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3.2.2 Analogien

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Literatur

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3.2.2 Analogien Zum selektiven Framing tritt im Rahmen der neoklassischen Theorie der Gebrauch von Analogien aus der Mechanik hinzu, der, so mein Argument in diesem Abschnitt, auch nicht vollständig objektiv erfolgen kann, sondern eher einem geschulten Urteil entspricht, das sich zumindest teilweise auf unbewusste Intuition und Erfahrung stützen muss. Dabei geht es mir an dieser Stelle ausdrücklich nicht darum, einen umfassenden Einblick in die Materie zu geben, sondern lediglich einige kurze Überlegungen anzustellen, die im nachfolgenden Kapitel eine Vergleichsbasis zu heutigen Lehrbuchtexten herzustellen vermögen.30

In seiner Theory of Political Economy macht Jevons deutlich, dass es bei dem Gebrauch der Mathematik in der neoklassischen Theorie nicht um eine Analogie geht, d. h. nicht um eine „InBeziehung-Setzung zweier ganz verschiedener semantischer Felder“ (Hentschel 2010, S. 19). Für Jevons ist klar: Es gibt nicht die Mathematik auf der einen und die Wirtschaftswissenschaft auf der anderen Seite, sodass ihre Bezüge untereinander selbst eines semantischen Aufschlusses bedürfen. Wirtschaftswissenschaft zu betreiben, heißt für ihn stattdessen, unmittelbar Mathematik zu betreiben: Wirtschaftswissenschaft ist Mathematik. Jevons macht dies an einem Vergleich zu John Stuart Mill deutlich:

„Thus, J. S. Mill has said: ‚The idea of a ratio, as between demand and supply, is out of place, and has no concern in the matter: the proper mathematical analogy is that of an equation. Demand and supply, the quantity demanded and the quantity supplied, will be made equal.’ Mill here speaks of an equation as only a proper mathematical analogy. But if Economics is to be a real science at all, it must not deal merely with analogies; it must reason by real equations, like all the other sciences which have reached at all a systematic character“ (Jevons 1871, S. 101).

Hier wird der Anspruch auf Objektivität nochmals deutlich: Ökonom_innen sollen vernünftig urteilen, und dies ist ihnen nur unmittelbar auf dem Feld der Mathematik möglich.

Dennoch kennt Jevons zugleich ein Feld der Argumentation, das tatsächlich durch Analogien bestimmt ist: Dieses wird durch Bezüge des ökonomischen Denkens nicht zur Mathematik, sondern zur Mechanik geschaffen. So spricht Jevons gleich im Anschluss an die eben zitierte Passage ausdrücklich von einer „Analogie des Hebels“ (Jevons 1871, S. 202-203): Beide – die mechanischen ‚Hebelgesetze‘ und die ökonomische ‚Theorie des Austauschs‘ – benutzen die gleichen mathematischen Formeln; hierin ist ihre Argumentation identisch. Verbal werden die beiden Felder allerdings unterschiedlich beschrieben: etwa Hebelarme hier und der Nutzen von Gütern dort. In beiden Fällen spricht Jevons von einem ‚Gleichgewicht‘, aber was diese gleichlautende Bezeichnung letztlich rechtfertigt, ist die Tatsache, dass beide mit exakt der gleichen mathematischen Formel beschreibbar sind. Direkte semantische Bezüge stellt Jevons ansonsten zwischen den beiden Feldern nicht her.

30 Vgl. für die Bedeutung der Mechanik für die Wirtschaftswissenschaft etwa grundlegend Brodbeck 2009b, Mirowski 1989.

Fisher etwa geht in der Bildung von Analogien hingegen deutlich weiter, indem er einzelne Begriffe aus Mechanik und Ökonomie unmittelbar aufeinander bezieht. So gibt er beispielsweise an, dass der Raum in der Mechanik wie der Güterraum in der Ökonomie und Energie wie Nutzen zu denken sei (vgl. Fisher 1892, S. 85). Abbildung 1 gibt einen Auszug aus seinen Mathematical Investigations in the Theory of Value and Prices wieder. Hier wird deutlich, wie sehr die neoklassische Theorie nicht nur Analogien zwischen einzelnen mechanischen und ökonomischen Begriffen, sondern auch zwischen mechanischen und ökonomischen Relationen und Prozessen zu begründen sucht: Wie das Wasser immer einen horizontalen Ausgleich sucht, so soll es exakt auch in der ökonomischen Welt zugehen: Es sollen auf ‚exakt‘ identische Weise Güter zwischen Individuen so verteilt werden, dass die marginalen Grenznutzen, in Geld gemessen, gleich sind. Eine solche Analogie setzt die beiden Felder – Mechanik und Ökonomie –ausdrücklich in Beziehung, aber wie genau diese Beziehung zu denken ist, bleibt offen. Wie ist ein Individuum ‚exakt‘ als Zisterne vorstellbar? Ist es die Vorstellung eines ‚leeren Bauchs‘, wie Fisher wenig später vermutet (vgl. Fisher 1892, S. 30)? Für was aber stünde dann das ‚Wasser‘ in diesem ‚Bauch‘? Allein schon diese Fragen machen deutlich: Eine vollständig objektive Erklärung ist nicht möglich, stattdessen kommen hier unbewusste Intuition und Imagination ins Spiel: Fisher leitet uns relativ genau an, wie wir diese Intuition und Imagination zu vollziehen haben. Er unternimmt explizite Anstrengungen sprachlicher und visueller Art, damit wird uns darin schulen können, zwischen Ökonomie und Mechanik semantische Beziehungen herzustellen und dabei sowohl bewusste als auch eher unbewusste Erkenntnisprozesse fruchtbar zu machen. Dabei sind – und dies ist, wie ich im nachfolgenden Kapitel argumentieren werde, ein wesentlicher Unterschied zu heutigen Lehrbuchtexten – explizite Kenntnisse sowohl des Ursprungsbereiches der Analogie (d. h. der Mechanik) als auch des Zielbereichs (also der Ökonomie) vonnöten.

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