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Abbildung 7: Beeinflusste Erkenntnisprozesse
Abbildung 7: Beeinflusste Erkenntnisprozesse (eigene Darstellung)
Auch das selektive Framing zielt nicht mehr auf die Befähigung zu objektiven Urteilen ab. So dienen etwa die Annahmen des ‚vollkommenen Marktes‘ eher dazu, den Common Sense ebenfalls umzubilden (man beachte in der Abbildung den nach unten gerichteten Pfeil, der beim geschulten Urteil noch nach oben, also in Richtung System 2, zeigte). Es bleibt nicht allein bei der Aktivierung von surface frames. Stattdessen werden Versuche unternommen, den Common Sense zusätzlich durch die Aktivierung von deep seated frames umzubilden, die genuin nichts mit wirtschaftlicher Erfahrung, sondern entweder mit politischen oder ideologischen Prinzipien oder aber mit Grundideen über die Unabänderlichkeit natürlicher Vorgänge (etwa den ‚Gesetzen der Schwerkraft‘) zu tun haben und deswegen tief im Unbewussten schlicht als wahr akzeptiert zu werden drohen. Alternativen zu dieser Art der Einlagerung werden nicht geboten, ebenso wenig wie
Formen ihrer Reflexion. Stattdessen wird durch Verschweigen eine Hypokognition und damit die Festlegung auf einen bestimmten Common Sense gefördert. Ökonomische Standardlehrbücher appellieren nicht allein an den wirtschaftlichen
Common Sense (wie das geschulte Urteil), sondern formen diesen grundsätzlich um.
Im Sinne der threshold concepts verfügen die Kernkonzepte dieser Lehrbücher (wie ‚Markt‘ , ‚Gesetz der Nachfrage‘ etc.) über das Potential, subjektive Einstellungen (Selbst- und Weltbilder) grundlegend zu verändern. Diese Tatsache selbst wird aber nicht vermittelt, sodass Studierende nicht befähigt werden, eine reflektierte Entscheidung über eine solche Umbildung ihrer eigenen Subjektivität zu treffen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich meines Erachtens tatsächlich mit Recht von einer Indoktrination sprechen: Finden die vorgenannten Prozesse statt, so kann die ökonomische Standardlehre zum Vehikel werden, um Studierenden unkritisch tiefsitzende Glaubenssätze, Weltanschau-
ungen und Werte zu vermitteln. Zugleich ist, so hoffe ich, auch deutlich geworden, dass diese Indoktrination nicht pauschal der neoklassischen Theorie anzulasten ist. Eher wäre zu überlegen, ob und ggf. wie sich ökonomische Lehrbücher etwa in Analogie zur Werbung als eigenständiges Textmedium zwischen fiktionalen und theoretisch-wissenschaftlichen Texten ansiedeln ließen.