezember 1917 vorgelegt hatte (Spengler 1917:
die wirkungsstarke, von Friedrich Naumann 1915
53
WIKA-Report (Band 2)
veröffentlichte Schrift „Mitteleuropa“ zurückzu-
Deutschland vor allem in seiner Fokussierung auf
führen. Dieses Buch wurde in dem seit 1910 eben-
den Donauraum als pars pro toto eines künftigen
falls von Theodor Wanner geleiteten Württem-
Mitteleuropa ein neuartiger Ansatz, der aber erst
bergischen Verein für Handelsgeografie schon
nach Kriegsende, dann allerdings unter schlechte-
1915/16 diskutiert. Doch die Arbeit Naumanns
ren Bedingungen und mangels anderer Möglich-
kam eigentlich zu spät, denn das Mitteleuropa-
keiten von einem 1931 von der deutschen Industrie
Konzept litt darunter, dass durch den Krieg die
gegründeten, aber ab 1935 zunehmend schwieri-
zuvor enorm gestiegene Bedeutung des österreichi-
ger werdenden „Mitteleuropäischen Wirtschafts-
schen Hafens Triest inzwischen in Folge der alli-
tag“ (vgl. Mommsen 1995 und Sohn-Rethel 1992)
ierten Seeblockade und der Flottenüberlegenheit
nur teilweise umgesetzt werden konnte. Im Bereich
der Alliierten erheblich geschwunden war. Ob es
der Kulturpolitik hatte dieser Ansatz allenfalls nur
auch Naumanns Mitteleuropa-Buch von 1915 war,
indirekte Wirkungen (Sachse (Hg.) 2010).
das den jüdischen Philosophen Franz Rosenzweig
Es gab ja nicht nur die einheimischen deutsch-
und den Dichter Hugo von Hofmannsthal in ihren
sprachigen Schulen zum Beispiel in den deutschen
Kriegsbriefen und Reden nach 1914 zu kulturpoli-
Siedlungen in Siebenbürgen und im Banat, son-
tischen Betrachtungen über diesen Begriff ange-
dern in großer Zahl auch die meist von deutschen
regt hat, wäre noch genauer zu prüfen. Dazu lie-
Schulvereinen oder Kirchengemeinden getragenen
ßen sich auch die gerade erschienenen Arbeiten
Bildungseinrichtungen im Südosten. Sie bestan-
von Wolfgang D. Herzfeld über Rosenzweig und die
den mit stattlichen Schülerzahlen unter anderem
vieldiskutierte, aber nur teilweise überlieferte Ber-
in Städten wie Triest, Ljubljana (Laibach, Herzog-
ner Rede von Hofmannsthals von 1918 heranziehen
tum Krain), Zagreb (Agram, Kroatien), in Bratislava
(vgl. Herzfeld 2013 und Herzfeld (Hg.) 2013).
(Preßburg) und als reichsdeutsche Schule in Buda-
Der geografisch etwas unscharfe Begriff Mit-
pest (seit 1908), in Pécs (Fünfkirchen), in Belgrad
teleuropa, der ursprünglich aus der österreichisch-
(seit 1854), in Bukarest (seit 1844 mit 1912 insge-
ungarischen Tradition um 1850 stammte, aber in
samt elf Schulen und zusammen 4.739 Schülern),
den Jahrzehnten danach von preußischer Regie-
ferner in Braila und Galatz (Galaţi), den Hafen-
rungsseite bei Zolleinigungsvorschlägen Wiens
städten in der Donaumündung, sowie in Sofia (seit
zunächst immer wieder abgelehnt worden war,
1887), Rustschuk (seit 1897) und Plowdiw (Philipp
wurde dann von Naumann 1914/15 sehr geschickt
opel) (seit 1901), auch in Bessarabien und in der
auf Möglichkeiten eines deutsch-österreichisch-
Dobrudscha. Die Gründung des Allgemeinen Deut-
ungarischen Wirtschafts- und Zollkondominiums
schen Schulvereins schon 1881 in Berlin (seit 1908
beider Reiche bezogen. War dies von Naumann in
Verein für das Deutschtum im Ausland) hatte zu
seinem Buch zunächst vor allem strategisch, und
einer Organisation geführt, mit der insbesondere
zwar besonders handels- und zollpolitisch gemeint,
das DAI nach 1918 als Mittlerorganisation analog
so lieferte das Stuttgarter DAI unter Theodor
zu den Grundgedanken des Mitteleuropa-Konzepts
Wanner und Dr. Fritz Wertheimer, dem General
Naumanns nun auch kulturpolitisch zusammen
sekretär, nun die Expertise und den praktischen
arbeiten konnte.
Nachweis, dass unter anderem auch ein bildungs-
Eine technische Innovation war dabei übri-
politischer Brückenschlag Deutschlands und Öster-
gens, dass das DAI unter Generalkonsul Wanners
reich-Ungarns und die Aktivierung der deutschen
und Dr. Fritz Wertheimers Leitung auch als eine
Printmedien sowie der Sprach- und Schulgemein-
der ersten Kulturinstitutionen das neue Medium
schaften in Südosteuropa, wie schon die geheime
Rundfunk im Reich einsetzte. Theodor Wanner,
Denkschrift des AA von 1913/14 nahegelegt hatte,
selbst Mitgründer des Süddeutschen Rundfunks in
eine Möglichkeit zu politischem deutsch-österrei-
Stuttgart im Jahre 1924, dem er bis 1933 vorstand,
chischen Zusammenwirken boten. Das war für
war auch stellvertretender Vorsitzender der 1925 in
54
Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen AKBP
Berlin gegründeten Reichs-Rundfunk-Gesellschaft.
wurde und in stärkerem Maße als bisher besonders
Aus dem Stuttgarter Haus des DAI, in dem 1924 ein
die Wechselseitigkeit der Kulturbeziehungen geför-
Rundfunkstudio eingerichtet wurde, hat insbeson-
dert hat. Nachdem Frankreich schon seit 1922 mit
dere Generalsekretär Wertheimer viele Informati-
dem Abschluss bilateraler Kulturabkommen begon-
onssendungen und Kommentare über die Lage der
nen hatte, kam es auf deutscher Seite erst ab 1927
Auslandsdeutschen und ihr kulturelles Leben nach
zu konkreteren Überlegungen. Praktisch wurde
dem Ersten Weltkrieg gesprochen (Düwell 2004).
damit eine Zweibahnstraße angesteuert, die zwar
Die Sendungen erfreuten sich eines relativ gro-
durch den Nationalsozialismus noch einmal stark
ßen öffentlichen Interesses. Zwar mussten sowohl
eingeengt und durch propagandistisch-expansiven
Wanner als auch Wertheimer, der Jude war, 1933
Druck fast beseitigt worden wäre, an die aber nach
auf nationalsozialistischen Druck aus dem DAI
dem Zweiten Weltkrieg die junge Bundesrepublik
ausscheiden und der massiven NS-Propaganda wei-
Deutschland wieder nach dem Prinzip der Gegen-
chen, aber die von ihnen geleisteten sachlichen
seitigkeit der Abkommen und diesmal unter Betei-
Grundlagenarbeiten und Erfahrungen befähigten
ligung der Bundesländer anknüpfen konnte (erstes
selbst noch das spätere ifa (Institut für Auslandsbe-
Abkommen mit den USA 1953). Eine ähnliche Ver-
ziehungen) während und nach der Wende in Osteu-
zögerung trat übrigens in der Weimarer Republik
ropa 1989/90, den Aufbau demokratischer Medien
auch bei der Schaffung des neuen Instruments Kul-
im ehemaligen Ostblock gemeinsam mit dem SDR
turattaché ein, das während der Zeit der Finanz-
technisch und publizistisch zu unterstützen.
not der Republik nur in ersten Ansätzen realisiert
Mit dem DAI war 1917 eine der ersten deut-
werden konnte.
schen kulturpolitischen Mittlerorganisationen geschaffen, ein neues Instrument der AKBP, das primär vom Gesamtstaat finanziert wurde und in ähnlicher Weise dann auch beim Goethe-Institut
Soft Power: Vom strategischen ‚X‘ zu Area Studies und Dialog
von 1932 (hervorgegangen aus der Deutschen Akademie in München) als Vorbild gewirkt hat. Beide
Wie stellte sich insgesamt nach dem Ersten Welt-
Institute waren kulturpolitische Errungenschaften
krieg das Verhältnis von Hard und Soft Power dar?
der Weimarer Republik, die auch nach dem Zwei-
1919 nannte der Generalquartiermeister des Heeres
ten Weltkrieg seit den 1950er Jahren noch den Neu-
Wilhelm Groener als Voraussetzung einer Macht-
ansatz einer AKBP der Bundesrepublik Deutschland
politik „Heer, Flotte und Geld“. Die waren nicht
nachhaltig beeinflusst haben. Doch war inzwi-
mehr da. Aber daneben hatte sich als Lehre aus der
schen generell das AA der zuständige Träger gewor-
Geschichte ein zusätzliches geistig-strategisches
den, wobei aber nun die Mittler in ihrer Sacharbeit
‚X‘ als notwendig erwiesen, das man als kulturelle
nach dem Ende der nationalsozialistischen Agita-
Ausstrahlung und gleichzeitig als geistige Aufnah-
tions- und Propagandamethoden eine weitaus stär-
mebereitschaft für ausländische Kultureinflüsse
kere Autonomie erhielten.
bezeichnen könnte. Wie dringend notwendig die-
Schließlich ist in diesem Überblick noch ein
ses zusätzliche ‚X‘ neben den harten Machtfaktoren
sechstes und letztes Modul der deutschen AKBP
selbst war, zeigte sich erst, als die drei von Groe-
schon für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu
ner genannten Vektoren in den Jahren nach 1918
nennen: das neue Instrument Kulturabkommen
fehlten und erst langsam wieder erworben werden
des AA, zu dem es schon 1875 einmal einen Vorläu-
mussten und sie auch dann noch, allein und für
fer in einem deutsch-griechischen Abkommen über
sich genommen, als nicht mehr hinreichend gelten
gemeinsame archäologische Grabungen in Olympia
konnten. Denn wenn unter dem Nationalsozialis-
gegeben hat, eine Vereinbarung, die aber als Typus
mus die finanziellen Mittel für die Auswärtige Kul-
erst in der Weimarer Republik fortentwickelt
turpolitik auch erheblich erhöht wurden, wirkten
55
WIKA-Report (Band 2)
sie sich nicht in demselben Maß positiv aus, weil
alten Geopolitik sah das dortige neue Konzept aus-
sie nach außen zu propagandistisch und agita-
wärtiger Beziehungen, aus dem sich nach weni-
torisch und im Inneren unter Verhängung einer
gen Jahren die so genannten Area Studies als neue
ideologischen Gleichschaltung eingesetzt wurden.
Disziplin entwickelten, vor allem eine intensivere
Das zeigen unter anderen die Arbeiten von Katja
Berücksichtigung und Erforschung sprachlicher,
Gesche (2006), Klaus Junker (1997), Eckard Michels
kultureller und auch religiöser Faktoren in einzel-
(1993) und Steffen R. Kathe (2005, als Übergang zur
nen Weltregionen vor. In Ergänzung der ursprüng-
Nachkriegsgeschichte).
lich in Washington (D.C.) und Baltimore angesiedel-
Die daraus nach dem Zweiten Weltkrieg gezo-
ten ‚Auslandsinstitute im Inland‘ wurden für die
gene Lehre war, dass Kulturexport allein nicht
Ausbildung des diplomatischen Nachwuchses nun
genügte, dass vielmehr in den Kulturbeziehungen
auch auswärtige Foreign Study Centers in Rangoon
nicht nur der Erwerb kulturgeografischer und eth-
(Birma), in Bologna und neuerdings auch in den
nographischer Kenntnisse, sondern auch echter
Arabischen Emiraten eröffnet. Sie und die damals
Austausch und Dialogbereitschaft, Begegnung und
schon entwickelten ersten speziellen Programme
Offenheit gelernt und eingeübt werden und dass
in den Area Studies wurden schon in den 1950er Jah-
auch Länderabteilungen im Auswärtigen Amt zu
ren durch die amerikanische Regierung und durch
dieser offenen Orientierung beitragen mussten.
Stiftungen wie das McCollum-Pratt- und andere Ins-
Das hat nach einer Besinnungspause, einer kriti-
titute gefördert sowie durch weitere Einrichtungen
schen Evaluation und Neugestaltung des Auswär-
ergänzt. Sie wurden neben anderen an den Univer-
tigen Amts erst Ministerialdirektor Dieter Sattler
sitäten Harvard, Berkeley, Chicago, Duke, Pennsyl-
in der Kulturabteilung des Amts seit 1951 auf den
vania und Philadelphia geschaffen. Diese ersten so
Weg gebracht. Er war der große Inspirator und Ver-
genannten Area Desks arbeiteten cross cultural und
mittler neuer Gedanken (vgl. Stoll 2005). Dabei hat
interdisziplinär und lieferten dem State Depart-
sich die junge Bundesrepublik Deutschland, die
ment und dessen regionalen Abteilungen Exper-
nach ihrer Gründung 1949 zunächst noch keinen
tisen. In der Anfangszeit personell unter anderem
auswärtigen Dienst besaß, ab 1951 am außenkul-
auch von deutsch-amerikanischen Exilanten und
turpolitischen Vorbild der westlichen Siegermächte
Vertretern der neuen Politikwissenschaft mitgetra-
orientiert. Es gab vor allem im amerikanischen
gen, die zuvor während des Kriegs im Office of Stra-
State Department für die Ausbildung des diploma-
tegic Studies (OSS) oder an anderer Stelle im Auf-
tischen Nachwuchses eine 1950 gegründete School
trag der amerikanischen Regierung mitgearbeitet
of Advanced International Studies in Washington
hatten und die besonders die europäischen politi-
(D.C.), die Modellcharakter gewann. Sie führte zu
schen und kulturellen Verhältnisse gut kannten
einer stärkeren Berücksichtigung kultureller und
(wie Ernst Fraenkel, Felix Gilbert, Hajo Holborn,
regionaler Faktoren in den internationalen Bezie-
Richard Löwenthal, Otto Kirchheimer, Franz Neu-
hungen. Schon 1943 hatten sich in der amerikani-
mann), bedeuteten die International and Area Studies
schen Hauptstadt durch die Gründung einer For-
eine Modernisierung. Sie hatten bald auch auf die
eign Service Educational Foundation die ersten
praktische Politik einen bedeutenden Einfluss.
Grundlagen der neuen International Studies ent-
Vor allem die regelmäßig stattfindenden
wickelt, die mit der älteren Tradition geopoliti-
Tagungen der International Studies Association
scher Studien kaum noch zu vergleichen waren.
in den USA waren bis in die 1980er Jahre ein
Grundlegend und richtungsbildend waren dabei
Forum, auf dem mehr und mehr auch die kul-
einige amerikanische Universitäten, zum Beispiel
turpolitischen Aspekte der auswärtigen Bezie-
die Johns Hopkins University in Baltimore, wo die
hungen behandelt wurden, zum Teil auch in
School of Advanced International Studies 1950 der Universität attachiert wurde. Im Unterschied zur
56 Raumpolitik und Area Studies in den Vorstellungen und Möglichkeiten einer deutschen AKBP
deutsch-britisch-amerikanischer Zusammenarbeit.6
auch die Bundesrepublik im Rahmen internati-
Die Area Studies wurden seit den 1960er Jahren par-
onaler Zusammenarbeit beteiligte (zum Beispiel
tiell auch zu einem Synonym für die Erforschung
„Mensch und Biosphäre“ und die jahrzehntelan-
der Beziehungen zu den Entwicklungsländern. Ent-
gen Forschungen über den Indischen Ozean) stär-
wicklungspolitik war daher zugleich den globalen
ker berücksichtigt. Die Entwicklung dieser geostra-
Großregionen und damit der unterschiedlichen
tegischen Aspekte und Instrumente der AKBP zeigt
geografischen und anthropograpischen Lage ein-
daher in historischer Sicht eine allmähliche Ver-
zelner Länder zugewandt. Vor allem für die Zusam-
feinerung der Mittel, was aber nicht ausschließt,
menarbeit mit den neuen afrikanischen Staaten
dass in bestimmten Regionen und Zeitläuften auch
erwiesen sich dabei zunächst bilaterale Kulturab-
Katastrophen und Rückschläge bei den Beziehun-
kommen als nützlich, später (seit den 1990er Jah-
gen zwischen Staaten und Kulturen auftreten kön-
ren) auch multilaterale Vereinbarungen im Rah-
nen. Diese Gefahren, die auch aus Unkenntnis der
men der Vereinten Nationen und der OECD, neu-
geostrategischen Gegebenheiten entstehen kön-
erdings auch der EU, die längst nicht mehr nur ein
nen, gilt es einzudämmen.
wirtschaftlicher Zusammenschluss ist. Hier tun sich zum Teil auch regionale Möglichkeiten einer Kriegsprävention und Friedenserhaltung auf, die
Literatur
schon vor einigen Jahren Kurt-Jürgen Maaß betont hat (2009: 28f.). Abgesehen von allen Gefahren, die Kriege ohnehin mit sich bringen, ist speziell der
Abrams, Irwin/Düwell, Kurt (1982): Lessons of the
Friede zwischen Entwicklungs- und Schwellenlän-
First American-German Exchange Professorships
dern eine wichtige Voraussetzung für deren wirt-
(1905–1914). Paper presented at the joint meeting
schaftliches Gedeihen und den Aufbau zivilgesell-
of the International Studies Association (ISA) and
schaftlicher Strukturen.
International Society for Educational, Cultural,
Seit den 1950er und 1960er Jahren haben sich die amerikanischen Area Studies in der Politikwis-
and Scientific Interchanges, 23rd Annual Conven tion, Cincinnati, OH, March 24–27, 1982.
senschaft und in der Diplomatie insofern durchgesetzt, als sie die deutschen Neuanfänge in den
Agnew, John A./Corbridge, Stuart (1995): Mastering
Universitäten und im Auswärtigen Amt nach dem
Space: Hegemony, Territory and International
Zweiten Weltkrieg bestimmt haben. Das wirkte
Political Economy. London: Routledge.
sich auch auf eine neue kulturpolitische Geostrategie aus. Zum Beispiel wurden neben den im Amt
Bernard, Henri (Hg.) (1942): Lettres et mémoires
gebildeten Länderabteilungen im Ausland groß
d‘Adam Schall: Relation historique. Tientsin:
regionale Botschafterkonferenzen eingeführt und
Hautes Études.
die Attaché-Ausbildung unter anderem stärker auf Länderkunde, auf historische und kulturpoliti-
Brechtken, Magnus (2006): Scharnierzeit 1895–
sche Faktoren ausgerichtet. Es wurden aber auch
1907. Persönlichkeitsnetze und internationale
die weltweiten naturwissenschaftlichen Groß-
Politik in den deutsch-britisch-amerikanischen
forschungsprojekte der UNESCO, an denen sich
Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg. Mainz: P. von Zabern.
6 Die zunehmende regionale und kulturpolitische Differenzierung der Area Studies spiegelte sich zum Beispiel in den Jahrestagungen der International Studies Association (gegründet 1959), die aus amerikanisch-kanadischen Zusammenschlüssen von Politikwissenschaftlern und Zeithistorikern hervorgegangen war und die auch der Verfasser einige Male erleben konnte. Vgl. Abrams/Düwell 1982: 63f., und Düwell 1989: 6f.
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WIKA-Report (Band 2)
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Prof. em. Dr. Kurt Düwell, Studium der Geschichte, Philosophie und Germanistik an den Universitäten Bonn und Köln. Promotion 1966 in Köln, Wissen schaftlicher Assistent am Historischen Seminar der RWTH Aachen, 1974 Habilitation an der Universität
Köln, 1977 ordentlicher Professor an der Universität Trier, 1995 an der Universität Düsseldorf. Gastpro fessor an den Universitäen Clark (Worcester, MA),
Miami (OH) und Wuhan (VR China). Arbeitsgebiete:
Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Geschichte der Auswärtigen Kultur- und Bildungspo litik, Landesgeschichte. 1984 bis 1994 Vorsitzender der
Deutsch-Amerikanischen Gesellschaft Trier und des
Sozialwissenschaftlichen Studienkreises für Internati onale Probleme. – Kontakt: kurt.duewell@t-online.de
60
Die Cable Leaks zeichnen ein eindringliches
Politische Handlungsräume durch Medien kommunikation? Public Diplomacy unter der Obama-Administration
Bild davon, wie die USA klassische Public Diplomacy betreiben. Darunter versteht man kommunikative Maßnahmen, die eine Regierung gegenüber der Öffentlichkeit eines Zielstaates anwendet. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die öffentliche Meinung in anderen Ländern so zu beeinflussen, dass deren Regierungen ihre Außenpolitik im Interesse des Absenderstaates ausüben. Letztlich soll damit der eigene außenpolitische Handlungsspielraum gegenüber dem Zielstaat erweitert werden. Public Diplo-
von Henrike Viehrig (Bonn)
macy beschreibt also die Beziehung zwischen einer Regierung und einer ausländischen Öffentlichkeit. Damit grenzt sie sich von traditioneller Diplomatie
Cable Leaks und Public Diplomacy
ab, die zwischen Regierungen bzw. deren Repräsentanten stattfindet. Die USA verfügen über etablierte Public Diplo-
Die unter Verschluss gehaltenen Geheimdienst-
macy-Strukturen, die vor allem im Außenministe-
dokumente, die durch Wikileaks-Betreiber Julian
rium angesiedelt sind. Hier ist ein eigener Staatsse-
Assange an die Öffentlichkeit gebracht wurden und
kretär für Public Diplomacy vorgesehen (der Under
als Cable Leaks bezeichnet werden, haben einige der
Secretary of State for Public Diplomacy and Public
Techniken bekannt gemacht, mit denen amerika-
Affairs). Zum anderen ist es der Präsident selbst,
nische Behörden andere Bevölkerungen außen-
der als oberster Public Diplomat weltweite Sichtbar-
politisch beeinflussen wollten. In Bezug auf den
keit genießt (Hayden 2011: 790f.). Drittens betreibt
Afghanistankrieg entwickelte beispielsweise die
das Broadcasting Board of Governors (BBG) – eine
CIA Ideen, wie die USA proaktiv politische Bot-
unabhängige Bundesbehörde – Auslandsrundfunk
schaften in deutschen und französischen Medien
anstalten wie Voice of America, Radio Free Afgha-
platzieren könnten, um die kriegsmüde Bevölke-
nistan, Radio Free Iraq, Radio Free Asia sowie
rung in diesen Ländern wieder für den Afghanis-
Radio Farda (Iran) und Radio and TV Martí (Kuba).
taneinsatz zu begeistern (CIA Red Cell 2010). Kon-
Die Aktivitäten des Außenministeriums sowie des
kret empfahl die CIA, dass Präsident Obama die
BBG unterliegen zudem der Kontrolle des amerika-
französische und deutsche Bevölkerung daran
nischen Kongresses (Höse 2008: 90 f.). Ein weiterer
erinnern solle, dass er – und nicht sein Vorgänger
Baustein moderner Public Diplomacy fußt auf der
Bush – nunmehr die Geschicke Afghanistans in die
Cyber Diplomacy oder Public Diplomacy 2.0, die auf die
Hand nehme. Außerdem schlug die CIA vor, afgha-
neuen digitalen Kommunikationsstrukturen setzt,
nische Frauen als Kommunikatorinnen der Afgha-
um die entsprechenden Zielgruppen online zu
nistanmission einzusetzen, da der deutsche und
erreichen. Dabei steht die Reziprozität der Kommu-
französische Zuspruch zur ISAF-Mission unter der
nikation im Vordergrund, d. h., man sendet nicht
weiblichen Bevölkerung besonders gering ist. Doch
nur, sondern empfängt auch und führt so einen
die Hoffnung auf einen Solidarisierungseffekt und
beständigen Dialog. Idealerweise führt dies zu
auf steigende Zustimmungsraten bei den europäi-
einer dichteren, informellen und leichter zugäng-
schen Verbündeten hat sich nicht erfüllt. Die Bünd-
lichen Kommunikation, die auch politische Räume
nispartner ziehen sich sukzessive aus Afghanistan
erschließt, indem sich beide Seiten ihrer gemein-
zurück, ohne die anfangs verfolgten Ziele erreicht
samen Werte bewusst werden (Graffy 2009). Wenn
zu haben.
man bedenkt, dass in den arabischen Ländern 24
61
WIKA-Report (Band 2)
bis 31 Prozent der erwachsenen Bevölkerung unter
Diplomacy. Seit dem Amtsantritt von Barack Obama
24 Jahre alt ist (Apt 2011: 3), ist der Bedeutungszu-
wird das Konzept nun auch auf hauptamtliche Poli-
wachs der digitalen Kommunikation für diese Ziel-
tiker angewendet. Voraussetzung ist wiederum,
gruppe gar nicht hoch genug zu bewerten.
dass die Person als solche eine Berühmtheit dar-
Ungeachtet des Mediums jedoch ist es für die
stellt und dass diese Berühmtheit von der Rolle als
USA als Absender der Botschaften unabdingbar,
Präsident abgekoppelt werden kann. Nur so ist es
dass ihnen Vertrauen entgegengebracht wird. Nur
möglich, persönliche Berühmtheit bzw. die damit
wenn eine grundsätzliche Offenheit und Nähe zwi-
einhergehende Medienaufmerksamkeit für politi-
schen den Kommunikationsteilnehmern herrscht,
sche Zwecke einzusetzen (Kellner 2010).
hat Public Diplomacy Aussicht auf Erfolg. Das Ver-
Unter der Voraussetzung, dass Präsident Barack
trauen, die Akzeptanz, das Interesse und die
Obama auch global als prominent (im angelsäch-
Attraktivität hängen wiederum von der Soft Power
sischen Sprachgebrauch also als celebrity) wahrge-
der USA ab. Je mehr der Rest der Welt bereit ist,
nommen wird, erscheint die These von Celebrity
amerikanische Werte und Ziele zu akzeptieren
Diplomacy schlüssig. Sie zielt auf Obamas Bekannt-
und für erstrebenswert zu erachten, desto wirk-
heit – vor allem im Ausland – und auf das ausge-
samer ist die Public Diplomacy. Der zentrale Unter-
prägte Interesse an seinen persönlichen Lebens-
schied zwischen Soft Power und Public Diplomacy
umständen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger
ist also, dass Soft Power eine Ressource ist, die ein
George W. Bush wurde Obama bei seiner Amtsein-
Staat durch die Unterstützung und Anerkennung
führung wie ein Rockstar gefeiert (Kellner 2010).
in anderen Staaten gewinnt. Es ist ein passives Gut.
Seine ungewöhnliche Rhetorik sowie die Tatsache,
Public Diplomacy hingegen ist eine aktive Form von
dass Obama der erste afroamerikanische Präsident
Außenpolitik, die zum Ziel hat, die Soft Power eines
der USA ist, brachte ihm und den Vereinigten Staa-
Landes zu erhöhen, die aber gleichzeitig ein gewis-
ten weltweit enorme Aufmerksamkeit und Res-
ses Maß an Soft Power voraussetzt (Höse 2008: 82).
pekt entgegen (Hayden 2011: 794). Dadurch haben
Die Frage ist daher, wie es den Vereinigten Staa-
die USA immense Soft Power gewonnen – sowohl
ten unter der Obama-Präsidentschaft gelungen ist,
das politisches System, welches beeindruckende
Public Diplomacy zu betreiben – mit besonderem
Karrieren ermöglicht, als auch Obama selbst, der
Augenmerk auf Public Diplomacy 2.0 und Celebrity
v. a. unter Jugendlichen weltweit großes Ansehen
Diplomacy.
genoss. Diese Soft Power war die Grundlage für seine Rede an der Universität Kairo am 4. Juni 2009. Oba-
Celebrity Diplomacy
mas Berühmtheit wurde gezielt für diese Ansprache an die islamische Welt genutzt und vor allem mit Blick auf die jüngere arabische Bevölkerung
Der Begriff Celebrity Diplomacy beschreibt die Bemü-
gleichzeitig digital flankiert. Dass die Ansprache
hungen einzelner berühmter Persönlichkeiten,
jedoch die Bevölkerung im Zielstaat messbar beein-
sich für die Lösung bestimmter globaler Probleme
flusste, ließ sich nicht feststellen, wie eine Analyse
einzusetzen (Cooper 2007). Voraussetzung für Cele-
der Public Diplomacy 2.0 zeigt.
brity Diplomacy ist, dass die mediale Aufmerksamkeit, die den Berühmtheiten zuteil wird, für spezifische Zwecke umgelenkt wird – etwa um auf glo-
Public Diplomacy 2.0
bale Missstände aufmerksam zu machen oder um Geld für ein bestimmtes Projekt zu sammeln. Prin-
Bereits unter George W. Bush begannen die USA,
zessin Dianas Einsatz für die Ächtung von Landmi-
die digitalen Medien stärker in die Public Diplomacy
nen oder der Kampf des Musikers Bob Geldof gegen
zu integrieren. Karen Hughes, die damalige Staats-
globale Armut sind zwei Beispiele von Celebrity
sekretärin für Public Diplomacy und Public Affairs,
62 Politische Handlungsräume durch Medienkommunikation?
stellte ein Digital Outreach Team (DOT) zusammen, welches auf Arabisch, Farsi und Urdu in den ein-
Zusammenfassung
schlägigen Weblogs kommunizierte mit dem Ziel, Falschinformationen über amerikanische Aktivi-
Aufgrund Obamas ungewöhnlicher persönlicher
täten entgegenzutreten. Die Zielgruppe des DOT
Popularität hatten die USA zunächst sehr gute
sind internetaffine und politisch Interessierte, die
Chancen, außenpolitische Botschaften glaubwür-
in den genannten Sprachen kommunizieren. Dabei
dig zu vermitteln. Doch abseits von hohen inter-
schalten sich die Mitglieder des DOT in Diskussio-
nationalen Zustimmungswerten für Obama und
nen auf politischen, im arabischen Raum basierten
seinem rhetorischen Geschick hat sich Public Dip-
Internetforen ein, geben sich als Mita rbeiter des
lomacy nicht als vorrangiges Mittel amerikanischer
amerikanischen Außenministeriums zu erken-
Außenpolitik etablieren können. Die Rede in Kairo
nen (teilweise mit Klarnamen) und regen zum wei-
und sein erstes TV-Interview – das nicht einer hei-
teren Gedankenaustausch mit arabischen Usern
mischen Medienanstalt, sondern dem in den Ver-
an. Später wurden die vorhandenen Strukturen
einigten Arabischen Emiraten ansässigen Nach-
mit Google, MTV, Howcast.com und Facebook ver-
richtensender al-Arabiya gegeben wurde – waren
knüpft, um extremistischen Strömungen entgegen-
hoffnungsvolle Startsignale. Jedoch konnten sie
zuwirken (Graffy 2009).
auf lange Sicht nicht in politisches Kapital umge-
Eine Studie zur Wirksamkeit des DOT, welche
münzt werden (Hayden 2011: 786), wie auch die
den Onlinediskurs in den Wochen nach Obamas
Analyse der Digital Outreach Teams zeigt. Immerhin
Rede in Kairo untersucht, kommt zu dem Schluss,
konnte eine Art negative Soft Power verhindert wer-
dass diese schwierig zu beurteilen ist (Khatib/Dut-
den: Amerikas Unpopularität konnte in den ersten
ton/Thelwall 2012). Da die Blogger des DOT offen
Obama-Jahren zumindest nicht als Motivation für
als zivile Mitarbeiter des US-Außenministeriums
eventuelle Angriffe dienen (Hayden 2011: 788).
auftreten, lösen sie zunächst eine Flut von nega-
Grundsätzlich ist anzumerken, dass gezielte
tiven Kommentaren aus. Objektiv messbar ist also
Kommunikation nur sehr begrenzt politische
ein negativer Effekt. Eine implizite Wirkung auf
Handlungsräume schaffen kann. Die kommuni-
passive Beobachter der Blogs (lurkers) kann hinge-
kativen Zusammenhänge sind zu vielschichtig
gen nur angenommen, aber nicht verifiziert wer-
und unterliegen zahlreichen Einflüssen anderer
den. Zumindest werden extreme Ansichten durch
Akteure, sodass es nur unter idealen Umständen
amerikanische frames kontrastiert und somit ein
möglich ist, diesen Prozess im jeweils eigenen Inte-
Diskussionsangebot offengehalten. Gleichzeitig
resse zu steuern. Insgesamt ist Kommunikation
werden die Inhalte der Blogs von den DOT-Mitarbei-
ein schwieriges Geschäft, vor allem wenn die Ver-
tern wahrgenommen und sie liefern ein Bild von
trauensbasis gefährdet ist. Räume lassen sich nicht
den Themen und Blickwinkeln, die in einschlägi-
schaffen, sondern ergeben sich allenfalls punktuell
gen Foren diskutiert werden. Hauptsächlich rüh-
und sind abhängig vom sonstigen wahrgenomme-
ren die kommunikativen Probleme im Cyberspace
nen Verhalten des Absenders. Dies hängt weniger
daher, dass es sich um fragmentierte und polari-
vom kommunikativen Input als von der Akzeptanz
sierte Publika handelt. Blogs und Internetforen
ab (die sich wiederum aus vielen Quellen speist).
sind eben keine Massenmedien, sondern bringen
Daher gilt, dass sich politisches Fehlverhalten nicht
relativ homogene Benutzer zusammen. Dabei steht
wegkommunizieren lässt.
oft nicht die Suche nach neuen Ansichten im Vor-
Entscheidend ist nun, ob die Vereinigten Staa-
dergrund, sondern eine Bestätigung für den vor-
ten die Möglichkeiten der Public Diplomacy 2.0 aus-
handenen Blick auf die Welt. Diese „Biotopöffent-
schöpfen werden. Potenziell sind die digitalen
lichkeiten“ sind nur schwer durch direkte Interven-
Strukturen dazu geeignet, einen globalen Dis-
tionen aufzubrechen (Henze 2008).
kurs zu gestalten, der zu einem essenziellen Teil
63
WIKA-Report (Band 2)
der amerikanischen Außenpolitik werden könnte.
Henze, Arnd (2008): Medienmacht und Biotop-
Allerdings speist sich so ein Diskurs auch aus dem
Diskurse. Das Gemeinwohl als Herausforderung
beobachtbaren und wahrgenommenen Verhalten
in einer globalisierten Öffentlichkeit. In: Jäger,
des Hegemons. Dass diese Wahrnehmung einer
Thomas/Viehrig, Henrike (Hg.): Die amerikanische
erfolgreichen Public Diplomacy eher entgegensteht,
Regierung gegen die Weltöffentlichkeit? Theo
zeigt sich in Obamas Popularität, welche späte
retische und empirische Analysen der Public
stens während seiner zweiten Amtszeit gelitten
Diplomacy zum Irakkrieg. Wiesbaden: VS –
hat. Transatlantische Abhörskandale, harsche Stra-
Verlag für Sozialwissenschaften, S. 39–52.
fen gegen Whistleblower, die Ausweitung des Drohnenkriegs und nicht zuletzt seine innenpolitischen
Höse, Alexander (2008): Selling America. Die
Schwierigkeiten zeigen, dass auch ein Charismati-
Public Diplomacy der USA vor dem Irakkrieg
ker wie Obama nur so viel Macht ausüben kann,
2003. In: Jäger, Thomas/Viehrig, Henrike (Hg.):
wie ihm das politische System zugesteht. Damit lei-
Die amerikanische Regierung gegen die Welt-
det auch die Soft Power Amerikas.
öffentlichkeit? Theoretische und empirische Analysen der Public Diplomacy zum Irakkrieg.
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Wiesbaden: VS – Verlag für Sozialwissenschaften, S. 79–107. Kellner, Douglas (2010): Celebrity diplomacy,
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schaften Lateinamerika an der Universität zu Köln.
Promotion im Jahre 2009 in Politikwissenschaft. Aka
demische Rätin am Nordamerikastudienprogramm der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Arbeitsgebiete: Internationale Beziehungen, Medien
und öffentliche Meinung in der Außen- und Sicher Graffy, Colleen (2009): The Rise of Public Diplomacy 2.0. In: The Journal of International Security Affairs 17 (Fall), S. 47–53. Hayden, Craig (2011): Beyond the „Obama Effect“. Refining the instruments of engagement through U.S. Public Diplomacy. In: American Behavioral Scientist 55, 6, S. 784–802.
heitspolitik, Framing von militärischen Auslandsein sätzen. – Kontakt: viehrig@uni-bonn.de
64
dieser Kommunikation mit ausländischen Öffent-
Chinas Geopolitik und ihre kulturelle Unterstützung von Falk Hartig (Frankfurt am Main)
lichkeiten, bei der es prinzipiell darum geht, Sprache oder Kultur eines Staates bzw. seiner Gesellschaft zu vermitteln, um damit außenpolitische Ziele zu realisieren.
Chinas Außendarstellung und Kultur diplomatie – Hintergründe und Ursachen Seit einigen Jahren ist die Volksrepublik (VR) China überaus aktiv, wenn es darum geht, mit ausländi-
Dieser Beitrag beschäftigt sich damit, warum und
schen Öffentlichkeiten zu kommunizieren. Peking
wie die Volksrepublik China Kultur als ein Mittel
hat seit 2009 sieben bis neun Milliarden US-Dollar
ihrer Außendarstellung nutzt. Im Folgenden wird
in seine großen Staatsmedien wie die Nachrich-
skizziert, weshalb sich China verstärkt nach außen
tenagentur Xinhua, den Fernsehsender CCTV, die
darstellt, welche Rolle Kultur dabei spielt und wel-
Radiostationen von China Radio International oder
ches die wichtigsten chinesischen Akteure in die-
auch die englischsprachige Tageszeitung China
sem Bereich sind. Obwohl es im vorliegenden Bei-
Daily investiert (Wang 2012). Während Peking für
trag nicht in erster Linie um theoretische und kon-
seine Medienoffensive tief in die Tasche greifen
zeptionelle Darstellungen gehen soll, erscheint es
muss, verdient es mit einem anderen Instrument
dennoch notwendig, zumindest skizzenhaft zu
seiner Außendarstellung sogar Geld: Seit einigen
erläutern, was hier unter Außendarstellung und
Jahren setzt China wieder verstärkt auf seine so
Kulturdiplomatie verstanden wird.
genannte Panda-Diplomatie. Während Große Pan-
Unter Außendarstellung verstehe ich hier im
das (lat. Ailuropoda melanoleuca), eine nur in China
weitesten Sinne das, was in der englischsprachi-
vorkommende Bärenart, lange Zeit an ausgewählte
gen Literatur mit dem Begriff der Public Diplomacy
Länder verschenkt wurden, werden sie heute unter
beschrieben wird. Während sich eine zunehmende
strengen Auflagen im Rahmen von wissenschaftli-
Anzahl von Veröffentlichungen damit beschäftigt,
chen Kooperationen an zahlungskräftige Zoos aus-
was Public Diplomacy eigentlich ist (einen guten
geliehen. Rund eine Million Dollar pro Jahr muss
Überblick bietet Fitzpatrick 2010), folge ich hier
ein Zoo für ein Pandapaar zahlen, das für zehn
der Definition von Wang Jian, nach welcher Public
Jahre ausgeliehen wird. Offiziell geht es zwar um
Diplomacy weitgefasst als „a country’s engagement and
tiermedizinische Kooperationen und die Erhaltung
communication with foreign publics“ verstanden wer-
der vom Aussterben bedrohten Art durch Nach-
den kann (Wang 2011: 3). Kulturdiplomatie (oder im
wuchsgewinnung, aber die enorm positive Image-
deutschen Verständnis eher Auswärtige Kulturpo-
wirkung ist dabei durchaus einkalkuliert (Hartig
litik 1) wiederum verstehe ich als einen Teilbereich
2013).
1 Es lassen sich terminologische Unschärfen bemängeln, wenn Begriffe wie Public Diplomacy oder Cultural Diplomacy ins Deutsche übertragen werden, jedoch sind konzeptionelle Ähnlichkeiten erkennbar. So beschreibt Kurt-Jürgen Maaß Public Diplomacy als „internationale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ (Maaß 2009: 18), womit der hier gewählte Begriff der Außendarstellung vertretbar erscheint. Weiterhin weist Rolf Hoffmann im Kontext der USA darauf hin, dass Auswärtige Kulturpolitik „am ehesten mit Cultural Diplomacy zu übersetzen“ ist (2009: 361).
sive ist Peng Liyuan, die Ehefrau von Partei- und
Der neueste Akteur in Chinas CharmeoffenStaatschef Xi Jinping. Peng begleitete ihren Mann im März 2013 das erste Mal öffentlichkeitswirksam auf einer Auslandsreise und war seither in verschiedenen Ländern an der Seite ihres Mannes zu sehen. Chinesische und internationale Medien waren begeistert, verglichen Peng wahlweise mit
65
WIKA-Report (Band 2)
Michelle Obama oder beschrieben sie als die „Carla
demzufolge Public Diplomacy es China erlauben
Bruni of the East“ (Phillips 2013). Nicht nur die chine-
sollte „to talk back“, auf dass die Welt das echte
sische (Internet-)Öffentlichkeit erkannte das Poten-
China sehen und verstehen könne (Zhao 2010).
zial der bekannten Sängerin der Volksbefreiungsar-
Zusammenfassend kann festgehalten werden,
mee, sondern auch Wissenschaftler im Bereich Pub-
dass China mit diesen Maßnahmen einerseits ide-
lic Diplomacy sind der Ansicht, dass die erste Frau
alistische Ziele verfolgt, wenn es sich für die För-
im Staate unter dem Stichwort der „First Lady Diplo-
derung der internationalen Verständigung durch
macy“ stärker in Chinas Außendarstellung einbezo-
Kulturaustausch einsetzt, um damit schließlich zu
gen werden sollte (Li 2013).2 Das bekannteste, aber
einer friedlichen globalen Entwicklung beizutra-
wohl auch umstrittenste Instrument der chinesi-
gen. Andererseits allerdings verfolgt China ganz
schen Kulturdiplomatie sind allerdings die nach
klar auch funktionale Ziele mit seiner Kulturdiplo-
dem chinesischen Philosophen Konfuzius benann-
matie und Außendarstellung, was hier keinesfalls
ten Kulturinstitute, die seit 2004 beinahe überall
als negativ verstanden wird. Es möchte damit seine
auf der Welt entstanden sind.
Rechte und Interessen im Ausland vertreten und
Diese verstärkte Betonung von Außenkommu-
insbesondere eine internationale Umgebung schaf-
nikation und Kulturdiplomatie, zu der auch Groß-
fen, die für die (wirtschaftliche) Entwicklung im
veranstaltungen wie das Deutsch-Chinesische Kul-
Land förderlich ist.
turjahr 2012 zählen, wirft die Frage auf, warum China verstärkt versucht, sich der Welt in einem positiven Licht zu präsentieren. Im Jahr 2003 stellte das Kulturministerium fest, China solle den Kultur-
Kultur spielt eine entscheidende Rolle für Chinas auswärtige Beziehungen
austausch mit der Welt intensivieren und es solle der Welt „excellent Chinese culture“ vorstellen und
Kultur spielt, anders als in anderen Ländern, für
„promote our reform and opening-up policy and achie-
das offizielle China sowohl im nationalen als auch
vements of socialist construction to the world to set up
im internationalen Kontext eine überaus wich-
a world image of socialist China“ (Ministry of Culture
tige Rolle. Im inländischen Kontext stellte der aus
2003). 2008 erklärte der damalige Außenminister
dem Amt scheidende Generalsekretär Hu Jintao
Yang Jiechi, China solle mittels Public Diplomacy und
2012 auf dem 18. Parteitag der Kommunistischen
Kulturdiplomatie „the understanding and friendship
Partei Chinas (KPCh) fest, „culture is the lifeblood of
of foreign publics“ verstärken, und beide Maßnah-
the nation and the spiritual home of the people“ (Hartig
men sollten dazu beitragen, ein Image von China
2012b). Diese entscheidende Bedeutung von Kultur
als friedliches, demokratisches, zivilisiertes und
wurde bereits 2011 in einer Resolution des Zentral-
fortschrittliches Land zu zeigen (Yang 2008). Ein
komitees (ZK) der KPCh über die „Vertiefung der
Jahr später erklärte auch der damalige Partei- und
Reform des kulturellen Systems“ deutlich. Diese
Staatschef Hu Jintao, China solle seine Public und
seit 15 Jahren erste Resolution zum Thema Kultur
Cultural Diplomacy stärken, um den Kulturaustausch
beschreibt und versteht die sozialistische Kultur als
zu fördern und zu entfalten und darüber hinaus
eine wichtige Quelle für den Zusammenhalt und die
die exzellente chinesische Kultur energisch zu ver-
Kreativität des Landes. Im internationalen Kontext
breiten (Qian 2009). Die deutlichsten Worte in der
wird Kultur als ein wichtiges Element im Konzept
Hinsicht fand Zhao Qinzheng, ehemals Direktor
der „Umfassenden Nationalen Stärke“ (zonghe guoli)
des Presseamts des Staatsrats und somit wichtigs-
verstanden, und ein Ziel laut dieser Resolution ist
ter Sprecher der chinesischen Zentralregierung,
die Stärkung der kulturellen Soft Power Chinas und
2 Seit 2014 wird nicht mehr nur die erste Frau im Staat, Peng Liyuan, sondern auch Cheng Hong, die Ehefrau von Ministerpräsident Li Keqiang, in Chinas Außendarstellung einbezogen.
66 Chinas Geopolitik und ihre kulturelle Unterstützung
seiner internationalen Diskurs-Macht.3 Interessant
nehmen und seine Kultur mittels Kulturdiplomatie
erscheint dabei die Tatsache, dass im internationa-
verbreiten. Diese wird als eine Form der Diplomatie
len Kontext tendenziell weniger deutlich die sozia-
verstanden, bei der eine Regierung Kunst, Kultur
listische Kultur im Zentrum steht. Sondern für das
und Bildung nutzt, um ihre politischen Vorstellun-
internationale Publikum wird – wie es sich zum
gen zu verbreiten, um so Beziehungen zu anderen
Beispiel im Zusammenhang mit den Konfuzius-
Staaten zu pflegen und die eigenen nationalen Inte-
Instituten zeigt – eher auf die chinesische traditi-
ressen zu vertreten. Dabei kann Kulturdiplomatie
onelle Kultur Bezug genommen, die immer auch
zur kulturellen Vielfalt und Verständigung beitra-
im Zusammenhang mit der proklamierten fünftau-
gen, und sie hilft dem internationalen Status und
sendjährigen chinesischen Geschichte (qu qian nian
Einfluss des Landes. Trotz dieser Potenziale erken-
de lishi) steht.
nen chinesische Wissenschaftler an, dass Chinas
In der wissenschaftlichen Debatte wird diese
Kulturdiplomatie durchaus ihre Schwächen hat.
Indienstnahme von Kultur teilweise noch deutli-
Zunächst ist der politische Einfluss teils zu deut-
cher artikuliert. Zur Frage, was mit Kultur an sich
lich erkennbar; weiterhin wird bemängelt, dass zu
gemeint ist, gibt es in China ähnlich viele und viel-
viele Akteure unkoordiniert und ohne klare Aufga-
fältige Definitionen wie anderswo auch. So gibt
benteilung agieren; es gibt keine kohärente Strate-
es auch in China Debatten über einen engen und
gie, und es fehlen politische Richtlinien; außerdem
weiten Kulturbegriff (Wu 2012), man unterschei-
müssten Finanzmittel erhöht und die Kooperation
det zwischen eher materialistischen oder ideo-
mit NGOs und internationalen Partnerorganisatio-
logischen Komponenten von Kultur, oder Kultur
nen verstärkt werden (Zhang 2012).
wird in Anlehnung an Traditionen der chinesischen Geistesgeschichte als humanistische Kultivierung verstanden. Von Akademikern im Bereich der Außenpolitikanalyse wird anerkannt, dass Kul-
Chinas Akteure und Instrumente der Kulturdiplomatie und Außendarstellung
tur eine strategische Bedeutung hat, sie wird – wie oben erwähnt – als Komponente der „Umfassenden
Wie viele andere Staaten auch nutzt China Infor-
Nationalen Stärke“ verstanden und gilt schlussend-
mations- und Kulturprogramme, wobei rund ein
lich als Mittel zur Verteidigung nationaler Interes-
Dutzend Akteure – Ministerien und staatliche
sen (Jia 2012; Li 2005). Westlichen Ländern, allen
Organisationen – involviert sind. Die Instrumente
voran den USA, wird aufgrund ihrer politischen,
und Programme sind meist staatlich kontrolliert,
ökonomischen und kulturellen Stärke eine Domi-
und es werden seit einiger Zeit auch zunehmend
nanz zugestanden, aber man sieht auch die Gefahr
NGOs und internationale Organisationen einbezo-
eines westlichen Kulturimperialismus (wenhua
gen.
diguo zhuyi) (Bian 2009).
Wichtige Akteure im Bereich der Kulturver
An diesem internationalen kulturellen Wett-
mittlung sind vor allem das Erziehungsministe
bewerb, so die Argumentation, muss China teil-
rium und das Kulturministerium. Das Kulturm ini
3 Beim Konzept der „Umfassenden Nationalen Stärke“ handelt es sich um ein in der VR China entwickeltes Verfahren, um die Macht von Staaten zu beschreiben und zu quantifizieren. Die „Nationale Stärke“ eines Landes wird dabei durch Kombination zahlreicher quantitativer Indices berechnet. Neben geografischen Faktoren wie der Größe des Landes gehören dazu auch militärische Faktoren (oft beschrieben als Hard Power), Wirtschaftsdaten sowie kulturelle Faktoren (Soft Power). In der VR China herrscht die Ansicht vor, dass derzeit die USA über die größte „Umfassende Nationale Stärke“ verfügen und dass China weit abgeschlagen hinter Deutschland, Großbritannien oder Russland liegt.
sterium, welches in der informellen Reihenfolge deutlich weniger wichtig als das Erziehungsministerium ist, betreibt beispielsweise weltweit neun Chinesische Kulturzentren im Ausland (u.a. in Berlin) und zeichnet für die Durchführung der Chinesischen Kulturjahre im Ausland (z.B. in Deutschland 2012) verantwortlich. Das wichtigere Erziehungsministerium verfügt über verschiedene Unterorganisationen, die wiederum verschiedene
67
WIKA-Report (Band 2)
Programme oder Projekte verwalten. So gibt es
im Endeffekt der nationalen Entwicklung des Lan-
zum Beispiel den China Scholarship Council, der es
des und somit auch dem Machterhalt der Kommu-
einerseits chinesischen Studenten ermöglicht, im
nistischen Partei Chinas dienen. Insgesamt kann
Ausland zu studieren, aber seit einiger Zeit auch
man argumentieren, dass China einen eher kom-
zunehmend dafür zuständig ist, internationale Stu-
petitiven Ansatz im Bereich der Kulturdiplomatie
dierende nach China zu holen. Und es gibt Hanban,
verfolgt, auch wenn dies in der offiziellen Rheto-
das Nationale Leitungsgremium für Chinesisch als
rik nicht ganz so deutlich wird. Denn China geht
Fremdsprache. Hanban ist vor allem zuständig für
es, wie anderen Staaten auch, schlussendlich um
Chinas wohl prominentestes kulturdiplomatisches
internationalen Einfluss, besonders in bestimmten
Instrument, die Konfuzius-Institute (und Konfu-
Weltregionen wie Afrika.
zius-Klassenzimmer), die der interessierten inter-
Allerdings, und das ist der entscheidende
nationalen Öffentlichkeit die chinesische Sprache
Knackpunkt, können solche Kommunikations-
und Kultur vermitteln sollen. Im Frühjahr 2014
maßnahmen nach außen immer noch ergänzend
existierten offiziell weltweit 446 Konfuzius-Insti-
wirken. Im Falle Chinas besteht das Grundproblem
tute, die meist in Kooperation mit Universitäten
darin, dass es relativ egal ist, wie viele Konfuzius-
entstehen, und 665 Konfuzius-Klassenzimmer, die
Institute die Volksrepublik weltweit eröffnet und
mit Schulen kooperieren (Zhang 2014).
wie viele Auslandsbüros die Medien unterhalten –
Das Besondere an den Instituten ist ihre Struk-
so lange in China Medien zensiert und Journalisten
tur als Joint Ventures zwischen chinesischen und
eingesperrt werden oder Künstler in ihrer Arbeit
internationalen Partnern. Dabei stellt die inter-
behindert werden, schadet dies dem Image Chinas
nationale Seite Räumlichkeiten und örtliche Mit-
sehr viel mehr als all die nach außen gerichteten
arbeiter, China schickt Sprachlehrer, meist einen
Maßnahmen zusammen erreichen können.
Vize-Direktor, Lehrmaterialien und zahlt einen Teil des Budgets. So erhalten die Institute in den ersten Jahren durchschnittlich 100.000 US-Dollar, außer-
Literatur
dem können sie zusätzliche Projektgelder beantragen. Allerdings müssen die internationalen Partner auch investieren: zunächst in die Räumlichkeiten
Bian, Yehong (2009): Wenhua waijiao zai guoji
und lokalen Kräfte, und auch bei den Projektmit-
waijiao zhanlüe zhongde shuangchong xiaoying
teln werden die Kosten zwischen chinesischen und
ji qishi [Der duale Effekt von Kulturdiplomatie in
internationalen Partnern geteilt (Hartig 2012a).
der internationalen diplomatischen Strategie und dessen Implikationen]. In: Lilun Qianyan
Bewertung
[Theory Front] 13/2009, S. 30–31. Fitzpatrick, Kathy R. (2010): Future of U.S. Public
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass
Diplomacy: An Uncertain Fate. Leiden: Martinus
China sehr darum bemüht ist, sein Ansehen und
Nijhoff.
sein Image in der Welt aktiv zu gestalten, und dass hierbei besonders Kultur eine wichtige Rolle spielt.
Hartig, Falk (2012a): Confucius Institutes and the
China geht es in diesem Bereich einerseits um die
rise of China. In: Journal of Chinese Political
Stärkung vorhandener funktionaler Strukturen
Science 17, 1, S. 53–76.
und um das Schaffen von so genannten Win-winSituationen (shuang ying jumian). Andererseits sind Kultur und Kulturdiplomatie für China strategische Instrumente außenpolitischen Handelns, die
68
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Dr. Falk Hartig, Studium der Sinologie und Journalistik
an der Universität Leipzig und der Fremdsprachenuni
versität Sichuan, Chonqging, VR China. Promotion im Jahr 2013. Postdoktorand am Frankfurter Inter-Zen
tren Programm AFRASO – Afrikas Asiatische Optio
nen. Arbeitsgebiete: Chinas Außenkommunikation und Kulturdiplomatie mit Fokus auf Afrika, Chinas
Außenpolitik, Internationalisierungsstrategien chi nesischer Medien. – Kontakt: hartig@em.uni-frank furt.de
70
Diese Krise äußerte sich in vielfacher Weise. In
Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit und die Rolle der Luftfahrt
den Kolonien und Dominions entstanden zunehmend selbstbewusstere indigene Bewegungen; so etwa in Indien, „the Jewel in the Crown“, wo der Congress von einer Oberschichtinitiative sich zu einer Volksbewegung entwickelte und Swaraj, Selbstherrschaft, zum Programm wurde. Das Irlandproblem entwickelte sich nach den misslungenen Initiativen zur Home Rule zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und zu einem tatsächlichen Krieg. Es gab im Entscheidungsdreieck zwischen den Lon-
von Kurt Möser (Karlsruhe)
doner Ministerien, den kolonialen Verwaltungsund Regierungsbeamten und den zivilen und militärischen „men on the spot“ selten eine konsistente
Das britische Empire schien aus der „Urkatastrophe
Linie. Typisch dafür ist das Massaker von Amritsar,
des 20. Jahrhunderts“ (Kennan 1979) gestärkt her-
bei dem 1919 eine Demonstration in einem Park,
vorgegangen zu sein. Nach den Pariser Vorortver-
dem Jallianwalla Bagh, durch einen lokalen Militär-
trägen, die dem Vereinigten Königreich koloniale
befehlshaber, General Dyer, ohne Rückendeckung
Gebiete der Verlierermächte übertrugen, war es so
von oben blutig, mit Hunderten von Toten, aufge-
groß wie nie zuvor. Aber nur scheinbar waren am
löst wurde (vgl. Abb. 1).
Beginn der 1920er Jahre imperiale Träume, die vor dem Krieg die Vertreter eines Greater Britain hegten, erfüllt. Krisensymptome häuften sich und „Imperial Entropy“ (Brendon 2002) machte sich bemerkbar. Schon zuvor, um 1900, wurden Befürchtungen immer stärker artikuliert, dass Großbritannien ein „Overstretched Empire“ besaß. Diskutiert wurde etwa Rudyard Kiplings Gedicht „Recessional“, das als Gegenposition zu den glanzvollen Feiern zum Regierungsjubiläum von Königin und Kaiserin Victoria formuliert worden war. Die Neudistribution der britischen Flotte, die die bisher starken über-
Abb. 1: Massaker im Jallianwalla Bagh, Amritsar, 1919
seeischen Stationen entblößte, um durch eine Stärkung der Home Fleet die deutsche marine Heraus-
Die inkonsistente britische Indienpolitik ist
forderung zu kontern, wurde als „calling the Legions
„best summarised in a tripartite formula: repression,
back“ interpretiert. Nun bekam Edward Gibbons
concession, procession“ (Brendon 2010: 244). Globalpo-
„Decline and Fall of the Roman Empire“ (1776–1789)
litische Verwirrungssymptome und Widersprüche
eine neue Aktualität; eine Krise des britischen
unkoordiniert Handelnder zeigten sich etwa auch
imperialen Bewusstseins war spätestens um 1920
in Palästina. Dort versprachen diese Handelnden
nicht mehr zu übersehen. Typisch dafür sind die
den jüdischen Immigranten, den indigenen lokalen
Titel von aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten,
Herrschern, den gestärkt aus dem Krieg hervorge-
die über die Zwischenkriegszeit entstanden: „The
henden arabischen Politikern und der kollegialen
Twilight Years“ (Overy 2010), „Farewell the Trumpets“
Kolonialmacht Frankreich ganz unterschiedliche
(Morris 1978), „The Dark Valley“ (Brendon 2001) oder
und nicht miteinander vereinbare Lösungen.
„Borrowed Time“ (Hattersley 2007).
71
WIKA-Report (Band 2)
Hinzu kamen zunehmende finanzielle Re-
die Auswahlmechanismen der Kandidaten für den
striktionen. Das Mutterland hatte nach dem Krieg
verwaltenden Indian Civil Service (ICS) verfeinert
Schwierigkeiten, die Kosten des Empire sowie des-
und die Verwaltung professionalisiert (Morris 1978:
sen Kontrolle und Beherrschung zu tragen. Dabei
308). Das waren schon Versuche, nach der Anam-
ging der Support der selbstbewusster werdenden
nese und Diagnose der ‚imperialen Entropie‘ und
Dominions weitgehend verloren. So wurde etwa
eines überdehnten Empires nun therapeutische
die Intervention in der Türkei von Kanada und Aus-
Konsequenzen zu ziehen. Im Folgenden sollen kurz
tralien nicht unterstützt und war auch deswegen
die konventionellen Versuche des Gegensteuerns
nicht durchsetzbar. Skeptisch betrachtet wurde
skizziert werden, bevor ein innovatives Feld der
auch die Intervention in der jungen Sowjetunion.
britischen Imperialpolitik betrachtet wird.
Zunehmend weniger Unterstützung bekamen der
Zu den Ansätzen, die vielfältigen Probleme
imperiale Gedanke und die imperiale Praxis auch
eines empiremüden und finanziell restringierten
im Mutterland selbst. Geprägt war es durch Unsi-
Landes zu lösen, gehörten Sparen, Übergabe von
cherheit und Depressionen, durch Resignation und
Teilen der politischen Verwaltung an indigene
durch Trauer um die Toten. Der anscheinende Lost
Eliten und der Abbau konventioneller militäri-
Peace wurde zu einer negativen „Kultur des Sieges“,
scher Präsenz. Kaum gespart wurde an Repräsen-
als Spiegelbild der Kulturen der Niederlage, wie
tationsformen in den Kolonien selbst; dort wurde
sie der Historiker Wolfgang Schivelbusch (2001)
Machtsymbolik zwischen Routine und Skepsis
analysiert. Die kulturelle Demobilisierung gelang
praktiziert. Die imperiale und zugleich indigen
ebenso wenig wie die praktische: Großbritannien
eingekreuzte Architektur von Lutyens' New Delhi
erlebte Unruhen, auch hervorgerufen durch das
gehören ebenso dazu wie die Art Deco-Gebäude
„Gespenst des Bolschewismus“, eine Streikbewe-
von Bombays Back Bay. Dazu gehörte auch eine
gung und industrielles Chaos. Näher als imperiale
nicht unkomplexe kulturelle Mobilisierung im
Probleme schienen also die domestikalen. Die bri-
Inland: „Imperial propaganda grew as Britain declined“
tische Politik wurde verstärkt Innenpolitik, und
(Paul Greenhalgh, nach Brendon 2000: 245).
das hieß: Sozialpolitik. David Lloyd George wollte
Ein Höhepunkt dieser Mobilisierungskam-
aus Großbritannien „a land fit for heroes“ machen.
pagne, intendiert für die Massen, war die „British
Dass die Kolonien ihren Eros verloren, bemerkte
Empire Exhibition“, die 1924 in Wembley stattfand
sogar ein Imperialist wie Winston Churchill: „I see
(s. Abb. 2). Die Basis der populären Empire-Pro-
little glory in an empire which can rule the waves and is
paganda hingegen war eine extensive materielle
unable to flush its sewers“ (nach Brendon 2010: 226).
