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5.2 Ökonomische Standardlehrbücher als politischer Prozess
stimmten Form der Weltanschauung sorgen – und zwar „nicht durch bewusste Wahl oder absichtliche Selektion, sondern mittels eines Mechanismus, über den wir nicht bewusst Kontrolle ausüben“ (Hayek, 1949, S. 49). Dieses Vertrauen aber stellt kein natürliches, gegebenes Phänomen dar; es ist durch einen ‚Krieg der Ideen‘ überhaupt erst herzustellen, wie es das von Hayek mitgegründete Institute of Economic Affairs (IAE) recht martialisch nennt (vgl. Blundell 2015):
„Grundlegend für den Kampf, die individuelle Freiheit zu propagieren, ist die Aufgabe, unsere Mitmenschen davon zu überzeugen, dass die freie Marktallokation von Waren und Dienstleistungen nicht nur ökonomisch effizient und wohlstandssteigernd ist, sondern auch, und dies ist wesentlich wichtiger, dass die Marktallokation jeder anderen Form des Austausches moralisch überlegen ist“ (Williams 2015, S. xiii).
Und in diesem Kampf nun soll eine ‚educational route‘ – entwickelt etwa durch die Foundation for Economic Education eine wesentliche Rolle spielen und Wissenschaftler_innen zu SecondHand Dealers in Ideas erziehen (vgl. Blundell 2015, S. 26).
In einem sehr groben, wahrscheinlich zu groben Schnelldurchgang habe ich in den letzten Absätzen zu skizzieren versucht, wie nach Ansicht prominenter neoliberaler Denker und institutioneller Vertreter abstrakte und zugleich unbewusste Denkmuster in gesellschaftlichen und politischen Kontexten Macht ausüben können und welche fundamentale Rolle speziell die Wirtschaftswissenschaft darin einnehmen kann. Dies besagt nicht, dass aufgrund dieser Ansicht die heutigen ökonomischen Standardlehrbücher gleichsam automatisch ihre heutige Form gefunden hätten. Es untergräbt aber meines Erachtens dennoch jegliche Formen eines naiven Glaubens, Entwicklungen in Wissenschaft und Bildung, wie sie insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden haben, ließen sich gleichsam nur im akademischen Elfenbeinturm verorten und begründen. Stattdessen sehe ich deutliche Anzeichen dafür, dass die Frage nach möglichen Verbindungen zwischen politischer Propaganda auf der einen und tatsächlicher Manipulation im Sinne zielgerichteter und verdeckter Einflussnahme innerhalb der ökonomischen Standardlehre auf der anderen Seite ein Forschungsdesiderat darstellt, dem in Zukunft verstärkt Beachtung zu schenken sein wird.
In seinem Blog zitiert Mankiw unter der Rubrik Timeless Words of Wisdom Samuelson mit folgenden Worten: „I don't care who writes a nation's laws, or crafts its advanced treaties, if I can write its economics textbooks“73 . Dies zeigt, dass die Lehrbuchautor_innen, deren Texte ich in dieser Studie exemplarisch analysiert habe, um die potentiell gesellschaftsgestaltende Macht ökonomischer Lehrbücher wissen bzw. wussten. Dies verweist ebenso wie meine vorangegangenen Ausführungen darauf, dass in einem allgemeinen Sinne mit gewissem Recht von einer Manipulationsabsicht in oben definiertem Sinne gesprochen werden kann. Weit wesentlicher als eine solche allgemeine Feststellung wird aber meines Erachtens zukünftig sein, die genauen
73 http://gregmankiw.blogspot.de/ (Zugriff: 02. April 2017).
Konstellationen zu erforschen, unter denen diese Absicht (sei es von einzelnen Autor_innen, Institutionen oder politischen Strömungen) tatsächlich in ökonomischen Standardlehrbüchern konkrete Formen annehmen konnte. Dabei ist meines Erachtens eher davon Abstand zu nehmen, diesen oder jenen Autor_innen oder dieser oder jener theoretischen Erkenntnis einfach kausal Wirkmächtigkeit zuschreiben zu wollen. Nur weil etwa Hayek die Nützlichkeit von Wissenschaftler_innen, speziell Ökonom_innen im Sinne von Second-Hand Dealers in Ideas oder Gatekeepers of Ideas erkennt und offen propagiert, erklärt dies noch nicht, wie die ökonomischen Standardlehrbücher die Gestalt angenommen haben, die sie heute besitzen. Dies bedeutet im Umkehrschluss allerdings auch nicht, keinerlei Zusammenhang sehen zu können oder zu wollen. Es gilt stattdessen, einen mittleren Weg zwischen stark vereinfachender Darstellungen einerseits, die klar Schuldige benennen wollen, und einer Verleugnung oder Verharmlosung der Beziehungen zwischen politischen Zwecksetzungen und ökonomischer Bildung andererseits zu finden.
Yann Giraud spricht davon, die Erstellung von ökonomischen Standardlehrbüchern selbst als politischen Prozess zu beschreiben:
„By ‚political’ it is not meant the conduct of party politics but the many political elements that a textbook author has to take into account if he wants to be published and favorably received“ (Giraud 2013, S. 1).
Im Verlauf dieser Studie habe ich textliche Aussagen stets ihren Autor_innen (vornehmlich Samuelson/Nordhaus und Mankiw) zugesprochen. Wie aber etwa Girauds Studie am Beispiel von Samuelsons Economics deutlich macht, kann es sich dabei lediglich um eine grobe Vereinfachung zum Zwecke besserer Leserlichkeit handeln. Sind diese Aussagen doch tatsächlich Ergebnisse komplexer Beziehungsgeflechte innerhalb von Macht- und Interessenfeldern, die nicht nur von den Hauptautor_innen, sondern etwa auch von Verlagen (wie etwa McGraw-Hill), Universitäten, Kolleg_innen, Aufsichtsbehörden, Think-Tanks und Stiftungen, Übersetzer_innen, Gutachter_innen, Rezensent_innen etc. besetzt sind und zugleich immer im Kontext ihrer Zeit (und dabei immer auch in Zusammenhang mit unterschiedlichen wirtschaftlichen, persönlichen wie politischen Interessen) stehen (vgl. Giraud 2013).
Innerhalb solcher Felder und im Rahmen der Frage, wie diese sich im Laufe der Zeit selbst gewandelt, verschoben und neu konstituiert haben, wird aus meiner Sicht zukünftig zu erforschen sein, wie und warum etwa die neueren Ausgaben der Economics von Samuelson und Nordhaus jene Beeinflussungsformen aufweisen können, die ich in den vorherigen Kapiteln dargestellt habe, und inwiefern hier genau von Manipulation im Hinblick auf die Zielgerichtetheit dieser Formen die Rede sein kann und auch sein muss. Dabei wird auch und gerade zu klären sein, warum ausgerechnet jenes Lehrbuch von Samuelson, das in seinen ersten Ausgaben eher keynesianistische und interventionistische Standpunkte vermittelte und dessen Autor in der Forschung als einer der Hauptvertreter einer dezidiert mathematischen Ausrichtung der Wirtschaftswissenschaft gelten kann, sich zu seiner heutigen Form entwickeln konnte, die klar den ‚Mythos‘ DES MARKTES befördern, von dem Wehling und Lakoff sprechen (vgl. erneut Lakoff/Wehling 2016, S. 45).