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Station 6: Die Gelddenker
Aldo Haesler: Gelddenker, 50 Portraits, 2019 Das MoneyMuseum beauftragte Aldo Haesler, 50 Gelddenker zu porträtieren und deren Gedanken zu Geld kurz zu präsentieren. Georg Simmel, Adam Smith und Max Weber waren wichtige Mei lensteine im Verständnis von Geld. So interessant die einzelnen Beschreibungen sind, so verdichten sich die Texte nicht zu einer Gesamtschau, aus der sich eine Geldtheorie entwickeln würde. Fast wöchentlich werden neue Geldbücher auf den Markt ge bracht, was die Übersicht für den Leser nicht einfach macht. Im folgenden erwähne ich einige Bücher, die mich persönlich be eindruckt haben.
The Man Who Solved the Market, von Gregory Zuckerman, 2019
Jim Simons ist ein amerikanischer Mathematiker. Er fand den «Code» des Finanzmarktes. Er recherchierte Patterns, Preismus ter die sich immer wieder formen, und fand eine gewisse Konsistenz. Seine Renaissance Corporation betreibt den Medallion Fund, allerdings nur für Mitarbeiter. Das Buch von Gregory Zu -
ckerman «The man who solved the market» gibt uns einen Einblick in Simons geheime Welt.
Die Performance in den letzten 30 Jahren ist einmalig. In den 1990er Jahren zeigten nur drei Jahre unter 50% Gewinn, negative Jahre gab es nicht. Seit 2000 gab es nur ein Jahr unter 50% Ge winn (2003: +44%). Seit 2010 schöpft der Fond pro Jahr weit mehr als 5 Milliarden US$ ab. Während der ganzen Zeit belief sich die durchschnittliche Wertsteigerung pro Jahr auf 66%, das heisst alle 1,1 Jahre verdoppelt sich sein Fond, verachtfacht er sich in gut vier Jahren usw. Gesamte Handelsprofite belaufen sich in dieser Zeit über 100 Mrd US$. Der Code wird gehütet wie der heilige Gral.
Dies ist kein win-win Spiel, da profitiert die Zivilgesellschaft nicht. Renaissance Corp. bringt der Gesellschaft keinen Nutzen. Sein Gewinn ist der Verlust eines andern. Profitieren können nur die Insider. Ein Insider wollte sich mit seinem Reichtum auch politisch engagieren, verhalf Trump zur Wahl, wurde grosser Unterstützer von Bannon. Er kaufte Cambridge Analytica, die Firma, die facebook Daten zu politischen Kampagnen nutzte. Die Kritik erntete facebook, nicht der Insider.
Simons wird in Amerika verehrt, er hat es geschafft, was so viele andere auch schaffen möchten. Simons verhält sich völlig konform innerhalb des Finanzsystems.
Gesellschaft des Zorns, von Cornelia Koppetsch, 2019 Den übrigen Bevölkerungsschichten bleibt der Zorn, oder der Groll, wie es in der Odysee heisst. Cornelia Koppetsch, Soziolo gie-Professorin, bemerkte in ihrem Umfeld immer mehr rechtsradikal eingestellte Personen. Sie ging dem auf den Grund und publizierte ihre Ergebnisse in «Gesellschaft des Zorns». Ein Best -
Aldo Haesler
Gelddenker 50 Porträts Band 1
Oben links: Aldo Haesler, Gelddenker, 50 Porträts, MoneyMuseum, 2019
Oben rechts: Gregory Zuckerman, The Man Who Solved the Market, 2019
Rechts: Cornelia Koppetsch, Gesellschaft des Zorns, 2019
seller während vielen Wochen. Zorn definiert Claudia Koppetsch als Ressentiment, Angst, Wut; als eine Geisteshaltung UND ein Gefühl, das sich auf der politischen Plattform, als politische Kri se äussert. Die nicht privilegierte Schicht hält sich nicht mehr an politische Regeln, sondern tritt als Tabu-Brecher auf. Die Politik müsste sich nun den Themen Spaltung der Gesellschaft, Wachs tumsdruck, Ängste und Sinnhaftigkeit sowie Migration annehmen, und tut sich schwer damit.
Viele Menschen aus der akademisch-kosmopolitischen Mit telschicht glauben, dass eine liberale Gesellschaftsordnung die bestmögliche aller Welten darstellt. Diese würden durch die rechten Parteien mutwillig zerstört. Die Sachlage scheint klar: Der Liberalismus ist rational und logisch; seine rechtspopulisti schen Herausforderer sind irrational, wenn nicht gar verrückt; Liberale sagen die Wahrheit, Rechtspopulisten verbreiten Lü gen; Liberale stehen für den Fortschritt, Rechtspopulisten möchten die Vergangenheit wiederherstellen; Liberale sind of fen, freiheitsliebend und egalitär, während Rechtspopulisten intolerant, autoritär und repressiv erscheinen. Dieses Narrativ gibt Liberalen das beruhigende Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Dies alles wäre vielleicht noch gangbar, wenn nicht gleichzeitig sichtbar würde, dass dieselben Milieus, die für Offenheit und Toleranz eintreten, sich in exklusiven En klaven hochpreisiger Stadtquartiere abschließen. Die Globalisierung beinhaltet das Paradox, dass sie eine radikale Klassentrennung über den gesamten Globus einführte, was dem liberalen Weltbild widerspricht.