Kultur von Zigarettenalben, Schokoladedosen,
Zu den Konsequenzen gehörte eine Kultur des Selbstzweifels der Imperialisten, wie sie etwa von George Orwell, der als Kolonialpolizist in Burma tätig war, in der autobiographisch geprägten Kurzgeschichte „Shooting an Elephant“ 1936 artikuliert wurde. In ähnlicher Weise zeigte der Richter, der Gandhi nach dem Salzmarsch verurteilte, Verständnis und sogar Sympathie für die Rebellion. Die Rekrutierung derjenigen, die bereit waren, „the dirty work of the Empire at close quarters“ zu leisten, musste einerseits auf nicht unbedingt geeignete Personengruppen zurückgreifen, wie etwa die „black and tans“ in Irland, die man als „dirty tools for a dirty job“ bezeichnete. Andererseits wurden
Abb. 2: Plakat für die „British Empire Exhibition“, 1924
72
Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit und die Rolle der Luftfahrt
Stereobildern oder Kolonialnippes, grundiert von
und populäre Begeisterung fungierten als Trans-
Paraden, Produktplatzierungen und nicht zuletzt
missionsriemen eines Aufbrechens des für die Zwi-
durch gesteigerte Empire-Propaganda in Schulen.
schenkriegszeit typischen Little Englander-Geistes
Doch die Schwierigkeiten einer gezielten Beeinflus-
und trug dazu bei, globalpolitische Aspekte ins
sung der öffentlichen Meinung wurden evident:
öffentliche Bewusstsein zu rücken. Nicht vergessen
„For it was not a tabula rasa or blank sheet on
sollte man die Anbindung der technisch-militäri-
which the imperial creed could be inscribed;
schen Eliten an ein sich neu aufstellendes Empire.
it was a palimpsest of differing opinions and a
Utopien einer „New Civilization“ (Wohl 2005), einer
‚phantasmagoria of conflicting values‘ … Bri-
technisch-rationalen Kultur, stellten vielfach das
tains drumbeat sounded louder as its empire
Bild des Piloten ins Zentrum.
grew more hollow“ (Brendon 2000: 331).
Mit Luftbegeisterung als Problemlöser schien
Zur Fülle der kolonialenthusiastischen Literatur,
eine müde gewordene Gesellschaft, geprägt durch
etwa für (männliche) Jugendliche, wie etwa Edgar
Diskussionen um eine Lost Generation, sich in die
Wallaces „Sanders of the River“ und „Bones“-Romane
Vorderfront der Modernisierung einzuschieben
gab es eine kulturell kaum weniger wirksame
und die verschiedenen Ebenen der Krise zu lösen.
empireskeptische Literatur, wozu etwa E.M. Fors-
Großbritannien schwamm nach 1919 auf der brei-
ters „Passage to India“ gehört.
ten transnationalen Welle der Luftbegeisterung
Die meisten Ansätze zur Lösung der dreifa-
mit und entwickelte eine eigene nationale Codie-
chen fundamentalen Probleme, die das britische
rung der besonderen britischen Luft-Affinität, die
Empire zwischen den Kriegen hatte – soziale und
sich von den nationalen politischen Codierungen
kulturelle Unsicherheit und Depression; pragma-
der Airmindedness, wie sie die Sowjetunion, das
tische Probleme der Finanzierung, Verwaltung
faschistische Italien oder der Nationalsozialismus
und Kommunikation; militärische Kontrolle eines
ausbildeten, unterscheiden wollte und auch unter-
Overstretched Empire – erwiesen sich als wenig wirk-
schied. Pionierflüge zu den entfernten Gebieten
sam. Nun aber entwickelte Großbritannien – im
des Empire erlebten eine außerordentliche Publizi-
übrigen parallel zu anderen kolonialen Mächten,
tät. Für die Helden und Heldinnen der First Flights,
die nach 1918 mit ähnlich gelagerten Problemen
wie etwa die Brüder Ross und Keith Smith, die mit
kämpfen mussten – ein Mittel, das versprach, diese
einer „Vickers Vimy“ 1919 von London nach Aus-
widerstreitenden, unter politischen und kulturel-
tralien flogen, wurde das geografische Netz des
len Restriktionen stehenden Politiken und kultu-
Empire ein Aktions- und Spielfeld. Die Kolonien
rellen Konflikte kombiniert auf moderne Weise zu
selbst waren oft pragmatischer orientiert und an
lösen: die Luftfahrt. Sie bot Auswege aus manchen
der Entwicklung einer Anbindung interessiert.
der Dilemmata eines resignierenden Spätimperia-
Typischerweise wurde dieser Flug aufgrund eines
lismus – oder versprach dies.
Preises von 10.000 Pfund unternommen, den die
Die Luftfahrt besaß nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, der das technische System ent-
Regierung des Commonwealth von Australien ausgelobt hatte.
scheidend weiterentwickelt hatte, Attraktivität
In der Wahrnehmung der britischen Öffent-
auf verschiedensten Feldern: Man konnte dyna-
lichkeit waren die spektakulären Erschließungs-
mische Helden einer emphatisch modern-techni-
flüge des Empires durch wagemutige Piloten und
schen Kriegführung verehren; diese Helden führ-
Pilotinnen mit den Produkten der britischen Luft-
ten wagemutige Entdeckungs- und Pionierflüge
fahrtindustrie eng verbunden. Flugzeugtypen und
aus und bereiteten die konkrete Netzbildung von
Flugmotoren wurden stets prominent genannt und
Fracht- und Passagierlinien vor. Luftfahrt – oder
ihre Leistungsfähigkeit herausgestellt.
genereller: der Sinn für die Luft, Airmindedness –
Insofern passte die Konstruktion eines Komplexes
war dazu emphatisch modern. Luftenthusiasmus
imperial-nationaler Fliegerei in den politischen und
73
WIKA-Report (Band 2)
wurde eine neue Raumpolitik des Empire durch Luftlinien möglich. Dabei verfolgten die britischen Luftbehörden eine dreifache technische Strategie: man setzte auf Luftschiffe, Landflugzeuge und Flugboote (s. Abb. 3). Die prestigeträchtige und fliegerisch ausgesprochen herausfordernde IndienVerbindung wurde lange ‚multimodal‘ bedient. Landflugzeuge und auch Luxuszüge brachten die Passagiere von London ans Mittelmeer. Von dort aus flog man in sieben Tagesetappen via Irak und arabische Wüste nach Karachi, Bombay und New Abb. 3: Werbeplakat von Short Bros., Belfast
Delhi. Um diese Linie ranken sich bis heute Legenden und Mythen, die von dem Reiseautor Alexander Frater in seinem Buch „Beyond the Blue Horizon“
wirtschaftlichen Abschottungstrend der Zwischen-
(1986) beschrieben worden sind (vgl. Abb. 8).
kriegszeit. Dem Wandel von der britischen Freihandels-
Spektakulärer war das vorausgehende Konzept
politik zum Aufbau eines sich isolierenden, de-interna-
eines neuen empireweiten Transportnetzes mit
tionalisierenden Sterling-Wirtschaftsraums des British
Luftschiffen. Zum Beginn der 1920er Jahre traute
Commonwealth, das 1931 gegründet wurde, entsprach
man Flugzeugen noch keinen sicheren, wetterun-
der Aufbau der inter-imperialen Zivilluftfahrt als
abhängigen und wirtschaftlichen Passagierluft-
infrastruktureller Reflex des Wirtschaftsraumes.
verkehr über lange Strecken zu. Nur Luftschiffe
Die konkrete Entwicklung erfolgte rasch.
schienen möglich. Das Vorbild waren die deut-
Schon ab etwa 1925 kam es zu einer Transforma-
schen Zeppeline, deren Leistung sowohl durch die
tion von abenteuerlichen und gefährlichen Pionier-
Bombenangriffe auf England als auch durch die
und Erkundungsflügen zu sicherheitsorientierten,
Weltfahrten und den Beginn des Linienverkehrs
ansatzweise effizienten und schnelleren Verbin-
bewiesen schienen. Das seit 1923 diskutierte und
dungen zu den Kolonien (Möser 2009). Dadurch
geplante „Imperial Airship Scheme“ (s. Abb. 4) baute
Abb. 4: Karte des „Imperial Airship Scheme“, 1930–1935
74 Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit und die Rolle der Luftfahrt
denen Passagiere und Maschinen bei Zwischenlandungen untergebracht und geschützt wurden, über Versorgungs- und Reparaturnetze, Luftschiffhallen (wie die in Karachi, s. Abb. 5), Landemasten und Navigationshilfen wie die berühmte Hunderte Kilometer lange Furche, die in die arabische Wüste gepflügt wurde. Diese Rekombination von Trägern der Airmindedness, modernen Pilotenhelden, Flugzeugen, Motoren und der Geografie des Empire und der Dominions zu einem Komplex der luftfahrtbezogenen Britishness war nicht unbedingt eine Spezifik Großbritanniens; ähnliche Konstruktionen nationaler und politisch expansiver Luftfahrtkultur und -politik gab es in der Zwischenkriegszeit in den autoritären und totalitären Staaten UdSSR und Italien ebenso wie in den Demokratien USA und Frankreich. Auch in der Weimarer Republik wurde Luftfahrt als symbol- wie auch als realpolitisches Abb. 5: Luftschiffmast in Karachi, 1931
Mittel funktional eingesetzt, bevor die Nationalsozialisten Luftmacht und Flugbegeisterung in unge-
auf die Leistungsfähigkeit von Luftschiffen auf langen Strecken.
ahnter Weise beförderten. Wie dort allerdings geht der kulturelle Kom-
Ein typisch britischer Ansatz war eine kon-
plex Luftfahrt nicht in diesen politischen Funkti-
kurrenzorientierte Herangehensweise: Zwei Groß-
onen auf. Im Fall einer verunsicherten britischen
luftschiffe wurden in Auftrag gegeben, eines, das
Imperialpolitik eignete sich die Fliegerei aber in
‚kapitalistische‘, „R 100“ (für rigid) bei der Privat-
besonderer Weise für eine Vereinnahmung, weil
firma Vickers, „R 101“, das ‚sozialistische‘ bei den
hierdurch die Kohärenz der ausgedehnten Terri-
staatlichen Royal Airship Works. 1930 stürzte das
torien sinnfällig gemacht werden konnte. Durch
unausgereifte Luftschiff mit prominenten Protago-
Rekordflüge, die immer wieder das Zusammen-
nisten des „Imperial Airship Scheme“, darunter dem
rücken der über den Erdball verstreuten Gebiete
Luftfahrtminister Lord Thomson, ab, das zur „Impe-
betonten, konnte die geografische Ausdehnung
rial Conference“ nach Indien fahren sollte. Nach dem
einerseits hervorgehoben und ins kollektive
Absturz des „R 101“ wurde die weitere Luftschiff-
Gedächtnis eingebracht, andererseits die Nähe der
planung zurückgefahren und das „Imperial Airship
Gebiete zum Mother Country sinnfällig gemacht wer-
Scheme“ nicht verwirklicht.
den. Überdies kamen – wie schon die Kriegspilo-
Für die aeronautische Anbindung der Kolo-
ten des Royal Flying Corps während des Weltkrie-
nien und Dominions an das Mutterland waren,
ges – viele Piloten aus den Dominions und Kolo-
kaum anders als für die vorher gehenden Schiff
nien oder hatten Verbindungen dorthin. Dies, die
fahrtslinien, extensive Infrastrukturinvestitionen
gemeinsame ‚Arbeit‘ der Modernisierer via Luft,
erforderlich. Und wie beim Netz von Stützpunk-
war noch ein weiterer Faktor, der die Kohärenz des
ten, Trockendocks, Versorgungs- und Schutzinfra-
Empire konkret demonstrieren und symbolisch
strukturen, die für die britischen Handels- und
verdeutlichen konnte. Imperial aufgeladen waren
Kriegsschiffe gebaut und erhalten werden mussten,
typischerweise auch die Namen der Flugzeugkon-
entstanden für die Luftnetze ebenfalls aufwändige
struktionen, etwa der berühmten Firma Short
Infrastrukturen, von Compounds in der Wüste, in
Bros. in Belfast (s. Abb. 3 und 6). Sie hießen etwa
75
WIKA-Report (Band 2)
beherrschen. Luftstrategie und Seestrategie wurden zu einem geopolitischen Instrument amalgamiert. Im Grunde war das Muster also nicht neu. Auch die Schiffslinien, die das Empire vernetzten, erlebten eine außerordentliche kulturelle Rezeption. Kipling beispielsweise schrieb über die Liners der Kult-Linie P&O (Peninsular and Oriental SteamAbb. 6: Werbung von Short Bros., Belfast, um 1936
ship Co.), die auf den Routen East of Suez für die
„Singapore“, „Calcutta“ oder „Rangoon“, schließ-
Die imperialen Fluglinien waren eine Ergänzung
lich auch „Empire“. Insbesondere die „Calcuttas“
und eine emphatisch modernere Version der P&O.
waren typische Maschinen für die frühen Langstre-
In der Kultur des Reisens folgte man dem Muster
cken-Linienflüge zwischen den imperialen Außen-
der Seefahrt, von den Uniformen und den Gestal-
posten. Sie flogen etwa auf dem Streckenteil zwi-
tungen der Passagierkabinen bis zu den Union
schen dem Mittelmeer und Karachi.
Jacks, mit denen die Standard-Landmaschinen, die
Anbindung des Empires ans Mutterland sorgten.
Der Aufbau der Luftlinien im Empire und spä-
„Handley Page 42“, nach den Landungen Flagge
ter im Commonwealth war also Teil einer impe-
zeigten (s. Abb. 7). Wie bei den imperialen Schiffs-
rialen Luftpolitik, deren Stellenwert sich etwa in
linien entstand bei der Luftfahrt der Zwischen-
einem eigenen Luftfahrtministerium, das für die
kriegszeit eine Symbiose von Transportfunktionali-
Kolonien zuständig war, niederschlug. Auch die
tät und kultureller Valorität. Piloten und Passagiere
Höhe der staatlichen Subventionen, ohne die in
partizipierten, wie auch die britische Öffentlich-
der Zwischenkriegszeit keine Luftlinie dauerhaft
keit, an einer technischen Unternehmung, die ihre
wirtschaftlich betrieben werden konnte, sprach
Imagination beschäftigte. Das System der Luftfahrt
für den Stellenwert, den alle britischen Regierun-
im Dienst des krisenhaften Spätkolonialismus war
gen der neuen interimperialen Luftfahrt zumaßen.
symbolisch wie funktional wirksam.
Flugzeuge wurden eben auch als Modernisierungs-
Die in den 1920er Jahren verfolgten Ideen
agenten gesehen, die einen schwer beherrschba-
einer imperialen britischen Luftpolitik haben eine
ren Raum handhabbar machten und vernetzten,
längere Ahnherrschaft. Rudyard Kipling veröf-
wodurch neue Formen von Geopolitik ermöglicht
fentlichte 1912 eine Erzählung „As Easy as A.B.C.“
wurden. Das virtuelle Netz der Luftlinien, das in
in einer Phase, in der nach dem spektakulären
Karten immer wieder medial präsent gemacht
Kanalflug Louis Blériots 1909 eine Luftinvasion
wurde, folgte dabei dem Muster der Handelsschifffahrtslinien. Ihre wirtschaftliche Bedeutung für Großbritannien und ihr immenses Prestige war dabei eine Form der Traditionsbildung. Eine andere Form des Anknüpfens der Luftfahrt an die Seefahrt war natürlich Machtprojektion. Die Royal Air Force (RAF) und die Zivilluftfahrt waren die Ergänzung, vielleicht sogar, wie manche Theoretiker der Luftherrschaft meinten, der Ersatz der Kriegs- und Handelsmarinen (Edgerton 2013): So, wie Großbritannien „ruled the waves“, sollte es unter den veränderten, krisenhaften Bedingungen des 20. Jahrhunderts auch und insbesondere das ‚Luftmeer‘
Abb. 7: Eine „Handley Page 42“ beim Auftanken in der Wüste, um 1933
76
Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit und die Rolle der Luftfahrt
Beim neuen Typ des ‚Polizierens‘ des Empire und der Kriegführung gegen asymmetrische Bedrohungen durch Guerillas und Aufständische sollten technische Kampfmittel Bodentruppen ersetzen. Dieses Konzept passte zu den militärischen Erfordernissen einer Gesellschaft, die einen verheerenden Krieg sozial und kollektivpsychisch noch nicht überwunden hatte, und tote Soldaten, begraben „in a corner of a foreign field“, nicht ertragen wollte. Die traumatisierte und tendenziell pazifistische britische Kultur der Zwischenkriegszeit fand mit Air Control eine Möglichkeit, koloniale Konflikte Abb. 8: Werbeanzeige der Imperial Airways, um 1930
und Aufstände mit reduzierten Kosten führbar
Großbritanniens plausibel schien und in der phan-
her blutzollgefährdete Infanterieeinsätze waren,
tastische literarische Texte und alarmistische jour-
mußte nun ein modernes, technisches, Verluste
nalistische Artikel sich mit einem künftigen Luft-
sparendes Waffensystem treten – hatte natürlich
krieg gegen Großbritannien beschäftigten. In seiner
Ahnen, symbolisiert in der zunächst paradigma-
technikphantastischen Zukunftserzählung, die 2065
tisch kolonialen Waffe des Maschinengewehrs.
spielt, hat sich aus einer internationalen Luftfahrt-
Aber seitdem ist vor allem die Konzeption und
Regulierungsbehörde Aerial Board of Control (A.B.C.)
Praxis der militärischen Kontrolle durch Luftwaf-
eine Weltregierung entwickelt – anscheinend unter
feneinsätze in pazifizierten, Verluste fürchtenden
britischer Vorherrschaft. Kiplings Utopie einer rati-
westlichen Demokratien rezipiert und aktualisiert
onalen, technokratischen und durchaus undemo-
worden. Hochtechnologie statt Intervention am
kratischen Herrschaftsform stellt die Luftfahrt als
Boden wurde als Lösung auch von den USA reflek-
transnationalen, imperialen Modernisierungsagen-
tiert und natürlich praktiziert. Das neue Verfah-
ten dar und antizipiert dabei eine imperiale Rolle
ren, genannt Air Control (Omissi 1990, Powers 1976,
einer autoritären Luftpolitik (Stoddard 2011).
Towle 1989, Corum 2000, Möser 2009), wurde zum
zu machen. Dieses Konzept – an die Stelle, wo bis-
Aber der zivile imperialpolitische Aspekt der
neuen militärischen Mittel des kostengünstigen,
Luftfahrt blieb nicht allein. Die Kultur der Airmin-
an technisch-militärische Experten delegierten
dedness ist die Basis einer doppelten Praxis des poli-
Imperial Policing.
tischen Einsatzes der Luftfahrt für geopolitische
Dies wurde zur Hauptaufgabe der Royal Air
Zwecke: Neben zivilen Funktionen bot sie auch
Force der Zwischenkriegszeit, weit wichtiger als der
spektakuläre militärische. Der militärische Ein-
Aufbau des Potenzials für den strategischen Bom-
satz des Flugzeuges im Inneren des britischen Herr-
benkrieg. Ein Nebenziel war es, der Royal Air Force,
schaftsbereichs – im Gegensatz zu den kursieren-
deren Selbständigkeit gleich nach ihrer Gründung
den Konzepten eines ‚totalen Krieges‘ aus der Luft,
1918 in Gefahr war, eine neue Aufgabe zu geben.
wie sie in den USA Mitchell, in Großbritannien
Ein anderes Ziel war es, die Kosten des Policing des
Trenchard und in Italien Giulio Douhet propagier-
Empire entscheidend zu reduzieren, finanziell wie
ten – bot wiederum Lösungen, nämlich für einige
in Truppenstärken. Auch deswegen unterstützten
der oben skizzierten Schwierigkeiten. Das Policing
Politiker wie Winston Churchill, der 1921/22 Kolo-
des Empire und die Reaktion auf Aufstände und
nialminister und ab 1924 Finanzminister war und
gewaltsame Konflikte war durch das emphatisch
damit für die Begrenzung der Kolonialkosten ange-
moderne Waffensystem der Fliegerei einfacher und
sichts der prekären britischen Haushaltslage zustän-
kostengünstiger möglich geworden.
dig war, diesen Kriegführungstyp (Corum 2000).
77
WIKA-Report (Band 2)
Kontrolle aus der Luft wurde oft ergänzt durch Panzerautomobile. Wie in den Luftstreitkräften waren dort Experten des mechanisierten Kleinkriegs im Einsatz. Air Control war eine euphemistische Formulierung eines Konzepts für die Führung von Semi-Kriegen, Insurrektionen und kriegerischen Konflikten im Mittleren Osten, im Irak, in Afghanistan und Palästina der 1920er Jahre mit Mobilitätsmaschinen (Möser 2009, Hallion 1989). Panzerautomobile wie ‚Polizeiflugzeuge‘ wurden von der britischen Kolonialmacht regelmäßig als Disziplinierungsinstrumente in parakriegerischen Konfliktsituationen eingesetzt, mitunter aber auch als Mittel zum Steuereintreiben.
Abb. 10: Luftaufnahme eines Bombentreffers, Irak 1924 gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen werden,
Die militärischen Argumente für einen Ausbau
die die Insurrektionen mittrug oder tolerierte, und
der mechanisierten Mobilitätsk riegsf ührung,
nicht vorrangig gegen Kombattanten. Callwell pro-
wozu Air Control zählte, waren: schnelles Eingrei-
pagierte „crushing of populace in arms and the stamping
fen; Vereinfachung der Logistik; Reduzierung der
out of widespread disaffection“. Man müsse „burn his
Verluste; außerordentliche Reduzierung der Trup-
villages, even if sensitive individuals might find this objec-
pengrößen; symbolische Abschreckung ‚unzivili-
tionable“ (Callwell 1906: 22, 26). Der Analyst der Kul-
sierter‘ Aufständischer; und auch (potenziell) gerin-
turgeschichte des Bombardierens, Sven Lindqvist,
gere Gewalthaltigkeit. Dazu entwickelte die RAF
hat betont, dass das Konzept des programmati-
eigene Organisationsformen, eine Doktrin, eigene
schen Terrorbombens gegen Zivilisten eine Auswei-
Maschinen, wie beispielweise die tropentaugliche
tung dieser Kolonialkriegskonzeption auf den Krieg
„Westland Wapiti“, und erwarb sich extensive Ein-
der Industriestaaten untereinander war (Lindqvist
satzerfahrungen.
2001: 20), dann aber im veränderten Kontext euro-
Doktrin und Praxis der kolonialen Para-Luft-
päischer Auseinandersetzungen anders wahrge-
kriege Großbritanniens identifizierten als Ziel-
nommen wurde. Die Propagandisten der Air Control
gruppe der kolonialen Mobilitätskriegführung vor-
sahen, konträr dazu, ihre Art der Kriegführung als
rangig Zivilisten. Entsprechend der alten Konzep-
human an, da die Stämme und Dörfer vor einem
tion des britischen Offiziers C. E. Callwell von 1906
Luftbombardement in der Regel gewarnt werden
zur Führung ‚kleiner Kriege‘ sollte systematisch
sollten (Corum 2000: 71). Längst bevor die Bombardierung von Guernica im Spanischen Bürgerkrieg zu einem Symbol der Barbarei wurde, hatten aber die Maschinen der Air Control systematisch Dörfer in Nordafrika und im Mittleren Osten zerstört, ohne dass die Öffentlichkeit in den westlichen Staaten dies kommentierte (Lindqvist 2001: 72f.; Towle 1989). Damit fügte sich der koloniale Bomber in ein Muster der Entgrenzung des Krieges ein: als Ausweitung der Verwendung von ursprünglich vor allem gegen ‚Eingeborene‘ vorgesehenen Waffen, wie dem Maschinenge-
Abb. 9: „De Havilland 9“ über dem Irak, 1920
wehr, auf den ‚großen Krieg‘ der Industriestaaten untereinander.
78
Raumpolitik des britischen Empire in der Zwischenkriegszeit und die Rolle der Luftfahrt
Unter den Bedingungen der Abrüstung, der
der kolonialen Expansion in der zweiten Hälfte des
Kriegsunwilligkeit und der finanziellen Knappheit
19. Jahrhunderts, bei denen Technik ‚menschenspa-
bei gleichzeitiger Zunahme kolonialer ‚Unruhe‘
rend‘ erfolgreich zur Machtprojektion eingesetzt
wurden technisch basierte, hochmobile unsym-
werden konnte. Nun führten die Erfahrungen des
metrische Kriegführungsformen neu reflektiert.
Weltkrieges zu einem abermaligen Lernprozess.
Nach 1918 hieß dies: Motorisierung und eine Erwei-
Die Verzahnung zwischen dem außereuropä-
terung in die dritte Dimension. Wenige Staffeln der
ischen und dem späteren strategischen Bomben-
Royal Air Force ersetzten, so schätzte die Führung
krieg in Europa war auch eine personelle: Arthur
optimistisch, ab 1920 im Irak 51 Bataillone Infan-
„Bomber“ Harris war als Geschwaderführer einer
terie (Lindqvist 2001: 43). „Kontrolle ohne Beset-
der Protagonisten der Doktrin der Air Control im
zung“ und ein Krieg ohne Infanteristen schienen
Mittleren Osten. Seine Denkschrift „Notes on the
nun möglich (s. Abb. 9 und 10).
Method of Employment of the Air Arm in Iraq“ vom März
Damit war ein Muster der konkreten wie
1924 berichtete über Angriffsmethoden, mit denen
demonstrativen Ausübung staatlicher Gewalt ent-
Dörfer nach einem Angriff von nur vier oder fünf
standen, das auf Mobilitätsmaschinen beruhte statt
Maschinen „can be practically wiped out and a third of
auf massenhaftem, infanteristisch geprägten Poli-
its inhabitants killed or injured“ (Lindqvist 2001: 43; s.
zeieinsatz. Diese Form der Mobilitätskriegführung
Abb. 10). Als Harris ab 1942 die Bombenoffensive
schien ein effektives Durchsetzungsinstrument des
gegen Deutschland plante und kommandierte,
kolonialherrschaftlichen Gewaltmonopols zu sein,
kannte er seine Untergebenen aus der irakischen
das längst schon auf Maschinisierung und Techni-
Kampagne, und sein direkter Vorgesetzter hatte im
sierung gesetzt hatte statt auf Truppenmassen. Die
Rahmen der Luftkriegsmaßnahmen Aden zerstört.
Tradition einer hochtechnisierten Kriegführung
Das alte Konzept der britischen Air Control ist
gegen außereuropäische Völker ging weit zurück.
seit den 1980er Jahren durch eine Reihe von Mili-
Selbstladegewehre und Maschinenwaffen gehör-
tärpublizisten, die dem Pentagon oder dem briti-
ten zu den taktisch-technischen Voraussetzungen
schen Defense Ministry nahe stehen, re-interpretiert und optimistisch beurteilt worden. Diese billig, effektiv und human auftretende und dazu scheinbar ohne teure, verwund- und attackierbare Bodentruppen auskommende Konzeption eines Flugzeugeinsatzes für niedrig intensive Kriegsformen schien ein mögliches Vorbild und erlebte seitdem ein Revival (Corum 2000, Belote 2006, Read 2005). Wenn man die britischen Verfahren der Mobilitäts- und Machtprojektion durch Verkehrsund Militärfliegerei betrachtet, wie sie in der Zwischenkriegszeit geostrategisch funktional und symbolisch entwickelt und eingesetzt wurden, so ergibt sich durchaus ein „shape of things to come“ (s. Abb. 11).
Abb. 11: Werbeanzeige für Imperial Airways, 1936
79
WIKA-Report (Band 2)
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Niederlage: der amerikanische Süden 1865, Frankreich 1871, Deutschland 1918. Berlin: Fest.
Abb. 8: http://www.southafrica.to/transport/ Airlines/to-South-Africa/flights-to-Cape-Town/
Smith, Simon C. (1998): British Imperialism, 1750–
London-Cape-Town-Imperial-LARGE.jpg
1970. Cambridge: Cambridge University Press. Abb. 9 und Abb. 10: http://airminded.org/2006/ Stoddard, William H. (2011): „Every Crowd is
10/14/air-control-in-pictures/
Crazy“: Kipling’s Political Theme in „As Easy as A.B.C.“. In: Prometheus. Newsletter of the
Abb. 11: http://www.squidoo.com/amazing-airplanes
Libertarian Futurist Society 29, 4 (Summer 2011), online: http://lfs.org/newsletter/029/04/ Kipling.shtml
Kurt Möser, apl. Prof., Dr. phil., geboren 1955 in Mem mingen/Allgäu, studierte Literaturwissenschaft
Towle, Philip (1989): Pilots and Rebels: The Use of Aircraft in Unconventional Warfare, 1918–1988. London: Brassey.
und Geschichte an der Universität Konstanz. Er war DAAD-Lektor an den Universitäten Oxford und New
Delhi und hatte Lehraufträge an den Universitäten Erlangen, St. Gallen und Mannheim. Seit 1987 war
Wende, Peter (2008): Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs. München: Beck.
er Konservator am Landesmuseum für Technik und
Arbeit (jetzt Technoseum) in Mannheim für die Berei che Straßenverkehr, Schifffahrt und Luftfahrt. Am
Wohl, Robert (2005): The Spectacle of Flight. Aviation and the Western Imagination, 1920– 1950. New Haven/London: Yale University Press.
Institut für Geschichte der Universität Karlsruhe (jetzt
KIT) habilitierte er sich zu „Fahren und Fliegen in Frie
den und Krieg – Kulturen individueller Mobilitätsma schinen 1880 bis 1930“. Er ist apl. Professor am Institut
Abbildungsnachweise
für Geschichte des KIT. Interessensgebiete: Kulturge
schichte der Technik, Mobilitätsgeschichte, Körperge Abb. 1: http://www.sikh-history.com/ sikhhist/events/jbagh.html
schichte, Literatur und Geschichte, Militärgeschichte. – Kontakt: kurt.moeser@kit.edu
81
der Raumdefinition nicht außer Acht gelassen wer-
Gesellschaft und Politik im ‚fremden‘ Raum
den. Ausgehend von der Vorstellung eines Begegnungs- und Interaktionsraumes, dem ‚fremden Raum‘, in dem die Reisenden auf die andere Kultur trafen, bietet es sich an, diesen Raum als „Kontaktzone“ oder „Kontaktarena“ (Osterhammel 2011:
Raumwahrnehmungen deutscher Reisender in Sizilien im 18. und 19. Jahrhundert
157), verbunden durch eine Geschichte von Interaktionen, eingehender zu betrachten. Doch auch der traditionellen Definition Siziliens als Raum der Nicht-Zivilisation, der per se ‚das Andere‘ symbolisiert, begegnet man in den Reisebeschreibungen
von Rubina Zern (Heidelberg)
des öftereren. Rein geografisch betrachtet, wird das Mittelmeer durch die Meerenge von Sizilien in einen
Raumkonzepte des Mittelmeers und Siziliens
östlichen und einen westlichen Bereich geteilt, und Sizilien thront inmitten wie die „Königin der Inseln“ (Gregorovius 1938). Sizilien galt seit jeher als Schmelztiegel und Brücke, aber auch als
„J’ai passionnément aimé la Méditerranée, sans doute
Grenze zwischen den Kulturen der mediterranen
parce que venu du Nord […]“, hat Fernand Braudel,
Welt; dies manifestiert sich bereits in den räum-
der große französische Biograf des Mittelmeeres,
lichen Gegebenheiten der Insel. In seiner etwa
im Vorwort seines ersten Bandes von „La Méditer-
zweitausendjährigen Geschichte war Sizilien nicht
ranée“ bekannt (Braudel 1949: ix). Damit führte er
selten Mittelpunkt des politischen Geschehens
als (West-)Mitteleuropäer nicht nur den einst insbe-
im mediterranen Raum. Von Griechen, Kartha-
sondere in Frankreich begründeten Mythos Mittel-
gern, Römern, Byzantinern, Arabern und Spaniern
meer fort, sondern richtete seinen Blick gleichzei-
erobert und doch nicht bezähmt, ist der Insel stets
tig auch auf den Raum. Raumwahrnehmung und
eine Art Sonderrolle eigen gewesen. Die Brücken-
Raumbilder sind abhängig von Imagination und
funktion hat sie bis heute nicht verloren, und die
Diskurs. Dies gilt auch für die Raumpolitik, insbe-
Rolle Siziliens ist angesichts erhöhter Flucht und
sondere im und für den Mittelmeerraum, wo sich
Migration über das Mittelmeer mehr denn je defi-
topografische und kulturelle Räume so komplex
niert als Europas südlicher Außenposten.
überlagern. Es geht hier um Stereotyp und Beob-
Doch die Topologie Siziliens präfigurierte die
achtung, Zugehörigkeit und Distanz, Neigung und
Insel auch als schwer zugängliche terra alta, und
Abwehr, Fremdes und Eigenes. Dies ist zu beachten,
damit als peripheren Ort im Gegensatz zum con-
wenn von den vielfältigen Verbindungen gespro-
tinente, dem italienischen Festland. Die Wahrneh-
chen wird, die den Mittelmeerraum konstituieren.
mung Siziliens als Peripherie lag zum einen daran,
Ob das Mittelmeer tatsächlich als Einheit begriffen
dass Sizilien die längste Zeit nur auf dem Seeweg
werden könne oder ob vielmehr das Trennende, die
zu erreichen war, zum anderen auch an der Kon
Grenzen innerhalb des Mittelmeers identitätsstif-
struktion Siziliens als Gegenbild zu Zivilisation,
tend seien, darüber ist innerhalb und außerhalb
Kultur und schließlich Moderne.
der Mediterranistik leidenschaftlich debattiert worden.
Siziliens Lage zwischen verschiedenen geografischen und kulturellen Räumen kam auch in den
Will man sich der deutschen Bereisungs
jeweiligen zeitgenössischen Diskursen zum Tragen.
geschichte Siziliens im 18. Jahrhundert über die
Die Vorstellungen von Reisenden manifestierten
Kategorie des Raumes nähern, darf dieser Punkt
sich häufig in Stereotypisierungen und zogen sich
82 Gesellschaft und Politik im ‚fremden‘ Raum: Raumwahrnehmungen deutscher Sizilien-Reisender
in verschiedenen Ausprägungen durch die Zeiten:
Sizilien eine große Anziehungskraft auf Reisende
So wurde etwa Sizilien erst zu Großgriechenland,
aus und befremdete sie – im wahrsten Sinne des
dann zum Ort des christlich-romantischen Mittel-
Wortes – zugleich. Die Reisenden fanden gleich-
alters und schließlich als ‚Orient’ zum Gegenbild
sam in Abgrenzung zur fremden Kultur, oft mit-
auf einer kognitiven Karte, die ein spezifisches
hilfe von Stereotypen, zu einem Selbst-Bewusstsein
Überlegenheitsgefühl des Europäers gegenüber
über die eigene Identität.
dem ‚Morgenland‘ ausdrückte. Auch als Afrika oder
Goethe, der bereits Ende des 18. Jahrhunderts
als Italien in sozusagen reinster Form wurde die
nach Sizilien gereist war, befand in seiner zwi-
Insel betrachtet – hierzu ist allerdings anzumer-
schen 1813 und 1817 verfassten „Italienischen
ken, dass zwar Vorstellungen und Raumkonzepte
Reise“: „Hat man sich nicht ringsum vom Meere
über den Süden an sich existierten, jedoch waren
umgeben gesehen, so hat man keinen Begriff von
diese weitaus diffuser als andere Bilder; auch da
Welt und von seinem Verhältnis zur Welt“ (Goethe
raus mag sich die so changierende Betrachtungs-
1992 [1813–1817]: 287). Genau über dieses Verhältnis
weise Siziliens erklären.
von Sizilien zur Welt und darüber, welcher Region
Doch nicht nur in diesen Diskursen ist der
der Welt die Insel zuzurechnen sei, ist allerdings
Raum eine wichtige Variable, auch in anderen
immer wieder trefflich gestritten worden – und in
Zusammenhängen, die Einfluss auf die Gestal-
jeder Epoche, so scheint es, fiel die Antwort anders
tung der Reise nach Sizilien gehabt haben, muss
aus. Erfreuten sich die ersten deutschen Sizilienrei-
er Berücksichtigung finden: Dies beginnt bei der
senden noch am antiken Griechenland in Sizilien,
Feststellung, dass die aufgeklärte Haltung der frü-
so befanden sich die Nachfolger im ersten Drit-
hen Sizilienreisenden ohne die Kopernikanische
tel des 19. Jahrhunderts beim Anblick staufischer
Wende, die den Beginn einer veränderten Raum-
Architektur gedanklich bereits im christlichen
wahrnehmung darstellte, nicht möglich gewe-
Mittelalter.
sen wäre, und endet mit der Imagination illusori-
Doch damit nicht genug: Um 1878 befand der
scher Räume Siziliens und dem Erleben der Bloch-
Reisende Arnold von Lasaulx: „Wer Sicilien betrach-
schen „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, dem
tet, muss gleichzeitig den Blick nach Afrika und
Nebeneinander von traditionellen und modernen
nach Europa wenden, um es zu verstehen“ (Lasaulx
Elementen, durch den Pauschaltouristen.
1879: 6). Gehörte Sizilien als Kontaktzone des Mittelmeers also noch zu Europa oder bereits zu
Ansichten über Sizilien: Wo liegt der ‚fremde‘ Raum?
Afrika? So wurde auch in Frankreich und anderen Ländern des Nordens gefragt. Glaubte man dem Baron Creuzé de Lesser, so lag die Insel auch mental fernab des europäischen Kontinents, wie er in
Die Konstituierung Siziliens als anderer Raum
seinem Reisebericht schrieb: „L’Europe finit a Naples
kann im Hinblick auf die deutsche Bereisungs
et même elle y finit assez mal. La Calabre, la Sicile, tout le
geschichte der Insel als Ergebnis eines fortwähren-
reste est de l’Afrique“ (Creuzé de Lesser 1806: 96). Oder
den Aushandlungs- und Abgrenzungsprozesses zwi-
war Sizilien ganz einfach als Inbegriff wilder Süd-
schen dem Reisenden und der wahrgenommenen
lichkeit zu deuten?
Fremde betrachtet werden. Denn Sizilien und seine
Die meisten Reisenden, auch jene Ende des 18.
Bewohner polarisierten fortwährend das deutsche
Jahrhunderts, hatten bereits eine Vorstellung von
Gemüt: Ob sich Reisende über die Trägheit ‚des
Europa und bezogen den Begriff durchaus in ihre
Sizilianers‘ empörten oder ihm ein Temperament
Reise nach Sizilien mit ein. Seit dem späten 17. Jahr-
von „feuriger Empfindung“ (Stolberg 1877: 467)
hundert hatte sich ein genuines Europabewusst-
attestierten – ganz gleich, welche Beobachtung die
sein unter den europäischen Fürsten und Politi-
Gemüter erregte, seit jeher übte das fremde, andere
kern ausgebildet, die „[…] in der Kategorie eines
83
WIKA-Report (Band 2)
europäischen Staatensystems [agierten]“ (Duch-
Einfahrt in die mondbeglänzte Stadt an
hardt 2003: 34). Überall dort, wo eine Region in
Tausendundeine Nacht denken, wo Kauf-
‚transkulturelle Interaktionen‘ eingebunden war,
leute oder verkleidete Prinzen ihren nächt-
konnten die Menschen sich bereits ein Bild von die-
lichen Einzug halten in eine unbekannte
sem Kontinent machen:
Märchenstadt mit schimmernden Kuppeln
„Europa war für viele, auch wenn sie sich noch nicht als ‚Europäer‘ bezeichneten,
am schimmernden Meere.“ (Schneegans 1905 [1887]: 409)
eine Realität und eine praktizierende
Andererseits glaubte der Sizilienreisende Alexan-
Erfahrung – oder zumindest doch eine
der Rumpelt noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Imagination – die ersten anthropologi-
in den Sizilianern eine besondere Leidensfähigkeit
schen Ansätze, die darauf zielten, im Kon-
zu erkennen, die „orientalische Ergebung in das
text einer zunehmenden Negativierung der
Schicksal, ein echtes Stück übrig gebliebenen Ara-
anderen (vier) ‚Rassen‘ einen spezifischen,
bertums“ (Rumpelt 1902: 137).
den Bewohnern anderer Erdteile überlege-
Im Unterschied zur Wahrnehmung Siziliens als
nen (scharfsinnigen, sanguinischen und
Griechenland oder als Inbegriff des christlich-deut-
erfinderischen) homo europaeus zu kons-
schen Mittelalters erlebten die Reisenden den sizili-
truieren, datieren erst aus dem mittleren
anischen Orient als Gegenwart. Dieser nahm einen
und ausgehenden 18. Jahrhundert.“ (Duch-
besonderen Stellenwert in der Wahrnehmung ein:
hardt 2003: 35)
Denn einerseits grenzten die Reisenden sich zur
Für die deutschen Sizilienreisenden Ende des 18.
gegenwärtigen ‚Fremde‘ ab, andererseits romanti-
Jahrhunderts definierte sich Europa, so scheint es,
sierten sie diese aber auch über die Maßen; die Ver-
insbesondere in Abgrenzung zum anderen Raum,
sinnbildung von Abgrenzung und Anziehung wird
zu dem man nicht gehörte: zu Afrika, zum Süden,
an den obigen Beispielen deutlich.
zu Italien. So bildeten die Reisenden ihre kulturelle Identität und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer spezifischen Gruppe – den Deutschen – erst auf diese Weise aus.
Sizilianische Gesellschaft und deutsche Reisende
Doch auch dem Orient wurde Sizilien des Öfteren zugerechnet. Fernand Braudel hat Italien als
Bereits bei den ersten deutschen Sizilienreisen-
Inbegriff der „römischen Welt definiert, die den
den, die sich Ende des 18. Jahrhunderts auf den
Katholizismus umfasst“, während er weiter südlich
Weg machten, existierte das Bild des Sizilianers
den Islam verortete, einen „Gegen-Okzident, mit-
als ‚edler Wilder’, also einem von der Zivilisation
samt den Zweideutigkeiten, die jeder tiefe Gegen-
unverdorbenen, aber naiven Naturmenschen, der
satz in sich birgt […].“ (Braudel 1987: 96f.) Wenn Ita-
zunächst in Gestalt des ‚edlen‘ Griechen daher
lien den „mythischen Wesenskern des Okzidents“
kam und eindeutig von Winckelmanns Griechen-
(Brilli 1989: 16) symbolisierte, so markierte Sizilien
landbild beeinflusst war. Auch dieses Bild zog sich
also den mentalen Übergang zwischen Orient und
durch die Jahrhunderte, während als Kontrastfolie
Okzident.
der ‚Barbar‘ für das Bild des zeitgenössischen und
Carl August Schneegans, der ab 1880 deutscher
verkommenen bzw. später auch muslimisch wahr-
Konsul in Messina war, schrieb hingerissen in sei-
genommenen Sizilianers stand. Im 19. Jahrhundert
nen Memoiren über Palermo:
fokussierte man sich bei der Betrachtung der in
„Ja, überall kehrt hier das Gefühl und
Armut lebenden Bevölkerung einerseits auf die sitt-
die Stimmung des Orients wieder und
lich-moralischen Defizite, die als Hemmnis einer
klopft an unser Herz und unsere Sinne,
gesamtgesellschaftlichen Modernisierung gesehen
und unwillkürlich mußte ich bei meiner
wurden, andererseits aber ebenso auf die von den
84
Gesellschaft und Politik im ‚fremden‘ Raum: Raumwahrnehmungen deutscher Sizilien-Reisender
deutschen Reisenden wahrgenommene glückliche, einfache Lebensweise.
beobachtete Bartels, sei „die Regierung einzig in den Händen des
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Adels […]. Geburt bestimmt sein Recht;
enthielten solche Betrachtungen zunehmend ras-
Talente und Geschicklichkeiten werden
sistisch gefärbte Untertöne. Flankiert wurde die-
nur für Nebendinge angesehen. Unausbleib-
ses Bild stets von dem Diktum „Ein Paradies, von
licher Ruin ist Folge eines jeden Staats bei
Teufeln bewohnt“ – wie etwa der frühe Sizilien-
solchen Maximen“ (Bartels 1789 Bd. 2: 430).
reisende und spätere Hamburger Bürgermeister Johann Heinrich Bartels bemerkte. Bartels, ein typischer von der Spätaufklärung beeinflusster Reisender, verurteilte den Ausspruch und hielt ihn für
Wahrnehmung von Politik in Sizilien – am Beispiel von Johann Heinrich Bartels
die Quelle vieler falscher Urteile über die Insel und ihre Bewohner (Bartels 1792: 475ff.). Ursprünglich
„Wenn eine gute Regierung die Ordnung, Gerech-
war das Diktum auf Neapel bezogen worden; einige
tigkeit und Gleichheit hier herstellte, würde dieses
Historiker wollen es gar bis zum Römer Petronius
der glücklichste Winkel der Erde seyn“, notierte
zurückverfolgt haben, andere nennen wiederum
der im Auftrag Winckelmanns durch Sizilien rei-
Benedetto Croce als Ursprung, der das Diktum
sende Baron von Riedesel in seinen Briefen (Rie-
wiederum in die Florentiner Frührenaissance ein-
desel 1771: 58). Dieser Wunsch wurde über mehrere
ordnet. Es bezeichnete Ende des 18. Jahrhunderts
Jahrzehnte immer wieder neu formuliert und blieb
bereits eine Konstante deutscher Sizilienwahrneh-
einer der wichtigsten Kritikpunkte deutscher Rei-
mung, doch suchte man die Schuld für das Elend
sender auf Sizilien. Die Regierung, so lautete einer
des Volkes bei der Regierung. Zudem waren die Rei-
der Vorwürfe, werde von keiner einzigen Institu-
senden jener Zeit aufgrund eigener Differenzerfah-
tion beschränkt und könne demnach ganz nach
rungen noch in der Lage, Änderungen an bestehen-
eigenem Gusto handeln, wie es ihr beliebe. Die Fol-
den stereotypen Sizilienbildern zuzulassen. Diese
gen sahen die aufgeklärten Reisenden, sobald sie
Eigenschaft kam den Sizilienreisenden des 19. Jahr-
sich von den großen Zentren Palermos und Cata-
hunderts mehr und mehr abhanden.
nias entfernten. Bartels schien regelrecht scho-
Auch Kritik am Adel war ein beliebtes Thema der aufgeklärten Reisenden. So stellte der deutsch-
ckiert von dem zu sein, was er in der palermitanischen Peripherie zu sehen bekam:
dänische Reisende Friedrich Münter fest, dass sich
„Man kann es kaum glauben, daß man
viele Adelige zwar nach außen hin mit Luxusgü-
noch in demselben Lande wäre, wo durch-
tern umgaben, zuhause aber recht ärmlich lebten
aus der Zustand der Nation näher an den
(Münter 1790: 207). Diese Diskrepanz stieß größ-
Stand der Barbarei, als den der Kultur gren-
tenteils auf Unverständnis, wie auch bei Bartels
zet […]. Wie ist es möglich, daß so nahe bei
deutlich wurde: Selbst der niederste Adel, so Bar-
der feinsten Kultur […] die größte Rohheit
tels, umgebe sich mit Pomp und Prunk und fahre
und Unkultur wohnen kann?“ (Bartels 1792:
in den auffälligsten Kutschen, etwa ein Landedelmann, obwohl
475) Der Zusammenhang von Politik und Raum offen-
„er in seinem Leben weiter nichts getan
barte sich Bartels an diesem Beispiel besonders ein-
hatte, als vom Landgute in die Hauptstadt
drücklich. Somit konnte er auch den Anblick Paler-
zu reisen, seinen Untertanen das Geld
mos nicht mehr recht genießen, da
durch Bedrückung abzunehmen“ (Bartels
„das Wachstum Palermos auf Kosten der
1792: 602).
ganzen Insel fortgetrieben würde. […] Was
Wie die Reisenden beobachteten, hatte das Volk
aber kann anders Folge davon sein, als der
dabei das Nachsehen. In allen Städten Siziliens, so
Ruin der ganzen Insel?“ (Bartels 1792: 551)
85
WIKA-Report (Band 2)
Und dieser Ruin wirkte sich nach Bartels vor
Getreideanbaus, sondern in der gesamten Land-
allem auf die Menschen aus. Die Regierung habe
wirtschaft steuere Sizilien auf eine Katastrophe
mit ihrem egoistischen Handeln das sizilianische
zu: die fruchtbaren Felder, so Bartels, lägen brach
Volk verzogen: Der Sizilianer, befand Bartels, habe
(Bartels 1789 Bd. 2: 171).
eigentlich einen fähigen Geist, der aber nicht
Dieser Blick auf die sozialen Verhältnisse Sizili-
gepflegt werde – hier kam dem Staat seiner Mei-
ens war unmissverständlich und auch prototypisch
nung nach die Hauptschuld zu – die moralische
für viele deutsche Sizilienreisende des 18. Jahrhun-
und geistige Erziehung sei völlig vernachlässigt
derts, die den Anspruch hatten, möglichst wahr-
worden und, „durch dogmatischen Unsinn von
heitsgetreue und vollständige Informationen über
allen soliden Kenntnissen hinweggezogen“, sodass
Sizilien in ihren Reiseberichten abzubilden.
es dem Sizilianer am wichtigsten sei, „noch nach dem Tode zu glänzen.“ (Bartels 1792: 627f.)
Letztendlich, so betonte Bartels, könne nur derjenige wahrheitsgetreu über die Insel berichten,
Auch beim Handel sah er diese Problemlage
„der in Sizilien ganz Sizilianer ist“ (Bartels 1789
in Sizilien gegeben: Zunehmend, stellte er fest,
Bd. 2: Xii). Trotz aller Kritik durchlebte er die glei-
dominierten ausländische Investoren den Handel;
che Faszination eines Reisenden aus dem Norden
allerdings brachte er dies mit dem mangelnden
in Sizilien wie viele Jahre später Fernand Braudel.
Fleiß der Bewohner in Verbindung, indem er dar-
Die Berichte deutscher Sizilienreisender zeigen,
auf hinwies, dass die Sizilianer fast nichts an Stof-
wie massiv identitäre Diskurse, die Konstruktion
fen im eigenen Land produzierten: Man verlasse
des ‚Eigenen‘ und des ‚Fremden‘ auch die politisch-
sich „ganz auf den Fleiß andrer Nationen“ (Bartels
gesellschaftliche Wahrnehmung von Räumen prä-
1789 Bd. 2: 94). Damit waren vor allem Genua und
gen. So (ist und) war die Wahrnehmung des Raums
Frankreich gemeint, denn der sizilianische Handel
und seiner Geschichte letztendlich immer stark
im Mittelmeer wurde noch bis 1800 zumeist über
davon bestimmt, welche Anschlussfähigkeiten oder
genuesische oder südfranzösische Häfen abgewi-
Abgrenzungsmechanismen die jeweiligen Betrach-
ckelt. Für die Wirtschaft Siziliens war dies sowohl
ter ihnen zuschrieben.
für den Export als auch Import von großem Nachteil. Die sizilianische Regierung wurde von den
Literatur
meisten Reisenden Ende des 18. Jahrhunderts scharf kritisiert: Bartels und sein Zeitgenosse, der aufgeklärte Düsseldorfer Staatsrat Jacobi waren
Bartels, Johann Heinrich (1787–1792): Briefe über
der Überzeugung, dass sich die Regierung auf
Kalabrien und Sizilien. 3 Bde., Göttingen: J. C.
„Druck, Trug und Gewalt“ (Jacobi 1797: 145) stütze,
Dieterich.
um ihre Ziele zu erreichen und die armen Schichten noch mehr ausbluten zu lassen. Da die Regie-
Braudel, Fernand (1949): La Mediterranée et le
rung bestimme, wann exportiert werden dürfe,
monde méditerranéen à l’époque de Philippe II.
bemerkte Bartels, kaufe dem Bauern zunächst nie-
Paris: Armand Colin.
mand sein Korn ab, da der Absatz ungewiss sei. Schließlich würden dann Getreidemakler die Ver-
Braudel, Fernand (1987): Die Welt des Mittel-
handlungen übernehmen und das Korn nun zum
meeres. Zur Geschichte und Geographie kul-
niedrigsten Preis aufkaufen. Sie erhielten von der
tureller Lebensformen. Frankfurt am Main:
Regierung die Genehmigung zum Export. Die Fol-
Fischer.
gen seien vorhersehbar: Pauperisierte Landschichten stünden einer immer reicher werdenden Oberschicht gegenüber. Doch nicht nur im Falle des
86 Gesellschaft und Politik im ‚fremden‘ Raum: Raumwahrnehmungen deutscher Sizilien-Reisender
Brilli, Attilio (1989): Reisen in Italien. Die Kultur
Schneegans, Carl August (1905 [1887]): Sicilien.
geschichte der klassischen Italienreise vom 16.
Bilder aus Natur, Geschichte und Leben. Leipzig:
bis 19. Jahrhundert. Köln: DuMont Reiseverlag.
F. A. Brockhaus.
Creuzé de Lesser, Augustin-François Baron de
Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu (1877 [1794–
(1806): Voyage en Italie et en Sicile. Paris: Didot.
1797]): Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien. Mainz: Kirchheim.
Duchhardt, Heinz (2003): Europa am Vorabend der Moderne: 1650–1800. (Handbuch der Geschichte Europas; 6). Stuttgart: Ulmer.
Rubina Zern M.A., Studium der Neueren und Neu esten Geschichte und Soziologie an der Universität
Goethe, Johann Wolfgang von (1992 [1813–1817]): Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe, Bd. 15: Italienische Reise, hrsg. v. Andreas Beyer und Norbert Miller. München: Hanser.
Karlsruhe. Aufenthalt in Rom, Promotion an der Uni versität Würzburg im Jahre 2013. Koordinatorin des
Arbeitsbereichs Minderheitengeschichte und Bür gerrechte in Europa, Lehrstuhl für Zeitgeschichte,
Universität Heidelberg. – Arbeitsgebiete: deutschGregorovius, Ferdinand (1938): Sizilien – „Königin der Inseln“. Dresden: Jess.
italienische Wahrnehmungsgeschichte, Ideen- und Mentalitätsgeschichte des Mittelmeers, historische
Stereotypenforschung. – Kontakt: rubina.zern@zegk. Jacobi, Georg Arnold (1797): Briefe aus der Schweiz und Italien in das väterliche Haus nach Düsseldorf geschrieben, Bd. 2. Lübeck/Leipzig: Bohn. Lasaulx, Arnold von (1879): Sicilien. Ein geog raphisches Charakterbild. Vortrag gehalten am 15. December 1878 in dem Musiksaale der Universität zu Breslau von A. von Lasaulx. Bonn: E. Strauss. Münter, Friedrich (1790): Nachrichten von Neapel und Sicilien, auf einer Reise in den Jahren 1785 und 1786 gesammlet [sic!]. Kopenhagen: C. G. Proft. Osterhammel, Jürgen (2011): Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München: C. H. Beck. Riedesel, Johann Hermann Baron von (1771): Reise durch Sicilien und Großgriechenland. Zürich: Orell, Gessner, Füesslin und Comp. Rumpelt, Alexander (1902): Sicilien und die Sicilianer. Berlin: Allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur.
uni-heidelberg.de
87
für sie doch keineswegs prioritär. Sie setzen sie
Kultur-Weltpolitik – eine paradoxe Antwort auf die Große Krise
auf den zweiten, wenn gar den letzten Rang und sichern nicht einmal mehr die nötige (insbesondere budgetäre) Kontinuität mittel- und langfristiger Projekte, für die sich ihre Vorgänger in den 1980er und 1990er Jahren engagiert haben. Die Ambition einer starken Kulturpolitik, sei es auf nationaler, europäischer oder internationaler Ebene, scheint
von François de Bernard (Toulouse/Paris)
an Aktualität verloren zu haben, scheint unpassend, ja unbequem geworden zu sein. Vor einem Jahrzehnt hatte dieses Ziel noch einen bedeuten-
Auf dem Feld des Denkens und Handelns, das
den Platz in der Politik mehrerer großer Nationen
man mit dem Begriffspaar Geopolitik und Kul-
wie auch der Europäischen Union selbst.1
tur umschreiben kann, haben wir es mit schwer
In dem vorliegenden Beitrag geht es also
erträglichen Widersprüchen zu tun, aktuell und
darum,
nicht nur in the long run. Tatsächlich sind sich die
1. im Aktionsfeld Geopolitik und Kultur
meisten Akteure (Politiker, Ökonomen, Kulturar-
einige aktuelle Widersprüche und
beiter) und Analytiker (Professoren, Berater) im
Schwachstellen sichtbar zu machen;
Prinzip darin einig, die kritische Funktion der
2. kontrapunktisch zugleich an einige
Kultur und kulturell geprägter Verbindungen
der bedeutendsten, auch geopolitisch
zwischen Nationen, zwischen Regionen und zwi-
relevanten Erfolge auf kulturpolitischem
schen Kommunen anzuerkennen, wenn es um die
Gebiet zu erinnern, die sich während der
Lösung von Konflikten, die Herstellung gerechterer Verhältnisse zwischen den Nationen und auch für
letzten Jahrzehnte eingestellt haben; 3. genauer zu beschreiben, was im Zeithorizont
den Auf bau großregionaler Gemeinschaften wie
2020 die Herausforderungen und was
der EU, Mercosur, ASEAN und anderer geopolitisch
die Ziele einer echten Kultur-Weltpolitik
relevanter Strukturen geht. Allerdings muss man
(cosmopolitique culturelle) sein könnten.
feststellen, dass es heute, sowohl was die Finanzals auch was die Symbolpolitik betrifft, bei den politischen und ökonomischen Entscheidern einen kräftigen Rückzug aus großen wie auch kleineren
Die Widersprüche zwischen Geopolitik und Kultur werden tiefer
Kulturprojekten gibt. Dies dauert bereits seit Ende 2007, seit dem Beginn der Großen Krise, an, die
Was das geschichtlich komplexe Verhältnis zwi-
sich uns unter vielen Formen zeigt und aus der wir
schen Geopolitik und Kultur anbelangt, so sind
noch keineswegs wieder aufgetaucht sind.
wir seit der zweiten Hälfte des Jahres 2007 in eine
Leider erleben wir dabei wieder die klassische, ja chronische Schizophrenie in der Geschichte der Nationen wie auch in der der Ideen: Die Ent-
Phase der Unsicherheit und einer keineswegs abgeschlossenen Umstrukturierung eingetreten. Was heißt das?
scheidungsträger machen nicht mehr das, was sie
Wir erleben heute, dass das Szenario, das wäh-
doch vorgeblich als wünschenswert für die Kultur
rend der historischen Zäsur der Jahre 1989 bis 1991
bezeichnen, und noch weniger machen sie das, was für die von ihnen beschworene kulturelle Vielfalt oder den interkulturellen Dialog wünschenswert wäre. Schlimmer noch, während sie die ‚Bedeutung‘ kultureller Themen hervorheben, sind diese
1 Kulturpolitik führt Menschen, Gesellschaften, sogar Staaten zusammen. Sie war und ist daher raumbildend. Sie schafft und sichert Räume, auch als Strategie und Geopolitik. Geopolitisch interessant ist ihr jeweiliger Bezugsraum, von der lokalen Gemeinde über Großregionen wie die Europäische Union bis hin zur globalen Dimension (Anm. d. Hrsg.).
