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4.4 Zusammenfassung des Kapitels

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Literatur

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Zweitens lässt sich feststellen, dass Samuelson und Nordhaus genau wie Mankiw die geistes- und ideengeschichtlichen Hintergründe etwa der verwendeten mechanistischen Konzepte und Metaphern verschweigen, und ebenso das für eine objektive Wissenschaft notwendige Denkinstrumentarium. So wird eine Einführung in den für die neoklassische Theorie zentralen Lagrange-Formalismus nicht gegeben; er wird bei Samuelson/Nordhaus ebenso wenig explizit benannt wie bei Mankiw. Und selbst eine mathematisch klare Einführung in die Analyse von Graphen sowie eine Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Verwendung in der Ökonomie unterbleibt – selbst in jenem Abschnitt, der dem Arbeiten mit Graphen explizit gewidmet ist (vgl. Samuelson/Nordhaus 2010, S. 18ff.). Meines Erachtens fehlen auf diese Weise wesentliche Möglichkeiten, wie jene kognitiven Fähigkeiten, die auf der Ebene des Systems 1 antrainiert werden, einer bewussten Überprüfung oder gar Korrektur auf der Ebene des Systems 2 unterzogen werden könnten.

Kahneman macht darauf aufmerksam, dass die Zugänglichkeit zu Gedanken, die unbewusste Meinungsbildung korrigieren können, durch Sprache entweder erhöht oder aber gezielt erniedrigt werden kann. Um sie zu erhöhen, müssten die „Wachsamkeit von überwachenden Aktivitäten erhöht, oder aber stärkere Hinweise auf die relevanten Regeln“ (Kahneman 2002, S. 472) gegeben werden. Genau diese Hinweise aber unterbleiben, insofern wichtige methodische Belange verschwiegen werden. Samuelson und Nordhaus lassen (ebenso wie Mankiw) nahezu jegliche Hinweise darauf vermissen, wie unbewusste Schlüsse, die im Rahmen jener ideologischen und mechanistischen Framesemantik, die sie in ihren Ausführungen prägen, gezogen werden können, durch den bewussten Verstand überhaupt reflektiert und ggf. angezweifelt werden könnten. Weder bieten sie klare Regeln einer Modellbildung noch die Gelegenheit, die mechanistischen Metaphern auf konkrete Erfahrungsbezüge und die mit ihnen einhergehenden alternativen gedanklichen Deutungsrahmen zu beziehen und damit wenigstens einer intuitiven lebensweltlichen Überprüfung zugänglich zu machen.

Eher geschieht das genau Gegenteil: Das Lehrbuch von Nordhaus und Samuelson unternimmt sogar Versuche, jegliche Form der kritisch-bewussten Reflexion seiner wesentlichen Konzepte zu verhindern, etwa indem es diese von seiner Einleitung an schlicht als Wahrheit tituliert:

„Die Kernthesen der Volkswirtschaftslehre [im amerikanischen Original: The Core Truth of Economics, S.G.]. Häufig erscheint uns die Ökonomie als eine endlose Abfolge immer neuer Rätsel, Probleme und Dilemmata. Doch es gibt, wie erfahrene Dozenten mittlerweile wissen, einige wenige Konzepte, die jedem wirtschaftlichen Geschehen zugrunde liegen. Kennt man sie, scheint man plötzlich schneller zu lernen, und das mit bedeutend mehr Spaß. Wir haben daher beschlossen, uns auf die Kernthesen der Volkswirtschaftslehre zu konzentrieren – auf jene dauerhaften Wahrheiten, die im neuen Jahrhundert dieselbe Bedeutung haben werden wie im alten“ (Samuelson/Nordhaus 2010, S. 10).

In den vorangegangenen Abschnitten dieses Kapitels habe ich unterschiedliche Formen der Beeinflussung und ihre möglichen Formen und Bedeutungen in und für die ökonomischen Standardlehrbücher diskutiert. Dabei bin ich im Wesentlichen exemplarisch vorgegangen, in-

dem ich mich maßgeblich zwei Lehrbüchern und hier wiederum insbesondere deren einleitenden Kapiteln zugewendet habe. Meine Argumentation stützte sich dabei maßgeblich darauf, Erkenntnisse aus anderen Disziplinen – allen voran den Kognitionswissenschaften, aber etwa auch der Beeinflussungsforschung und der Lerntheorie – auf den Fall der ökonomischen Standardlehrbücher zu übertragen. Dabei standen vor allem die sprachliche Analyse (insbesondere syntax- und wortbezogener rhetorischer Figuren) sowie (anfänglich) die Analyse visueller Elemente im Vordergrund. Empirische Untersuchungen habe ich keine vorgenommen, sondern hauptsächlich textbasiert argumentiert.

In diesem Rahmen vermögen die Ausführungen dieses Kapitels aus meiner Sicht auf einen grundlegenden Umbruch wirtschaftswissenschaftlicher Argumentations-, Denk- und Wahrnehmungsweisen und ihrer Vermittlung hinzuweisen. Dies gilt sowohl im Vergleich zu einer sich als objektiv im mathematisch-naturwissenschaftlichen Sinne verstehenden Volkswirtschaftslehre, für welche die neoklassische Theorie (in ihrem ursprünglichen Gewand aus dem 19. Jahrhundert) steht, als auch im Vergleich zu Wissenschaftsverständnissen des 20. Jahrhunderts (etwa der österreichischen Schule der Nationalökonomie), die zwar die Bedeutung unbewusster Urteile betonen, diese aber vornehmlich zum Zwecke objektiver Theoriebildung zu schulen versuchen.

