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Abbildung 6: „Catherine’s Demand Curve“ -Figure
ihnen über wirtschaftliche Prozesse nachdenken, ohne je wirklich über sie nachgedacht zu haben.
Abbildung 6: „Catherine’s Demand Curve“ - Figure
Quelle: Mankiw 2001, S. 69.
Der Schlüssel zum Verständnis dieser Art von Framing liegt wohl weniger in dem tabellarischen Überblick, sondern in der Art der graphischen Repräsentation, wie sie die Abbildung 4.1. von Mankiw (meine Abbildung 6) exemplarisch zur Darstellung bringt. Graphische Repräsentationen verfügen im Gegensatz zu reinen Funktionen etwa der Differential- und Integralrechnung über einen Moment (subjektiver) Anschauung: den der räumlichen Ausdehnung (vgl. Boyer 1949). Zugleich ist dies auch ihr einziges subjektives Moment. An und für sich, d. h. ohne die Zuhilfenahme von Metaphern, lassen sich auf einer zweidimensionalen Fläche, wie sie durch das cartesianische Koordinatensystem aufgespannt wird, nur ‚oben‘ und ‚unten‘, ‚links‘ und ‚rechts‘ sowie Bewegungen von einer Position zur anderen unterscheiden (von ‚links nach rechts‘, ‚von oben links nach unten rechts‘ etc.). Richtig ist, dass in der Mathematik auf diese Weise ein Raum weitestgehend objektiver Argumentation eröffnet wird, der aller subjektiven Erfahrungen außer eben jener der räumlichen Ausdehnung (die in der Differential- und Integralrechnung auch noch getilgt wird) entblößt ist. Doch Mankiw geht es nicht um abstraktmathematische Argumentationen in diesem Raum. Dies wird bereits daran deutlich, dass er ihn weder definitorisch zu benennen noch zu begrenzen sucht. Stattdessen koppelt er die graphische Repräsentation unmittelbar mit (scheinbar) lebensweltlichen Begriffen, in diesem Falle mit ‚Eiswaffeln‘ . Was aber passiert dabei genau in der Wahrnehmung? 66
Mankiw – und mit ihm alle anderen ökonomischen Standardlehrbücher, die extensiv das Angebot-Nachfrage-Diagramm und andere graphische Repräsentationen gebrauchen – macht sich hier, so meine These, den Gebrauch von Orientierungsmetaphern (orientational metaphors) zunutze. Lakoff etwa unterscheidet diese von Strukturmetaphern, bei denen ein Kon-
66 Im Folgenden kann ich lediglich erste Überlegungen zu diesem Thema anstellen, die zukünftig weiterer und genauerer Ausarbeitungen bedürfen werden.
zept (etwa DER MARKT) metaphorisch im Sinne eines anderen Konzepts (etwa DER MECHANISMUS) strukturiert wird:
„But there is another kind of metaphorical concept, one that does not structure one concept in terms of another but instead organizes a whole system of concepts with respect to another. We will call these orientational metaphors, since most of them have to do with spatial orientation: up-down, in-out, front-back, on-off, deep-shallow, central-peripheral. These spatial orientations arise from the fact that we have bodies of the sort we have and that they function as they do in our physical environment“ (Lakoff 1980, S. 14).
Orientierungsmetaphern wurzeln grundlegend in unserer physischen Existenz und jenen Grunderfahrungen, die wir in und mit dieser Existenz machen. Gleichsam aus dieser Tiefe gewinnen sie auch ihre selbstverständliche Evidenz, die kaum je vom Bewusstsein reflektiert oder in Frage gestellt wird. Als Beispiele von Orientierungsmetaphern nennt Lakoff etwa ‚Glücklich ist oben‘ und ‚Traurig ist unten‘ . Beiden liegen leibliche Grunderfahrungen zugrunde: Wenn wir traurig sind, sinken wir in uns zusammen, wenn wir glücklich sind, stehen wir gerader (vgl. Lakoff 1980, S. 14). Die Orientierungsmetaphern, auf die es im Falle des Angebot-NachfrageDiagrammes ankommen kann, sind jene von ‚Mehr ist oben‘ und ‚Weniger ist unten‘. Auch diese basieren auf einer Grunderfahrung des Lebens: „Wenn man mehr von einer Substanz oder einem physikalischen Objekt in einen Behälter oder auf einen Stapel gibt, dann steigt das Niveau“ (Lakoff 1980, S. 16; Übersetzung: S.G.). Zudem kann es um die Metapher ‚Eine Bewegung von oben nach unten ist Fallen‘ gehen, die wohl bereits auf leiblichen Grunderfahrungen des Kleinkindes bei seinen ersten Gehversuchen beruht. Wichtig ist, dass solche Metaphern uns zumeist so selbstverständlich sind, dass sie quasiautomatisch als wahr oder evident aufgefasst werden.