88
Kultur-Weltpolitik – eine paradoxe Antwort auf die Große Krise
geschrieben und später in überzeugender Weise
Endlich schien sich eine Alternative aufzutun, die
weitergeschrieben wurde, rigoros infrage gestellt
dem Konzept globaler Gouvernanz, das heißt, eines
wird. Dieses Szenario war markiert durch Abkom-
Systems global wirksamer Regeln entsprach. Dieses
men und Initiativen wie die den Sonderfall Kultur
Konzept war schon lange als eine Art kategorischer
betreffenden Zusatzklauseln zum Vertragswerk von
Imperativ ins Feld geführt worden, war aber im
Marrakesch 19942, den „Perez de Cuellar-Bericht“
politischen Handeln schwach ausgeprägt, ja inexi-
von 1996 („Unsere kreative Vielfalt“, World Com-
stent geblieben. Diese vorher noch nie dagewe-
mission on Culture and Development 1996), 3 die
sene, gemeinsam errichtete Konstruktion hat nun
Dynamik der „Erklärung über eine Kultur des Frie-
freilich, als Folge einer unter vielen Formen auf-
dens“, für die sich Federico Mayor und die UNESCO
tretenden Krise großen Ausmaßes,7 unaufhörlich
ab 1998 engagiert hatten,4 die „Allgemeine Dekla-
Schläge erdulden müssen. Deren Auswirkungen
ration zur kulturellen Vielfalt“ vom 2. November
auf alle Fortschritte, die seit Ende der 1980er Jahre
2001 (Deutsche UNESCO-Kommission 2002), die
geduldig auf den Weg gebracht worden waren, sind
„Konvention zum Schutz und zur Förderung der
verheerend.
Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ vom Okto-
So findet man sich 2014 in einer wenig benei-
ber 2005 (Deutsche UNESCO-Kommission 2005), die
denswerten Lage wieder. Leider muss man heute
im Frühjahr 2007 dann ratifiziert wurde, schließ-
eine dramatische Rückentwicklung feststellen.
lich als krönender Abschluss die „Mitteilung der
Oder schroffer ausgedrückt: einen großen Schritt,
Kommission über eine europäische Kulturagenda
der uns um zwei Jahrzehnte zurückwirft. Dieser
im Zeichen der Globalisierung“, veröffentlicht im
Schritt zurück betrifft:
Mai 2007. 5 Leider war von Anfang an die Unum-
1. d ie Dynamik von Kultur als Ausnahmefall
kehrbarkeit dieses Szenarios nicht gewährleistet.
auf kommerziellem und rechtlichem Feld
Auch deshalb musste ständig weitergeschrieben
(exception culturelle), aber, allgemeiner,
werden.
auch das Konzept der kulturellen Vielfalt
Die damit gegebene multipolare Konstruktion internationaler Abkommen war geprägt von
sowie den interkulturellen Dialog, 2. die Rolle und den Kredit, die man der
einem entschlossen kosmopolitischen Geist, der
Kulturpolitik und ihren verschiedenen
lange auf der internationalen Bühne gefehlt hatte.6
Formen bei der Förderung von Demokratie
2 Das Marrakesch-Abkommen besteht aus mehreren Abkommen zum Schluss der Uruguay-Runde, insbesondere dem Abkommen zur Gründung der Welthandelsorganisation (WTO), ebenso dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) sowie weiteren Abkommen. 3 Vgl. den Hinweis der Deutschen UNESCO-Kommission (1996). 4 „Der Begriff ‚Kultur des Friedens‘ gewinnt seine Symbolik durch die Tatsache, dass ein nachhaltiger Friede nicht nur Abwesenheit von Krieg bedeutet, sondern einen dynamischen, auf den Prinzipien der Demokratie aufbauenden Prozess“ (Federico Mayor, UNESCO, 12. Mai 1998). Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission (1999) und Vermeren (2001). 5 Siehe Mitteilung der Kommission […] (2007). Dies ist ein wesentlicher Text, der leider, vermutlich weil es sich um eine Agenda handelt, nicht die Aufmerksamkeit und den Erfolg erreicht hat, den er verdient. 6 Dies war auch Kultur-Weltpolitik (cosmopolitique culturelle im Sinne des Autors), es war Geopolitik im globalen Maßstab, und es war europäische Kulturpolitik, die sich als Teil globaler Politik verstand. (Anm. d. Hrsg.)
und bei der Sicherung des Friedens sowie für die solidarische und nachhaltige Entwicklung einräumt, und schließlich 3. den Platz, den man der Kultur in den Ange legenheiten der Welt überhaupt zumisst. Es sieht tatsächlich so aus, als ob es dem Trauma des 11. Septembers, den Kriegen in Afghanistan und im Irak, dem so genannten Krieg gegen den Terrorismus, dem Zusammenbruch von Lehmann Brothers, den Schandtaten des internationalen Bankensystems, der allgemein verbreiteten Schräglage der öffentlichen Haushalte, der Unwirksamkeit der Austeritätspolitik und des Kampfs gegen die Arbeitslosigkeit, als ob es all diesen schlechten 7 An der Oberfläche betrifft diese seit 2007 alles unter minierende Krise Wirtschaft und Finanzen, in ihrer Tiefen dimension auch Politik, Moral und Kultur.
89
WIKA-Report (Band 2)
Nachrichten in ihrer Kombination gelungen ist,
Parlament in enger Absprache mit Akteuren in Bil-
die Art von Kulturpolitik zu verdrängen, die auf
dung und Kultur sowie mit der Zivilgesellschaft
verschiedenen Ebenen seit fast einem halben Jahr-
eingeführt worden sind, in entscheidender Weise
hundert mit Erfolg realisiert worden ist. Es sieht
dazu beigetragen haben, erstens das „Projekt
so aus, als ob all diese negativen Signale, die aus-
Europa“ trotz aller Hindernisse voranzubringen,
schließlich unter finanziellem Aspekt verstanden
zweitens Europa und seine Ideale9 besser zu verste-
werden, es erlauben würden, die bisherige Perspek-
hen und zu schätzen.
tive radikal zu verändern. Und als ob diese Kultur-
Zu diesen sehr erfolgreichen, geopolitisch rele-
politik und ihre verschiedenen Formen eher eine
vanten Instrumenten gehören zwei besonders sym-
Behinderung, ein Hemmnis für ‚seriöse‘ Politik,
bolträchtige, bei denen sowohl die Art der Realisie-
zum Beispiel Arbeitsmarkt-, Gesundheits- oder In-
rung wie die Ergebnisse auch mittel- und langfris-
frastrukturpolitik, darstellen würden, ja sogar als
tig erhalten bleiben.
Luxus verstanden werden könnten. Stattdessen sollte man Kulturpolitik und ihre Varianten ver-
Das Erasmus-Programm
stehen, sie entwickeln, sie fördern als das, als was sie sich, bezogen auf Staat und Gesellschaft, erwie-
Das erste dieser Instrumente ist das 1987 einge-
sen haben: als wichtige Instrumente zur Sicherung
führte Erasmus-Programm, dessen Popularität
und Weiterentwicklung der Beziehungen auch zwi-
trotz eines anfangs sehr bescheidenen Budgets10
schen Individuen, Gemeinschaften und Nationen,
alle Erwartungen übertroffen hat.
auch sehr verschiedenen.
Das Erasmus-Programm, in seiner ersten, aus-
Trotz der beunruhigenden, seit 2007 einsetzen-
schließlich jungen Europäern vorbehaltenen Form
den Rückentwicklung der früheren, erfolgreichen
wie auch in seiner zweiten, auch auf junge Leute
Kulturpolitik gibt es doch auch noch Grund zur
aus dem ‚Rest der Welt‘11 erweiterten Version, för-
Hoffnung in der heute verödeten Welt-Landschaft
dert nicht nur die Mobilität 12 junger Bürger im
der Kultur. Für deren Verwüstung sind die ‚große‘
Hochschulstudium, und zwar in einem bislang
Politik und ihre strategischen, ökonomischen und
unvergleichlichen Maß. Zugleich hat das Erasmus-
finanziellen Obsessionen verantwortlich.8 Die Hoff-
Programm die Idee, Europa zu schaffen, deren
nung, von der im Folgenden zu reden sein wird, gibt es in Europa wie auch in anderen Teilen der Welt.
Über einige bemerkenswerte Erfolge von Kulturpolitik in Europa und in der Welt Wenn auch die nationalen Führungen in Europa hic et nunc nicht mehr bereit zu sein scheinen, Kulturpolitik als prioritäre Ambition und Aktion auf ihre Agenda zu setzen, wird man doch nicht übersehen können, dass einige Instrumente, die einst von der EU-Kommission und vom Europäischen 8 Es handelt sich dabei um Obsessionen mit normativem Charakter. Sie produzieren Ausschließungsmechanismen, die alles betreffen, was sich nicht auf die ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen reduzieren lässt, d.h. Kultur, ökologische Imperative, Wahrung des kulturellen Menschheitserbes etc.
9 Wie sie zum Beispiel die Devise „In Vielfalt vereint“ zum Ausdruck bringt, die man einer nun leider nicht beschlossenen Europäischen Verfassung hätte voranstellen müssen. 10 85 Millionen Ecus für die drei ersten Jahre. In nun fast 26 Jahren hat es das Erasmus-Programm etwa drei Millionen europäischen Studierenden ermöglicht, in den Partnerländern zu studieren. 11 Ein schrecklicher, aber zählebiger Ausdruck… Erasmus Mundus wurde zum Studienjahr 2004/05, also siebzehn Jahre nach dem Erasmus-Programm eingeführt. 12 ‚Mobilität‘, ein wesentliches Auswahlkriterium in den meisten Programmen und Projekten der EU, ist seit zehn Jahren zu einem politischen und geopolitischen Lieblingsthema geworden. Vgl. zum Beispiel die „Schlussfolgerungen des Rats (…) vom 21. November 2008 zur Mobilität junger Menschen“: „Die Mobilität junger Menschen ist wichtig, um ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Europa zu fördern, die gesellschaftliche und berufliche Eingliederung zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft sicherzustellen. Ungeachtet des Erfolgs des Erasmus-Programms ist die Mobilität junger Menschen jedoch nicht sehr ausgeprägt“ (Europäische Union 2008).
90 Kultur-Weltpolitik – eine paradoxe Antwort auf die Große Krise
Sinn, deren Dynamik, das in ihr angelegte Ange-
gegründet und setzt sich seit damals dafür ein,
bot der Teilhabe für eine große Zahl junger Euro-
die Verbreitung europäischer Filmproduktionen
päer konkret werden lassen und sie überzeugt.
(und damit die europäische Filmproduktion selbst)
Eine Maßnahme wie das Erasmus-Programm hat
in allen europäischen Ländern zu unterstützen.
vielleicht mehr für Europa geleistet als die gemein-
Damit sollte und soll dem dampfwalzenartig vor-
same Währung, von der sich herausgestellt hat,
dringenden Vertrieb von Filmen aus den USA, aus
dass sie keineswegs allen gemeinsam ist.
Indien und auch aus den so genannten Schwellen-
Erasmus, das sind beeindruckende Zahlen, die
ländern eigene Aktivität entgegengesetzt werden.
europhile Politiker wie auch die zuständigen Büro-
Das Netzwerk war 2012 in 554 Städten 33 europä-
kratien für sich in Anspruch nehmen können. Aber
ischer (und Europa zugewandter) Länder mit 923
der wahre Erfolg des Programms wird sicher nicht
Kinos und 2.210 Leinwänden präsent.14 Zu den
durch quantitative Argumente13 belegt. Der wahre
Ergebnissen des Projekts wurde für 2012 berich-
Erfolg von Erasmus ist anthropologischer und kul-
tet, mit 63 % Vorführungen ländergebundener
tureller Art. Das Programm hat es Millionen junger
europäischer Filme und annähernd 40 % Vorfüh-
Europäer ermöglicht, mit anderen Europäern, die
rungen europäischer Filme, die nicht länderge-
ihnen vorher gänzlich unbekannt waren, zusam-
bunden waren, seien 62,9 Millionen Kinobesuche
men zu leben, mit Europäern, die in anderen Regi-
erreicht worden. Dies ist eine Leistung, die selbst-
onen leben, mit anderen Sprachen, Speisen, Woh-
verständlich niemals gelungen wäre, wenn nicht
nungen und Ritualen. Es hat ihnen ermöglicht,
vor zwanzig Jahren die damit befassten politischen
mit anderen jungen Europäern nicht nur akademi-
und administrativen Autoritäten beschlossen hät-
sche Lehre zu teilen, sondern auch Aktivitäten auf
ten, die Programmplanung in unabhängigen Qua-
sportlichem, künstlerischem, kulturellem, gesell-
litätskinos, die Herstellung von Kopien sowie von
schaftlichem und politischem Feld.
Untertiteln wie auch die Synchronisation europä-
Der Erfolg des Erasmus-Programms hängt, wie
ischer Filme zu fördern. Diese Förderung wurde
angedeutet, nicht von Statistiken ab, sondern vom
dann auch, allerdings mit nur bescheidenen Mit-
gelungenen Zusammenleben junger Europäer. Die-
teln, nachhaltig und nachdrücklich verwirklicht.
ses Zusammenleben, bei dem weiter Förderungsbe-
Übrigens ist Europa Cinema dem Vorbild des
darf besteht, hat das Programm unterstützt, beglei-
Erasmus-Programms, das ja durch das Programm
tet und in seinem Charakter erneuert.
Erasmus Mundus global erweitert wurde, gefolgt
Europa Cinemas
und hat sich mit EUROPA CINEMAS MUNDUS ein zweites Netzwerk zugelegt. Dieses Netzwerk trägt die Tätigkeit von Europa Cinemas in etwa 30 Län-
Eine andere kulturpolitische Maßnahme der EU,
der in Asien, in Lateinamerika, im Maghreb, im
die sehr erfolgreich ist, ist das Projekt Europa Cine-
Maschrek 15 und in Afrika hinaus.
mas. Dieses Projekt ist einzigartig und zeigt wie das Erasmus-Programm außergewöhnliche Ergebnisse. Europa Cinemas wurde 1992 im Rahmen des EU-Programms MEDIA mit Unterstützung des Centre National du cinéma et de l’image animé 13 Mehr als 3 Millionen Erasmus-Studenten seit 1987, mehr als 250.000 allein für das Studienjahr 2011/12 in den 33 Ländern, die am Programm teilnehmen (die Mitgliedstaaten der EU, Island, Norwegen, die Schweiz, Liechtenstein und die Türkei). Spanien, Frankreich und Deutschland waren 2011/12 die beliebtesten Destinationen.
14 Das Netzwerk umfasst 2014 bereits 1.170 Kinos (3.197 Leinwände) in 673 Städten, verteilt auf 68 Länder (Eintragung Deutsche Wikipedia am 31. Mai 2014). Siehe auch die kartografische Darstellung des Netzwerks http://www.europa-cinemas.org/Le-reseau/Europa-Cinemas-Map (Anm. d. Hrsg.) 15 Der Regionalbegriff umfasst Länder mit arabischsprachiger Mehrheit nördlich von Saudi-Arabien und östlich von Libyen. Der derart umrissene Raum bildet somit eine Art Gegenstück zu dem sich im Westen anschließenden Maghreb (Anm. d. Hrsg.).
91
WIKA-Report (Band 2)
Deklarationen und Konventionen der UNESCO
3. die wesentliche Bedeutung einer Friedens perspektive, und zwar mit Blick auf einen
Welche Vorbehalte man auch gegenüber den nor-
dauerhaften, nachhaltigen Frieden als
mativen Instrumenten haben kann, die internati-
Ultima Ratio sowohl beim Herangehen
onale rechtliche Absprachen mit sich bringen, auf
an entsprechende Herausforderungen
der globalen Ebene ist die historische Bedeutung
als auch beim Umgang mit diesen.16
der „Allgemeinen Erklärung der UNESCO zur kulturellen Vielfalt“ vom 2. November 2001 (Deutsche UNESCO-Kommission 2002) kaum zu überschätzen. Das Gleiche gilt für das wichtige, in der Folge der
Herausforderungen und Ziele einer Kultur-Weltpolitik
„Erklärung“ beschlossene „Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kulturel-
Was auch immer die politischen Räume sind, wo
ler Ausdrucksformen“ vom 20. Oktober 2005 (Deut-
sich eine authentische Kultur-Weltpolitik entfal-
sche UNESCO-Kommission 2005). Ebenso wenig
ten müsste – also in überstaatlichen Organisati-
darf die Relevanz des 2006 in Kraft getretenen
onen wie der EU, ASEAN, Mercosur, im Rahmen
„Übereinkommens zur Erhaltung des immateriel-
von Partnerschaften zwischen Regionen, zwi-
len Kulturerbes“ vom 17. Oktober 2003 (Deutsche
schen Städten und zwischen Körperschaften oder
UNESCO-Kommission 2003) übersehen werden.
in Netzwerken von NGOs oder anderen Akteuren
Man muss die Bedeutung dieser drei grundlegen-
der Zivilgesellschaft – eine solche Politik müsste
den Texte erkennen: Jeder einzelne war zum Zeit-
ihre Ambitionen mindestens auf die folgenden sie-
punkt seiner Umsetzung in die internationale Pra-
ben Ziele richten, und sie müsste den durch diese
xis ein Meilenstein bei der Zukunftsaufgabe, eine
Zielsetzungen vermittelten Orientierungen folgen.
authentische Kultur-Weltpolitik zu erarbeiten.
Diese lauten:
Auch dies ist, diesmal in globalem Maßstab, Geo-
1. Die Kultur ins Zentrum der Politik setzen
politik. Tatsächlich markieren diese drei zugleich poli-
und Kulturpolitik als ordnenden und regulierenden Faktor auch der allgemeinen
tischen, rechtlichen und philosophischen Texte,
Politik von Regierungen, Exekutivbehörden,
trotz noch begrenzter konkreter Ergebnisse, ent-
Verwaltungsdirektionen und Unternehmen
scheidende Fortschritte auf dem Weg zu einer kollektiven Bewusstwerdung der Notwendigkeit welt-
betrachten; 2. das Zusammenleben von Menschen und
weit wirksamer kulturpolitischer Entscheidun-
Gesellschaften unterschiedlicher Kulturen an
gen sowohl auf der Ebene der wissenschaftlichen
die Spitze der politischen Prioritäten stellen;
und administrativen Communitys als auch auf der
gemeint ist ein nicht nur ökonomisch, mone-
Ebene der Staaten und Zivilgesellschaften. Diese
tär, juristisch und/oder administrativ gesteu-
Bewusstwerdung muss sich beziehen auf
ertes Zusammenleben,17 sondern auch ein
1. die Bedeutung eines gemeinsamen, einheit
Zusammenleben in den Bereichen der
lichen Normen folgenden Handelns zum
Bildung, des Sozialen, des Kulturellen
Schutz und zur Förderung des kulturellen Erbes und kultureller Ausdrucksformen in ihrer ganzen umfassenden Vielfalt, 2. die Einbringung dieser Themen ins Zentrum der politischen und diplomatischen Beziehun gen von Staaten und überstaatlichen Organisationen; und schließlich
16 Nur zwei Beispiele: 1.) die überhaupt nicht einzuschätzenden Folgen, die entstehen, wenn in Süd- und Mittelamerika, in Afrika, in Asien und in Ozeanien jährlich Dutzende von Sprachen verschwinden; 2.) die Folgen der Zerstörung, Vermarktung und Verschleppung von Millionen Werken zeitgenössischer Kunst in Kriegsgebieten, insbesondere in den so genannten Less Developed Countries (LDC). 17 Dies entspräche den Verfahren, mit denen von 1957 bis 2000 Europa ‚gemacht‘ wurde.
92
Kultur-Weltpolitik – eine paradoxe Antwort auf die Große Krise
und des Symbolischen;18
Art Anhang oder gar als Sahnehäubchen der Poli-
3. unterschiedliche kulturelle und künstlerische
tik. Sie muss (wieder?) als Chance und Hauptan-
Formen als gemeinsamen Besitz betrachten
triebskraft einer heute leider an vielen Fronten
und als privilegierte Medien eines nachhal-
schwachen Politik begriffen werden, die – mit gera-
tigen Friedens und einer langfristigen soli-
dezu existenzieller Notwendigkeit – Kultur, Inter-
dar ischen und ökologischen Entwicklung
kulturalität, interkulturellen Dialog, kulturelle
fördern;
Vielfalt, kulturelle Besonderheiten als verbindende
4. dafür zu sorgen, dass schon die Idee einer alles Denken und Handeln umfassenden
Elemente braucht. Die Kultur muss ins Zentrum, ins Herz des poli-
‚Leitkultur‘ als obsolet, ja sogar als unerträg
tischen und geopolitischen Handelns zurückkeh-
lich wahrgenommen wird, so dass die Rede
ren, damit der elementare, aber undeutlich gewor-
von ‚der‘ Kultur niemals zu einer Vernich
dene Sinn dieses Handelns wiedergefunden oder
tungswaffe werden kann, die gern von
besser: wiederhergestellt werden kann. Kultur ist
Starken gegen Schwache eingesetzt wird;
das Palimpsest aller Politik und Geopolitik. Auch
5. Vorstellungen von ‚überlegener‘ Kultur und
wenn diese leider durch andere Einflüsse überprägt
mehr noch von ‚überlegener‘ Zivilisation
worden sind, scheint Kultur als Grundtext immer
wieder auf den Platz verweisen, der ihnen
wieder durch.
gebührt, nämlich den von Konzepten, die rein instrumental von denen verwendet
Aus dem Französischen übersetzt von Bernd Thum.
werden, die Begriffe wie Kultur oder Zivi lisation in Wahrheit missbrauchen; 6. aus Kultur das wichtigste Mittel der Politik
Literatur
machen; dies betrifft sowohl die Genese, die Entwicklung als auch den Endzweck von Politik; 7. umgekehrt auch Politik zu einem Mittel der Kultur machen, zu ihrem Alpha und Omega.
Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (1996): „Unsere kreative Vielfalt“. Bericht der Welt kommission „Kultur und Entwicklung“ (Pérez de Cuéllar-Bericht). Online: http://www.unesco.de/
Weil wir uns schon seit langem an eine andere
cuellar.html?&L=0
Konzeption gewöhnt haben, verstehen wir nicht, dass die Kultur nur ein Derivat ‚großer‘ oder auch
Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (1999):
‚kleiner‘ Politik sein soll, ein separates Biotop für
Erklärung über eine Kultur des Friedens und
Reiche, ein Jagdrevier für Mächtige, ein Sonderfall
Aktionsprogramm für eine Kultur des Friedens.
für Gelehrte und Oligarchen. Diesen und allen, die
Online: http://www.unesco.de/kultur_des_
dachten, klare Vorstellungen vom distinkten Status
friedens.html
der Kultur zu haben, zum Trotz, aber auch unserer Skepsis zum Trotz wird sich Kultur als Medium
Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (2002):
und Speerspitze von Politik durchsetzen und auch
Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt.
eine neue Geopolitik der Zukunft prägen.
Online: http://www.unesco.de/443.html
Kultur kann nicht mehr als eine Randerscheinung verstanden und behandelt werden, als eine 18 Seit 2000, dem Beginn des Kampfs um die „Universelle Erklärung der UNESCO für die kulturelle Vielfalt“ und der Veröffentlichung der „Mitteilung der Kommission über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“ ist dies dringend geboten.
Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (2003): Über einkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Online: http://www.unesco.de/ ike-konvention.html
93
WIKA-Report (Band 2)
Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (2005): Über einkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Online: http://www.unesco.de/konvention_ kulturelle_vielfalt.html
Regierungen und Gebietskörperschaften. Er ist Ver
fasser mehrerer Essais zu politisch-kulturellen und wirtschaftlichen Themen und hat auch Romane ver öffentlicht. Stellvertretend sind zu nennen: „La Cité
du chômage“ (1997), „L’Emblème démocratique“ (1998), „La Pauvreté durable“, fortgeführt mit dem
Europäische Union (2008): Schlussfolgerungen des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 21. November 2008 zur Mobilität junger Menschen. Online: http://europa.eu/legislation_summaries/ education_training_youth/youth/ef0008_de.htm
„Essai Gouvernement de la pauvreté“ (2003), „La Fabrique du terrorisme“ (2008). De Bernard ist auch
Herausgeber von Gemeinschaftswerken wie dem „Dictionnaire critique des mondialisations“ (2002,
auch als weitergeführte Online-Publikation), „Décla-
ration universelle de l’Unesco sur la diversité culturelle – Commentaires et propositions“ (2003 und 2005)
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirt schafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 10. Mai 2007 über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globali sierung. Online: http://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/ALL/;jsessionid=nh6xTGZL9D4fxV TNQknsBLw2GCQBBbBWywZPLvLsFvV2Jnyq psTf!1770240370?uri=CELEX:52007DC0242 Vermeren, Patrice (2001): Culture of peace. In: Groupe d’études et de recherches sur les mondialisations (GERM), Dictionnaire critique. Online: http://www.mondialisations. org/php/public/art.php?id=1927&lan=EN World Commission on Culture and Development, President: Javier Pérez de Cuéllar (1996): Our Creative Diversity. Report of the World Commission on Culture and Development. Paris: UNESCO. Online: http://unesdoc.unesco. org/images/0010/001055/105586e.pdf
François de Bernard ist Gründungspräsident des GERM (Groupe d’études et de recherches sur les mondi-
alisations – www.mondialisations.org), einer im Jahre 2000 gegründeten interdisziplinären Vereinigung. Er lehrt und forscht an der Abteilung Philosophie und
am Institut d’études européennes der Universität
Paris 8 – St. Denis. De Bernard berät auf den Gebieten Analyse und Planung internationale Organisationen,
und „Europe, diversité culturelle et mondialisations“ (2005). – Kontakt: fdb@mondialisations.org
94
Es ist ein Zugang, der die gesamtgesellschaftliche
Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus Eine wissensgeschichtliche Perspektive
Perspektive in den Fokus rückt und nach der Relevanz historischer Forschung für gegenwärtige Entwicklungen fragt. Zum Anderen liegt in der Aufklärung der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands in Bezug auf den Mittelmeerraum eine Basis für einen möglichen „Euro-Mediterranen Wissensraum“ (vgl. Thum 2012). Denn das Wissen um die eigene Geschichte und ein aktiver, verantwortungsvoller Umgang damit ist die Grundlage
von Christine Isabel Schröder (Bochum)
für ein nachhaltiges Engagement für eine euromediterrane Zukunft.
Warum das Thema „Nationalsozialismus und Mittelmeer“?
Wissen und Geopolitik im Nationalsozialismus
Wer heute die Begriffe Geopolitik und Raum ver-
Was wissen wir eigentlich vom Mittelmeer? Und
wendet, denkt nicht unbedingt an die historische
woher stammt dieses Wissen? Knapp formuliert,
Entwicklung und Konjunkturen dieser Konzepte,
meint Wissen „alle Arten von […] Bedeutungen, mit
schon gar nicht in Bezug auf das Mittelmeer. Dabei
denen jeweils historische Menschen die sie umge-
führt ihre historische Reflexion unweigerlich zu
bende Wirklichkeit deuten und gestalten“ (Jäger
den Wurzeln ihrer „Karriere“ (Köster 2002) im völ-
2001: 81). Wenn wir Wissen historisch erforschen,
kischen und nationalsozialistischen Diskurs. Dass
geht es jedoch auch um seine Herstellung und Wir-
die Begriffe wieder gängig geworden sind, ist viel-
kungsmacht. Fest steht: Das heutige Wissen, der
fach (wissenschaftlich) unter dem Stichwort der
heutige deutsche Diskurs um das Mittelmeer und
„Wiederkehr des Raumes“ (Osterhammel 1998; vgl.
seine Region ist nicht voraussetzungslos, und die
Köster 2002: 235–238) diskutiert worden. Lohnt
Zeit des Nationalsozialismus spielt eine zentrale
es sich, den Finger erneut in die Wunde dieser
Rolle für die Entstehung dieses Wissens. Im Zent-
deutschen (Begriffs-)Geschichte zu legen und nun
rum meiner Untersuchungen steht v. a. die Frage
gerade die nationalsozialistischen Verstrickungen
nach dem Wissen, das in der deutschen Gesell-
in die mediterrane Geschichte zu thematisieren?
schaft während des Nationalsozialismus über das
Tatsächlich zeigt sich, dass das Mittelmeer einen
Mittelmeer und seinen ‚Raum’ zirkulierte. Im Fol-
größeren Stellenwert sowohl in der nationalsozia-
genden werde ich diese historische Perspektive auf
listischen Geopolitik als auch im zeitgenössischen
das allgemeine bzw. populäre Wissen am Beispiel
öffentlichen Diskurs einnahm als zumeist ange-
des lexikalischen Wissens erläutern.
nommen. Neben dieser wissenschaftlichen Legiti-
Als allgemeines oder populäres Wissen ver-
mation, eine Wissenslücke zu schließen, erschei-
stehe ich hier all das, was im öffentlichen gesell-
nen zwei weitere Argumente für eine Historisie-
schaftlichen Diskurs als gültiges Wissen verhan-
rung deutscher mediterraner Geopolitik und des
delt und verbreitet wird (vgl. Daum 2002; Boden/
Begriffs des Mittelmeerraums zentral, die für die
Müller (Hg.) 2009; Samida (Hg.) 2011). Zwischen
Anliegen des WIKA relevant sein können: Zum
einem wissenschaftlichen und populären Wissen
Einen zeigt die wissensgeschichtliche Perspektive
– und gewissermaßen mit einer Scharnierfunktion
vor allem die Formung und Entwicklung, Brüche
– ist das lexikalische oder enzyklopädische Wis-
und Kontinuitäten gesellschaftlichen Wissens auf.
sen zu verorten. Als beispielhafte Quellen stehen
95
WIKA-Report (Band 2)
uns die allgemeinverständlichen Enzyklopädien und Konversationslexika zur Verfügung, die seit dem 18. Jahrhundert das allgemein gültige Wis-
Dis-/Kontinuitäten des allgemeinen Wissens vom Mittelmeer
sen bündelten und seit dem 19. Jahrhundert bei einer breiten Leserschaft beliebt waren (vgl. Spree
Nun könnte man meinen, das Mittelmeer habe
2000; Michel (Hg.) 2007; Prodöhl 2011). Es handelt
keine sonderliche geopolitische Bedeutung im Nati-
sich um ein Genre, dem der Wert des Essenziellen
onalsozialismus gehabt, Versuche, das Mittelmeer
beigemessen wird, das also das sozusagen wirklich
als strategisch-geopolitischen Raum zu entwerfen,
wichtige, d. h. elementare, Wissen präsentiert und
seien begrenzt geblieben (so Meiering 2000: 79).
daher eine bestimmte Qualität und Autorität für
Verglichen mit der Ideologie und Kriegführung
sich beansprucht. Zudem lassen sich besonders
der Ostexpansion stimmt dies zwar.1 Auf der Ebene
anhand der Konversationslexika die Entwicklung
politischer und geografischer Diskurse und der
von Begriffen und ihre Bedeutungszuweisung,
Produktion von Wissen zeigt sich jedoch ein ande-
Konjunkturen und Brüche spezifischer Wissens-
res Bild. Ab Mitte der 1930er Jahre lässt sich eine
bestände aufzeigen, wenn verschiedene Ausgaben
Zunahme von Publikationen zum Mittelmeerraum
über einen längeren Zeitraum in den Blick genom-
in verschiedenen Genres feststellen. Beispielhaft
men werden.
ist die 1936 bis 1942 im Leipziger Goldmann-Ver-
Geopolitik wird ab Mitte der 1930er Jahre das
lag erschienene Reihe „Weltgeschehen“. Im Format
zentrale Feld des Wissens vom Mittelmeer im
des politischen Sachbuchs für ein breites Publikum
deutschsprachigen Diskurs und nimmt eine pro-
stellen namhafte Publizisten die geopolitischen
minente Rolle auf dem Markt populären Wissens
Dimensionen verschiedener Länder und geografi-
bzw. populärwissenschaftlicher Veröffentlichun-
scher Regionen dar. Allein elf Titel widmeten sich
gen ein. Laut „Meyers Lexikon“ bezeichnet der
dem Mittelmeer bzw. seinen Anrainerstaaten. Die
Begriff die „Lehre von den geogr[afischen] Bedingt-
geopolitische Einordnung des Mittelmeers bringt
heiten politischer Vorgänge“ (Meyers Lexikon 1938:
der 1937 erschienene Titel des Publizisten Edmund
1265). Diese Lehre wurde im Anschluss an Rudolf
Schopen auf den Punkt: Es geht ihm um nichts
Kjellén und Friedrich Ratzel zu einem eigenständi-
weniger als die „Weltentscheidung im Mittelmeer“,
gen Wissenschaftszweig entwickelt, der den Staat
denn: „Die Mittelmeerfrage ist zugleich die Frage
als „geografischen Organismus“ bzw. den „Boden
Europas.“ (Schopen 1937: 7)
als organischen Bestandteil des Staates“ begreift
Um einen Eindruck von der Entwicklung des
und „dessen Aufgabe die Untersuchung der in der
allgemeinen Wissens vom Mittelmeer zu erhalten,
Gestaltung und Ausstattung der Erdräume begrün-
bietet sich ein Blick in die achte Auflage von „Mey-
deten Bedingtheit politischer Vorgänge ist“ (ebd.).
ers Lexikon“ an, dem einzigen Konversationslexi-
Der geopolitische Diskurs ist somit bereits eine
kon, das als Großlexikon vollständig unter einer
Verschränkung von Geografie, Geschichte und
nationalsozialistischen Redaktion entstand (vgl.
Politik und damit von Wissenschaft und Politik.
Prodöhl 2011: 67ff. und 102ff.; Keiderling 2013).
Es werden darüber hinaus auch Wissensbestände
Insgesamt lässt sich eine Steigerung des
von Wirtschaft und Anthropologie bzw. Ethno-
Umfangs der Lexikoneinträge zum Mittelmeer seit
logie mit historischem und militärischem Wis-
Mitte des 19. Jahrhunderts feststellen, vor allem
sen zusammengeschlossen. Das zentrale Konzept
jedoch eine strukturelle und inhaltliche Ent-
der Geopolitik ist das des Raums, ein Begriff, der
wicklung: Erst seit 1939 heißt das Mittelmeer im
erst seit den späten 1920er Jahren geläufiger und
„Meyer“ „Mittelmeer“ – im Konkurrenzwerk, dem
schließlich zur Basiskategorie biopolitischen Denkens und Handelns des Nationalsozialismus’ wird (vgl. Köster 2002).
1 Zugleich darf nicht vergessen werden, dass sowohl der Zweite Weltkrieg als auch die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Gemeinschaften bis ans Mittelmeer reichten, vgl. Gaon/Serels (Hg.) 1995; Jacobs et al. (Hg.) 2008.
96
Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus
„Großen Brockhaus“, findet sich diese Bezeichnung
Konversations-Lexikon 1908: 919, Hervorh. d. Verf.).
seit 1932: zuvor hieß das Lemma dem gesellschaft-
Einen deutlichen Kontrast bildet aber vor allem
lichen Sprachgebrauch entsprechend stets „Mittel-
der oben genannte „Große Brockhaus“, der kurz
ländisches Meer“. Ebenfalls neu in der Meyerschen
vor Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft
Begriffsgeschichte des Mittelmeeres erscheint 1939
erschien. Dieser weist strukturell und thematisch
der Begriff Raum. Der Begriff des Raumes existiert
zwar durchaus Analogien zum „Meyer“ von 1939
im lexikalischen Wissen zuvor schlichtweg nicht
auf, unterscheidet sich aber auf den Ebenen des
– es ist stets von Region oder Gebiet die Rede.2 Die-
Inhalts und der Diktion signifikant. So führt der
ser Mittelmeerraum wird nun direkt als ein „so
„Brockhaus“ auch einen Absatz über die „[g]eopo-
umgrenzter Raum“ eingeführt, und er sei
litische Bedeutung“ des Mittelmeers, doch taucht
„nur durch sein einheitliches Klima […] und
der Begriff Raum hier nicht auf (vgl. Der Große
Pflanzenkleid eine geogr[afische] Einheit,
Brockhaus 1932: 629ff.). Im auffallenden Unter-
während die Bewohner rassisch, kulturell,
schied zum „Meyer“ und in Tradition zu den frü-
rel[igiös] und wirtschaftlich sehr ungleich-
heren Ausgaben beider Konversationslexika steht
artig sind.“ (Meyers Lexikon 1939: 1472)
im „Brockhaus“ die Einheit des Mittelmeers und
Das Mittelmeer als Raum zwischen (klimatogeo-
seine Funktion als Verbindung, ja als personifizier-
grafischer) Einheit und (rassisch-anthropologisch-
ter „Vermittler zwischen Orient und Okzident“ im
kultureller) Zersplitterung wird hier in seiner geo-
Vordergrund: Durch den regen Verkehr über das
politischen Dimension folgendermaßen charakte-
Mittelmeer habe dieses
risiert:
„durch ganze Zeitperioden hindurch die
„Das M.gebiet ist aber auch reich an poli-
umliegenden Länder trotz ethnischer und
tisch-geographischen Problemen und
religiöser Verschiedenheit zu einer kul-
Gegensätzen. Die weitgehende Zerstücke-
turellen oder sogar staatlichen Einheit
lung und die verwickelte Oberflächen-
zusammengefasst.“ (Ebd.: 631, Hervorh. d.
gestalt begünstigen die Entstehung vie-
Verf.)
ler kleinräumiger Staaten, die unter sich
Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Mittelmeer
wenig Zusammenhang hatten und nur
im lexikalischen Wissen zunächst als Einheit ent-
durch das Röm. Reich 400 Jahre hindurch
worfen und erst später durch die geopolitische
zu einer staatl. Einheit zusammengefaßt
Brille des Nationalsozialismus fragmentiert wird.3
werden konnten. Heute liegen um das M.
Die Perspektive des politisch zersplitterten,
und das Schwarze Meer 10 Staaten […], zwei
antagonistisch besetzten Mittelmeerraums beweist
Frankreich und England überwiesene Man-
eine bemerkenswerte Kontinuität über 1945 hin-
datsländer […] und mehrere Kolonialge-
aus. Der „Große Brockhaus“ von 1955, der als erstes
biete […]“. (Ebd.: 1473)
größeres Nachschlagewerk der Nachkriegszeit zum
Mit dieser Betonung einer Zersplitterung des Mit-
Verkaufsschlager wurde (Keiderling 2013: 101),4
telmeeres bzw. des mediterranen ‚Raumes’ weicht
führt nun erstmals neben den Artikeln „Mittel-
der Eintrag in „Meyers Lexikon“ von 1939 deutlich
meer“ und „Mittelmeerländer“ den Eintrag „Mit-
vom Text der dritten Auflage 1877 bis zur sechsten
telmeerraum“ auf, der die historische Entwicklung
Auflage 1908 ab, wo es heißt, dass das „Mittelländische Meer schon im frühen Altertum in Bezug auf Kultur u. Verkehr zum vermittelnden Gliede der drei Weltteile“ geworden sei (Meyers Großes 2 Überhaupt ist der Begriff Mittelmeerraum vor den 1930er Jahren kaum geläufig, zumindest taucht er nur einmal 1909 (im Titel) in einer publizierten Monographie auf und erscheint dann erst wieder etwa ab 1936.
3 Dagegen erscheint der geopolitische Fachdiskurs der Zeit vielstimmiger. Gerade ein prominenter Sprecher mediterraner Geopolitik, Hans Hummel, beschwört die geografischpolitische Einheit des Mittelmeerraums, die dann Grundlage seiner Argumentation ist, warum gerade Italien das Recht auf Vorherrschaft im Mittelmeer habe (Hummel 1938: 11, 55f.; vgl. Schultz 2006: 177). 4 Meyers Lexikon erscheint erst wieder in den 1970er Jahren.
97
WIKA-Report (Band 2)
des Mittelmeerraums behandelt (Der Große Brock-
füllen, sondern vielmehr dem Nicht-Wissen um die
haus 1955: 69). Die hier erzählte Geschichte des
Ausmaße und Konsequenzen des deutschen Welt-
Mittelmeerraums beginnt mit dem Satz: „Die erste
machtstrebens entgegentreten. Wenn auch die
See- und Handelskolonialmacht im M. waren die
Begriffe Geopolitik und Raum kaum aus unserem
Phöniker.“ (Ebd.: 69) Im weiteren Textverlauf wird
heutigen und deutlich anders konnotierten Sprach-
die Expansion des Islams als Vorsturm auf Europa
gebrauch wegzudenken sind, so scheint mir doch
charakterisiert und der darauf folgende „Glaubens-
die Reflexion ihrer Begriffsgeschichte sowie ein
krieg“ geschildert. Der Mittelmeerraum wird von
sensibler Umgang mit diesen Konzepten konstruk-
Beginn an als kolonialer Raum und als Raum kolo-
tiv. Die Aufklärung von Nicht-Wissen, das Beseiti-
nialer Begehrlichkeiten und Machtverhältnisse ent-
gen der Ignoranz, ist die Basis für ein politisches
worfen. Interessanterweise liest sich dies im Kon-
und zivilgesellschaftliches Miteinander auf Augen-
text der vorhin vorgestellten Quellenbestände so,
höhe, für eine versöhnte Zukunft des euromedi-
als seien diese Inhalte geopolitischer und koloni-
terranen Projektes. Und vielleicht kann sogar das
aler Diskurse, die zuvor noch nicht so sprachlich
Bekenntnis zu einer negativen Geschichte, einer
explizit in die Lexika eingegangen waren, nach
leidvollen gemeinsamen Vergangenheit Teil eines
dem Ende des Nationalsozialismus die Paradigmen
gemeinsamen kulturellen Wissens (vgl. Thum 2012)
lexikalischen Wissens vom Mittelmeer geworden.
und somit eine mögliche Basis für eine gemein-
Dagegen bleiben Erster und Zweiter Weltkrieg
same Zukunft sein.
weitestgehend unerzählt – im lexikalischen Nachkriegs-Wissen des „Brockhaus“ um das Mittelmeer existieren diese Ereignisse nicht.
Quellen und Literatur
Ausblick: Nicht-/Wissen vom Mittelmeer
Boden, Petra/Müller, Dorit (Hg.) (2009): Populäres Wissen im medialen Wandel seit 1850.
Schon im „Großen Brockhaus“ von 1955 ist dem
Berlin: Kadmos.
kollektiven Gedächtnis, mehr noch: dem allgemeinen Wissensbestand der deutschen Nachkriegszeit
Daum, Andreas (2002): Wissenschaftspopulari
eine Lücke, ein Wissensmangel, eingeschrieben,
sierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur,
der programmatisch für die deutsche Wissensge-
naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche
schichte des Mittelmeers im 20. Jahrhundert sein
Öffentlichkeit, 1848–1914. 2., erg. Aufl., München:
wird. Denn zu den Dingen, die bis heute im allge-
Oldenbourg.
meinen Wissen kaum verankert sind, gehören die Beteiligung der Wehrmacht am Spanischen Bür-
Der Große Brockhaus (1928–1935). 15. Aufl., Leipzig:
gerkrieg auf der Seite der Franquisten, der Zweite
F. A. Brockhaus.
Weltkrieg am Mittelmeer, die Kriegsverbrechen und die Schoah, die die Deutschen und ihre Ver-
Der Große Brockhaus (1932): Art. „Mittelmeer“.
bündeten im mediterranen Gebiet begingen. Dies
In: Der Große Brockhaus, Bd. 12: Mai–Mud. 15.
ist umso frappierender, da die Mittelmeerländer
Aufl., Leipzig: F. A. Brockhaus, S. 629–631.
nach wie vor zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen gehören und Bilder vom Mittelmeer als
Der Große Brockhaus (1952–1957). 16. Aufl., Wies-
Traum einer Dolce Vita im ‚Süden‘ in den Sehn-
baden: F. A. Brockhaus.
suchtserzählungen einen festen Platz einnehmen. Eine Wissensgeschichte des Mittelmeers im Nationalsozialismus will nicht nur eine Wissenslücke
98 Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus
Der Große Brockhaus (1955): Art. „Mittelmeer, -länder,
Meyers Großes Konversations-Lexikon (1902–1908).
-raum“. In: Der Große Brockhaus, Bd. 8: Mik–Par.
6. Aufl., Leipzig: Bibliographisches Institut.
16. Aufl., Wiesbaden: F. A. Brockhaus, S. 68–69. Meyers Großes Konversations-Lexikon (1908): Gaon, Solomon/Serels, M. Mitchell (Hg.) (1995): Del
Art. „Mittelländisches Meer“. In: Meyers Großes
fuego. Sephardim and the Holocaust. New York,
Konversations-Lexikon, Bd. 13: Lyrik bis Mitter-
NY: Sepher-Hermon Press.
wurzer. 6. Aufl., Leipzig: Bibliographisches Institut, S. 919.
Hummel, Hans (1938): Das Mittelmeer. Ein poli tischer Entscheidungsraum. Köln: Schaffstein.
Meyers Lexikon (1936–1942). 8. Aufl., Leipzig: Bibliographisches Institut.
Jacobs, Hans et al. (Hg.) (2008): Von Italien nach Auschwitz. Aspekte der deutschen Besatzung
Meyers Lexikon (1938): Artikel „Geopolitik“. In:
in Italien 1943–45. Eine Tagung im Staatsarchiv
Meyers Lexikon, Bd. 4: Fernsprecher – Gleichen.
Detmold und ihre Bedeutung für historisch-
8. Aufl., Leipzig: Bibliographisches Institut, Sp. 1265.
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Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse. In:
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Keller, Reiner/Hirseland, Andreas/Schneider,
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99
WIKA-Report (Band 2)
Schultz, Hans-Dietrich (2006): Halbinseln, Inseln und ein „Mittelmeer“. Südeuropa und darüber hinaus in der klassischen deutschen Geographie. In: ders. (Hg.): Metropolitanes & Mediterranes. Beiträge aus der Humangeographie. Berlin: Geographisches Institut, S. 129–188. Spree, Ulrike (2000): Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer. Thum, Bernd (2012): Ein Euro-Mediterraner Wissens- und Handlungsraum als strategisches Ziel. Kulturpolitische Überlegungen zu Konzep tion und Programm. In: Bauer, Gerd Ulrich/ ders. (Hg.): Internationale Bildungsbeziehungen. WIKA-Report Band 1. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik). Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, S. 87–97.
Christine Isabel Schröder, MA, Studium der Evange lischen Theologie, Geschichtswissenschaft und Reli
gionswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Mit
telmeerstudien (ZMS), Bochum. Als Doktorandin des ZMS organisiert sie jährliche Workshops für den wis senschaftlichen Nachwuchs der Mediterranistik sowie
kürzlich eine internationale Tagung zum Thema „The Mediterranean Other – The Other Mediterranean. Sub-
altern Perceptions, Interpretations and Representa-
tions“. Daneben wirkt sie unter der Leitung von Prof.
Dr. Mihran Dabag an der Konzeption und Redaktion eines geplanten Lexikons zu Migrationen, Minder
heiten und Diasporagemeinschaften am Mittelmeer
mit. In ihrem Dissertationsvorhaben widmet sie sich der Produktion von Wissen über das Mittelmeer und
der diskursiven Konstruktion des Mittelmeerraums in Deutschland mit Schwerpunkt auf den Nationalsozia lismus. – Kontakt: christine.schroeder@rub.de
100
So wie sich die politischen und ökonomischen
Geopolitik und Kultur Von der Dominanz westlicher Kultur zu einem kulturellen Multizentrismus und einem globalem Wettbewerb um ‚Soft Power‘
Beziehungen aufgrund der sich vor unseren Augen vollziehenden Gewichtsverschiebungen verändern, so verändern sich auch die internationalen Kulturbeziehungen. Die kulturelle Dominanz des Westens – insbesondere der USA, aber auch Europas – schwindet und weicht einem kulturellen Multizentrismus.
von Heinrich Kreft (Berlin)
Die internationalen Kulturbeziehungen im Wandel
Wir leben in einer Zeit des beschleunigten Wan-
Kulturelle Beziehungen sind untrennbarer Teil der
dels, der alle Bereiche – Politik, Wirtschaft und
Menschheitsgeschichte. Seit ihrem Beginn haben
Kultur – umfasst. Die Globalisierung und der damit
Gruppen von Menschen, Familienclans, Völker und
einhergehende Aufstieg neuer Mächte bei gleich-
Nationen ihre Werte, ihr Wissen und Können sowie
zeitigem relativem Abstieg der USA, Europas und
Macht und Reichtum gegenüber anderen zum Bei-
Japans ist der Megatrend unserer Zeit. Dieser Trend
spiel durch Geschenke zur Schau gestellt. Sport-
ist auch in der Kultur nicht zu übersehen.
großereignisse und (Welt-)Ausstellungen sind noch
Das Gravitationszentrum von Weltwirtschaft
heute das Mittel der Wahl für kulturelle Aufsteiger,
und Weltpolitik verschiebt sich ohne Zweifel vom
um ihren Aufstieg für alle sichtbar zu dokumen-
nordatlantischen Raum nach Asien – vom Westen
tieren.
und Norden nach Osten und Süden. Neben den
Kulturbeziehungen beschränkten sich lange
beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Welt –
auf die Beziehungen zwischen Eliten. Mit dem
China und Indien – gehören mit Südkorea, Indonesien, den Philippinen, Pakistan, Bangladesch und Vietnam auch mehr als die Hälfte der Aufsteiger-
BRICS
„Next Eleven“
länder der zweiten Reihe („Next Eleven“, s. Tab. 1)
Brasilien*
Ägypten
zu Asien (vgl. u. a. Scowcroft 2012, Layne 2012 und
Russland*
Bangladesch
Indien*
Indonesien*
Khanna 2012). Dank seines Ressourcenreichtums, seiner politischen Stabilisierung unter Putin und seines nicht zuletzt in der Ukraine/Krim-Krise gezeigten Machtwillens ist auch der Einfluss Russ-
China*
Iran
Südafrika*
Mexiko*
lands zumindest kurzfristig wieder gewachsen. Mit
Nigeria
Südafrika, Ägypten und Nigeria steigen auch die
Pakistan
bevölkerungsreichsten Länder Afrikas zu Gestal-
Philippinen*
tungsmächten auf wie in Lateinamerika Brasilien und Mexiko und im Nahen Osten dank seines Ölreichtums Saudi Arabien, sowie in Zentralasien Kasachstan. Sie alle haben sich bereits zu Regionalmächten entwickelt und sind damit Teil des neuen Multizentrismus (vgl. Kreft 2013). Diese Entwicklung findet auch im Bereich der Kultur ihre Entsprechung.
Südkorea* Türkei* Vietnam Tab. 1: Neue Gestaltungsmächte. Die mit Asterisk gekennzeichneten Staaten gehören – zusammen mit Argentinien, Australien, Deutschland, EU, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Saudi Arabien und den USA – auch zu den G20.
101
WIKA-Report (Band 2)
Aufkommen von Rundfunk, Film und Fernsehen
•
Zur ersten gehören die von Staaten oder
geraten auch größere Bevölkerungsgruppen in den
privater Seite finanzierten Kulturaktivitäten.
Fokus elitengesteuerter Kulturbeziehungen. Auf-
Hierzu gehören die Klassiker der ‚Hochkultur‘
grund der Revolutionierung des Reisens – etwa durch Kostensenkungen und den Abbau von Reise-
wie Theater, Ballett und die bildende Kunst. •
beschränkungen – und vor allem durch das Internet hat sich die Zahl der Akteure in den internati-
Zur zweiten gehört die kommerzielle Kultur, allen voran die Film- und Musikbranche.
•
Die dritte und zugleich dynamischste Kate-
onalen Kulturbeziehungen exponentiell zu einem
gorie ist die ‚hausgemachte Kleinkunst‘, die
Massenphänomen entwickelt. Dieses schafft einer-
heute dank neuer Medien wie YouTube Zugang
seits die Voraussetzungen für mehr Verständnis
zu einem potenziell globalen Markt hat.
zwischen verschiedenen Kulturen und Gesellschaf-
Zum festen Bestandteil internationaler Kulturbe-
ten, sorgt andererseits aber zugleich auch für mehr
ziehungen gehören auch die Spracharbeit, Wissen-
Missverständnisse.
schaft und Bildung bis hin zum Sport, zur Religion
Die Geschwindigkeit und Häufigkeit globaler
und zur Esskultur.
Kommunikation wächst ebenfalls exponenziell, und der Inhalt dieses Austausches ist häufig kultureller Art. Dieses führt dazu, dass sich Kultur und Politik immer mehr verschränken und sich gegen-
Die neuen globalen Trends: Der kulturelle Aufstieg neuer und alter Kulturnationen
seitig beeinflussen. Hierfür steht exemplarisch die Rolle von Kulturschaffenden als Motor der Zivilge-
Mit dem politischen und wirtschaftlichen Aufstieg
sellschaft zu Beginn des arabischen Aufbruchs auf
der neuen Gestaltungsmächte nimmt auch ihr Ein-
Ägyptens Tahrir Square und Tunesiens Boulevard
fluss auf die internationalen Kulturbeziehungen
Bourguiba.
zu. Die neuen Gestaltungsmächte und insbeson-
Es lassen sich heute im Wesentlichen drei Kategorien von Kulturbeziehungen unterscheiden:
Auslandskulturinstitute
Insges.
dere auch die finanzstarken Länder der zweiten Reihe haben die Kultur entdeckt, um die eigene
Europa
weltweit
Nordafrika
Asien &
Sub-Sahara Afrika
Amerika
& Nahost
Ozeanien
VRC: Konfuzius Institut
322
107
9
84
18
103
F: Institut Français
229
82
54
43
37
13
UK: British Council
196
67
33
53
26
17
D: Goethe-Institut
159
71
16
33
15
24
I: Italienisches Kulturinstitut
92
49
10
11
3
19
R: Russkiy Mir Stiftung
82
52
2
24
0
4
ES: Instituto Cervantes
78
39
15
9
1
14
P: Camões Institut
67
31
3
8
18
7
IN: Indisches Kulturinstitut
57
6
3
39
4
5
J: Japan Foundation
26
7
1
13
0
5
SK: Koreanisches Kulturzentrum
25
8
0
11
1
5
BR: Brasilianisches Kulturinstitut
24
5
0
0
2
17
Tab. 2: Anzahl und regionale Verteilung der zwölf größten Auslandskulturinstitute (2010), Quelle: British Council (2013, 24f.)
102
Geopolitik und Kultur
Gastgeberland
insgesamt
VRC
F
UK
D
I
R
ES
P
IN
J
SK
BR
USA
103
72
2
3
6
5
2
5
2
0
2
3
1
Deutschland
46
11
16
1
7
2
5
1
1
1
1
1
Frankreich
36
14
7
5
0
4
4
0
1
1
0
Italien
36
9
3
UK
35
13
2
Spanien
34
4
6
China
32
6
Russland
29
17
2
Indien
28
0
9
Japan
27
12
4
Südkorea
26
17
1
Brasilien
26
3
2
1 6
2
4
2
0
1
0
2
3
7 2
3
4
5
1
1
1
0
11
4
2
0
5
3
3
7
1
3
2
9
6
1
1
3
1
1
4
5
4
0
1
1
1
1
3
1
1
2
0
1
1
1
0
1
1
0
2
0
4
0
0
1
2
2
1
1
1
1
1
2
1
0
1
1
2
0
8
1
1
1
0 0
Tab. 3: Die attraktivsten Länder für Auslandskulturinstitute (2010), Quelle: British Council (2013, 36ff.)
Bedeutung in der Weltarena sichtbar zu machen.
meisten ausländischen Kulturinstitute wurden in
Die dynamischen Länder Asiens und Lateinameri-
den USA errichtet – gefolgt von Deutschland.
kas wie auch die finanzstarken arabischen Länder
Der kulturelle Aufstieg der BRICS und einiger
sowie Russland haben in den vergangenen Jahren
anderer Länder lässt sich auch daran ablesen, dass
ihre Budgets für die internationalen Kulturbezie-
mehrere von ihnen erhebliche Mittel in den Auf-
hungen kontinuierlich erhöht – während die ent-
bau von Auslandsrundfunk und -fernsehsendern
sprechenden Budgets in den großen westlichen
gesteckt haben. Während zum Beispiel das Budget
Ländern zurückgefahren wurden oder bestenfalls
der BBC in den letzten Jahren zusammengestrichen
(allerdings auf hohem Niveau) stagnieren.
wurde und die Haushalte der staatlichen amerika-
Am deutlichsten sichtbar ist dieses im Falle der
nischen Auslandssender und der Deutschen Welle
Volksrepublik China, die von 2004 bis 2010 welt-
stagnierten, sind die chinesische CCTV und Rus-
weit über 322 Konfuzius-Institute in 104 Ländern
sia Today, aber auch die regional fokussierten Al
errichtet hat und damit binnen sechs Jahren die
Jazeera, Al Arabya und andere mehr in den ver-
Platzhirsche – Institut Français, British Council
gangenen zehn Jahren zu festen Größen der glo-
und Goethe-Institut – zahlenmäßig überholt hat.
balen Medienlandschaft geworden. Bei der Zahl
Im Inland setzt China auf eine wachsende Bedeu-
der Fremdsprachenprogramme ist China dabei, zu
tung der Kreativwirtschaft. Im aktuellen 12. Fünf-
den USA aufzuschließen, während Russland inzwi-
jahresplan soll der Beitrag des Kultursektors zum
schen Großbritannien, Deutschland und Frank-
Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,5 % auf 5 % ver-
reich hinter sich gelassen hat.
doppelt werden. Im Ausland soll der Kultursektor
Die Austragungsrechte der Fußballweltmei
gezielt dazu beitragen Chinas Soft Power zu erhö-
sterschaften für die Jahre 2010 bis 2022 gingen mit
hen und den Aufstieg Chinas absichern (vgl. Zhang
Südafrika, Brasilien, Russland und Katar an Ver-
2010).
treter dieser Ländergruppe. Brasilien richtet 2016
Auch Russland, Indien und Brasilien haben in
zudem die Olympischen Sommerspiele aus.
den vergangenen Jahren eine breite Präsenz eige-
Dieser wachsende kulturelle Pluralismus ist
ner Kulturinstitute im Ausland aufgebaut. Die
zu begrüßen. Der Austausch und das gegenseitige
103
WIKA-Report (Band 2)
Verstehen zwischen den (alten und neuen) Kultur-
Die Kulturbudgets westlicher Staaten dürften in
nationen ist eine Voraussetzung für die Lösung
den kommenden Jahren in Relation zu den Budgets
vieler globaler Probleme. Die internationalen Kul-
der Aufsteigerländer weiter zurückgehen. Allerdings
turbeziehungen werden zudem immer demokrati-
wird die wirtschaftliche Bedeutung der Kultur
scher, da immer mehr Individuen direkt miteinan-
(Kreativwirtschaft) im Verhältnis zur Gesamtwirt-
der in Kontakt treten.
schaft weiter wachsen. Auch die Rolle von NGOs und Individuen in der Kultur wird weiter ansteigen. Die demokratische Verfasstheit westlicher
Die Neubegründung der Kulturbezie hungen des Westens: Von der einfachen Imagepflege zum Dialog
Staaten ist hierfür von grundlegender Bedeutung. Der Staat kann und muss die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für einen florierenden Kulturaustausch schaffen, indem auch kommerzi-
Washington, London, Berlin und Paris stehen vor
elle und nicht-kommerzielle private Akteure und
einer doppelten Herausforderung. Zum einen ist
Individuen stärker in den internationalen Kultur-
dank des wachsenden kulturellen Engagements der
austausch eingebunden werden.
neuen Gestaltungsmächte der globale Wettbewerb
Ging es früher im Wesentlichen nur um die
um Soft Power härter geworden. Zum anderen ist
Verbreitung der eigenen Werte und eines möglichst
inzwischen erkannt worden, dass das allgemeine
positiven Bildes des eigenen Landes im Ausland,
Ziel der internationalen Kulturbeziehungen – wir
steht heute der Dialog im Vordergrund.
sprechen in Berlin von der AKBP, der Auswärtigen
Dazu gehören der Respekt gegenüber und das
Kultur- und Bildungspolitik –, im Ausland ein posi-
Eingehen auf die Besonderheiten anderer Kulturen.
tives Bild des eigenen Landes zu generieren mit
Dazu gehört aber auch die Schärfung des Sensori-
erhofften positiven Effekten für die eigene Außen-
ums der eigenen Bevölkerung gegenüber anderen
politik (zum Beispiel Unterstützung eigener Positio-
Kulturen. Der Kulturaustausch durch (weitgehend)
nen durch andere), für Export und Investitionen bis
unabhängige und autonome Akteure (Kultur-
hin zum Tourismus, nicht mehr mit den Methoden
mittler) hat sich dabei vielfach als zielführender
der Vergangenheit zu erreichen ist. Von daher ist
gezeigt, da staatlichen Aktivitäten häufig mit Miss-
ein neuer Ansatz nötig, der den Veränderungen der
trauen begegnet wird.
internationalen kulturellen Beziehungen und der Kommunikation Rechnung trägt.
Auch die Förderung langfristiger Beziehungen zwischen Institutionen und zwischen Individuen hat sich gegenüber kurzfristigen Aktionen als weit-
USA
aus effektiver erwiesen.
Voice of America, Radio Free Europe, Alhurra, u. a.