Diesen Umbruch in seinen Strukturen, seiner Genese und seiner Bedeutung noch umfassender zu erforschen, ist weiteren Forschungsarbeiten vorbehalten. Dieses Kapitel beschließend möchte ich aber zumindest einen ersten Versuch unternehmen, seine grundlegende Struktur nochmals zusammenfassend zu skizzieren und grafisch zu veranschaulichen. Damit möchte ich gerade nicht vorgeben, das Thema sei abschließend behandelt, sondern der weiteren Forschung einen möglichen Denkraum eröffnen.

Blicken wir nochmals zurück auf die Abbildung 2 (S. 42 dieser Studie). Grundsätzlich zeigt sie, wie sich der Fokus im Hinblick auf die für die Wissenschaft wesentlichen Erkenntnisformen systematisch verschiebt: Das Ideal reiner Objektivität nimmt für sich in Anspruch, lediglich auf bewusste Formen der Erkenntnis zurückzugreifen, wie sie sich in einem Bereich des vollkommen erfahrungsunabhängigen Denkens bilden lassen. Das geschulte Urteil hingegen rekurriert zudem auf Erkenntnisleistungen, wie sie durch bereits vergangene Erfahrungen geframet und dem Denken in seinem unbewussten Bereich vorgegeben sind. In diesem Bereich nimmt es dafür eine Selektion vor (in unserem Beispiel selektiert es vor allem die geldwirtschaftliche Erfahrung). Der selektierte Teil des Common Sense wird sodann mit den bewussten Kognitionsleistungen des Systems 2 verknüpft, wobei dieser Verknüpfungsprozess teils bewusst, teils unbewusst vonstattengeht und damit selbst nicht vollkommen rational erfassbar ist. Genauer sind dabei folgende Punkte wesentlich:

 Im Rahmen des geschulten Urteils wird lediglich ein kleinerer Ausschnitt des Unbewussten aktiviert. Dabei handelt es sich wesentlich um surface frames, also um Frames auf sprachlicher Ebene (vgl. Lakoff/Wehling 2016, S. 73); Geht es doch vornehmlich darum, zwischen der alltäglichen Bedeutung einzelner Wörter (‚Angebot‘, ‚Nachfra-

ge‘ etc.) und deren rein funktionaler Ausdrücke im Bereich der reinen Objektivität zu vermitteln.  Selbst der Gebrauch von Begriffen und Konzepten der Mechanik aktiviert kaum mehr als diese surface frames, weil er sich überwiegend in Form von Analogien vollzieht.  Das Resultat der Verknüpfung von bewusster und unbewusster Erkenntnisleistung kann (und muss) vom bewussten Teil der Kognition überprüft werden. Denn das kognitiv Unbewusste hat vornehmlich der Ermöglichung rationaler Urteile zu dienen. Es hat dafür zu sorgen, dass der Verstand rechnen kann – und mehr nicht.  Andersherum gesagt unterliegt das System 1 der Kontrolle des Systems 2, und diese

Kontrolle kann als streng bezeichnet werden.

Im Vergleich dazu passiert in den heutigen ökonomischen Standardlehrbüchern, sollten sich die Vorgehensweisen von Samuelson und Nordhaus sowie Mankiw tatsächlich als exemplarisch erweisen, etwas gänzlich anderes (vgl. Abbildung 7):

 Der Großteil der zu erlernenden (vermeintlich wissenschaftlichen) Erkenntnisleistung rutscht gleichsam ins Unbewusste ab:69 Das Wissen um ökonomische Zusammenhänge wird kaum mehr in einem tatsächlich objektiven Sinne geschult. Insbesondere fehlt die

Vermittlung grundlegender Kenntnisse über die Voraussetzungen mathematischer Argumentationsweisen ebenso wie eine intensive Schulung dieser Weisen selbst. Stattdessen wird die Mathematik allenfalls in einem analogischen Sinne verwendet (was etwa Jevons noch explizit ausschloss): Sie dient nun gleichsam als Ursprungsdomäne, um im Zielbereich des unreflektierten Common Sense gedankliche Veränderungen zu bewirken. Die Ebene bewusster Verstandesleistung, wie sie für eine objektive Wissenschaft kennzeichnend ist, wird auf diese Weise kaum mehr erreicht, sondern allenfalls für Umformungen des kognitiv Unbewussten genutzt (symbolisiert durch den nach unten gerichteten Pfeil).

69 Man beachte hier, dass auch ich hier von Frames Gebrauch mache, die mit ‚oben‘ und ‚unten‘ assoziiert sind. Dies ist dem üblichen Gebrauch in der Psychologie und den Kognitionswissenschaften geschuldet, die das Unbewusste zumeist in der ‚Tiefe‘ vermuten, wie allein schon die Fachausdrücke surface frames und deep seated frames zum Ausdruck bringen. Richtig ist, dass mit dieser ‚Tiefe‘ oder diesem ‚Herabsinken‘ auch eine Unabänderlichkeit und Unveränderlichkeit assoziiert ist: Was einmal ‚in der Tiefe versunken ist‘, soll nicht oder kaum mehr ‚emporsteigen‘ können. Wie im Abschlusskapitel deutlich werden wird, stimme ich selbst genau dieser Assoziation nur teilweise zu. Zumindest plädiere ich dafür, sie bewusst zu reflektieren. Dies dürfte ein wesentlicher Unterschied zum weitgehend unkritischen Gebrauch in den ökonomischen Standardlehrbüchern und womöglich auch in den Kognitionswissenschaften sein.

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