Bei Mankiw wird deutlich, wie sich diese Selbstverständlichkeit auf ökonomische Sachverhalte übertragen lässt, indem die ökonomische Framesemantik selbst um jene Metaphern wie ‚Mehr ist oben‘ und ‚Weniger ist unten‘ sowie um ‚Eine Bewegung von oben nach unten ist Fallen‘ erweitert wird. Blicken wir genauer auf seine Abbildung 4-1 (meine Abbildung 6). Ein höherer Preis ist hier ‚oben‘, ein niedrigerer ‚unten‘, ein ‚Fallen‘ des Preises löst eine ‚Bewegung nach unten‘ aus. Diese Metaphern dürften den meisten Studierenden aus ihrem alltäglichen Sprachgebrauch bereits bekannt sein. Doch auch hier sind sie eben nur Metaphern:
„Preise steigen nur in unseren Köpfen. Was ein Preis tatsächlich macht, ist, dass er mehr wird. Preise sind Phänomene der Quantität. Wir begreifen sie als steigend oder fallend, weil wir in der Metapher mehr ist oben denken“ (Lakoff/Wehling 2016, S. 16; Hervorhebung im Original).
Diese Metaphern werden nun einerseits durch das (scheinbar) lebensweltliche Beispiel von Eiswaffeln und ihrem Kauf durch ein Individuum („Catherine“) weiterhin in ihrem alltäglichen Gebrauch belassen bzw. an diesen alltäglichen Gebrauch angebunden. Sie werden damit gerade nicht in abstrakte Vorstellung überführt, wie es bei einer Modellierung nach mathematischnaturwissenschaftlichem Vorbild der Fall zu sein hätte, sondern im Bereich eines heuristic processing auf Ebene des Systems 1 belassen.
Die Kognitionswissenschaft weist darauf hin, dass im Gehirn nicht nur einzelne Wörter oder Sätze abgespeichert werden, sondern mit ihnen immer ein ganzes Reservoir weiterer Begriffe:
„Das Gehirn speichert Dinge, die in seiner Erfahrungswelt simultan auftreten, als Teile eines Frames ab. Wenn es dann ein Konzept vorgelegt bekommt […], aktiviert es denjenigen Frame, der aus seiner Sicht zu dieser Information gehört“ (Wehling 2016, S. 28).
Somit können durch Aussagen Informationen transportiert werden, obwohl sie nicht unmittelbar sprachlich übermittelt werden. Meines Erachtens lässt sich diese Erkenntnis folgendermaßen auf den Kontext ökonomischer Lehrbücher übertragen: Wahrscheinlich wird mit dem Verb ‚fallen‘ in unserem Gehirn gleichsam ein ganzes Vorratslager abgespeicherten Wissens aktiviert: einerseits Wissen über Erfahrungen von Unabänderlichkeit (‚Dinge fallen zu Boden‘) und Kontrollverlust (‚ich bin hingefallen‘, ‚er ist abgestürzt‘) und andererseits erlerntes, theoretisches Wissen aus den Naturwissenschaften (‚Fallgesetze‘, ‚Gesetze der Schwerkraft‘). Indem nun die ökonomischen Standardlehrbücher den Begriff der Nachfrage sprachlich mit jenem des ‚Fallens‘ koppeln und zugleich durch die ‚fallende‘ Nachfragekurve visualisieren, kann es –überträgt man Erkenntnisse empirischer Studien der Kognitionswissenschaften (vgl. etwa Bransford et al. 1972; Zwaan/Pecher 2012; Zwaan/Madden 2005) auf diesen Fall – dazu kommen, dass die ‚Nachfrage‘ implizit auch mit Vorstellungen des Gesetzmäßigen, Unweigerlichen und jenseits der eigenen Kontrolle ablaufenden Geschehnissen verbunden wird. Wäre dies der Fall, so würde damit die Rede vom ‚Gesetz der Nachfrage‘ eben nicht mehr nur durch Frames auf sprachlicher Ebene erfasst werden (Lakoff und Wehling sprechen hier von surface frames), sondern auch auf Ebene der deep seated frames:
„Deep Seated Frames sind in unserem Gehirn tief verankerte Frames, die unser generelles Verständnis von der Welt strukturieren, unsere Annahmen von der Welt zum Beispiel auf Grund unserer moralischen und politischen Prinzipien, die für uns schlicht ‚wahr‘ sind – die also unseren eigenen Common Sense ausmachen“ (Lakoff/Wehling 2016, S. 73).
Dass eine Linie wie die in Mankiws Abbildung 4-1 fällt, wird den meisten Studierenden unmittelbar einleuchtend sein. Dass damit etwas über das Unweigerliche und Unabdingbare wirtschaftlicher Prozesse ausgesagt sein soll, zunächst wohl eher nicht. Doch entscheidend ist hier Folgendes: Es wird auch keinerlei Anspruch erhoben, einen Frame zu bilden, mit dessen Hilfe die Studierenden tatsächlich wirtschaftliche Erfahrungen ausdrücken, geschweige denn diese Erfahrungen bewusst reflektieren könnten. Das Konzept der Nachfrage ist, wie Mankiw selbst bemerkt (vgl. erneut Mankiw 2014, S. 17), hochgradig abstrakt, doch ohne – im strikten Gegensatz zur Neoklassik – funktional und damit in einem objektiven Sinne definiert zu sein. ‚Abstrakt‘ meint hier, weitgehend von jeglichem konkret wirtschaftlich Erfahrbaren entleert zu sein (außer der Einsicht etwa, dass ich selbstverständlich weniger Eis kaufe, wenn die Kugel $ 20 kostet, als wenn sie $ 0.20 kostet) und zugleich an quasinaturgesetzliche Grunderfahrungen des Lebens angebunden zu werden (Erlebnisse und Kenntnisse des Fallens), die selbst nichts mit genuin wirtschaftlichen Erfahrungen zu tun haben, wohl aber unmittelbar intuitiv erfassbar sind.