58
China
CCTV, China Radio International
48
Russland
Russia Today, Voice of Russia
32
Deutschland
Deutsche Welle
28
wird weiter wachsen. Die Zahl der deutschen Part-
UK
BBC World News, BBC World Service
27
nerschulen im Ausland konnte in den vergange-
France 24, Radio France International
12
Frankreich
Beim Ansatz eines dialogischen Kulturaustausches rückt automatisch der einzelne Mensch ins Zentrum der Kulturdiplomatie und damit auch der internationale Bildungsaustausch. Die Bedeutung der Auslandsschularbeit und der Außenwissenschaftsbeziehungen hat dadurch gewonnen und
nen Jahren auf 1.780 erhöht werden – darunter 140
Tab. 4: Zahl der Fremdsprachenprogramme von staatlich unterstützten Auslandssendern
deutsche Auslandsschulen. Mit über 250.000 ausländischen Studierenden zieht Deutschland nach den USA und Großbritannien die drittgrößte Zahl ausländischer Studierender an. Diese Zahl soll laut
104 Geopolitik und Kultur
Koalitionsvertrag bis zum Ende der Legislaturpe-
Länder sollten den Wettbewerb mit den Aufsteiger-
riode auf 350.000 Studierende gesteigert werden.
ländern auch im Bereich der Kultur annehmen, ins-
Zugleich soll die Zahl deutscher Studierender, die
besondere da einige der Aufsteigerländer bewusst
einen Teil ihres Studiums im Ausland absolvieren,
ihre Kulturarbeit gezielt gegen die mit der Kultur-
erhöht werden. Erreicht werden soll dieses unter
arbeit des Westens verbreiteten Werte einsetzen.
anderem durch eine stärkere Internationalisierung
China investiert heute mehr in seine Auslandskul-
der deutschen Hochschulen, durch eine intensivere
turarbeit als jedes andere Land (vgl. Young/Jong
Werbung für den Hochschul- und Bildungsstandort
2008).
Deutschland und die Verbesserung der Willkommenskultur, um die hohe Zahl der Abbrecher unter den ausländischen Studierenden zu reduzieren.
Den Dialog zwischen den Kulturen fördern und den Wettbewerb um ‚Soft Power‘ annehmen
Literatur
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Kreft, Heinrich (2013): Deutschland, Europa und
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durch Austausch gegenseitig befruchten und damit
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weiterentwickeln. Kulturaustausch provoziert neues Denken und führt dadurch zu Innovationen. In dem Maße, wie transnationale und globale
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Probleme wachsen, benötigen wir neue Innovati-
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S. 7–9.
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und damit zur Bereicherung aller Beteiligten.
In: Asian Survey, 48, 3, S. 453–472.
Auslandskulturarbeit ist kein Luxus, sondern eine strategische Investition in die eigene Soft Power
Zhang, Weihong (2010): China's cultural future:
und den immer wichtiger werdenden internatio-
from soft power to comprehensive national
nalen Kulturdialog. Der sich in der Weltwirtschaft
power. In: International Journal of Cultural
und in der internationalen Politik abzeichnende
Policy, 16, 4, S. 383–402.
relative Bedeutungsverlust des Westens würde sich noch beschleunigen, sollten die westlichen Gestaltungsmächte an dieser Stelle sparen und den Aufsteigerländern zunehmend das Feld überlassen. Das wachsende Engagement der Aufsteigerländer im Bereich der internationalen Kulturbeziehungen ist uneingeschränkt zu begrüßen. Die westlichen
Heinrich Kreft, Ministerialdirigent, Dr. phil., MA, BA (USA), geb. 1958, Botschafter und Beauftragter für
Außenwissenschaftspolitik und Bildung und den Dia
log zwischen den Kulturen im Auswärtigen Amt, Ber lin. – Kontakt: heinrich.kreft@diplo.de
105
B. BERICHTE AUS DEM WIKA
106
2010 zusammen mit Prof. Thum organisiert, mit
Ein neuer Vorstand für den WIKA
dem er auch gemeinsam den WIKA-Report ins Leben gerufen hat. Geschäftsführung und WIKA-Mitglieder dankten Prof. Thum für sein großes Engagement und die vielfältigen Impulse, die er als Vorstand für
Mitgliederversammlung und Vorstandswahlen vom 29. November 2013
den WIKA gesetzt hat. Für den neuen Vorstand wie auch für den WIKA insgesamt kündigen sich viel versprechende Entwicklungen im Bereich der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspo-
Am 29. November 2013 fand in den Räumlichkei-
litik (AKBP) wie auch auf europäischer Ebene an.
ten der ifa-Bibliothek die jährliche Mitgliederver-
Nach langen Verhandlungen hat sich die Große
sammlung des WIKA statt. Da der amtierende
Koalition aus CDU/CSU und SPD zum Jahreswechsel
Vorsitzende Prof. Dr. Bernd Thum für eine wei-
auf ein Regierungsprogramm geeinigt, in dem die
tere Amtszeit nicht zur Verfügung stand, waren
AKBP hoffentlich wieder eine stärkere Gewichtung
Neuwahlen notwendig geworden. Zudem eröff-
im Rahmen der Außen- und Europapolitik erhal-
nete sich durch die im Januar 2013 in Kraft getre-
ten wird. Im Mai 2014 wurde das EU-Parlament
tene Satzung des WIKA erstmalig die Möglich-
neu gewählt. Es ist zu erwarten, dass in den kom-
keit, eine/n stellvertretende/n Vorsitzende/n zu
menden Monaten und Jahren sowohl auf nationa-
wählen. Bernd Thum, der den Vorsitz 2007 von
ler (deutscher), europäischer und internationaler
Prof. Dr. Volker Rittberger übernahm, hatte in
Ebene Impulse für die internationale Zusammen-
seiner knapp sechsjährigen Amtszeit wichtige
arbeit in Kultur, Bildung, Wissenschaft und For-
Impulse für die thematische Arbeit wie auch für
schung gesetzt werden.
die weitere Institutionalisierung des Initiativkrei-
Im Jahr 2014 wird der WIKA seine in den
ses gesetzt. Als Kandidatin für seine Nachfolge
zurückliegenden Jahren etablierten Aktivitäten
schlug der Generalsekretär des ifa, Ronald Grätz,
weiter entfalten. Mit der terminlichen Zusammen-
Frau Prof. Dr. Caroline Robertson-von Trotha vor,
legung von WIKA-Workshop (4./5.12.2014) und Mas-
die von den anwesenden Mitgliedern einstimmig
ter-/Doktorandenkolloquium (6.12.2014) begeht der
gewählt wurde. Die renommierte Kulturwissen-
WIKA im Herbst sein zehnjähriges Bestehen. Als
schaftlerin ist seit 2002 Direktorin des Zentrums
Veranstaltungsort wurde die Landesvertretung
für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium
Baden-Württemberg in Berlin bestimmt.
Generale (ZAK) des Karlsr uher Instituts für Tech-
Zum Jahreswechsel hat das ifa auch dem WIKA-
nologie (KIT) und engagiert sich vielfach in Fach-
Infobrief ein neues Gesicht gegeben. Der digitale
gremien kulturpolitischer Organisationen. So ist
Informationsbrief wird damit noch ansprechen-
sie seit 1995 Kuratoriumsmitglied des Instituts für
der, ohne dabei seine gewohnte Lesbarkeit und
Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft
den Fokus auf Information einzubüßen. Durch ein
e. V. (Bonn), seit 2009 Stellvertretende Vorsitzende
Relaunch des ifa-Webportals erhalten zudem die
im Fachausschuss Kultur der Deutschen UNESCO-
WIKA-Seiten eine neue Struktur, die weiter zur
Kommission (DUK) und seit 2012 Koordinatorin des
Sichtbarkeit des Initiativkreises beitragen wird.
Netzwerks für den Dialog zwischen den Kulturen der Anna Lindh-Stiftung. Die neue Funktion des Stellvertretenden Vorsitzenden wurde Dr. Gerd Ulrich Bauer durch Wahl übertragen, der dem WIKA seit seiner Gründung angehört. So hat Dr. Bauer den WIKA-Workshop
107
C. FORUM – EIGENSTÄNDIGE BEITRÄGE
108
Hinweis darauf, wie erfolgreich dieses Mittel im
Außenpolitik auf Graswurzelebene
Fall Westdeutschlands gewesen sei, das, nicht zuletzt durch den Einsatz auswärtiger Kultur- und Informationspolitik, nach 1945 rasch vom Feind zum engen Partner der USA und des Westens geworden sei.
Auswärtige Kultur- und Informations politik als Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft
Die Geschichte auswärtiger Kultur- und Informationspolitik ist jedoch nicht nur Argument in aktuellen politischen Debatten, sondern auch ein Forschungsgegenstand, der in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen hat. Die Ergebnisse
von Reinhild Kreis (Mannheim)
dieser Studien sind weiterführend sowohl für die Fachdisziplin der (Politik)geschichte als auch für die Praktiker der auswärtigen Kultur- und Infor-
Ändert sich der Verlauf der Weltgeschichte, weil
mationspolitik. Drei Punkte sollen im Folgenden
Symphonieorchester im Rahmen staatlicher Kul-
besonders hervorgehoben werden: Erstens, aus-
turprogramme ins Ausland geschickt werden?
wärtige Kultur- und Informationspolitik als Inter-
Vergrößern sich außenpolitische Handlungsspiel-
aktion; zweitens, die Bedeutung von Emotionen in
räume, weil ein Land Kulturinstitute in aller Welt
der Politik(geschichte); und drittens die immer mit-
unterhält? Wachsen internationales Vertrauen und
schwingende Frage nach dem Erfolg oder Misser-
Verständnis durch Schüleraustauschprogramme?
folg dieser Politik. Dabei ist es erst einmal unerheb-
Staatliche auswärtige Kultur- und Informations-
lich, ob es sich um staatliche oder privat initiierte
politik oder Kulturdiplomatie war und ist stets
Programme handelt, wie sie etwa die Ford Found-
umstritten. Von den einen als unverzichtbares Mit-
ation durchgeführt hat, in welchem Verhältnis die
tel der Völkerverständigung und als „dritte Säule
jeweiligen Staaten zueinander standen und unter
der Außenpolitik“ neben Wirtschafts- und Sicher-
welchen politischen Rahmenbedingungen auswär-
heitspolitik gepriesen, gilt sie anderen als unlau-
tige Kultur- und Informationspolitik stattfand. In
tere Manipulation und Propaganda, während wie-
der Praxis waren diese Unterschiede von großer
der andere sie schlicht als Geldverschwendung
Bedeutung, doch auf der Ebene der Beobachtungen,
betrachten.
um die es hier geht, sind die Unterschiede graduel-
Je nach tagespolitischem Kontext flammen die Diskussionen über den Sinn und Unsinn der Kulturdiplomatie wieder auf. Das Beispiel USA zeigt dies wie kaum ein anderes: Nach dem Ende des
ler, nicht grundsätzlicher Natur.
Auswärtige Kultur- und Informations politik ist Interaktion, nicht (nur) Aktion
Ost-West-Konflikts löste die Regierung Clinton die United States Information Agency (USIA) auf, die
Kulturdiplomatie in einem Sender-Empfänger-
seit 1953 für die auswärtige Kulturdiplomatie des
Modell zu betrachten geht an der Sache vorbei.
Landes zuständig war. Nach dem ‚Sieg‘ des Wes-
Besonders deutlich wird dies am Beispiel von Kul-
tens und dem Untergang der Sowjetunion schien
turzentren, die Staaten im Ausland unterhalten.
sie überflüssig geworden zu sein. Nur wenige Jahre
Sie sind dauerhaft an einem Ort präsent, teilweise
später, nach 9/11, beurteilten viele diesen Schritt
über Jahrzehnte, und schaffen so ein Stück Konti-
als Fehler und spekulierten, ob eine kluge Kul-
nuität. Als manifeste Gebäude und als Institutio-
tur- und Informationspolitik die Anschläge hätte
nen sind sie Teil einer Stadtgesellschaft. Als solche
verhindern oder zumindest bei der Verarbeitung
übernehmen Kulturzentren Funktionen, die weit
der Folgen helfen können. Selten fehlt dabei der
über den Versuch der Vermittlung bestimmter
109
WIKA-Report (Band 2)
Positionen und Inhalte hinausgehen. Sie stehen
als handlungsleitende Kategorien zurück in die
stellvertretend für das jeweilige Land in der gast-
Geschichte zu holen.
gebenden Stadt und sind Orte, an denen Symbolpo-
Kulturdiplomatie ist Vertrauenswerbung, also
litik betrieben und Deutungskonflikte ausgetragen
das Bemühen, Ängste und Misstrauen zu überwin-
werden.
den und Vertrauen zu schaffen. Diese Funktion
Das Amerikahaus Berlin während des Vietnam-
steht im Zentrum aller auswärtigen Kultur- und
kriegs zeigt dies eindrücklich. Während das ameri-
Informationspolitik. Vertrauenswerbung stand
kanische Kulturzentrum versuchte, die Politik der
hinter dem Bemühen der Weimarer Republik,
USA in Südostasien zu erklären, wählten die ‚68er‘
den Glauben der USA in Deutschland, seine Leis-
das Amerikahaus regelmäßig als Ort der Kritik, an
tungskraft, Zuverlässigkeit und Modernität wie-
dem sie gegen den Krieg protestierten. Doch auch
derherzustellen, ebenso wie hinter den sowjeti-
diejenigen Westberliner, die die amerikanische
schen Anstrengungen, nach dem Zweiten Welt-
Politik unterstützten und davon ausgingen, dass
krieg in den Staaten des Warschauer Paktes die
Berlin auch in Vietnam verteidigt werde, zogen
Freundschaft der sozialistischen Gesellschaften
vor das Amerikahaus, um dort ihre Sympathie mit
zu beschwören. Dahinter verbarg sich weit mehr
den USA und ihre Gegnerschaft zu den protestie-
als die omnipräsente Freundschafts- und Vertrau-
renden Studierenden auszudrücken. Als fest veran-
ensrhetorik. Kulturdiplomatie strebt an, Menschen
kerte Institutionen vor Ort waren die Amerikahäu-
und Kulturen miteinander vertraut zu machen
ser also nie nur Einrichtungen der amerikanischen
und somit den ersten Schritt zum Aufbau von Ver-
Kulturpolitik. Über die Jahre machten die deutsche
trauen zu leisten.
Bevölkerung und Politik die Häuser auch zu etwas
Das Konzept der Soft Power verweist auf diese
Eigenem. Sie betrieben Politik in, mit und über
zentrale Funktion: Es besagt, dass Staaten ihre Posi-
diese Häuser.
tion nicht allein über harte Machtmittel wie militä-
In ihrem Gastland haben Kulturzentren Besu-
rischen oder wirtschaftlichen Druck durchsetzen,
cher, Mitveranstalter, Beratungsausschüsse und
sondern auch über weiche Faktoren, insbesondere
Sponsoren. Als Orte der Interaktion offenbaren
die Anziehungskraft und Attraktivität ihrer Kultur,
sie einen ganzen Mikrokosmos an lokalen Bezie-
ihrer Werte, Ideen und Institutionen. Gehen Gesell-
hungsdynamiken, der unsichtbar bleibt, wenn sich
schaften davon aus, dass sie die gleichen Ziele, Ide-
politikgeschichtliche Forschung zu den internati-
ale und Werte vertreten wie ein anderer Staat, sind
onalen Beziehungen auf die Diplomatiegeschichte
sie eher bereit, mit diesem Staat zu kooperieren.
beschränkt. Die lokale Ebene spiegelt dabei nicht
Sie gehen davon aus, dass ihre Interessen in guten
einfach die ‚große Politik‘, sondern folgt vielfach
Händen sind.
eigenen Regeln, die durch eigene, lokale Erfahrungen und Erwartungen bestimmt werden.
Forschungen zur auswärtigen Kultur- und Informationspolitik holen die Emotionen zurück in die Politikgeschichte
Hier setzt auswärtige Kultur- und Informationspolitik an. Sie versucht, Übereinstimmung aktiv herzustellen, also gleiche oder ähnliche Perspektiven auf politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge zu etablieren. Ein gemeinsames Situationsverständnis soll dazu führen, gemeinsam zu handeln, im günstig
In Studien zu internationalen Beziehungen ist
sten Fall im Sinne desjenigen Akteurs, von dem die
häufig von Angst, Vertrauen, Erleichterung oder
kulturdiplomatische Initiative ausgeht. Diese Auf-
Enttäuschung die Rede. Doch werden diese Emo-
gabe auswärtiger Kultur- und Informationspolitik
tionen meist nur konstatiert, selten systema-
ist nicht nur mit Blick auf die Bevölkerung verfein-
tisch analysiert. Auswärtige Kultur- und Infor-
deter Staaten bedeutsam, sondern auch innerhalb
mationspolitik ist bestens geeignet, Emotionen
von Bündnissen, denn hier ist es ebenfalls wichtig,
110
Außenpolitik auf Graswurzelebene
Übereinstimmung immer wieder herzustellen und
Interaktionen sichtbar, und sie zeigt Vermittlung
die Allianz nach innen zu stabilisieren.
zwischen Gesellschaften als Prozess – als einen
Der historische Blick auf auswärtige Kultur-
Prozess, der Vermittlungsinstanzen benötigt, wie
und Informationspolitik zeigt, dass Emotionen in
sie die auswärtige Kultur- und Informationspolitik
der Politik und Außenpolitik eine zentrale Rolle
bereitstellt.
spielen. Politische Handlungen – auch der Einsatz
Auswärtige Kultur- und Informationspolitik
von Kulturdiplomatie – sind nicht nur auf Interes-
ist nicht die kulturelle Begleitmusik der eigentli-
sen, sondern auch auf Gefühle zurückzuführen
chen Politik, sondern ein Bereich eigenen Rechts.
und zielen mitunter dezidiert darauf ab, bestimmte
Sie repräsentiert Staaten und Gesellschaften, deren
Emotionen zu erzeugen oder abzuschwächen, kurz:
Politik, Kultur sowie Lebensweise und stellt sie
Emotionen zu managen.
in einen Deutungszusammenhang. Staaten und
Und der Erfolg?
Gesellschaften nutzen sie, um gegenseitiges Verständnis zu fördern, aber auch zur Abgrenzung, und um Diskurse und Deutungen in ihrem Sinne
Ein guter Teil der Skepsis gegenüber auswärtiger
zu beeinflussen und so ihre Außenpolitik zu legi-
Kultur- und Informationspolitik rührt aus der
timieren.
Schwierigkeit, ihre Erfolge oder Misserfolge klar zu
Der geschichtswissenschaftliche Blick auf aus-
benennen. Hat auch sie dazu beigetragen, den Kal-
wärtige Kultur- und Informationspolitik führt
ten Krieg zu beenden und den Ostblock zu Fall zu
Bereiche zusammen, die in der Praxis häufig
bringen? Ist es auch ihr Misserfolg, dass viele Deut-
zusammenhängen, aber gerade in der Forschung
sche den Vietnamkrieg ablehnten? Wann und wie
längst nicht immer zusammen gedacht werden:
merkt man, ob sich auswärtige Kultur- und Infor-
Außenpolitik und lokale Ebene, Politik und Kul-
mationspolitik bezahlt macht?
tur, Staat und Gesellschaft. Das erweitert unser
Erfolg kann nicht nur daran gemessen wer-
Verständnis internationaler und transnationaler
den, ob das Zielpublikum seine Meinung in einer
Beziehungen und kann gleichzeitig Anhaltspunkte
konkreten Frage ändert oder außenpolitische
geben, worauf es bei der heutigen Kulturdiplomatie
Ziele erreicht werden. Kausale Zuordnungen sind
zu achten gilt.
jedoch kaum möglich. Der Blick auf Interaktionen und Netzwerke hilft hier, Konjunkturen zu ermitteln. Wen gewinnen Kulturzentren als Refe-
Literatur
renten oder Kooperationspartner? Wie verhalten sich Austauschteilnehmer nach der Rückkehr in ihr Heimatland? Sind sie weiterhin in Netzwerken
Behrends, Jan C. (2005): Die erfundene Freund
aktiv, transferieren sie Werte oder Praktiken zwi-
schaft. Propaganda für die Sowjetunion in Polen
schen den Gesellschaften? Gibt es Proteste, wenn
und in der DDR (1944–1957). Köln: Böhlau.
bestimmte Programme eingestellt oder reduziert werden sollen? Wenn ja: wer protestiert? Der Direktor der United States Information Agency unter Kennedy, der bekannte Journalist
Caute, David (2003): The Dancer Defects: The Struggle for Cultural Supremacy during the Cold War. New York: Oxford University Press.
Edward Murrow, hat einmal gesagt: „No cash register rings when a man changes his mind“, und er hatte
Cull, Nicholas (2010): Public diplomacy: Seven
natürlich Recht damit. So schnell und eindeu-
lessons for its future from its past. In: Place
tig sind Erfolge in der Auswärtigen Kulturpolitik
Branding and Public Diplomacy 6, 1, S. 11–17.
nicht sichtbar. Hier lohnt die Langzeitperspektive der Historiker: Sie macht Verflechtungen und
111
WIKA-Report (Band 2)
Gienow-Hecht, Jessica C.E./Donfried, Mark (Hg.) (2010): Searching for a Cultural Diplomacy. Oxford/New York: Berghahn Books. Kreis, Reinhild (2012): Orte für Amerika. DeutschAmerikanische Institute und Amerikahäuser in der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren. Stuttgart: Steiner. Nye, Joseph S. (2008): Public Diplomacy and Soft Power. In: Cowan, Geoffrey (Hg.): Public Diplomacy in a Changing World. (Annals of the American Academy of Political and Social Science; 616, 1). Los Angeles, CA: Sage, S. 94–109. Scott-Smith, Giles (2008): Networks of Empire. The US State Department’s Foreign Leader Prog ram in the Netherlands, France, and Britain, 1950–70. Brüssel: Lang.
Dr. Reinhild Kreis, Studium der Geschichte und Ger
manistik an der LMU München und am National Uni versity College of Ireland in Galway. Promotion im
Jahr 2009. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehr
stuhl für die Geschichte des europäisch-transatlanti
schen Kulturraums an der Universität Augsburg. Aka
demische Rätin a. Z. am Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim. Arbeitsgebiete: Trans
atlantische Geschichte, Protestgeschichte, Konsum geschichte. – Kontakt: rkreis@mail.uni-mannheim.de
112
Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi 2011
Auswärtige Kulturund Bildungspolitik in Staaten im Umbruch: das Beispiel Myanmar
sowie die Durchführung freier und fairer Nachwahlen 2012 zu den Parlamentswahlen von 2010, welche die Oppositionspartei National League for Democracy (NLD) gewann. 3 In Folge pro-demokratischer Reformen (vgl. Croissant 2014; Bertelsmann Stiftung 2014) beschloss die Europäische Union (EU) 2012, ihre Sanktionen gegenüber der elektoralen Autokratie für ein Jahr auszusetzen. 2013 wurden die Sanktionen auch offiziell aufgehoben
von Anna Kaitinnis (Hannover)1
– das Waffenembargo ausgenommen (vgl. Human Rights Watch 22.04.2013; vgl. Council of the European Union 22.04.2013). Mit dem politischen Wan-
Politischer Wandel in Myanmar
del in Myanmar begann zugleich ein neues Kapitel der kulturellen Beziehungen zwischen Myanmar und der Bundesrepublik Deutschland: Ein Kultur-
„Deutschland wird den Reformprozess in
abkommen4 wurde im Juli 2013 abgeschlossen und
Myanmar durch den Ausbau der Beziehun-
das Goethe-Institut Yangon im Februar 2014 offizi-
gen im Bereich Bildung, Kultur und Zivil-
ell wiedereröffnet (vgl. Augustin 2014).
gesellschaft unterstützen. Kultur- und Bildungspolitik spielen beim Auf bau dieses Landes eine herausragende Rolle.“ (Pieper 03.04.2012)
Verknüpfung von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik mit Demokratieförderung
Der außenkulturpolitische Austausch war zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Myan-
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP)
mar2 in den vergangenen Jahrzehnten sehr gering.
ist eine „tragende Säule deutscher Außenpolitik“
Nach rund fünfzigjähriger Militärdiktatur und Jah-
(Deutscher Bundestag 19.12.2012: 2) und dient der
ren weitgehender politischer wie auch wirtschaft-
Unterstützung außenpolitischer Ziele. Eine Ver-
licher Isolation rückte Myanmar jedoch nach den
knüpfung von Demokratieförderung mit AKBP
Parlamentswahlen 2010 wieder in den Fokus der
erfolgte erstmals in der „Konzeption 2000“ (vgl.
internationalen Gemeinschaft. Ausschlaggebend
Auswärtiges Amt 2000: 1, 8, 11). In der „Konzeption
dafür waren die Beendigung des Hausarrests der
2011“ wird eindeutig der Anspruch, Demokratisie-
1 Dieser Beitrag basiert auf einer sechsmonatigen Studie zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in Staaten im Umbruch am Beispiel Myanmars, die im Rahmen des ifa-Forschungsprogramms „Kultur und Außenpolitik“ in Kooperation mit dem Bonn International Center for Conversion (BICC) durchgeführt wurde. Der vorliegende Artikel ist eine Zusammenfassung der Studie (vgl. Kaitinnis 2014). An dieser Stelle sei zudem darauf hingewiesen, dass alle verwendeten Personen- und Funktionsbezeichnungen in ihrer geschlechtsneutralen Bedeutung gemeint sind. 2 Im Jahr 1989 wurde die Union von Birma von der Militärregierung in Union von Myanmar umbenannt. Kurz darauf übernahmen die Vereinten Nationen diese Namensänderung (vgl. Geiger 2007: 8; Bünte im Erscheinen: 29; Revel 2007: 1). Im vorliegenden Beitrag wird die Bezeichnung Myanmar verwendet. Die Entscheidung hierfür ist jedoch keine politische Stellungnahme.
rungsprozesse durch AKBP zu fördern, formuliert: „Wir wollen die betroffenen Länder dabei unterstützen, eine tragfähige Demokratie in einer star-
3 Von den insgesamt 45 zur Wahl stehenden Parlamentssitzen entfielen 43 auf die NLD (vgl. Will 2012: 5). 4 Das Kulturabkommen bestimmt den rechtlichen Rahmen für die kulturelle und wissenschaftliche Kooperation zwischen Myanmar und Deutschland. „Es umfasst unter anderem den Kulturaustausch […] und Forschungsaufenthalte von Wissenschaftlern, Lehrern und Studenten.“ (Auswärtiges Amt 17.07.2013)
113
WIKA-Report (Band 2)
ken Zivilgesellschaft zu verankern.“ (Auswärtiges
50ff.). Laut Adam Przeworski setzt in autoritären
Amt 2011: 5)5
Ländern ein Demokratisierungsprozess als Folge
Ein demokratisches politisches System sollte
sozioökonomischer Modernisierung nach dem
Robert Alan Dahl zufolge bestimmte Minimal-
Erreichen einer sogenannten Transitzone von
kriterien erfüllen. Diese umfassen die Wahl von
1.000 – 6.000 US-Dollar Einkommen pro Kopf ein
Amtsinhabern, regelmäßige freie und faire Wah-
(vgl. Przeworski 28.01.2005: 3f.). Zwar gehört Myan-
len, ein sowohl passives als auch aktives Wahlrecht
mar zur Gruppe der weltweit am wenigsten entwi-
für möglichst alle Erwachsenen, Meinungsfreiheit,
ckelten Staaten (vgl. UNDP 2013: 3), jedoch stieg das
Informationsfreiheit sowie Organisations- und Koa-
Bruttoinlandsprodukt von 811 US-Dollar im Jahr
litionsfreiheit (vgl. Dahl 1989: 221). In welchem Aus-
2010 auf 914 US-Dollar im Oktober 2013 (vgl. Wirt-
maß die genannten Kriterien erfüllt werden, kann
schaftskammer Österreich 2013: 1). Wenn sich diese
aber von Land zu Land variieren. Daher lässt sich
Entwicklung weiter fortsetzt, sind die Demokrati-
festhalten: „Demokratie ist nicht gleich Demokra-
sierungschancen Myanmars Przeworski zufolge
tie“ (Schaller 2002: 1).
gut. Allerdings ist dieser Aspekt nicht das einzige Kriterium für die Demokratisierungsaussichten
Transformationstheorien und ihre Anwendung auf Myanmar
eines Landes.
Strukturalistische Transformationstheorien
In diesem Artikel soll gezeigt werden, wie AKBP
Dietrich Rueschemeyer, Evelyne Huber Stephens
einen Beitrag zur Demokratisierung Myanmars
und John Stephens vertreten die Auffassung, dass
leisten kann. Dabei wird auf Systemtheorien,
unter anderem das Machtverhältnis zwischen Staat
strukturalistische und kulturalistische Trans-
und Zivilgesellschaft entscheidenden Einfluss auf
formationstheorien sowie akteurstheoretische
die mögliche Etablierung und Konsolidierung eines
Ansätze zurückgegriffen. Die Theorien versuchen
demokratischen Systems hat. Die Wahrscheinlich-
anhand unterschiedlicher Ansätze, mögliche Ursa-
keit eines erfolgreichen Demokratisierungsprozes-
chen sowie Kriterien für den Erfolg und Misserfolg
ses steigt, wenn autonome zivilgesellschaftliche
von Demokratisierungsprozessen zu erklären (vgl.
Organisationen als Gegengewicht zum Staat agie-
Merkel 2010: 67).
ren (vgl. Rueschemeyer/Huber Stephens/Stephens
Systemtheorien
1992: 5). Bezogen auf die Rolle von Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Demokratisierungsprozess Myanmars wurde von Jasmin Lorch6 jedoch
Systemtheorien legen den Fokus auf die Wechsel-
empfohlen, ihre Funktion nicht zu überschätzen:
wirkung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft.
„Wenn es mal so weit ist, dass die NGOs
Ein hoher sozioökonomischer Entwicklungsstand,
einen Menschenrechtsfokus haben und
ein gutes Bildungsniveau und geringe Klassenun-
beispielsweise Rechtshilfe anbieten, kön-
terschiede begünstigen nach Seymour Martin Lip-
nen sie natürlich eine Lobbyfunktion
set eine demokratische Kultur (vgl. Lipset 1960:
erfüllen, gerade in Bereichen wie Capa-
5 Bei einem Demokratisierungsprozess wird gemeinhin zwischen drei Phasen unterschieden: 1.) dem „Ende des autokratischen Systems“, 2.) der „Institutionalisierung der Demokratie“ und 3.) der „Konsolidierung der Demokratie“ (Merkel 2010: 95). Zumeist überschneiden sich jedoch die einzelnen Phasen, wobei auch Rückschritte möglich sind. Wird die Phase der Konsolidierung nicht abgeschlossen, kann sich eine defekte Demokratie herausbilden (vgl. Croissant/Thiery 2001: 23ff.).
city-Building oder Umweltschutz […]. Ich wäre aber vorsichtig, diese NGOs als einen Ersatz für politische Bewegungen […] zu sehen, da der Demokratisierungsprozess 6 Lorch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Asien-Studien des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.
114 Auswärtige Kultur und Bildungspolitik in Staaten im Umbruch: das Beispiel Myanmar
ein gesellschaftlich breit getragener Pro-
„Die Wahrscheinlichkeit einer demokrati-
zess sein muss. In vielen […] Ländern sind
schen Staatsverfassung ist in ethnisch rela-
NGOs nicht unbedingt die Repräsentanten
tiv homogenen Staaten beträchtlich höher
der gesamten Gesellschaft, sondern von
als in ethnisch fragmentierten Gemeinwesen“
einer Bildungselite […].“ (Lorch 26.08.2013)
(Schmidt 2008: 421).
Eine breite Streuung der Machtressourcen in
Bezogen auf Myanmar ist diese Feststellung
Gesellschaft und Wirtschaft erhöht Tatu Vanha-
äußerst relevant. Das Land besteht aus sieben Divi-
nen zufolge den Demokratisierungsgrad eines
sionen, sieben ethnischen Teilstaaten sowie sechs
Landes (vgl. Vanhanen 2003: 28). Die Messung der
selbstverwalteten Zonen. Hinzu kommt die Stadt
Machtressourcen kann anhand des Index of Power
Nay Pyi Taw, die im Jahr 2005 neu gegründet und
Resources (IPR) erfolgen. Der Fokus liegt hierbei
mit der Verfassung von 2008 auch formell zur
unter anderem auf dem Urbanisierungsgrad sowie
Hauptstadt Myanmars erklärt wurde (vgl. Lidauer
der Verteilung der Wissens- und Bildungsressour-
2012: 90). Seit 1948 und der Unabhängigkeit des
cen, des Landbesitzes und anderer ökonomischer
Landes gibt es immer wieder bewaffnete Konflikte
Ressourcen. Weitere Kriterien bilden die Alphabeti-
zwischen Militärtruppen und Rebellengruppen
sierungsrate und die Studentenzahl im Hochschul-
ethnischer Minderheiten, die für mehr politische
bildungsbereich. Erstere liegt in Myanmar mit
Autonomie kämpfen (vgl. Lorch/Roepstorff 2013: 1).
95,8 % sehr hoch (Männer und Frauen zwischen 15
Bleiben die Konflikte ungelöst, ist der Demokrati-
bis 24 Jahren, Stand 2010) (vgl. index mundi o.J.[a]).
sierungsprozess stark gefährdet.
Letztere fällt mit 14,82 % vergleichsweise gering aus (Stand 2011) (vgl. index mundi o.J.[b]).
Akteurstheorien
Entscheidend für die Demokratisierungsaussichten eines Landes ist zudem das soziale Kapital einer Gesellschaft. Gemeint sind damit demokratiestützende Werte und Verhaltensweisen, die durch langfristiges zivilgesellschaftliches Engage-
Przeworski geht davon aus, dass die Entscheidung
ment erlernt, habitualisiert und als soziales Kapital
für oder gegen eine Demokratie maßgeblich von
gesammelt werden (vgl. Putnam 2000: 19). Je mehr
Präferenzen, Strategien und wahrgenommenen
soziales Kapital eine Gesellschaft vorweist, desto
Möglichkeiten der relevanten Akteure beeinflusst
unwahrscheinlicher wird den Annahmen nach das
wird und sich in Abhängigkeit der Demokrati-
Überleben eines autokratischen Systems. Myanmar
sierungsphase und der strategischen Situation
verfügt aufgrund seiner Kolonialgeschichte und
ändern kann (vgl. Przeworski 1991). Auch Bereiche
langen Diktatur über wenig Demokratieerfahrung.
der AKBP können von sich wandelnden Präferenzen und Strategien im Demokratisierungsprozess betroffen sein, wie in Myanmar bei der Kontroverse um die Erstellung eines Entwurfs für ein neues
Schlussfolgerungen für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
Pressegesetz deutlich wird (siehe hierzu Harris 15.07.2013 und Aung 05.11.2013).
Kulturalistische Theorien
Ein hohes Bildungsniveau begünstigt systemtheoretischen Ansätzen zufolge die Einleitung von Demokratisierungsprozessen und wirkt zugleich stabilisierend: Bildung stellt eine Voraussetzung für die
Untersuchungsgegenstand kulturalistischer Theo-
Entwicklung mündiger Bürger und die Reduktion
rien bilden die sozialen Rahmenbedingungen, die
von Klassenunterschieden dar. Zudem leisten gut
gesellschaftliche Historie eines Landes, religiöse
ausgebildete Bürger einen entscheidenden Bei-
Aspekte und ethnische Faktoren:
trag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, die als weitere Bedingung für den Erhalt von
115
WIKA-Report (Band 2)
Demokratie betrachtet wird. Deswegen wurde der
ethnischen Minderheiten als Gefahr für die von
Bildungssektor als wichtigster AKBP-Bereich identi-
ihr angestrebte nationale Einheit betrachtet, ist
fiziert. In Myanmar sollten zunächst die Unterstüt-
ein besonders sensibler Umgang mit dem Thema
zung der Reformierung des Hochschulbereichs und
Multikulturalismus erforderlich. In diesem Kontext
Kooperationen in diesem Sektor Priorität haben.
üben NGOs, Medien- und Kulturschaffende sowie
Anschließend wird die Ausweitung des Engage-
Künstler als Multiplikatoren im Demokratisie-
ments auf den Primar- und Sekundarschulbereich
rungsprozess Myanmars eine entscheidende Rolle
empfohlen, um langfristig durch einen gleichbe-
aus. Sie können durch Austausch und Dialog einen
rechtigten Bildungszugang die Reduzierung von
Beitrag zum Friedensprozess und zur Konfliktprä-
Klassenunterschieden zu erreichen. Wichtig ist
vention leisten. Berücksichtigt werden müssen
daher ein Fokus auf staatliche und nicht auf pri-
auch Lehrer und Mönche, da sie in Myanmar oft
vate Schulen.
eine Vorbildfunktion einnehmen. Bei der Wahl von
Nach akteurstheoretischen Ansätzen können
Kooperationspartnern sollten sich die Akteure im
sich nutzenorientierte Präferenzen von Entschei-
Bereich der AKBP möglichst breit aufstellen, um so
dungsträgern während des Demokratisierungspro-
dem möglichen Vorwurf der Parteinahme für oder
zesses verändern und auf die Entscheidung für oder
gegen eine Gruppe zuvorzukommen.
gegen eine Demokratie auswirken. Unabhängige
AKBP kann zudem einen Beitrag zur Förde-
Medien fungieren in diesem Zusammenhang als
rung des sozialen Kapitals leisten, indem zivilge-
wichtige Informationsquelle, meinungsbildendes
sellschaftliches Engagement durch Kooperationen,
Medium und Kontrollinstanz. Diese Rolle können
Koproduktionen und Netzwerkaufbau unterstützt
zudem Künstler und Kulturschaffende einnehmen,
wird. Doch auch hier gilt: Die Partnerwahl muss
indem sie durch ihre Arbeit auf gesellschaftliche
mit Bedacht erfolgen. In Myanmar wird zum Bei-
oder politische Missstände hinweisen. Ihre Reich-
spiel einigen NGOs nachgesagt, dass sie der ehe-
weite ist in Myanmar aber noch vergleichsweise
maligen Militärregierung nahestehen. Eine Koope-
gering.
ration mit ihnen könnte folglich Ressentiments
Strukturalistischen Ansätzen entsprechend
gegenüber dem externen Akteur hervorrufen.
erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Demokratisierungsprozesses durch autonome zivilgesellschaftliche Organisationen als Gegen-
Ein kurzes Fazit
gewicht zum Staat. Sofern Mittlerorganisationen bereits während der Diktatur die Möglichkeit zur
Myanmar hat begonnen, den Weg Richtung Demo-
Kooperation mit autonomen zivilgesellschaftlichen
kratie zu beschreiten. Doch trotz der politischen
Organisationen haben, sollte diese genutzt werden.
Reformen muss bedacht werden, dass ein Demo-
Ein Fokus könnte zum Beispiel auf NGOs liegen,
kratisierungsprozess von verschiedenen internen
die sich auf die Bereiche Bildung, Kunst und Kultur
wie auch externen Faktoren beeinflusst wird und
oder Medien spezialisiert haben. Da der Einfluss
nicht immer in einer konsolidierten Demokratie
des Militärs auf Politik und Wirtschaft in Myanmar
endet. Auch wenn die aufgezeigten Möglichkeiten,
noch immer groß ist, sollten keine Kooperationen
durch Maßnahmen im Bereich der AKBP einen Bei-
oder Projekte durchgeführt werden, die sich gegen
trag zur Demokratisierung Myanmars zu leisten,
das Militär und die Regierung richten.
vielfältig sind, müssen sie im Gesamtkontext des
Die Wahrscheinlichkeit eines demokratischen Systems sinkt laut Schmidt in ethnisch heterogenen Staaten. Solange nicht über das politische Ordnungsprinzip in Myanmar entschieden wurde und die Regierung Autonomiebestrebungen der
Demokratisierungsprozesses als ein Mosaikstein unter vielen gesehen werden.
116 Auswärtige Kultur und Bildungspolitik in Staaten im Umbruch: das Beispiel Myanmar
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ten & ästhetischen Praxis an der Universität Hildes
heim mit dem Schwerpunkt Auswärtige Kultur- und
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Dissertation zur Rolle des Goethe-Instituts wäh rend der Demokratisierungsprozesse in Argentinien
(1982–1989) und Chile (1988–1994). Expertin des ifa-
Forschungsprogramms „Kultur und Außenpolitik“,
Studie zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in Staaten im Umbruch am Beispiel Myanmars. – Kon takt: kaitinnis@gmx.de
119
D. DOKUMEN足 TATION
120
der Niederlande und Deutschlands) war es der ECF
MORE EUROPE – Kultur in den europäischen Außenbeziehungen Geschichte und Zukunft einer transnationalen Initiative
möglich, das Thema weiterzutragen und PublicPrivate-Partnership-Modelle praktisch zu testen, als Teil ihrer advocacy2. So war die EU-Präsidentschaftskonferenz in Slowenien (2008), mit tatkräftiger Unterstützung der ECF, von großer Bedeutung, ihr Ergebnis wurde in die Ratsdokumente der französischen Präsidentschaft (ebenso 2008) aufgenommen. Zu dieser Zeit war die ECF auch in engster Tuchfühlung mit der Europäischen Kommission, nicht nur bei Themen wie z. B. Mobilität oder Inter-
von Gottfried Wagner (Wien)
kulturellem Dialog, sondern auch beim Thema Kultur in den EU-Außenbeziehungen. Schließlich sah sich ein großer Teil der kulturellen Netzwerke
Vorbemerkung: Dieser Text ist nicht wissenschaft-
und der Zivilgesellschaft bestärkt in ihrer advo-
lich und auch deshalb nicht vollkommen objektiv;
cacy, als die Kommission die Europäische Kultur-
er drückt ausschließlich die Auffassungen des Ver-
Agenda 2007 erfolgreich lancierte3, deren „dritte
fassers aus, der an der Initiative als Berater mitge-
Säule“ nun tatsächlich „Kultur in den europäischen
wirkt hat.
Außenbeziehungen“4 war.
MORE EUROPE wird hier nicht so sehr im Nach-
Besonders wichtig war in diesem Kontext auch
vollzug der inhaltlichen Debatten analysiert, son-
die Aktion/Reaktion der Mitgliedstaaten der EU:
dern als organisationsdynamisch interessantes
2006 wurde das Netzwerk EUNIC gegründet, Euro-
europäisches Laboratorium für Politikentwicklung
pean National Institutes of Culture.5
1
auf neuen Feldern in neuen Allianzen.
Die Anfänge der Idee
Die Anfänge von MORE EUROPE Bei aller Dynamik dieser Entwicklung war die
Schon in den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts
Zeitspanne der Entstehung von operativen Ideen,
haben Stiftungen, das ifa (Institut für Auslandsbe-
ganz zu schweigen von institutionellen Kernen,
ziehungen), Universitäten (z. B. Hildesheim) und
von kleinen Schritten geprägt, wie so oft in neuen
andere über die Zukunft ‚europäischer‘ Kultur
Politikfeldern. Die Gründe dafür lagen nicht nur
außenbeziehungen nachgedacht. Erinnert sei hier
im ungünstigen globalen sozioökonomischen
u. a. an Robert Peises Studie „Ein Kulturinstitut für
und politischen Umfeld, in dem sich die EU zu
Europa“ (2003) oder an die Studien der Europäi-
bewegen hatte, und nicht nur in der ‚mageren‘
schen Kulturstiftung (ECF), herausgegeben etwa von Kathinka Dittrich van Weringh und Ernst Schürmann (2004) oder Rod Fisher (2007). Zivilgesellschaftliche Organisationen, v. a. die ECF in Amsterdam und ihre Partner, haben zu diesem Thema Konferenzen und Workshops abgehalten, als gerade mal die innereuropäische Kulturstrategie (der EU) in Entwicklung war. In enger Zusammenarbeit
2 Vgl. die Broschüre „Europe as a Cultural and Political Project – ECF connects practice with policy and commits to bridging the gap between cultural action and policy making“, online unter http://static.squarespace.com/ static/526e5978e4b0b83086a1fede/t/52e640f7e4b05f271de72 54d/1390821623604/Advocacy%20brochure.pdf 3 Vgl. die „Europäische Kulturagenda“, online unter http:// ec.europa.eu/culture/our-policy-development/europeanagenda_de.htm
mit EU-Mitgliedstaaten (z. B. EU-Präsidentschaften
4 Vgl. http://ec.europa.eu/culture/our-policy-development/ culture-in-eu-external-relations_de.htm
1 Vgl. www.moreeurope.org
5 Vgl. http://www.eunic-online.eu/
121
WIKA-Report (Band 2)
Kompetenzlage der EU für Kultur – gar nicht zu
empfunden, die Berufung auf Komplexität als Seda-
reden von Außenkultur – bzw. der Komplexität der
tiv; vor allem aber war die Debatte auf der Ebene
Entstehung des Europäischen Auswärtigen Dien
der staatlichen und halbstaatlichen Akteure zuneh-
stes (Ratsbeschluss 2010). Sondern sie lagen auch in
mend abstrakter geworden, d. h. auch abgekoppelt
der Ambivalenz der Mitgliedstaaten, zwischen Ein-
von der kulturellen Zivilgesellschaft.
sicht in die Notwendigkeit einer europäischen Soft
An dieser Schnittstelle trafen sich die Inter-
Power-Strategie und ihrer Unterstützung auf der
essen von ‚freien‘ Vertretern von Zivilgesellschaft
einen Seite und fast eifersüchtiger Betonung der
(Stiftungen und manche ihrer Netzwerkpartner
Kompetenzlage bzw. des Subsidiaritätsprinzips auf
im Feld) und von einigen Kulturinstituten. Unter
der anderen. Dazu kommt, dass die Mitgliedstaa-
günstigen Vorzeichen, die man nicht nur als zufäl-
ten sich in ihrer Außenkulturpolitik von einander
lig betrachten kann, wiewohl handelnde Perso-
unterscheiden, quantitativ und qualitativ, struktu-
nen und ihr ‚imaginativer Mut‘ wie immer eine
rell und ideologisch. Diese Heterogenität, die mit
wichtige Rolle spielten, wurde rasch und unbüro-
der gepriesenen Vielfalt einiges, aber nicht alles
kratisch eine Initiative aus der Taufe gehoben, die
gemeinsam hat, kann man auch in den Gremien
klein und zielgerichtet, flexibel und professionell,
und Netzen wiederfinden, die die Mitglieder der EU
mit beschränkter Lebensdauer, als Hebel für viel-
nutzten oder bauten, um gewisse Fortschritte bei
leicht Größeres und als Plattform für Debatten im
der Politikentwicklung auf diesem Feld zu ermög-
öffentlichen Raum zu dem Thema funktionieren
lichen bzw. Entwicklungen auch zu verhindern.
sollte.
Immerhin wurden unter ungarischer EU-Präsidentschaft (Pécs6) die Treffen der Generaldirektoren für Kultur der nationalen Außenministerien erweitert
MORE EUROPE Phase 1
um ihre Pendants in den Kulturministerien, eine bürokratisch-inhaltliche Tradition begründend, die
Zu den Gründern und Unterstützern im späteren
in Lublin, Kopenhagen und Vilnius mit mehr oder
Prozess zählten einige entschlossene Kulturinsti-
weniger Dynamik fortgesetzt wurde. Mindestens
tute7, die auch in EUNIC aktiv waren, sowie Stiftun-
ebenso wichtig war die Entwicklung von EUNIC,
gen8. Der Verfasser dieses Textes wurde als ‚Berater‘
das naturgemäß die Unterschiede im Wesen der
in das Steering Committee (SC) aufgenommen 9; als
nationalen Kulturinstitute bzw. Kulturabteilungen
Gastgeber der Initiative fungierte das Goethe-Ins-
der jeweiligen Ministerien reflektiert, was u. a. zu
titut Brüssel, das auch den organisatorischen Rah-
gewissen Problemen führte bezüglich der Nach-
men zur Verfügung stellte, und man einigte sich
haltigkeit von Governance von EUNIC und der Effek-
auf den etwas provokanten Namen trotz einiger
tivität seiner exekutiven Ebene in Brüssel. Auch
Bedenken vor allem derer, die daheim mit EU-Skep-
die derzeit 89 (!) Cluster in aller Welt spiegeln die
sis zu kämpfen haben. Das robuste operative Bud-
Vielheit und die Unterschiede, die Traditionen und
get wurde zunächst auf ein Jahr begrenzt, und ein
Ambitionen auf vielfältige Weise, produktiv oder
sehr kleines Team konnte unter der tatkräftigen
beharrend. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, etwa 2011/ 2012, wuchs der Handlungsdruck aus einer kritischen Masse von unbeantworteten Fragen nach Strukturen, Ressourcen und vor allem Inhalten; das Tempo wurde von vielen als lähmend 6 Vgl. den Bericht vom Treffen europäischer Außen- und Kulturpolitiker im ungarischen Pécs vom 22. bis 24. Juni 2011, „Culture may also play a conciliatory role“, online unter www.eu2011.hu/news/culture-may-also-play-conciliatory-role
7 Dies sind das Goethe-Institut, British Council (BC), das Institut Français, das Dänische Kulturinstitut, ifa (Institut für Auslandsbeziehungen), später auch AC/E (Acción Cultural Española); vgl. diesen Beitrag, S. 124. 8 European Cultural Foundation (ECF), Fritt Ord (Norwegen), später dann auch als Unterstützer die Allianz-Kulturstiftung, Fundação Calouste Gulbenkian sowie Experten aus deren kulturellen Netzwerken. 9 Weil er zu dieser Zeit nicht mehr Direktor der ECF, sondern für das österreichische Kulturministerium (BMUKK) tätig war.
122
MORE EUROPE – Kultur in den europäischen Außenbeziehungen
Führung von Sana Ouchtati unter dem Dach des
verlief reich an Selbstreflexion der Akteure, Kritik
Goethe-Instituts beginnen.
und Selbstkritik; der Vergleich der Konzepte von
Als die drei Kernaufgaben verstand man:
stärker zentralisierter und dezentraler Kulturarbeit
1. d ie öffentliche Debatte und Politikentwick-
(arm’s length principle) war wesentlich; der mittler-
lung unter aktiver Einbeziehung des Feldes,
weile oft zitierte Paradigmenwechsel von klassi-
der Experten, Künstler, Kulturschaffenden,
scheren Konzepten der Kulturdiplomatie zu einer
Medienleute, Intellektuellen, zivilgesell
mehr beziehungs- und kooperationsorientierten
schaftlicher Institutionen;
Kulturarbeit (wechselseitiges Lernen, Zuhören und
2. d ie advocacy, das kundige Werben für Fortschritte auf diesem Sektor, vis-à-vis den euro-
Verstehen etc.) wurde als neuer Standard von vielen begrüßt bzw. bestätigt.
päischen Institutionen, v. a. Parlament, Kom-
Insgesamt hat die Arbeit des ersten Jahres
mission und European External Action Service
(2012) zu den politischen ‚Verdichtungen‘ beigetra-
(EEAS), aber auch gegenüber dem Rat, den
gen, z. B. im Zusammenwirken zwischen Europäi-
Mitgliedstaaten;
schem Parlament und Kommission, wonach die Pre-
3. ‚Forschung‘ und Entwicklung, d. h. das Erfassen, Erarbeiten und Diskutieren von
paratory Action13 als Projekt ausgeschrieben wurde, die 2014 zum öffentlichen Abschluss kam.
inhaltlichen Positionen, die wiederum in 1. und 2. eingespeist werden sollten. Alle konkreten Informationen sind auf der Website
MORE EUROPE Phase 2
von MORE EUROPE zu finden, sowohl über die Konferenzen, die in Kooperation mit Partnern organi-
Inspiriert durch den relativen Erfolg dieser klei-
siert wurden10, die aktive Teilnahme an Veranstal-
nen Initiative sowie durch die Bewegung, die in
tungen von Partnern11, die Arbeitspapiere, z. B. das
die gesamte Szene gekommen war, hat das Stee-
in Kopenhagen vorgestellte Dossier von Damien
ring Committee beschlossen, die Arbeit von MORE
Helly,12 etc.
EUROPE fortzusetzen und finanziell weiter zu
Das Ergebnis dieser öffentlichen Konsultatio-
unterstützen. Im Jahr 2 seiner Existenz (2013) soll-
nen wurde in die advocacy eingespeist und mit den
ten die Debatten mit den Experten und Entschei-
Schlüsselpersonen in den Direktionen der Kommis-
dungsvorbereitern der Drittländer verstärkt aufge-
sion (Bildung und Kultur, Entwicklung, Forschung)
nommen werden, über alle horizontalen Themen
ebenso wie den Ausschüssen des Europäischen Par-
wie:
laments diskutiert, wobei einige der Kernvorstel-
•
lungen, wie etwa die strukturellen und personellen Voraussetzungen für bessere Koordination auf
„Kultur und …“ (z. B. „Kultur und Entwicklung“, „Kultur und Konfliktmanagement“ etc.),
•
EU-Ebene, sich schon recht früh herauskristallisier-
über Fragen der Kreativindustrie und des globalen Marktes,
ten (und 2013 realisierten). Die inhaltliche Debatte
•
über Fragen der neuen Medien und Kommu-
10 So z. B. Brüssel (gemeinsam mit dem European Policy Centre), Paris, Kopenhagen, Amsterdam, Warschau (gemeinsam mit EUNIC und dem österreichischen Kulturforum), Berlin (gemeinsam mit der Allianz-Kulturstiftung), Lissabon 2012 und Marseille 2013.
•
über Fragen wie Kultur und EU-Nachbarschaft,
•
über Kultur und strategische Partner der EU,
•
über Werte und Instrumentalisierung,
•
über neue Instrumente und Methoden der
nikationstechnologien,
11 In Prag über „Public and Cultural Diplomacy“ in Kooperat ion mit den tschechischen Ministerien für Kultur und Außenbeziehungen, sowie in Belgrad in Kooperation mit dem Culture Contact Point Serbia (CCP). 12 Vgl. http://www.moreeurope.org/?q=content/who-we-arewhat-we-do-together-and-how-avenues-european-externalcultural-relations
Kulturzusammenarbeit etc. Dabei sind große Veranstaltungen (Marseille 2013) und kleinere Beteiligungen (z. B. Arab-Balkan13 Vgl. http://ec.europa.eu/culture/news/20130109-preparatory-action_en.htm
123
WIKA-Report (Band 2)
Cooperation in Belgrad) den Facetten der Nachbar-
sowie mit dem Generalsekretariat des EEAS, dessen
schaftspolitik gewidmet worden (gegenüber der
Chef, der exekutive Generalsekretär, auch mehr-
östlichen Nachbarschaft bei der Warschauer Konfe-
fach bei MORE EUROPE-Veranstaltungen mit dis-
renz). Andere Gespräche (etwa mit der Türkei über
kutierte.
die spezifische neue Rolle des Landes, seine außenkulturpolitischen Erwartungen und die Verortung im Rahmen der Integrationsverhandlungen) oder
MORE EUROPEs ‚politische Chemie‘
mit den USA (im Rahmen der anlaufenden Verhandlungen zum Freihandelsabkommen) haben
Zu erwähnen ist einmal die führende Rolle des
nicht zu ähnlichen Großkonferenzen geführt.
Goethe-Instituts, das als besonders europäisches
Einmal wegen der politischen Lage in der Türkei,
Institut (siehe Satzung) und als besonders erfah-
zum anderen wohl wegen der höchsten Sensibili-
ren mit hoher kultureller Autonomie (im Rahmen
tätsstufe bezüglich Kultur und Freihandel, exemp-
der politischen Gesamtstrategie) sowie mit dem
lifiziert durch das französische Veto zur Einbezie-
finanziellen Rückhalt eines großen Instituts bereit
hung von Kultur. Andererseits wurden intensivste
und geeignet war, unorthodoxe guidance zu leisten
Kontakte gepflegt, die einige Mitglieder des Steering
und dabei einige Risiken einzugehen. Der Leiter
Committees individuell verstärkt in die Lage ver-
des Instituts in Brüssel hat sich dabei besonders
setzten, sich mit weiteren Partnern zu einem eige-
ausgezeichnet und konnte als Mitglied der Strate-
nen Konsortium zusammenzuschließen, das sich
giegruppe von EUNIC auch – im Wissen über jewei-
dann (erfolgreich) um die Ausführung der Prepara-
lige Stärken und Schwächen, Herausforderungen
tory Action bewarb, ein Konsortium, das mit MORE
und Chancen – konstruktive Gesprächs- und Ent-
EUROPE als solchem nicht zu verwechseln ist.
wicklungsangebote machen. Dazu kommt, dass die
Einzelne Mitglieder des Steering Committees
Position Deutschlands in Europa und der Welt sich
haben besonders zur Forschung beigetragen, so
in exakt diesen Jahren deutlich veränderte, was
etwa ifa14, das das „EUNIC-Jahrbuch“ zu Themen der
größere Verantwortung mit sich brachte. Im Kul-
Auslandskulturpolitik gestaltet. Das MORE EUROPE-
tursektor war Goethe seit vielen Jahrzehnten daran
interne Politikverständnis hat sich konsolidiert
gewöhnt, mittels offener Kulturarbeit im weiten
bzw. ausdifferenziert und konnte in die advocacy
Sinn und in der Arbeit mit künstlerischer Exzel-
eingebracht werden, z. B. vis-à-vis anderen General-
lenz, in hoher Autonomie ein aufgeklärtes Deutsch-
direktionen (DG) der Kommission, vor allem aber
landbild in Europa und der Welt zur (durchaus kon-
auch vis-à-vis dem EEAS, dem Auswärtigen Dienst.
troversen) Debatte zu stellen. Mit MORE EUROPE
Die verschiedenen Ebenen des Diskussions-
hat das Goethe-Institut einen weiteren Schritt der
prozesses sind systematischer zusammengeführt
Europäisierung unterstützt, den es allerdings nicht
worden, so waren etwa MORE EUROPE und Exper-
alleine hätte gehen können.
ten (etwa auch in der Preparatory Action aktiv) bei
Der British Council – mit durchaus anderen
Präsidentschaftskonferenzen eingebunden, etwa
jüngsten historischen Erfahrungen als Agentur
in Vilnius15; Vertreter von MORE EUROPE waren
eines EU-Mitgliedstaates, der sich z. B. stark im
im Europäischen Parlament zu Hearings über das
Irak engagiert hatte – hat ein hohes Interesse an
Thema; besonders intensiv war der inhaltliche Kon-
Internationalisierung in partnerschaftlicher Form
takt naturgemäß mit der DG „Bildung und Kultur“
(mutuality), an Konzepten wie Lerngemeinschaften
14 Der jüngste Forschungsbericht von ifa für MORE EUROPE wird im April 2014 vorliegen und einen Überblick über gegenwärtige EU-Funds bieten sowie zur Debatte über alternative Formen der Kooperation und des Funding geben. 15 Vgl. http://static.eu2013.lt/uploads/documents/Programos/ Informal%20Meeting%20of%20Senior%20Officials_Draft.pdf
etc., und ist darüber hinaus auch ein Institut, das mit einem viel geringer gewordenen Prozentsatz an öffentlichen Mitteln Kulturarbeit machen (und verdienen) muss. Damit sind Synergien, Kooperationsmodelle, EU-Partnerschaften besonders wichtig
124
MORE EUROPE – Kultur in den europäischen Außenbeziehungen
für den Council. Es ist nicht überraschend, dass es
der Sichtbarkeit her, sowie bezüglich Dissemina-
die Generalsekretäre des Goethe-Instituts und des
tion und europäischer zivilgesellschaftlicher Reich-
British Council waren, die nicht nur in EUNIC Füh-
weite.
rungsarbeit geleistet haben, sondern auch bei MORE EUROPE den Prozess signifikant unterstützen. Frankreich hat in den letzten Jahren intensiv
2012 ist dann ein sehr aktives neues Mitglied aufgenommen worden, ein neuer Spieler auf dem Feld, die spanische AC/E (Acción Cultural Española)16.
und in mehrere Richtungen über die Struktur sei-
Dem Charakter als befristete Initiative, die
ner Auslandssprach- und -kulturarbeit debattiert;
sich stark der Zivilgesellschaft und den Experten
es stand von Anfang an fest, dass das Institut Fran-
on the ground verpflichtet fühlt, ist es wohl auch zu
çais im Steering Committee von MORE EUROPE ver-
danken, dass sich die Organisation ein Höchstmaß
treten war und sehr aktiv an dessen Entwicklung
an Orientierung an inhaltlichen, kulturellen Kri-
mitgearbeitet hat, fast eine Bedingung sine qua
terien sowie an Flexibilität erhalten konnte. Die
non, wenn man die Bedeutung Frankreichs in der
Chemie, die Mischung und der ‚Biss‘ waren aber
europäischen Kulturpolitik in Erinnerung ruft.
offenbar so interessant, dass es von verschiedenen
Ergänzt wurde dieses starke Trio durch ein (auch
Seiten Appelle gegeben hat, die Arbeit nicht mit
finanziell) engagiertes kleineres Kulturinstitut,
dem Erreichen wesentlicher Ziele auf EU-Ebene
Dänemark, mit hohem Feeling für die Anliegen der
einzustellen, sondern über das Erbe unter neuen
weniger großen, und durch ifa, das den Forschungs-
Gesichtspunkten nachzudenken.
aspekt beförderte und für die Liaison zu EUNIC wichtig war. Dennoch, einer der Hauptunterschiede von
Zwischenspiel: Die ‚Preparatory Action‘
MORE EUROPE im Vergleich zu EUNIC ist nicht nur seine Kleinheit und zeitliche Limitierung als Pro-
Die Preparatory Action (PA) „Culture in EU External
jekt, später als „speed boat“ bezeichnet (verglichen
Relations“17 ist eine Initiative, finanziert durch die
mit dem Tanker, der sich langsamer bewegt), son-
Europäische Union, implementiert durch die Euro-
dern vor allem der zivilgesellschaftliche Charak-
päische Kommission, DG „Bildung und Kultur“,
ter von MORE EUROPE, repräsentiert durch sehr
mit der Unterstützung durch ein Konsortium aus
aktive Kernarbeit von Stiftungsvertretern sowie
acht Kulturinstituten und Organisationen, das eine
durch finanzielle und inhaltliche Partnerschaften.
entsprechende offene Ausschreibung gewonnen
Allen voran ist hier die erfahrene European Cultu-
hatte. Initiiert wurde die Preparatory Action durch
ral Foundation (ECF) zu erwähnen, die einzige pan-
das Europäische Parlament – in Verfolgung seiner
europäische Kulturstiftung von einiger Substanz,
Resolution über die kulturellen Dimensionen der
die dem Thema schon Jahre vorher verbunden war,
Europäischen Auswärtigen Aktion. Das Parlament
die auch exzellente Kontakte zu anderen wichtigen
hatte die Entwicklung einer sichtbaren gemeinsa-
Stiftungen und kulturellen Netzwerken einbrachte
men EU-Strategie gefordert. Die PA lief bis Mitte
und weiter aktiviert. So gelang es, die norwegische
2014 mit folgenden Etappen:
Stiftung Fritt Ord (Freies Wort) als wesentlichen
•
Partner zu gewinnen, ohne deren Hilfe die Finan-
gien in den Mitgliedstaaten und einer Reihe
zierung zu Beginn schwierig gewesen wäre und deren Ethos als eine Einrichtung, die dem offenen,
Mapping der Ressourcen, Zugänge und Stratevon Partnerländern,
•
Konsultationen mit einer weiten Vielfalt an
freien Wort verpflichtet ist, die inhaltliche Unab-
Stakeholdern aus der EU und Drittländern mit
hängigkeit wesentlich stärkte. Die Partnerschaft
dem Ziel, zur Entwicklung von Vision
mit anderen Stiftungen wie der Fundação Calouste
und Strategie beizutragen,
Gulbenkian und der Allianz-Kulturstiftung hat auf vielen Feldern Früchte getragen, inhaltlich, von
16 Vgl. http://www.accioncultural.es/ 17 Vgl. http://cultureinexternalrelations.eu/
125
•
WIKA-Report (Band 2)
Präsentation und Diskussion von Schlussfolgerungen und Empfehlungen für einen
MORE EUROPEs Zukunft
strategischen EU-Plan auf einer Schlusskonferenz.18
In diesem Lichte ist zu fragen, wie es mit MORE
Drittländer waren vor allem die EU-Nachbarn
EUROPE tatsächlich weitergehen soll. Wie gesagt,
sowie zehn strategische Partner wie China, die USA
es gibt lebhafte Zurufe aus allen Ecken, weiterzu-
und andere.
machen; es mag auch hie und da Sorge geben, dem
Das Konsortium besteht aus acht Partnerorga-
Wettbewerb geschuldet, und sicher gibt es ernst-
nisationen19 – assoziierter Partner ist EUNIC Global
hafte interne Überlegungen bei den Partnern in
– und wird von einem Team von Experten unter der
MORE EUROPE zu Vor- und Nachteilen, Kosten,
Leitung von Prof. Yudhishthir Raj Isar unterstützt.