Die Fortschrittsidee des Liberalismus ihrerseits ist rapiden Zerfallsprozessen ausgesetzt. Es wird zunehmend sichtbar, dass die imperiale Lebensweise, von der große Bevölkerungsmehr -
heiten der ehemaligen Kolonialmächte lange profitiert haben, mit der Globalisierung an Grenzen gestossen ist. Die in Dritt weltländer externalisierten Risiken schlagen zunehmend in Form von Terror, Finanzkrisen und Flüchtlingsströmen auf ihre Erzeuger zurück.
Video: Ein kurzes Interview mit der Autorin sehen Sie hier: snips.ly/zorn
Es ist offensichtlich, dass unser Wirtschaftssystem umgewan delt, überhöht oder gänzlich abgeändert werden muss. Blosse Reformen genügen nicht. Die Frage ist in welche Richtung?
Der Da Vinci Code Der Da Vinci Code - Sakrileg ist eine Verfilmung des gleichnami gen Bestsellers von Dan Brown aus dem Jahre 2003. Der überaus erfolgreiche Film löste heftige Kritik von Seiten der Kirche aus. Das Buch ist spannend geschrieben, was mich aber am meisten interessierte war der Code: der entpuppte sich als der Goldene Schnitt, oder die Fibonacci-Zahlenreihe. Der Goldene Schnitt war den Griechen heilig, Sokrates heftete das Pentagramm, Sym bol des Goldenen Schnittes an seiner Tür. Heute spricht man oft von der Fibonacci Zahlenreihe, weil Leonardo da Pisa im 13. Jahrhundert in seinem Werk Liber Abaci die Zahlenreihe 1,1,2,3,5,8… definierte. Auch die Sonnenblume ist ein Symbol dieser Zahlenreihe. Offensichtlich löst diese Zahlenreihe noch heute Faszination aus, ist doch das Pentagramm auf vielen Nati onalflaggen zu sehen.
Oben links: Dan Brown, Der Da Vinci Code, 2003
Oben rechts: Simon Sutterlütti, Stefan Meretz: Kapitalismus aufheben, Eine Einla- dung, über Utopie und Transformation neu nachzudenken, 2018
Links: Craig Wright, Satoshi’s Vision, London 2019
Von all den Systemen, um auf dem Finanzmarkt erfolgreich zu sein, war für mich der Da Vinci Code am eindrücklichsten. Der Code symbolisiert etwas Natürliches, von den Griechen bis heu te verehrt. Ratio hiess früher Verhältnis und Vernunft, nämlich einer Vernunft, die auf einer harmonische Beziehung beruht.
Kapitalismus aufheben Das Suchen nach einer neuen Wirtschfts- und Geldordnung be deutet, dass einiges ersetzt werden muss, anderes wiederum soll bewahrt werden und ein Teil findet zur Synthese. Deshalb der Titel «Kapitalismus aufheben», weil aufheben drei Bedeutungen hat: ersetzen, bewahren und zur Synthese führen (Hegel).
Die Autoren starten mit der Feststellung, dass der Weg zu ei ner herrschaftsfreien Gesellschaft verstellt zu sein scheint. Reform, Revolution, Utopien, Sozialismus und Kommunismus scheinen ohne Hoffnung zu sein. Mit zwei neuen Theorieansät zen versuchen sie den Diskussionsraum wieder zu öffnen. Die Utopietheorie versucht Utopie als Raum von Möglichkeiten zu begreifen, und zwar weder als Wunschkonzert noch als Nie mandsland. Die Aufhebungstheorie stellt den Aufbau neuer gesellschaftlicher Formen in das Zentrum der Transformation. Mit beiden Theorien kann über Utopie und Transformation neu nachgedacht werden; dazu laden die Autoren ein.
Satoshi’s Vision 2008 änderte sich die Finanzwelt drastisch, nicht nur wegen der Finanzmarktkrise, sondern wegen der Publikation «Bitcoin: A Peer to Peer Electronic Cash System». In den vergangenen zehn Jahren hat sich viel getan. Satoshi Nakamoto, Pseudonym des Autors der Publikation und Erfinder des Bitcoin Protokolls, ver -
schwand von der Bildoberfläche. In seiner Abwesenheit wurde am Bitcoin Protokoll drastische Änderungen vollzogen. Nach zehn Jahren trat Craig Wright an die Öffentlichkeit und erklärte, weshalb er damals ein Pseudonym wählte, warum er verschwand und jetzt zurückkam. In diesem Buch stellt er die Herausforde rungen für Bitcoin und seine Vision für die Zukunft dar.