Risiken und Chancen.
Das PA-Team ist weiter als das von MORE
Bloße Kontinuität macht keinen Sinn (das
EUROPE, folgt vollkommen eigenen Regeln, die von
Ziel scheint zunächst einmal erreicht), oder erst
der EU-Kommission vorgegeben sind, und ist letz-
und nur dann, wenn Zielparameter und auch die
terer verantwortlich. Selbstverständlich hat MORE
Arbeitsbedingungen und Modi Operandi verändert
EUROPE ein Interesse an möglichst guten Ergeb-
würden. Die Diskussion darüber orientiert sich
nissen der PA, noch dazu, wo einige Mitglieder in
unter anderem an:
beiden Initiativen tätig sind. Ein gutes Ergebnis
•
Fragen der Umwelt: Was kann das wesentlich
der Preparatory Action kann die Gesamtarbeit aller
größere und tendenziell sehr starke Netz-
(öffentlicher und privater, zivilgesellschaftlicher
werk EUNIC, ebenfalls unter Veränderungs-
und nationaler/transnationaler Akteure) auf eine
druck, hinsichtlich Governance, Management,
neue Stufe der Forschung und öffentlichen Debatte
Flexibilität und Tempo, Effizienz, Einbindung der Zivilgesellschaft erreichen und wann?
heben hinsichtlich Radius und Tiefe. Was besonders wichtig erscheint: Die Ergeb-
•
Fragen der politischen Governance: Wie können
nisse werden die Politik herausfordern. Es steht zu
die politischen Stakeholder national und euro-
erwarten, dass sich die entsprechenden Instanzen
päisch zu fruchtbarer Einigung kommen, die
damit sehr konstruktiv beschäftigen werden.
den Lehren der vielfältigen Vorarbeiten und den eigenen Erwartungen gerecht wird hin-
Damit hätte auch MORE EUROPE ein wesentli-
sichtlich Autonomie, Koordination, Synergie,
ches Ziel mit beeinflusst.
Strukturen, gelebter Komplementarität etc.? •
Fragen der Effizienz auch hinsichtlich Finanzierung und Autonomie der möglichen nächsten Generation der Initiative MORE EUROPE:
18 Anm. der Redaktion: Der vorliegende Beitrag wurde vor der Konferenz zu Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union („Culture in EU External Relations“) fertiggestellt, die am 7./8. April 2014 in Brüssel stattgefunden hat (vgl. http://cultureinexternalrelations.eu/conference/). In der Zwischenzeit ist auch ein Endbericht zur Konferenz erschienen, der online abrufbar ist unter http://cultureinexternalrelations.eu/wp-content/uploads/2013/05/Engaging-The-WorldTowards-Global-Cultural-Citizenship-eBook-1.5_13.06.2014. pdf; vgl. auch den Konferenzbericht von Bernd Thum im vorliegenden Band. 19 Neben dem Goethe-Institut Brüssel als lead organization sind dies BOZAR (Palais des Beaux-Arts de Bruxelles), British Council, Dänisches Kulturinstitut, European Cultural Foundation (ECF), ifa (Institut für Auslandsbeziehungen), Institut Français sowie KEA European Affairs.
eigener Rechtskörper mit finanzieller Handlungsfähigkeit und adäquaten Arbeitsbedingungen? •
den Erwartungshaltungen der Freunde von MORE EUROPE 2.0.
Es steht zu erwarten, dass bis zum Sommer 2014, jedenfalls nach dem Vorliegen der Ergebnisse der PA und der darauf folgenden ersten Diskussionen, eine Grundsatzentscheidung und die notwendigen konkreten Schritte vereinbart werden können.
126 MORE EUROPE – Kultur in den europäischen Außenbeziehungen
Literatur
Dittrich van Weringh, Kathinka/Schürmann, Ernst (2004): Braucht Europa eine Außenkultur politik? Does Europe Need a Cultural Foreign Policy? (Kulturpolitische Mitteilungen; Beiheft 3). Bonn: Kulturpolitische Gesellschaft. Fisher, Rod (2007): A Cultural Dimension to the EU's External Policies – From Policy Statements to Practice and Potential. Amsterdam: Boekmanstudies/LabforCulture.org. Peise, Robert (2003): Ein Kulturinstitut für Europa. Untersuchungen zur Institutionalisierung kultureller Zusammenarbeit. (Studien zur Kulturpolitik; 1). Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang.
Gottfried Wagner, Mag., Ministerialrat, geboren 1950 in Kitzbühel, nach dem Studium der Philosophie und
der Germanistik 15 Jahre Lehrer an einer Wiener AHS und an der Universität Wien. Ab 1990 im Bundesmi nisterium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK)
der Republik Österreich, ab 1994 Direktor von Kul
turkontakt Austria. Von 2002 bis 2009 Direktor der Europäischen Kulturstiftung in Amsterdam, einer
unabhängigen transnationalen Stiftung nach nie
derländischem Recht. Seit 2010 im BMUKK tätig, u. a. Beratung im Bereich (internationale) kulturelle Strate gien. – Kontakt: gottfried.wagner@bmbf.gv.at.
127
Augen haben die Revolten in den arabischen Staa-
Diskussion:
ten die dortigen Zivilgesellschaften zum politischen Akteur prädestiniert. Sie könnten, ahnt er, den europäischen Zivilgesellschaften intellektuell und strategisch noch nachhelfen. Das wird hierzu-
„Vom Raum des Wissens zum Raum des Handelns“
lande wohl als brisant empfunden werden. Vor den Europäern stehe nun die Aufgabe, ihr Kulturwissen in Richtung auf eine Gemeinsamkeit mit den Kulturen des MENA-Raumes weiterzuentwickeln. An diesem „gemeinsamen gesellschaftlich-kultu-
Anmerkungen zu Bernd Thum: „Ein Euro-Mediterraner Wissens- und Handlungsraum als strategisches Ziel“ (WIKA-Report Band 1)
rellen Wissen“, erklärt Thum zu Recht, mangelt es bislang. Eine Pointe, die für die interkulturelle Theorie der Kommunikation ein Stich sein dürfte, liegt in Thums Forderung, die Unterschiedlichkeit der Kulturen gerade nicht zu betonen – wie es Heerscharen von interkulturellen Trainern tun –, son-
von Armin Triebel (Berlin)
dern durch eine politische Dezision in Richtung auf die Schaffung eines gemeinsamen Wissensraums zu überspielen.
In einem Zeitungsartikel stellte Shimon Stein, der
Angesichts des Versagens von bestellten Poli-
ehemalige Botschafter Israels in der Bundesrepu-
tikern ist es einleuchtend, die ausstehende poli-
blik, 2011 fest, die Sicherheit und Stabilität Euro-
tische Gestaltung von den Zivilgesellschaften zu
pas hänge von der Situation in Nordafrika und im
erwarten. Aber was ist von einem „gemeinsamen
arabischen Raum ab (Stein 2011). Deshalb sei die
Wissensraum“ zu halten, in dem evangelische
Stabilisierung der Lage in den Ländern des MENA-
Kirchengemeinden sich allein schon gegen einen
Raumes von vitalem Interesse für Europa. Das ist
Abendvortrag über den Islam wehren und in dem
das politische Argument für die Intensivierung der
Populisten für ein ausländerfreies Europa Propa-
interkulturellen Kommunikation zwischen diesem
ganda machen? Auch darf man nicht übersehen,
Teil der Welt und Europa. Das kulturell-moralische
dass aus gewissen Ecken der nicht-staatlich orga-
Argument käme zu demselben Ergebnis, weil diese
nisierten Öffentlichkeit recht unangenehme Töne
Länder einschließlich der Regionalmacht Iran vor
schallen, die nicht auf demokratisch gestimmten
der Haustür Europas liegen und durch ein vielfäl-
Instrumenten zustande gekommen sind. In der
tiges historisches Erbe mit Europa und also auch
„Dritten Welt“ schlagen sich in den Mantel zivil-
mit Deutschland verbunden sind. Stein stellte den
gesellschaftlicher Akteure gerne auch Kriegs-
Europäern vor drei Jahren ein schlechtes Zeugnis
unternehmer und politische Duodezfürsten. Bei
aus. Die europäische Vision, dem Mittelmeerraum
dem beobachtbaren Ausmaß gegenseitigen Nicht-
Prosperität und Stabilität zu verleihen, sei geschei-
wissens und jederzeit mobilisierbarer Feindbilder
tert, und die Politik der Europäischen Union (EU)
wird die Rede von „verdichteter Kommunikation“
habe bis zur „Arabellion“ eigensüchtig, kurzsichtig
unheimlich. Wer von Zivilgesellschaft spricht, darf
und im Widerspruch zu den eigenen Fensterreden
also von institutionellen Sicherungen gegen illibe-
autokratische Systeme, die nicht den europäischen
ralen Populismus und vorurteilsbesessene Unduld-
Idealen von Freiheit und Demokratie entsprachen,
samkeit nicht schweigen.
gestützt.
Kennzeichen eines „dynamische[n] Wissens- und
Bernd Thum traut den gegenwärtigen Politi-
Entwicklungsraum[s] […] sind die ständigen wech-
kern der EU offenbar auch nicht viel zu. In seinen
selseitigen und zwar schöpferisch-konstruktiven
128
Vom Raum des Wissens zum Raum des Handelns – Replik auf Bernd Thum (2012)
Anpassungen“ (Thum 2012a: 91, S. 1). Da dieses Kenn-
Was Thum als Wissensraum begreift, ist im
zeichen auf viele politisch-geographische Räume
Prinzip ein weit anspruchsvolleres Konzept als die
verdichteter Kommunikation zutrifft, stellt sich in
Kulturkreise, die ein Samuel Huntington aus der
der Tat die Frage, worin das „kulturspezifisch dif-
Mottenkiste europäischer Denktraditionen herauf-
ferenzierte Kulturwissen“ des Euro-Mediterranen
geholt und für uns neu aufpoliert hatte. Die kol-
Raumes besteht. Hier öffnet sich noch immer ein
lektiven Identitäten, die Huntington mit seinen
weites Feld für die Erforschung und Konstruktion
Großregionen verbindet, sind Mischungen aus alt-
einer europäischen, speziell euro-mediterranen
europäischer Völkerpsychologie und zeitgeschicht-
Identität. Das gemeinsame Kulturwissen wird, so
lichen Vorurteilen und so gut wie immun gegen
hofft Thum, Folge „einer ‚Überprüfung und Neu-
Veränderung. Mit dem Begriff Wissensraum sind
ordnung‘ des Wissens im Euro-Mediterranen Raum“
im Sinne von Bernd Thum hingegen „als beweg-
(ebd.) sein.
lich begriffen[e] kulturell[e] und transkulturell[e]
Die neue, gemeinsame Wissensordnung ist eine
Bezugssysteme“ gegeben (Thum 2012a: 92, Sp. 2).
Aufgabe der Zukunft, und zwar „eine politische
Der Raum gemeinsamen kulturellen Wissens (dazu
Aufgabe“ (ebd., Sp. 2). Auf den letzten Seiten hält
auch Thum 2012b: 8, Sp. 1; vgl. auch Thum 2009: 82)
Bernd Thum Ausschau nach politischen Akteuren
schließt Grenzüberschreitungen, kulturelle Über-
und stellt die Frage aller Fragen: „Welche Politik?“.
blendungen, Mischungen und ein „Aushandeln von
Mit seiner Antwort wiederholt er indes nur Gedan-
Orientierungen“ ein (Thum 2012a: 91, Sp. 1).
ken vom Beginn seiner Überlegungen. Seine Ant-
Aber „Steuerung gesellschaftlicher Prozesse“,
wort besteht in der Forderung nach einem neuen
„Produktion von Wissen“ (Thum 2012a: 93, Sp. 1),
integ rierten, ‚euro-mediterranen‘ Kulturwissen
„wechselseitige Entfaltung“ und Neuordnung auf-
(Thum 2012a: 93, Sp. 2). Wie kann man diesen
grund von neuen Erfahrungen (Thum 2012a: 91,
Zirkel verlassen? Es sollen Denkprozesse in Gang
Sp. 1, im Anschluss an den britischen Soziologen
gebracht, gemeinsame Kulturaktivitäten entfaltet
Ginsberg) sind kein Spezifikum des europäischen
und Wissensbestände ausgetauscht werden. Das
Großraums, sind Prozesse, die in jedem dynami-
allein lässt gleichwohl noch keine Spezifik einer
schen Wissenssystem, wie der Verdichtungsraum
euro-mediterranen Identität erkennen.
USA zeigt, ablaufen. Wohin soll gesteuert werden?
Zum großen Teil dürfte die Zirkularität, in der
Welchen Zwecken dient die Entfaltung nachbar-
Thum den Leser umtreibt, von einem unvollstän-
schaftlicher Geister? Worin besteht die Neuord-
dig bestimmten Begriff der Identität herrühren.
nung des Wissens? Welchen Regeln unterliegt und
Identität erklärt Thum (2012: 92, Sp. 1) als „nicht
auf welchen Institutionen beruht das neue ‚Wis-
weiter hinterfragt[e] [Muster] des Wahrnehmens,
sensregime‘?
Denkens, Verhaltens und Handelns“. Diese Formu-
Was bedeutet es für das gemeinsame Kultur-
lierung lässt offen, wo diese Muster herrühren. Bie-
wissen, dass es mit gemeinsamer Identität verbun-
dere Kulturalisten bemühen hier essenzialistisch
den ist, dass Wissensräume durch „ein räumliches
völkerpsychologische Stereotype oder mentale Soft-
Bewusstsein von Gemeinschaft“ (Thum 2012a: 95,
ware. Kollektive Identität bildet sich indes zuvör-
Sp. 1) entstehen? Wenn Thum behauptet, Identität
derst im Wissen um die Verschiedenheit zu einem
„entwickelt sich in einem Raum ‚offenen‘ Wissens“
konkreten Gegenüber (unbeschadet der Tatsache,
(ebd.: 92, Sp. 2), so ahnen wir, ihm schwebt vor,
dass alle Wir-Gruppen ihrer Identität durch essen-
dass sich die im Lauf der Zeit verbauten Grenzen
zialistische Überhöhung den Anschein des Natürli-
zum Denken unserer Nachbarn im Süden wieder
chen und Überzeitlichen zu geben versuchen). Kol-
öffnen. Eine große Perspektive! Aber Identitäten
lektive Identitäten entstehen und festigen sich vor
leiten sich vom – stets wandelbaren – Bewusstsein
allem in der Bestimmung des Nicht-Identischen:
der Alterität her. So kann die Identität des Groß-
Wer gehört bei Lage der Dinge nicht zu uns?
raums Lateinamerika zu bestimmten Zeitpunkten
129
WIKA-Report (Band 2)
in der gemeinsamen Sprache und dem Ressenti-
Wenn es gelingt, mit einem veränderungs-
ment gegenüber den USA gefunden werden. In
sensiblen Begriff von Identität das Spezifische am
Afrika wird versucht, sich z. B. durch eine von
europäischen bzw. euro-mediterranen Wissen im
essenzialistischen Anmutungen befreite Négritude
Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert heraus-
gegenüber dem Norden zu definieren. Europa ist
zuarbeiten, kann der Weg über die Formulierung
seit seiner Verselbständigung, dem Fall des Eiser-
einer modernen europäischen und euro-mediter-
nen Vorhangs, in der Formulierung und Praktizie-
ranen Identität zu einer europäischen Vision für
rung einer eigenen Identität noch nicht sehr fort-
den Großraum Europa–Mittelmeer im 21. Jahrhun-
geschritten.1 Oder soll „Festung Europa“ das euro-
dert weiterführen und damit eine Politik gestalt-
mediterrane Narrativ sein?
bar werden, die Shimon Steins negative Diagnose
„Welche Politik also für den Euro-Mediterranen
hinter sich lässt.
Raum?“ (Thum 2012a: 92, Sp. 2). Thums Frage bleibt mithin unbeantwortet, obwohl er (ebd.: 93, Sp. 2) konkrete Vorschläge für Verhaltensänderungen
Literatur
zivilgesellschaftlicher Akteure auflistet. Seine kurzen Hinweise auf politisch orientierende Themen (Thum 2012a: 94, Sp.2) müssen nun mit der Bereit-
Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart
schaft zu europäischer Profilschärfung aufgenom-
(1972–1997): Geschichtliche Grundbegriffe:
men werden. An den „Linien politischen Handelns
historisches Lexikon zur politisch-sozialen
zur Sicherung einer gerechten Ordnung des Zusam-
Sprache in Deutschland. Stuttgart: Klett-Cotta.
menlebens“, an den Erwartungen an soziale Sicherheit, an den Determinanten gesellschaftlicher Hand-
Haller, Gret (2002): Die Grenzen der Solidarität.
lungsfähigkeit, nicht zuletzt am Umgang mit Reli-
Europa und die USA im Umgang mit Staat, Nation
gion muss sich europäisches Kulturwissen erst noch
und Religion. 2. Aufl., Berlin: Aufbau-Verlag.
kristallisieren. Zur Bearbeitung dieser Themen wäre in der Tat das faszinierende Projekt eines Lexikons
Huntington, Samuel P. (1997): Der Kampf der
kultureller Leitbegriffe für den euro-mediterranen
Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik
Raum – man denkt unverzüglich an eine plurikultu-
im 21. Jahrhundert. München: Europaverlag.
rell multiplizierte Auflage des Lexikons „Geschicht-
(Zuerst engl. (1996): The Clash of Civilizations
liche Grundbegriffe“, welches die Historiker Otto
and the Remaking of World Order. New York:
Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck
Simon & Schuster.)
(1972–1997) für den deutschsprachigen Raum realisiert haben – ein Meilenstein. Hier könnte paradig-
Stein, Shimon (2011): Ab in den Süden. Der
matisch herausgearbeitet werden, worin aufgrund
arabische Frühling bedeutet eine ungeheure
der gegebenen Situation des Mittelmeerraumes und
Chance für die Mittelmeerregion. Doch
ihrer äußeren Lage in der Weltgemeinschaft die dif-
Europa droht diese Chance zu verpassen.
ferentia specifica einer euro-mediterranen Identität im
In: DIE ZEIT, Nr. 21, 19.5.2011, S. 13.
Kontrast zu anderen globalen Wir-Gruppen besteht. 1 Das Bewusstsein von der Gemeinsamkeit des Kulturraumes mit den arabischen Kulturen und dem Iran ist in der deutschen Öffentlichkeit kaum vorhanden, ebenso wenig von der spezifischen Mission Europas in der Welt. Hinweise zu den Konzeptionen von Rechtsetzung und den Wissensund Glaubenstraditionen, die zur Unterscheidung Europas z. B. von den USA mobilisiert werden können, gibt Gret Haller (2002). Diese Differenzen hat die deutsche Öffentlichkeit noch kaum wahrgenommen.
Thum, Bernd (2009): Geisteswissenschaften und Technik auf dem Weg zu neuen Wissensräumen. In: ders./Maaß, Kurt-Jürgen (Hg.): Deutsche Hochschulen im Dialog mit der arabischen Welt. (Wissensraum Europa–Mittelmeer; 1). Karlsruhe: KIT Scientific Publishing, S. 76–93.
130 Vom Raum des Wissens zum Raum des Handelns – Replik auf Bernd Thum (2012)
Thum, Bernd (2012a): Ein Euro-Mediterraner Wissens- und Handlungsraum als strategisches Ziel. Kulturpolitische Überlegungen zu Konzep tion und Programm. In: Bauer, Gerd Ulrich/ ders. (Hg.): Internationale Bildungsbeziehungen. WIKA-Report Band 1. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik). Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, S. 87–97. Thum, Bernd (2012b): Ein ‚euro-mediterraner Raum‘ vom Niger bis zum Nordkap, von Dublin bis Damaskus? In: ders. (Hg.): An der Zeitenwende – Europa, das Mittelmeer und die arabische Welt. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik; 1). Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, S. 7–9.
Dr. Armin Triebel, studierte Geschichtswissenschaf ten, Philosophie, Germanistik und Linguistik an den
Universitäten Düsseldorf, Bonn und Bielefeld; Promo tion in Berlin 1990; Erster Vorsitzender des Sozialwis
senschaftlichen Studienkreises für Interkulturelle Per spektiven e. V. Forschung und Lehre auf den Gebieten:
Differentieller Konsum/quantitative Lebensstandard analyse; Geschichte des Ersten Weltkriegs; Alphabeti
sierung und Modernisierung in der Dritten Welt – am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Berlin), an der Freien Universität Berlin, an der Humboldt-
Universität Berlin und an der Universität Potsdam. Gegenwärtige Arbeitsgebiete: Interkulturelle Kom munikation und interkultureller Dialog; Beziehungs
geschichte zwischen Europa und dem Islam und die
Politik im Nahen und Mittleren Osten; Methodik des Gesellschaftsvergleichs; Theorie der Politik. – Kon takt: triebel@ssip-web.de – www.ssip-web.de
131
1981: 39, Anm. 1). Jedoch ist wahrscheinlich, dass
Karl Lamprechts Rede „Über auswärtige Kulturpolitik“ (1912) Eine Würdigung anlässlich der hundertsten Wiederkehr ihres Jahrestags
der Begriff bereits vorab in einschlägigen institutionellen bzw. politischen Diskursen verwendet wurde und im v. a. englisch- und französischsprachigen Ausland zeitgenössische Entsprechungen aufwies. Lamprecht kommt allerdings das Verdienst zu, den Terminus erstmals als Titel einer Publikation verwendet zu haben, und damit steht der Historiker am Ausgangspunkt einer beachtlichen Reihe einschlägiger wissenschaftl icher Veröffentlichungen zu Theorie und Praxis deutscher und internationaler Außenkulturpolitik. Dieser
von Gerd Ulrich Bauer (Bayreuth/Bad Vilbel)
Umstand soll im vorliegenden zweiten Band des WIKA-Reports durch einen Rückblick und mit dem Wiederabdruck der Rede Karl Lamprechts von 1912
Seit gut fünf Jahrzehnten beschäftigt sich die Wis-
(S. 137 ff.) gewürdigt werden – aus Anlass ihres hun-
senschaft mit (deutscher) Auswärtiger Kulturpoli-
dertsten Jahrestags.
tik, nimmt man als früheste Zeugnisse etwa die Hochschulschriften von Richard Martinus Emge
Karl Lamprechts Werk und Wirken
(1967), Manfred Regnery (1972), Karl Lindemann (1975) und Kurt Düwell (1976). Dass der Begriff ‚aus-
Doch wer war der Heidelberger Redner, den außer-
wärtige Kulturpolitik‘ um einiges älter und erstma-
halb der Historikerzunft heute kaum jemand noch
lig vor genau einhundert Jahren im Druck nach-
kennt? Karl Gotthard Lamprecht wurde am 25. Feb-
weisbar ist, darauf ist in der Forschung verschie-
ruar 1856 in Jessen/Elster geboren und starb am 10.
dentlich hingewiesen worden (vgl. etwa Düwell
Mai 1915 in Leipzig (Weber 1987; Schorn-Schütte
1976: 14ff.; Kloosterhuis 1994 [1981]: 8; Bauer 2010:
1991). Als Professor für Geschichte an der Univer-
4 und 61f.). Demnach war es der Leipziger Histo-
sität Leipzig wurde Lamprecht vor allem durch
riker Karl Lamprecht, der anlässlich einer Tagung
seine Rolle im sogenannten „Methodenstreit“ der
des Verbandes für internationale Verständigung
Geschichtswissenschaft bekannt, der in der Fach-
am 7. Oktober 1912 in Heidelberg eine Rede mit
literatur gelegentlich auch als „Lamprecht-Streit“
dem Titel „Über auswärtige Kulturpolitik“ versah
bezeichnet wird (vgl. Schorn-Schütte 1991: 175).
und diese unmittelbar darauf auch einem größe-
Lamprecht studierte ab 1874 an den Universitäten
ren, interessierten Publikum als Veröffentlichung
zu Göttingen und Leipzig Geschichte sowie in Mün-
zugänglich machte.1 Lamprecht gibt an, den Termi-
chen Kunstgeschichte. Unter dem Einfluss des Nati-
nus ‚auswärtige Kulturpolitik‘ als Bezeichnung für
onalökonomen Wilhelm Roscher beschäftigte sich
eine eigenständige Form der Außenpolitik erstmals
Lamprecht verstärkt mit der Wirtschafts- und Sozi-
1908 selbst verwendet zu haben (vgl. Wiese-Schorn
algeschichte („Culturgeschichte“) und promovierte 1878 an der Philosophischen Fakultät der Universi-
1 Kurt Düwell hebt die Bedeutung Lamprechts als ‚Anreger‘ hervor und paraphrasiert in seiner geschichtswissenschaftlichen Habilitationsschrift die Begründungsargumentation Lamprechts für die systematische Entwicklung einer auswärtigen Kulturpolitik. Düwell fügte seiner Publikation die genannte Rede als Dokumentenanhang 1 bei (Düwell 1976: 255ff.). Darüber hinaus finden sich mehrere, von Lamprecht selbst veranlasste zeitgenössische Veröffentlichungen der Rede (Lamprecht 1912a, 1912b, 1913); vgl. hierzu Rüdiger vom Bruch (1981: 66, Anm. 102).
tät Leipzig bei Wilhelm Roscher und Carl von Noorden mit der Abhandlung „Beiträge zur Geschichte des französischen Wirtschaftslebens im elften Jahrhundert“ (Lamprecht 1878a). Nach Ablegen des Staatsexamens für das höhere Lehramt im Königreich Sachsen 1879 wurde Lamprecht Hauslehrer bei dem Kölner Bankier
132 Karl Lamprechts Rede „Über auswärtige Kulturpolitik“ (1912). Eine Würdigung zum 100. Jahrestag
Deichmann. In dessen Haus lernte er den rheini-
eines Volkes“ (ebd.).3 Damit stellte er sich gegen die
schen Industriellen, Großbankier und liberalen
in der zeitgenössischen Wissenschaft dominie-
Politiker Gustav von Mevissen kennen, der Lam-
rende, auf Franz Leopold von Ranke (1795–1886)
prechts Studien zur rheinischen Wirtschaftsge-
zurückzuführende Geschichtsauffassung des Histo-
schichte durch ein Stipendium ermöglichte. 1883
rismus. Jene verfolgte die Aufgabe, durch einen sys-
habilitierte sich Lamprecht in Bonn und veröf-
tematischen und quellenkritischen Ansatz (‚Objek-
fentlichte 1885 den ersten Teil seines durch Mevis-
tivität‘) darzulegen, „wie es eigentlich gewesen sei“,
sen geförderten vierbändigen Werks „Deutsches
und konzentrierte sich dabei – nach Ansicht ihrer
Wirtschaftsleben im Mittelalter“. Im gleichen Jahr
Kritiker einseitig – auf die politische Geschichte.
wurde er zum außerordentlichen Professor in Bonn
Rankes oben genanntem Diktum setzte Lamprecht
ernannt. 1890 erhielt Lamprecht den Ruf als ordent-
entgegen, es komme vielmehr darauf an, „wie es
licher Professor nach Marburg, übernahm jedoch
geworden ist“. Sein Ansatz betonte die Bedeutung
bereits 1891 den Leipziger Lehrstuhl für mittelal-
der Kulturgeschichte, der materiellen Faktoren,
terliche und neuere Geschichte, den er bis zu sei-
die zur Herausbildung von Gesellschaften beige-
nem Tode 1915 innehatte. In den Folgejahren ent-
tragen haben, sowie von Gruppen („Assoziationen“)
wickelte Karl Lamprecht vielfältige hochschul-
in der Geschichte. Nicht „große Männer“ seien es,
und kulturpolitische Aktivitäten, die ihm sowohl
die Geschichte machen – für die Ausprägung von
im Deutschen Reich als auch im Ausland Ansehen
Gesellschaft seien vielmehr die Umgebung (u. a.
verliehen. So gründete Lamprecht 1898 zusammen
die Faktoren Klima und Raum), wirtschaftliche
mit dem Geografen Friedrich Ratzel 2 das histo-
Entwicklungen sowie sozial-psychische (Kultur,
risch-geografische Seminar, 1906 das „Seminar für
Gesamthabitus einer Gemeinschaft) und indivi-
Landesgeschichte und Siedlungskunde“ sowie 1909
dual-psychische Faktoren verantwortlich (Schorn-
das dem Ministerium direkt unterstellte „Königli-
Schütte 1998: 502). Karl Lamprecht verfolgte unter
che Institut für Kultur- und Universalgeschichte“
dem Einfluss der Kultur- und Völkerpsychologie
(Steinberg 1971: 59). Als Rektor der Universität Leip-
von Wilhelm Wundt (1832–1920) die Annahme, dass
zig gestaltete er 1910/11 die Studienreform mit und
sich in geschichtlichen Vorgängen kausal-gene-
verankerte u. a. die Stellung der Fachschaft in der
tische Regelhaftigkeiten abbildeten. Kulturent-
Universitätsverfassung.
wicklung erweise sich somit „als fortschreitende
Wissenschaftlich hingegen blieb Karl Lamp-
Differenzierung und Integrierung der menschli-
recht in der Historikerzunft ein Außenseiter. Mit
chen Seele“, und einzelne Zeitalter repräsentierten
seinem Hauptwerk, der mehrbändigen „Deutschen
spezifische Phasen dieser Entwicklung (Steinberg
Geschichte“ (1912–1913), verfolgte Lamprecht das
1971: 64). Aus dieser Erkenntnis leitete Lamprecht
Ziel, die Wechselwirkungen materieller und geis-
die Forderung ab, auf Grundlage einer empirischen
tiger Entwicklungen in der deutschen Geschichte
Bestimmung von „seelischen Entwicklungsstufen
herauszuarbeiten, um „einheitliche Grundlagen
der Nation, den Zeitaltern des symbolischen, typi-
und Fortschrittsstufen“ in der Entfaltung geistiger
schen, konventionellen, individualistischen und
und materieller Kultur nachzuweisen (vgl. Stein-
subjektivistischen Seelenlebens“ eine Lehre der
berg 1971: 59). Programmatisch forderte er für die
sogenannten „Kulturzeitalter“ zu etablieren (ebd.).
Historiografie eine „Geschichte des Individuums –
Mit seinen Positionen stieß Karl Lamprecht auf
als notwendigsten Bestandteiles für die Gliederung
den Widerstand der deutschen Geschichtswissenschaft, insbesondere der sogenannten Neorankeaner, darunter Georg von Below, Max Lenz, Felix
2 S. zu Friedrich Ratzel auch den Beitrag von Kurt Düwell im vorliegenden Band.
3 Hans-Josef Steinberg zitiert hier ohne näheren Beleg aus der 1878 entstandenen, jedoch erst 1909 erschienenen Studie Karl Lamprechts „Über Individualität und Verständnis für dieselbe im deutschen Mittelalter“ (Lamprecht 1878b [1909]).
133
WIKA-Report (Band 2)
Rachfahl, Hans Delbrück, Friedrich Meinecke, Her-
Welt- und Geschichtsbildes (vgl. Lamprecht 1914a).
mann Oncken, Max Weber und Gustav von Schmol-
Karl Lamprecht engagierte sich im „Verband für
ler. Der teilweise unsachlich und diffamierend
internationale Verständigung“ mit Sitz in Ober-
geführte „Methodenstreit“ entzündete sich neben
ursel (Taunus), dessen Ausschuss (Beirat) er ange-
der Abkehr von herrschenden Lehrmeinungen sei-
hörte. Bei dieser Vereinigung handelt es sich um
ner Zeit v. a. an Karl Lamprechts flüchtiger Arbeits-
den 1911 von Otfried Nippold und Alfred Hermann
weise, die seine Kritiker zu einer Detailkritik ver-
Fried gegründeten deutschen Zweig einer auch in
anlasste, an einer ungenügenden wissenschaftsthe-
Frankreich und den Vereinigten Staaten von Ame-
oretischen Begründung seiner Methode (Steinberg
rika aktiven pazifistischen Organisation, die auf
1971: 62) und ferner am Vorwurf des Materialismus.
Initiative des französischen Diplomaten und Pazi-
Mit Ausnahme der sich um 1900 herausbilden-
fisten Paul Henri Benjamin Balluet d'Estournelles de
den Sozialgeschichte (vgl. Eibach 2002) sind Lam-
Constant (1852–1924), Friedensnobelpreisträger von
prechts Positionen ohne Einfluss auf die deutsche
1909, ins Leben gerufen wurde.
Geschichtswissenschaft geblieben. Im Ausland hingegen fand seine Geschichtsauffassung positive
„Über auswärtige Kulturpolitik“
Resonanz und übte z. B. in Frankreich Einfluss auf die strukturgeschichtliche Annales-Schule aus.
Nationalliberaler und Pazifist
Es war eine Tagung dieses Verbandes für internationale Verständigung in Heidelberg, auf der Karl Lamprecht seine Überlegungen zur Auswärtigen Kulturpolitik präsentierte. Obgleich seither ein-
Was angesichts der fachlichen Einordnung des
hundert Jahre vergangen sind, erscheinen einige
Lamprecht'schen Werks in der Würdigung sicht-
der präsentierten Gedanken – etwa zur Internati-
lich untergeht, ist der Hinweis auf seine politi-
onalisierung der Wissenschaften – sehr aktuell,
schen Ansichten. Lamprecht stand nationallibe-
wenngleich die Sprache und Terminologie sich
ralen Positionen nahe. Mit der Jahrhundertwende
seither deutlich verändert hat und der teils unter-
näherte sich Lamprecht
schwellige, teils deutlich an die Oberfläche drän-
„imperialistischem und Machtstaatsden-
gende nationale Pathos erfreulicherweise der Ver-
ken bei gleichzeitiger Distanz zu den All-
gangenheit angehört.
deutschen einerseits, Annäherungen an
Im Kern seiner Rede hebt Lamprecht den ent-
den westeuropäischen Pazifismus anderer-
scheidenden Beitrag hervor, den die deutsche
seits“ (Schorn-Schütte 1991: 175).
Geschichtswissenschaft im Sinne einer – als Desi-
Den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebte Lam-
deratum formulierten – theoretischen und pro-
precht in „nationale[m] Überschwang“ (Steinberg
grammatischen Begründung für eine sich vorerst
1971: 65), er charakterisierte diesen Krieg als
nur als Praxis entwickelnde Auswärtige Kulturpo-
„ein letzter Kampf des Germanentums und
litik zu leisten vermöge (Lamprecht 1913: 3). Eine
des lateinischen Slawentums gegen die ein-
derart gefestigte Außenpolitik liege schon allein
dringende östliche Barbarei, und eine ein-
durch die Konkurrenz der „anderen großen Kul-
zige grade Linie führt von den Kämpfen
turstaaten oder richtige[n] Kulturvölker“ (ebd.)
gegen Hunnen und Magyaren und Türken
im eigenen Interesse des Deutschen Reichs, etwa
bis zu den sich soeben entfaltenden Ereignis-
um Einfluss auf Auslandsmedien auszuüben und
sen der Gegenwart“ (Lamprecht 1914a: 14f.).
damit das internationale Ansehen der Nation zu
Bei siegreichem Ausgang dieses Krieges sah Karl
wahren. Lamprecht nimmt die weiter oben skiz-
Lamprecht die Chance für eine mitteleuropäische
zierten Grundgedanken seiner Geschichtsauffas-
Föderation ‚sittlich hochstehender‘ Gesellschaf-
sung zum Ausgangspunkt weiterführender Über-
ten, ganz im Sinne seines kulturmorphologischen
legungen. Ein Verständnis anderer Völker sei ohne
134 Karl Lamprechts Rede „Über auswärtige Kulturpolitik“ (1912). Eine Würdigung zum 100. Jahrestag
„historisches Einfühlen“ in deren Entwicklung
internationale Auffassung der Menschheit“ (ebd.:
(bzw. im Lamprecht'schen Gesellschaftsmodell:
13) geprägt sei. Lamprecht setzt seine Hoffnung
erreichter ‚Kulturstufe‘) (ebd.: 4) nicht möglich.
dabei auf die jüngere Wissenschaftler-Generation
Dabei ergänzt er die bereits angeführten Einfluss-
und deren im Ausland erworbenes Verständnis des
faktoren – namentlich die ‚innere evolutionisti-
jeweiligen Gastlandes, aus dem der Geist einer Ver-
sche Entwicklung‘ und den Einfluss von Klima und
ständigung erwachsen könne:
Raum – um den Einfluss „fremder menschlicher
„Denn auf welchem Wege als dem beschrie-
und das heißt geistiger Kräfte auf eine gegebene
benen könnte besser eine auserlesene geis-
nationale Einheit“ (ebd.: 6). Dabei hat Lamprecht
tige Mannschaft internationaler Sympa-
offenbar weniger den Einfluss von ‚fremden‘ Indi-
thien und gegenseitigen Verständnisses der
viduen im Sinne, wie sie Georg Simmel unmittel-
Völker gewonnen werden? Die Nation aber,
bar zuvor aus soziologischer Sicht (1908) in seinem
die diesen Weg zuerst mit Entschieden-
Essay „Exkurs über den Fremden“ am Beispiel des
heit betritt, wird sich einen wichtigen Vor-
Händlers, und hier insbesondere des europäischen
sprung für die große Aufgabe der Regelung
Juden beschrieben hat (Simmel 1908 [1968]: 510).
internationaler Freundschaften und Zusam-
Vielmehr bezieht sich Lamprecht zunächst auf
menhänge verschafft haben.“ (Ebd.: 14)
historisch belegbare und wissenschaftlich unter-
Es nimmt nicht Wunder, dass nach Lamprechts Vor-
suchte Formen eines allgemeinen, über-indivi-
stellung die deutsche Nation prädestiniert sei, hier
duellen Kulturkontakts: den Einfluss des klassi-
eine Vorreiterrolle einzunehmen. Im Rückblick auf
schen Denkens und der ästhetischen Konzepte der
einhundert Jahre Zeitgeschehen und politische Ent-
griechischen und römischen Antike auf europäi-
wicklungen erscheinen die Schritte zwischen Karl
sche Kulturen des 15. und 16. Jahrhunderts sowie
Lamprechts Überlegungen aus dem (Vorkriegs-)
den kulturellen Einfluss Chinas auf Japan. Diese
Jahr 1912 und späteren Positionen der bundesrepu-
ließen jedoch keinen Rückschluss zu auf solche
blikanischen Auswärtige Kultur- und Bildungspo-
Momente des Kulturkontakts (von Lamprecht auch
litik nicht so groß. Auch den heute gültiven Kon-
als ‚Rezeption‘ bezeichnet), die nicht eine gesamte
zepten und Programmen geht es um den Dialog
Gesellschaft, sondern lediglich Teile daraus betref-
mit der internationalen Gemeinschaft der Staaten
fen oder die zwischen Völkern und Kulturen auf
sowie mit anderen (‚fremden‘) Gesellschaften, um
unterschiedlicher ‚Kulturhöhe‘ erfolgten (ebd.: 9f.).
Verständnis und Verständigung als Voraussetzung
So problematisch dieses Menschen- und Weltbild
für eine internationale Politik, um Austausch und
der evolutionistischen Kulturtheorie Lamprechts
Zusammenarbeit zwischen Menschen und Kul-
aus heutiger Sicht ist, so bleibt am Ende die idea-
turen. Allerdings hat sich Lamprechts Forderung
listische Forderung nach Verständnis bzw. Verstän-
nach einer Beteiligung der Wissenschaft(en) an
digung als notwendige Voraussetzung und Grund-
der Entwicklung einer angemessenen Außenpoli-
lage einer äußeren Kulturpolitik (ebd.: 10f.).4 Das
tik5 in der Zwischenzeit keineswegs überholt, wie
entworfene Projekt einer Universalgeschichte auf
das Engagement des Instituts für Auslandsbezie-
Grundlage kulturgeschichtlicher Studien erscheint
hungen mit dem Wissenschaftlichen Initiativkreis
folglich geradezu innovativ: als kollaborative Vor-
Kultur und Außenpolitik (WIKA) belegt. Und damit
haben (ebd.: 11) internationaler Wissenschaftler-
erscheint Lamprechts Rede auch nach hundert Jah-
teams (ebd.: 13), deren Bereitschaft zu internatio-
ren überraschend zeitgemäß.
naler Mobilität und interkulturellem Lernen durch eine „reine Atmosphäre hohen menschlichen Wollens, Denkens und Empfindens, […] eine wahrhaft 4 Vgl. hierzu auch das Vorwort von Ronald Grätz zum vorliegenden Band 2 des WIKA-Reports.
5 Angesichts der sich abzeichnenden Aufgabenfülle und der begrenzten Ressourcen des Auswärtigen Amtes macht sich Lamprecht in einer späteren Rede bzw. Veröffentlichung gar Gedanken über die Gründung eines „Amtes für äußere Kulturpolitik“ (Lamprecht 1914b: 82) bzw. eines „Reichamtes für auswärtige Kulturpolitik“. Vgl. hierzu Wiese-Schorn (1981).
135
WIKA-Report (Band 2)
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Wundt und Max Klinger. Leipzig: S. Hirzel.
137
WIKA-Report (Band 2)
Anmerkung zum Abdruck der Rede Nachstehend ist Lamprechts Vortragstext auf Grundlage der 1913 veröffentlichten Fassung wiedergeben.6 Um ein Zititeren zu ermöglichen, sind die originalen Seitenumbrüche sowie die auf S. 3 beginnende Paginierung an den entsprechenden
Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)
Textstellen durch Markierungen und hochgestellte Seitenangaben gekennzeichnet. Fußnoten wurden, sofern nicht anders gekennzeichnet, aus dem Original übernommen. Lamprecht stellt der Veröffentlichung von 1913 eine Fußnote voran, in der er die Absicht avisiert, den Redetext zu erweitern und der
Rede, gehalten am 7. Oktober 1912 auf der Tagung des Verbandes für internationale Verständigung zu Heidelberg.
Neuauflage einer früheren, hochschulpolitischen Publikation beizufügen. In der Tat ist bereits 1912
Seit wann ist wohl bei uns das Wort Kulturpolitik
in der Weidmannschen Buchhandlung zu Berlin
gebräuchlich geworden? Ich glaube, nicht länger
eine Sammlung „Reden und Ansprachen zur Hoch-
denn seit einem Jahrfünft. Und noch immer wird
schulreform“ als erweiterte Neuauflage erschienen
es vornehmlich, wenn nicht ausschließlich, nur
(Lamprecht 1912b), der als letzter Beitrag die Heidel-
auf die innere Politik angewendet. Die anderen gro-
berger Rede beigefügt wurde – allerdings in nicht
ßen Kulturstaaten oder richtiger Kulturvölker trei-
bearbeiteter Form. Die irritierende Reihenfolge der
ben aber inzwischen bereits viele Jahre lang auch
angegebenen Veröffentlichungsjahre ist womög-
äußere Kulturpolitik. So vor allem die Franzosen
lich durch Überschneidungen bzw. eine unter-
und die Nordamerikaner; mehr indirekt auch die
schiedliche Herstellungsdauer in den Druck- und
Engländer. Und schon hat sich experimentell und
Verlagshäusern zu erklären. Auffällig ist ebenfalls
intuitiv eine Reihe von Grundsätzen herausgebildet,
der kurze zeitliche Abstand zwischen der Rede aus
nach denen man dabei verfährt. Man muss, um sie
dem Oktober 1912 und ihrer mehrfachen Veröffent-
kennen zu lernen, die Berichte vor allem der Mis-
lichung. Auch wenn Lamprecht nach eigenen Anga-
sionen, daneben für Frankreich die Mitteilungen
ben eine Überarbeitung und Erweiterung vorge-
der Alliance française, für Amerika auch die Nach-
habt hat, so wurde dieses Vorhaben, womöglich auf-
richten über die Politik der Vereinigten Staaten
grund des Kriegsausbruchs 1914 sowie des Todes von
in Südamerika und in China verfolgen, um einen
Karl Lamprecht im Jahre 1915, nicht mehr realisiert.
genügenden Eindruck von der lebhaften Tätigkeit auf diesem Gebiete zu erhalten. Freilich, eine systematische und prinzipiell zu bestimmten Vorstel-
Dr. Gerd Ulrich Bauer ist Habilitand am Lehrstuhl für
Interkulturelle Germanistik der Universität Bayreuth. Seit Dezember 2013 ist Dr. Bauer Stellvertretender WIKA-Vorsitzender. – Kontakt: gerd.ulrich.bauer@ uni-bayreuth.de
6 Durch Abgleich mit weiteren veröffentlichten Fassungen (Lamprecht 1912a und 1912b) konnten vier offensichtliche Druckfehler beseitigt werden. Gravierender ist der Eingriff auf S. 10, wo sich Lamprecht auf den „starke[n] Einfluss [bezieht], den javanisches Blut und […] malaiische Kultur neuerdings auf Holland“ ausübten. In der zugrundeliegenden Druck fassung steht „japanisches Blut“, was somit ebenfalls ein Satzbzw. Druckfehler ist.
lungen ausgebildete wie auf feste wissenschaftliche Grundlagen gestellte auswärtige Kulturpolitik gibt es auch bei den genannten großen Nationen noch nicht, so sehr sich aus der praktischen Erfahrung schon gewisse allgemeine Urteile herausgebildet haben, wie z. B. etwa dies, dass der wirtschaftliche Einfluss dem geistigen folge und nach beiden erst der eigentliche politische Einfluss mit Erfolg eingeführt werden könne und dergleichen mehr. Kann sich nun unsere Nation heute noch von der Entwicklung einer breiten äußeren
138 Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)
Kulturpolitik dispensieren? Schon die Erfolge
werden, in dieser Materie besonders am Platze, da
der anderen Nationen lassen dies nicht zu. Der
sich aus ihr allein erst sichere Maximen des Han-
Verbreitung der eigentlichen nationalen Kultur-
delns im großen wie kleinen werden gewinnen
mittel folgt, wie |4 schon gesagt, der Handel und
lassen.
diesem natürlich die Industrie; nicht vergebens
Das Problem der auswärtigen Kulturpolitik
haben Engländer und Amerikaner auf dem Wege
trägt alsbald in die weitesten Gebiete der mensch-
der Missionstätigkeit einen guten Teil des japani-
heitlichen Entwicklung nicht bloß der Gegenwart,
schen Mittelschulwesens in die Hand genommen,
sondern auch der Vergangenheit. Denn da die Völ-
haben die Franzosen ihren Export namentlich
ker, um deren Beeinflussung es sich handelt, fast
auch in künstlerischer und kunstgewerblicher
durchweg eine mehr oder minder lange Dauer
Hinsicht durch die Tätigkeit der Alliance française
ihrer Entwicklung hinter sich haben, so ist an eine
erweitert, stützen die Amerikaner ihren materiel-
verständnisvolle Einwirkung auf sie ohne histo-
len Einfluss in China grundlegend durch den Ver-
risches Einfühlen gar nicht zu denken. So wird
such der Errichtung einer chinesischen Universi-
denn die theoretische äußere Kulturpolitik ohne
tät. Da dürfen wir Deutschen nicht zurückbleiben,
weiteres zur |5 universalen Kulturgeschichte: und
soll anders die Welt nicht einmal wieder vergeben
erst ein klares Verständnis der einen lässt die völ-
sein, ehe der germanische Dichter und Denker
lig erfolgreiche Durchbildung der andern erhoffen.
auf dem Plane erscheint. Dazu kommt ein weiteres. Die Mittel der äußeren Kulturpolitik sind von den andern, insbesondere den großen westeuropäischen Nationen längst und teilweise sogar recht missbräuchlich in den Bereich der allgemeinen politischen Aktionsmittel einbezogen worden; es sei nur an den Gebrauch der Presse zur Verunglimpfung des deutschen Ansehens im letzten Jahrzehnt erinnert. Und da sollen wir einfach zusehen, ohne Gegenmaßregeln zu treffen? Zumal, da wir innerlich ganz an erster Stelle zu einer wahrhaft fruchtbaren auswärtigen Kulturpolitik berufen sind? Denn wenn irgendwelche Sätze der praktischen Politik von heute auf Wahrheit für lange Zeiten Anspruch machen können, so sind es die, dass eine auswärtige Kulturpolitik, welche die Völker einen und befrieden soll, nur im Wettbewerbe um die höchsten sittlichen und intellektuellen Güter der Menschheit beruhen kann, und dass auf diesen Gebieten unsere Nation, die Nation der Philosophen und Pädagogen, eine besonders wichtige Rolle zu übernehmen berufen ist. Aber während die fremden Nationen die Praxis einer auswärtigen Kulturpolitik bisher fast nur der naturgemäß unvollständigen Erfahrung der Gegenwart entnehmen, wird es deutscher Art entsprechen, alsbald eine tiefere Fundamentierung zu verlangen. Und diese ist auch, wie wir alsbald sehen
Abb.: Titelblatt der 1913 erschienenen Veröffent lichung von Karl Lamprechts Heidelberger Rede
139
WIKA-Report (Band 2)
Wie weit aber sind wir noch von solch einer
geschichtlicher Entwicklung, auf den organischen
Universalgeschichte entfernt! Darüber, dass die
Verlauf. Zwar sind die Natureinflüsse seit Bodinus
alten Formen der Weltgeschichte nicht mehr geeig-
und seit Montesquieu immer wieder untersucht
net sind, den neuen Most unseres heutigen histo-
worden; einen wesentlichen Fortschritt haben
rischen Wissens und auch schon erweiterten Ver-
dann noch einmal die deutschen Geographen des
ständnisses in sich aufzunehmen, sind alle einig;
19. Jahrhunderts, ein Ritter und Ratzel, gebracht.
welcher Art aber die neue Fassung des gesamten
Dennoch fehlt hier, wie neuerdings z. B. die Arbei-
Stoffes sein möchte, darüber können noch sehr
ten Hellpachs gezeigt haben, |6 noch sehr viel zur
verschiedene Ansichten gehört werden; und nur
tieferen physiologisch-psychologischen Erfassung
das eine steht wohl fest, dass die Kulturstufe der
der teilweise überaus wichtigen Vorgänge. Viel
Elementarbegriff ist, mit dem das neue universal-
weniger bekannt und systematischem Denken
geschichtliche Denken fundamental zu operieren
unterzogen sind aber vor allem bisher die Mög-
hat.
lichkeiten des Einflusses fremder menschlicher Im übrigen aber beginnen sich aus dem wogen-
und das heißt geistiger Kräfte auf eine gegebene
den Chaos der neuen geschichtlichen Anschau-
nationale Einheit. Dass sie in teilweis überaus
ungen, die in Bildung begriffen sind, doch einige
wirksamer Weise bestehen, zeigt allein schon der
wenn nicht Grundvorstellungen, so doch Grund-
Begriff der Renaissance, der zum großen Teil die-
probleme auszuscheiden, von denen schon für die
sem Zusammenhange angehört. Allein klar nach-
politische Praxis ausgegangen werden kann, inso-
gewiesen und in ihren Formen systematisiert sind
fern diese als unbedingte Voraussetzung des Han-
die hierher gehörenden Erscheinungen noch kei-
delns eine universale Kenntnis der menschheitli-
neswegs. Wir werden später auf diesen Gegenstand
chen Kulturentwicklung erfordert.
zurückkommen.
Solcher Grundprobleme wird man drei unter-
Was endlich das dritte Grundproblem, das
scheiden können: das Problem der inneren evolu-
der Rasse, angeht, so löst es sich prinzipiell in
tionistischen Entwicklung großer menschlicher
den Inhalt der beiden soeben besprochenen Pro-
Gemeinschaften; das Problem der äußeren Ein-
bleme auf. Denn sollte Rasse etwas anderes sein
wirkungen von Natur und Geist auf diese Entwick-
als jeweiliges Ergebnis der inneren Entwicklung
lung; und endlich das Rasseproblem.
einer menschlichen Gemeinschaft zuzüglich der
Das Problem der inneren evolutionistischen
von außen, aus Natur und Geist hinzugetretenen
Entwicklung der großen menschlichen Gemein-
Einwirkungen? Man müsste schon die überaus
schaften, insbesondere der Nationen, kann als
wahrscheinliche Hypothese von der Einheit des
bisher am weitesten gefördert gelten: wir wissen
Menschengeschlechts aufgeben, wollte man einer
heute, dass diese Entwicklung sich in einer ganz
anderen Auffassung Raum verschaffen: und selbst
bestimmten Stufenfolge von seelischen Zeital-
dann, wenn man diesen Weg beträte, würde im
tern, gleich etwa den Lebensstufen des einzelnen
Bereiche der untermenschlichen Lebewesen die
menschlichen Individuums, abspielt; eine Stu-
Lösung des Problems im Grunde dieselbe sein und
fenfolge sich an Intensität und Extensität ihrer
nur auf das chemisch-physikalische und biologi-
Erscheinungen immer steigernder Kulturzeitalter
sche Gebiet der Fauna und die in diesen Bereichen
ist die Regel, die immer wieder hervortritt, so oft
möglichen Anpassungen verlegt werden. Denkt
sie auch durch störende, mechanisch eingreifende
man sich aber die Entstehung der Rassen als einen
Momente in ihrem organischen Ausleben gelegent-
Vorgang oder richtiger als eine ungeheure Summe
lich beeinträchtigt werden mag.
von Vorgängen innerhalb der schon rein mensch-
Weit weniger durchgereift ist das zweite Pro-
lichen Geschichte, so unterliegt es kaum einem
blem: das der äußeren Einflüsse von Natur und
Zweifel, dass es sich bei der Entwicklung der Haup-
Geist, von geographischen Bedingungen und
tunterschiede um Prozesse handelt, die in Zeiten
140 Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)
weit vor der uns durch direkte Tradition bekann-
schön ist, zeigt die chinesische Ornamentik die
ten Geschichte zurückgehen. Nicht als ob die Fak-
Züge einer mehr dem Nüchternen und dem For-
toren der Rassebildung seitdem etwa an Wirksam-
malschönen zuneigenden Begabung. Und sind dies
keit verloren hätten. Sie arbeiten vielmehr fort;
evidente Unterschiede, die alsbald auffallen, so las-
und eben in unseren Tagen sehen wir in Nordame-
sen sich auch noch mehr ins einzelne hinein Beob-
rika die Anfänge nicht bloß einer neuen Nation,
achtungen machen, die den vollen Beweis erbrin-
sondern auch Rasse sich bilden. In diesem Falle
gen, dass der chinesische Charakter seit so frühen
sind wir in der Lage, die physischen wie die psy-
Zeiten der beglaubigt überlieferten chinesischen
chischen Momente des Prozesses genau zu studie-
Geschichte bis zur Gegenwart wesentlich der-
ren, wenn auch die hierfür nötigen Arbeiten in der
selbe geblieben ist.1 Ist es aber in diesem Falle, wie
sonst so regsam betriebenen Geschichte des ameri-
gewiss vielen anderen Fällen, an dem, so hat eben
kanischen Nordkontinents noch arg vernachlässigt
die Geschichtsforschung hier mit festen, schon in
sind. Und wie reiche Frucht könnten sie bringen!
ihr nicht zugänglichen Vorzeiten gebildeten Veran-
Man denke sich einen Präsidenten der Vereinig-
lagungen zu rechnen, die sie nur einfach als solche
ten Staaten, der auf Grund genauer Kenntnis der
in ihre Arbeits- und Darstellungsweisen einstellen
Vorgänge zum ersten Male in der Welt eine wirkli-
kann, ohne sich deshalb von der Untersuchung der
che Rassepolitik triebe. Noch weit hinaus über die
Rassengenese da, wo sie möglich ist, zu entbinden.
intuitive Tätigkeit, die auf diesem Gebiete etwa ein
Ziehen wir nach dieser kurzen Übersicht der
Roosevelt genial entfaltet hat und entfaltet! Indes
heutigen Bedeutung der soeben behandelten drei
sehen wir von dem |7 amerikanischen Beispiel,
großen Probleme für die Aufgaben der Gegenwart
dem vielleicht noch das australische hinzuzufü-
ein Fazit, so ergibt sich folgendes. Das Rassepro-
gen wäre, ab, so liegen die Prozesse, in denen sich
blem geht in die historische Arbeit als ein Ergeb-
die wichtigsten heutigen Rassen gebildet haben,
nis ein und öffnet sich nur in seltenen Fällen der
weit hinter uns in eisgrauer Urzeit. Und so erschei-
Analyse. Das Problem der inneren Evolution ist
nen manche Rassenindividualitäten, manche Par-
durch die Aufstellung des Elementarbegriffs der
tikularitäten der größten menschlichen Zusam-
Kulturstufe und deren direkte Auffindung |8 wie
menhänge für eine bloß historische Betrachtung
empirischen Nachweis zunächst in der Deutschen
als etwas Konstantes in dem Sinne, dass die lang-
Geschichte2 so weit gefördert, dass seiner Bearbei-
samen Verschiebungen ihrer Eigenheiten anschei-
tung große Schwierigkeiten nicht mehr im Wege
nend überhaupt oder wenigstens für den heuti-
stehen. Das breiteste Arbeitsfeld der künftigen
gen Stand unserer Forschung und Kenntnis außer
Forschung ist dagegen in dem weiten Bereiche des
Rechnung bleiben können. So kann man z. B. an
zweiten Problems, des Problems der äußeren Ein-
der Hand der chinesischen Ornamentik primitiver
wirkungen von Natur und Kultur, gegeben. Und so
Zeiten feststellen, dass sich der Rassecharakter der
liegen auf diesem Gebiete vor allem die nächsten
Chinesen seit etwa vier Jahrtausenden kaum geän-
großen universalgeschichtlichen Aufgaben, inso-
dert hat. Vergleicht man nämlich die Ornamentik
fern sie methodisch weiter klärend zu wirken beru-
der chinesischen Urzeit mit den entsprechenden
fen sind. Gewiss stehen daneben auch noch andere,
Entwicklungsstufen der germanischen Ornamen-
an sich gewaltige Aufgaben, die geeignet sein wer-
tik, so zeigt sich bei im allgemeinen völlig gleichen
den, ganze große, in der Welt der Historiker bis-
Grundlagen doch eine ganze Anzahl individueller
her gemeingültige Anschauungen zu modifizieren
Rassenunterschiede, die der spezifischen Rasseveranlagung beider Völker, wie sie noch heute besteht, entspricht: während die germanische Ornamentik von leidenschaftlichem Pathos durchströmt und in ihrer Formgebung mehr charaktervoll als formal
1 Vgl. G[eorg] Muth (1911): Stilprinzipien der primitiven Tier ornamentik bei Chinesen und Germanen. Leipzig, Voigtländers Verlag. (Ein Heft der von K. Lamprecht herausgegebenen Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte). 2 Vgl. K[arl] Lamprecht (1891–1904): Deutsche Geschichte, 18 Bde.
141
WIKA-Report (Band 2)
oder zu beseitigen; es sei z. B. nur an die jeder ver-
Renaissance vor allem auch daran abzumessen,
gleichenden Betrachtung sich leicht ergebende Not-
ob sie den ganzen Lebenskreis der ihr unterworfe-
wendigkeit erinnert, die Verfassungsgeschichte der
nen Völker erfüllt habe oder nicht? Eine genauere
universalen wie der einzelnen nationalen mensch-
Untersuchung würde hier nun ergeben, dass man-
lichen Entwicklungen nicht mehr, wie bisher, auf
che Teilvorgänge des heute weithin erstreckten
die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sondern auf
Begriffs, wie z. B. die karolingische und ottonische
die Sittengeschichte zu fundamentieren3: eine Not-
Renaissance oder gar die Renaissance der staufi-
wendigkeit, die den Historikern allerdings schon
schen Zeit und der Zeit Kaiser Karls IV., weit davon
jede genauere Beschäftigung mit philosophisch-
entfernt gewesen sind, die ganze Zeit in allen ihren
ethischen Problemen hätte nahelegen müssen –
Lebensäußerungen zu erfüllen oder auch nur zu
wenn sich deren frühere Generationen eben mit
bewegen; von anderen Renaissancen dagegen, der
solchen Problemen beschäftigt hätten. Allein im
italienischen z. B., der holländischen, auch wohl
ganzen bleibt es doch dabei, dass das nächste und
der hellenischen Deutschlands im 18. und 19. Jahr-
breiteste Arbeitsfeld aller universalen Wissen-
hundert, ließe sich sagen, dass sie das nationale
schaft die Feststellung der äußeren Einwirkungen
Gesamtleben ergriffen und mit einer Modifika-
von Natur und Kultur auf die einzelnen Völker sein
tion des eigenen Seins durchgeistigt haben. Und so
wird. Und dabei wird dem Universalhistoriker vor
wären denn Voll- und Partikularrenaissancen zu
allem der Nachweis der Kulturbeziehungen zufal-
unterscheiden.
len.
Gilt dieser Unterschied aber nicht auch von Ist es nun aber nicht klar, dass damit die uni-
der Rezeption, der anderen großen Form fremder
versalgeschichtlichen Aufgaben ganz wesentlich
Kulturbeeinflussung, die sich auf die Einwirkun-
mit den Anforderungen der wissenschaftlichen
gen nebeneinander lebender Völker bezieht, wäh-
Begründung einer heute möglichen äußeren Kul-
rend die Renaissance, in gewissem Sinne die auf-
turpolitik zusammenfallen? Und wie sollte es auch
fallendste Erscheinung menschlicher Geschichte,
anders sein? Politik und Geschichtswissenschaft
die Einwirkung an sich schon abgestorbenen kultu-
sind in vorwärts drängenden Zeiten wohl stets
rellen Lebens bedeutet? Gewiss beziehen sich viele
Hand in Hand miteinander gegangen.
Rezeptionen nur auf bestimmte Kulturobjekte und
Wir werden nicht umhin können, nunmehr,
kommen nur für begrenzte Teile der rezipierenden
nachdem die Hauptbeziehungen zwischen Uni-
Nation in Betracht. So hat z. B. die Rezeption von
versalgeschichte und äußerer Kulturpolitik fixiert
Elementen provenzalischer Kultur wahrend des 12.
sind, die Lösung der damit gegebenen Aufgaben da
Jahrhunderts in Deutschland Bedeutung fast nur
und dort, in allgemeiner Betrachtung wie in empi-
für den Ritterstand gehabt. Aber daneben stehen
rischen Beispielen ein wenig, soweit es die Zeit
so allseitige Rezeptionen wie die der griechischen
erlaubt, noch genauer zu verfolgen.
Kultur durch die Römer oder der chinesischen
Da interessiert zunächst die Frage, ob es Voll-
durch die Japaner. Und wenn wir die besondere
einwirkungen ganzer fremder Kulturen auf andere
Form ständiger Rezeption, welche die Gegenwart
Kulturen gegeben habe und gebe? Es ist eine Frage,
der europäischen Völker kennzeichnet, Endosmose
die im gegenwärtigen Augenblicke |9 dem His-
benennen: können wir nicht von ihr behaupten,
toriker durch die Erörterungen über die Bedeu-
dass sie sich auf jeden Teil des modernen Lebens
tung der Renaissance vielleicht noch besonders
beziehe?
ansteht. Denn was liegt näher, als das Wesen der 3 Der Verfasser wird darüber demnächst eine Studie veröffentlichen. [Anm. Kurt Düwell (1976: 260, Fußnote 3): Möglicherweise bezieht sich L. hier auf seine Schrift „Die Nation und die Friedensbewegung“ in: Internationale Organisation, Heft 7, 1913.]
So wird man denn zwischen totalen und partiellen, zwischen vollen und teilweisen Renaissancen und Rezeptionen unterscheiden müssen. Nun ist es ein heute wohl allgemein angenommener Satz, dass totale Renaissancen und
142 Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)
Rezeptionen nur bei einer ungefähren Gleichheit
der gleichen Zeit hin durch die romanischen, ger-
der Kulturhöhe der gebenden und empfangenden
manischen, slawischen Kulturnationen Europas?
Nation möglich sind; ja dies ist eigentlich der ein-
Und, um auf die Beziehungen Asiens und Europas
zige Erfahrungssatz, der bisher auf dem ungeheu-
zurückzugreifen: wie erklärt sich der starke Ein-
ren Gebiete der für Renaissancen und Rezeptionen
fluss, den javanisches Blut und, muss man hinzu-
möglichen Erfahrungen entwickelt worden ist. Auf-
setzen, malaiische Kultur neuerdings auf Holland
gestellt worden ist er aber wohl fast ausschließlich
zu äußern beginnt? Gibt es analoge Erscheinun-
aus den Beobachtungen, die man über die Unver-
gen für England? Und wie wären sie einzuschät-
einbarkeit von niedrigen |10 Kulturen mit sehr
zen? Etwa gar als Anfänge einer Kolonialisierung
hohen, von Negerkulturen etwa mit europäischer
der europäischen Kulturen? Und damit als partielle
Bildung, gemacht hat; indirekt nahegelegt wird er
Vorzeichen kommender totaler Umwälzungen des
auch durch die Tatsache, dass mindestens totale
Ganges menschheitlicher Geschichte? Und wiede-
Renaissancen nur auf Kulturhöhen des empfangen-
rum: wie stellt sich hierzu eine Frage von scheinbar
den Volkes aufzutreten pflegen, welche denen des
so nur modernem Ursprung, wie die zunehmende
gebenden Volkes nahekommen oder entsprechen.
kulturelle Einwirkung Nordamerikas auf den süd-
Aber ist darum der Satz schon voll bewiesen? Und
lichen Schwesterkontinent? Spielen dabei Elemente
vor allem: wenn er zuträfe, was wären seine Gren-
wieder zum Vorschein gelangender indianischer
zen? Bei welcher Abweichung der empfangenden
Kultur und indianischen Blutes eine Rolle, wenigs-
und gebenden Kultur werden totale Renaissance
tens soweit Südamerika in Betracht kommt? |11
und Rezeption schwierig, bei welcher unmöglich?
Es sind Fragen, die vertausendfacht werden
Man sieht, welche außerordentliche Bedeutung die
könnten. Hinter allen stecken universalgeschicht-
richtig limitierte und allen historischen Erfahrun-
liche Probleme, deren Lösung sich nur einer sehr
gen angepasste Beantwortung dieser Frage haben
vertieften, bis auf die Elemente vordringenden wis-
würde, und zwar nicht bloß für das Problem der
senschaftlichen Untersuchung erschließen wird.
psychischen Weite des historisch gegebenen Men-
Und die wissenschaftliche Erforschung und Lösung
schen, sondern auch für die Lösung von rein prak-
wird in allen Fällen ebenso unsere äußere Politik
tischen Fragen der heutigen äußeren Kulturpoli-
vor Schaden bewahren und positiv fördern, wie
tik, und zwar wiederum nicht bloß gegenüber den
sie dem internationalen Verständnis direkt und
niedrigen Kulturen etwa der Kolonien, sondern
durchaus – kaum braucht das noch ausgesprochen
auch in der richtigen kulturpolitischen Behand-
zu werden – zu dienen hat und dienen wird.
lung der höchstzivilisierten Nationen.
Auf wissenschaftlichem Gebiete aber handelt
Wenn nun schon die verhältnismäßig einfa-
es sich dabei, wie in jeder Entwicklung universal-
chen Fragen nach Wesen und Wirkungsart der
geschichtlichen Denkens, nicht um bloßes Nach-
totalen Renaissancen und Rezeptionen nicht
denken und etwa noch Systematisieren schon vor-
geklärt sind, wie wird man da die verwickelte-
handener Forschungen. Natürlich kann man sich
ren Probleme verwandter partieller Erscheinun-
auch auf diesem Gebiete, wie jedem anderen wis-
gen als gelöst erachten wollen? Und welche Rätsel
senschaftlichen und praktischen, durch Hypothe-
geben hier die bisher fast nur isoliert beobachteten
sen einen Voranschlag gleichsam machen dessen,
Erscheinungen auf! Wie sind z. B. die Rezeptionen
was einmal gewesen sein könnte. Allein selbst ein
der europäischen Völker aus der japanischen Kul-
solcher Voranschlag würde, wie Versuche ergeben
tur seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts zu bewer-
haben, seine gewaltigen Schwierigkeiten bieten
ten? Wie kommt es, dass sie sich wesentlich nur auf
und hier weniger zum Ziele führen wie auf manch
die Phantasietätigkeit erstreckt haben? Was ist wei-
anderen Gebieten. Denn die universalgeschichtli-
ter, im engeren Kreise, das Besondere der Rezep-
che Entwicklung ist im höchsten Sinne des Wor-
tion skandinavischer Kulturelemente seit etwa
tes nur einmal geschehen und also streng singulär,
143
WIKA-Report (Band 2)
und darum können ihre letzten Zusammenhänge
von Gelehrten, die der untersuchten Kultur ange-
niemals durch Analogieschluss, sondern nur in
hören, nicht möglich ist. Zuerst wird man diese
unmittelbarer Anschauung und Erfahrung gewon-
Erfahrung für die großen ostasiatischen Kultu-
nen werden, so sehr zu deren richtiger Methode
ren, die chinesische und die japanische, machen.
die Kenntnis der typischen Vorgänge, wie sie sich
Gewiss ist es dem Europäer möglich, die Sprachen
vor allem im organischen Aufbau der Kulturstufen
dieser Kulturen und ihrer geschichtlichen Überlie-
vollziehen, unbedingte und in breitester Erfahrung
ferung so weit zu beherrschen, dass er deren Sinn
zu gewinnende Voraussetzung ist.
an sich und grammatikalisch richtig versteht. Es
Ist dem nun so, so versteht man wohl, wie hoch
wäre aber ein Irrtum, zu glauben, dass sich ihm
sich die Schwierigkeiten bei der Bearbeitung wis-
damit auch der historische Sinn der Überlieferung
senschaftlicher Probleme der Universalgeschichte
eröffnet hätte. Sucht man ihn und kontrolliert man
auftürmen. Der einzelne ist ihnen gegenüber fast
dies Ergebnis durch das Urteil eines unterrichteten
machtlos; es ist die Organisation einer Anzahl von
Chinesen oder Japaners, so wird sich fast stets erge-
wissenschaftlichen Kräften notwendig, um sie zu
ben, dass diese in der Auffassung so von der euro-
bewältigen. Vergegenwärtigen wir uns genauer,
päischen abweichen, dass ein von dem gefundenen
was hier zu tun wäre, so bedarf es von vornherein,
abweichendes Resultat gewonnen wird. Nun wer-
um universalgeschichtlich überhaupt vorwärts zu
den sich allerdings Europäer wohl auch so schulen
kommen, einer gewissen Höhe des kulturgeschicht-
können, dass sie schließlich chinesisch oder japa-
lichen Verständnisses: denn die universalgeschicht-
nisch denken und fühlen; erfahrungsgemäß ist das
lichen Fragen von durchschlagender Bedeutung
jedoch bisher sehr wenigen gelungen, und für diese
sind, tiefer erfasst, kulturgeschichtlichen Charak-
Wenigen hat es dazu jahrelangen Aufenthaltes in
ters. In dieser Hinsicht nähert sich nun die histo-
Ostasien und eines Studiums bedurft, das als aus-
rische Forschung der Gegenwart immer mehr den
schließliche Lebensaufgabe gefasst werden musste.
zu stellenden Forderungen. Man weiß, wie heute
Man sieht: das sind Anforderungen, die der Univer-
das geschichtliche Verständnis durch und durch
salhistoriker, der sich mindestens prinzipiell mit
von kulturgeschichtlichem Denken getragen wird;
dem Schicksal aller Völker zu beschäftigen hat, für
und es ist bekannt, dass die Durchbildung der kul-
sich niemals erfüllen kann und somit nicht zulas-
turgeschichtlichen Methoden in der nationalen
sen darf: er würde sonst von dem notwendigen
wie in der europäischen Geschichte in den letz-
Niveau seines Standpunktes herabsteigen müssen.
ten zwei Jahrzehnten an mehr als einer |12 Stelle
So bleibt ihm nichts übrig, als zu tun, was selbst
aufgenommen worden ist und Fortschritte macht
die meisten Sinologen und Japanologen in schwie-
und gemacht hat. Und so wäre denn in der Tat
rigeren Fällen tun müssen: nämlich sich chinesi-
diese eine wesentliche Voraussetzung alles moder-
scher oder japanischer Gelehrter als Auskunftsper-
nen universalgeschichtlichen Studiums erfüllt oder
sonen zu bedienen. Natürlich aber müssen dabei
wenigstens im Begriff, erfüllt zu werden.
diese Auskunftspersonen so beschaffen sein, dass
Nun aber dieses Studium selbst! Wie alle kul-
sie den erforderten Dienst leisten können: und
turgeschichtlichen Studien, so verlangt es auch sei-
hierzu gehört eine Anzahl von intellektuellen und
nerseits eine intensivere Penetration der Quellen,
moralischen Eigenschaften, die sich nicht leicht
als sie für den herkömmlichen Betrieb der politi-
beisammen finden.
schen Geschichte notwendig ist; denn es kommt
Im übrigen aber: hat man erst einmal die
fast ständig darauf an, nicht bloß Ereignisreihen
Erfahrung gemacht, dass zu eingehender Interpre-
festzustellen, sondern in den Gesamtgeist der Quel-
tation der historischen Überlieferung |13 Chinas
len einzudringen. Und hier zeigt sich nun in der
und Japans Chinesen und Japaner notwendig sind,
Praxis sehr bald, dass eine so verschärfte Behand-
so nimmt man bald wahr, dass selbst für das kul-
lung der Quellen ohne Zuhilfenahme der Tätigkeit
turgeschichtlich notwendige genaue Verständnis
144
Karl Lamprecht: Über auswärtige Kulturpolitik (1912)
der europäischen Nationen Angehörige der betref-
Universitäten, gebunden, werden sie sich auch
fenden Völker als Auskunftspersonen erforderlich
mit deren Studien beschäftigen und dadurch hin-
werden. Denn auch hier gelingt es nicht, den letz-
einwachsen in das nationale Milieu, dem diese
ten Sinn, den Kern und Flaum gleichsam der Über-
angehören. Und gehoben und getragen von die-
lieferung ohne deren Hilfe zu erkennen.
sem Milieu, werden sie ein Verständnis der sie
Zieht man aus alledem das Fazit, so sieht man
umgebenden Nationalität gewinnen, das ihrem
leicht: zum erfolgreichen Betriebe universal
internationalen Urteil für immer zugute kom-
geschichtlicher Studien bedarf es einer Arbeits
men wird. |14
gemeinschaft verschiedener, aus den einzel-
Nun: dies ist ein Zusammenhang, wie Sie,
nen Nationen entnommener Forscher, die nach
meine Damen und Herren, alle sehen, der aus
bestimmtem Plane, unter der Leitung eines oder
der Wissenschaft ohne weiteres und innerlich-
mehrerer, in universalgeschichtlichen Dingen
organisch wiederum hinüberleitet zur politi-
schon erfahrener Gelehrter, an gewisse Aufgaben
schen Praxis. Denn auf welchem Wege als dem
der Untersuchung herantreten.
beschriebenen könnte besser eine auserlesene
Lässt sich nun eine solche Kombination herstel-
geistige Mannschaft internationaler Sympathien
len und fruchtbar zur Tätigkeit bringen? Ein Ver-
und gegenseitigen Verständnisses der Völker
such ist in dieser Hinsicht schon gemacht worden
gewonnen werden? Die Nation aber, die diesen
und hat befriedigende Resultate ergeben: mindes-
Weg zuerst mit Entschiedenheit betritt, wird sich
tens aber gezeigt, dass der beschriebene Weg prak-
einen wichtigen Vorsprung für die große Aufgabe
tisch durchaus gangbar ist.
der Regelung internationaler Freundschaften und
Gleichzeitig aber hat sich dabei noch ein
Zusammenhänge verschafft haben.
anderes herausgestellt. Es liegt in der Natur der
Möchte diese Nation die deutsche sein! Und
Dinge, dass als Auskunftspersonen vor allem jün-
möchten die bescheidenen Anfänge, die in ihrem
gere Gelehrte in Betracht kommen. Denn nur sie
Schoße zur Lösung der großen, soeben behandel-
gehen außer Landes, und nur sie besitzen im all-
ten Aufgaben bestehen, bald ein Interesse fin-
gemeinen noch jene Elastizität und ins einzelste
den, das sie fördert und vorwärts weist! Deutsche
eindringende Strenge der Arbeitsweise, die für die
Geschichtswissenschaft und Geschichtschrei-
Lösung der soeben skizzierten Aufgaben unerläss-
bung hat im 19. Jahrhundert Großes für die Eini-
lich ist. Indem dies aber der Fall ist, sammeln sich
gung unseres Volkes geleistet: möchte sie im 20.
nunmehr an bestimmter Stelle eine Anzahl geistig
Jahrhundert nicht minder ruhmreich und ent-
hervorragender junger Männer verschiedener Nati-
scheidend in die Einheitsbewegung der Mensch-
onen zu gemeinsamer, hohen Idealen zugewandter
heit eintreten, die sich in der Entwicklung der
Tätigkeit. Werden sie sich nicht auch gegenseitig
internationalen Beziehungen immer mehr
in starkem Grade geistig befruchten? Und werden
ankündigt.
sie dann, selbst wenn sie nur unter sich verkehren, nicht in eine reine Atmosphäre hohen menschlichen Wollens, Denkens und Empfindens, in eine wahrhaft internationale Auffassung der Menschheit hineinwachsen? Werden sie damit aber nicht auch im höchsten Grade jenen Geist in sich lebendig werden lassen, den wir den Geist internationaler Verständigung nennen können? Sie verkehren aber nicht nur unter sich. Naturgemäß an die schon bestehenden Einrichtungen großer internationaler Studien, insbesondere die
Rechte Seite: Portrait Karl Lamprecht (1915), Radierung des Leipziger Künstlers und Kunstprofessors Max Klinger, als Beigabe für die gemeinsam mit Wilhelm Wundt herausgegebene Gedenkschrift für Karl Lamprecht geschaffen. Vgl. Karl Lamprecht: Ein Gedenkblatt von Wilhelm Wundt und Max Klinger. Leipzig: S. Hirzel, 1915.
145
WIKA-Report (Band 2)
146
Europa-Parlament,2 umgesetzt wurde er von der
Kultur in der Außen politik der Europäischen Union Bericht der Konferenz „Culture in EU External Relations“ in Brüssel, 7./8. April 2014, und kurzer Kommentar1
EU-Kommission, realisiert schließlich von einem internationalen Konsortium unter der Leitung des Goethe-Instituts Brüssel.3 Das Konsortium hatte die Aufgabe, in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und weiteren 26 Ländern zu untersuchen, welche Partner es dort gab für eine spezifisch europäische Auswärtige Kulturpolitik, die die nationalen Aktivitäten europäischer Länder überwölben oder ‚überbrücken‘ soll, mit welchen Erwartungen eine solche Kulturpolitik zu rechnen hatte und welche Vorschläge man daraus ableiten konnte. Zu den
von Bernd Thum (Karlsruhe/Heidelberg)
26 Drittländern, in denen neben den Mitgliedsländern die Untersuchung (Mapping) stattfand, gehörten die sechzehn Länder der europäischen Nach-
Am 7. und 8. April 2014 ist in Brüssel im Palais des
barschaftspolitik sowie zehn ‚strategische Partner‘
Beaux Arts ein wichtiger Schritt getan worden, der
der Europäischen Union, unter diesen USA, China,
zur Begründung einer spezifischen, institutionell
Indien und Russland. Die Ergebnisse wurden in
gesicherten Auswärtigen Kulturpolitik der Euro-
einem vorläufigen Bericht mit dem Titel „Towards
päischen Union führen soll. Nahezu 400 angemel-
Global Cultural Citizenship“ (in Deutsch etwa „Auf
dete Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ein Gruß-
dem Weg zu einer kulturellen Weltbürgerschaft“)
wort der EU-Kommissarin für Bildung und Kultur,
zusammengefasst. Auf der Brüsseler Konferenz soll-
Androulla Vassiliou, eine Ansprache von Pierre
ten sie vorgestellt, diskutiert und ergänzt werden.4
Vimont, dem Stellvertretenden Generalsekretär
Die Untersuchung selbst war bereits ein ‚euro-
des Europäischen Auswärtigen Dienstes (European
päisches‘ Unternehmen: Im Konsortium vertre-
External Action Service, EEAS), zuletzt ein Schluss-
ten waren neben dem Goethe-Institut Brüssel das
wort von Jan Truszczyński, dem Generaldirektor
BOZAR Centre for Fine Arts in Brüssel, der Bri-
der Generaldirektion Bildung und Kultur der Euro-
tish Council Brüssel, das Dänische Kulturinstitut
päischen Kommission – das war der eindrucksvolle
in Brüssel, die Europäische Kulturstiftung (ECF),
Rahmen der Konferenz.
das Institut Français, Paris, KEA European Affairs,
Eines der Fundamente, von dem aus in den
Brüssel, und das ifa (Institut für Auslandsbezie-
nächsten Jahren der Auf bau einer europäischen
hungen), Stuttgart und Berlin. Das ifa, im Konsor-
Außenkulturpolitik erfolgen soll, war eine so
tium vertreten durch Ronald Grätz und Sebastian
genannte Preparatory Action. Der Vorschlag zu einer
Körber, war es dann, das pünktlich zur Konferenz
solchen ‚Vorbereitenden Maßnahme‘ kam vom
den auch grafisch hervorragend gemachten Kulturreport „Europa von außen. Erwartungen an die
1 Dieser Beitrag berichtet über den Ablauf und die Themen der Konferenz sowie die wichtigsten der dort mündlich vorgetragenen Stellungnahmen. Welche Schlussfolgerungen die Organisatoren aus der Konferenz gezogen haben, welche Empfehlungen sie daraus ableiten, ist inzwischen in einem Final Report als EU-Veröffentlichung festgehalten; vgl. „Preparatory Action ‚Culture in EU External Relations‘. Engaging the World: Towards Global Cultural Citizenship“. Europäische Union 2014. Online: http://cultureinexternalrelations.eu/wp-content/uploads/2014/06/NC0214601ENE.pdf (zuletzt abgerufen am 30.09.2014)
2 Vgl. die betreffende Entschließung des Parlaments vom 12. Mai 2011, online: http://www.europarl.europa.eu/sides/ getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2011-0239+0+DOC +XML+V0//DE 3 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Gottfried Wagner im vorliegenden Band. 4 Vgl. die Website http://cultureinexternalrelations.eu/preparatory-action-on-culture-in-the-eus-external-relations/
147
WIKA-Report (Band 2)
europäische Außenkulturpolitik“ vorlegen konnte.5
Aktivitäten in Konfliktzonen (Syrien hat Vimont
Er gibt der Konferenz die wünschenswerte Tiefen
dabei ausdrücklich genannt), mit Konfliktpräven-
dimension.
tion durch Kultur, mit einer Unterstützung neuen
Wie ‚Europa‘ denkt
kulturellen Lebens in Städten. Vimont nahm damit Themen auf, die schon der Gastgeber der Konferenz, Paul Dujardin von BOZAR Brüssel, angespro-
Im Zentrum der Konferenz standen drei Panels.
chen hatte: das Europa der EU als ‚proaktiv‘ für
Das erste befasste sich mit Realitäten und Erwar-
friedliche Beziehungen eintretende Macht und För-
tungen an Kultur in der EU-Außenpolitik, das
derer neuen urbanen Lebens.
zweite mit dem Mehrwert ‚europäischer‘ Dimensi-
Die Idee zur Preparatory Action und damit zum
onen und strategischer Ansätze für kulturelle Akti-
Auf- und Ausbau einer europäischen Auswärtigen
vitäten in der Außenpolitik Europas, das dritte mit
Kulturpolitik ist, wie erwähnt, vom Europa-Parla-
intelligenten und flexiblen Optionen für solche
ment ausgegangen. So hörte man mit besonderem
strategischen Ansätze. In ihrem Grußwort gab Kul-
Interesse, was der Stellvertretende Vorsitzende des
tur-Kommissarin Vassiliou den Ton vor, der in allen
Kultur- und Bildungsausschusses, Morten Løkke
drei Panels immer wieder aufklang. Kultur, führte
gaard, vortrug. Kultur, so Løkkegaard im Wider-
sie aus, hat auch für die Europäische Union höchste
spruch zum Eingangsstatement von Frau Vassi-
Bedeutung, weil sie unsere Werte und damit unser
liou, hat in der Arbeit von EU-Europa bisher keinen
europäisches Selbstverständnis bestimmt. Es sind
besonders hohen Status gehabt. Jetzt aber soll es
die Werte einer inklusiven Gesellschaft, geprägt
mit großen Schritten vorangehen. Wie vorher Frau
von Vielfalt, Solidarität und intelligenter wechsel-
Vassiliou bezog auch er sich auf die ‚neue Erzäh-
seitiger Ergänzung („smart complementarity“). Die
lung von Europa‘ („new narrative of Europe“), für ihn
EU, so Vassiliou, ist ein gesellschaftliches, aber
das Europa der Werte, der Grundrechte als gemein-
auch ein kulturelles Projekt. Darauf sei man stolz.
sames Fundament, mit Demokratie und Freihandel,
Jetzt gelte es, die wichtigen Akteure (Stakeholders)
geprägt von Vielfalt und doch zugleich von einer
in Bewegung zu setzen und Bottom-up-Aktionen zu
gemeinsamen Identität. Løkkegaard forderte eine
fördern.
intensivere Kommunikation, insbesondere mit jun-
In welche Richtung man in der EU-Kommission
gen Leuten. Neben dem Thema Werte stellte sich
denkt, deutete sich auch in der Rede von Pierre
dies als eine Art pragmatischer Grundorientierung
Vimont an: Kultur, so Vimont, kann man nicht
heraus, die die ganze Konferenz durchzog, verbun-
in eine Box sperren, sie ist global und als solche
den mit der Erwartung, junge Menschen über die
auch mit der Wirtschaft verbunden. Wirtschaftli-
Sozialen Medien zu erreichen. Løkkegard brachte
che Entwicklung hängt von Kultur ab, und zwar
auch den Erfolg des Erasmus Mundus-Programms
über die Werte, die sie vermittelt, wie Vielfalt, Tole-
zur Sprache, betonte aber zugleich die Chancen,
ranz und Dialogbereitschaft. In diesem Sinne, so
die sich durch die Vermittlung von Fachwissen in
Vimont, ist Zuhören das Schlüsselwort, nicht Beleh-
der Kulturindustrie ergäben. Vieles, unterstrich
ren (lecturing) und von oben herab Behandeln (pat-
Løkkegaard, kommt jetzt auf Koordinationsfähig-
ronizing). Wie soll man mit einer spezifisch europä-
keit und Effizienz des Europäischen Auswärtigen
ischen Außenkulturpolitik beginnen? Indem man
Dienstes an.
Pilotprojekte fördert, zum Beispiel mit kulturellen 5 EUNIC, ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) und Europäische Kulturstiftung Amsterdam (ECF) (Hg.) (2014): Europa von Außen. Erwartungen an die europäische Außenkulturpolitik. Redaktion: William Billows und Sebastian Körber. (Kulturreport EUNIC Jahrbuch 2013/2014). Göttingen: Steidl. Der Band liegt auch in Englisch vor.
Konzepte der ‚Preparatory Action‘ Gut, dass Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, am Beispiel des gerade von der Diktatur seiner Generäle befreiten Myanmar die Seite
148 Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union – Konferenz zu „Culture in EU External Relations“ in Brüssel
bereits erfahrener und gestalteter Praxis aufschlug
Citizenship“ auch eine persönliche Dimension. Mit
und so einen Einblick in das kulturpolitische Kon-
einem Zitat aus Edgar Morins berühmten Buch
zept des Konsortiums erlaubte. In Myanmar hatte
„Europa denken“ schlug Isar einen Grundton seines
das Goethe-Institut sofort nach der Befreiung des
zentralen Vortrags an: Europa als Ort der Selbst-
Landes, mangels eines eigenen Hauses noch in
kritik, der Reflexion, der Innovation und der Kon-
den Räumen des Institut Français, angefangen,
vivialität. In Europa, so Isar, gibt es eine robuste
mit seinen spezifischen Mitteln – Dialog, Verstän-
Kulturpolitik von hoher Leistungskraft und Pro-
digung, Respekt vor Wissen und Kultur des Part-
fessionalität. Durch den globalen Wandel ist diese
ners, Werte-Transfer und -Diskussion – die neue
jetzt gefordert. Man ist aufgerufen, in einer multi-
Zivilregierung zu unterstützen, und zwar im Ver-
polaren und von der digitalen Revolution geprägten
bund mit europäischen Partnerinstitutionen vor
Welt nicht mehr nur entlang der Nord-Süd-Achse
Ort.6 Auch Ebert betonte den Zusammenhang von
zu denken, sondern transkontinental. Kulturelle
Kultur und wirtschaftlicher Entwicklung. Euro-
Weltbürgerschaft, so Isar weiter, ist für den Einzel-
päische Kulturpolitik soll nicht nur den Kultur-
nen wie für die Gesellschaft ein mentaler Lernpro-
austausch fördern, sondern überhaupt ‚kulturelle
zess, bei dem Zuhören und wechselseitige Anerken-
Ertüchtigung‘ („empowerment of culture“). Möglich
nung wichtig ist. Eine europäische Außenkultur
sei dies aber am besten, wenn sich die europäische
politik soll zugleich von Werten und von Interessen
Politik dabei zurückhalte. Diese Politik, so Ebert,
bewegt werden. So kann sie sogar zur Metapher für
kann zwar den Rahmen vorgeben, die Gestaltung
die Bedürfnisse und Interessen aller werden.
der kulturpolitischen Räume, verstanden als Frei-
Von der Untersuchung, die vierzehn Monate
räume, soll sie aber Initiativen von Einrichtungen
dauerte, leitete Isar folgende Vorschläge ab: Es
at arm’s length überlassen. Solche Institutionen, die
muss eine außenkulturpolitische Strategie ent-
auf Armeslänge von der staatlichen Politik entfernt
wickelt werden, die besonders die jungen Leute
sind, wurden auf der ganzen Konferenz immer wie-
berücksichtigt, nationale Ressourcen sind zu ver-
der als Hauptakteure zitiert. Ebert nannte als Bei-
knüpfen, Adressaten und Märkte müssen definiert
spiele die europäischen Kulturinstitute, EUNIC als
werden, Anträge zu stellen muss leichter werden,
Vereinigung solcher europäischer Kulturinstitute
für Drittländer muss eine bessere Verbindung zu
sowie nationale und auch transnationale Stiftun-
Europa, einschließlich eines besseren Zugangs zu
gen. Bis 2020 soll die europäische Auswärtige Kul-
den (kreativwirtschaftlichen) Märkten geschaffen
turpolitik ‚stehen‘.
werden, Europa selbst muss seine Vielfalt, seine
Dass ein gebürtiger Inder, Yudhishthir Raj
‚Weltbürgerschaft‘, dazu auch seine weltweit tätige
Isar, Professor für Global Communications, Interna-
Kulturwirtschaft entwickeln und so global und
tional and Comparative Politics der Amerikanischen
auf intelligente Weise Status und Einfluss („smart
Universität in Paris, die wissenschaftliche Leitung
power“) gewinnen. Europäische Kultur in der Welt,
der ‚Vorbereitenden Maßnahme‘ für eine europäi-
so ist sich Isar sicher, hat riesige Potenziale, sie ist
sche Außenkulturpolitik übernommen hatte, mag
eng verbunden mit der Schaffung und Sicherung
zunächst verwundern. Ein Blick auf Isars Lebens-
von Wohlstand.
lauf enthüllt die Logik dieser Entscheidung. Indien,
Was sind die Verfahren, um Smart Power zu
Frankreich, Australien, UNESCO, USA – überall war
erreichen? Staatliche und private Initiativen aus-
er dort auf eminenten Posten – sind Stationen sei-
balancieren, zusammenarbeiten, fallweise vorge-
ner akademisch-politischen Lauf bahn. Von hier
hen, gute Praxisbeispiele schaffen, echt ‚europäi-
aus bekommt der vom Konsortium gewählte Titel
sche‘ Projekte entwickeln und für eine strategisch
des Vorläufigen Berichts „Towards Global Cultural
sinnvolle Clusterung dieser Projekte sorgen. Als Beispiele für solche Cluster nannte Isar Kultur-
6 Siehe zum kulturpolitischen Engagement in Myanmar auch den Beitrag von Anna Kaitinnis im vorliegenden Band.
wirtschaft, Kulturpolitik, Kultur und Entwicklung,
149
WIKA-Report (Band 2)
Kultur und gesellschaftliche Transformation, Kul-
es wahrscheinlich, dass man sich gegenseitig ins-
tur und Konflikt.
pirieren könne. Gemeint sei, dass auch die tunesi-
Erwartungen und Realitäten
schen Partner Europäer inspirieren könnten. Inspiration, so Tamzini, gibt es in Tunesien durchaus, was aber Europa zusätzlich einbringen kann, sind
Beim folgenden ersten Panel, zu „Kultur in der
Ausbildung und Strukturierung. Dazu allerdings
europäischen Außenpolitik: Erwartungen und Rea-
sollte die europäische Kulturadministration ihr
litäten“ konnte man Stellungnahmen hören, die
Trägheitsmoment in den Griff bekommen. Deren
unterschiedliche politisch-kulturelle und geogra-
Erwartungen dürften nicht dazu führen, dass in
fisch-kulturräumliche Standorte der Teilnehmer
einem geförderten Projekt die Kreativität tunesi-
erkennen ließen: Die niederländische Europa-Abge-
scher Kulturschaffender verdreht und behindert
ordnete Marietje Schaake hatte den europäischen
werde. Dies erfolge gelegentlich, so Tamzini, auch
Auswärtigen Dienst im Blick und beklagte, wie
durch eine Stereotypisierung tunesischer Kul-
schwer es gewesen sei, die außenkulturpolitische
tur, durch „folklorisation“. Für wichtig hält sie im
Initiative des Europa-Parlaments dort zu Gehör zu
Übrigen die Förderung von Projekten außerhalb
bringen. Selbst bei der NATO (die ihren Sitz eben-
der Hauptstadt und der anderen großen Städte.
falls in Brüssel hat) zweifele niemand daran, dass
Die europäischen Partner könnten sich so an der
Kultur eine bedeutende Rolle in der Politik spiele.
erwünschten Dezentralisierung des Landes beteili-
Es wunderte niemand, dass demgegenüber gerade
gen. Mit erfrischend kritischer Offenheit nahm die
ein Brite, Sir Martin Davidson, Generaldirektor des
tunesische Künstlerin übrigens nicht nur die Euro-
British Council, dafür eintrat, die außenkulturpo-
päer in den Blick. Auf dem Podium saß auch der
litischen Kompetenzen der nationalen Regierun-
Chinese Ting Xu, Direktor des Shenzhen Culture
gen und der EU überhaupt darauf zu beschränken,
Office und Vertreter des UNESCO-Projekts „Creative
lediglich den politisch-rechtlichen Rahmen zu for-
Cities Network“. Mit der zu erwartenden stoischen
mulieren. Kulturelle Einrichtungen sind gefordert,
Haltung und kaum sichtbarem Lächeln hörte er
so Davidson, die Politik selbst aber kann „nicht lie-
von Frau Tamzini, wie chinesische Billigprodukte
fern“.
gerade dabei seien, das einheimische (Kunst-)Hand-
Positionen der südlichen Nachbarn Europas
werk in Tunesien ernstlich zu bedrohen.
vertrat energisch die Künstlerin und Kulturma-
Zu „Erwartungen und Realitäten“ äußerte sich
nagerin Sana Tamzini aus Tunis. Man erfahre im
in der Diskussion auch Charles-Etienne Lagasse,
Süden die kulturpolitischen Aktivitäten der EU-
Präsident von EUNIC, dem Netzwerk nationaler
Länder als eher zweideutig. Insbesondere, führte
Kulturinstitute der Europäischen Union.7 Leider
Tamzini aus, sei der Forderung nach einer Begeg-
in notgedrungen zu knapper Form verwies er auf
nung von gleich zu gleich nur schwer nachzukom-
EUNIC als genuinen ‚Kompetenzraum‘ für Kon-
men. Es fehle an einem Sinn für geteilte Verant-
zeption und Praxis einer europäischen Außen-
wortung („sens de partage“). Auf dem Höhepunkt
kulturpolitik. EUNIC, so Lagasse, ist mit den nati-
terroristischer Aktivitäten in Tunesien hätten sich,
onalen und lokalen Zivilgesellschaften in Europa
so lautete die Kritik, europäische Partner gelegent-
verbunden, bildet ein Forum für die Gestaltung
lich aus Projekten zurückgezogen. Ein Gegenbei-
Auswärtiger Kulturpolitik, trägt als Think-Tank
spiel sei das Goethe-Institut Tunis. Dort habe man Frauen, die von Fatwas und Morddrohungen islamistischer Extremisten verfolgt waren, wirksam unterstützt. Mehrfach betonte Tamzini, dass es gar nicht so sehr um Geld gehe, sondern darum, beiderseits die ‚richtigen‘ Personen zu finden. So sei
7 Aus dem Webauftritt von EUNIC: „EUNIC is the network of the European national institutes for culture. Formed in 2006, EUNIC is a recognised leader in cultural cooperation. EUNIC has 32 members from 27 countries that are based in over 150 countries with more than 2,000 branches and thousands of local partners. The members work in the arts, language, youth, education, science, intercultural dialogue and development sectors.“ (http://www.eunic-online. eu/?q=content/who-we-are)
150
Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union – Konferenz zu „Culture in EU External Relations“ in Brüssel
zur Entwicklung von Konzepten bei und ist darü-
Initiativen sind es, die man fördern muss. In die-
ber hinaus eine Agentur ihrer Praxis. Im Zusam-
sem Zusammenhang nannte Schneider die mög-
menhang mit EUNIC öffneten sich in der weite-
lichst baldige Wiedereröffnung des Musikfestivals
ren Diskussion auch großregionale und globale
„Festival au Désert“ in Mali ein wichtiges Politikum.
Perspektiven. Teilnehmer fragten zum Beispiel:
Professionell und bis ins Detail durchdacht
Welche Rolle kann eine europäische Außenkul-
schien vielen Teilnehmern der Beitrag von Gijs de
turpolitik in der Krise um die Ukraine spielen?
Vries. Der Niederländer war Vorsitzender der libe-
Oder: Was bedeutet für Drittländer, zum Beispiel
raldemokratischen Fraktion im Europa-Parlament,
für die Maghrebstaaten, eine spezifisch europäi-
Koordinator der EU für die Terrorismus-Bekämp-
sche Außenkulturpolitik, im Gegensatz zur bis-
fung und wichtigster Berater von Xavier Solana,
herigen nationalen Außenkulturpolitik der Euro-
dem Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen-
päer? Wenigstens kurz, sicher sogar zu kurz, kam
und Sicherheitspolitik der Europäischen Union.
schließlich die Sorge vor der noch verhandelten
Auch beim Auf bau des Internationalen Strafge-
transatlantischen Freihandelszone zur Sprache.
richtshofs hat er mitgeholfen. De Vries ist Autor
Manche befürchten, dass man auf dem Feld der
des Berichts „A Europe Open to Culture: Proposals for
Kultur europäische Sachverhalte und Interessen
a European Strategy of Cultural Diplomacy“ (de Vries
nicht genügend beachtet.
2008). In seiner Stellungnahme riet er zur Konzen-
Regionale Praxis – globale Vision
tration auf bestimmte Ziele und setzte der globalen Perspektive anderer Redner eine (groß-)regionale entgegen. Im regionalen Rahmen, so de Vries, solle
Großregionale und globale Perspektiven gab es auf
man Allianzen verschiedener Kulturakteure för-
dem zweiten Podium, mit dem Thema „Der poten-
dern, zum Beispiel von Medien und Künsten. Oder
zielle Mehrwert europäischer Dimensionen und
man solle überlegen, wie man zentrale Arbeitsfel-
strategischer Herangehensweisen an Kultur in Aus-
der der modernen Welt mit kulturellen Aktionen
wärtigen Beziehungen“. Nicht nur haben viele Kon-
verbinden kann, wie zum Beispiel Reiseindustrie
flikte in der Welt kulturelle Gründe, so Ferdinand
und Kulturtourismus (auch nach und in Afrika)
Richard, Präsident des Roberto Cimetta Funds,
oder Klimaschutz und kooperative ökologische
Paris, es gibt auch einen fundamentalen Wandel in
Programme. Auch Sport spiele für eine europäische
der Beherrschung kultureller Märkte: „Statt Hol-
Kulturaußenpolitik eine große Rolle. Von besonde-
lywood nun Google“. Kreative Potenziale vor Ort
rer Bedeutung ist allerdings, betonte de Vries, die
und in den Regionen sind jetzt, beklagte Richard,
Verbindung einer europäischen Auswärtigen Kul-
von den „Bulldozern“ globaler Kulturindustrien
turpolitik mit Bildungs- und Wissenschaftspolitik.
gefährdet, in deren „Goldenem Dreieck“ schöpfe-
Als Beispiele nannte er das Erasmus Mundus-Pro-
rische Geister und Unternehmungen Europas ein-
gramm, die Gründung und Förderung von Alumni-
fach verschwinden. Dies sei eine Bedrohung euro-
Vereinigungen und den Schutz von Kulturgütern
päischen Kulturschaffens, die man ernstnehmen
in Krisengebieten. Europäische Außenkulturpolitik
muss. Einen anderen Blickwinkel auf die politische
ist für de Vries auch der Dialog der Zivilgesellschaf-
Dimension von Kultur vermittelte Botschafterin
ten, insbesondere über Menschenrechte.
Cynthia P. Schneider von der Georgetown Univer-
In der Diskussion, die dem Panel folgte, hörte
sity in Washington: Kulturelle Macht ist heute poli-
man dann allerdings erneut Klagen, insbesondere
tisch wichtiger geworden, militärische Macht ist
von Teilnehmern aus dem Süden und aus dem
begrenzt. Künstler und Schriftsteller, so Schneider,
Osten, dass sich europäische Akteure oft ziem-
sind nicht unbedingt das ‚freundliche Gesicht‘ der
lich reserviert verhielten, wenn ihnen ein Thema
Macht. Vielmehr stehen sie meistens auf der Seite
politisch zu sensibel scheine. Auch die vergleichs-
von Freiheit und Demokratie. Gerade die lokalen
weise bescheidenen Dimensionen europäischer
151
WIKA-Report (Band 2)
Kulturförderung wurden moniert. Allein Samsung
‚Arabischen Welt‘ ein Kampf um die rechten Werte
investiere mehr in Kulturprojekte als viele europä-
stattfinde. Auch Europa sei darin einbezogen. Auch
ische Organisationen. Dabei gehe es bei einer euro-
auf Nachfrage wollte sich Rifahi dazu sachlich
päischen Außenkulturpolitik, überhaupt bei euro-
nicht genauer äußern, betonte aber, es käme hier
päischer Kulturpolitik, um zentrale Probleme Euro-
auf die agierenden Personen an.
pas und seiner Nachbarn. Warum kommen immer
Grundsätzlich, so Corina Şuteu, rumänisch-
mehr jugendliche Djihadisten ausgerechnet aus
amerikanische Kulturmanagerin, ist die Europä-
Europa? Durch eine durchdachte und engagierte
ische Union für Werte-Dialog und Werte-Vermitt-
Kulturpolitik, meinte ein Teilnehmer, kann man
lung wesentlich besser gerüstet als der Europarat,
wesentlich dazu beitragen, die persönliche Iden-
weil sie über mehr Instrumente verfügt. Kultur
tität solcher Jugendlicher zu stärken und gegen
ist für sie ein Faktor gesellschaftlichen Wandels.
Zugriffe aus extremistischen Milieus zu sichern.
Den Einfluss der EU, der insbesondere in kleine-
Autonomie und Würde zu fördern, insbesondere in
ren Ländern wirksam wird, hält sie für beträcht-
Afrika, muss, so ein Teilnehmer, ebenfalls vorneh-
lich. Allerdings, so Şuteu, seien die USA wesentlich
mes Ziel europäischer Außenkulturpolitik werden.
effizienter. François Rivasseau, Stellvertretender
Die regionale und die globale Perspektive verband
Vorsitzender der EU-Delegation in den Vereinig-
schließlich ein weiterer Diskutant: Was sich von
ten Staaten, nahm den Faden auf, als er mit lei-
nun an kulturpolitisch zwischen Europa und etwa
sem Spott anmerkte, immerhin glaube man in
der Arabischen Welt entwickele, könne weltweit
den USA, dass es eine europäische Kultur tatsäch-
Einfluss ausüben.
lich gebe. Die nationalen Kulturinstitute Europas,
Ein Diskussionsredner nahm dann schließlich
meint Rivasseau, werden durch die europäische
die Forderung de Vries‘ auf, sich, statt in der Aus-
Dimension aufgewertet. Schwierig bleibt Auswär-
wärtigen Kulturpolitik Europas globale Sehweisen
tige Kulturpolitik in Amerika aber dennoch, weil
zu pflegen, eine strategische Raumkomponente zu
es an staatlichen Kooperationspartnern fehlt und
überlegen. Europäische Politik, so der Teilnehmer,
man es meist mit privaten Stiftungen zu tun hat.
darf sich nicht in abstrakter Werteorientierung
Auf der europäischen Seite, so Rivasseau, entstehen
verlieren, ohne die kulturellen, gesellschaftlichen,
Probleme durch die Angst der EU-Kommission vor
ökonomischen und politischen Räume zu berück-
zusätzlichen Verantwortlichkeiten. Vielleicht mag
sichtigen, wo sie ihre Partner findet. Die EU im
hier die Feststellung von Pawel Potoroczyn, dem
post-sowjetischen Raum – wo sei da eine politisch-
Direktor des Adam Mickiewicz-Instituts in War-
kulturell relevante Strategie erkennbar?
schau, trösten, Kulturförderung sei wenigstens
Soft Power – die „smarten und flexiblen Strategien“
nicht teuer. In der Diskussion wurde die Frage nach den „smarten und flexiblen“ Strategien europäischer Außenkulturpolitik dann praktisch. Wann wird
Das dritte Podium: „Intelligente (smart) und flexi-
denn das erste europäische Kulturinstitut seine
ble Optionen für eine strategische Annäherung an
Arbeit aufnehmen? Werden die vermittelten
Kultur in auswärtigen Kulturbeziehungen“ ergab
Inhalte nach wie vor auf die nationalen Kulturen
nur noch wenige Aspekte, die nicht schon in den
bezogen sein? Wäre also nur die Botschaft europä-
vorangegangenen Stellungnahmen und Diskussi-
isch? Wird Europa in einem solchen Institut mit
onen genannt worden waren. Recht bedeckt hielt
nur einer Stimme sprechen oder mehr auf Viel-
sich Oussama Rifahi, Direktor des AFAC, Arab Fund
falt setzen? Wird ein solches Institut dazu bei-
for Arts and Culture. Für ihn kommt die Werte-
tragen, Künstlern weiterzuhelfen, die von ihren
Dynamik aktueller und zukünftiger europäischer
Regierungen nicht genügend oder überhaupt nicht
Außenkulturpolitik zu einer Zeit, in der in der
gefördert, ja nicht einmal informiert werden? Als
152 Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union – Konferenz zu „Culture in EU External Relations“ in Brüssel
vorbildlich wurde von einer kanadischen Teilneh-
zu einem Nullsummenspiel ohne Gewinn für die
merin das Goethe-Institut in Québec genannt: als
Menschen – führt in eine Falle. Ein Paradigmen-
ein Ort, der in seine gesellschaftlich-kulturelle
wechsel von Soft Power zum Kulturdialog ist not-
Umgebung integriert sei, ein Ort nicht der ‚Verbrei-
wendig. Traditionelle Auswärtige Kulturpolitik
tung‘, sondern der ‚Transformation‘.
im Sinne von Soft Power muss also, so Ruche, zu
In der abschließenden Wrap-up Session brauchte
einem Projekt der Zusammenarbeit werden, verste-
die Projektbeauftragte Sana Ouchtati vom Goethe-
tigt durch ein „collaborative scheme“. Krisen brauche
Institut Brüssel die Ergebnisse der Konferenz im
man, so vorbereitet, nicht scheuen. Krisen schaf-
Einzelnen nicht zusammenzufassen: Sie würden
fen ihre eigene Kultur. Und Mauern brauche man
in den Schluss-Report aufgenommen, der der EU-
nicht unbedingt einzureißen, manchmal genüge
Kommission übergeben wird. Auf der Website der
es, sie zu besteigen und zu schauen, was dahinter
Preparatory Action ist dieser Report jetzt dokumen-
zu sehen ist.
tiert. Einige Perspektiven der Konferenz wurden
Mit dem pragmatischen Ton, den der letzte
von Ouchtati aber dann doch genannt: Die Freiheit
Redner, Jan Truszczyński, Generaldirektor der
der Künstler, für die eine europäische Außenkul-
Generaldirektion Bildung und Kultur der Europä-
turpolitik einen fördernden Rahmen schaffen soll,
ischen Kommission, anschlug, endete die Konfe-
die bessere Kommunikation mit den Partnern in
renz. Der Staat, so Truszczyński, kann nicht alles
der Welt, die Schaffung neuer Allianzen, zum Bei-
regeln, die von dem Konsortium der Preparatory
spiel zwischen Wissenschaft, Bildung und Sport,
Action erarbeiteten Analysen und Vorschläge wer-
die Beachtung einer variablen Geometrie der Kul-
den in die Arbeit der Organe einfließen. EUNIC,
tur-Akteure, die Realisierung von Pilotprojekten
so Truszczyński, sei ein gutes Beispiel für Art und
und andere Themen, die auf der Konferenz ange-
rasche Entwicklung einer europäischen Außen-
sprochen worden waren.
kulturpolitik. Eher im Ausklang seiner Ansprache
8
Wie soll es weitergehen? Dem inneren Kreis
verwies Truszczyński dann auf ein Potenzial, das
des Europäischen Auswärtigen Dienstes gehört als
im Lauf der Konferenz, wohl auf Grund der Zusam-
Chef berater im Büro des Generalsekretärs Alain
mensetzung von Panels und Teilnehmerkreis, nur
Ruche an. Zu den Schlüsselkonzepten in seiner
gelegentlich zur Sprache gebracht worden war: die
Ansprache gegen Ende der Konferenz gehörten, wie
Hochschulbildung. In ihrer Bedeutung für die Stel-
zu erwarten, das Zusammenwirken, die Rückbin-
lung Europas in der Welt sei sie durchaus mit dem
dung der Wirklichkeit auf das Lokale, verbunden
Status der europäischen Industrie vergleichbar.
mit einer Dialektik von lokalem und globalem Handeln sowie kosmopolitischer Bürgerschaft. Ruche
Kurzer Kommentar
empfahl das Zusammenschalten von Akteuren, die Beachtung der digitalen Revolution, die Orientie-
Die von den Hauptrednern beschworene histo-
rung an den Menschen. Schließlich – konkreter –
rische Bedeutung der Konferenz erfordert, was
regte er an, Kulturförderung mit zu langfristigen
Inhalte und was Personen anbetrifft, Genauigkeit,
Projekten kritisch zu überdenken. Für besser hält
mag diese auch auf Kosten rascher Wahrnehmung
er die kurzfristig angelegte Förderung von Proto-
einiger Highlights gehen. Dem Chronisten kam es
typen, die dann sehr wohl langfristig wirken könn-
darauf an, die leitenden Konzepte hinter der Konfe-
ten.
renz in Umrissen sichtbar zu machen. Es mag ihm Aufhorchen ließ Ruches Warnung, den Begriff
der Soft Power unbedacht zu verwenden. Power
nun vergönnt sein, den Bericht mit einigen persönlichen Bemerkungen ausklingen zu lassen.
bedeute Macht, und Macht bedeute Konkurrenz
Wie geht man vor, um die vom EU-Parlament
und Kampf. Dies aber, so der Redner, führt letztlich
gewollte Einbeziehung von Kultur in eine europä-
8 Vgl. Anm. 1.
ische Außenpolitik zu begründen? Diese gibt es,
153
WIKA-Report (Band 2)
sie hat ihren Kern in der von den europäischen
Mehrwert in das politisch-kulturelle Aktionsfeld
Regierungen betriebenen „Gemeinsamen Außen-
eingebracht. Die Präsenz von spezifischen Werten
und Sicherheitspolitik“ (GASP) (s. von Arnauld (Hg.)
soll helfen, der EU einen geachteten Status in der
20149). Offenbar war es nicht leicht, die Verantwort-
Welt zu geben, Vertrauen zu schaffen und so Ein-
lichen in der EU-Kommission zu überzeugen, sich
flussmacht (Soft Power) zu gewinnen.
auf eine Außenkulturpolitik einzulassen.10 Geht
Die Schöpfer einer europäischen Außenkultur-
man von vielen Beiträgen zur Konferenz aus, bil-
politik stehen also vor einer doppelten Aufgabe:
det die Berufung auf Werte, insbesondere Toleranz,
Sie müssen die kulturelle Dimension nach innen
Vielfalt, Dialogbereitschaft, friedliches Zusammen-
vertreten, zum Beispiel gegenüber der EU-Kommis-
leben und Zusammenwirken die wesentliche Legi-
sion, und sie müssen europäische Kulturleistung
timation für die Entwicklung einer kulturellen
so definieren, dass sie nach außen im positiven
Dimension in der auswärtigen Politik ‚Europas‘.
Sinne wirken kann. Nach innen sucht man Erfolg
Diese Werte werden einerseits als global gültig
dadurch zu erreichen, dass man – erstens – Kultur
verstanden, andererseits sieht man sie in Europa
politisiert, indem man einen Bezug zum öffentli-
politisch-kulturell besonders verankert. Die poli-
chen Selbstverständnis der EU nicht nur als Wirt-
tische Organisationsform der EU, die parlamenta-
schafts-, sondern auch als Wertegemeinschaft her-
rische Demokratie mit Gewaltenteilung, Rechts-
stellt. Und dass man – zweitens – Kultur als Wirt-
sicherheit und Marktwirtschaft, wird ebenso als
schaftsfaktor darstellt (Beispiel: creative industries)
9 Siehe die Rezension von Christian Hillgruber zu dem hier zitierten Herausgeberwerk: Mit einer Stimme für Europa sprechen. Zur völkerrechtlichen Selbstaufgabe sind die Mitgliedstaaten nicht bereit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.04.2014 (Nr. 93), S. 8. 10 Dabei hatte die Kommission selbst bereits 2007 die Initiative für eine europäische Kulturpolitik in der globalisierten Welt ergriffen. Vgl. als substanzielles, sehr bedeutendes Dokument die „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“ (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/;ELX_SESSION ID=071hTP8crX5hmb2pJyDlhDTJX9Xv7mZ1xHnvFscqVbpRY jvy1JhC!-1900192295?uri=CELEX:52007DC0242), Zusammenfassung: Europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung. In: Europa. Zusammenfassungen der EU-Gesetzgebung (http://europa.eu/legislation_summaries/culture/ l29019_de.htm). In der „Schlussfolgerung“ heißt es: „Kultur ist kein Luxus, sie ist eine Notwendigkeit (Gao Xingjian). Nach Ansicht der Kommission ist der Zeitpunkt für eine neue europäische Kulturagenda gekommen, die den Realitäten der modernen Welt im Zeichen der Globalisierung Rechnung trägt. In dieser Mitteilung werden konkrete Vorschläge vorgebracht, die sowohl eine Reihe gemeinsamer Ziele als auch neue Methoden zur Intensivierung der kulturellen Zusammenarbeit in der EU betreffen. Das Europäische Parlament, der Rat, der Ausschuss der Regionen und der Europäische Wirtschafts- und Sozialauschuss werden ersucht, sich zu dieser Mitteilung zu äußern. Der Rat wird gebeten, die entsprechenden Schritte zu ergreifen, um im Rahmen der offenen Koordinierungsmethode gemeinsame Ziele zu setzen und eine geeignete Berichterstattung beschließen zu können; der Europäische Rat wird ersucht, dies in seinen Schlussfolgerungen zu unterstützen.“ Vgl. den Beitrag von François de Bernard im vorliegenden Band.
und darüber hinaus politisch-ökonomische Organisationsformen wie Freihandel sogar in den Wertekanon integriert. Aber auch unabhängig von taktischen Überlegungen wäre die Entwicklung einer kulturellen (und kulturpolitischen) Dimension in der Außenpolitik für die EU-Kommission und ihren Auswärtigen Dienst wertvoll. Insbesondere wenn es gelänge, Inhalte und Sprache des interkulturellen Dialogs mit den Partnern auch in die europäischen Länder hineinwirken zu lassen. Es entstünde so eine Aura kultureller Sensibilität und kultureller Kompetenz, die für die Union defensiv wie offensiv von großer Bedeutung wäre, ja vielleicht sogar zu ihrem Überleben beitragen könnte. Kultur, so wurde auf der Konferenz gesagt, kann man nicht in eine Box stecken. Die Ausgestaltung und Festigung einer kulturpolitischen Dimension würde wesentlich dabei mithelfen, dass die Union ein dynamisches, entwicklungsfähiges und anderen Regionen gegenüber vermittlungsfähiges
154
Kultur in der Außenpolitik der Europäischen Union – Konferenz zu „Culture in EU External Relations“ in Brüssel
Gebilde bleibt.11 Eine „new narrative of Europe“, eine
Erkenntnis- und Entscheidungsprozess einzube-
„neue Erzählung von Europa“ beschwor Kultur-
ziehen. Auf der Brüsseler Konferenz vermittelte
kommissarin Vassiliou in ihrer Rede. Was für eine
die Tunesierin Tamzani eine Vorstellung, zu wel-
Geschichte soll dies sein? Gewiss nicht nur ein epi-
chen Ergebnissen das angemahnte Zuhören füh-
scher Werte-Kanon, sondern eine Geschichte von
ren kann. Die eingangs erwähnte Untersuchung
Überlieferung und Leistung europäischer Natio-
der Preparatory Action ist ein wertvolles Mapping.
nen und Regionen, von ihren Verbindungen unter-
Der bereits genannte Sammelband „Europa von
einander und zu anderen kulturellen Räumen, von
außen“12 enthält mehrere Artikel von Autoren aus
ihrem Zusammenfinden und Zusammenleben in
Nicht-EU-Ländern. Wie wird man weiter mit diesen
einer transnationalen Gemeinschaft und von deren
Erkenntnissen umgehen? Der angekündigte Final
Suche nach einem Platz in der globalisierten Welt,
Report liegt inzwischen vor.13
der Handlungsfähigkeit und Mitwirkung ermöglicht.
Wie soll nun das ‚Außen‘, auf das europäische Kulturpolitik einwirken soll, definiert werden?
Wie und mit welchen Zielen soll eine spezifisch
Abgesehen von den Mahnungen, lokale Initiativen
europäische Kulturpolitik nun nach außen wir-
nicht zu übersehen, war auf der Konferenz meist
ken? Mehrfach klang das Potenzial von Kulturpoli-
vom ‚globalen‘, also weltumspannenden Aktions-
tik sowohl als ‚proaktiver‘ Kraft der Prävention an,
raum einer zukünftigen europäischen Außenkul-
wie auch als Element der Krisenbewältigung und
turpolitik die Rede. Gijs de Vries brachte demgegen-
politischen ‚Nachsorge‘. In diesem Sinne würde EU-
über ausdrücklich den Bezug zu Regionen, Groß-
Europa aber nur wirken können, wenn es gelänge,
regionen, ins Gespräch. Tatsächlich bezogen sich
sich – gewiss auch, ja insbesondere durch die von
buchstäblich alle Diskussionsteilnehmer, die nicht
Europa vertretenen Werte – ein Profil zu geben,
aus EU-Ländern kamen, auf die je besonderen Ver-
das Respekt und Vertrauen schafft. Hier wird ein
bindungen Europas mit ihrer Region, also mit Ost-
Dilemma sichtbar: Einerseits schaffen diese Werte
europa, mit dem Maghreb, mit Kanada. In keinem
Europa einen hervorragenden Status, anderer-
Fall wurde ein ‚globaler‘ Horizont sichtbar. Im wei-
seits aber musste auf der Konferenz immer wieder
teren Verlauf der Gründung einer ‚europäischen‘
betont werden, man wolle nicht belehren und von
Außenkulturpolitik – Johannes Ebert nannte das
oben herab behandeln (Kritik am Patronizing). Viel-
Jahr 2020 als Termin für deren Funktionieren in
mehr wolle man ‚zuhören‘. Wie hat man sich die
der Praxis – werden sich Kommission und Auswär-
Reaktion der Partner auf eine überwältigend werte-
tiger Dienst der EU gewiss mit neueren Raumkon-
orientierte Außenkulturpolitik vorzustellen? Wird
zepten auseinandersetzen. Vielleicht gehört dazu
Europas Politik daran gemessen? Wird sie sich mit
das Konzept des funktionalen Raums, wie er in
ihren Werten im weltweiten Kampf um Ressourcen
den Wirtschafts- und in den Kulturwissenschaften
behaupten? Wird man wirklich ‚zuhören‘, wenn
angedacht wird. Funktionale Räume sind dynami-
die als global gültig verstandenen Werte kultur-
sche Räume, in denen sich, historisch und aktuell,
spezifisch unterschiedlich interpretiert werden?
gesellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche und
Um das herauszufinden, wäre es gewiss gut, geeig-
politische Beziehungen interkulturell verdichtet
nete Persönlichkeiten aus Nicht-EU-Ländern in den
haben und weiter verdichten. Die dynamischen
11 Dieser Prozess müsste allerdings von wissenschaftlich fundiertem kulturellem Wissen getragen und im Sinne Morins selbstreflexiv, ja selbstkritisch erfolgen. Eine zeitgeschichtlich-analytische Annäherung an das Thema, wie eine Kultur diskursiv und narrativ ‚produziert‘ werden kann, wie mit Hierarchisierungen gerechnet werden muss, wie bestehende Dispositive darauf einwirken, bietet im kritischen Modus das Buch „Die Fabrikation europäischer Kultur“ von Lars Alberth (2013).
‚Grenzen‘ solcher Räume sind nicht politisch-rechtlich festgeschrieben, sondern bilden sich, abhängig von der Intensität der Kommunikation, „von innen
12 Siehe Anm. 5. 13 Siehe Anm. 1.
155
WIKA-Report (Band 2)
nach außen“ (Thum 2012).14 Sie bieten sich daher
Literatur
mit guten Gründen als Aktionsräume einer differenzierten, ‚smarten‘ Kulturpolitik an. Funktionale Räume können sich auch überlappen, sie kön-
Alberth, Lars (2013): Die Fabrikation europäischer
nen sogar konfliktträchtig interferieren. In diesem
Kultur. Zur diskursiven Sichtbarkeit von Herr
Sinne führt wohl kein Weg daran vorbei, Außen-
schaft in Europa. Bielefeld: Transcript.
kulturpolitik mit geopolitischen Überlegungen neuer Art zu verbinden, also unter Einbeziehung
von Arnauld, Andreas (Hg.) (2014): Europäische
einer variablen Geometrie der raumbildenden Fak-
Außenbeziehungen. (Enzyklopädie Europarecht;
toren, einschließlich der durch die digitale Revolu-
10). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
tion bewirkten Möglichkeiten. An wen soll sich, wenn schon nicht die Außen-
Thum, Bernd (2012): Ein Euro-Mediterraner
kulturpolitik der EU, so doch ihr Handeln in der
Wissens- und Handlungsraum als strategisches
Breite wenden? Alle Redner nannten hier die ‚jun-
Ziel. Kulturpolitische Überlegungen zu Konzep
gen Leute‘, meist im Zusammenhang mit ihrer
tion und Programm. In: Gerd Ulrich Bauer/ders.
bevorzugten Kommunikationsform, den Sozialen
(Hg.): Internationale Bildungsbeziehungen. WIKA-
Medien. Man denkt dabei einerseits an die jungen
Report 1. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik).
Kreativen, die man in Verbindung bringen und
Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen,
denen man Märkte öffnen muss, andererseits an
S. 87–96.
die jungen Leute in der Ausbildung. Auch Vertreter der Kommission haben das außenpolitisch rele-
de Vries, Gijs (2008): A Europe Open to Culture.
vante Potenzial, über das die EU mit ihrer Hoch-
Proposals for a European Strategy for Cultural.
schulbildung verfügt, mehrfach hervorgehoben.
In: Drnovšek Zorko, Helena/Štular, Meta (Hg.):
In dem Diskussionspapier, das die geladenen Teil-
New Paradigms, New Models – Culture in the
nehmer vor der Konferenz erhielten, wurde auf das
EU External Relations. Ljubljana, 13–14 May 2008.
große Interesse gerade an den europäischen Kultur-
Background Papers, S. 9–73. Online: http://
wissenschaften (Humanities) aufmerksam gemacht,
www.mzz.gov.si/fileadmin/pageuploads/
das es bei den befragten Partnern gibt. Die in den
Kulturno_sodelovanje/New_Paradigms__
Kulturwissenschaften geführte Diskussion würde
BACK_GROUND_PAPERS.pdf
helfen, den auf der Konferenz im Vordergrund stehenden pragmatisch-operationalen Begriff von Kultur (Wertevermittlung, Kultura rbeit, Kultur-
Angaben zum Verfasser finden sich im vorliegen-
wirtschaft, eine weiter nicht definierte Hochschul-
den Band auf S. 35.
bildung) konzeptionell zu vertiefen. Kulturwissenschaftliche Bildung – wie soll man sich die new narrative, die neue Erzählung von Europa ohne sie vorstellen?
14 Vgl. auch den Beitrag von Bernd Thum zum Thementeil des vorliegenden Bandes.
156
des Reihenherausgebers Wolfgang Schneider ver-
Rezensionen
sehen, das primär der vorliegenden Studie, darüber hinaus auch der Reihe selbst gewidmet ist. Textbasis für das Geleitwort ist offenbar das vom betreuenden Hochschullehrer angefertigte Gut-
Ausstellungsarbeit in der AKBP
achten. Es ist missverständlicherweise (da verallgemeinernd) mit „Auswärtige Kulturpolitik auf dem Prüfstand“ betitelt. Ein Postskriptum veror-
Denscheilmann, Heike (2013): Deutschlandbilder:
Ausstellungen im Auftrag Auswärtiger Kulturpolitik.
(Auswärtige Kulturpolitik; o.N.). Wiesbaden: Springer VS. – Zugl.: Hildesheim, Univ., Diss., 2012, u. d. T.:
Das Deutschlandbild als Auftrag der Auswärtigen
Kulturpolitik. Repräsentation und Kommunikation
in der Ausstellungsarbeit des Goethe-Instituts und des Instituts für Auslandsbeziehungen 1990–2010.
tet die Reihe schließlich institutionell am Institut für Kulturpolitik der Stiftung Universität Hildesheim, das bereits früher Forschungsarbeiten von Nachwuchswissenschaftler/-innen in einem Reihen-Band versammelt und damit einer breiteren (Fach-)Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.1 Ob damit allerdings hinreichend ein „Desiderat Auswärtiger Kulturpolitik in der Politikwissenschaft und den Kulturwissenschaften“ (Wolfgang Schnei-
Mit knapp dreihundert Seiten liegt die Dissertation
der: Geleitwort, S. 9) begründet ist, mag angesichts
von Heike Denscheilmann vor, die als Nachwuchs-
der nach wie vor geringen Resonanz für einschlä-
wissenschaftlerin dem WIKA seit vielen Jahren eng
gige Forschungsthemen zur AKBP in deren ver-
verbunden ist. Mit ihrer Studie hat sich die Autorin
meintlichen Leitwissenschaften angezweifelt wer-
ein nicht geringes Ziel gestellt: einen bislang wenig
den. Ungeachtet dessen ist der ambitionierten Pub-
erforschten Kernbereich (bundes-)deutscher AKBP –
likationsreihe zu wünschen, dass durch sie noch
die kulturelle Programmarbeit auf dem Gebiet der
viele substanzielle Studien eine interessierte und
Ausstellungsarbeit im Ausland – erstmals systema-
kundige Leserschaft erreichen.
tisch und explorativ zu erschließen sowie hinsicht-
Die Forschungsarbeit von Heike Denscheil-
lich seiner repräsentativen und kommunikativen
mann hebt an mit dem Verweis auf ein bekann-
Aufgaben zu untersuchen. Als Anschauungsobjekt
tes Desideratum, dass nämlich die reichhaltige
hat die Autorin die Ausstellungsarbeit des Goethe-
Praxis der Kulturarbeit im Ausland noch nicht
Instituts (GI) sowie des ifa (Institut für Auslands-
hinreichend Niederschlag in einer theoretischen
beziehungen) für den Zeitraum von 1990 bis 2010
Reflexion dieser Praxis erfahren hat (S. 19).2 Für ein
gewählt. Ausstellungen sind per se ephemere Phä-
gewichtiges Programmfeld soll die konstatierte
nomene, die sich nach ihrem Abbau und über mate-
Lücke nunmehr geschlossen werden. Zugleich
rielle Zeugnisse wie Kataloge, Werksverzeichnisse,
beabsichtigt die Autorin, diesen ‚Kernbereich‘ deut-
Besprechungen und sonstiges nur bedingt rekon
scher AKBP angesichts der jüngeren Sonderpro-
struieren lassen, so dass besondere Aufmerksam-
gramme wieder stärker zur Geltung zu bringen –
keit der Materialbasis sowie der Methodik dieser
was voraussetzen würde, dass die politisch Verant-
Untersuchung gilt.
wortlichen die einschlägigen wissenschaftlichen
Bei der Publikation, die es zu besprechen gilt, handelt es sich (von der Textsorte betrachtet) bekanntlich um eine Dissertationsschrift. Sie steht forschungspolitisch an exponierter Stelle, denn sie ist der erste Titel einer neuen „Reihe zur Auswärtigen Kulturpolitikforschung“ im Wissenschaftsverlag Springer. Die Publikation ist mit einem Geleitwort
1 Vgl. Wolfgang Schneider (Hg.) (2008): Auswärtige Kulturpolitik. Dialog als Auftrag – Partnerschaft als Prinzip. (Edition Umbruch – Texte zur Kulturpolitik; 22). Bonn: Kulturpolitische Gesellschaft/Essen: Klartext Verlag. 2 Vgl. hierzu Gerd Ulrich Bauer (2009): Viel Praxis, wenig Theorie – Kulturelle Programmarbeit: Kunst, Musik, Literatur, Film, Architektur. In: Kurt-Jürgen Maaß (Hg.): Kultur und Außenpolitik. Handbuch für Studium und Praxis. 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl., Baden-Baden: Nomos, S 127–148.
157
WIKA-Report (Band 2)
Studien wohlwollend zur Kenntnis nehmen! Am
sind, was offenbar im (für deren wissenschaftliche
Anfang der Studie stehen zwei spannungsreiche
Erforschung) erforderlichen Maße nur auf die für
Konstellationen: erstens zwischen der Autono-
einen weltweiten Einsatz konzipierten Tournee-,
mie der Künste und ihrer politischen Inanspruch-
nicht jedoch auf individuelle, im jeweiligen Gast-
nahme im Kontext außenpolitisch motivierten
land entwickelte Ausstellungen zutrifft. Durch die
Engagements im Ausland, und zweitens zwischen
bewusste Festlegung auf ‚universelle‘ Wanderaus-
den konzeptuellen Ansprüchen einer auf Aus-
stellungen weicht die Autorin dem zweiten der
tausch und Kommunikation ausgerichteten AKBP
o. g. Dilemmata aus, nämlich einer partnerschaft-
auf der einen Seite und der Forderung, dass Kultur-
lichen Ausrichtung konkreter Maßnahmen. Die
arbeit im Ausland als Teil der Außenpolitik
(im Sinne der Handhabbarkeit wissenschaftlicher
„ein ausgewogenes, wirklichkeitsnahes,
Fragestellungen notwendige) Selbstbeschränkung
auch selbstkritisches Bild vom Leben und
lässt allerdings weite Bereiche des eigentlichen
Denken in unserem Land, auch aus der Ver-
‚Kunstaustauschs‘ außen vor (z. B. die Aktivitäten
gangenheit, vermitteln und das Verständ-
der Partner in Deutschland, die Museumsarbeit
nis für unser Land fördern [solle].“ (S. 21)3
und eben partnerschaftlich konzipierte Projekte)
Oder, mit anderen Worten, ob kulturelle Pro-
und eröffnet das Feld für weitere Untersuchun-
gramma rbeit der Legitimation Deutschlands als
gen. Die bereits mehrfach angedeutete Schere zwi-
‚Kulturstaat‘ diene – ein Anliegen des nach Aus-
schen – wenn man so will – uni- und bilateralen
söhnung strebenden Nachkriegsdeutschlands –
Perspektiven kommt auch im Begriffspaar Reprä-
oder aber seine Gastländer aktiv in die Kommuni-
sentation – Kommunikation zum Ausdruck: Wäh-
kationsstrategie einbeziehe (S. 21). Im Zentrum der
rend Ersteres im Kontext der Studie die einseitige
Untersuchung steht folglich das im Zeitraum von
Präsentation von Kunst und Kultur aus Deutsch-
zwei Dekaden nach der deutschen Vereinigung von
land ohne Einbezug der anvisierten Partnerländer
1990 durch die Kulturarbeit von GI und ifa vermit-
meint (also die Selbstdarstellung), verweist Letzte-
telte Deutschlandbild, verstanden als
res im Gegenzug auf eine Situation, in der die Part-
„die Gesamtheit der thematischen, forma-
ner einbezogen sind und „im besten Fall gemein-
len und argumentativen Bezüge zu Deutsch-
same Diskussions- und Produktionsprozesse zu
land, die die Tourneeausstellungen in den
einem für beide Seiten relevanten Thema stattfin-
Kontext Auswärtiger Kulturpolitik setzen“
den“ (S. 25). Analog vielleicht zur konzeptionellen
(S. 21).
Verlagerung von monologischen zu dialogischen
Damit ist vorneweg auch ein mögliches Missver-
Formaten, die in den 1970er Jahren die einschlägi-
ständnis geklärt, geht es in der zu besprechen-
gen Diskurse prägte („von der Einbahn- zur Zwei-
den Studie nämlich nicht um die Rezeption der
bahnstraße“), zitiert die Verfasserin Quellen, die
untersuchten kulturpolitischen Maßnahmen in
ein künftiges kollaboratives Paradigma für die
ihren Zielländern, also um die bei ihren Adressa-
(deutsche) AKBP voraussehen oder zumindest wün-
ten vermittelten (mentalen) Deutschlandbilder.
schen (S. 26).
Bereits bei der Sichtung des Untersuchungskor-
Ein Teil der Einleitung ist der Schärfung zent-
pus', bestehend aus 178 Tourneeausstellungen der
raler Begriffe gewidmet und bezieht sich dabei pri-
beiden Mittlerorganisationen, offenbart sich das
mär auf den engeren Diskurs der bundesdeutschen
eingangs erwähnte Problem, dass die zu untersu-
AKBP nach 1970. Weitere Sekundär- und Fachlitera-
chenden Phänomene ex post lediglich über Doku-
tur wird dabei leider nur kursorisch hinzugezogen,
mentationen zugänglich und rekonstruierbar
so dass beispielsweise der leitende Kulturbegriff vage bleiben muss: Zwar wird der erweiterte Kul-
3 Zit. aus: Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Enquête-Kommission Auswärtige Kulturpolitik des deutschen Bundestags 1977. Bonn: Deutscher Bundestag 1980, S. 15.
turbegriff der Reformdekade zitiert, dann jedoch die spätere Kritik an diesem, ferner der offene
158 Rezensionen
Kulturbegriff und schließlich die einschlägigen
im Laufe des Untersuchungszeitraums infolge
Positionen ‚der‘ Kulturwissenschaften zu ihrem
der fortschreitenden Mediatisierung und Digita-
Leitbegriff ebenso ignoriert wie eine Hinterfra-
lisierung der (internen wie auch externen) Kom-
gung des in diesem Zusammenhang irritierenden
munikation innerhalb der Mittlerorganisationen
Begriffspaars „Kunst und Kultur“ (u. a. S. 30, 220).
auch für die Forschung zugänglicher geworden,
Ist demzufolge Kunst außerhalb von Kultur zu ver-
und auch die Aufbereitung und Verarbeitung des
orten? Auch der zentrale Untersuchungsgegenstand
Materials wird durch die technischen Entwicklun-
Ausstellungs-Konzepte bleibt zunächst ungeklärt:
gen erleichtert. Die Verfasserin breitet in diesem
Worin äußern sich diese (mental, schriftlich, …)?
Abschnitt ein differenziertes und insgesamt kri-
Wie lassen sie sich für vergangene Ausstellungen
tisches Bild von der Textlage aus und veranschau-
rekonstruieren? Und wie hängen an konkreten
licht damit, mit welchen Schwierigkeiten eine auf
Orten inszenierte Ausstellungen mit den betreffen-
Quellen-Analysen fokussierte Rekonstruktion von
den Konzepten zusammen? Können gegebenenfalls
Faktoren der Ausstellungskonzeption zu ringen
Spannungen zwischen beiden Aspekten auftreten,
hat. Dazu zählen nicht zuletzt die Eigentümlich-
abhängig z. B. von Rezeptionsort, gemeinsamer
keiten der Textsorte ‚Ausstellungskatalog‘, die pri-
Geschichte, Tagesgeschehnissen?
mär den Konventionen der Kunstwelt verpflichtet
Der anschließende Forschungsbericht hebt v. a.
ist und nicht der Argumentation und dem Duktus
jüngere Publikationen und diese weitgehend exem-
außenkulturpolitischer Diskurse folgt (vgl. S. 40).
plarisch hervor. Eine Wertung unterlässt die Ver-
Als eigentliche Empirie ist das Vorhaben der Ver-
fasserin bedauerlicherweise, ebenso wie Hinweise
fasserin anzusehen, anhand eines Korpus' von 178
dazu, wie die vorliegende Fachliteratur genutzt
Ausstellungen bzw. deren Konzeptionen eine Typi-
wurde, wo also beispielsweise konzeptuelle, metho-
sierung von Ausstellungen im Kontext außenkul-
dische und andere Anleihen genommen wurden.
turpolitischer Ziele vorzunehmen. Dazu greift sie
Bei der Übersicht der Kunstsparten vermisst der
einen Ansatz aus der qualitativen Sozialforschung
Rezensent dann (außer einschlägigen Publikatio-
heraus, den Susann Kluge und Udo Kelle in mehre-
nen zu den Bereichen Literatur, Architektur und
ren forschungspraktischen Publikationen dargelegt
Archäologie) v. a. die sogenannte Beutekunst und
haben. Es handelt sich dabei um ein prozessuales
die Restitutionsdebatten, die häufig Fragen der
Verfahren zur datengestützten Typenbildung, das,
nationalen Identifikation und damit der Selbst- und
vereinfacht gesagt, wie folgt umgesetzt wurde: Zu
Fremdbilder einschließen.
den Tourneeausstellungen wurde eine computerge-
Konkret wird es bei der Vorstellung der empiri-
stützte Datenbank angelegt, in der die ermittelten
schen Untersuchungsgrundlage. Neben einer Aus-
Merkmale (Themen, Formate, Kurzbeschreibun-
wertung von kulturpolitischen Dokumenten (hier
gen, Materialien usw.) erfasst und codiert wurden.
als „Primärliteratur“ bezeichnet, S. 38) und der
In einem strukturierten Verfahren wurden sodann
einschlägigen Forschungsliteratur („Sekundärlite-
– quasi in einem hermeneutischen Prozess – durch
ratur“) handelt es sich dabei um die Ausstellungs-
Vergleich bzw. Kontrastierung Merkmale heraus-
konzepte. Worum es hierbei genau geht, erschließt
gearbeitet, die dann in einem neuerlichen Codie-
sich erst nach und nach, und dass sie in einem
rungsdurchlauf in die entsprechenden Untersu-
Atemzug mit „politischen Konzepten“ genannt
chungsdaten eingeschrieben wurden. Einzelfälle
(S. 38) werden, trägt nicht gerade zur Klarheit bei.
finden sich in diesem Prozess zu Merkmalsgruppen
Es handelt sich um die „empirischen [?] Materia-
zusammen, aus denen sich durch Merkmalskombi-
lien der Tourneeausstellungen wie Kataloge, Briefe,
nationen Typen und schließlich eine Typologie her-
Infohefte und Internet- bzw. Intranet-Einträge“
ausschälen lassen.
(S. 39), wie sie die Forscherin beim GI und beim
Wer nun gespannt auf die Analyse (Empirie) ist,
ifa vorgefunden hat. Die Datenlage ist offenbar
muss sich, am Ende des ersten Kapitels angelangt,
159
WIKA-Report (Band 2)
allerdings noch gedulden, denn es folgen zwei
proklamierte Interdisziplinärität der Studie, die ja
(allerdings sehr kundige und lesenswerte) Kapitel
unstrittig ist, und somit auch die Forschungsleis-
zum Stellenwert der kulturellen Programmarbeit
tung der Autorin noch deutlicher hervortreten.
innerhalb der (bundes-)deutschen AKBP (Kap. 2)
In Kap. 4 fällt eine strukturelle Eigentümlichkeit
sowie zur Vermittlung eines Deutschlandbilds als
der rezensierten Studie auf, die sich bereits in der
Ziel und Aufgabe der Programmarbeit (Kap. 3).
Einleitung und in früheren Abschnitten andeutet,
Während Ersteres die hinlänglich bekannten regie-
nämlich die Balance zwischen „Theorie“ (Ausbrei-
rungsamtlichen Dokumente der 1970er Jahre („Leit-
tung, Analyse und Bewertung der vorliegenden
sätze“ von 1970, „Enquête-Bericht“ von 1975 u. a.)
Quellen und Sekundärliteratur) und „Empirie“
sowie der rot-grünen Koalitionsregierung (v. a.
(Kategorisierung und Typisierung des Analysekor-
„Konzeption 2000“) unter der Forschungsperspek-
pus'): Die Verfasserin kündigt ihre explorative Stu-
tive auswertet und damit im engeren Korpus der
die mehrfach an und bereitet deren methodischen
Forschungsliteratur zur AKBP verortet ist, rückt
Rahmen vor (Kap. 1.4, 4.1.3, 5.2.3, 5.3.3), suspendiert
die Verfasserin ihr Untersuchungsinteresse im
dies jedoch immer wieder zugunsten mehr oder
Letzteren in den Diskurs von Nationenforschung
weniger geschlossener thematischer Abschnitte.
(u.a. Benedict Andersons Imagined Communities), von
Dafür verknüpft Kap. 5 beide Dimensionen:
Stereotypen- und Perzeptionsforschung sowie von
Zunächst werden jeweils für die beiden Akteure –
außenpolitischen Kommunikationskonzepten und
Goethe-Institut und Institut für Auslandsbeziehun-
damit von Nation Branding, Public Diplomacy (bzw.
gen – deren Selbstverständnis, strukturelle Ausge-
Cultural Diplomacy) sowie Politischer Öffentlich-
staltung sowie die in Bezug auf das Ausstellungs-
keitsarbeit. Im letzteren Bereich arbeitet die Ver-
wesen entfalteten Aktivitäten eingeführt, um dann
fasserin die Ressortzuständigkeiten für die (Selbst-)
in zwei Exkursen (nicht als repräsentativ verstan-
Darstellung des Staates im Ausland heraus und
dene) Einzelausstellungen vorzustellen, die die Ver-
identifiziert damit – zumindest im Untersuchungs-
fasserin jeweils 2009 in situ dokumentiert hat: die
zeitraum – eine Aufgabenteilung (bzw. -überschnei-
Plakat-Ausstellung4 „Stefan Koppelmann. Ortszeit /
dung) zwischen den Fachabteilungen des Auswär-
Local time“ des GI Nancy (Frankreich) sowie „Hans
tigen Amts und dem Bundespresseamt. Kap. 4 der
Poelzig. Architekt Lehrer Künstler 1869–1936“ in
Studie schließlich ist dem Medium Ausstellung im
Wrocław (Polen). 5 Obgleich diese Abschnitte für
Rahmen der Programmarbeit gewidmet. Auffällig
sich genommen den Untersuchungsgegenstand
ist dabei die fortlaufende Verwendung des Kürzels
Tourneeausstellungen deutlicher hervortreten las-
AKP für den betreffenden Referenzbegriff (ab S. 19),
sen, so lassen sie erneut eine systematische Span-
anstatt – wie in der Forschungsliteratur üblich –
nung innerhalb des Forschungsdesigns erkennen,
zwischen Kulturpolitik und Kulturarbeit, also zwi-
dass nämlich die Ausstellungskonzeption (in dem
schen den jeweiligen Perspektiven von Staat und
von Heike Denscheilmann hergeleiteten Sinn) und
Mittlerorganisationen zu trennen. Ausstellungen
vor Ort realisierte Ausstellungen unterscheidbare
werden historisch und kommunikativ unter Rück-
Bedeutungsebenen eröffnen – v. a. wenn der Ort im
griff auf die deutschsprachige Fachliteratur als
Gastland auf je besondere Weise mit Thema, Gegen-
gesellschaftliche Medien kontextualisiert. Hilf-
stand oder weiteren Elementen der gezeigten Aus-
reich wären hier (wie auch in anderen Abschnit-
stellung einmalige Lesarten eröffnet (hier der bio-
ten der vorliegenden Studie) konkretere Perspekti-
grafische Bezug Hans Poelzigs zu Breslau/Wrocław).
vierungen durch Verweis auf einerseits relevante Wissenschaftsbereiche (Disziplinen und gegebenenfalls Denkschulen), andererseits die institutionelle Verortung der angeführten Akteure und zitierten Autoren. Dadurch würden die eingangs
4 Die Kategorisierung ist etwas irritierend, denn es handelt sich um reproduzierte, großformatige Fotografien im PlakatFormat, nicht jedoch um Werbegrafik. 5 Siehe dazu auch den Beitrag von Heike Denscheilmann im WIKA-Report Band 1 (2012).
160 Rezensionen
Die besondere Stärke der zu besprechenden
aus dem Datenkorpus schlaglichtartig Einblicke,
Studie liegt nach Ansicht des Rezensenten in
ohne dass deren methodische Einbettung hinrei-
ihrem explorativen Abschnitt (Kap. 6). Dazu wurde
chend sichtbar wird. Dies wird allerdings durch die
im Sinne des Typisierungsverfahrens nach Susann
umfassenden Kenntnisse der Verfasserin in Sachen
Kluge ein „Merkmalsraum“ entwickelt, also Katego-
Ausstellungspraxis mehr als wett gemacht (v.a.
rien von Merkmalen, wobei (auch durch Rückgriff
Kap. 7.2). Und – ein äußerst seltener Fall im Gesam-
auf die vorab eingeführten Theorien) zwei maß-
trahmen der AKBP-Forschungsliteratur – die indi-
gebliche „Grundkategorien“ identifiziert wurden:
viduellen Akteure (Verantwortliche in den Orga-
Ausstellungsthema (das Was?) mit sieben ermittel-
nisationen, Experten, Kuratoren u. a.) kommen
ten Merkmalsrealisierungen und Ausstellungs
zu Wort oder werden in ihren Leistungen gewür-
gestaltung (das Wie? der Ausstellung) mit drei Merk-
digt. (Noch eindringlicher hätte lediglich eine Fall-
malen. Innovativ ist dieses (Zwischen-)Ergebnis
studie die individuellen Gestaltungsräume der
insofern, als diese Kategorien deduktiv, anhand
Akteure hinter den dominanten Leitlinien und
des Untersuchungsmaterials, und nicht aufgrund
Konzepten der deutschen AKBP sichtbar werden
abstrakter theoretischer Vorgaben entwickelt
lassen!) Innovativ sind auch weitere Erkenntnisse
wurden. Die Autorin ermittelt am Korpus der 178
der vorliegenden Studie, etwa zum in bzw. durch
Tourneeausstellungen sieben Typen, die allerdings
Tourneeausstellungen im Untersuchungszeitraum
stärker von inhaltlich-thematischen als von Gestal-
vermittelten Deutschlandbild. Der Verfasserin
tungsmerkmalen geprägt sind. Ein Grund hierfür
zufolge biete AKBP „ein[en] Weg der gezielten kul-
mag im Untersuchungsdesign liegen, das ja nicht
turellen Selbsterzählung Deutschlands“, sie for-
die Ausstellungsrealisierung (in situ) als Grundlage
dere die „Entwicklung alternativer Bildangebote“,
hat, sondern deren (rekonstruierte) abstrakte Aus-
knüpfe an bestehende Deutschlandbilder (im Aus-
stellungskonzepte. Besondere Relevanz kommt der
land) an und erweitere diese (S. 269). In der Diskus-
Ebene der Gestaltung zu, insofern die drei ermit-
sion wechselt die Verfasserin dann allerdings vom
telten Typen von Gestaltungskonzepten – geschlos-
Standpunkt der unbeteiligten Forscherin zur Per
sen, offen, alternativ – mit Konzeptionen der AKBP
spektive der Kulturmittlerin, indem sie auf die für
(bzw. der Public/Cultural Diplomacy oder Politischen
internationale Kulturarbeit maßgeblichen staatli-
Öffentlichkeitsarbeit) korrelieren, nämlich den
chen Akteure adressiert und ein eigenes, kultur-
Leitzielen Repräsentation bzw. Kommunikation.
politisches Anliegen durchscheinen lässt: Sie iden-
Ob die statistische Verteilung der Typen und Unter-
tifiziert in den politischen Konzepten (gemeint
typen auf die beiden Mittlerorganisationen wirk-
sind die regierungsamtlichen Leitdokumente) eine
lich etwas über programmatische Profile dieser
„Lücke der Künste“ und „ein nur vages Gerüst an
Akteure auszusagen vermag, ließe sich diskutie-
Leitlinien“ (S. 272). Daraus seitens der Außenpoli-
ren. Jedoch sind die betreffenden Abschnitte nach
tik und der Mittler eine geringere „Unterstützung“
Ansicht des Rezensenten nicht maßgeblich für
für diesen Bereich abzuleiten, greift nach Ansicht
die Bewertung der Gesamtstudie, deren Stärke in
des Rezensenten zu weit. Stattdessen verweist die
der Systematisierung und im empirischen, reflek-
Verfasserin ein ums andere Mal auf die Autonomie
tierten Zugriff auf bislang kaum beachtete Instru-
der Künste angesichts deren „Politisierung“ (ebd.).
mente der Kulturarbeit im Ausland liegt. In Kap. 7
Dieser Duktus tritt im abschließenden Kap. 9 dann
legt die Verfasserin als Ergebnis der vorgenomme-
gänzlich in den Vordergrund, indem auf Grund-
nen Systematisierung Erkenntnisse dar, die sich
lage des ermittelten Status quo, der außen(kultur-)
auf ein breites Spektrum beziehen, etwa der The-
politischen Erwartungen sowie eines idealisierten
menentfaltung, der vertretenen Künstlerpersön-
Verständnisses von den Möglichkeiten von Ausstel-
lichkeit, der Ausstellungsformate sowie auf orga-
lungsarbeit im Ausland Empfehlungen für eine
nisationsbezogene Aspekte. Sie entwickelt dabei
künftige Praxis formuliert werden. Beispielsweise
161
WIKA-Report (Band 2)
solle diese einer kommunikativen Ausrichtung der
ist in diesem Sinne die Überschrift „Besondere
Maßnahmen im Gastland verpflichtet sein (S. 292).
Beobachtungen“ (S. 284), und das folgende Zitat
In diesem Teil der Studie wäre die Unterscheidung
erzeugt Verwirrung hinsichtlich des bezeichne-
zwischen einerseits der den regierungsamtlichen
ten wissenschaftlichen Zugriffs, wenn nämlich
Akteuren bzw. dem Auswärtigen Amt vorbehalte-
„Beobachtungen bei der Analyse […] beschrieben
nen Außenkulturpolitik und andererseits der Kul-
und ausgewertet“ werden (S. 213). Über große Teile
turarbeit der Mittler im Ausland hilfreich gewesen
störend ist das Belegsystem für Textzitate, das aus
– beides ist bekanntlich in der vorliegenden Stu-
über siebenhundert Fußnoten besteht, die jedoch
die durchweg im Kürzel AKP vereint, wodurch die
überwiegend Angaben zu Autor, Jahres- und Seiten-
jeweiligen Aufgabenbereiche und Einflusssphären
zahl enthalten, also Informationen, die alternativ
nicht mehr trennungsscharf auszumachen sind. Ob
als Kurzbelege („Harvard-Notation“) in Klammern
es Aufgabe einer Dissertation ist, Handlungsemp-
direkt in den Fließtext integriert werden, so dass
fehlungen auszusprechen – erkennbar an den als
Fußnoten weiterführenden Hinweisen vorbehal-
Aufforderung aufzufassenden Infinitiv-Konstruk-
ten sind. Irritierend sind auch Literaturbelege, die
tionen in den Zwischenüberschriften zu Kap. 9
sich auf Herausgeberwerke beziehen und nicht auf
(z.B. „Kulturvermittlung und Adressatenorientie-
die darin enthaltenen und das Zitat betreffenden
rung vermitteln“ [sic!], S. 295) sowie am Einsatz
Aufsätze (z.B. Fußnoten 84, 205, 217, 219 usf.). Und
des Modalverbs ‚sollen‘ sowie entsprechender Kon-
schließlich stößt der Leser immer wieder auf Satz-
junktivformen im Text („[…] Tourneeausstellungen
fehler (Zusammenschreibung von Wörtern ohne
könnten [hierzu] beitragen“, S. 295), mag unter-
Abstand) sowie gelegentliche Schreibfehler, die
schiedlich bewertet werden. Daran den Wert einer
offenbar bei der Endkorrektur übersehen wurden.
wissenschaftlichen Arbeit zu messen, hieße nach
Sie schmälern jedoch nur unwesentlich den insge-
Meinung des Rezensenten, über das Ziel hinauszu-
samt sehr guten Eindruck einer kenntnisreichen
schießen. Jedoch sollte die Frage nach den Adres-
Pionierarbeit, die anschlussfähig ist für weitere
saten wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten
Forschungsarbeiten zu einem etablierten, jedoch
sowie nach einer ‚Operationalisierbarkeit‘ von For-
in den beteiligten Wissenschaften bislang wenig
schungsergebnissen gestellt werden. Vorsichtig aus-
wahrgenommenen Bereich der Kulturarbeit im
gedrückt, wäre neben der (aus institutioneller Sicht
Ausland – eines Mediums oder Instruments deut-
der Wissenschaft) essenziellen Dissertationsarbeit
scher Auswärtiger Kulturpolitik. [GUB]
eine weitere Publikation in monographischer oder unselbstständiger Form wünschenswert, die ihre Adressaten in den relevanten Feldern der Außenpolitik sowie der Kulturvermittlung fände. In dieser
Kulturdiplomatie zwischen Konflikt und Kooperation
Folgepublikation könnten dann mit Verweis auf die Monographie Handlungsempfehlungen dargelegt werden. Abschließend sollen einige formale Schwächen
von Maltzahn, Nadia (2013): The Syria-Iran Axis.
Cultural Diplomacy and International Relations in the Middle East. London, New York: I.B. Tauris.
der rezensierten Studie nicht unerwähnt bleiben, auch mit Blick auf die hoffentlich folgenden weite-
Sie gilt als eine der langanhaltendsten Allianzen
ren Beiträge zur Reihe „Auswärtige Kulturpolitik“.
im spannungsreichen Nahen Osten: Trotz – oder
Hinsichtlich Sprache und Stil wäre der Verfasserin
vielleicht gerade wegen – der anhaltenden innen-
zunächst ein beherzteres Auftreten zu empfehlen,
wie außenpolitischen Konflikte pflegen der Iran
denn es wird allzu viel „beobachtet“ und „betrach-
und Syrien eine intensive Partnerschaft.
tet“ (statt zu erfassen, ermitteln, dokumentieren,
Nadia von Maltzahn liefert mit ihrem Band
beschreiben, analysieren und so fort). Irritierend
„The Syria-Iran Axis“ einen profunden Überblick
162
Rezensionen
über die syrisch-iranischen Beziehungen seit der
westliche Orientierung des Schahreichs für Span-
Staatsgründung Syriens 1946. Dabei stellt sie den
nungen zwischen den Nachbarländern sorgten,
syrisch-iranischen Kultur- und Bildungsaustausch
ebenso diskutiert sie innen- wie regionalpolitische
ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Auf knapp 200
Konfliktsituationen und analysiert die diplomati-
Seiten analysiert Maltzahn das Verhältnis der bei-
schen und wirtschaftlichen Beziehungen beider
den Staaten vor und nach der Zäsur durch die Isla-
Länder auf dem internationalen Parkett.
mische Revolution 1978/79 unter dem politischen
Die folgenden Analysen zur Lage der Auswär-
Führer und schiitischen Rechtsgelehrten (Ajatol-
tigen Kultur- und Bildungspolitik beider Länder
lah) Ruholla Musavi Khomeini. Betrachtet werden
sind so ausführlich wie aufschlussreich. Der Iran
die spezifischen außenkulturpolitischen Agenden
verfolgt seit der Islamischen Revolution unter Kho-
beider Staaten auf internationaler wie auf bilate-
meini eine Außenkulturpolitik, die, so erläutert
raler Ebene. Eine detaillierte Analyse der außen-
Maltzahn, ein Lehrbuchstück für das Soft Power-
kulturpolitischen Arbeit vor Ort liefert Maltzahn
Konzept Joseph Nyes darstellt. Als Gottesstaat ver-
in Kapiteln über das iranische Kulturinstitut in
steht es der Iran als seine Aufgabe, den Islam in
Damaskus, das syrische Äquivalent in Teheran,
die Welt zu proklamieren. Mit einem klaren Sen-
über den syrisch-iranischen Austausch im universi-
dungs- und Bekehrungsauftrag soll das Idealbild
tären Bereich und die Bedeutung von religiös moti-
des auf religiösen Geboten fußenden Staates in die
viertem Tourismus für das gegenseitige Bild in der
arabische Welt vermittelt werden. Etwa sechzig
jeweiligen Gesellschaft.
dem Ministerium für Kultur und Islamische Füh-
Sowohl Syrien als auch der Iran betonen in
rung unterstehende Kulturzentren übernehmen
ihren kulturellen Beziehungen immer wieder
weltweit diese Aufgabe. Neben der persischen Spra-
die lange Geschichte des iranisch-syrischen Aus-
che und Literatur soll vor allem ein Zugang zu den
tauschs, die bis zu den Wissenschaftlern, Philo-
gängigen Islamischen Denkschulen vermittelt wer-
sophen und Dichtern des arabischen Mittelalters
den. Zudem bieten die Kulturzentren einen Anlauf-
zurückdatiert wird. Beide Staaten identifizieren
punkt für im Ausland lebende Iraner.
sich über die arabischen und islamischen Wurzeln
Die syrische Außenpolitik fokussiert sich hin-
der gemeinsamen Kultur. Obwohl sich Syrien als
gegen stark auf Verteidigung und Sicherheit. Syrien
säkularer Staat nicht mit den islamisch motivier-
versteht sich als säkularer Staat in einer instabilen
ten Staatszielen des Irans identifiziert, haben die
Region nicht als mit der Vermittlung eines beson-
Islamische Revolution und die Gründung der Isla-
deren Staats- und Weltbildes betraut. Internatio-
mischen Republik das syrisch-iranische Verhält-
nale Kulturbeziehungen sind, anders als etwa in
nis intensiviert. Zwar wurde bereits 1953 unter der
der westlichen Welt, nicht Aufgabe des Außenmi-
Herrschaft von Schah Muhammad Reza Pahlewi
nisteriums, sondern werden randständig im Kul-
ein erstes syrisch-iranisches Freundschaftsabkom-
turministerium behandelt. Obwohl Syrien keiner
men geschlossen, doch die prowestliche, amerika
Revolutionsideologie folgt, ist der Staat, so Malt-
freundliche Haltung der monarchischen Regierung
zahn, doch von der Idee einer Arabischen Einheit
sowie die Duldung des israelischen Staates stießen
und eines panarabischen Erbes geprägt. Außerhalb
auf Ablehnung von Seiten Syriens.
dieses Kulturraums existieren bis dato drei Kultur-
Im ersten Kapitel der klar strukturierten Untersuchung verortet Maltzahn die syrisch-iranischen
zentren in Madrid, Paris und São Paulo, zwei weitere in Sanaa und Teheran.
Beziehungen in ihrem territorialen, historischen
Obwohl das Verhältnis zwischen dem säku-
und gesellschaftspolitischen Umfeld. Nicht nur
laren Syrien und der Islamischen Republik Iran
gibt sie einen umfassenden Überblick über die
einiges an Konfliktpotenzial birgt, ist beiden auf
spannungsgeladenen 1950er und 1960er Jahre, in
dem internationalen Parkett isolierten Staaten
denen der arabische Nationalismus Syriens und die
sehr an einem erfolgreichen Fortbestehen der
163
WIKA-Report (Band 2)
syrisch-iranischen Allianz gelegen. Als „Achse
es von syrischer Seite, so die Autorin, an Geld und
des Widerstands“, wie Syriens Präsident Baschar
Bewusstsein. Die Aspekte des bilateralen akademi-
al-Assad die beiden Staaten 2006 bezeichnete, ver-
schen Austauschs und religiös motivierter Pilger-
stehen sich Syrien und der Iran als Bollwerk gegen
reisen bespricht Maltzahn in den letzten beiden
den Zionismus Israels und gegen die Indoktrinie-
Kapiteln des Bandes. Auch hier zeigt sich, dass die
rung der westlichen Welt. Während die Allianz
größere Initiative vom finanzkräftigeren Partner
vor allem von Seiten der Regierungen gewünscht
Iran ausgeht.
und gefördert wird, finden die zentralen, einenden
Maltzahns Buch bietet einen profunden und
Themen – etwa der Palästinakonflikt – in der brei-
ausführlichen Überblick über die Situation der
ten Öffentlichkeit nur wenig Interesse. Auch der
syrisch-iranischen Kulturbeziehungen der ver-
syrisch-iranische Kulturaustausch, berichtet Malt-
gangenen siebzig Jahre. In der starken histori-
zahn, kommt im Volk eher bedingt an.
schen Fokussierung steckt auch ein entscheiden-
Die syrische Kulturarbeit im Iran und die ira-
der Nachteil des Bandes: Zwar bietet „The Syria-Iran
nische Kulturarbeit in Syrien veranschaulicht die
Axis“ einen stringenten Überblick über eine syri-
Autorin anhand der Arbeit der Kultureinrichtun-
sche Politik, jedoch wirkt die Wahl des Zeitraums
gen in den Hauptstädten. Maltzahn untersucht
gerade für die schwerwiegende iranische Seite
das Wirken des iranischen Kulturzentrums in
recht bemüht. Maltzahn schweift immer wieder
Damaskus auf historischer Ebene und gibt einen
zwischen der prä- und postrevolutionären Zeit hin
Überblick über den Aufgabenbereich und das all-
und her und schafft dadurch nur bedingt Über-
gemeine Arbeitsumfeld in Damaskus. Auch die
sichtlichkeit. Es wäre vielleicht anzuraten gewesen,
Präsenz anderer Mittlerorganisationen, unter
die gesamten außenkulturpolitischen Aktivitäten
anderem die der westlichen Staaten schließt sie in
der Regierung Schah Mohammad Reza Pahlewis in
ihre Betrachtung mit ein. Neben der alltäglichen
einem Kapitel abzuhandeln, um sich in der Folge
Präsenz evaluiert sie auch Sonderveranstaltungen
stärker auf den iranisch-syrischen Kulturaustausch
wie Filmfestivals, Kulturwochen, Buchmessen und
der jüngeren Vergangenheit zu konzentrieren.
Konferenzen nach ihrer Publikumswirkung, nach
Immer wieder lässt Nadia von Maltzahn in
Prestige und Ansehen. Auch das Centre of Iranian-
ihrem Band die Veränderungen anklingen, die mit
Arab Cultural Studies und das Kulturzentrum in
dem Arabischen Frühling 2011 in beiden Ländern
Latakia untersucht Maltzahn, wobei sie auch auf
aufgekommen sind. Zwar schafft sie dadurch einen
persönliche Erfahrungen und Anekdoten zurück-
vagen aktuellen Bezug, jedoch sind die Statements
greift.
und Ausblicke zu kurz und zu unklar gefasst, um
Im Vergleich mit der iranischen Präsenz in
einen greif baren Kommentar zu den syrisch-ira-
Syrien erscheint die syrische Präsenz im Iran eher
nischen Kulturbeziehungen der Gegenwart zu
verschwindend gering. Maltzahn stellt in diesem
leisten. So wirkt das Buch, nicht zuletzt vor dem
Kapitel das Syrian-Arab Cultural Centre vor, des-
Hintergrund des nunmehr drei Jahre andauernden
sen Arbeit allerdings nicht mit der weitschweifen-
Syrienkrieges, bereits zur Veröffentlichung unwei-
den Kulturarbeit des Irans in Syrien konkurrieren
gerlich veraltet. [Dominic Konrad, Stuttgart]
kann. Vielmehr, so die Autorin, sei die alleinige Existenz des Zentrums im ansonsten von ausländischen Kulturmittlern ziemlich abgeschotteten Teheran als ein Statement der syrischen Regierung zu verstehen, die für Syrien wichtigen Themen Anti-Israelismus und Panarabische Union in der Gesellschaft zu verankern. Für weitreichende außenkulturpolitische Maßnahmen fehlt
164 Rezensionen
Evaluation in der Kulturpolitik
Mittlerorganisationen bieten regelmäßige Evaluationen die Möglichkeit, ihre Leistungen im Bereich der Kulturarbeit sichtbar zu machen und damit
Hennefeld, Vera/Stockmann, Reinhard (Hg.) (2013):
Evaluation in Kultur und Kulturpolitik: eine Bestandsaufnahme. (Sozialwissenschaftliche Evaluationsforschung; 11). Münster [u.a.]: Waxmann.
eine faktische Legitimation für die Förderung zu schaffen. Aber schöpfen die Mittlerorganisationen mit ihren Programmen und Projekten die Möglichkeiten des Kulturaustauschs und des Dialogs voll aus? Sind die 1,5 Milliarden Euro, die das Auswär-
Aus dem Alltag vieler politischer und zivilgesell-
tige Amt jährlich für Auswärtige Kulturpolitik
schaftlicher Stiftungen ist die Evaluation als Mit-
bereitstellt, sinnvoll ausgegeben? Statt selbst ins-
tel zur Feststellung von Wirksamkeit und Nutzwert
titutionsübergreifende, allgemeine Evaluationen
von Veranstaltungen, Projekten und Programmen
der bestehenden AKBP-Programme und -Mittler in
nicht mehr wegzudenken. Auch für die deutsche
Auftrag zu geben, verharrt das Auswärtige Amt seit
Kulturlandschaft, die nationale Kulturpolitik und
Jahrzehnten in einer starren Outsourcing-Strategie,
die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik stellen
kritisiert Maaß.
Evaluierungen keine Ausnahme mehr dar. Gerade
Die erste Auswertung der Auswärtigen Kul-
in den vergangenen Jahren hat sich aufgrund der
tur- und Bildungspolitik fand unter Kanzler Willy
Wirtschaftskrise und des immer weiter steigen-
Brandt statt. Der Bericht der Enquête-Kommission
den Konkurrenzkampfs um Etats und Fördermit-
Auswärtige Kulturpolitik, 1975 vorgelegt, stellt
tel in der deutschen Kulturpolitik ein steigender
bis heute die einzige allumfassende Auswertung
Bedarf an Evaluationen herauskristallisiert. Prof.
der deutschen AKBP-Aktivitäten dar.6 Ein Vorstoß
Dr. Reinhard Stockmann, Leiter des Centrums für
des Außenministers Joschka Fischer im Jahr 1998
Evaluation (CEval) an der Universität des Saarlan-
scheiterte am Widerstand der zuständigen Abtei-
des, und seine Kollegin Dr. Vera Hennefeld, Leiterin
lung, ebenso eine Große Anfrage der Grünen im
des dortigen Arbeitsbereichs Bildung und Kultur,
Jahr 2006, in deren Antwort auf die Zuständigkeit
haben mit „Evaluation in Kultur und Kulturpolitik“
der Mittlerorganisationen verwiesen wird. Diese
eine Bestandsaufnahme über den Stellenwert der
seit nunmehr vierzig Jahren bestehende Zurückhal-
Evaluation im Kulturbereich veröffentlicht. Neun
tung des Auswärtigen Amts in Bezug auf eine voll-
Aufsätze klären ihre Rolle und Bedeutung in der
ständige Evaluation der AKBP kritisiert Maaß als
Kulturpolitik auf nationaler Ebene und in der Aus-
unnötig. Immer wieder stoße man in der Diskus-
wärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Daneben
sion auf das Argument, Außenkulturpolitik sei per
geben sie einen Überblick über die aktuellen Eva-
se nur schwer auswertbar, da ihre Ziele nur mit-
luationsmethoden und -praktiken und diskutieren
tel- bis langfristig erreicht werden können. Diese
Best Practice-Beispiele.
Argumentation teilt Maaß nicht. Zwar ließe sich
Über die Rolle und Bedeutung der Evaluation
nur schwer nachvollziehen, inwiefern konkrete
in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
Maßnahmen für eine Verbesserung des Deutsch-
schreibt Prof. Dr. Kurt-Jürgen Maaß. Als ehemali-
landbildes sorgten, doch die Qualität, Relevanz und
ger Generalsekretär des ifa (Institut für Auslands-
Nachhaltigkeit außenkulturpolitischer Programme
beziehungen) schöpft Maaß dabei aus seiner lang-
und Projekte lasse sich sehr wohl in Zahlen messen
jährigen Berufspraxis. Gerade in der Auswärtigen
und auswerten.
Kultur- und Bildungspolitik, die maßgeblich durch
Dr. Vera Hennefeld diskutiert in ihrem Bei-
die Arbeit der vom Auswärtigen Amt geförder-
trag den Einsatz von Zielvereinbarungen in der
ten Mittlerorganisationen bestimmt wird, hat die Evaluation im Lauf der vergangenen Jahrzehnte eine stetig wachsende Bedeutung erhalten. Den
6 Deutscher Bundestag (1975): Bericht der Enquête-Kommission Auswärtige Kulturpolitik gemäß Beschluss des Deutschen Bundestages vom 23. Februar 1973. Drucksache 7/215 (neu). (Drucksache 7/4121, 07.10.1975). Bonn.
165
WIKA-Report (Band 2)
Zusammenarbeit zwischen Auswärtigem Amt und
der Band von Hennefeld und Stockmann mit sei-
Mittlerorganisationen, wie sie das AA unter ande-
nen 245 Seiten nur an der Spitze des Eisbergs krat-
rem mit dem ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)
zen. Die Autoren geben mit ihren Beiträgen einen
und der Deutschen UNESCO-Kommission pflegt.
Startschuss für weitere Publikationen zu diesem
Kern der Berichts- und Evaluationspflicht sind die
Thema. Dringend erforderlich wäre künftig etwa
Zuwendungsberichte, die jede Mittlerorganisation
auch ein Handbuch mit Praxisbezug. [Dominic Kon-
jährlich abzugeben verpflichtet ist.
rad, Stuttgart]
Das Konzept der Zielvereinbarungen als strategische Steuerungselemente stammt aus der freien Wirtschaft und wird vom Auswärtigen Amt als
Über den Rand hinaus geblickt
Instrument zur Effizienz- und Effektsteigerung bei den Mittlerorganisationen eingesetzt. Durch diese Vereinbarungen werde die deutsche Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik noch weiter dezen-
Leggewie, Claus (2012): Zukunft im Süden. Wie die Mittelmeerunion Europa wiederbeleben kann. Hamburg: Edition Körber-Stiftung.
tralisiert als sie es als die „weitestgehend staatsfernste“ AKBP im europäischen Vergleich bereits
Wie eine „Trotzreaktion“ wirkt es, auch nach
ist. Das Auswärtige Amt gebe durch das Instrument
Einschätzung des Autors Leggewie, wenn in sei-
der Zielvereinbarungen seine Verantwortung und
nem 2012 erschienenen Buch Europas Zukunft im
Entscheidungskompetenz im Bereich der AKBP ab,
Süden gesehen und beschworen wird. Das Werk
kritisiert Hennefeld. Dies geschehe frei nach dem
bietet Alternativen zur gegenwärtigen Europa-
Motto „Die Mittlerorganisationen wissen selbst am
und Mittelmeerpolitik, wie Leggewie sie sieht,
besten, welche Maßnahmen zu ergreifen sind“.
nämlich rückwärtsgewandt, einfallslos, klischee-
Alles in allem könne jedoch eine positive Bilanz in
gesteuert, gebeutelt von einer aus den Fugen gera-
Bezug auf die Effektivität der Zielvereinbarungen
tenen Finanzwirtschaft, mehr Krisenmanage-
gezogen werden. In den bisherigen Jahresberichten
ment als wirkliche Politik. Ausgehend von dieser
lasse sich zweifelsohne eine positive Entwicklung
Einschätzung spricht er von der „europäischen
in der Zielführung nachweisen. Allerdings gibt
Wagenburg“, die ähnlich wie der Staat Israel in der
Hennefeld zu bedenken, dass durch das Fehlen
Dynamik der arabisch, iranisch, türkisch gepräg-
einer verbindlichen, übergeordneten Struktur zur
ten Welt im Süden und Osten des Mittelmeers nur
Ermittlung der Indikatoren keine übergreifende,
düstere Bedrohung erkennen will. Was Leggewie
klare Evaluation der Erfolge von Maßnahmen gezo-
anstrebt, ist eine „Europäische-cum-Mittelmeer-
gen werden könne. Die Indikatoren könnten zwar
union“ (S. 14), die also auch Länder der MENA-
Aussagen über die einzelnen Auswirkungen und
(Middle East North Africa)-Region umfasst. Die Bil-
Effekte treffen und diese gegenüber dem Mittel
dung einer solchen Region könnte Europa, das
geber nachweisen, das eigentliche Ziel, nämlich
sich ohnehin gerade in einer Krise seiner Orien-
eine zielführendere und weitestgehend struktu-
tierungen befindet, veranlassen, seine Stellung in
rierte Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu
der Welt neu zu bestimmen: gegenüber der herr-
gestalten, bleibe jedoch auf der Strecke.
schenden Wirtschaftsordnung, gegenüber der ein-
Alles in allem leistet „Evaluation in Kultur und
gespielten asymmetrischen Energienutzung, gegen-
Kulturpolitik“ wichtige Pionierarbeit in seinem
über unfairen Regeln für Produktion und Handel,
Bereich. Das Ziel, Akteure in Kultur, nationaler
gegenüber den empörenden Formen der Mobili-
Kulturpolitik sowie Auswärtiger Kultur- und Bil-
tät zwischen gedankenlosem Massentourismus
dungspolitik für die Bedeutung der Evaluation zu
aus dem Norden und rigider Blockade von Mobi-
sensibilisieren und den aktuellen Stand der For-
lität aus dem Süden, mit oft tödlichem Ausgang,
schung aufzuzeigen, ist geglückt. Allerdings kann
sowie gegenüber politischem Formalismus und
166
Rezensionen
Identitätsschwäche. Die neue großräumige Struk-
überhaupt umsetzen? Die in den nördlichen und
tur, die den südlichen und östlichen Mittelmeer-
südlichen Mittelmeerländern herrschende Renten-
raum in eine epochale politisch-gesellschaftliche
und Spekulationsökonomie, die sich aus Grund-
Gestaltung einbezieht, wird, so Leggewie, auch
besitz, Öl- und Gasexport, Migrantengeldern, Ein-
dem heute falsch gepolten und daher blockiert
nahmen aus dem Massentourismus und Immobili-
wirkenden Europa neue Dynamik verleihen. Sie
enspekulation speist, kann überwunden werden,
wird die geistigen und wirtschaftlichen Potenzi-
und zwar durch „den Einbau des Mittelmeerraums
ale herausfordern, wird Parlamenten und Regio-
in eine gesamteuropäische, bis nach Afrika rei-
nen Auftrieb geben, wird subregionale Gefüge her-
chende Energiewirtschaft, durch Arbeitsplatz-
vorbringen, wird der Zivilgesellschaft eine ganz
garantien für gut ausgebildete Akademiker und
andere, bedeutendere Funktion bescheren und
Facharbeiter, durch den Auf bau leistungsfähiger
schließlich dazu führen, dass sich Europa (endlich)
und nachhaltiger Berufsbildungssysteme und eine
auch als „globaler Akteur“ zurückmelden kann –
intensive Kooperation in Wissenschaft und For-
gegenüber der Großraumpolitik Chinas, die Afrika
schung“ (S. 30). Ökonomie, Kultur und Sicherheit
inzwischen fest im Griff hat, gegenüber der „ideolo-
sind für Leggewie die drei Felder, auf denen sich
gischen Selbstzerstörung“ der USA (und Russlands)
die Zukunft Europas im euro-mediterranen Raum
und der Bedrohung durch „politische Gewaltunter-
und sogar global entscheidet.
nehmer“ in und aus den islamischen Ländern.
Aber widerspricht der Einbau des Mittelmeer-
Leggewie ist Wissenschaftler, aber er hat
raums in eine europäisch-afrikanische Raumstruk-
keine Furcht, seine Thesen in klare Begriffe zu fas-
tur nicht ‚kulturräumlichen‘ Grenzen? Für Legge-
sen, ja sogar in einer Tabelle darzustellen (S. 20).
wie ist die Vorstellung einer abgeschlossenen und
Wie kann nun die Mittelmeerunion aus der Sicht
sich abschließenden arabisch-islamischen Welt
des Autors Europa wiederbeleben? Indem Europa
eine Fiktion, Überbleibsel eines verstockten Orien-
zusammen mit den Ländern des ‚Südens‘ die so
talismus, zu groß sind die Unterschiede zwischen
genannte Union für den Mittelmeerraum zu einer
den Ländern südlich und östlich des Mittelmeers,
wirklichen Mittelmeerunion macht. Wie? Durch
zu tief sind sie von ‚westlichen‘ Ideen durchdrun-
die Bildung einer „lockeren Föderation, bei der
gen, zu lebhaft und mutig ist dort die wachsende
die Form der Funktion folgt“ (S. 201), gestützt auf
Bürgerschaftlichkeit und das Beharren auf den
urbane Netzwerke. Mit welchen Maßnahmen soll
Menschenrechten. MENA ist für den Autor nur eine
dies verwirklicht werden? Mit einem gemeinsamen
geopolitische Fiktion, Realität ist die geopolitische
Friedens- und Entwicklungsprojekt, begründet und
Nachbarschaft zu Europa (S. 39). Was will Leggewie
in Bewegung gehalten durch Strategien „demokra-
letztendlich? Er will eine „Union demokratischer
tischen“ Friedens. Was sollen Europa und seine süd-
Mittelmeergesellschaften auf neuen Grundlagen
lichen Partner dazu beitragen? Sie sollen für die
und – auf Augenhöhe“, ein anderes „Eurabia“ auf
Bereiche Energie, Touristik, Handel und Bildung
den Säulen Ökonomie, Kultur und Sicherheit. Geo-
ein nachhaltiges Entwicklungsprogramm aufle-
politische Argumente sollen die Leser auf diesem
gen, sie sollen demokratische Prozesse und Struk-
Weg voranbringen: die dynamischen, „flüssigen“
turen fördern, sollen interkulturelle Kooperationen
Grenzen Europas, die uralte historische Entwick-
begründen und durch gemeinsame Bildungs- und
lung um die Mittelmeerachse herum, die raumbil-
wissenschaftliche Einrichtungen eine „euro-medi-
dende Kraft von Netzwerken (S. 50).
terrane Wissensgemeinschaft“ (S. 201) schaffen.
Welcher Eindruck bleibt von dem Buch? Es ist
Zum Projekt gehört auch eine rationale Migrati-
eine mutige und kluge Kampfschrift zugunsten
onspolitik sowie eine nicht nur symbolische Struk-
Europas und einer noch zu schaffenden, über die
turhilfe in den Herkunftsländern der Migranten.
Union für den Mittemeerraum hinausreichenden
Kann man dies alles mit den Mittelmeerländern
echten Mittelmeerunion. Mutig ist das Buch, weil
167
WIKA-Report (Band 2)
es entgegen dem an der Oberfläche bedrohlicher
Eine sehr wichtige Frage bedarf weiterer Klä-
Ereignisse und einer gnadenlosen Politik haften-
rung. Der Umfang eines sinnvollen gemeinsamen
den Blick langfristige Alternativen für eine groß-
Handlungsraums ist mit der Formel „Europäische
räumige Verständigung zwischen Europa und den
Union-cum-Mittelmeerunion“, also EU plus MENA,
Ländern und Gesellschaften südlich und östlich
scheinbar eindeutig umrissen, auch nach Nor-
des Mittelmeers aufzeigt. Klug ist das Buch, weil es
den hin. Die Hauptakteure sind mit Frankreich,
durch Argumente und Vorschläge auf eine trans-
Deutschland und der Europäischen Union klar
kontinentale Ordnung rund um das Mittelmeer,
benannt (ist letztere von ihrem politisch-kulturell-
zwischen Europa, Nordafrika und den Nahen
ökonomischen Zuschnitt her vielleicht doch eher
Osten hinwirkt, und zwar eine Ordnung, die nur
Europas Nordwesten zuzuordnen?). Wie aber steht
regelt, was jetzt ohnehin unbedingt geregelt wer-
es mit dem Süden des Mittelmeerraums? Endet die-
den muss, was aber, wie Migration, Arbeit, Energie,
ser Raum tatsächlich mit den saharischen Gebieten
Sicherheit, durch die politisch Verantwortlichen
der Mittelmeeranrainer? Kommen die Migranten
aus Furcht vor ‚dem Wähler‘ oder aus Verstockt-
etwa aus den Anrainerstaaten? Warum sprechen
heit gegenüber einer raum- und gesellschaftspoli-
sie so oft Französisch? Warum haben manche von
tischen Modernisierung nicht geregelt wird. Eine
ihnen eine gute Schulbildung bis hin zum Bac in
Kampfschrift ist das Buch, weil es mit einer kla-
französischer Tradition? Warum tummeln sich im
ren Botschaft, einem präzis argumentierenden
(sub-)saharischen Sahel-Afrika so viele religiöse
Diskurs, einer Fülle von auch quantitativ unter-
Emissäre aus dem Nahen Osten? Wohin führten
legten Argumenten (vgl. den Anhang „Die Euro-
und führen die transsaharischen Wege? Gehört
Méditerranée in Zahlen“, S. 232–241) und einer
also Sahelafrika nicht zum Mittelmeerraum? Wenn
oft polemischen, Ross und Reiter nennenden oder
es um eine neue Mittelmeerpolitik geht, für die
wenigstens andeutenden Sprache seine Ziele ver-
Leggewie mit seinem Buch wesentliche Orientie-
folgt. Leggewies Buch ist auch ein gebildetes Buch,
rungen gibt, sollten diese Fragen bedacht werden.
mit einer historischen Dimension und mit einer
Gute Politik organisiert, ordnet das Zusammen
Reihe von intellektuellen Paten, die von den Mön-
leben von Menschen nach Grundsätzen der Nach-
chen der Übersetzerschule von Toledo über Montes-
haltigkeit und Gerechtigkeit. Es wäre also festzu-
quieu, Paul Valéry, Fernand Braudel und anderen
stellen, wo ein Bedarf an Politik in diesem Sinne
bis Marcel Mauss sowie zeitgenössischen Autoren
besteht. Das ist im Bereich EU plus MENA zweifel-
wie Dieter Richter reicht. Nicht genannt, aber in
los der Fall, aber das Ordnungs-, also Politikdefizit,
Leggewies Analyse des Verhältnisses von Meer und
das sowohl die EU als auch den MENA-Raum belas-
Staatengründung gedanklich vertreten, ist auch
tet, reicht weiter nach Süden in das saharische und
Giambattista Vico.
sahelische Afrika hinein. Darauf mögen die gestell-
Zu Recht, und nicht nur wegen der Eleganz
ten Fragen aufmerksam machen, zugleich aber
intellektueller Diskurse, sondern als wichtiges Ele-
auch auf die kulturellen, demografischen, politi-
ment einer neuen Mittelmeerpolitik fordert Legge-
schen und religiösen Strukturen, die dieses Afrika
wie, wie erwähnt, eine euro-mediterrane Wissens-
mit Europa und dem von Leggewie beschworenen
gemeinschaft, freilich ohne dies im Detail weiter
mittelmeerischen „Süden“ verbinden. [BT]
auszuführen.1 1 Vgl. den Beitrag von Bernd Thum zur Geopolitik funktionaler Räume in diesem Band. Siehe ebenso Bernd Thum (2012): Ein Euro-Mediterraner Wissens- und Handlungsraum als strategisches Ziel. Kulturpolitische Überlegungen zu Konzeption und Programm. In: Gerd Ulrich Bauer/ders. (Hg.): Internationale Bildungsbeziehungen. WIKA-Report Band 1. (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik). Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, S. 87–96.
168
Kunst/Kultur – Politik/Gesellschaft + Kulturtheorie
Auswahlbibliografie
+ Kultursoziologie Aspekt : Benjamin, Walter + Legitimation von Herrschaft + Geopolitische Faktoren + Humankapital + Innovation + Wirtschaftliche Faktoren + Zivilge-
Zusammengestellt von Gudrun Czekalla, ifa (Institut für Auslandsbeziehungen), Stuttgart und Berlin
sellschaft + Wertesystem + Internationale kulturelle Dominanz/Abhängigkeit c-00897224 | ifa-Signatur : 34/58
Die vorliegende Auswahlbibliografie umfasst Dis-
Bernhard, Roland : Geschichtsmythen über Hispa-
sertationen, Bachelor-, Master-, Magister- und
noamerika : Entdeckung, Eroberung und Kolonisie-
Diplomarbeiten zu Themen Auswärtiger Kul-
rung in deutschen und österreichischen Schulbü-
tur- und Bildungspolitik, die in den Jahren 2012
chern des 21. Jahrhunderts. – Göttingen : V&R Uni-
und 2013 erschienen sind und die in den Bestand
press, 2013. – 244 S. – (Eckert : die Schriftenreihe;
der Bibliothek des ifa eingegangen sind. Über-
Bd. 134). – Zugl. : Graz, Univ., Diss., 2013
dies finden sich stets aktuelle Hinweise auf Neu-
Thema : Deutschland + Österreich + Schulerzie-
erscheinungen auf der Webseite des ifa:
hung/Schulbildung + Schulbuch + Jahrhundert 21.
http://www.ifa.de/bibliothek.html
+ Inhaltsanalyse + Lateinamerika + Mythos + Entdeckungsgeschichte + Geschichtsbild + Conquista
Akpemado, Komi Edinam : Zur (Re)kontextualisie-
+ Kolonialherrschaft + Eurozentrismus + Stand der
rung des Afrikabildes in der deutschsprachigen
Forschung + Nutzbarmachung von Forschungser-
Literatur. – Frankfurt/M. ... : Lang, 2013. – 219 S. –
gebnissen + Defizit
(Bochumer Schriften zur deutschen Literatur; Bd.
Aspekt : Kolonialgeschichte + Weltbild + Indianer |
75). – Zugl. : Bochum, Univ., Diss., 2012
c-00897825 | ifa-Signatur : 34/72
Thema : Deutschland + Schweiz + Literatur + Berichterstattung + Inhaltsanalyse + Auslandsbild
Boes, Petra : Brasilianische Literatur in deutscher
+ Afrika + Perzeption + Politische Faktoren + Sozio-
Sprache : Literaturübersetzung aus der Sicht der
kulturelle Faktoren + Kulturelle Faktoren + Stereo-
Translationswissenschaft. – Berlin : Trafo-Wiss.-
type + Afrikaner + Fremdbild
Verl., 2013. – 105 S. – (Lateinamerika-Studien; Bd.
Aspekt : Geschichtsbild + Wirkung/Auswirkung +
2). – Zugl. : Mainz, Univ., Masterarb., 2013
Kolonialzeit + Kolonialismus + Krisengebiet + Kon-
Thema : Brasilien + Deutschland + Kulturaustausch
fliktkonstellation + Belletristik + Kulturkontakt +
+ Literatur + Übersetzung + Verlag/Verlagswesen +
Autobiographisch + Kenia + Bildergeschichte + Bel-
Struktur + Übersetzer/Dolmetscher + Kulturver-
gisch-Kongo + Journalismus + Scholl-Latour, Peter |
mittlung + Kulturelle Präsenz + Analyse
c-00895778 | ifa-Signatur : 33/835
Aspekt : Berufsgruppe + Literaturkritik + Literaturwissenschaft + Rezeption + Bundesrepublik
Alberth, Lars : Die Fabrikation europäischer Kultur
Deutschland (1949-1990) + Deutsche Demokratische
: zur diskursiven Sichtbarkeit von Herrschaft in
Republik | c-00898575 | ifa-Signatur : 34/90
Europa. – Bielefeld : Transcript-Verl., 2013. – 257 S. – (Kultur und soziale Praxis). – Zugl. : Wuppertal,
Büchel, Jan : Fernsehen für Europa : transnatio-
Univ., Diss., 2013
nale mediale Öffentlichkeit als kulturpolitischer
Thema : Europa + Kultur + Funktion + Kulturpoli-
Auftrag der EU. – Frankfurt/M. ... : Lang, 2013. –
tik + Initiative Europa eine Seele Geben (Berlin) +
XVII,246 S. + 1 CD-ROM. – (Studien zur Kulturpo-
Fachkonferenz + Politische Rede + Diskurstheorie +
litik; Bd. 15). – Zugl. : Hildesheim, Univ., Diss., 2012
Analyse + Verhältnis Ideologie – Kultur + Verhältnis
169
WIKA-Report (Band 2)
Thema : Europäische Union + EU-/EG-Länder +
Strategische Konzeption + Theorie + Kommunika-
Medienpolitik + Kulturpolitik + Informations-/
tionsforschung + Kampagne + Standortfaktoren +
Kommunikationspolitik + Rundfunkprogramme +
Träger von Maßnahmen + Fallstudie + Empirische
Fernsehen + Konzeption + Wirkung von Massenme-
Analyse
dien + Europa + Identität + Identitätskonstruktion
Aspekt : Globalisierung internationaler Beziehun-
+ Öffentlichkeit + Internationale Zusammenarbeit
gen + Internationalisierung + Staatsfunktionen +
+ Reformvorschlag
Image-Bildung + Auslandsbild + Marketing + Pro-
Aspekt : Transnationale Prozesse + Verhältnis Poli-
paganda + Begriffsdefinition/Begriffsverständnis +
tik – Medien + Kulturelle Identität + Wertesystem +
Gesellschaftstheorie + Gesellschaftliche Prozesse
Deutschland + Vereinigtes Königreich + Frankreich
+ Theoriebildung + Mittlerorganisation (Auswär-
+ Litauen + Mediennutzung + Erwartung + ARTE
tige Kulturpolitik) + Zielgruppe + Evaluation +
(Strasbourg) + Euronews + EURONET | c-00896072 |
Wirkung/Auswirkung + Nutzen + Wissenschaftli-
ifa-Signatur : 34/11
che Methoden + Befragung + Indien + Südkorea | c-00882736 | ifa-Signatur : 33/577
Denscheilmann, Heike : Deutschlandbilder : Ausstellungen im Auftrag Auswärtiger Kulturpolitik. –
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ambique and Guinea-Bissau at the turn of the 21st
2012
century. – Frankfurt/M. ... : Lang, 2013. – 355 S. –
Thema : Deutschland + Auswärtige Kulturpolitik +
(Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwis-
Public Diplomacy + Außenpolitische Ziele + Image-
senschaft; Bd. 97). – Zugl. : London, City Univ., Diss.,
Bildung + Deutschlandbild + Fallstudie + Goethe-
2010 u.d.T. : Languages at war in Lusophone Africa
Institut (München) + Institut für Auslandsbezie-
Thema : Europa + Kolonialmacht + Portugal + Bra-
hungen (Stuttgart) + Ziele und Programme von
silien + Sprachenpolitik + Ehemalige Kolonien +
Institutionen/Organisationen + Aufgabenstellung
Portugiesischsprachiges Afrika + Fallstudie + Gui-
+ Analyse + Bildende Kunst + Ausstellung + Kunst-
nea-Bissau + Mosambik + Portugiesisch + Interna-
werk + Bestimmungsfaktoren + Bewertung kultur-
tionaler Wettbewerb + Politische Faktoren + Wirt-
politischer Maßnahmen + Konsequenz/Schlussfol-
schaftliche Faktoren + Internationaler Vergleich/
gerung
Ländervergleich + Auswärtige Kulturpolitik +
Aspekt : Repräsentativität + Kommunikation + Kul-
Frankreich + Vereinigtes Königreich + Deutschland
turvermittlung + Stereotype + Verhältnis Kunst/
+ Jahrhundert 21.
Kultur – Politik/Gesellschaft + Kunstfreiheit +
Aspekt : Kulturelle Grundrechte + Schulerziehung/
Interkulturelle Kommunikation + Kulturzugang
Schulbildung + Afrikanische Sprachen + Nord-Süd-
+ Auswärtige Kulturpolitik – Konzeption 2000 |
Dialog + Nationale Identität + Kulturelle Vielfalt +
c-00890831 | ifa-Signatur : 33/635
Kulturimperialismus + Internationale kulturelle Dominanz/Abhängigkeit | c-00879078 | ifa-Signatur
Fähnrich, Birte : Science diplomacy : strategische
: 33/439
Kommunikation in der auswärtigen Wissenschaftspolitik. – Wiesbaden : Springer, 2013. – 319 S. (Orga-
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Programm und Programmatik ; deutsche Kultur-
Thema : Deutschland + Auswärtige Kulturpolitik +
institute in Frankreich (1945-2011). – Saarbrücken
Public Diplomacy + Wissenschaftliche Zusammen-
... : Universaar, 2013. – 402 S. – Zugl. : Saarbrücken,
arbeit + Informations-/Kommunikationspolitik +
Univ., Diss., 2011
170 Auswahlbibliografie
Thema : Deutschland + Bundesrepublik Deutsch-
Sportveranstaltung + Organisation/Reorganisation
land (1949-1990) + Auswärtige Kulturpolitik +
+ Rezeption + Berichterstattung + Massenmedien +
Frankreich + Mittlerorganisation (Auswärtige Kul-
Internationaler Vergleich/Ländervergleich
turpolitik) + Goethe-Institut (Paris) + Goethe-Insti-
Aspekt : Bewerbung + Vergangenheitsbewälti-
tut (Lille) + Auslandskulturinstitut + Montpellier +
gung + Geschichtsbild + Neuorientierung + Ritual
Ziele und Programme von Institutionen/Organisa-
+ Staatssymbole + Rivalität von Staaten + Deutsche
tionen + Bewertung kulturpolitischer Maßnahmen
Demokratische Republik + München + Palästinen-
Aspekt : Deutsch-französisches Kulturabkom-
ser + Attentat + Medienpolitik + Status und Rolle
men (1954-10-23) + Deutsch-französischer Vertrag
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Thema : Religion + Begriffsdefinition/Begriffsver-
soehnung.pdf
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Földes, Dóra : "The world favors the brave" : towards
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Gerner, Martin : Lead agency : UNESCO's global
Thema : Ungarn + Auswärtige Kulturpolitik + Kon-
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Industriegesellschaft + Auslandskulturinstitut +
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Befragung + Gegenwärtige Lage + Zielvorstellung/
zu Recht und Politik der Vereinten Nationen; Bd.
Zielsetzung + Reformvorschlag
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Aspekt : Begriffsdefinition/Begriffsverständnis +
Thema : United Nations Educational, Scientific
Historische Faktoren + Soft Power + Public Diplo-
and Cultural Organization + Ziele und Programme
macy + Image-Bildung + Auslandsbild | c-00894640
internationalen Akteurs + Aktionsprogramm/Akti-
| ifa-Signatur : Cb 33/296
onsplan + United Nations Decade of Education for Sustainable Development (2005-2014) + Bildungspo-
Gajek, Eva Maria : Imagepolitik im olympischen
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Wettstreit : die Spiele von Rom 1960 und Mün-
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petenzen internationalen Akteurs + Implementie-
Univ., Diss., 2011
rung + Governance + Analyse
Thema : Italien + Bundesrepublik Deutschland
Aspekt : Normensetzungsfunktion internationaler
(1949-1990) + Auswärtige Kulturpolitik + Pub-
Akteure + Koordination nationaler Maßnahmen
lic Diplomacy + Instrumente und Verfahren der
und Politiken + Wissenschaftliche Methoden + Leis-
Außenpolitik + Olympic Games 17. (Rome, 1960)
tungsfähigkeit von Institutionen/Organisationen +
+ Olympic Games 20. (Munich, 1972) + Image-Bil-
Kriterien + Effizienz/Effektivität + Unternehmens-
dung + Auslandsbild + Deutschlandbild + Sport +
organisation | c-00898560 | ifa-Signatur : 34/110
171
WIKA-Report (Band 2)
Geserick, Christine : "Welcome to our family" : eine
+ Berichterstattung + Inhaltsanalyse + Künstler +
qualitative Studie zur Erlebniswelt deutschsprachi-
Interview
ger Au-pairs in den USA. – Opladen ... : Budrich Uni-
Aspekt : Rollenverständnis gesellschaftlicher
press, 2013. – 280 S. – (Familienforschung; Bd. 25).
Gruppen + Kunst + Organisation/Reorganisation +
– Zugl. : Wien, Univ., Diss. 2012
Modernisierung + Gesellschaftspolitik + Verhältnis
Thema : Deutschland + Österreich + Vereinigte
Kunst/Kultur – Politik/Gesellschaft + Osmanisches
Staaten + Österreicher + Deutsche + Frauen + Aus-
Reich + Internationaler Vergleich/Ländervergleich
landsaufenthalt + Kinderbetreuung/Jugendbetreu-
+ Europa + Nordamerika + Deutschland + Kassel +
ung + Erwartung + Motivation + Aufgabenstellung
Documenta 11 (Kassel, 2002-06-08/2002-09-15) + Ita-
+ Status und Rolle + Alltag + Kulturkontakt + Inter-
lien + La Biennale di Venezia | c-00893651 | ifa-Sig-
kulturelle Kommunikation + Interkultureller Kon-
natur : 33/785
flikt + Konfliktpotential + Theorie-Praxis-Problem + Empirische Analyse + Befragung
Gronholz, Matthias : Kulturelle Globalisierung und
Aspekt : Sozialer Status + Arbeitsbedingungen +
internationale Kooperation. – Wiesbaden : Sprin-
Lebensbedingungen + Kulturzugang + Freizeit +
ger, 2013. – 344 S. – Zugl. : Freiburg/Breisgau, Univ.,
Konfliktkonstellation + Selbstbild | c-00879986 |
Diss., 2012
ifa-Signatur : 33/394
Thema : Global + Internationale Zusammenarbeit + Globalisierung internationaler Beziehungen +
Glavac, Monika : Der "Fremde" in der europäischen
Kulturelle Faktoren + Institutionalisierung inter-
Karikatur : eine religionswissenschaftliche Studie
nationaler Beziehungen + Träger von Maßnahmen
über das Spannungsfeld zwischen Belustigung,
+ Wandel + Geschichte der internationalen Bezie-
Beleidigung und Kritik. – Göttingen ... : Vanden-
hungen + Entwicklungsperspektive und -tendenz
hoeck & Ruprecht, 2013. – 208 S. – (Research in Con-
Aspekt : Theorie der internationalen Beziehungen
temporary Religion; vol. 11). – Zugl. : Zürich, Univ.,
+ Internationale Politik (wissenschaftliche Dis-
Diss., 2011
ziplin) + Internationale Gesellschaft/Weltgesell-
Thema : Europa + Italien + Frankreich + Vereinig-
schaft + Kommunikation in den internationalen
tes Königreich + Dänemark + Karikatur + Inhalts-
Beziehungen + Kulturelle Werte und Normen +
analyse + Arabische Länder + Islam + Fremdbild +
Global Governance + Diplomatische Beziehungen
Selbstbild + Forschungsgegenstand + Religionsge-
+ Internationales Abkommen + Völkerbund + Uni-
meinschaft + Beispielhafte Fälle
ted Nations + Zivilgesellschaft + Nichtregierungs-
Aspekt : Printmedien + Presse + Muhammad (Pro-
organisation + Group of Twenty | c-00890346 | ifa-
phet) + Interkultureller Konflikt + Frauen + Sitten
Signatur : 33/639
und Gebräuche + Kulturkontakt | c-00881860 | ifaSignatur : 33/256
Gutwerk, Simone : Host nation studies : a language and culture program in US-American elementary
Graf, Marcus : Istanbul-Biennale : Geschichte, Posi-
education in Germany. – Bad Heilbrunn : Klink-
tion, Wirkung. – Berlin : Kulturverl. Kadmos, 2013.
hardt, 2013. – 201 S. – Zugl. : Würzburg, Univ., Diss.,
– 624 S. – (Kaleidogramme; Bd. 41). – Zugl. : Stutt-
2012
gart, Staatl. Akad. der Bildenden Künste, Diss., 2010
Thema : Vereinigte Staaten + Auslandsschule +
Thema : Türkei + İstanbul + Ausstellung + Kultu-
Internationale Schule + Bundesrepublik Deutsch-
relle Veranstaltung + Status und Rolle im inter-
land (1949-1990) + Deutschland + Zielgruppe +
nationalen System + Konzeption + Wirkung/Aus-
Truppenstationierung im Ausland + Berufssolda-
wirkung + National + International + Kulturelle
ten + Amerikaner (Vereinigte Staaten) + Studenten/
Faktoren + Soziokulturelle Faktoren + Kulturpo-
Schüler + Primarschule + Sekundarschule + Curri-
litik + Internationale Kulturbeziehungen + Presse
culum + Inhaltsanalyse + Interkulturelle Erziehung
172
Auswahlbibliografie
+ Didaktik + Kulturzugang + Befragung + Lehrer
Högerle, Daniela : Propaganda oder Verständigung?
Aspekt : Amerikanische Besatzungszone Deutsch-
: Instrumente französischer Kulturpolitik in Süd-
lands + Vorschule/Kindergarten + Schulpartner-
baden ; 1945–1949. – Frankfurt/M. : Lang, 2013. –
schaft + Lehrerausbildung + Internationale Bil-
336 S. – (Europäische Hochschulschriften : Reihe
dungszusammenarbeit + Deutsch + Fremdsprache
13, Französische Sprache und Literatur; Bd 297). –
+ Sprachenlernen/Sprachunterricht | c-00874282 |
Zugl. : Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2012
ifa-Signatur : 33/308
Thema : Frankreich + Deutschland + Südbaden + Internationale Kulturbeziehungen + Auswärtige
He, Jun : Die Auswirkungen der englischsprachigen
Kulturpolitik + Instrumente und Verfahren der
Hochschullehre in Deutschland auf das Deutsch-
Außenpolitik + Besatzungspolitik + Französische
lernen in China. – Frankfurt/M. : Lang, 2013. –
Besatzungszone Deutschlands + Freiburg im Breis-
XVI,232 S. – (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und
gau + Nachkriegssituation
Kulturwissenschaft; Bd. 95). – Zugl. : Duisburg-
Aspekt : Deutschlandpolitik + Militärverwaltung
Essen, Univ., Diss., 2012
(Besatzungsmacht) + Gründung von Institutionen/
Thema : Deutschland + Hochschulpolitik + Studien-
Vereinigungen + Ziele und Programme von Institu-
gang + Internationalisierung + Unterrichtssprache
tionen/Organisationen + Informations- und Doku-
+ Englisch + Wirkung/Auswirkung + Volksrepublik
mentationseinrichtung + Institut Français de Fri-
China + Deutsch + Fremdsprache + Sprachenler-
bourg-en-Brisgau + Volkshochschule + Instrument
nen/Sprachunterricht + Auslandsstudium + Empi-
(Verfahren) + Kulturpolitik + Umerziehung + Propa-
rische Analyse + Konsequenz/Schlussfolgerung +
ganda + Kunsterziehung + Kulturelle Veranstaltung
Sprachenpolitik
+ Theater + Kunst | c-00870147 | ifa-Signatur : 33/359
Aspekt : Deutsch + Wissenschaftssprache + Status und Rolle im internationalen System + Standortfak-
Hudson, Paul : Tiptoeing through the minefield :
toren + Bildungsmarkt + Germanistik + Ausland +
teaching English in higher educational institutes
Studenten/Schüler + Motivation + Informationszu-
in the United Arab Emirates. – Canterbury, 2013.
gang + Fremdsprachenkenntnisse | c-00867254 | ifa-
– 323 S. – Canterbury, Christ Church Univ., Diss.,
Signatur : 33/4
2013 Thema : Westliche Welt + Englischsprachige Län-
Heugel, Renate : Die deutsch-arabische Freund-
der + Auslandslehrer + Auslandsaufenthalt + Verei-
schaft : deutsche Geschichte (1815–1945) in syri-
nigte Arabische Emirate + Hochschule + Englisch +
schen Schulbüchern. – Hamburg : Kovač, 2013. –
Fremdsprache + Sprachenlernen/Sprachunterricht
210 S. – (Nur al-hikma; Bd. 8). – Zugl. : Tübingen,
+ Ideologischer Konflikt + Interkultureller Konflikt
Univ., Magisterarb., 2011
+ Konfliktkonstellation + Kulturzugang + Empiri-
Thema : Syrien + Schulbuch + Inhaltsanalyse
sche Analyse + Befragung
+ Deutschland + Deutschlandbild + Politische
Aspekt : Religiöse Faktoren + Islam + Religiosität
Geschichte + Geschichtsbild + Bedeutung/Rolle +
+ Geschlechterrolle/Geschlechterverhältnis + Ein-
Ideologische Faktoren + Geschichtsschreibung +
kommen + Sozialer Status + Curriculum + Zensur +
Nationalsozialismus + Antisemitismus + Deutsches
Soziale Sicherheit + Arbeitsbedingungen + Lehrer-
Reich + Drittes Reich + Status und Rolle im interna-
ausbildung | c-00884599 | ifa-Signatur : 4 B 33/98 |
tionalen System
http://create.canterbury.ac.uk/12101/1/PhD_-_Paul_
Aspekt : Arabischer Nationalismus + Baath-Ideo-
Hudson.pdf
logie + Panarabismus + Feindbild + Judentum + Israel + Holocaust + Bilaterale internationale
Humer, Alexandra : Solidarität mit Nicaragua? :
Beziehungen + Bismarck, Otto von + Hitler, Adolf
Städtepartnerschaften als Beispiel kommunaler
| c-00881020 | ifa-Signatur : 33/426
EZA in Österreich und ihre Rolle in der OEZA. – 1.
173
WIKA-Report (Band 2)
Aufl. – Wien : Österreichische Forschungsstiftung
+ Entwicklung + Leitbild + Kulturelle Faktoren +
für Internationale Entwicklung, 2013. – IV,147 S. –
Soziokulturelle Faktoren + Interkulturelle Kom-
(ÖFSE-Forum; 55). – Zugl. : Wien, Univ., Diplomarb.,
munikation + Instrument (Verfahren) + Dauerhafte
2013
Entwicklung + Entwicklungstheorie
Thema : Österreich + Nicaragua + Auslands- und
Aspekt : Modernisierungstheorie + Dependenzthe-
Entwicklungshilfe + Entwicklungspartnerschaft +
orie + Kulturkontakt + Kulturzugang + Fremdbild
Städtepartnerschaft + Beitrag (Leistung) + Organi-
+ Entwicklungspolitische Strategie | c-00894032 |
sation/Reorganisation + Finanzierung + Internati-
ifa-Signatur : 33/796
onale Zusammenarbeit von Regionen/Kommunen + Koordination nationaler Maßnahmen und Poli-
Karis, Tim : Mediendiskurs Islam : Narrative in der
tiken + Außenbeziehungen staatlicher Akteure +
Berichterstattung der "Tagesthemen" 1979-2010. –
Fallstudie
Wiesbaden : Springer, 2013. – 359 S. – Zugl. : Müns-
Aspekt : Auslands- und Entwicklungshilfeprojekt +
ter, Univ., Diss., 2012
Dezentralisierung + Zivilgesellschaft | c-00898596 |
Thema : Deutschland + Bundesrepublik Deutsch-
ifa-Signatur : 34/111
land (1949-1990) + Programme von Massenmedien + Hörfunksendung/Fernsehsendung + Nachrich-
Hunt, Alexander : United States cultural diplomacy
tenwesen + Berichterstattung + Islam + Inhaltsana-
in the post-9/11 world : crafting a grand strategy in
lyse + Fremdbild + Feindbild + Wissenschaftliche
the war of ideas. – Budapest, 2013. – 80 S. – Buda-
Methoden + Methodenansätze + Diskurstheorie +
pest, Central European Univ., Masterarb., 2013
Medienforschung
Thema : Vereinigte Staaten + Auswärtige Kulturpo-
Aspekt : Semiotik + Bildmaterial/Abbildungen +
litik + Public Diplomacy + Soft Power + Stellenwert
Visualisierung + Islamische Revolution + Religiöser
+ Außenpolitik einzelner Staaten + Hard Power +
Fundamentalismus + Politischer Islam + Militanter
Militärische Operationen + Fallstudie + Kalter Krieg
Islam + Konfliktpotential + Zivilisationskonflikt +
(Ost-West-Konflikt) + Vergleich + Terrorismusbe-
Terroranschlag New York/Washington (2001-09-11)
kämpfung + Terroranschlag New York/Washington
+ Bedrohungsvorstellungen (Gesellschaft) + Bedro-
(2001-09-11) + Konsequenz/Schlussfolgerung + Poli-
hungsvorstellungen (Sicherheitspolitik) + Muslime
tische Strategie + Ideologisch-kulturelle Faktoren
+ Desintegration + Frauen + Soziale Diskriminie-
der Außenpolitik
rung + Fremdenfeindlichkeit | c-00895037 | ifa-Sig-
Aspekt : Außenpolitische Strategie + Organisation/
natur : 33/742
Reorganisation + Zentralisierung + Träger von Maßnahmen + Auslandskulturinstitut + Befragung +
Klippel, Johanna : Sprachlernsituation Auslandsstu-
Kulturausgaben + Kriegskosten + Allison, Graham
dium : eine qualitative Studie zu Lernerfahrungen
+ Modell (theoretisch) + Außenpolitik | c-00898959 |
ausländischer Studierender in Deutschland. – Balt-
ifa-Signatur : Cb 34/39 | www.etd.ceu.hu/2013/hunt_
mannsweiler : Schneider-Verl. Hohengehren, 2013.
alexander.pdf
– 307 S. – (Perspektiven Deutsch als Fremdsprache; Bd. 26). – Vollst. zugl. : Darmstadt, Techn. Univ.,
Kampmann, Susanne : Die Interdependenz der Ord-
Diss.
nungen : Entwicklungszusammenarbeit als inter-
Thema : Deutschland + Ausländische Studenten +
kulturelles Diskursfeld. – Hamburg : Bachelor +
Fremdsprachenkenntnisse + Deutsch + Fremdspra-
Master Publ., 2013. – 67,X S. – Zugl. : Kaiserslautern,
che + Sprachenlernen/Sprachunterricht + Befra-
Techn. Univ., Masterarb., 2011
gung + Erwartung + Praxis + Effizienz/Effektivität
Thema : Westliche Welt + Entwicklungsländer
+ Relation + Organisation/Reorganisation + Soziale
+ Auslands- und Entwicklungshilfe + Entwick-
Beziehungen + Hochschulstudium + Konsequenz/
lungspartnerschaft + Stellenwert + Paradigma
Schlussfolgerung
174
Auswahlbibliografie
Aspekt : Auslandsaufenthalt + Vorbereitung von
Abkommen + Internationale Organisation + Con-
Projekten + Lernen + Motivation + Bildungsziele +
vention on the Means of Prohibiting and Pre-
Lehrmethoden/Lernmethoden + Unterrichtsspra-
venting the Illicit Import, Export and Transfer
che + Verkehrssprache + Forschungsgegenstand |
of Ownership of Cultural Property (1970-11-14) +
c-00894037 | ifa-Signatur : 33/813
Second Protocol to the Convention for the Protection of Cultural Property (1999-03-26) + First Proto-
Koster, Luc : Deutsche und amerikanische Gesten
col to the Convention for the Protection of Cultural
im interkulturellen Vergleich : ein empirischer
Property (1954-05-14) + Convention concerning the
Beitrag zur Gestenforschung im Kontext der Dol-
Protection of the World Cultural and Natural Heri-
metschwissenschaft. – Trier : WVT Wiss.-Verl.,
tage (1972-11-16) | c-00898598 | ifa-Signatur : 34/87
2013. – 308 S. + 1 CD-ROM. – (Heidelberger Studien zur Übersetzungswissenschaft; Bd. 17). – Zugl. : Hei-
Laemmerhirt, Iris-Aya : Embracing differences :
delberg, Univ., Diss., 2011
transnational cultural flows between Japan and the
Thema : Deutschland + Vereinigte Staaten + Nicht-
United States. – Bielefeld : Transcript-Verl., 2013. –
verbale Kommunikation + Verhaltensmuster +
261 S. – (Culture & Theory). – Zugl. : Bochum, Univ.,
Internationaler Vergleich/Ländervergleich + Film +
Diss., 2008
Analyse + Konsequenz/Schlussfolgerung + Überset-
Thema : Vereinigte Staaten + Japan + Internationale
zer/Dolmetscher + Ausbildung/Berufliche Bildung
Kulturbeziehungen + Kulturaustausch + Kulturein-
+ Bildungsziele
fluss + Perzeption + Rezeption + Wandel + Massen-
Aspekt : Interkulturelle Kommunikation + Video +
kultur + Nahrungsmittel + Film + Auslandsbild +
Visualisierung + Wörterbuch + Lehrmittel + Wis-
Inhaltsanalyse + Fallstudie
senschaftliche Methoden | c-00898634 | ifa-Signatur
Aspekt : Kulturimperialismus + Orientalismus +
: 34/97
Okzidentalismus + Fremdbild + Stereotype + Frauen | c-00897229 | ifa-Signatur : 34/59
Krenz, Kai Georg : Rechtliche Probleme des internationalen Kulturgüterschutzes : Durchsetzung, Har-
Lembrecht, Christina : Bücher für alle : die
monisierungsbestrebungen und Restitutionen von
UNESCO und die weltweite Förderung des Buches
Kulturgütern. – Frankfurt/M. ... : PL Acad. Research,
1946-1982. – Berlin ... : de Gruyter, 2013. – XIV,608 S.
2013. – XXI,409 S. – (Schriften zum internationalen
– (Archiv für Geschichte des Buchwesens : Studien;
und zum öffentlichen Recht; Bd. 107). – Zugl. : Mar-
Bd. 9). – Zugl. : Mainz, Univ., Diss., 2011
burg, Univ., Diss., 2013
Thema : United Nations Educational, Scientific
Thema : Global + EU-/EG-Länder + Europäische
and Cultural Organization + Ziele und Programme
Union + Deutschland + Kulturgüter + Begriffsdefi-
internationalen Akteurs + Internationale kulturelle
nition/Begriffsverständnis + Schutz von Kulturgü-
Zusammenarbeit + Internationale Bildungszusam-
tern + Schutz von Kulturgütern in militärischen
menarbeit + Förderung/Unterstützung + Buch +
Konflikten + Rechtliche Regelung + Rechtssicher-
Leseförderung + Literaturversorgung + Friedenssi-
heit + Nationales Recht + Völkerrecht + Verbind-
cherung + Fallstudie
lichkeit von internationalen Rechtsakten + Umset-
Aspekt : Kalter Krieg (Ost-West-Konflikt) + Nach-
zung internationalen Rechts + Abgrenzung natio-
kriegssituation + Buchhandel + Verlag/Verlagswe-
nales Recht – Gemeinschaftsrecht + Internationale
sen + Übersetzung + Kulturvermittlung + Kultur-
Konvention + Analyse + Vorschlag/Initiative
zugang + Bildungschancen + Völkerverständigung
Aspekt : United Nations Educational, Scientific and
+ Perzeption + Revision von Meinungen/Erkennt-
Cultural Organization + Beschluss/Entscheidung
nissen + Öffentliche Bibliothek + Aufgabenstel-
internationalen Akteurs + Bilaterales internatio-
lung + Schulbuch + Lateinamerika + Kinderbuch/
nales Abkommen + Multilaterales internationales
Jugendbuch + Entwicklungsländer | c-00893659 |
175
WIKA-Report (Band 2)
ifa-Signatur : 33/749
Thema : Europa + Reisebericht + Inhaltsanalyse + Afrika + Fremdbild + Visualisierung + Fotografie +
Löcherer, Felix : Deutschlandbilder der Gegenwart
Kolonialismus + Kolonialzeit + Fallstudie
: die französische Perspektive ; Studien zu derzeiti-
Aspekt : Deutschland + Frankreich + Vereinigtes
gen französischen Deutschlandbildern anhand der
Königreich + Schweiz + Afrikaner + Stereotype +
einschlägigen Presseberichterstattung in Frank-
Vorurteile + Revision von Meinungen/Erkenntnis-
reich. – Augsburg, 2013. – 58 S. – Augsburg, Univ.,
sen + Geschlechterrolle/Geschlechterverhältnis +
Bachelorarb., 2011
Frauen + Männer + Tourismus + Tschad + Kongo
Thema : Deutschland + Deutschlandbild + Perzep-
(Brazzaville) | c-00895919 | ifa-Signatur : 33/895
tion + Berichterstattung + Presse + Frankreich Aspekt : Le Monde + Le Figaro + Le Parisien + Inter-
Merklinger, Martina : Die Biennale São Paulo : Kul-
nationale politische Dominanz/Abhängigkeit +
turaustausch zwischen Brasilien und der jungen
Internationale politische Dominanz/Abhängigkeit
Bundesrepublik Deutschland (1949-1954). – Biele-
+ Europäische Union + Mitwirkung bei internatio-
feld : Transcript-Verl., 2013. – 250 S. – (Image; Bd.
nalem Akteur + Status und Rolle im internationa-
41). – Zugl. : Bonn, Univ., Diss., 2010
len System + Vereinigung oder Wiedervereinigung
Thema : Bundesrepublik Deutschland (1949-1990) +
von Staaten/Gebieten | c-00883516 | ifa-Signatur :
Brasilien + Auswärtige Kulturpolitik + Instrumente
Cb 33/262 | http://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/
und Verfahren der Außenpolitik + Bedeutung/Rolle
opus4/files/2340/Loecherer_Deutschlandbilder.pdf
+ Internationale projektbezogene Zusammenarbeit + Ausstellung + Kunstwerk + São Paulo + Konzep-
Makulkina, Iryna : Das metaphorische Russland-
tion + Organisation/Reorganisation + Kulturaus-
bild im deutschen Pressediskurs. – Hamburg :
tausch + Kulturprojekt
Kovač, 2013. – 249 S. – (Philologia : Sprachwissen-
Aspekt : Nachkriegssituation + Bilaterale internati-
schaftliche Forschungsergebnisse; Bd. 177). – Zugl. :
onale Beziehungen + Aufnahme von Beziehungen
Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2012
+ Gründung von Institutionen/Vereinigungen +
Thema : Deutschland + Presse + Berichterstattung +
Bauhaus + Bill, Max + Auswärtiges Amt (Deutsch-
Auslandsbild + Russische Föderation + Stellenwert +
land, BRD) + Deutsche Demokratische Republik |
Metapher + Bestimmungsfaktoren + Image-Bildung
c-00879027 | ifa-Signatur : 33/438
+ Methodenansätze + Inhaltsanalyse Aspekt : Diskurstheorie + Semantik + Kognition
Niesing, Eva : Nation branding practices in Latin
+ Rhetorik + Wirtschaftliche Faktoren + Innen-
America : a diagnosis of Brazil, Chile and Colom-
politische Faktoren + Außenpolitische Faktoren
bia. – München : Grin-Verl., 2013. – XI,173 S. – Zugl.
+ Soziokulturelle Faktoren + Stereotype + Fremd-
: Bachelorarb.
bild + Feindbild + Putin, Vladimir Vladimirovič
Thema : Lateinamerika + Brasilien + Chile +
+ Die Welt + Der Spiegel + Stern + Focus : das
Kolumbien + Public Diplomacy + Image-Bildung
moderne Nachrichtenmagazin + Medienforschung
+ Auslandsbild + Tourismuspolitik + Auswärtige
| c-00894236 | ifa-Signatur : 33/624
Kulturpolitik + Aktionsprogramm/Aktionsplan + Kampagne + Konzeption + Bestimmungsfaktoren
Malzner, Sonja : "So sah ich Afrika" : die Reprä-
+ Marketing + Träger von Maßnahmen + Internati-
sentation von Afrikanern in plurimedialen Reise-
onaler Vergleich/Ländervergleich
berichten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Aspekt : Planung + Implementierung + Potential +
– Würzburg : Königshausen & Neumann, 2013. –
Zielgruppe + Kulturelle Faktoren + Land und Leute
670 S. – (Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden
+ Naturlandschaft + Diaspora + Kulturprojekt +
Literatur- und Kulturwissenschaft; Bd. 63). – Zugl. :
Nationale Identität + Stereotype + Finanzierung |
Saarbrücken, Univ., Diss.
c-00882676 | ifa-Signatur : 33/579
176 Auswahlbibliografie
Oehler, Lars : Alemania es diferente? : Analyse der
Gemeinschaften + Beziehungen von Mitgliedern zu
zentralen deutschen Kulturstandards aus Sicht spa-
internationalem Akteur
nischer Studierender in Deutschland. – Hamburg :
Aspekt : Rivalität von Staaten + Bilateraler inter-
Diplomica-Verl., 2013. – 76 S. – Zugl. : Regensburg,
nationaler Konflikt + Verhalten in den internatio-
Univ., Bachelorarb., 2012
nalen Beziehungen + Zypernkonflikt + Demokra-
Thema : Spanien + Schüler- und Studentenaus-
tisierung + Reisebericht + Kulturelle Faktoren +
tausch + Auslandsstudium + Deutschland + Aus-
Ausländische Arbeitnehmer + Perzeption + Histo-
ländische Studenten + Spanier + Deutschlandbild
rische Faktoren + Stereotype + Frankfurter Allge-
+ Perzeption + Deutsche + Kulturstandards + Hypo-
meine Zeitung + Süddeutsche Zeitung + Frankfur-
these + Befragung
ter Rundschau + Bild-Zeitung | c-00867805 | ifa-Sig-
Aspekt : Integration + Desintegration + Persönliche
natur : 32/778
Beziehungen/Kontakte + Stereotype + Revision von Meinungen/Erkenntnissen | c-00895048 | ifa-Signa-
Schuch, Jane : Mosambik im pädagogischen Raum
tur : 33/814
der DDR : eine bildungsanalytische Studie zur "Schule der Freundschaft" in Staßfurt. – Wiesbaden
Reich, Hannah : Frieden stiften durch Theater :
: Springer, 2013. – 253 S. – Zugl. : Berlin, Humboldt-
Konfessionalismus und sein Transformationspoten-
Univ., Diss., 2012
tial ; interaktives Theater im Libanon. – Bielefeld :
Thema : Deutsche Demokratische Republik +
Transcript-Verl., 2013. – 329 S. – (Kultur und soziale
Mosambik + Internationale Bildungszusammenar-
Praxis). – Zugl. : Bonn, Univ., Diss., 2010
beit + Bildungshilfe (Auslandshilfe) + Schulmodell
Thema : Libanon + Bürgerkrieg im Libanon (1975-
+ Konzeption + Neuorientierung + Sekundarschule
1990) + Nachkonfliktphase + Friedenerhaltende
+ Ausbildung/Berufliche Bildung + Bildungsziele +
Maßnahmen + Beitrag (Leistung) + Theater + Kul-
Alltag + Schulbesuch + Fotografie + Inhaltsanalyse
turprojekt + Konzeption + Religiöse Bevölkerungs-
Aspekt : Fremdbild + Postkolonialismus + Ideologi-
gruppe + Beziehungen zwischen religiösen Grup-
sche Faktoren + Solidarität + Völkerverständigung
pen/Religionsgemeinschaften + Klientelismus +
+ Rassismus | c-00872546 | ifa-Signatur : 33/59
Analyse + Wissenschaftliche Methoden + Fallstudie Aspekt : Theoriebildung + Ästhetik + Lewin, Kurt
Seyler, Siegfried : Europaschule in Hessen = Zwan-
+ Said, Edward W. + Orientalismus + Butler, Judith
zig Jahre Europaschule in Hessen : zwanzig Jahre
+ Verhältnis Kunst/Kultur – Politik/Gesellschaft +
Schulentwicklung und Bildung für Europa. –
Verhältnis Ideologie – Kultur + Soziale Fragmentie-
Schwalbach/Taunus : Debus-Pädagogik-Verl., 2013.
rung + Sozialgeographie + Milizsystem | c-00893992
– 444 S. – Zugl. : Marburg, Univ., Diss., 2012
| ifa-Signatur : 33/836
Thema : Deutschland + Hessen + Europäische Schule + Schulmodell + Ziele und Programme von
Reynolds, Douglas : Turkey, Greece, and the "bor-
Institutionen/Organisationen + Bildungsziele +
ders" of Europe : images of nations in the West Ger-
Schulerziehung/Schulbildung + Konzeption + Wan-
man press 1950-1975. – Berlin : Frank & Thimme,
del + Internationale Bildungszusammenarbeit +
2013. – V,544 S. – (Medien und politische Kommuni-
Befragung
kation – Naher Osten und islamische Welt; Bd. 22).
Aspekt : Bildungspolitik + Schulreform + Curricu-
– Zugl. : Erfurt, Univ., Diss., 2011
lum + Tansania + Schulpartnerschaft + Schüler-
Thema : Bundesrepublik Deutschland (1949-1990) +
und Studentenaustausch + Fremdsprache + Lernen
Presse + Berichterstattung + Inhaltsanalyse + Aus-
+ Mehrsprachigkeit + Interkulturelle Erziehung +
landsbild + Türkei + Griechenland + Internationaler
Qualitätssicherung + Politische Bildung + Europa
Vergleich/Ländervergleich + Erweiterung von und
+ Bewusstseinsbildung + Schulverwaltung + Bil-
Beitritt zu internationalem Akteur + Europäische
dungsforschung | c-00894065 | ifa-Signatur : 33/783
177
WIKA-Report (Band 2)
Thies, Carla : Kulturelle Vielfalt als Legitimitätse-
Aspekt : Bildungswesen + Bildungspolitik + Wech-
lement der internationalen Gemeinschaft. – Tübin-
selbeziehungen Bildungssystem – Wirtschaft +
gen : Mohr Siebeck, 2013. – XI,419 S. – (Jus internati-
Technische Auslandshilfe + Informations-/Kom-
onale et Europaeum; 74). – Zugl. : Berlin, Humboldt-
munikationstechnologie + Medienhilfe + Frauen
Univ., Diss. 2012
+ Mädchen + Arbeitsmarkt + Berufliche/fachliche
Thema : Internationales System + Völkerrecht +
Qualifikation + Bilaterale internationale Beziehun-
Theorie des internationalen Rechts + Kulturelle
gen + Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ländern |
Vielfalt + Legitimität + Selbstbestimmungsrecht +
c-00894261 | ifa-Signatur : 33/822
Wechselwirkung von internationalen und nationalen Prozessen + Nationalstaat + Souveränität + Rela-
Voigt, Viola : Interkulturelles Mentoring made in
tion + United Nations Educational, Scientific and
Germany : zum Cultural Diversity Management
Cultural Organization + Convention on the Pro-
in multinationalen Unternehmen. – Wiesbaden :
tection and Promotion of the Diversity of Cultural
Springer, 2013. – 451 S. – Zugl. : Berlin, Freie Univ.,
Expressions (2005-10-20) + Konsequenz/Schlussfol-
Diss., 2011
gerung + Kulturpolitik + Internationale kulturelle
Thema : Deutschland + Interkulturelles Manage-
Zusammenarbeit
ment + Multinationales Unternehmen + Unterneh-
Aspekt : Kulturelle Identität + Soziale Partizipation
menskultur/Corporate Identity + Organisation/
+ Kulturzugang + Minderheitenrechte + Kulturelle
Management internationaler Wirtschaftszusam-
Grundrechte + Entwicklung + Kulturelle Faktoren
menarbeit + Führungskräfte + Internationalisie-
+ General Agreement on Trade in Services (1994-
rung + Ethische Grundsätze + Pluralismus + Per-
04-15) + Handelsliberalisierung + Kulturindustrie
sonelles Management/Personalverwaltung + Kon-
+ Globalisierung internationaler Beziehungen +
zeption + Fallstudie + Theoriebildung + Erwartung
Rechtsphilosophie + Eurozentrismus + Universale
+ Praxis
Prinzipien der internationalen Ordnung + Kolo-
Aspekt : Kultur + Identität + Kulturelle Identität +
niale Folgeprobleme | c-00882016 | ifa-Signatur :
Ethnische Faktoren + Ethnizität + Modell (theore-
33/560
tisch) + Stand der Forschung + Frauen + Internationaler Vergleich/Ländervergleich + Vereinigte Staa-
Tsimoshchanka, Yuliya : Kooperative Berufsausbil-
ten | c-00895036 | ifa-Signatur : 33/747
dung : Untersuchungen zum kooperativen Ansatz in der deutschen bilateralen Entwicklungszusam-
Wanke, Christina : Die Darstellung Afghanistans in
menarbeit in Zentralasien am Beispiel von Usbeki-
den Hauptnachrichtensendungen : eine Struktur-
stan und Kasachstan. – Hamburg : Kovač, 2014 [i.e.
und Inhaltsanalyse. – Wiesbaden : Springer, 2013.
2013]. – 457 S. – (Studien zur vergleichenden Berufs-
– 249 S. – (Globale Gesellschaft und internationale
pädagogik; Bd. 48). – Zugl. : Dresden, Techn. Univ.,
Beziehungen). – Zugl. : Köln, Univ., Diss., 2012
Diss., 2013
Thema : Deutschland + Massenmedien + Rundfunk-
Thema : Deutschland + Bundesrepublik Deutsch-
programme + Arbeitsgemeinschaft der Rundfunk-
land (1949-1990) + Kasachstan + Usbekistan + Ent-
anstalten Deutschlands + Zweites Deutsches Fern-
wicklungspartnerschaft + Bildungshilfe (Auslands-
sehen (Mainz) + Nachrichten/Agenturmeldungen +
hilfe) + Ausbildung/Berufliche Bildung + Entwick-
Inhaltsanalyse + Berichterstattung + Afghanistan +
lungspolitische Strategie + Wandel + Deutsche
Visualisierung + Bildmaterial/Abbildungen + Jour-
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
nalismus
(Bonn, Eschborn) + Auslands- und Entwicklungs-
Aspekt : Befragung + Auslandskorrespondenten +
hilfeprojekt + Hypothese + Zielgruppe + Akzeptanz
Journalisten + Verhältnis Politik – Medien + Krieg
+ Empirische Analyse + Internationaler Vergleich/
+ Kondoz + Kriegführung + Taliban + Soldaten +
Ländervergleich
Politiker + Personalisierung + Frieden | c-00879992
178 Auswahlbibliografie
| ifa-Signatur : 33/445
Univ., Diss., 2012 Thema : Bundesrepublik Deutschland (1949-1990)
Weber, Sarah : Malta und die Boatpeople : eine
+ Schulerziehung/Schulbildung + Fachunterricht/
Ethnologie der interkulturellen Begegnung. –
Unterrichtsfach + Politische Bildung + Curricu-
Frankfurt/M. ... : Lang, 2013. – XII,379 S. – Zugl. :
lum + Ehemals deutsche Gebiete der Grenzen von
Bochum, Univ., Diss., 2012
1937 + Osteuropa (politisch) + Historische Fakto-
Thema : Malta + Einwanderung/Einwanderer + Mig-
ren + Geschichtsbild + Vertreibung + Deutsche +
ranten + Flüchtlinge + Afrikaner + Interethnische
Inhaltsanalyse + Ideologische Faktoren + Osteuro-
Beziehungen + Malteser + Interkulturelle Kommu-
paforschung + Stand der Forschung + Konzeption
nikation + Interkultureller Konflikt + Rassismus
+ Wandel
+ Wissenschaftliche Methoden + Feldforschung +
Aspekt : Weltkrieg 2. (1939–1945) + Kriegsfolgen +
Teilnehmende Beobachtung
Antikommunismus + Vertriebenenverband + Inte-
Aspekt : Europäische Union + Migrationspolitik +
ressenpolitik + Vergangenheitsbewältigung + Lem-
Postkoloniale Theorie + Mittelmeerraum + Illegale
berg, Eugen + Volksdeutscher + Nationalsozialis-
Einwanderung + Selbstbild + Fremdbild + Feindbild
mus + Lehrmittel + Bildungsziele + Erinnerungs-
+ Kulturelle Faktoren + Kriminalität | c-00894092 |
politik/Erinnerungskultur + Deutschlandproblem
ifa-Signatur : 33/737
+ Deutsche Demokratische Republik + Innerdeutsche Beziehungen + Polen + Tschechoslowakei |
Wehrstein, Daniela : Deutsche und französische Pressetexte zum Thema Islam : die Wirkungsmacht impliziter Argumentationsmuster. – Berlin ... : de Gruyter, 2013. – 357 S. – (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie; Bd. 378). – Zugl. : Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2012 u.d.T. : Text hinter dem Text Thema : Frankreich + Deutschland + Internationaler Vergleich/Ländervergleich + Journalismus + Printmedien + Berichterstattung + Kommunikationsinhalte + Islam + Manipulation von Meinung + Sprachgebrauch Aspekt : Politische Meinung/Einstellung + Politische Willensbildung + Informationsqualität + Zeitungsartikel + Inhaltsanalyse + Sprachgebrauch + Kommunikationsforschung + Religionsgemeinschaft + Religiöse Bevölkerungsgruppe + Geographische Herkunft + Muslime + Soziale Integration + Kulturelle Werte und Normen | c-00890713 | ifaSignatur : 33/750 Weichers, Britta : Der deutsche Osten in der Schule : Institutionalisierung und Konzeption der Ostkunde in der Bundesrepublik in den 1950er- und 1960er-Jahren. – Frankfurt/M. ... : Lang, 2013. – 632 S. – (Die Deutschen und das östliche Europa : Studien und Quellen; Bd. 10). – Zugl. : Oldenburg,
c-00893649 | ifa-Signatur : 33/617
179
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik – was kann Wissenschaft leisten?
DER WIKA STELLT SICH VOR
Die Bedeutung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) ist im Zeitalter der Internationalisierung und Globalisierung deutlich gewachsen. Politisches Denken und Handeln zielen stärker denn je auf die Herstellung dauerhafter Strukturen des menschlichen Zusammenlebens, die Erarbeitung entsprechender Regeln und die Ausweitung von Möglichkeiten für die Schaffung gemeinsamen Wissens. Die kulturellen Dispositionen und Bindungen von Menschen, Gesellschaften und Staaten sind dabei zu berücksichtigen. Bei der Betrachtung von heutigen Kulturen als offenen, dynamischen Gefügen ist die Wechselwirkung von Politik und Kultur eng – auch über nationale und kulturelle Grenzen hinweg. Mehr denn je bedarf politisches Handeln wissenschaftlicher Analyse. Zugleich kann Wissenschaft die Gestaltung von Politik und Kultur sowie die Erarbeitung tragfähiger Lösungen unterstützen. Wissenschaft kann dazu beitragen, •
das politisch-kulturelle Denken und Handeln im eigenen sowie in anderen Ländern in seiner Theorie und Praxis genauer zu erfassen,
•
politische Prozesse zu differenzieren und mit kulturellen sowie institutionellen Bedingungen in Verbindung zu setzen,
•
handelnde Akteure und Institutionen zu erkennen,
•
politisch-kulturelle Kommunikationsstrukturen, -wege und -verfahren zu analysieren
•
geschichtliche Grundlagen und Bedingtheiten zu erforschen,
•
Bestandsaufnahmen zum Stand der wissenschaftlichen Diskussion bereit zu stellen.
Wissenschaft kann selbst als Akteur Auswärtiger Kulturpolitik wirken.
180
Der WIKA stellt sich vor
Der Wissenschaftliche Initiativkreis Kultur und Außenpolitik (WIKA)
2011 / Universität Tübingen – Migration der Künste – Künste der Migration 2010 / Universität Bayreuth – Bildung,
Der W IK A beschäftigt sich mit Theorie und
Kultur(en), Außenpolitik
Praxis des internationalen Kulturaustauschs. Ziel ist es, Außenkulturpolitik in Deutschland und
2009 / Universitätsclub Bonn – Die Union
Europa wissenschaftlich zu begleiten, Konzepte zu
für das Mittelmeer: Kultur und Entwicklung
entwickeln und das Thema Außenkulturpolitik an
von Rabat bis Helsinki?
Universitäten und Hochschulen in der Lehre stärker zu verankern. Beteiligt sind Hochschullehrer,
2008 / Universität Hildesheim – Europäische
Nachwuchswissenschaftler und Vertreter von Mitt-
Integration als Herausforderung
lerorganisationen der Auswärtigen Kultur- und Bil-
Auswärt iger Kulturpolitik
dungspolitik. Der WIKA wurde 2004 vom ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) gegründet und wird
2007 / Universität Karlsruhe (TH) – Der Beitrag
von der Alexander Rave-Stiftung im ifa dauerhaft
der Hochschulen zum Euro-islamischen Dialog
gefördert. Die Mitarbeit und Teilnahme am WIKA steht allen Interessentinnen und Interessenten
2006 / Universität Saarbrücken – Evaluation
offen.
in der Auswärtigen Kulturpolitik
Aktivitäten des WIKA
2005 / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn: Kultur und Konfliktprävention.
WIKA-Infobrief (erscheint 2-monatlich)
Bestandsaufnahme zum Stand der wissenschaft-
•
Informationen zu Aktivitäten der Mitglieder
l ichen Diskussion
•
Kalender einschlägiger Tagungen
•
Nachrichten zum Kulturaustausch
•
Buchtipps und Neuerwerbungen
Kontakt
der ifa-Bibliothek Wissenschaftlicher Initiativkreis Kultur und Tagungen
Außenpolitik (WIKA)
•
Wissenschaftlicher Workshop
•
Jahrestagung mit Master-/Doktoranden-
Vorsitzende: Univ.-Prof. Dr. Caroline Robertson-
kolloquium
von Trotha ZAK | Zentrum für Angewandte Kulturwissen-
Themen der WIKA-Workshops:
schaft und Studium Generale Karlsruher Institut für Technologie – KIT
2013 / Karlsruher Institut für Technologie (KIT) –
caroline.robertson@kit.edu
Kulturelle Faktoren von Geopolitik Geschäftsführung: 2012 / Technische Universität Dresden –
ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)
Fort- und Weiterbildung für Akteure der
Gudrun Czekalla
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
Charlottenplatz 17, D-70173 Stuttgart wika@ifa.de http://www.ifa.de/wika
Charlottenplatz 17 P.O. Box 10 24 63 D-70173 Stuttgart
D-70020 Stuttgart
Tel. +49/711 2225-0 Fax +49/711 2 26 43 46 www.ifa.de
info@ifa.de